Der Zweite Weltkrieg - Elke Fröhlich - E-Book

Der Zweite Weltkrieg E-Book

Elke Fröhlich

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Beschreibung

Kein Krieg hat die Welt so erschüttert und umgestaltet wie Der Zweite Weltkrieg. Er war der letzte deutsche Krieg im umfassenden Sinn des Worts. Die Geschichtsschreibung hat auch in Jahrzehnten nicht mit ihm abschließen können, selbst Teile der militärischen Ereignisgeschichte erscheinen durch neu entdeckte oder erschlossene Quellen in Archiven auf der ganzen Welt auch in neuem Licht. Nach einer Phase verstärkten Interesses an einer Perspektive "von unten"? von Soldaten und Opfern her, unternimmt Elke Fröhlich eine neue Gesamtdarstellung, die wieder mehr die Kriegsführung durch das NS-Regime und die Wehrmacht selbst akzentuiert. Erstmals ist in einen konzisen Überblick über den Zweiten Weltkrieg auf allen seinen Schauplätzen auch eine einlässliche Darstellung seiner Aufarbeitung in der deutschen Geschichtsforschung integriert, von der Institutionalisierung der Zeitgeschichte in Deutschland über den Historikerstreit bis zur Widerlegung der Legende von der "sauberen" Wehrmacht.

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Seitenzahl: 336

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Elke Fröhlich

Der Zweite Weltkrieg

Eine kurze Geschichte

Reclam

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2015

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960224-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019299-3

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort

I. Hitlers Wille und Weg zum Krieg

II. Die einzelnen Feldzüge bis zum großen Krieg

1. Überfall auf Polen, Kriegseintritt von Großbritannien und Frankreich

2. Skandinavisches Intermezzo: die Kriegshandlungen in Finnland, Dänemark und Norwegen

3. Vom »Sitzkrieg« zum Bewegungskrieg und zum Waffenstillstand mit Frankreich

4. Stimmungshoch für Hitlers Kriegspolitik, erste Niederlage in der Luftschlacht gegen England

5. Mussolinis Kriege

6. Deutsche Militärhilfe für Italien, der Krieg gegen Jugoslawien und Griechenland sowie in Nordafrika

III. Vom europäischen zum globalen Krieg

1. Überfall auf die Sowjetunion, der gescheiterte Blitzkrieg

2. Japanischer Angriff auf Pearl Harbor und Deutschlands Kriegserklärung an die USA

3. Kämpfe in Ostasien

4. Massenmord und Holocaust, Verbrechen deutscher Kriegführung und Besatzungsherrschaft

IV. Von der Kriegswende zum Kriegsende

1. Überlegenheit der Alliierten im Seekrieg und im Luftkrieg

2. Übergang der militärischen Initiative an die Westmächte

3. Zusammenbruch des Achsenpartners und die »Zweite Front« in Italien

4. Alliierte auf dem Vormarsch zu den Reichsgrenzen in Ost und West

5. Operative Agonie

6. Das Ende des Weltkriegs im Pazifik

V. Folgen des Zweiten Weltkriegs

VI. Zur Historiographie des Zweiten Weltkriegs

Abkürzungen

Literaturhinweise

Zitatnachweise

Personenregister

Geographisches Register

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Vorwort

Nichts hat die Welt so sehr erschüttert und umgestaltet wie der letzte deutsche Krieg von 1939 bis 1945. Seine Folgen reichen bis in die Gegenwart. Er und sein Vorläufer, der Erste Weltkrieg, beherrschen das gesamte 20. Jahrhundert. Der eine schien sich aus dem anderen zu entwickeln und das zu Ende zu bringen, was der erste begonnen hatte. Wer die zwei Weltkriege und die Zwischenkriegszeit als eine Einheit ansah, sprach von einem zweiten Dreißigjährigen Krieg. Beide Weltkriege gingen von deutschem Boden aus, beide Male scheiterte Deutschland an dem Versuch, nach der Weltmacht zu greifen. Dem Zweiten Weltkrieg schloss sich ein vierzigjähriger Kalter Krieg an, der Schlimmes befürchten ließ. Jahrzehntelang standen sich im geteilten Deutschland die ehemaligen Verbündeten, USA und UdSSR, durch den Krieg zu Supermächten geworden, waffenstarrend gegenüber und hielten sich im Zeichen atomarer Abschreckung gegenseitig in Schach. Zum Erstaunen vieler Zeitgenossen führte der Kalte Krieg nicht geradewegs in einen dritten Krieg, sondern ermöglichte einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung in Europa wie im Fernen Osten, deren Gewinner eigenartigerweise die Verlierer des Zweiten Weltkriegs, Japan und Deutschland (West), wurden. Die Nachkriegsära endete erst mit der friedlichen Revolution in der DDR und der Auflösung des Sowjetblocks 1989/91.

Das 20. Jahrhundert ist zweifellos ein Jahrhundert der deutschen Kriege. Folglich besteht in Deutschland ein berechtigtes Interesse an militärgeschichtlichen Betrachtungen. Das beweisen die zahlreichen damit gefüllten Regaleinheiten in den einschlägigen Bibliotheken. Während in der alten Literatur, vor allem in den Memoiren, die Mär von der »Wehrmacht mit der weißen Weste« weite Verbreitung fand, liegt seit den achtziger, neunziger Jahren der Forschungsschwerpunkt primär auf der verbrecherischen Kriegführung der Wehrmacht und ihrer Involviertheit in den Genozid. Das politisch-historische Interesse am Holocaust, der Geschichte des beispiellosen Völkermordes an den Juden, auch an weiteren Opfergruppen wie den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, ließ das Interesse an der militärischen Geschichte schwinden. Bis heute blieben infolgedessen die Geschehnisse im Frontbereich zum großen Teil unzulänglich erforscht.

Verbrechen der Wehrmacht und die Radikalisierung der Kriegführung sind auch Gegenstand des vorliegenden Bandes. Er will aber vor allem den Kriegsverlauf, die einzelnen Feldzüge und die entscheidenden Schlachten in den Vordergrund rücken, ohne deren wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Konditioniertheit außer acht zu lassen. Die weitgehend chronologische Schilderung des Kriegsgeschehens ist verbunden mit sachthematischen Einschüben wie zum Beispiel zur Bedeutung der Kriege der Achsenpartner für die deutsche Kriegführung oder der alliierten Überlegenheit zur See wie in der Luft und dem damit einhergehenden terror bombing gegen Zivilisten. In Zeiten der Globalisierung fand die Ausdehnung dieses Krieges auf weltweit 58 Staaten neu akzentuiertes Interesse. Dem trägt der Band insoweit Rechnung, als er unter anderem den Pazifikkrieg bis zur Niederlage Japans einschließt oder sich mit der Kriegserklärung Hitlers an die USA, die den europäischen Krieg zum Weltkrieg werden ließ und die heute noch als die rätselhafteste Entscheidung des Diktators gilt, kritisch auseinandersetzt. Diese Publikation konzentriert sich hauptsächlich auf die militärisch-politischen Ereignisse und Entscheidungen der Führungsschicht. Es handelt sich also vorwiegend um die geschichtliche Darstellung der militärischen Operationen und ihrer hauptverantwortlichen Entscheidungsträger, insbesondere Adolf Hitlers. Zur Veranschaulichung der operativen Verläufe wurden die dazu nötigen Zahlen der Literatur entnommen, wohl wissend, dass es sich dabei meist um Schätzungen handelt.

Der Forschung, auf der meine Arbeit fußt und deren Veröffentlichungen in der Auswahlbibliographie aufgeführt sind, gelang es im Laufe der Jahrzehnte, viele Fragen zu beantworten. Einige blieben strittig, selbst oder gerade im Lichte neuer Quellen. Die Frage nach der Rolle Hitlers im Zweiten Weltkrieg zählt dazu. In dem Band wird versucht, diese bereits auf dem Weg in den Krieg zu klären und während des gesamten Kriegsverlaufs im Blick zu halten. Hitler riskierte mit dem Angriff auf Polen einen europäischen Krieg, mit der Kriegserklärung an Amerika einen Weltkrieg, mit dem Überfall auf die Sowjetunion einen Vernichtungskrieg. Welche Motive ihn dazu trieben, welches Strategiekonzept dem zugrunde lag, Blitzkriegsstrategien oder Improvisation, das sind Fragen, die sich durch das ganze Buch ziehen und die einzelnen Teile miteinander verbinden.

Im Sommer 1940 sah es so aus, als wäre die deutsche militärische Führungskunst allen überlegen. Es schien unmöglich geworden zu sein, die deutsche Wehrmacht auf ihrer Siegesstraße aufzuhalten. Im ohnehin siegreich verlaufenden Polenfeldzug griff auch noch der sowjetische Verbündete ein, und die beiden Diktatoren Hitler und Stalin teilten sich ihre polnische Beute, während die Westmächte untätig zusahen und ihren Partner im Stich ließen. Die Paktpartner überzogen Skandinavien mit Krieg, die UdSSR Finnland, das Deutsche Reich Dänemark und Norwegen. Frankreich wurde zur Überraschung aller in kürzester Zeit besiegt. Großbritannien blieb als einziger Kriegsgegner übrig und steckte in seiner tiefsten Krise. Mochte da nicht ein Pakt mit Hitler als bequeme Lösung aller Probleme erscheinen? Die Welt von heute hätte dann anders ausgesehen. Doch Winston Churchill, der vielleicht größte Gegenspieler Hitlers, betrat die Kriegsbühne, entschlossen, dem Aggressor die Stirn zu bieten. Aus dem Wunschpartner Hitlers sollte sein härtester Gegner werden. Während Hitler die europäische Landkarte veränderte, aber auch die ersten gravierenden Fehlentscheidungen traf, setzte Churchill auf höchsten moralischen Widerstand und nachhaltige Allianzpolitik. Er bewirkte die Annäherung von USA und UdSSR und half beim Zustandekommen eines weltweiten Bündnisses gegen das nationalsozialistische Deutschland. Bevor aber all dies eintrat, musste Hitler aus weit banaleren Gründen noch im Siegesjahr 1940 die Luftschlacht über England abbrechen. Es war die erste Niederlage der deutschen Wehrmacht. Welche Konsequenzen Hitler daraus zog und warum er gerade jetzt mit einem Überfall auf die Sowjetunion einen Zweifrontenkrieg riskierte, das sind weitere Fragen, die im Buch diskutiert werden.

Zweifellos bildete der Ostfeldzug Hitlers Hauptkrieg, den er von Beginn an als rasseideologischen Vernichtungskrieg durchführen ließ. Zu fragen ist aber nach der Haltung der Wehrmacht in einem Krieg, der als Raub- und Kreuzzug angelegt war und den Holocaust ermöglichte. Woran scheiterte das Unternehmen »Barbarossa«? War in dem militärischen Desaster Ende 1941 bereits die eigentliche Kriegswende zu sehen oder erst in der alliierten Invasion Sommer 1944? Konnte mit Kriegseintritt der Vereinigten Staaten Deutschland den Krieg noch gewinnen? Wusste Franklin Roosevelt von dem geplanten Angriff der Japaner? Weshalb sind Pearl Harbor, Stalingrad und Hiroshima zu den drei Symbolen für den Zweiten Weltkrieg geworden? Welche Rolle spielte der Krieg im Fernen Osten für den Krieg in Europa? Wurde der Krieg, da wie dort, auf den Schlachtfeldern entschieden oder in den Rüstungsfabriken? Wie stand es um den militärischen Sachverstand des Diktators und welchen Anteil hatte der Fachverstand des Generalstabs an der deutschen Niederlage? Welche negativen aber vielleicht auch positiven Folgen entstanden aus der totalen Niederlage?

Das ist ein Bündel von Fragen, die der folgenden Geschichte des Zweiten Weltkriegs unterlegt sind. Sie werden in der Regel implizit beantwortet, in bestimmten Fällen auch explizit wie gleich zu Beginn.

I. Hitlers Wille und Weg zum Krieg

1945 endete der blutigste Krieg der Menschheitsgeschichte. Weltweit standen 110 Millionen Soldaten im Einsatz, zwischen 50 und 60 Millionen Menschen starben, darunter Millionen von Zivilisten, auch die 6 Millionen Opfer des Genozids. Die Sowjetunion beklagte den höchsten Verlust an Toten: 25 Millionen, gefolgt von China mit 15, Deutschland mit 7, Polen mit 6 und Japan mit 2,5 Millionen Toten. Die gesamte materielle Kapitalvernichtung ließ sich nur schwer schätzen und ist in ihrer abnormen Größe kaum vorstellbar. Anschaulicher werden die materiellen Schäden, wenn nur ein Aspekt in den Blick genommen wird, z. B. die zerstörten Städte und Dörfer. Japan zählte 3,7 Millionen verwüstete Wohnungen, Deutschland 5 Millionen demolierte Wohneinheiten in 1,63 Millionen Häusern, Sowjetrussland 6 Millionen zerstörte Gebäude.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes kommen? Antworten gibt es viele: das Erbe des Ersten Weltkriegs, die Herabsetzung der Hemmschwelle für Brutalisierung und Verbrechen, der Verlust eines Zehntels des Hoheitsgebiets mit 6,5 Millionen Menschen, die Revolution, ein als Schande empfundener Friedensvertrag, daraus abgeleitete Revisionsgelüste, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Kränkungen einer gedemütigten Nation und inmitten all der gärenden Entwicklungen ein unscheinbarer Gefreiter namens Adolf Hitler mit dem festen Willen zum erneuten Krieg. Eine Erfolgswelle trug ihn binnen weniger Jahre am 30. Januar 1933 in das Amt des Reichskanzlers. Von nun an ordnete Hitler die gesamte deutsche Politik unter sein höchstes Ziel: das Streben nach der Weltherrschaft. Es war zweifellos die Person Hitler, die Deutschland dem Krieg verschrieb. Einen Masterplan, wie verschiedentlich angenommen wurde, besaß er dabei nicht.

Nicht zuletzt die Eliten, insbesondere die militärischen, versprachen sich viel von Hitler. Sie glaubten, er werde Deutschland wieder zu nationaler Größe führen, seine Wehrhoheit wiederherstellen, die willkürlich gezogenen »Blutgrenzen« korrigieren, Österreich heim ins Reich führen, kurz, eine Revisionspolitik mit Nachdruck verfolgen. Hitler erfüllte zunächst die Erwartungen der Deutschen zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Er tat dies unter der Camouflage eines friedliebenden Politikers. Den Tarnmantel öffnete er hin und wieder, so zum Beispiel am 3. Februar 1933. Bereits wenige Stunden nach seinem Amtsantritt teilte er den Befehlshabern der Wehrmacht unverblümt seine wahren Ziele mit. Sie lauteten: Weltanschauungskrieg gegen den Bolschewismus in der Sowjetunion und gnadenloser Rassenkrieg gegen Juden wie Slawen. Dies waren seine kardinalen Bekenntnisse aus seinem in der Haft von Landsberg geschriebenen und 1925 veröffentlichten Kampfbuch: Eroberung von »Lebensraum im Osten«, dessen Germanisierung für das deutsche Herrenvolk und die Vernichtung der Juden. Schwer zu sagen, wer den Willen zum Vernichtungskampf und zum Kampf um Weltgeltung damals so ernst nahm, wie er gemeint war.

Hitler leitete eine auf Täuschung angelegte Außenpolitik ein, die zunächst die Isolierung des Reiches überwinden und dessen beschädigte Reputation reparieren sollte. Dazu wurde im Berliner Vertrag von 1926 die Zusammenarbeit mit Sowjetrussland verlängert, ein Konkordat mit dem Vatikan im Juli 1933 abgeschlossen und im Januar 1934 ein Nichtangriffspakt mit Polen eingegangen, der in Europas Staaten ein ähnlich großes Erstaunen hervorrief wie im Sommer 1939 der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, hatte doch erst im Dezember 1933 Polen ein zweites Mal in diesem Jahr Frankreich zu einer Faustpfandpolitik (die Besetzung deutscher Territorien, damit Deutschland zur Einhaltung des Versailler Vertrags gezwungen wurde) gedrängt. Beide Verträge förderten Hitlers Kriegsziele, verbargen aber seine wirklichen Absichten. Im Herbst 1933 verließ die deutsche Delegation die Genfer Abrüstungskonferenz. Zu groß war die Gefahr geworden, dass die bereits in der Weimarer Republik begonnene, geheime Aufrüstung Deutschlands bekannt wurde. Anschließend zogen die Deutschen aus dem Völkerbund aus. Die Großmächte schauten tatenlos zu, so wie sie auch schon den Austritt Japans aus dem Völkerbund im März 1933 hingenommen hatten, als Tokio zu Recht des Angriffskriegs auf China angeklagt worden war. Der Aggressor blieb von Sanktionen verschont, zweifellos eine interessante Erfahrung für Hitler.

Deutschlands Beziehungen zu Österreich und Italien verschlechterten sich zunächst. Im Verlauf eines dilettantischen Putsches der SS-Standarte 89 verlor der austrofaschistische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Juli 1934 sein Leben. Die blutig niedergeschlagene Nazi-Revolte hinterließ hunderte von Toten und Verletzten. Benito Mussolini ließ unmissverständlich drohend Truppen am Brennerpass aufmarschieren. Ein bewaffneter Konflikt schien nicht ausgeschlossen, die Gefahr einer Intervention der Großmächte in greifbare Nähe gerückt. Als herauskam, dass deutsche Nationalsozialisten als Drahtzieher hinter dem Putsch gesteckt hatten, war die Blamage für Hitler perfekt. Er soll angeblich getobt haben, aber auch angesichts des größten Fehlschlags für seine Zielsetzungen und der tiefsten Isolation Deutschlands, prophezeite er in kleinem Kreis, wie Goebbels am 28. Juli 1934 in seinem Tagebuch vermerkte, Deutschland werde einst der »Herr der Welt« sein.

Schon das nächste Jahr brachte Hitler im Sinne einer Revision des Versailler Vertrages einige Erfolge. Frankreich hatte über das Saargebiet für 15 Jahre ein Mandat erhalten. Danach sollten laut Vertrag die Saarländer in einem Plebiszit über ihre Landeszugehörigkeit entscheiden. Die für Januar 1935 vorgesehene Abstimmung brachte einen überwältigenden Prestigeerfolg für Hitler. Über 90 Prozent der Bevölkerung stimmte für die Rückkehr in das Deutsche Reich. Im Aufwind des Erfolges und weil Tempo und Umfang der Aufrüstung nicht mehr so recht verheimlicht werden konnten, gab er im März 1935 den Aufbau der Luftwaffe, die laut Friedensvertrag an sich nicht hätte existieren dürfen, bekannt. Er verkündete in demselben Monat die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Aufstockung des vom Versailler Vertrag auf 100 000 Mann reduzierten Heeres auf eine halbe Million Soldaten. Die Spitzen der Reichswehr, die Hitler nicht informiert hatte, reagierten zunächst schockiert. Doch die zu erwartenden Proteste der französischen, britischen und italienischen Regierung, die sich eigens im italienischen Stresa im April 1935 trafen, um über Gegenmaßnahmen zu beraten, fielen relativ schwach aus. Auch wenn sie in ihren Erklärungen betonten, Österreichs Bestand verteidigen zu wollen, so waren diese letztlich nichts als Rhetorik ähnlich den nach allen Seiten ausgesandten Friedensbeteuerungen Hitlers. Auch die Verurteilung des deutschen Aufrüstungsprogramms durch den Völkerbund traf einen Hitler kaum. Im Vergleich dazu hätten ihm die Beistandsverträge, die von der sowjetischen, französischen und tschechoslowakischen Regierung im Mai 1935 unterschrieben worden waren, mehr zu denken geben müssen, deutete sich damit doch eine von ihm befürchtete Einkreisung an.

Die schien sich aber nicht anzubahnen. Bereits im darauffolgenden Monat wartete Hitler mit seinem nächsten diplomatischen Coup auf, der die junge Stresafront schon wieder alt aussehen ließ. Er einigte sich im Juni 1935 mit der Seemacht Großbritannien auf ein Flottenabkommen, das der deutschen Marine erlaubte, ihre Flotte auf 35 Prozent der Tonnage, der britischen Flotte auszubauen und zahlenmäßig genauso viele U-Boote wie die Royal Navy zu besitzen. Hitler beschwichtigte damit die Engländer, sicherte ihnen der Vertrag doch eine auf längere Sicht beruhigende Überlegenheit. Hitlerkonnte einerseits darauf hoffen, dass die Engländer sich nicht einmischten, wenn er auf dem Kontinent eine Vormachtstellung zu erreichen suchte. Andererseits ermöglichte ihm der vertragsgerechte Ausbau der deutschen Flotte, diese bei späteren Verhandlungen als Druckmittel einzusetzen. Für Hitler war der Abschluss des Flottenabkommens ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu seinem Ziel, und die Engländer hielten die günstigen Bedingungen umso vernünftiger als ihnen die erstarkenden Seestreitkräfte Japans Sorge zu bereiten begannen.

Bevor aber Japan im Jahre 1937 losschlagen sollte, dramatisierte sich die internationale Lage durch das aggressive Vorgehen Italiens. Italien hatte mit Äthiopien (damals Abessinien), beide Mitglieder des Völkerbundes, noch Rechnungen aus dem 19. Jahrhundert zu begleichen (verlorene Schlacht von Adua) und das Bestreben, sich als Groß- und Kolonialmacht zu etablieren. Im Januar des Jahres 1935 signalisierten die Franzosen, sie würden eine Invasion dulden, England hingegen erklärte sich nicht definitiv. Das genügte Mussolini. Ohne Kriegserklärung ließ Mussolini am 3. Oktober seine Truppen die Grenzen von Eritrea und Somalia überschreiten. Das einzige noch nicht kolonialisierte Land Afrikas mit einer Armee von etwa 250 000 folkloristisch anmutenden Waffenträgern hatte den 500 000 Soldaten Italiens so gut wie nichts entgegenzusetzen. Kriegerische Kampfhandlungen fanden nicht statt. Zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte demonstrierte eine Luftwaffe ihre Überlegenheit. Die Italiener bombardierten die Armee Kaiser Haile Selassies in Grund und Boden. Der abessinische Kaiser unternahm eine abenteuerliche Reise nach Genf, wo er in einer bewegenden Rede an den Völkerbund appellierte und die Sympathien der Weltöffentlichkeit auf sich zog. England und Frankreich sahen sich gezwungen zu intervenieren. Sie unterstützten die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch den Völkerbund im November 1935.

Italien fühlte sich mit einem Schlage isoliert, es brauchte einen Bundesgenossen. Mussolini, gedrängt von seinem Schwiegersohn und späteren Außenminister Graf Galeazzo Ciano, wandte sich an Hitler um Beistand. Für diesen war es eine große Chance, Deutschland selbst aus der Isolation zu befreien und nebenbei wieder einmal den Völkerbund auszuhebeln. Vor allem aber bot Italiens Bindung an Ostafrika eine gute Gelegenheit, seinen eigenen Einfluss im Südosten Europas, wo Deutschland die Vormacht anstrebte, zu mehren und seine dortige Stellung zu festigen. Hitler lieferte Italien sogar Waffen. Da er aber an einem möglichst langen Krieg interessiert war, unterstützte er den Kriegsgegner sicherheitshalber ebenfalls mit Waffenlieferungen. Hitler lehnte es aber ab, sich an den Wirtschaftssanktionen gegenüber Italien zu beteiligen. Er wahrte offiziell Neutralität und ließ die wirtschaftlichen Beziehungen weiterlaufen. Der »Duce« dankte es dem »Führer« und signalisierte ihm, dass »Stresa« für ihn erledigt sei, er gebe ihm freie Hand in Bezug auf die Alpenrepublik. Befanden sich noch vor wenigen Monaten die deutsch-italienischen Beziehungen auf ihrem tiefsten Punkt der Talsohle, so deklarierte Hitler dies im Juli 1936 in einem Abkommen über die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu einem »abgeschlossenen Kapitel« und schlug mit der Allianz zu Mussolini auf seinem Weg in den Krieg ein neues Kapitel auf.

Inzwischen musste Äthiopien den ungleichen Krieg aufgeben. Bei seiner Kapitulation im Mai 1936 zählte es 275 000 Tote, worunter sich zahlreiche Zivilisten befanden, da Italien etwa 340 Tonnen Giftgas eingesetzt hatte. Mussolini, der lediglich 9000 Mann verloren hatte, proklamierte in Rom das »Impero«, er befand sich auf der Höhe seiner Macht und Beliebtheit im italienischen Volk. Der Völkerbund sah zu, wie ab Juli 1936 jedem Land freigestellt wurde, die durch Angriffskrieg herbeigeführten neuen Verhältnisse in Ostafrika anzuerkennen, eine politische »Bankrotterklärung«. Italien und Deutschland gewannen den festen Eindruck, Frankreichs wie Englands Schwäche habe sich deutlich offenbart. Sie waren davon überzeugt, dass die Luftüberlegenheit, wie sie sich in Abessinien abgespielt hatte, für künftige Kriege ausschlaggebend sein würde, d. h. die Seemacht England, die bislang das Mittelmeer beherrschte, schien nicht mehr so unangreifbar wie bisher. Deutschland und Italien glaubten, von Frankreich und England nichts mehr befürchten zu müssen und rückten einander näher. Die internationale Völkergemeinschaft und insbesondere der Völkerbund demonstrierten vor aller Weltöffentlichkeit ihr Unvermögen, imperialem Bestreben auch nur einer einzigen Nation Einhalt zu gebieten. Der italienische Imperialismus hatte sich in der internationalen Völkergemeinschaft ungebremst durchgesetzt, wiederum eine interessante Erfahrung für Hitler.

Das alles zusammen motivierte Hitler, seinen nächsten, bedeutsamen Schritt in Richtung Krieg zu tun. Trotz hohen Risikos ließ er am 7. März 1936 deutsche Truppen in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren. Diese Remilitarisierung war nicht nur ein glatter Bruch des Locarnovertrages von 1925, der den Frieden zwischen Paris und Berlin sicherer gestaltet hatte, sondern auch des Versailler Vertrages, nach dessen Bestimmungen das westliche Deutschland von der Schweiz bis zu den Niederlanden seit 1919 immer noch als entmilitarisierte Zone galt, wenn auch Ende der zwanziger Jahre die militärischen Einheiten Frankreichs und Großbritanniens abgezogen worden waren. Doch Hitler setzte für seinen geplanten Krieg alles auf eine Karte und gewann: Er verfügte nun über ein Reservoir an Rekruten und Rüstungspotential im Ruhrgebiet und eine Verteidigungslinie direkt an der französischen Grenze. Paris und London schauten tatenlos zu, aus Fehleinschätzung und letzteres auch aus Desinteresse. Während des Einmarsches der lediglich 3000 Soldaten hielt Hitler im Reichstag eine Rechtfertigungs- und Beschwichtigungsrede, bot jedermann Friedensverträge an, löste theatralisch den Reichstag auf und kündigte Neuwahlen und Volksabstimmung an. Drei Wochen darauf stimmten 99 Prozent der deutschen Bevölkerung für Hitlers Politik im Wohlgefühl erwachender nationaler Größe. Hitler hatte viel riskiert und viel gewonnen.

Im Glanz der Olympischen Spiele wurden die Schatten, die der im Juli 1936 ausgebrochene Spanische Bürgerkrieg warf, nicht so deutlich wahrgenommen, und doch stellte er die Handlungsfähigkeit der Staatengemeinschaft erneut auf den Prüfstand. Berlin und Rom unterstützten die Putschisten unter General Franco vorrangig aus ideologischen Gründen gegen die Verteidiger der Republik, die sich aus sowjetischen Truppen und der internationalen Brigade mit Freiwilligen aus 53 Staaten zusammensetzten. Deutschland schickte Tausende gut ausgebildeter Berufssoldaten mit Flugzeugen, Panzern und Artillerie, die an der Seite der Franquisten in der Luftwaffeneinheit »Legion Condor« kämpften. Hitler trieb auch noch die Furcht vor einem womöglich kommunistischen Spanien an, das sich mit einem Frankreich verbünden könnte, in dem kürzlich die Volksfront mit Hilfe der Kommunisten die Macht erobert hatte. Diese Kombination im Verein mit der Sowjetunion hätte seine Expansionspläne für den Osten ernsthaft blockiert. Ein weiterer Grund für seine Waffenhilfe lag auch darin, dass sich der Wehrmacht eine gute Gelegenheit bot, ihr neues Waffenarsenal (Flak, Jäger und Bomber) in wirklichen Kampfhandlungen zu testen. In diesem Zusammenhang erlebte Ende März 1937 Durango als erste Stadt Europas einen Luftangriff. Noch verheerender fiel das Bombardement Guernicas im April 1937 aus. Insgesamt 43 Flugzeuge, darunter zu erprobende Heinkel-Bomber und Messerschmidt-Jäger, mit einem kleinen Konvoi italienischer Flugzeuge bombardierten das Städtchen mit 7000 Seelen. 50 000 Kilo Brand- und Sprengbomben sowie Tiefflieger mit ihren MGs töteten über 1600 Einwohner und verletzten mehr als 800. Sie hinterließen eine vollkommen zerstörte Stadt. Die republikanische Regierung beauftragte den im Exil lebenden Künstler Pablo Picasso mit einem Gemälde für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung. Das Bild machte das baskische Städtchen rund um den Globus bekannt. Es wurde zum Symbol für Brutalität und Grauen moderner Kriege. Die weltweite Empörung, die dieser Angriff ausgelöst hatte, veranlasste die Legion Condor, ihre Täterschaft zu leugnen, hinderte sie aber nicht, nach dem Sieg der Franco-Truppen März 1939 bei deren Siegesparade in Madrid im Mai mitzumarschieren. Der Verlauf des spanischen Bürgerkriegs lieferte Hitler erneut den Beweis für Frankreichs Ohnmacht sowie Englands Tatenlosigkeit und bestärkte ihn in seinem Willen zum eigenen Krieg.

Der barbarische Krieg mit seinen Exzessen, Massakern und Vergewaltigungen, der rund eine halbe Million Menschen das Leben kostete, brachte auch die beiden faschistischen Regierungen einander näher. In einem Geheimabkommen vom Herbst 1936 verbündeten sie sich gegen das republikanische Spanien und vereinbarten, die Expansionsbestrebungen des jeweils anderen zu tolerieren. Das von Mussolini im November 1936 als »Achse« zwischen Berlin und Rom bezeichnete Bündnis wurde im Mai 1939 zum militärischen »Stahlpakt« erweitert. Im November 1936 schloss Berlin den sowohl gegen London wie gegen Moskau gerichteten »Antikominternpakt« mit den Japanern ab. Ein Jahr darauf, im November 1937, traten die Italiener dem Pakt bei und fünf Wochen später aus dem Völkerbund aus.

Wie die beiden europäischen Achsenmächte richtete auch Japan sein Interesse auf eine Änderung des Status quo. Unter dem Slogan »Asien den Asiaten« gab es vor, eine »Neue Ordnung« in Ostasien anzustreben. Die Achse Berlin–Rom–Tokio bahnte sich auf dem Hintergrund eines von Tokio losgetretenen Krieges an (Juli 1937). Japan überfiel China in der Absicht, ihm seine »Neue Ordnung« vorzugsweise wirtschaftlicher Art zu oktroyieren. Die Chinesen verloren zwar viel Terrain, über 1,5 Millionen Quadratkilometer in Nord- und Mittelchina, verstanden es aber, sich einer totalen Vernichtung zu entziehen. Als Folge erstarrten im Frühjahr 1939 die Fronten. Zunehmend Widerstand erfuhren die Japaner durch Mao Tse-tung und Tschiang Kai-schek, ursprünglich Feinde, die sich aber gegen sie verbündet hatten, und durch die gequälte und massakrierte Bevölkerung selbst. Die offenkundigen Verbrechen Japans, Terror, Bombardements, Massentötungen von Gefangenen, systematische Vergewaltigungen, entsetzten die Weltöffentlichkeit, allein in Nanking fielen 200 000 Menschen im Dezember 1937 grauenhaften Greueltaten anheim, doch kein Staat griff ein und legte dem Aggressor das Handwerk. Für Hitler wiederum eine Lektion, die ihn in der Annahme bestärkte, sich auf dieser Welt jede Bestialität leisten zu können.

Im November 1937 berief er die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile, den Kriegsminister sowie den Außenminister zu sich und erklärte ihnen seine Expansionsziele: bei der nächstbesten Gelegenheit, vielleicht schon 1938, seien Österreich und die Tschechoslowakei zu annektieren, als notwendige Voraussetzung für die kriegerische Auseinandersetzung um die Weltmacht, die er bereits für die Jahre 1943 bis 1945 prognostizierte. Allein der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch, und der Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Werner von Blomberg, warnten, wie das Protokoll von Oberst Hoßbach belegt, vor den militärischen und politischen Risiken und hielten den Zeitpunkt zu solch expansionistischem Vorgehen für verfrüht. Mit skrupulösen Militärführern sollte sich Hitler bald nicht mehr herumschlagen müssen.

1938, oft als Entscheidungsjahr auf dem Weg in den Krieg klassifiziert, half Hitler ein Zufall, unter den Spitzenmilitärs ein großes Revirement vorzunehmen. Anstelle der Bedenkenträger erhielten willfährige NS-Anhänger ihre Chance. Den Auftakt dazu bot die Heirat Blombergs mit einem 35 Jahre jüngeren »Mädchen aus dem Volke«. Hitler gab zunächst den freundschaftlichen Trauzeugen und dann den moralisch Empörten, als die Nachricht verbreitet wurde, welch unschickliche Vergangenheit diese junge Frau laut Polizeiakte besaß. Der Reichskriegsminister, Oberbefehlshaber der Wehrmacht und Träger des Goldenen Parteiabzeichens, wurde zur Demission gezwungen. In dieser angespannten Situation gefiel es Himmler, Heydrich und Göring, den Oberbefehlshaber des Heeres mittels einer Polizeiakte der Homosexualität zu bezichtigen. Werner von Fritsch wurde sofort seines Amtes enthoben, in das er auch dann nicht zurückkehren durfte, als er vor Gericht einwandfrei beweisen konnte, dass der Kronzeuge, ein Strichjunge, sich schlicht im Namen geirrt hatte. Fritsch meldete sich freiwillig zu einem Regiment, an dessen Spitze er in den ersten Tagen des Polenfeldzuges den Tod fand. Der angeblich ob der schändlichen Vorfälle so deprimierte Hitler erwachte zu neuen Taten und erneuerte die Spitze seiner Wehrmacht. Der Posten eines Kriegsministers wurde gestrichen, Hitler selbst übernahm dessen Aufgaben als Oberbefehlshaber. Die drei Waffengattungen der Wehrmacht wurden dem neugeschaffenen Oberkommando der Wehrmacht (OKW) unterstellt, das der Hitlerbewunderer General Wilhelm Keitel mit dem bezeichnenden Spitznamen »Lakeitel« erhielt. Fritsch wurde durch den labilen General Walther von Brauchitsch ersetzt. Insgesamt wurden 14 Generäle entlassen und dreimal so viel höhere Offiziere versetzt, selbst der Protokollant der oben genannten Besprechung vom 5. November 1937 musste zurücktreten. Der konservative Außenminister verlor sein Amt an den ebenso hitlertreuen wie unfähigen Joachim von Ribbentrop. Als Reichswirtschaftsminister wurde anstelle des bereits im November 1937 demissionierten Hjalmar Schacht der Nazi Walther Funk ernannt. Generaloberst Ludwig Beck stellte sein Amt wegen Hitlers Kriegspolitik zur Verfügung und Joseph Goebbels, Chefpropagandist und Vertrauter Hitlers, der davon nichts ahnte, weinte sich an demselben Tag wegen einer Liebesaffäre bei seiner Mutter aus. Mit dieser ihm auf Gedeih und Verderb ergebenen Mannschaft vermeinte Hitler für seinen Krieg gut gerüstet zu sein. Solch personelle Umstrukturierung legte den Grundstein für Hitlers Alleinherrschaft auf den Gebieten der Militär-, Außen- und Wirtschaftspolitik. Umgeben von unterwürfigen Jasagern gab es keinen mehr, der ihn hätte zurückhalten können.

Für den geplanten großen Krieg galt es zunächst, den Kontinentalblock abzurunden und zu sichern. Mussolinis Zusage an Hitler, er habe freie Hand im Südosten Europas, isolierte Österreich außenpolitisch und ermöglichte es Hitler, nach dem Desaster von 1934 in der Österreichfrage erneut aktiv zu werden. Hitler fühlte ohnehin sein Alter, auch sorgte er sich um seine Gesundheit, private Gründe für ein schnelles Zusteuern auf einen Krieg, wozu sich auch noch ein wichtiges rüstungspolitisches Motiv gesellte: der Rüstungsvorsprung Deutschlands würde bald von den anderen Mächten aufgeholt sein. Hitler glaubte handeln zu müssen, wenn er sich seine Chance wahren wollte.

Österreich musste unter diesen Aspekten Deutschland angegliedert werden. Nach dem Ersten Weltkrieg hätte sich das inzwischen bis zur Lebensunfähigkeit verkleinerte Österreich gern mit Deutschland vereinigt, allein der Friedensvertrag von St. Germain untersagte dies. Für eine Angliederung sprachen auch wirtschaftliche und geostrategische Gründe. Österreich besaß im Übermaß, was Deutschland fehlte: Rohstoffe, Facharbeiter, Gold und Devisen, seine Grenzen kreisten die Tschechoslowakei ein und boten den Zugang zum Südosten. Nicht zuletzt schien ein neuer aufsehenerregender Coup am besten geeignet, die momentane Krise in der Wehrmachtführung, die Hitler für seine Kriegsplanung nicht gebrauchen konnte, zu beheben. Am 12. Februar 1938 bestellte Hitler den österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg auf den Obersalzberg, sein Feriendomizil in den Berchtesgadener Alpen, um ihn massiv unter Druck zu setzen. Unter schweren Anschuldigungen verlangte Hitler die Beteiligung von österreichischen Nationalsozialisten an der Regierung, wenige Tage später willigte der glücklos zwischen Sozialdemokraten und illegalen Nationalsozialisten agierende Schuschnigg ein. Der nationalsozialistische Rechtsanwalt Arthur von Seyß-Inquart wurde Innenminister, doch der Kanzler versuchte die Souveränität seines Landes durch ein Plebiszit zu wahren. Hitler reagierte auf diesen »Verrat« am Berchtesgadener Abkommen hypernervös und zwang Schuschnigg ultimativ, die Volksabstimmung zu verschieben und selbst zurückzutreten, währenddessen die Wehrmacht den Einmarsch mehr improvisierte denn plante. Dem Rücktritt half Göring mit unverhohlener Drohung nach, und auf einen fingierten Hilferuf des Büros der österreichischen Nationalsozialisten um Entsendung von Soldaten und das gleichzeitig von Mussolini ausgesandte Signal, er werde stillhalten, marschierten deutsche Truppen am Morgen des 12. März 1938 in Österreich ein. Statt auf den erwarteten Widerstand stießen sie auf begeisterte, Blumen streuende Menschenmassen.

Nachdem die Wehrmacht Hitler versicherte, dass nichts zu befürchten sei, ließ er sich in Begleitung seiner SS-Leibstandarte von seiner Geburtsstadt Braunau durch ganz Österreich bis nach Wien kutschieren. Überall das gleiche Bild, jubelnde Massen. Sie bewogen ihn auf dem Weg dorthin, alte Pläne zu verwerfen und Österreich sofort dem Deutschen Reich anzuschließen. Am 13. März 1938 wurde in Wien das Wiedervereinigungsgesetz zugleich mit dem Berliner Gesetz über den »Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich« beschlossen. Die Republik Österreich hatte aufgehört zu existieren und ihre 6,5 Millionen Menschen bewohnten von nun an sieben Jahre lang die sogenannte Ostmark im neu geschaffenen Großdeutschland. Den Anschluss verkündete Hitler 250 000 jubelnden Österreichern, die sich am 15. März vor der Wiener Hofburg auf dem Heldenplatz versammelt hatten, um ihren neuen »Führer« zu feiern. Die Annexion Österreichs, wiederum ein Coup ohne Blutvergießen, löste im gesamten Deutschland eine Welle der Begeisterung aus. Hitlers Popularität kletterte auf nie geahnte Höhen. Doch in ihrem Schatten radikalisierte sich der Antisemitismus, setzte die Verfolgung von politischen Gegnern in Österreich ein, und es begann die Plünderung des europäischen Kulturerbes.

Mit der Annexion Österreichs gab sich ein Hitler aber nicht zufrieden. Auf dem Weg in den Krieg mit dem Osten lag ein Hindernis, die Tschechoslowakei. Die müsse »von der Landkarte verschwinden«, erklärte er am 28. Mai 1938 in aller Offenheit seinen Generälen und Vertretern des Auswärtigen Amtes. Zwei Tage später hieß es in seiner »Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht«, dass die Tschechoslowakei »in einer militärischen Aktion zu zerschlagen« sei. Und so geschah es.

Hitler wich mit diesem Entschluss erstmals von seiner Politik der Revision ungerechter Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages ab, ein verhängnisvoller Schritt.

Die Tschechoslowakei startete nach ihrer künstlichen Staatsgründung aufgrund des Friedensvertrags von 1919 mit unverhältnismäßig günstigen Voraussetzungen trotz der vielen Minderheiten, darunter vor allem die drei Millionen Volksdeutschen. Erst durch die Wirtschaftskrise verschlechterte sich Anfang der dreißiger Jahre die wirtschaftliche Situation, vor allem die der Sudetendeutschen, rapide. Sie begannen sehnsuchtsvoll nach dem Reich zu schielen, wo wegen der Rüstungsproduktion Vollbeschäftigung herrschte. Die Sudetendeutsche Partei unter der Leitung von Konrad Henlein erhielt bald von den inzwischen zur Macht gelangten Nationalsozialisten politische und finanzielle Unterstützung. Um die Stimmung für unerfüllbare Autonomieforderungen anzuheizen, begann ab Frühjahr 1938 aus dem Propagandaministerium ein nicht enden wollender Schwall von Greuelnachrichten zu fließen, vor allem über angebliche Gemetzel der Tschechen an volksdeutschen Kindern und Frauen. Henleins Partei ließ sich obendrein durch den Anschluss Österreichs erstmals zu Gewalttaten reizen. Damit sollte eventuell tschechische Polizei zum Eingreifen verleitet werden, was wiederum einen Grund zum militärischen Einschreiten geliefert hätte. »Heim ins Reich« hieß die Kampagne, mittels derer die innenpolitische Stabilität der Tschechoslowakei ins Wanken geriet. Die propagandistisch herbeigeführte »Sudetenkrise«, systematisch verschärft, wuchs zu einer internationalen Krise heran, in der eine reale Kriegsgefahr steckte. Hitler förderte die Eskalation mit wiederholten Forderungen nach Abtretung der Sudetengebiete an Deutschland.

Angesichts drohender Kriegsgefahr reiste der englische Premierminister Chamberlain am 15. September zu Hitler auf den Obersalzberg, um mit ihm gemeinsam eine Lösung des sudetendeutschen Konflikts zu finden. Dort forderte Hitler, dass die Prager Regierung gezwungen werde, der Abtrennung der Gebiete, in denen überwiegend Deutsche lebten, zuzustimmen. Hitlers erpresserisches Vorgehen schien Erfolg zu haben. Den erzwungenen »Lösungsvorschlag« legte Chamberlain dem deutschen Diktator, den er eigens zu diesem Zweck vom 22. bis 24. September in Bad Godesberg aufsuchte, auf ein goldenes Tablett, in der festen Annahme, dieser müsse damit saturiert und der Vorwand zu einem militärischen Angriff nun hinfällig sein. Wider Erwarten überschüttete Hitler ihn aber mit neuen, unerfüllbaren Forderungen. Hitler wünschte keine diplomatische Lösung, Hitler wollte Krieg. Das machte er auch in seiner Rede zwei Tage danach, am 26. September 1938, deutlich. Am 1. Oktober, so drohte er öffentlich, werde er einmarschieren.

Am Abgrund eines Krieges hintertrieb Göring die seiner Meinung nach unnötige Kriegslüsternheit seines Chefs in einer Frage, die ohnehin im wesentlichen zugunsten Deutschlands schon entschieden war. Er organisierte hinter seinem Rücken schnell für den 28. September eine Konferenz und den Text eines Abkommens. Offiziell wurden auf Initiative Mussolinis die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und Italien zu einer Konferenz nach München einberufen. Das dabei unterschriebene »Münchener Abkommen«, wonach Deutschland den Zuschlag auf das sudetendeutsche Territorium erhielt, wurde am 30. September der tschechoslowakischen Regierung oktroyiert. Tags darauf marschierten deutsche Truppen, wie angekündigt, in den sudetendeutschen Teil der Tschechoslowakei ein, den künftigen »Reichsgau Sudetenland«.

Während für Hitler das »Münchener Abkommen« ein retardierendes Moment auf seinem Weg in den Krieg bedeutete, atmete Europa erleichtert auf. Nach seiner Rückkehr präsentierte Chamberlain jubelnden Landsleuten ein Papier, in dem Hitler bedenkenlos zugesichert hatte, nie wieder mit England Krieg führen zu wollen. In Deutschland sollen die Leute vor Freude geweint haben.

Das »Münchener Abkommen« lud auch weitere Staaten zur Nachahmung ein. Polen forderte am 30. September 1938 die Abtretung des Teschener Ländchens im Norden der Tschechoslowakei, wo überwiegend polnisch gesprochen wurde, und ließ am 2. Oktober seine Truppen einmarschieren. Ungarn erhob ebenfalls Ansprüche auf im Süden gelegene Gebiete, wo eine ungarische Mehrheit lebte. Mit italienischer Hilfe wurde eine Vereinbarung durchgesetzt, wonach Ungarn ein Gebiet mit etwa einer Million Menschen als Zuschlag erhielt. Das war weniger als sie ursprünglich gefordert hatten, weshalb Hitler den Ungarn etwaige militärische Aktionen zu weiteren Gebietseroberungen untersagte. Bei diesen Regelungen glänzten Franzosen sowie Engländer durch Abwesenheit, was deutlich demonstrierte, dass im Südosten Europas die Achsenmächte herrschten. Ungarn trat dem Antikominternpakt bei, Rumänien offerierte Deutschland seine Freundschaft, die Judenverfolgungen nahmen nach der Initialzündung der Novemberpogrome in den kleineren Nationen Ostmitteleuropas zu, alles Zeichen für eine panisch betriebene Umorientierung. Über Jahre hatte Frankreich versucht, diese kleineren Staaten als Schutzwall gegen deutsche Expansionsgelüste zu unterstützen. Das Münchener Abkommen bereitete solchen Versuchen ein Ende.

Die Appeasement-Politiker Englands und Frankreichs zahlten einen hohen Preis, aber sie waren des guten Glaubens, damit den Frieden erfolgreich gesichert zu haben. Sie hatten die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht. Drei Wochen später konterkarierte Hitler bereits das ungeliebte Abkommen. Er wies die Wehrmacht an, sich für die »Erledigung der Resttschechei« bereitzumachen, ein halbes Jahr später setzte er dies innerhalb von wenigen Stunden um.

In der Rumpfrepublik verschlechterten sich die Beziehungen von Slowaken, vor dem Versailler Vertrag von Ungarn regiert, und Tschechen, vor 1919 zu Österreich gehörig. In der Fehlannahme, dass die Slowaken die Absicht hegten, ihre Unabhängigkeit zu erklären, befahl die Prager Regierung am 10. März die Besetzung Bratislavas durch ihre Truppen. Hitler erkannte darin sofort die unerwartete Chance, die ihm in München abgerungenen Kompromisse über Bord zu werfen. Slowakische Führer wurden kurzerhand nach Berlin geflogen und vor die Wahl gestellt: entweder Unabhängigkeitserklärung unter dem Schutz des Deutschen Reichs oder Annexion durch Ungarn. Das slowakische Parlament rief am 14. März 1939 die Unabhängigkeit der Slowakei aus, die tags darauf nolens volens Deutschland um Schutz vor den Tschechen bat, wobei deutsche Kanonenboote auf der Donau vor den Regierungsgebäuden Bratislavas ihre drohende Wirkung ausgeübt hatten. Dieser sogenannte Schutzvertrag machte die Slowakei zum ersten Satelliten von Hitler-Deutschland.

An demselben Tag, dem 14. März 1939, bestellte Hitler den Staatspräsidenten und den Außenminister der Prager Regierung nach Berlin, wo er sie nach dem »Modell Schuschnigg« unbarmherzig unter Druck setzte. Die brutale Lüge, deutsche Truppen seien auf dem Weg nach Prag, das sofort bombardiert würde, ließ den kranken Staatspräsidenten nicht nur physisch zusammenbrechen. Als er seinen Schwächeanfall halbwegs überwunden hatte, befahl er telefonisch seinen Truppen, nicht auf die heranmarschierenden Deutschen zu schießen und unterschrieb am 15. März, um 4 Uhr morgens, ein Dokument, das die Auflösung der Tschechoslowakei besiegelte. Die Zerschlagung wurde noch zu derselben Stunde in Angriff genommen. Um 6 Uhr überschritten deutsche Militäreinheiten die Grenze zur Tschechoslowakei, um 9 Uhr standen sie in Prag. Im Gegensatz zum Anschluss Österreichs und der Einverleibung des Sudetenlandes fehlten jubelnde Massen. Hitler ließ sich ins menschenleere Prag fahren, wo er auf dem Hradschin gemeinsam mit seinem Innenminister den Erlass über das » Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« fertigstellte. Das Deutsche Reich hatte sich erstmals Territorien einverleibt, die jenseits seiner nationalstaatlichen Grenzen lagen, doch weder England noch Frankreich schritten ein. Hitlers Politik von Erpressung und Drohung trug zweifellos Früchte. Zusätzlich fielen wiederum bedeutende Rüstungspotentiale an das Reich, dieses Mal auch noch eine vollständige moderne Armeeausrüstung. Aber allein die Skoda-Werke, die zu Europas größtem Rüstungsunternehmen werden sollten, stellten einen Gewinn dar, ganz zu schweigen von den Goldreserven. Die Bank of England ließ fast 23 Tonnen Gold vom Londoner Konto des tschechoslowakischen Staates an die neuen Besatzer in Prag transferieren.

Aus dem ereignisreichen März 1939 ist noch die Annexion der Karpato-Ukraine mit gerade einmal zwölf Prozent Ungarisch Sprechenden der insgesamt nur halben Million Einwohner erwähnenswert. Die Verärgerung der Ungarn über das Slowakei-Debakel versuchte Hitler auszugleichen, indem er sie ermunterte, sich als Ersatz für die ihnen entgangene Slowakei an der karpato-ukrainischen Region der Tschechoslowakei schadlos zu halten. Die Regierung in Budapest ließ sogar am 16. März 1939 Truppen zur slowakischen Grenze marschieren, bis ihnen von deutscher Seite Einhalt geboten wurde. Am 20. März bestellte Ribbentrop den Außenminister von Litauen nach Berlin ein, um ihm nach dem inzwischen bekannten Muster unter Druck zu setzen. Die ultimative Forderung nach Abtretung des Memelgebietes wurde angesichts der Drohung, Litauens Hauptstadt Kaunas zu bombardieren, erfüllt und der entsprechende Übergabevertrag am 23. März 1939 unterzeichnet. Deutsche Streitkräfte besetzten – wiederum kampflos – noch an demselben Tage das Memelgebiet.

Am 21. März 1939 unterbreitete Hitler Warschau erneut ein relativ moderates Angebot. Im wesentlichen ging es um die bekannten Forderungen: Anerkennung der Westgrenze Polens, Rückkehr von Danzig in das Reich, Verkehrslinien durch den Korridor nach Danzig und Partnerschaft im Falle eines Angriffs auf die Sowjetunion. Als Polen dieses am 26. März ablehnte, befahl Hitler am 3. April seiner Generalität, den »Fall Weiß« für den Angriff auf Polen auszuarbeiten, der für den 1. September geplant wurde. Von nun an ging es unaufhaltsam auf einen Krieg zu. Am 28. April kündigte Hitler den Nichtangriffspakt mit Polen und das Flottenabkommen mit England. Im Glauben, dass Briten und Franzosen sich von einem Dreimächtepakt mit Italien und Japan beeindrucken und vom Krieg abhalten lassen würden, schloss Berlin mit Rom am 22. Mai 1939 den bereits erwähnten Stahlpakt, einen Vertrag mit dem üblichen Getöse zelebriert, aber von geringem Wert, weil Italien für einen Krieg noch zu schwach war. Japan zögerte, dem Pakt beizutreten. Es erfuhr im August eine gewaltige militärische Niederlage durch Stalins Armee in einer mongolisch-mandschurischen Grenzregion. Die Japaner zeigten sich der Roten Armee nicht gewachsen und mussten strategisch umdenken. Der Waffenstillstand im September bedeutete das Ende ihrer Planungen für eine Nordexpansion.

In der Zwischenzeit schlug die Nachricht über den Abschluss eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes wie eine Bombe ein. Der am 23. August 1939 unterschriebene, Kommunisten wie Nationalsozialisten gleichermaßen irritierende Hitler-Stalin-Pakt diente dem »Führer« als Zweckbündnis, mit dessen Hilfe er Polen leichter besiegen konnte. In einem geheimen Zusatzprotokoll teilten die Diktatoren Polen und das gesamte Ostmitteleuropa untereinander auf. Unmittelbar vor dem Angriff auf Polen jagte ein Täuschungsmanöver das andere, die letzten Erpressungsversuche, Ultimaten und Mobilmachungen fanden statt, dann eine letzte Verschiebung des Invasionstermins vom 26. August auf den 1. September, vielleicht ein letzter Versuch Hitlers, um das britisch-französisch-polnische Bündnis doch noch zu torpedieren, und zum Abschluss der Täuschungsserie der von der SS fingierte »polnische Überfall« auf den Sender Gleiwitz sowie einige ebenso vorgetäuschte Grenzverletzungen als Vorwand für einen deutschen Einmarsch. Zu dieser Inszenierung gehörte Hitlers berüchtigte Verkündung am Vormittag des 1. September im Reichstag, seit 4.45 Uhr werde »zurückgeschossen«. Der Zweite Weltkrieg war eröffnet. Er begann mit einer Lüge und endete mit noch nie dagewesenen Verbrechen.

II. Die einzelnen Feldzüge bis zum großen Krieg

1. Überfall auf Polen, Kriegseintritt von Großbritannien und Frankreich

Am 1. September 1939 befand sich Hitler am Ziel, was aber in seiner eigentlichen Bedeutung von kaum jemandem erkannt werden konnte. Vordergründig hatte es den Anschein, als nutze Hitler lediglich die für ihn vorteilhafte Situation. Im Grunde stand sein Krieg aber von Beginn an auf zwei ideologischen Grundpfeilern: Rassismus und Lebensraum. Wie er Anfang des Jahres in seiner Reichstagsrede (30. Januar 1939) wortwörtlich prophezeit hatte, zielte sein Krieg auf die »Vernichtung der jüdischen Rasse«. Das steht bereits in seiner Kampfschrift von 1925 zu lesen, ebenso wie das zweite Ziel, die Eroberung von Raum im Osten. Beide Ziele bilden das Fundament, von dem aus Hitler der Griff nach der Weltmacht möglich schien. Deutschland sollte nach Hitlers Vorstellung hinter Großbritannien, Frankreich und Japan den vierten Rang in der Weltherrschaft einnehmen. 79 Monate lang bereitete er den Krieg mit einer ebenso gewagten wie erfolgreichen Revisions- und Aggressionspolitik vor, von einer europäischen Staatengemeinschaft im wesentlichen tatenlos toleriert (»Appeasement-Politik«). Mit dem Überfall auf Polen folgten 68 Monate Krieg. Was mit risikoverliebter Kriegslust begann, endete in furioser Kriegswut.

Diesem Krieg lag zwar eine geschlossene Weltanschauung zugrunde, doch ihm fehlte ein entsprechendes einheitliches Strategiekonzept. Bei Beginn des Krieges existierte an strategischen Planungen nicht viel mehr als der »Fall Weiß«,