Der wilde Ritt geht weiter - Martin Semmelrogge - E-Book

Der wilde Ritt geht weiter E-Book

Martin Semmelrogge

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Beschreibung

Martin Semmelrogge ein vielschichtiger, leidenschaftlicher Mime, der deutsche Fernseh-, Kino- und Theatergeschichte geschrieben hat. Als Underdog und unangepasster Antiheld, der am Ende mit einem Lächeln verliert und selten verliert, ohne nicht auch irgendwie ein Gewinner zu sein. Dafür wird er geschätzt und weil er sein Herz auf der Zunge trägt, einfach authentisch ist.Was privat und beruflich so gelaufen ist? Genau darum soll es gehen, um viele Anekdoten.Und auch, welche Ereignisse in Deutschland und der Welt ihn besonders bewegt haben, lässt er Revue passieren.Semmelrogge ist keiner, der die Augen vor der Realität verschließt. Dennoch ist er lieber humorvoll als zynisch. Wegschauen kann er eben genauso wenig, wie alle Last der Welt auf seine Schultern laden. Und schließlich ist die Komödie ein Kind des Dramas.Diese Biografie beleuchtet die letzten dreizehn Jahre, welche abwechslungsreich und intensiv waren, in denen sich der Schauspieler und Synchronsprecher als Mensch besser kennengelernt hat. Ruhiger und überlegter ist er auf Mallorca geworden. Ob er sich selbst jetzt versteht? Um es mit Semmelrogges Worten zu sagen:»Woher denn, ich werde mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Aber lesen Sie selbst, vielleicht haben Sie ja mehr Glück «

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Seitenzahl: 220

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Martin Semmelrogge

Andreas Reinhardt

Der wilde Ritt geht weiter

Biografie

Impressum

© NIBE Media © Martin Semmelrogge

Co-Autor Andreas Reinhardt

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Created by NIBE Media

NIBE Media

Broicher Str. 130

52146 Würselen

Telefon: +49 (0) 2405 4064447

E-Mail:[email protected]

www.nibe-media.de

Bildnachweis:

Copyright: Bernd Hartung

(S. 136, S. 137)

Privatarchiv M. Semmelrogge

(S. 138 – S. 148; 151)

Copyright: Rock & Glam (S. 149 u. 150)

Diese Biografie wurde erlebt und erzählt von

Martin Semmelrogge

und literarisch in Szene gesetzt von

Andreas Reinhardt.

Inhaltsverzeichnis:

Ein Vorwort

Klappe, die Zweite – weil das Leben sich weiterdreht

Das Jahr 2007 oder: Mallorca ohne den Führer

Das Jahr 2008 oder: Die Sache mit der „Rocky Horror Show“

Das Jahr 2009 oder: Wie ich Karl May das Fürchten lehrte

Das Jahr 2010 oder: Ein Jahr der schnellen Gelegenheiten

Noch immer das Jahr 2010 oder: Ein Buddy stellt sich vor

Das Jahr 2011 oder: Von miesen Kapitalisten und unverbesserlichen Abenteurern

Das Jahr 2012 oder: Von deutschen Bühnen auf die Route 66 und zurück

Semmelgallerie

Das Jahr 2013 oder: Ein Freigänger zwischen Actionkino und Big Brother

Das Jahr 2014 oder: Wie man in Arizonas Wildem Westen einen Hund verliert

Das Jahr 2015 oder: Von Tristesse, Liebe und Wiederauferstehung

Das Jahr 2016 oder: Honecker vor Augen und Dieter Wedel am Apparat

Das Jahr 2017 oder: Wedel oder nicht Wedel, das ist hier die Frage

Das Jahr 2018 oder: Der Othello – Drama auf und neben der Bühne

Das Jahr 2019 oder: „Godot“ meets „Abschiedsdinner“

Was mir im Jahr 2020 noch zu sagen bleibt

Ein Vorwort

Wenn man das Angebot erhält, mit einem Martin Semmelrogge an dessen Biografie zu arbeiten, könnte sich einem schnell die Frage aufdrängen, ob das nun mehr Fluch oder Segen bedeutet – zumindest, wenn einem das effekthaschende Hörensagen aus der Journaille etwas bedeutet.

Wie vielschichtig der gestandene deutsche Mime und Synchronsprecher tatsächlich ist, lässt seine erste umfassende Biografie „Ein wilder Ritt durch 50 Jahre Paragraphistan“ erahnen. Aber auch jenes informative Werk kann einen bei der Frage, ob nun mehr Fluch oder Segen, durchaus verunsichern. Ich hingegen verlasse mich lieber auf das persönliche Kennenlernen, will sagen, auf eigene Erfahrungen.

Ein Semmelrogge mag nicht makellos, geschweige denn ein Engel sein, doch er hat es auch nie vorgegeben. Und bis heute nimmt er kein Blatt vor den Mund – selten gewordene Tugenden in diesen Zeiten. Sein öffentliches Auftreten ist das eines Showman mit Ecken und Kanten, trotzdem oder wohl besser deswegen immer authentisch.

Ja, ich freute mich auf die Zusammenarbeit mit diesem Mann, der schon ab den 70er Jahren deutschen Fernsehformaten Tiefe verliehen und im Kinoklassiker „Das Boot“ so beeindruckend agiert hatte.

Martin Semmelrogge und ich lernten uns in drei Phasen kennen. Da waren die Telefonate zum Warmwerden, von denen mir zwei denkwürdige Aussagen im Gedächtnis geblieben sind. So legte er mir die bereits erwähnte Biografie mit dem eigentümlichen Hinweis ans Herz, diese hätte ja nur kurze Kapitel und man könne sie gut nebenbei auf der Toilette lesen. Dann wiederum kam er auf „angebliche Funklöcher“ zu sprechen und wie gut man damit aus der Not eine Tugend machen könne, wenn man gerade nichts zu sagen hätte, nichts sagen wolle oder noch mehr Zeit zum Nachdenken herausschinden müsse. Außerdem sei es die Chance, als arme Sau bemitleidet zu werden, denn wer kenne das Problem Funkloch nicht. – Was soll ich sagen, Neugier und Vorfreude wuchsen.

Als Nächstes trafen wir uns in der Lobby des Hilton Berlin. Die Begrüßung war herzlich, und ich hatte den Eindruck, einen der Biker aus „Easy Rider“ vor mir zu haben. Beim besten Willen, nach Fünf-Sterne-Hotel sah mein Gesprächspartner mit den runtergerockten Jeans, Lederweste, Cowboystiefeln und der speckigen Schirmmütze nicht aus. Aber dann wurde ich Zeuge eines Semmelrogge-Mysteriums: Er machte das Haus zu seinem, flanierte seelenruhig auf und ab, sprach das Personal mit gewinnendem Lächeln an, ließ den gesamten Termin über sogar sein Auto direkt vor dem Haupteingang stehen – in einer Kurzhaltezone, zumal gut behütet unter den wachsamen Augen des Hotelportiers. Um sich in einem Hotel richtig wohlfühlen zu können, müsse er das Gefühl haben dort abgestiegen zu sein, selbst wenn dem nicht so sei, erfuhr ich dazu aus seinem Mund.

Ein Mercedes 500 SEL mit „Alterspatina“ – quasi mit wohlverdienten oberflächlichen Falten, dazu bis oben hin mit allerlei Dingen des Alltags angefüllt – zwei liebenswerte Hunde namens Buddy & Teddy sowie ein Gastgeber mit dem Herzen auf der Zunge und weiterhin ohne Allüren, so wurde ich noch rechtzeitig vor dem Corona-Shutdown am Flughafen von Palma de Mallorca in Empfang genommen. Und schon ging das Abenteuer los: Zuerst ein gemeinsamer Spaziergang am Vorzeigestrand von Palma, dabei mit den Hunden spielend und begleitet von geschäftigen Telefonaten mit Martins großer Liebe Regine, während ein Gesprächsthema zwischen Anekdoten und aktuellen Begebenheiten das nächste jagte. Beiläufig erfuhr ich, er müsse sich unbedingt noch das neue Drama „Bombshell – das Ende des Schweigens“ mit Charlize Theron rund um die MeToo-Debatte anschauen. Also gingen wir noch am Abend meiner Ankunft ins Kino. Beide waren wir begeistert, mussten in denselben Szenen lachen oder mitfühlend hin und her rutschen. Na, wenn das kein gutes Omen war. Wirklich aufschlussreich: Von einem sexistischen Macho Semmelrogge war weit und breit keine Spur. An das Kino grenzte auch gleich der alte Schlachthof, längst ein Gourmet-Tempel, und so ließen wir den ersten Abend in urigem Ambiente und bei kulinarischen Leckereien ausklingen.

Schon auf dem Weg zur eigens für mich arrangierten Finca, hielten wir noch vor einem Supermarkt für Tiere. Klar doch, bestimmt knurrte auch Buddy & Teddy der Magen. Jedem der beiden wurde noch auf dem Parkplatz eine Dose Hundefutter sowie Wasser kredenzt.

Die Tage auf Mallorca lehrten mich, dass Martin Semmelrogge ein Vollblutschauspieler ist, der seine Profession mit großer Hingabe ausübt. Mehrfach trug er mir unterhaltsame Monologe aus Theaterstücken vor, ja, tauchte ganz in die jeweilige Rolle ein. Ich fühlte mich privilegiert, dem beizuwohnen.

Nichtsdestoweniger ist derselbe Mensch Inbegriff des geordneten Chaos oder auch der chaotischen Ordnung, wie herum auch immer man es drehen will. Er scheint keiner Norm zu entsprechen. Man muss sich auf ihn einlassen, ihn regelrecht lesen. Nur so und mit der nötigen Geduld kommt man ans Ziel. Vor allem aber hatte ich selbst eine Vorstellung vom anzugehenden Buchprojekt, und das war zweifelsohne mitentscheidend. Jedenfalls haben wir unseren gemeinsamen Weg gefunden.

Natürlich darf ich seine Verlobte und gestaltende Mitstreiterin Regine nicht vergessen. Eine durch und durch sympathische Person, die sich seiner Marotten mit einem wissenden Augenzwinkern annimmt. Der liebe Gott scheint sie eigens für ihn geschnitzt zu haben. Es war mir ein Genuss, die beiden zusammen zu erleben. Mehr eigenwillige Menschlichkeit, Humor und Freigeist geht kaum.

Für mich persönlich ist Martin Semmelrogge einer der wenigen echten Schauspiel-Ikonen, die Deutschland überhaupt noch zu bieten hat. Aussehen, Gestik, Mimik, Unberechenbarkeit, Wandlungsfähigkeit sowie eine hemmungslose Schauspiellust gepaart mit großem Talent – für mich hat er etwas von einem deutschen Al Pacino.

Lieber Martin, dich persönlich erlebt zu haben, dich kennen und schätzen gelernt zu haben, will ich nicht missen. Mal sehen, was noch so geht ...

Andreas Reinhardt, Co-Autor

Klappe, die Zweite – weil das Leben sich weiterdreht

Ich höre den einen oder die andere schon fragen: Was reitet den Semmelrogge bloß wieder, dass der seiner Biografie mit fünfzig Jahren Lebensgeschichte eine Fortsetzung über nochmal dreizehn Jahre folgen lassen muss? Dazu wäre als erstes klarzustellen: Müssen, muss ich gar nichts. Weder muss ich anderen etwas beweisen, noch mir selbst. Mit einem weiteren Buch werde ich auch nicht verhindern, was Menschen anderen Menschen, Tieren oder Mutter Natur antun. Genauso wenig, dass Schreiberlinge von der Regenbogenpresse über Prominente wie mich schreiben dürfen, was immer sie schreiben wollen – ob es nun die ganze, die halbe oder gar keine Wahrheit ist. Aber auch mit der Biografie davor hätte ich das nicht erreichen können. Diese Macht haben Biografien nun einmal nicht – schade eigentlich.

Freunde und solche, die sich dafür halten oder nur so tun als ob, behaupten ja gerne, ich sei selbstverliebt, Egomane, Egozentriker. Gut möglich, dass die mir unterstellen, das wäre der Grund für dieses Buch. Ich mag zwar nicht darüber nachdenken, welche Schwächen oder Vorzüge ich habe, aber eigentlich halte ich mich im Großen und Ganzen für wenig eitel. Als Schauspieler erarbeite ich mir jede Rolle hart, nehme sie mir immer wieder vor, um eine überzeugende Darbietung abzuliefern. Meine Figuren sollen rund sein. Selbst, wenn es darum geht ein wandelndes Klischee darzustellen, will ich es auf intelligent humorvolle Weise auf den Punkt bringen. Ist ein Schauspieler eitel, wenn er Perfektion anstrebt, um zu den Besten seiner Zunft zu gehören? Oder ist er selbstverliebt, wenn er einen hart erkämpften Erfolg in vollen Zügen auskostet? Ich denke, sich und seine Arbeit zu lieben, ohne dabei in Arroganz zu verfallen, das zeichnet einen guten und gereiften Schauspieler aus. Denn bist du mit dir als Künstler nicht im Reinen, wenn du nicht fest an dich glaubst, dann kannst du nicht kreativ sein, nicht sozial sein oder Empathie für andere empfinden. Und letztlich wirst du deine Rollen und Figuren nicht so mit Leben erfüllen können, wie es möglich und nötig wäre.

Im Grunde geht es mir darum, Regisseur meines eigenen Lebens zu sein. Einerseits bin ich extrem selbstbestimmt, nehme mir das Recht heraus, mir keine Vorschriften machen zu lassen. Natürlich, es gibt gewisse allgemeinverbindliche Regeln, denen auch ich mich zu unterwerfen habe. Ein Stoppschild im Straßenverkehr ist zu respektieren, da kann es keine zwei Meinungen geben, nicht einmal für einen Semmelrogge. Wenn es um gesellschaftliche Konformität geht, sieht das ganz anders aus. Meine Meinung nicht zu sagen und mich nicht kritisch zu äußern, aus Angst vor Repressalien wie ausbleibende Jobs oder mediale Ausgrenzung? Undenkbar, meine Authentizität wäre futsch, ich wäre nur noch ein Schatten meiner selbst. Daran würde ich zugrunde gehen. Wahrscheinlich würde ich anfangen zu saufen, um den Verrat an mir selbst herunterzuspülen oder irgendeinen anderen Blödsinn machen. Abgesehen davon, bei meinen Fans und allen, die mir wohlgesonnen sind, wäre ich unten durch. Von denen werde ich ja gerade dafür geliebt, dass ich mir treu bleibe. Andererseits, wenn man so in der Öffentlichkeit steht wie ich mit meinem Namen, diesem rebellischen Geist und einer Vergangenheit inklusive Entgleisungen, wie ich sie nun einmal vorweise, sind auch Kritiker und Journalisten nicht weit. Wie ein Rudel Wölfe die frische Blutspur, wittern besonders die unredlichen Schmierfinken unter ihresgleichen schnell eine Sensation. Wo die Fakten rund um neue Theaterstücke und Filme, privates Glück oder Schicksalsschläge nicht genügen, wird eine Wahrheit pietätlos herbeigeschrieben, um mit mir Geld zu verdienen.

Irgendwann dachte ich mir, das Dokumentieren und Kommentieren meines Lebens doch besser in die eigenen Hände zu nehmen, anstatt es nur anderen zu überlassen – schon vor meinem ersten Buch. Wenigstens kann ich damit denen eine Alternative anbieten, die etwas Wahrhaftiges über mich erfahren wollen. Wie gesagt, ich halte mich für eher uneitel und lege keinen Wert darauf, meine Unvollkommenheit zu verstecken. Warum auch, begangene Fehler und erhaltene Strafen bieten oft genug auch Chancen. Eine Tür geht zu, eine andere öffnet sich, und man trifft vielleicht einen Menschen, der einem ganz neue Perspektiven aufzeigt. Mittlerweile habe ich gelernt, auch die negativen Episoden meiner Vergangenheit positiv zu sehen. Mehr denn je betrachte ich mein Leben entspannt. Ich bin nicht mehr derselbe, habe mich weiterentwickelt. Deshalb Leute, wenn schon über mich gesprochen wird, dann will ich wenigstens selbst etwas Bleibendes zur Akte Semmelrogge beitragen, will die Zügel in Händen behalten.

Wann immer ich Lesungen absolvierte – und das waren in der Vergangenheit nicht eben wenige – freute sich mein Publikum darauf, aus erster Hand etwas über Martin Semmelrogge zu erfahren. Wer bin ich, was widerfährt mir auch abseits der Filmkameras und der Bühne? Wie stehe ich zu den Absurditäten der heutigen Zeit, oder wie erlebe ich politische und gesellschaftliche Ereignisse? Es ist eine besondere Nähe und Intimität, die sich während solcher Veranstaltungen einstellt, denn ich gebe eigene Gedanken und Erinnerungen preis, ganz unverfälscht.

Wie hat es Al Pacino in dem Gangster-Klassiker „Scarface“ ausgedrückt: ‚Ich sage immer die Wahrheit, selbst wenn ich lüge.‘

Ein Satz wie für mich geschrieben, denn in der Tat, ich kann nicht aus meiner Haut und will es auch nicht. Von mir kriegst du, was du siehst. Lass dich auf mich ein oder geh einfach weiter. Lesungen machen mir Spaß, sie bereiten mir Vergnügen. Die Nachfrage danach ist für mich immer wieder der Beleg dafür, dass ich den Menschen nahe bin und sie mir. Sie schätzen mich und nehmen meine Sichtweise wohlwollend an, nämlich, dass es das Positive ohne das Negative und umgekehrt nicht gibt, dass ich deshalb versuche, alles mit Humor zu nehmen – nicht selten Galgenhumor, angesichts der unsäglichen Gewalt und Ungerechtigkeit um uns herum und weltweit. Als Zyniker müsste man wohl davon ausgehen, dass es zu viele Menschen auf der Erde gibt und ein Reinigungsprozess vor sich geht. Ich persönlich bin lieber humorvoll als zynisch, selbst wenn mein Humor mitunter ironisch bis bitter ausfällt. Wegschauen kann ich eben genauso wenig, wie alle Last der Welt auf meine Schultern laden. Natürlich schert es mich, und verschiedene Dinge regen mich auf, aber mit Herzrhythmusstörungen wäre auch keinem gedient. Die Komödie ist ein Kind des Dramas, um die Bitterkeit des Lebens leichter verdaulich zu machen. Kurz gesagt, gerade in schweren Zeiten wollen die Menschen bei aller Nachdenklichkeit schmunzeln und lachen.

Der positiven Resonanz nach zu urteilen, ist mir das bisher gelungen, und immer wieder hat mich der Vorschlag erreicht, doch auch in Schulen zu lesen – als lehrreiches Beispiel dafür, wie man mit seinen Schwächen und Süchten erfolgreich umgeht, dem selbst geschaufelten Grab entkommen kann, nach jedem Hinfallen wieder aufsteht.

Ich scheine der geborene Antiheld zu sein, der mit einem Lächeln verliert oder als Verlierer dennoch gewinnt, in jedem Fall aber die Herzen der Zuschauer erobert. Die meisten meiner Rollen waren so angelegt oder wurden von mir so interpretiert. Sicherlich hat mir auch das über die Jahre viele Sympathien eingebracht.

Doch zurück zu der eigentlichen Ausgangsfrage, weshalb der Biografie zweiter Teil. Wie viele andere hätte ich natürlich sagen können, gut, jetzt ist das auch abgehakt, frei nach dem Motto: Kind produzieren, Erfolgsleiter erklimmen, einmal im Knast sitzen und einen Baum pflanzen. Aber wie schon geschrieben, mehr denn je betrachte ich alles entspannt – mehr denn je. In den dreizehn Jahren nach 2006 hat sich wieder vieles ereignet, von dem zu erzählen sich lohnt, und ja wirklich, sogar ein Semmelrogge hat sich während dieser Zeit weiterentwickelt, weg von den überholten Klischees. Nur, genau die sind wie frische Hundescheiße am Hacken – man wird sie schwer los:

Ein Asi, der sein Hirn versoffen und kaputtgekokst hat, außerdem im Knast war. Mit dem kann man doch nicht zusammenarbeiten, der ist schwierig. Ist der überhaupt zuverlässig?

Abgeschmackte Vermutungen und Befürchtungen wie diese machen nach wie vor die Runde, weil irgendwann mal jemand gehört hat, wie der eine dem anderen was erzählt hat, das der wiederum irgendwo aufgeschnappt hat. Zugegeben, ich bin daran nicht schuldlos, habe mich oft genug wie ein Vollidiot aufgeführt. Aber soll mich das noch bis ins Grab verfolgen, nur weil Entscheider in diversen Redaktionen oder der Filmindustrie nicht willens sind, einen gereiften Martin Semmelrogge anzuerkennen, nicht einmal, einen Gedanken daran zu verschwenden?

Theater und Film sind zwei völlig verschiedene Welten. Bei seiner Besetzung registriert ein Filmregisseur oder Produzent schon auch wohlwollend, wenn in der Künstlervita Hochkaräter wie das Schillertheater, Berliner Ensemble oder Wiener Burgtheater auftauchen. Aber das war es dann auch schon. Eine Abstinenz von der Filmkamera zugunsten von Bühnenauftritten wird nicht unbedingt wohlwollend gewertet. Da heißt es schnell, der hat seit drei, vier oder fünf Jahren nicht mehr gedreht, der ist nichts für uns. Auftritte in Kino, Fernsehfilmen und -serien sind gefragt, damit hat man deutlich bessere Chancen. Insofern stehe ich einem doppelten Dilemma gegenüber: Längst überholte Vorurteile und eine reichhaltige Theaterkarriere bei vergleichsweise wenigen Auftritten vor der Kamera in den letzten Jahren. – Es ist ein ständiger Kampf, der mit zunehmendem Alter nicht leichter wird. Allein schon deshalb ist mein Lebenswandel ein anderer geworden. Jederzeit bereit zu sein, auf den Punkt fit zu sein, das hält mich auf Kurs. Sport, gesundes Essen, ausgiebig schlafen und mit der richtigen Einstellung in jeden neuen Tag starten – ich könnte Bäume ausreißen. Jeder Tag ist ein Geschenk, ist wie ein ganzes Leben, es könnte mein letzter sein. So gesehen habe ich mit diesem Buch schon mal meinen Nachlass gesichert. Mehr noch als mit dem vorangegangenen vielleicht, einfach weil ich dem Ende meines irdischen Lebens näher bin. Soll noch mal jemand behaupten, ich könne nicht vorausschauend denken.

Aber das klingt ja schon fast wie ein Nachruf! Nee, das bleibt jetzt nicht so stehen, dafür habe ich noch zu viel vor. Wer weiß, vielleicht wird es in dreizehn Jahren eine dritte Biografie geben oder wohl besser einen dritten Teil. Dann hätten wir eine Trilogie. Will ich das noch erleben? Wieso nicht, wenn ich noch aus eigener Kraft die Lesebühne entern kann. Für Überraschungen war ich ja immer gut. Außerdem hat es auch was von einer fortlaufenden Geschichtsschreibung. Ja, gut, das ist jetzt etwas dick aufgetragen, einverstanden. Aber eine persönliche Chronik, die auch das Zeitgeschehen einbezieht, ist es schon. Das sei mir doch zugestanden, oder?

Immer schneller hat sich die Welt dank Digitalisierung und Hochleistungschips in fünfzig Jahren gedreht, in den letzten dreizehn Jahren noch viel schneller. Immer ruheloser sind wir geworden. Das hat uns nicht gesünder gemacht, dafür aber die Zeit geraubt. Rund um die Uhr erreichbar, abrufbar und überwachbar – über immer mehr Stöckchen sollte das kleine Menschlein springen. Wissen wir eigentlich, wen wir da wählen? Wer wählt eigentlich die Politiker aus, die gewählt werden? Und welche grauen Eminenzen stecken eigentlich hinter denen, die die Politiker auswählen, die am Ende vom Bürger gewählt werden? Wir wissen es nicht, aber wir sehen das Ergebnis: Überall Menschen wie Marionetten, die nicht glücklich sind. Da wird gefastet und Fett abgesaugt, um einem Schönheitsideal zu entsprechen, das wer eigentlich festlegt? Konsumiert und weggeworfen wird, was das Zeug hält, um sich Glück zu erkaufen. Alles machen wir, alles tun wir, gehetzter und gehetzter, nur um immer unglücklicher zu werden. Auch die Natur hätte keinen Grund glücklich zu sein, wäre sie ein Mensch, die am allerwenigsten. Dabei ist Mutter Natur doch die größte Verbündete, um zu entschleunigen, die Ruhe zu bewahren und Kraft zu sammeln. Ich bin auf dem Land groß geworden, und jetzt auf Mallorca lebe ich wieder auf dem Land. Je rastloser es um mich herum geworden ist, desto entspannter und besonnener bin ich geworden. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich meine Energie sinnlos verschwendet habe. Ich umgebe mich nur noch mit Menschen, die mir guttun, oder ich suche bewusst die Einsamkeit.

Logisch, es bleibt ein Spagat, denn wenn man als Schauspieler im Geschäft bleiben will – und wir reden von einem sehr schnelllebigen und beliebigen Geschäft – sind Erreichbarkeit und Verfügbarkeit Trumpf. Bist du nicht erreichbar, folgt eventuell noch ein letzter zweiter Anruf, während der nächste Kollege in der Reihe schon mit den Hufen scharrt. Was ich mir aber nicht mehr nehmen lasse, ist das bewusste Auskosten der Zeit im Hier und Jetzt, egal ob in der Zweisamkeit mit meiner Frau und während der Spaziergänge mit meinen beiden Hunden auf Mallorca, in Gesprächen und Treffen mit Tochter und Sohn, vor Publikum auf der Theaterbühne oder in einer Rolle vor der Kamera. Alles hat seine Berechtigung und verdient Hingabe, denn es macht aus einem sinnlosen Dasein ein erfülltes. Was wäre das Leben schon ohne Liebe, ohne Berufung?!

Diese Biografie beleuchtet dreizehn Jahre, die abwechslungsreich und intensiv waren, in denen ich mich als Mensch besser kennengelernt habe. Mich selber verstanden? Woher denn, ich werde mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Aber lesen Sie selbst, vielleicht haben Sie ja mehr Glück …

Das Jahr 2007 oder: Mallorca ohne den Führer

Die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hatten meine Ehefrau Sonja und ich schon von Mallorca aus verfolgen können, nachdem ich frühzeitig aus dem Freigänger-Knast in Düsseldorf entlassen worden war. Nie wieder gesiebte Luft in Deutschland atmen, was für eine Wegmarke. Und die spanische Idylle war längst angerichtet gewesen: Für das dortige Häuschen hatte ich weiterhin Miete gezahlt, die Sozialversicherung war ununterbrochen abgeführt worden, Ab- und Anmeldung lagen wie erforderlich vor.

Nun schrieben wir schon das Jahr 2007, und alles rundherum war in bester Ordnung, als ich trotzdem wieder an das Jahr davor erinnert wurde. Wo war eigentlich dieses gerahmte Escher-Gemälde vom Hitler? Nicht, dass ich dem eine Träne nachgeweint hätte, da war die verschwundene Harley-Jacke weitaus tragischer gewesen. – Ja, die Frage ist berechtigt. Wie kommt ein Martin Semmelrogge an Adolf Hitler in Öl? Wie die Jungfrau zum Kind, würde ich sagen.

Noch als Freigänger besuchte ich 2006 meinen Heimatort Boll-Eckwälden, ein gelegentliches Ritual, um die seinerzeit dort ansässige Familie nicht aus den Augen zu verlieren. Im Nachbarort Häringen saß ich gerade in einer Gaststätte über der Spezialität des Hauses, einer Schlachtplatte mit Rauchfleisch, dazu ofenfrisches Brot.

Ein Ortsansässiger sprach mich an: »Mensch, Martin, dass ich dich hier treffe. Für dich hätte ich richtig was Besonderes. Ich weiß nicht wohin damit, und du fällst mir als Einziger dazu ein.«

Ob ich eventuell Verwendung für ein Gemälde von Escher hätte, Motiv Adolf Hitler, für zehn Euro. Aufgrund meiner Rolle als 2. Wachoffizier in „Das Boot“ nach dem Buch von Lothar-Günther Buchheim war ich ja einiges gewöhnt, vor allem von ewig Gestrigen, die einen gerne mal als Nestbeschmutzer titulierten oder Realitätsferne vorwarfen. Aber bei der Nummer mit dem Gemälde klappte mir dann doch die Kinnlade runter. Ausgerechnet ich, der Einzige … – wie meinte der das jetzt? Wie auch immer, Neugierde kam schon auf, immerhin war dieser österreichische Menschenfänger von historischer Bedeutung. Außerdem fiel mir gleich mein Freund Chris de Pietro in Amerika ein, der die absonderliche Angewohnheit besaß, sich mit „Heil Hitler“ zu verabschieden, obwohl er ein Freigeist vor dem Herrn war. Vielleicht konnte ich dem den „Schinken“ aufs Auge drücken, als süße Rache für seinen geschmacklosen Telefon-Kalauer.

»Aber zehn Euro sind mir dann doch zu viel für den Adolf«, blieb ich alles andere als euphorisch.

»Na gut, dann nimm’s halt so mit.«

Lange hatte er ja nicht darüber nachgedacht, eigentlich gar nicht – vielleicht ein ungeliebtes Überbleibsel aus dem Krieg. Und ich, was sollte ich machen, für umsonst – erst mal mitnehmen. Bei Begutachtung hatte ich als Laie zudem das Gefühl, eine qualitativ hochwertige Arbeit vor mir zu haben. Ein sitzender Führer im Anzug, ganz ohne theatralisches Posieren. Laut meiner späteren Recherche schien Escher einer der ganz wenigen Maler gewesen zu sein, die Hitler überhaupt hatten porträtieren dürfen. Vielleicht stellte das Werk ja einen Wert dar. Durfte man Kunstwerke mit diesem Motiv eigentlich veräußern?

Sonja wohnte mit unseren Hunden ja beim Ehepaar Hermann, unweit vom Knast, in dem ich die Gastfreundschaft von Vater Staat in Anspruch nehmen musste. In einem Schuppen standen von uns Koffer mit Klamotten, Skier und anderes mehr herum, was man halt so angehäuft hatte. Dazu gesellte sich die Neuerwerbung.

Ich erinnere mich noch genau an seinen Blick, als ich dem alten Hermann das Gemälde zeigte. Er hatte den Nationalsozialismus ja noch miterlebt und schien sich ratlos zu fragen: Semmelrogge passt nicht zu Hitler, Hitler nicht zu Semmelrogge, was will der damit?

Im Jahr 2007 fragte ich mich nun also, wo war eigentlich Hitler abgeblieben? Im Umzugswagen war er nicht gewesen. Zu gerne hätte ich dem hünenhaften Italo-Deutschen Chris, seines Zeichens Inhaber einer Boutique im mondänen Coconut Grove in Miami, dieses spezielle Präsent geschickt oder bei nächster Gelegenheit mitgebracht. 1994 hatte ich ihn während eines USA-Trips kennengelernt, und seither sind wir befreundet. Er liebt Deutschland, ist verrückt nach allem, was mit deutscher Geschichte zu tun hat – ein passionierter Sammler. Und als gebürtiger US-Amerikaner, gänzlich unverkrampft also, hätte ihm dieses Hitler-Gemälde auch keine schlaflosen Nächte bereitet.

Aber offensichtlich hatte der alte Hermann vergessen, es für uns einzupacken. Auch gut, wir waren in unserem geliebten Mallorca, sollte der Adolf ruhig in Deutschland bleiben. Ein Deutscher, der mit dem Führer unter dem Arm in die USA einreisen will, wäre vermutlich ohnehin nicht gut angekommen …

Als in Deutschland am 1. Januar die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde, nahmen wir das als gutes Omen für unser Leben auf Mallorca, zumindest so lange, bis die Spanier kurz darauf nachzogen und gleich auf 21 Prozent erhöhten. Hätten sie mal besser die USA als Vorbild genommen, dann wäre der Steuersatz deutlich nach unten gegangen.

Der Februar kam, und der Internationale Gerichtshof in Den Haag ließ verlauten, Serbien hätte sich während des Bosnienkrieges doch keines Völkermordes schuldig gemacht. Allgemeines Kopfschütteln, immerhin hatte die NATO damit einen Bombenkrieg unter deutscher Beteiligung im Jahr 1999 gerechtfertigt. Selbst der grüne Joschka Fischer hatte demonstrativ den Schulterschluss mit US-Außenministerin Madeleine Albright gesucht. Was die Richter da geritten hat, einen Karadžić derart zu entlasten, sollen andere entscheiden. Wenn es um Richter und Gerichte geht, bin ich befangen. Aber mit rechten Dingen ist das bestimmt nicht zugegangen.

Ab April beherrschten dann die Franzosen die Schlagzeilen. Bei deren Präsidentschaftswahl schlug der „Law and Order“-Hardliner Nicolas Sarkozy die Sozialistin Ségolène Royal aus dem Feld. Ganz nebenbei hatte er dem Womanizer Mick Jagger auch noch die hübsche Sängerin und Schauspielerin Carla Bruni ausgespannt. Offenbar wirkten Machtpolitiker anziehender, standen höher im Kurs, als gestandene Rockmusiker. Zwei Jahre zuvor hatte er Brennpunktvorstädte noch mit einem Hochdruckreiniger vom Gesindel säubern wollen. Der passte wirklich gut zu George W. Bush oder dem ehemaligen Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani.

Natürlich wusste Deutschland noch einen draufzusetzen, mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm nämlich. Ein Tornado-Jet schüchterte im Tiefflug Demonstranten ein, Spähpanzer wurden zur stillen Reserve der Polizei – die Bundesregierung machte sich schwer verdächtig, verfassungswidrig zu handeln. Dazu noch rund einhundert Millionen Euro Gesamtkosten und 17.000 eingesetzte Polizisten, das verstand die Regierung Merkel also unter einem rauschenden Sommerfest.