Deutsch für alle - Abbas Khider - E-Book

Deutsch für alle E-Book

Abbas Khider

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Beschreibung

Hitler, Scheiße, Lufthansa. Diese drei deutschen Wörter kennt Abbas Khider, als er aus dem Irak flieht. Zwanzig Jahre später ist er ein vielfach ausgezeichneter deutscher Schriftsteller, der akzentfrei schreibt – aber nicht spricht. Dies ist sein ungewöhnliches Lehrbuch für ein neues Deutsch. "Deutsch für alle" ist ein Trostbuch für alle Deutschlernenden und deren Angehörige, für Expats, Einwanderer und Menschen in mehrsprachigen Liebesbeziehungen. Und es ist ein herrliches Vademecum für alle Lauchs, die glauben, die deutsche Sprache bereits zu kennen – und Spaß an ihr haben. Provokant, erhellend und unterhaltsam gelingt Abbas Khider dabei auch ein satirischer Blick auf die deutsche Gesellschaft.

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Über das Buch

Hitler, Scheiße, Lufthansa. Diese drei deutschen Wörter kennt Abbas Khider, als er aus dem Irak flieht. Zwanzig Jahre später ist er ein vielfach ausgezeichneter deutscher Schriftsteller, der akzentfrei schreibt – aber nicht spricht. Dies ist sein ungewöhnliches Lehrbuch für ein neues Deutsch. "Deutsch für alle" ist ein Trostbuch für alle Deutschlernenden und deren Angehörige, für Expats, Einwanderer und Menschen in mehrsprachigen Liebesbeziehungen. Und es ist ein herrliches Vademecum für alle Lauchs, die glauben, die deutsche Sprache bereits zu kennen – und Spaß an ihr haben. Provokant, erhellend und unterhaltsam gelingt Abbas Khider dabei auch ein satirischer Blick auf die deutsche Gesellschaft.

Abbas Khider

Deutsch für alle

Das endgültige Lehrbuch

Carl Hanser Verlag

Für alle, die auch aus den Randbemerkungen eine Hoffnung herauslesen können, wollen und werden.

Mascha Kaléko

Heimweh, wonach?

Wenn ich »Heimweh« sage, sag ich »Traum«.

Denn die alte Heimat gibt es kaum.

Wenn ich Heimweh sage, mein ich viel:

Was uns lange drückte im Exil.

Fremde sind wir nun im Heimatort.

Nur das »Weh«, es blieb.

Das »Heim« ist fort.

Inhalt

Das Wohltemperierte Deutsch

Die Traumata der Nomina in der deutschen Deklinationsanstalt

Das Taiwanesische im deutschen Satzbau

Die leidenden Materien in den Bundesländern

Die Verteidigung der langen Unterhosen

Die Präpositionen von Allah

Im verbalen Namen der Familie

Döner-Dürüm im deutschen Alphabet

Der Traum von der Umlaute-Verprügeln-Mode

Vorbemerkung

Nicht alle Ereignisse, die hier erzählt werden, haben sich wirklich so zugetragen. Einige habe ich verfälscht. Nicht alle Einfälle sind originell, ein paar habe ich gestohlen oder ausgeliehen. Dies Büchlein ist ernsthafter sprachwissenschaftlicher Schwachsinn.

Das Wohltemperierte Deutsch

»Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd.«

Karl V.

Beginn

Als ich in der Bundesrepublik ankam, kannte ich lediglich drei deutsche Wörter: HITLER, SCHEISSE und LUFTHANSA. Das sind international bekannte Begriffe. Viele Menschen kennen sie, ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein.

Von dem österreichischen Künstler Adolf HITLER habe ich zum ersten Mal im Zentrum von Bagdad erfahren. Die arabische Übersetzung seines Buches Mein Kampf lag überall auf den Tischen und in den Schaufenstern der Buchläden meiner Heimatstadt. Es war das Lieblingsbuch des älteren Sohnes des irakischen Diktators. Daher die weite Verbreitung.

Von der großen Fluggesellschaft, der Deutschen LUFTHANSA, hörte ich erstmals auf meiner Flucht durch zahlreiche Länder. Es war wohl in Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Lufthansa gehörte zu jener Zeit, zusammen mit den Wörtern VISA und ASYLUM, zu den meistverwendeten Fachbegriffen der Vertriebenen. Die Maschinen der Lufthansa, so unerreichbar wie Europa, so märchenhaft wie ein fliegender Teppich. Nur die Reichen und Mächtigen unter den Flüchtlingen hatten einen legalen oder illegalen Zugang zu dieser Fluglinie, was zugleich bedeutete, dass sie mit ihrer Anreise aus der Luft ihre Asylchancen erhöhten. Denn tatsächlich gab es eine Sonderregelung für diejenigen Einreisenden, welche die Grenzen nicht auf dem Landweg passierten.

Von der erwähnten SCHEISSE erfuhr ich erst in Italien. Ich lungerte dort wochenlang mit einer Menge anderer Asyltouristen am Bozener Hauptbahnhof herum. Wir warteten auf eine günstige Gelegenheit, um über die nahegelegene Grenze zu kommen und weiterzureisen. Eines Tages kam ein freundlicher Mitarbeiter der Caritas vorbei, ein Deutscher. Er brachte ein paar Decken für uns mit. Als einer ihn fragte, wie das Leben für die Asylbewerber in Deutschland so sei, antwortete er: »Scheiße.« Allein der zischende, spitze Klang dieses Wortes machte uns die Bedeutung schon klar. Er schwieg, dann ergänzte er auf Englisch: »Dieses Wort werdet ihr noch oft verwenden.« Wie recht er behalten sollte! Das meistgesprochene Wort der Bürger auf deutschen Straßen und Gehwegen ist: SCHEISSE.

Im Jahr meiner Ankunft in Deutschland war ich siebenundzwanzig Jahre alt. Nun, fast zwei Jahrzehnte später, ist mein Wortschatz zum Glück etwas angewachsen. Ich kenne heute sogar Wörter mit über dreißig Buchstaben, wie NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEIT oder ARBEITERUNFALLVERSICHERUNGSGESETZ. Solch ein Ausdruck ist in meiner Muttersprache ein Ding der Unmöglichkeit. Das längste Wort der arabischen Sprache besteht aus zehn Buchstaben – inklusive des Artikels! Ich kenne inzwischen auch allerlei kuriose deutsche Ausdrücke, die so vermutlich in keiner anderen Sprache oder Kultur der Welt entstanden sein könnten, wie z. B. KUMMERSPECK, FREMDSCHÄMEN, LEBENSPLANUNG oder WARMDUSCHER.

Auch die Grammatik ist mir mittlerweile so geläufig, wie die zahlreichen Paragrafen der Steuererklärung es notgedrungen sind. Deutsche Paragrafen und deutsche Grammatik haben etwas gemeinsam: Sie sind zum Heulen. Beide Themenfelder haben mich im Laufe der Jahre an den Rand des Wahnsinns gebracht und mehr Tränen vergießen lassen als manch schreckliche Erfahrung während meiner Flucht.

Heute habe ich keine Schwierigkeiten mehr, mehrere Adjektive mit unterschiedlichen Artikeln und verschiedenen Nomina gleichzeitig zu deklinieren. Auch kann ich ein Verb in allen Zeitformen konjugieren oder es am Ende eines Nebensatzes einordnen. Das ist eine gewaltige Herausforderung für jeden, der die deutsche Sprache erlernen will. Der Rest der Menschheit, zumindest der Teil, den ich kenne, ist daran gewöhnt, nicht alles gleichzeitig zu deklinieren und zu konjugieren, und auch daran, das Verb an den Anfang oder an die zweite Position eines Satzes zu stellen. Ich bin tatsächlich unglaublich stolz darauf, all das jetzt zu beherrschen. Es hat mich mehr als ein verfluchtes Jahrzehnt gekostet, bis ich diese seltsame Welt aus Konjugationen, Deklinationen und Präpositionen wirklich verstanden habe.

Sie als vermutlich muttersprachlich deutscher Leser dieses Buches können sich höchstwahrscheinlich nicht vorstellen, was diese grammatikalischen Phänomene im Kopf eines Menschen veranstalten, der all das neu lernen muss. In meinem Gehirn haben sie vieles durcheinandergebracht. Ich weiß nicht, wie andere das erleben, aber ich habe, wie eine gespaltene Persönlichkeit, noch immer mindestens drei sprachliche Arbeitsebenen gleichzeitig in meinem winzigen Kopf. Wenn ich einen Satz, zum Beispiel über die gegenwärtige politische Situation in Guatemala, in einem Gespräch äußern will, muss ich zuerst entsprechende Wörter und Wendungen aus meinem Gedächtnis abrufen. Das ist die erste Hürde. Gleichzeitig versuche ich in einem zweiten Schritt, meine Gedanken zu sortieren. Deutlich in der Aussprache und inhaltlich mit den richtigen Worten muss man sich ja ausdrücken, um Missverständnisse zu vermeiden. Zugleich muss ich auf der dritten Ebene an bestimmte brenzlige Punkte der deutschen Grammatik denken, an den richtigen Artikel beispielsweise, an die ordnungsgemäße Deklination, an die korrekte Verbflexion, an die genaue Verbposition im Nebensatz. Alle diese Arbeitsschritte finden gleichzeitig statt, bevor überhaupt ein richtiger deutscher Satz aus mir rauskommt. Ich bin wie ein kleiner Sprachcomputer, der aufwändige Berechnungen vornehmen und seinen Prozessor, die Festplatte und den Arbeitsspeicher an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit treiben muss, damit ich kommunizieren kann. Seit Jahren funktioniert das alles zwar einwandfrei, aber nur mit großem Kraftaufwand. Und trotz aller Mühe unterlaufen mir noch immer Fehler, Stilblüten oder linguistische Lächerlichkeiten.

Oft frage ich mich, was mir am besten geholfen hat, richtiges Hochdeutsch zu erlernen. Ich glaube, ausschlaggebend war hierbei vor allem mein Magisterstudium der Komparatistik: Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft als Hauptfach und Neuere Deutsche Literatur sowie Philosophie als Nebenfächer an der Universität München. Um überhaupt studieren zu können, musste ich zuvor natürlich ein gewisses Maß an Sprachfertigkeit erlangt haben, das mich, das ist kein Witz, fünf Jahre und tausende Unterrichtsstunden gekostet hat. Vielleicht wäre es auch einfacher gewesen, etwas anderes zu studieren, ein Fach, das keine so hohen Anforderungen an die Sprachkompetenz stellt wie Literaturwissenschaft oder Philosophie. Aber Bücher waren schon immer meine Leidenschaft, und der größte Lernerfolg stellt sich doch ein, wenn man ohne Schwimmärmchen ins kalte Wasser gestoßen wird.

Im zweiten Nebenfach beschäftigte ich mich in den ersten Semestern mit der »Geschichte der Philosophie« und besuchte Seminare über Nietzsche und Schopenhauer, die ich bis heute sehr schätze und in deren Büchern ich immer wieder blättere. Auch wenn ich damals viele ihrer Sätze nicht begriff, konnte ich mir aus dem Kontext irgendetwas zusammenphantasieren. Selbst die deutschen Studenten mussten sich die Texte wortweise erschließen, als seien sie in einer Fremdsprache geschrieben. Es gibt wohl kein Fach im Deutschen, das mit Philosophie vergleichbar ist, was die Komplexität der Gedanken und zugleich den Anspruch an sprachliche Präzision betrifft. Ansonsten halfen mir meine Wörterbücher. Ich hatte ein Deutsch-Arabisch-, ein Arabisch-Deutsch- und ein Deutsch-Deutsch-Wörterbuch. Im dritten Semester besuchte ich eine Vorlesung zur Erkenntnistheorie und beschäftigte mich in einem Seminar mit drei Philosophen: Kant, Heidegger und Hegel. Doch ich verstand weder ihre Haupt- noch ihre Nebensätze. Im Vergleich dazu sind die Werke von Nietzsche, Schopenhauer oder den französischen Denkern sprachlich das reinste Vergnügen. Aus dem Kontext konnte ich mir überhaupt nichts mehr erschließen, und in meinen Wörterbüchern fand ich auch keine wirkliche Hilfe, da man zum Verstehen selbst einzelner Fachbegriffe eigentlich wiederum drei Werke der Sekundärliteratur lesen müsste. Viele Begriffe und Formulierungen, die Kant und Hegel damals verwendeten, existieren heutzutage nicht mehr, und Heidegger, nun, Heidegger ist ja bekannt für seine Wortneuschöpfungen und seinen wirklich eigenwilligen Umgang mit Sprache.

Es war deprimierend. Ich dachte oft daran, das Fach zu wechseln. Das altgriechische Wort philosophía bedeutet ja »Liebe zur Weisheit«, doch diese Wortbedeutung kam mir in jener Zeit wie die reinste Verarschung vor. Mit Heidegger ist die Philosophie nicht die Liebe zur Weisheit, sondern die Sehnsucht nach Depression. Ich war neidisch auf alle Menschen, die keine Ahnung von der deutschen Philosophie hatten, ebenfalls auf diejenigen, die noch nicht geboren waren und deshalb noch nie von diesen irren Typen gehört hatten. Ich nannte diese drei Männer irgendwann die »Dreifaltigkeit des Grauens«, und meine Kommilitoninnen und Kommilitonen lachten sich darüber tot. Ein Mitstudent riet mir irgendwann, ich solle ein persönliches Beratungsgespräch mit einem Dozenten vereinbaren. Ich ging also zu Professor Axel Hutter, einem überaus sympathischen Mann, bei dem ich die »Einführung in die Philosophie« besucht hatte. Er war erst einmal sehr verblüfft, dass ich nicht wegen formaler Fragen und Studienleistungen da war. Er behauptete, er erlebe es nicht oft, dass ein Student zu ihm komme und tatsächlich eine inhaltliche Frage habe, es gehe doch häufig nur um Scheine und Nachweise. Schließlich empfahl er mir, ich solle meine arabischen Wörterbücher zur Seite legen, philosophische Lexika kaufen und möglichst viel Sekundärliteratur lesen, bevor ich überhaupt mit der Primärliteratur anfinge. Sonst klappe es nicht mit harten Nüssen wie Kant oder Heidegger. Ich solle ihre Sätze, Begriffe und Thesen ohne fremdsprachige Hilfswerke zu entziffern lernen und würde sie dann allmählich begreifen.

Es war eine sehr mühsame Lernmethode, doch schnell merkte ich, dass sie wahrhaftig funktionierte. Ich verzichtete von nun an für immer und ewig auf meine arabischen Wörterbücher und lebe seitdem mit diversen Lexika und Duden-Bänden zusammen, mit einer Einführung in die Philosophischen Grundbegriffe und mehreren Werken unterschiedlicher Autoren mit dem Titel Philosophisches Wörterbuch. Doch die meiste Zeit über dachte ich, alles sei auf Chinesisch mit russischen Buchstaben geschrieben und das Thema sei die Funktionsweise eines Raketenantriebs. Mein Schreibtisch ist auch heute noch ein Gebirge aus Hilfswerken. Der Himalaya des Deutschlernens durch ein Philosophiestudium. Das ist so, als müsste man in der Formel 1 das Autofahren erlernen. Die »Dreifaltigkeit des Grauens« tatsächlich bis ins Detail durchdrungen zu haben, kann ich nicht von mir behaupten. Aber das kann vermutlich nur jemand, der nicht nur Philosophie studiert, sondern danach über einen dieser Philosophen promoviert hat. Denn mit weniger als einem Doktortitel hat man in diesem Fach allenfalls den Bodensatz verstanden und an der Oberfläche gekratzt. Nichtsdestotrotz führte diese harte Schule dazu, dass ich mich nicht länger verzweifelt an meine Muttersprache klammerte, sondern mich dem Deutschen endgültig öffnete. So ist ein zweiter Abbas in mir gewachsen, gewissermaßen ein Herr Abbas Müller-Schmidt, der eine manchmal eigenwillige Technik des Lesens, Verstehens und Formulierens auf Deutsch nutzt, die ihm früher im Studium geholfen hat und jetzt im Berufsleben weiterhilft.

Trotzdem kann ich beileibe nicht behaupten, perfektes Deutsch zu sprechen oder zu schreiben. Ja, noch immer leide ich unter chronischen linguistischen deutschen Traumata.

Vokale und Umlaute

Diese Sprache ist nichts weniger als ein Ungeheuer, was ihre Komplexität und Ausdrucksmöglichkeiten angeht. Ich meine damit nicht nur die heimtückischen Artikel, die gefährlichen Deklinationen, auflauernden Verbflexionen und die Stolperfallen der Verbposition, sondern auch den Kasus des Dativs und Genitivs, die unzähligen Pronomen und Präpositionen, die unregelmäßigen und trennbaren Verben, die Umlautbuchstaben und viele andere seltsame sprachliche Eigenheiten.

Irgendwann schaffte ich es, etwas gegen einen großen Teil dieser kniffligen Biester und wilden Bestien zu unternehmen. Ich konnte sie beruhigen und besänftigen, als hätte ich mich zu einem Trainer ausbilden lassen, der mit tollwütigen Tieren arbeitet. Mit der Geduld von zweihundert Kamelen habe ich mich durch die Wüste des Sprachenlernens geschleppt. Doch die Umlaute Ä, Ö und Ü