Desturia - Dirk Mengwaßer - E-Book

Desturia E-Book

Dirk Mengwaßer

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Beschreibung

Desturia ist ein Schattenwandler und seit Jahrhunderten auf der Flucht vor der galaktischen Inquisition. Verdammt zu einem Leben außerhalb der Gesellschaft, arbeitet sie mit dem Ganoven Corvin de Jong zusammen, der ihr als Mittels-mann zur Beschaffung von Aufträgen aller Art dient. Doch Corvins letzter Tipp entpuppt sich als tödliches Fiasko ...

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Über das Buch

Desturia ist ein Schattenwandler und seit Jahrhunderten auf der Flucht vor der galaktischen Inquisition. Verdammt zu einem Leben außerhalb der Gesellschaft, arbeitet sie mit dem Ganoven Corvin de Jong zusammen, der ihr als Mittelsmann zur Beschaffung von Aufträgen aller Art dient. Doch Corvins letzter Tipp entpuppt sich als tödliches Fiasko ...

Über den Autor

Dirk Mengwaßer, Jahrgang 1977, lebt und arbeitet in Köln. In seiner Freizeit schreibt er vorzugsweise Sciencefictionliteratur.

Mit seinem ersten Roman "Desturia" führt er die klassische Vampirgeschichte hinein in den tiefen Raum zwischen den Welten.

Für meine Eltern

Ingrid und Josef Mengwaßer

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Kapitel 1

Die untergehende Sonne färbte sich blutrot und spiegelte sich bedrohlich in den hochglänzenden Stahlwänden der gigantischen Wolkenkratzer. Das Dröhnen der Gleitermotoren über Benjamins Kopf, erinnerte ihn an das leise Brummen eines Tigerwespenschwarms. Ebenso zierlich huschten deren winzige Schatten durch die zwielichtige Dämmerung. Mit stechendem Herzen schaute er hinauf in den immer dunkler werdenden Himmel, an der fliegenden Blechkarawane vorbei und fixierte Garamon, den größten der vier Monde von Epidon, der bereits vollständig zu sehen war. Mit bloßem Auge konnte er die Förderanlagen erkennen, in denen er noch vor einer Woche gearbeitet hatte. Zu alt geworden sei er, hatte man ihm gesagt. Nicht mehr voll belastbar für die gefährliche Arbeit in der Hypanimmine. Zu alt. Wütend grollte er in die näherkommende Nacht. Zu alt. Mit einundvierzig Jahren sollte er also schon zu alt sein.

Ein leises Frösteln lief ihm den Rücken hinab. Es wurde schnell kalt in den Hochhausschluchten, wenn auch die zweite Sonne am Horizont versunken war. Benjamin beugte sich leicht über die Brüstung seines Balkons und schaute hinab ins Dunkel. Den Boden in zwei Kilometern Tiefe konnte er schon gar nicht mehr sehen. Wie lange würde er wohl bis unten brauchen, wenn er sprang? Erschrocken vor sich selbst schob er die düsteren Gedanken zur Seite. Das hatte er doch jetzt nicht wirklich gedacht? Er würde wieder auf die Beine kommen, ganz bestimmt, versprach er sich. Doch der bittere Geschmack des Zweifels schwang in seinem halbherzig aufkeimenden Kampfgeist mit.

Er vergrub sein Gesicht in seinen Handflächen und stützte sich mit den Ellenbogen am Geländer ab. So stand er eine ganze Weile reglos da und lauschte dem Verkehr über seinem Kopf und dem leisen Klappern seiner Zähne. Es wurde schnell kalt.

Ein leises Klacken drang in sein Ohr, fast so als würden ein paar leichte Stiefel auf hartem Untergrund zum stehen kommen. Er atmete tief ein und aus. Dann hörte er ein leises Rascheln hinter sich. Erschrocken drehte er sich um. Was, wer war das? Benjamin schaute in die glasklaren, tiefen, stahlblauen Augen einer Frau. Sie war mindestens genauso groß wie Benjamin und er maß immerhin ein Meter neunzig, war aber um einiges graziler und schlanker. Der blasse Teint ihres Gesichtes schimmerte leicht rot im letzten Zwielicht der Sonne und wurde von langem, hellblonden Haar eingerahmt, welches ihr offen über die Schulter hing und in der leichten Brise des Windes sanft tanzte. Benjamin verschlug es den Atem. Ihre sanften Gesichtszüge schienen ihn magisch anzuziehen, so etwas Schönes ...

"Wer ... wer sind Sie?", stammelte er.

Die Blonde schwieg und schaute ihn mit ihren durchdringenden, kalten Augen an.

"Wie sind Sie, also ... hier oben ... wie kommen Sie hier ..."

Die Blonde kam ganz langsam näher und ihre Lippen verformten sich zu einem sanften und verführerischen Lächeln.

Benjamin wusste nicht, was hier gerade geschah. Was machte diese hübsche Frau so plötzlich hier oben auf seinem Balkon, zwei Kilometer über der Oberfläche? Und wie kam sie hierher?

Die geheimnisvolle Frau stand nun direkt vor Benjamin und legte den Kopf leicht schief. Dann öffnete sie langsam den Mund, als wolle sie Benjamin küssen.

Zu spät fiel sein Blick auf die aufblitzenden Reißzähne. Weiß. Scharf. Spitz. Noch ehe Benjamin sich rühren konnte, spürte er das brennende Stechen. Der einzige Laut, den er von sich gab, war ein blubberndes Gurgeln, als ihm die Blonde blitzschnell ihre Fangzähne in den Hals bohrte. Sein Körper zuckte und verkrampfte sich im Todeskampf. Benjamin versuchte die Arme zu heben, um sich seiner Angreiferin zu erwehren. Doch vergebens. Die zierliche Gestalt war stärker als sie den Anschein machte. Benjamin ergab sich seinem Schicksal. Sein Körper erschlaffte und seine Sinne schwanden. Sein letzter Blick wanderte vom fahlen Gesicht der Blonden hoch zum blutrot schimmernden Mond.

Das warme, süße Blut füllte Desturias Mund. Sie saugte so stark sie konnte den roten Saft aus dem Körper des Mannes, der nun leblos auf dem Boden lag. Das war längst überfällig. Schon seit zwei Wochen hatte sie kein frisches Blut mehr gehabt. Zufrieden schnalzte sie mit der Zunge und legte den Kopf in den Nacken, um zum blutroten Mond emporzuschauen. Mit dem Handrücken wischte sie sich das restliche Blut von ihrem Mund ab. Lebendig. Sie fühlte sich so lebendig. Dann stand sie auf und ging zu der Balkonbrüstung, an der ihr Opfer noch vor wenigen Minuten gestanden hatte. Sie schaute hinunter. Ihre Augen durchdrangen mühelos die Dunkelheit. Doch auf eine Entfernung von zwei Kilometern bis zum Boden, konnte selbst sie nicht wirklich etwas sehen. Sollte sie doch lieber den einfacheren Weg durch die Türe nehmen? Auch auf die Gefahr hin, dass man sie sah? Sie schüttelte leicht den Kopf. Lieber nicht. Sie musste noch ein paar Tage unentdeckt bleiben. Sie schaute zurück zu dem leblosen Körper. Was machte sie mit ihm? Mitnehmen konnte sie ihn nun schlecht. Wie sah das aus? Eine zierliche Frau trägt einen Zweizentnermann auf den Schultern. Das würde sogar einem blinden Gondai auffallen. Und erst recht, da der Zweizentnermann tot und blutverschmiert war.

"Aber eine Kleinigkeit brauche ich noch von dir, bevor ich mir überlege, wie ich dich entsorge", sagte Desturia süffisant, stieß sich behände vom Geländer ab, stolzierte zu Benjamins Körper und ging neben ihm in die Hocke. Sie drehte sein lebloses Gesicht zu sich um und fuhr mit beiden Händen links und rechts über die Wangen. Dann streckte sie die Finger durch, ließ ihre Hände weiter zu den Augen wandern und die spitzen Fingernägel unter die Lider gleiten. Sie legte den Kopf schief und grinste. Dann stach sie mit den langen Fingernägeln ihrer beiden Händen gleichzeitig in die Augenhöhlen. Warmes Blut quoll hervor, als sie die Gefäße am hinteren Ende der Augen durchtrennte. Das Blut wärmte ihre kalten Hände, deren Finger tief in Benjamins Kopf eingedrungen waren. Desturias Gesicht glich einer dämonischen Fratze, als sie ihre Fangzähne fletschte. Ein leises Fauchen entfuhr ihrem Mund. Dann riss sie die Augäpfel heraus. "Die brauchst du jetzt nicht mehr." Desturia nahm beide Augen in die linke Hand und griff mit der Rechten in ihre Manteltasche, um einen kleinen, durchsichtigen Beutel hervorzuholen, in welchem sie ihre blutige Beute verstaute. Nachdem sie sich Benjamins Blut von den Fingerspitzen geleckt hatte, tastete sie seinen Körper ab. Die Taschen waren leer. "Dich jetzt zu fragen, wo du deine Codekarten hast bringt wohl nichts mehr, oder?" Sie grinste und erhob sich. Ein blonder Todesengel, der seine Arbeit auf grausige Art erledigt hatte.

Sie schaute kurz in die hereinbrechende Nacht und fühlte die Kraft der Dunkelheit stärker werden. Desturia hasste Sonnenlicht; es schwächte sie. Dass ihre Vorfahren sogar im Sonnenlicht verbrannten, hielt sie jedoch für ein Ammenmärchen. Eine Geschichte, die man unartigen Kindern erzählte, um sie zu ängstigen. "Wenn du nicht brav bist, kommt dich die Sonne holen", flüsterte sie vor sich hin, als sie sich umdrehte und zur offenen Balkontüre schritt. Der Wohnbereich war einfach eingerichtet. Die Wände präsentierten sich in einem graumetallischen Look und gaben dem gesamten Raum einen eintönigen Touch. Von der hohen Decke strahlten vereinzelte Spots und tauchten den Raum in ein gleichmäßiges, dämmriges Licht. Neben der Eingangstüre befand sich eine kleine Kochnische. Ein Topf ohne Deckel stand noch auf dem Herd und verströmte den sanften Duft einer frisch zubereiteten Konservenspeise. An der rechten Zimmerwand zeichneten sich kaum merklich die Konturen der, aus der Wand herausfahrbaren, Schlafpritsche ab. Direkt daneben war der Zugang zur Nasszelle des Einraumappartements. Der materialholografische Bildwerfer jedoch bildete das Kernstück des Inventars. Das technische Lieblingsspielzeug eines alleinstehenden Mannes mittleren Alters. Der Bildwerfer war in der Lage sämtliche Darstellungen in real existierende Materie umzuwandeln. Eingerahmt wurde der Projektor von einer Vielzahl kleinerer, schlichter Metallregale, auf denen allerlei ungeordnetes Zeugs verstaut war. Von der Datenscheibe, über Elektrokabel und Dekoschnickschnack, bis hin zu Fotografien auf richtigem Papier, war so ziemlich alles dabei. Und alles fein säuberlich in einer hauchzarten Staubschicht eingebettet. Desturia strich mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand über eines der Regale und blies dann den feinen Staub von ihren Fingerkuppen. Sie griff zu einem Packen Fotos und schaute sich Bild für Bild an. Die Fotos setzten bereits Gilb an und zeigten einen um einiges jüngeren und attraktiveren Mann, als den, der dort draußen tot auf dem Balkon lag. Auf den meisten Bildern war eine hübsche, rothaarige Frau mit ihm abgebildet. Ihre dunkelgrünen Augen strotzten vor Lebenskraft und stachen aus dem leblosen Bild hervor, wie die grünen Feuer von Gondramor. Desturias Blick fiel auf einen Bilderrahmen mit Trauerflor, auf dem Regal links neben ihr. Auch er zeigte die Rothaarige. Allerdings war ihr Gesicht gezeichnet von Sorge und Krankheit. Das Glühen ihrer Augen war nur noch schwach zu erahnen. Desturia legte den Packen Bilder wieder zurück ins Regal, ohne dabei den Blick von dem Bilderrahmen abzuwenden. Sie legte den Kopf schief und löste sich endlich aus dem Bann des Fotos. Dann durchsuchte sie die Regale nach den benötigten Zugangskarten für die Firmenzentrale der Hypanimminen ab. Ohne die Zugangscodes waren, die erbeuteten Augen für den Irisscanner, wertlos. Bei dem Gedanken strich sie sanft mit ihrer linken Hand über die Seitentasche ihres schwarzen Mantels, in dem Benjamins Augen ruhten. Mit dem Scanner, den sie an ihrem linken Handgelenk trug, durchleuchtete sie die Datenchips, einen nach dem anderen. Doch nichts. Alles nur belangloser Kram. Sie fauchte und riss eines der Regale vor Wut von der Wand. "Verdammt!" Sie schaute sich weiter um. Zwei traurige, halb vertrocknete Zimmerpflanzen standen links und rechts von einem gut zwei Meter breiten Kleiderspind. Desturia näherte sich dem Schrank und öffnete ihn. Die Garderobe des Mannes war spärlich. Ein paar Freizeithosen, diverse kurz- und langärmlige Oberteile und drei Paar Schuhe. Der halbe Schrank war quasi leer. Desturia wurde stutzig. Sie hätte erwartet, in diesem Schrank auch die Arbeitskleidung des Mannes vorzufinden. Doch Fehlanzeige. Als sie gerade den Schrank wieder verschließen wollte, bemerkte sie den zerknüllten Zettel im hinteren Teil eines der leeren Einlegeböden.

Sie griff nach dem unförmigen Ball aus Papier und entfaltete ihn. Es schien eine digitale Botschaft auf der Oberfläche gespeichert zu sein. Desturia zog den Zettel so gut es ging glatt und berührte das Startsymbol in der linken, oberen Ecke. Die Nachricht war nicht verschlüsselt. Mit kurzem Knistern erwachte die Botschaft zum Leben. Das zerknautsche Gesicht eines älteren Mannes erschien. Im Hintergrund war das martialische Firmenlogo der Minengesellschaft zu sehen; ein vom Himmel stürzender Adler mit ausgefahrenen Krallen, auf blutrotem Grund. Die ohnehin schon vielzähligen Falten des Mannes wurden von den Knittern im Papier noch unterstrichen. Seine Augen schauten Desturia finster an, als würde er direkt zu ihr sprechen. Die grauen Augenbrauen waren der einzige Haarbewuchs, den Desturia erkennen konnte. Der vom Alter gezeichnete, schlaffe Hals endete im Kragen eines edel aussehenden Hemdes. Die eiskalte Stimme des Mannes ließ sogar Desturia ein leichtes Frösteln den Rücken herunterlaufen.

"Mit sofortiger Wirkung entbinden wir Sie von Ihren Pflichten. Melden Sie sich umgehend im Personalbüro und geben Ihre Sicherheitskarten und Uniformen ab."

Das war's. Das Gesicht verschwand wieder vom Zettel. Keine Anrede, kein Gruß; die kalte Abrechnung eines Bürokraten.

Desturia knüllte den Zettel wieder zusammen und warf ihn in den Spind zurück. Dann knallte sie die Schranktüre zu. Sie spürte den Zorn ihre Speiseröhre emporsteigen. Wutentbrannt schlug sie mit der Faust gegen den Metallspind und verpasste ihm eine tiefe Delle. "Ich habe da einen todsicheren Tipp für dich! Pah!" Sie schlug erneut zu. Und diesmal durchdrang ihre Faust das Metall vollends. Sie würde Corvin das dämliche Grinsen aus der Visage schlagen, wenn sie zurück war. Sie atmete tief durch. Es gab noch was zu tun. Die Leiche. Sie musste beiseitegeschafft werden.

Desturia ging zurück auf den Balkon. Es war kalt geworden, seit die Sonne ganz untergegangen war. Ihre Atemluft kondensierte in zarten Dampfwölkchen. Sie ging zur Brüstung und schaute nochmals in die Tiefe. Die Leiche runterschmeißen? Nein. Die Bisswunde am Hals. Desturia durfte nicht entdeckt werden. Sie überlegte kurz. Na klar, der Müllschacht im Hausflur. Jedes Gebäude dieser Größenordnung verfügte über eine eigene Müllverbrennungsanlage, die über Fallschächte mit dem Unrat seiner Bewohner genährt wurde. Desturia würde die Leiche einfach in eine Decke hüllen, zum Schacht tragen und alle Probleme los sein.

Das Aufheulen einer Sirene schreckte sie auf, noch bevor sie die Leiche ganz hochgehoben hatte. Der ganze Balkon wurde mit grellem Scheinwerferlicht geflutet. Desturia ließ den Körper des Mannes wieder zu Boden sacken und schirmte ihre Augen so gut es ging ab. Schemenhaft konnte sie einen Polizeigleiter erkennen, der bedrohlich halbhoch vor dem Balkon schwebte. Die Erwartung eines flammenden Aufrufes, stehen zu bleiben und sich zu ergeben, wurde jäh enttäuscht, als der Fahrer des Gleiters das Feuer eröffnete.

Kapitel 2

Die Mündungen unter dem Polizeigleiter schickten ihre tödlichen Ladungen ins Zentrum des Scheinwerferkegels; rotglühende, überdimensionierte Glühwürmchen, bereit, alles und jeden zu verbrennen.

Blitzschnell tauchte Desturia ab. Sie rollte sich hinter die Leiche. Der Geruch von verbranntem Fleisch und angesengtem Haar lag in der Luft. Den brennenden Schmerz in ihrer linken Hüfte ignorierte sie. Das war knapp. Über ihrem Kopf zischten die Lasergeschosse hinweg, ließen das Panoramafenster zerbersten und verwandelten den Wohnraum dahinter in einen Vorhof zur Hölle. Die letzten Stücke, die an das Leben des Mannes erinnerten, der hier gelebt hatte, gingen in Flammen auf.

Desturia zog ihre Pistole aus dem Holster an ihrem rechten Oberschenkel. Mit kalter Präzision entsicherte sie die Waffe. Sie zielte auf den Gleiter. Dieser hatte bereits leicht an Höhe gewonnen, um sie wieder ins Schussfeld zu bekommen. Desturia krümmte den Finger am Abzug. Mit lautem Knall wurde das Projektil auf die Reise geschickt. Der Geruch von Pulverdampf stieg Desturia in die Nase. Ein Geruch, den sie liebte, wie keinen anderen. Projektilwaffen hatten für sie etwas Edles und Anmutiges. Und was hatte es schon verdient, edel und anmutig zu sein, wenn nicht der Tod selbst?

Die Kugel durchdrang das auf Energiewaffen ausgelegte Schutzschild und hinterließ ein winziges, ausgefranstes Loch in der Frontscheibe des Gleiters.

Der Fahrer erschrak, als er das Pfeifen des knapp an seinem Kopf vorbeirasenden Geschosses hörte und zog den Gleiter reflexartig in die Höhe, um weiterem Beschuss auszuweichen. Desturia nutzte den Moment. Sie sprang auf, gab noch zwei Schüsse ab und rannte hinein ins brennende Inferno. Der Weg zur Tür war frei. Sie überlegte nicht lange. So schnell sie konnte durchquerte sie den Raum. Ihr Blick fiel ein letztes mal auf das traurige Bild der Rothaarigen. Die Flammen züngelten bereits am Rahmen. Dann blähte sich das Fotopapier auf und die Flammen stachen von der Rückseite aus durch. Desturia erreichte die Tür. Sie riss sie auf. Hinter ihrem Rücken war der Gleiter erneut in Schussposition gegangen. Wütend zischten die Laserstrahlen durch die Luft und schlugen rings um Desturia ein.

Desturia machte einen Satz nach draußen und rollte sich auf dem Flurboden ab. Dann glitt sie zur Seite, aus dem Schussfeld heraus. Sie stand auf und schaute sich wie ein gehetztes Tier um. Die Wand gegenüber der Tür war bereits stark vom Laserbeschuss beschädigt. Weitere Geschosse prasselten darauf ein und waren kurz davor die Wand zu durchdringen. Ansonsten war der lange Gang karg und weiß. Das matte, weiße Licht fiel gleichmäßig von der Deckenbeleuchtung herab, in Desturias Nähe unterstützt vom roten Glühen des Laserfeuers. Zu beiden Seiten des Flurs waren in regelmäßigen Abständen die verschlossenen Türen, der dahinter liegenden Appartements, zu sehen. Trotz des höllischen Lärms kam niemand auf den Gedanken, auch nur den Kopf herauszustrecken. Anonymität, Angst und Gleichgültigkeit, die drei Wahrzeichen dieser Gesellschaft.

Am Ende des Ganges konnte Desturia den Zugang zu den Transportröhren sehen. Im Eiltempo legte sie die dreißig Meter zurück und ging ohne Umschweife durch die sich selbst öffnende Zugangstür des Transportraumes. Zu Desturias Linken befanden sich die Röhren, die abwärts führten. Sie war schon auf dem Weg zu ihnen, als sie ein mulmiges Gefühl überkam. Desturia stockte. Was, wenn unten schon ... Sie machte kehrt und ging zu den Röhren, die aufwärts führten. Ihr spontaner Plan war irrwitzig. Aber er konnte funktionieren. Ein kleines bisschen Glück und er würde funktionieren. Desturia trat durch das blauschimmernde Kraftfeld der Transportröhre und wurde wie von Geisterhand in die Höhe befördert. Ihre Füße baumelten schwerelos im Kraftfeld. Sie hasste diese Art der Beförderung.

Drei Etagen höher verließ sie den Schacht wieder. Sie ging zum Ausgang des Transportraumes und lugte in den Flur. Das Einzige, was sie hörte, war ihr eigener Atem. Gleichmäßig und fest, wie ihr Wille. Sie trat hinaus in den Gang, den rechten Arm angewinkelt, sodass ihre Waffe in die Höhe zeigte, jederzeit bereit, sich zu senken und zu feuern. Der Schmerz in ihrer linken Hüfte meldete sich wieder und Desturia schaute an sich runter. Das Loch in ihrer angesengten Kleidung legte eine verbrannte Wunde frei. Auf den ersten Blick schien es nur eine Fleischwunde zu sein. Sie kramte in ihren Gürteltaschen und holte einen kleinen Injektor hervor. Sie rammte sich die Spritze in den Oberschenkel, knapp unterhalb der Wunde. Fast augenblicklich verschwand der Schmerz. Das sollte reichen, bis sie hier raus war. Desturia warf die leere Ampulle achtlos hinter sich und setzte sich in Bewegung.

Sie zählte die Türen im Vorbeigehen, bis sie am Appartement ankam, das exakt drei Stockwerke über der Wohnung ihrer letzten Mahlzeit lag. Wieder griff sie sich an den Gürtel und holte einen kleinen digitalen Codeknacker hervor. Sie legte das Gerät auf das Tastenfeld der Tür und wartete. Gerade mal drei Sekunden später schnappte das Schloss auf und die Tür glitt rechts und links in die Wand. Ruckartig und mit vorgehaltener Waffe stürmte Desturia in die Wohnung. Der Bewohner hatte Glück. Er war nicht zu Hause.

Zielstrebig ging Desturia zum Balkon, öffnete den Ausstieg und ging hinaus in die Nacht. Die aufsteigende Wärme des Feuers schlug ihr entgegen und mischte sich mit dem kalten Wind, den die Nacht heranbrachte. An der Brüstung angekommen, schaute sie nach unten. Der Gleiter schwebte immer noch drei Stockwerke unter ihr. Das Feuer spiegelte sich in seinem Lack. Und kleine Funken tanzten jubilierend um ihn herum. Der Fahrer hatte mittlerweile das Feuer eingestellt.

"Bleib so mein Freund", flüsterte Desturia, als sie auf die Brüstung kletterte. Sie prüfte das Magazin ihrer Waffe und sprang.

Mit lautem Knall landete sie auf dem Dach des Gleiters, genau zwischen den beiden pulsierenden Blaulichtern. Ohne zu zögern, ging sie in die Hocke und presste die Mündung der Pistole auf der Höhe des Beifahrers ans Dach. Dann gab sie zwei Schüsse ab. Erschrocken schaute der Fahrer zu seinem Kollegen. Blut schoss aus dem Mund des Mannes und sprenkelte auf die Frontscheibe. Dann sackte er in sich zusammen. Der Fahrer hatte keine Zeit zu reagieren. Er hörte noch den dumpfen Knall, dann waren seine Sinne ausgelöscht. Ein für alle Mal.

Desturia kletterte mittig des Fahrzeugs herunter und öffnete die unverriegelte Fahrertür. Sie packte die Leiche des Fahrers und riss sie von ihrem Sitz. Der Sicherheitsgurt hatte nicht die geringste Chance gegen Desturia. Dann schleuderte sie den Toten in die Tiefe und schwang sich hinters Steuer. "Sei so gut ..." Desturia klemmte ihre Waffe dem toten Copiloten unters Gesäß. "... pass mal 'nen Moment drauf auf!" Sie richtete ihren Blick aufs Radar. Zwei weitere Streifengleiter näherten sich durch die Häuserschluchten. Ohne zu zögern, ließ Desturia den Gleiter im Sturzflug in die Tiefe rauschen. Keine Sekunde zu früh. Lasergeschosse prasselten an die Hauswand, wo vorher noch Desturias Gleiter schwebte. Die meinten es verdammt ernst.

Je tiefer Desturias Gleiter stürzte, desto dunkler wurde es. Ihre Chance. Sie schaltete die Scheinwerfer des Gleiters aus. Vereinzelt rauschten noch kleine Lichtpunkte an ihr vorbei. Die spärlich beleuchteten Fenster der Appartementwolkenkratzer. Ein Warnsignal schrillte auf. Kollisionsalarm. Im Kegel der Scheinwerfer sah Desturia den Boden. Wie Ameisen stoben die Menschen dort unten auseinander, als sie den heranstürzenden Gleiter bemerkten. Desturia wartete noch zwei lange Sekunden, in denen die Ameisen zu Hunden heranwuchsen, dann zog sie den Steuerknüppel bis zum Anschlag. Desturia presste krampfhaft die Zähne zusammen und hielt die Luft an. Nur um wenige Zentimeter verfehlte sie eine Gruppe von Menschen, die sich auf den Boden geworfen hatten. Desturia prustete durch und gab Vollgas. Sie stabilisierte die Flugbahn bei zwei Metern über dem Boden und raste durch die Häuserschluchten. Irgendwo über ihr ertönte ein Konzert von Polizeisirenen. Noch ganz leise und zaghaft, aber Desturia wusste, dass die Symphonie sehr bald lauter werden und sich mit Pauken und Trompeten aus donnernden Laserblitzen mischen würde. Das blaue Flackern eines Ionenantriebs erregte Desturias Aufmerksamkeit. Das Flackern zog sich entlang einer schnurgeraden schwarzen Linie am Boden. Gleise. Ein Zug. Desturia schaltete sofort. Sie schaute auf die Umgebungskarte. Bingo! Sie war nicht weit entfernt von der Einfahrt zum Schnellzugtunnel. Diese Tunnelanlagen verbanden unterirdisch die Städte des Planeten. Dort unten hatte sie eine reelle Chance ihren Verfolgern zu entkommen. Das hieß, wenn sie nicht mit einem Zug zusammenstieß. Desturia schätze die Höhe ihres Gleiters. Das würde verdammt knapp werden. Viel Platz zum manövrieren würde sie zwischen Zügen und Tunneldecke nicht haben.

Ein rotglühender Ball, gefolgt von grollendem Donner riss sie aus den Gedanken. Der Einschlag einer Rakete. Desturia sah noch verbrannte Körperteile und Trümmer durch die Luft wirbeln, als sie mit einem Schlenker das Inferno umflog. Dann zog eine ganze Rotte von Laserblitzen an ihrem Gleiter vorbei und schlug kreuz und quer vor ihr ein und brachte Tod und Zerstörung zu den armen unbeteiligten Kreaturen da unten. Fahrzeuge gingen in Flammen auf, Menschen liefen in panischer Angst auseinander oder lagen einfach nur tot auf dem Boden. Der Ionenzug, den Desturia gerade passierte hatte ebenfalls ein paar Treffer abbekommen. Kleine Rauchfahnen stiegen aus dem letzten Waggon auf. Als Desturia den Zug in der rückwärtigen Kamera betrachtete, verschwand dieser in einem zweiten rotglühenden Feuerball. Und dann entdeckte Desturia ihren Angreifer. Wie Phönix aus der Asche durchstob der Militärangriffsgleiter die flammenden Rauchwolken des Zuges. Ein bedrohlicher schwarzer Raubvogel, der mit seinen glühenden Klauen nach Desturia griff und dabei alles um in herum in brennende Asche verwandelte. Erneut zuckten Laserblitze auf sie zu. Desturia schlug Haken, wie ein junges Kaninchen und zog dann die Maschine in einen Steigflug. Der Verfolger heftete sich an ihre Versen und holte weiter auf. Desturia prügelte ihre Maschine in eine enge Linkskurve, dann steil nach unten, Haken rechts und unter einer Brücke hindurch. Doch den Phönix konnte sie einfach nicht abschütteln. Mit feuerspeienden Geschützen durchflog auch er die Brücke. Sie musste ihn loswerden. Sonst konnte sie ihre Flucht durch den Tunnel vergessen. Ihr Gleiter wurde heftig durchgeschüttelt, als eines der Geschosse sein Ziel traf. Ruckartig schaute sie sich um. Im Heck klaffte ein Loch. Aber die Kiste flog noch. Noch. Ein weiterer Treffer und das war's. Desturia schlug einen weiteren Haken und aktivierte die Waffenkontrolle. Zeit zurück zu schießen.

Sie schaute zu dem toten Copiloten rüber. Sein aufgeplatzter Schädel hatte den Fahrgastraum, auf seiner Seite, mit roten Tupfern nur so übersät. Als Desturia ruckartig das Steuer herumriss, schlug der Hinterkopf des Mannes gegen das Seitenfenster und hinterließ eine schmierige Blutspur. Die leblosen, geweiteten Augen schienen Desturia dabei anzustarren.

Desturia roch das Blut und schnalzte mit der Zunge. Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe. Der Militärgleiter schloss weiter auf und machte erneut eine Rakete feuerbereit. Unter ihnen tauchte ein schmales, ausgetrocknetes Flussbett auf, welches sich surreal durch die Wolkenkratzerschluchten schlängelte. Desturia lenkte ihren Gleiter fort von der Eisenbahnlinie, hinunter zu dem schmalen Flusslauf. Der Phönix folgte ihr. Er war nah. Sehr nah. Desturia glaubte fast, den Atem des Piloten im Nacken zu spüren. Instinktiv riss sie das Steuer an sich. Die gezündete Rakete raste unter ihr durch und explodierte an der Böschung. Dann senkte Desturia die Flugbahn erneut. Nur um direkt darauf das Steuer wieder an sich zu reißen. Verbissen kniff sie die Augen zusammen, als sie den Gleiter in einen Looping prügelte.

Der Pilot des Phönix reagierte zu langsam, noch geblendet von der Explosion seiner eigenen Rakete. Ein leiser Fluch kam über die Lippen des Kampfpiloten, als eine Salve Lasergeschosse sein Heck durchsiebte. Dann wurde es heiß, unendlich heiß und laut. Die Flammen aus dem hinteren Teil seiner Maschine leckten brüllend nach seinem Körper und äscherten ihn bei lebendigem Leib ein. Dann explodierte die gesamte Maschine in einem tosenden Feuerball. Glühende Wrackteile gingen im toten Flussbett nieder. Die rasch größer werdende Distanz ließ sie wie das schwachglühende Funkeln ferner Sterne erscheinen.

Desturia schaute auf das Display, auf dem die Umgebungskarte angezeigt wurde. Sie entfernte sich vom Tunnel. Sie ließ den Gleiter ein wenig steigen und schwenkte auf der Höhe einer eingestürzten Brücke wieder links ins Straßennetz ein. Sie hielt den Gleiter so niedrig wie möglich, in der Hoffnung, den feindlichen Ortungsgeräten zu entgehen. Auf weitere Komplikationen konnte sie getrost verzichten. Sie warf ihrem toten Begleiter ein schmallippiges Lächeln hinüber. Dann zwinkerte sie ihm zu und schaute wieder nach vorn. Das dunkle Schwarz der Tunneleinfahrt hob sich, für ihre messerscharfen Augen, deutlich von der schwach beleuchteten Umgebung ab. Ihr Ziel war nun zum greifen nah. Desturia wartete förmlich auf eine böse Überraschung und war schon fast enttäuscht, als diese ausblieb. Unbehelligt passierte sie den Tunneleingang.

Die Dunkelheit im Tunnel war absolut. Absolut und majestätisch. Ohne die Bordinstrumente des Gleiters hätte selbst Desturia nicht mal ihre eigenen Hände vor Augen sehen können. Erst jetzt schaltete sie die Scheinwerfer des Gleiters wieder ein, auf niedrigster Leuchtintensität. Wie das Glitzern der frühen Morgensonne auf der Oberfläche eines ruhigen Sees tanzten die Reflexionen der Scheinwerfer an den glatten, von Laserbohrern geschaffenen, dunklen Gesteinswänden entlang. Langsam spürte Desturia das Adrenalin aus ihrem Blut weichen, und ihre angespannte Atmung glich sich dem gleichmäßigen Dahinsausen des Gleiters an. Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus ihrem Gesicht und studierte erneut die Karte, die nun das gesamte Tunnelnetz der näheren Umgebung zeigte. Am nächsten Abzweig, in gut zwanzig Kilometern, musste sie den linken Tunnel nehmen. Dann würde sie, bis auf eine Entfernung von zehn Kilometern, an das Versteck ihres Raumschiffes herankommen. Ein bequemer Fußmarsch in einer lauschigen, von vier Monden beschienenen Nacht. Er würde ihr gut tun, nach dem Zirkus, den sie gerade erlebt hatte. Zirkus, das war das richtige Wort. Zirkus um einen Datenchip. Der Teufel alleine wusste, was sich auf diesem Chip wertvolles verbarg. Sollte er sein Wissen auch ruhig behalten. Es interessierte Desturia nicht im geringsten. Es war nur ihre Aufgabe gewesen, ihn zu beschaffen. Nur. Pah! Das hatte ja prima geklappt. Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken. Was war hier schief gelaufen? Tja, so ziemlich alles. Angefangen bei der Auswahl der Zielperson, um sich den nötigen Zugang zu verschaffen. Da hatte Corvin ja ganze Arbeit geleistet. Desturia spielte mit dem Gedanken, ihm jeden Knochen einzeln zu brechen und ihn danach einfach in eine Luftschleuse zu werfen. Sie sah förmlich seine vom Vakuum herausquellenden Augen platzen. Aber dann würde sie sich wohl oder übel einen neuen Mittelsmann suchen müssen, um an Aufträge zu kommen. Als Schattenwandler konnte sie schlecht in aller Öffentlichkeit in Erscheinung treten und riskieren, dass man erkannte wer oder besser gesagt, was sie war. Desturia hatte seit über hundert Jahren keinen weiteren Vertreter ihrer Rasse mehr gesehen und sie würde der Galaktischen Inquisition nicht den Erfolg gönnen, ihren vor tausend Jahren begonnenen Kreuzzug, mit ihrem Tod beendet zu haben.

In der Ferne flackerte ein fahles blaues Licht auf. Ein blasser Kranz, der einen dunklen Kern umgab, wie die Corona der Sonne es bei einer totalen Finsternis, mit ihrem Gestirn tat. Der Widerschein des gespenstischen Lichtes wurde rasant heller und der dunkle Fleck in seiner Mitte größer. Ein heranrasender Ionenzug. Desturia hielt die Luft an. Vorsichtig ließ sie den Gleiter ein wenig höher schweben, ganz knapp unter der Tunneldecke. Jetzt würde sich zeigen, ob sie mit ihrer optimistischen Einschätzung vorhin recht gehabt hatte.

Als der Zug sie erreichte, wurde ihr Gleiter sofort von dessen Turbulenzen erfasst. Das brüllende Ungetüm wälzte sich unter ihr hindurch und blendete Desturia nun mit seinen glühend heißen Ionenabgasen. In das wütende Getose des Zuges mischte sich plötzlich das kratzende Schleifen von Metall. Metall auf hartem Felsgestein. Funken stoben vom Dach herunter und tanzten über Front- und Seitenscheibe.

"Sch...", zischte Desturia. Sie kämpfte mit dem bockigen Gleiter. Heftig schüttelte er sich. Mehr und mehr Funken rieselten herab und mischten sich ins Blau des dröhnenden Ionenantriebs, der jetzt genau unter Desturia war. Der Faustschlag eines Riesen traf den Gleiter. Desturia verlor die Kontrolle. Der Gleiter sackte ab. Er schrammte über den Boden. Der Ionenantrieb des Zuges gab ihr noch mal einen ordentlichen Stoß nach vorn. Desturia knallte mit dem Kopf auf die Steuerkonsole und schlug dann hart zurück in den Sitz. Der Gleiter kreiselte über den Boden und rutschte mit kreischendem Lärm die Gleise entlang, bis er kurze Zeit später zum Stillstand kam. Kleine Rauchfontänen waberten an der Außenhülle empor.

Desturia atmete aus. Instinktiv strich sie mit ihren Händen über ihren Körper. Es schien noch alles dran zu sein. "Verdammte Scheiße! Das war knapp." Sie schaute zum Toten auf dem Beifahrersitz.

Er antwortete nicht.

Desturia öffnete die Fahrertür und stieg aus. Der Anblick ihres Gefährts ließ sie stocken. Ein mit Brandflecken, Dellen und Schrammen übersäter Klumpen Schrott, dem ein Großteil des Hecks fehlte. Ein halbes Wunder, dass sie da lebend herausgekommen war. Den Rest des Weges würde sie wohl zu Fuß zurücklegen müssen. Sie schaute in Fahrtrichtung und konnte die zaghaft schimmernde Notbeleuchtung eines Versorgungsschachtes ausmachen, nur wenige Meter voraus.

Sie beugte sich zurück in den Gleiter, streckte sich hinüber zum Beifahrersitz und fischte ihre Pistole unter dem Hintern des Toten hervor. Als sie so über der Leiche hing, stieg ihr der Geruch des Blutes in die Nase. Wer konnte schon wissen, wann sie das nächste Mal Zeit hatte, auf Nahrungssuche zu gehen? Und eine kleine Stärkung auf den Schrecken konnte nicht schaden. Langsam senkte sie ihren Kopf an den Hals des Toten und biss genussvoll in seine Halsschlagader. Sein bereits abkühlendes Blut durchströmte Desturia. Sie sog mit aller Kraft das nicht mehr selbst pulsierende Blut aus seinem Körper. Ein herrliches Gefühl. Kraft. Stärke. Leben.

Als sie fertig war, wischte sie sich das restliche Blut vom Mund und verließ den Gleiter. Der nächste Zug würde ihn in seine Einzelteile zermahlen und mit ihm den blutleeren Copiloten. Eine saubere Art, keine Spuren zu hinterlassen.

In der Ferne hörte Desturia bereits das Dröhnen eines nahenden Zuges, gerade, als sie die Öffnung des Schachtes erreichte und hindurch schlüpfte.

Kapitel 3

Leise strich ein hauchzarter Wind durch die Baumwipfel und ließ die, vom Mondlicht beschienenen, Blätter gespenstisch rascheln. Eine Eule untermalte diese schaurige Melodie mit ihrem traurigen Nachtlied. Den unheilvollen Takt steuerte der ferne, pulsierende Atem der Großstadt bei, der zwar nur kaum zu hören war, aber dem gesamten Intermezzo eine gewisse Prise Bedrohlichkeit gab. Auch auf diese Entfernung noch roch Desturia den fauligen Gestank der industriellen und menschlichen Ausdünstungen. Ein alter, stinkender Mantel, der den gesamten Planeten zu bedecken schien.

Ihr keuchender Atem kondensierte zu flüchtigen Wölkchen, während sie mit knisternden Schritten durch das Unterholz lief. An einer Lichtung blieb sie stehen und schaute auf den kleinen Navigator in ihrer Hand. Noch fünf Kilometer bis zum Schiff. Sie war besser vorangekommen, als sie gedacht hätte. Und das trotz ihrer Hüfte, die leise pochend wieder anfing zu schmerzen. Sie gönnte sich einen kleinen Augenblick zum Verschnaufen und schaute in den Himmel. Über der kleinen Lichtung konnte sie schon drei der vier Monde erkennen. Garamon, der größte von ihnen, stand im Zenit und thronte regelrecht über seinen kleinen Geschwistern. Ein gutes Stück links von ihm war der unförmige Klumpen Maldoran zu sehen, der eher einer überdimensionierten Kartoffel glich und die Bezeichnung Mond in Desturias Augen nicht verdiente, zumal er auch Epidons kleinster Trabant war. Dicht über den Baumwipfeln voraus, kämpfte sich die blauschimmernde Perle Sadonias ihren Weg an den Nachthimmel. Sadonia war der zweitgrößte Mond und verfügte über eine eigene atembare Atmosphäre und war übersät mit vielen kleinen Binnenmeeren und Sümpfen. Die einheimische Bevölkerung bestand aus echsenartigen Wesen, die schon seit Jahrhunderten von der dominierenden menschlichen Spezies Epidons unterdrückt und ausgebeutet wurden. Desturia kannte diesen Mond flüchtig. Er war eine Brutstätte krimineller Machenschaften und die regelrechte Ausgeburt von Korruption und Vetternwirtschaft. Die Regierung Epidons hatte ihren Einfluss schon vor Jahrzehnten verloren und das Feld den Konzernen und Verbrecherkartellen überlassen. Ein richtig liebenswertes Fleckchen zum Leben. Desturia grinste schief. Fehlte ja nur noch Gambrator, ein tektonisch sehr aktiver Mond, dessen Oberfläche von einer dicken, geblichen Schwefelschicht bedeckt war.

Desturia griff in ihre Gürteltaschen und fingerte eine weitere Schmerzampulle hervor. Nur noch zwei Stück. Sie überlegte. Egal, sie war ja gleich beim Schiff und konnte ihre Wunde versorgen. Also rein mit dem guten Zeug.

Desturia stöhnte fauchend auf, als sie sich die Ampulle in den Oberschenkel injizierte. Fast augenblicklich ließ das Pochen in ihrer Hüfte nach. Sie warf noch einmal einen kurzen Blick auf den Navigator, dann überquerte sie schnellen Schrittes die Lichtung und tauchte auf der anderen Seite wieder ab ins Dickicht des Waldes. Je eher sie beim Schiff war, desto größer ihre Chancen, von diesem verdammten Planeten weg zu kommen.

Desturia musste unweigerlich an den Angriffsgleiter denken, der ohne Rücksicht auf zivile Verluste, alles in Schutt und Asche gelegt hatte. Wussten die Epidonier, wer Desturia war? Sie hoffte nicht. Andernfalls würde es bestimmt noch eine unterhaltsame Reise werden, wenn sie es überhaupt aus der Atmosphäre des Planeten schaffte.

Ganz in der Nähe ertönte das vielstimmige Aufheulen eines Wolfsrudels auf Beutezug; ein markerschütterndes Jaulen, dass einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Desturia blieb stehen. Das Blätterdach war mittlerweile so dicht, dass kaum noch Mondlicht bis zu ihr auf den Boden drang. Sie reckte den Kopf in die Höhe und sog die Luft kräftig durch ihre Nase ein, in dem Versuch die Witterung aufzunehmen. Vergeblich. Also befanden sich die Wölfe mit dem Wind. "Na ganz toll", raunte sie. Genau zwischen ihr und dem Schiff. Sie steckte den Navigator in die Tasche, griff nach ihrer Pistole und entsicherte sie. In Erwartung eines plötzlichen Angriffs tastete sie sich langsam vor. Die Tatsache, dass sie als Schattenwandlerin einen wenig ausgeprägten Körpergeruch hatte, brachte ihr nun einen entscheidenden Vorteil. Vielleicht konnte sie ja sogar das Rudel umgehen.

Als sich die Bäume ein wenig lichteten, konnte sie ihr, mit Tarnnetzen abgedecktes, Schiff sehen. Sie hatte es geschafft. Das sanfte Mondlicht, das hier durch das offene Blätterdach fiel, verwandelte es in einen gigantischen, grünen Laubberg, der von der Luft aus, so hoffte Desturia zumindest, kaum zu ent