Deutsche Predigten und Traktate - Meister Eckehart - E-Book

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Meister Eckehart

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Beschreibung

Das sind die Reden, die der Vikar von Thüringen, der Prior von Erfurt, Bruder Eckehart, Predigerordens, mit solchen (geistlichen) Kindern geführt hat, die ihn zu diesen Reden nach vielem fragten, als sie zu abendlichen Lehrgesprächen beieinander saßen.

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Meister Eckehart

Deutsche Predigten und Traktate

Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint

Diogenes

Meiner Mutter

Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar.

Meister Eckehart

Einleitung

Die Mystik des deutschen Mittelalters ist eine späte Frucht der Überreife des Übergangs vom hohen zum späten Mittelalter, des Niedergangs der glanzvollen staufischen Ritterkultur, die langsam von einer heraufkommenden bürgerlichen Städtekultur abgelöst wird.1 Es ist im Wesentlichen das vierzehnte Jahrhundert, das zugleich mit den Domen der Spätgotik die vollreife Blüte der deutschen Mystik erstehen sieht. Es ist eine Zeit des Umbruchs und der Krisen, da die beiden mächtigen Gewalten des Papsttums und des Kaisertums nach dem Sieg der großen Päpste Innozenz III. und Gregors IX. über den letzten großen und machtvollen Staufer Friedrich II. (1212–1250) und nach der kaiserlosen, der »schrecklichen« Zeit des Interregnums (1256–1273) einen zersetzenden Endkampf miteinander führen, voll von Wirren und Wechselfällen, von Bann und Interdikt, wobei die Schwächung und Erschütterung auch der päpstlichen Macht in der sog. Babylonischen Gefangenschaft der Päpste in Avignon (1309–1377) nur zu deutlich sichtbar wird. Der machtvolle, hierarchisch gegliederte Bau der Kirche ist bedroht von Schäden und Rissen, von sektiererischen und ketzerischen Bewegungen und Bestrebungen, die immer stärker und unüberhörbarer nach einer Reform an Haupt und Gliedern rufen. Zugleich wird die Zeit erschüttert und erschreckt durch furchtbare Naturkatastrophen, durch Verwüstungen, Erdbeben und Überschwemmungen, durch das Gespenst des schwarzen Todes, das durch die Lande zieht und im Motiv des Totentanzes, das damals erstmalig in der Kunst gestaltet wird, so schauervoll an die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen gemahnt. Es war jene Zeit des »Herbstes des Mittelalters«, in der eine an Körper und Seele gefolterte Menschheit die Schauder des Todes und der Verwesung zutiefst erlebte und durchkostete. Die glanzvolle Entfaltung und der imponierende Ausbau des hochscholastischen Wissenschaftssystems, wie es seine Krönung in den großen Summen des Thomas von Aquin gefunden hatte, war vorbei. Neben dem die Hochscholastik tragenden und beherrschenden Realismus, für den das wahre und echte Sein der Dinge in ihrem Allgemeinen, Gattungsmäßigen steckt und dem menschlichen Denken in seinen Gattungsbegriffen fassbar wird, hatte der Nominalismus immer mehr an Boden gewonnen. Bei seiner starken Skepsis gegenüber der Gültigkeit und Reichweite menschlichen Erkennens hatte er die menschlichen Allgemeinbegriffe als bloße »flatus«, als bloßen Hauch, als reine »nomina« bezeichnet, denen keinerlei ontisches Sein in den Dingen entsprach. Das Sein war nur in den Individualdingen zu finden und nicht durch abstrakt-logisches Denken und Schlussfolgern, sondern nur aufgrund von Beobachtung, durch Messen und Wägen der Qualitäten und Verhaltensweisen der Individualdinge. Ein neuer Geist, der Geist des modernen naturwissenschaftlichen Denkens und Erkennens mittels des Experiments kündigte sich in diesem Nominalismus schon von ferne an. Im Kampf der spätscholastischen Schulen und Richtungen verlor das religiöse Gefühl und die religiöse Erfahrung umso mehr an Stärke des Empfindens und Erlebens, als sie in der spätscholastischen Theologie und Philosophie mehr und mehr Gegenstand einer begrifflichen und erkenntnistheoretischen Bestimmung und Zerfaserung wurden.

In dieser Zeit der Krise brach das religiöse Urbedürfnis nach unmittelbarer religiöser Erfahrung und Erschütterung in breitesten Schichten des Volkes mit elementarer Gewalt erneut auf und suchte das Heil im Sektenwesen und in der Mystik. Die deutsche Mystik erblühte in diesem 14. Jahrhundert als das Heilmittel für die zu spannungsvoll gewordene Disharmonie zwischen Diesseits und Jenseits, die die Zeit zerriss und die Menschen in qualvoller Angst vor den vermeintlich einmal wieder bevorstehenden Enddingen beunruhigte. Denn Mystik besagt die Überspannung und Befriedung dieser Disharmonie, besagt nicht Transzendenz, sondern Immanenz des Göttlichen, besagt das Innewerden Gottes in der eigenen Brust im Erlebnis der unio mystica.

Diese Mystik lag in der Luft, und sie hatte schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der Magdeburger Begine Mechthild von Magdeburg (um 1210–1283?) und in der flämischen Mystikerin Suster Hadewich († um 1260) als Trägerinnen einer gefühlsstarken, Bernhardisch getönten Nonnenmystik einen starken dichterisch gestalteten Ausdruck gefunden, der vom deutschen Minnesang befruchtet wurde. In den Werken dieser beiden bedeutendsten Vertreterinnen einer in den Niederlanden, zumal aber im thüringischen Benediktinerinnenkloster Helfta erblühenden christozentrischen und auf weite Strecken visionär-prophetischen Frauenmystik macht sich hie und da schon ein schwacher Ansatz zu dem bemerkbar, was man mystische Spekulation oder spekulative Mystik nennt, etwas stärker schon in Mechthilds »Fließendem Licht in der Gottheit« als in den »Visioenen« der Hadewich. Vielleicht sind diese schwachen Ansätze zu einer mit scholastisch-wissenschaftlichen Denkmitteln arbeitenden Spekulation oder Reflexion über die mystische Erfahrung in der unio mystica schon Frucht dessen, was Denifle in seiner Abhandlung »Über die Anfänge der Predigtweise der deutschen Mystiker«2 als den eigentlichen Anstoß zur Entstehung einer in zahlreichen deutschsprachigen Predigten und Traktaten sich niederschlagenden mystischen Bewegung angesehen hat: die Übertragung der cura monialium, d.h. der geistlichen Betreuung und Unterweisung der weiblichen Klosterinsassen des Dominikanerordens auf die fratres docti dieses Ordens. Insbesondere wohl als Folge der starken Ritter-Verluste der Kreuzzüge strömten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts unzählige verwitwete und verwaiste Frauen, zumal des hohen und niederen Adels, in die wie Pilze aus dem Boden schießenden dominikanischen Frauenklöster. Diese Frauen der höheren Gesellschaftsschicht besaßen einen starken Bildungshunger, insbesondere nach religiös-theologischer Unterweisung, und überdies waren viele von ihnen von starker visionssüchtiger Erregbarkeit und oft exzentrisch übersteigerter Gefühlsinbrunst. Indessen hätte dies wohl kaum genügt, die magistri und lectores des Dominikanerordens, denen vom Ordensgeneral Hermann von Minden 1286/1287 und vom Papst Clemens IV. 1267 die cura monialium erneut übertragen und eingeschärft wurde, zur Entwicklung einer spezifisch mystischen und gar spekulativ-mystischen Predigtweise anzuregen, wenn Mystik nicht in der Luft gelegen hätte und wenn nicht die Prediger selbst jenen intuitus mysticus besessen hätten, der erst zum Mystiker macht. Dietrich von Freiberg (um 1250 – um 1310) soll der Erste dieser fratres docti gewesen sein, wie berichtet wird, der in deutschsprachigen Predigten den »geistlichen kinden« die Weisheit des mystischen Nichtwissens verkündet habe. Jedoch sind uns solche Predigten von ihm nicht erhalten.

Der erste Dominikaner-Prediger, dessen hinterlassener mystischer deutscher Predigtschatz uns in großem Umfang überliefert und greifbar ist, ist zugleich der deutschen Mystik beredtester Verkündiger, ist ihr bei weitem überragender Geist und ihr tiefster Denker, ihr Einziger wirklich schöpferisch begabter spekulativer Kopf: Meister Eckehart. Nur weniges ist uns über seinen äußeren Lebensgang bekannt, dessen Daten bis zur Höhe des reifen Mannesalters nur unsicher erschlossen werden können. Aber diese wenigen äußeren Daten sind Marksteine des meteorhaften Aufstiegs eines Großen und eines düsteren Missgeschicks, das jäh über seinen Lebensabend hereinbrach.

Um 1260 ist Eckehart unweit Gotha in Hochheim in Thüringen aus ritterlichem Geschlechte geboren. In jungen Jahren trat er in den Konvent des Predigerordens der Dominikaner in Erfurt ein. Schon früh muss die Ordensleitung die überragende Begabung Eckeharts für das Lehr- und Führeramt erkannt haben, denn zwei wichtige Ämter zugleich hat er schon inne, als das früheste uns bekannte deutschsprachige Werk entsteht: Die »Reden der Unterweisung«, »die der vicarius von türingen, der pryor von erdfortt, bruder eckhartt predierordens mit solchen kindern geredtt haud, die in diser rede fragten vil dings, da sie saßen in colaczionibus mit einander.«3 Es sind Tischlesungen für die Angehörigen seines Konvents, und sie tragen bereits unverkennbar die Züge des Lese- und Lebemeisters in der zwingenden Gewalt seiner andringenden Sprache und dem verwegen unbeirrbaren Griff, mit dem die geheimsten Regungen in der Tiefe des seelischen Ich bloßgelegt werden: »Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn, wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur.«4 »Die Leute brauchten nicht soviel nachzudenken, was sie tun sollten; sie sollten vielmehr bedenken, was sie wären.«5 »Denn die Werke heiligen nicht uns, sondern wir sollen die Werke heiligen.«6 Sage nicht: »Ich möchte nächstens« sondern: »Ich will, dass es jetzo so sei!«7 und in diesem kraftvollst gesammelten Willen einen einzigen Schritt nach vom getan »wäre besser, als ohne ihn übers Meer gefahren«,8 und solltest du in diesem Willen auch einmal straucheln, lass nicht ab, denn, »weil dann und wann Raden unter das Korn fallen, darum soll man das edle Korn nicht verwerfen.«9

Wann diese »Reden der Unterweisung« entstanden sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wahrscheinlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts, nachdem Eckehart vom Studium generale des Ordens in Köln, wo er vielleicht noch den großen Albert den Deutschen als Lehrer gehört hat, in die thüringische Heimat zurückgekehrt war. Es ist kaum begreiflich, dass man die Echtheit dieser aus einzelnen Tischlesungen zusammengefügten »Reden« bezweifeln konnte. Nicht nur die Diktion, der Rhythmus und Stil dieses Werkes verraten schon unverkennbar den späteren gefeierten Prediger: Auch die Kern- und Grundgedanken der »Reden« nehmen bereits vieles von dem vorweg, was Eckehart in seinen nachmaligen Predigten verkündigen wird; ja viele dieser Gedanken stehen schon in gleicher oder doch ähnlicher Formulierung in dem Erstlingswerk wie im »Büchlein der göttlichen Tröstung« als der bedeutendsten und reifsten deutschen Schrift des Mystikers.

Das Ohr der Ordensleitung war offen für die Töne eines genialen Seelenanalytikers und den mitreißenden Schwung seiner bannenden Rede. Man spürte, dass in diesen »Reden« ein kühner Geist seine Schwingen regte, und man entschloss sich, ihm den Raum zum Hochfluge freizugeben. Man sandte den Bruder Eckehart im Jahre 1300 an das Studium generale St. Jaques an der Universität Paris als der geistigen Metropole des damaligen Abendlandes. Schon nach zwei Jahren erlangte Eckehart im Jahre 1302 den Magister-Titel, nachdem er als Baccalaureus pflichtgemäß an der Pariser Universität Vorlesungen über die »Sentenzen« des Petrus Lombardus gehalten hatte. Nach seiner Rückkehr von Paris wählte das Ordenskapitel zu Erfurt im Jahre 1303 den »Meister«, wie er nun genannt wurde, zum ersten Provinzial der neu gegründeten sächsischen Ordensprovinz. Vier Jahre später übertrug man dem bewährten Provinzial neben seinem hohen Amt noch das eines Generalvikars der verwaisten böhmischen Provinz mit dem Auftrag, eine durchgreifende Reform der verwahrlosten böhmischen Ordenskonvente durchzuführen. Théry hat vor kurzem, wenn auch kaum überzeugende Gründe für die Annahme vorgetragen, dass Eckehart während der Zeit seines böhmischen Vikariats sein berühmtes »Trostbuch« für die leidgeprüfte Königin Agnes von Ungarn verfasst hat nach der Ermordung ihres Vaters, König Albrechts I. von Österreich im Jahre 1308. Wer dieses »Büchlein der göttlichen Tröstung« zusammen mit dem in enger Beziehung zu ihm stehenden sog. Sermon »Vom edlen Menschen« liest, wird zumal in den Eingangspartien des »Trostbuches« überrascht und erstaunt sein darüber, dass eine Frau des beginnenden 14. Jahrhunderts durch äußerst subtile, abstrakte und ebenso schwer verständliche Spekulationen über das metaphysische Beziehungsverhältnis des Gerechten zur Gerechtigkeit und der übrigen perfectiones spirituales zu ihren irdischen Trägern, über Fragen der Trinitätsspekulation u.a. in ihrem Leid getröstet werden konnte. Er wird die Erklärung für diese uns Heutigen so seltsam und unbegreiflich erscheinende Tatsache darin finden, dass Eckehart in der großen Tradition des platonisch-neuplatonischen Denkens stand, wie es von Platon und Plotin über Proklus, Pseudo-Dionysius, Scotus Eriugena, die Viktoriner bis zu Albertus Magnus und seinen Schülern Hugo Riplin und Ulricus Engelberti sich fort- und umbildend lebendig geblieben war. Für diesen Realismus neuplatonischen Denkens war die Welt der platonischen Ideen, die Welt der ewigen Vorbilder irdisch-kreatürlichen Einzelseins, die unvergänglich-vollkommene Welt unzerstörbaren Seins und damit der unerschöpfliche Born göttlichen Trostes für den dem dauernden Werden und Vergehen und seinen Leiden ausgesetzten irdischen Menschen. Dass dieses köstliche »Trostbüchlein« nicht nur der Königin Agnes Trost gespendet hat und dass man seinen von schwierigen Spekulationen und Gedanken trächtigen Inhalt nur unzureichend und oft garnicht verstand, das zeigt der stark variierende Wortlaut und die Fehlerhaftigkeit der uns erhaltenen handschriftlichen Texte, zeigt aber auch deutlich der Umstand, dass man beim nachmaligen Inquisitionsprozess Eckeharts eine Reihe von Stellen des »Trostbuches« zum besonderen Gegenstand der Anklage und Untersuchung gemacht hat.

Im Jahre 1310 hätte man dem schon berühmten Meister gern auch die süddeutsche, alemannische Ordensprovinz zur Führung anvertraut, wenn nicht die scharfe Rivalität mit den Franziskanern den scharfsinnigsten und kühnsten Kopf des Ordens auf den Lehrstuhl in Paris verlangt hätte. Und so bestätigte das General-Kapitel von Neapel die Wahl Eckeharts zum süddeutschen Provinzial nicht, sondern sandte den Meister zum zweiten Mal auf die Lehrkanzel an die Universität Paris. Während seines ersten Pariser Aufenthaltes hat Eckehart in einer seiner Quaestiones Parisienses eine ebenso eigenartige wie kühne und herausfordernde Auseinandersetzung mit dem Ordensgeneral der Franziskaner Gonsalvus de Vallebona durchgefochten. Man darf wohl annehmen, dass der Meister während seines zweiten Aufenthaltes in Paris, von dem wir nicht wissen, wie lange er sich erstreckte, den Grund gelegt hat zu seinem nur fragmentarisch auf uns gekommenen und wohl auch nie von ihm vollendeten lateinischen großen Opus tripartitum, dem »dreigeteilten Werk.«

Schon im Jahre 1314 finden wir Eckehart in Straßburg als Leiter des dortigen Dominikaner-Konvents im Zentrum der zu kräftigstem Leben erblühten deutschen Mystik als ihren unbestrittenen und schwärmerisch verehrten geistigen Führer. Hier in Straßburg hat der Meister als weit über die deutschen Grenzen hinaus gefeierter Prediger im Zenith seines Ruhmes und seines erfolggekrönten Wirkens gestanden. Sicher ist ein großer Teil seiner so aufwühlenden, ja aufreizenden Predigten während der Straßburger Zeit in den vielen Frauenklöstern des oberen Rheintals als den eigentlichen Pflanzstädten und Zentren mystischen Geistes und Lebens gehalten und erstmalig nach dem gesprochenen Wort in Nachschriften seiner Hörerinnen mehr oder weniger verständnisvoll oder unzulänglich und fehlerhaft aufgezeichnet worden.

Noch einmal – wir wissen wieder nicht, wann – gab der Orden dem Meister ein Vertrauensvotum, als man den Sechziger auf den Lehrstuhl am Studium generale in Köln berief, den ehedem der Große Albert der Deutsche innegehabt hatte. Hier aber sollte den berühmten Mystiker sein Schicksal ereilen und seinen Lebensabend umdüstern. Der Erzbischof von Köln, Heinrich von Virneburg, der die Verfolgung der damals weitverbreiteten Sekten, insbesondere der Begarden und der »Brüder vom freien Geiste« mit nachdrücklichem Eifer betrieb, eröffnete 1326 gegen Eckehart ein Inquisitionsverfahren wegen Verbreitung glaubensgefährlicher Lehren in deutschsprachigen Predigten vor dem Volke. Die Akten über das in Köln durchgeführte Verfahren sind uns in Abschrift in einer Handschrift der Soester Stadtbibliothek erhalten. Sie umfassen das Protokoll zweier Verhandlungen vor der vom Erzbischof berufenen Inquisitionskommission, in denen man Eckehart zunächst 49 aus seinen lateinischen Werken, aus dem »Büchlein der göttlichen Tröstung«, sowie aus seinen deutschen Predigten exzerpierte und inkriminierte Textstellen und späterhin noch einmal 59 beanstandete Exzerpte nur aus deutschen Predigten zur Stellungnahme, bzw. Verteidigung vorlegte. Eckehart hat in beiden Verhandlungen nicht nur auf die Angriffe und Beanstandungen im Einzelnen geantwortet, sondern zugleich zu dem Inquisitionsverfahren im Ganzen Stellung genommen. Wie er dies tut und was er seinen Untersuchungsrichtern entgegenhält, verrät das stolze Selbstbewusstsein des Genies, das sich von der Beschränktheit der kleinen Geister nicht verstanden sieht. Er stellt zunächst fest, dass er gemäß den Privilegien seines Ordens sich vor keinem Forum als dem der Pariser Universität und dem des Papstes zu verantworten brauche, ist aber freiwillig bereit, auch hier Rede und Antwort zu stehen, damit man nicht etwa glaube, er gehe feige einer Auseinandersetzung aus dem Wege. Er bezweifelt füglich, dass man etwas gegen ihn unternommen hätte, wenn sein Ruhm beim Volke und sein Eifer für die Gerechtigkeit geringer gewesen wären. Er wundert sich mit spürbarer Ironie, dass man ihm in seinen Schriften und Worten nicht viel mehr angekreidet habe, da er doch Hunderte von Äußerungen getan, die die Beschränktheit seiner Kritiker nicht verstehe. Zwar sei er sich bewusst, kühn und ungewöhnlich über Außerordentliches geschrieben und gesprochen zu haben; von hohen Dingen aber könne auch nur in hohen Worten, mit emphatischem Ausdruck und mit erhabener Seele gekündet werden. Gewiss zwar könne er irren, nicht aber Häretiker sein, da dies eine Sache des Willens sei. Als man ihm den Prozess verschleppt, appelliert Eckehart am 24. Januar 1327 in einem Protestschreiben, das er durch seinen Mitbruder Konrad von Halberstadt vor der erzbischöflichen Inquisitionskommission verlesen lässt,10 an den Papst in Avignon und wendet sich am 13. Februar mit einer öffentlichen Erklärung in der Predigerkirche in Köln nach der Predigt an das Volk.11 Auch diese Erklärung lässt er zunächst durch Konrad von Halberstadt in lateinischer Sprache von der Kanzel herab verlesen und übersetzt sie dann Satz für Satz ins Deutsche. Feierlich ruft er darin Gott zum Zeugen dafür an, dass er in seinem ganzen Leben jeden Irrtum im Glauben und jeden Verstoß gegen die Sittlichkeit nach Kräften gemieden habe. Sollte es daher jemand gelingen, so erklärt er, ihm einen Irrtum nachzuweisen, den er geschrieben, gesprochen oder gepredigt habe, öffentlich oder geheim, wo und wann immer, direkt oder indirekt, so widerrufe er das Gesagte vor allem Volke. Wieder betont er, dass man vieles, was er gesagt, missverstanden habe, dass man insbesondere seine wiederholten Äußerungen über ein »Etwas in der Seele«, das an sich ungeschaffen und unerschaffbar von göttlichem Adel sei, trotz seiner mehrmaligen Erläuterungen im grobpantheistischen Sinne missdeutet habe. Das alles aber verfing nicht. Seine Appellation an den päpstlichen Stuhl verwies man ihm als unbegründet und weigerte sich, sie weiterzuleiten.12 Zwar reiste der Meister nun selbst nach Avignon und verteidigte sich noch einmal vor einer vom Papst bestellten Untersuchungskommission, der das von Köln angeforderte Untersuchungsmaterial zur nochmaligen Überprüfung vorlag. Auch das von der päpstlichen Kommission in Avignon verfasste »Gutachten« ist uns glücklicherweise erhalten. Die Kommission reduzierte wohl schon die große Anzahl von inkriminierten Artikeln der Kölner sog. »Rechtfertigungsschrift« auf die 28 Artikel der Bulle Johanns XXII. »In agro dominico« vom 27. März 1329,13 von denen 17 als häretisch und 11 als häresieverdächtig, bzw. schlecht klingend verurteilt wurden. Gegen jeden, der diese Sätze weiterhin verbreitete, sollte wie gegen Häretiker vorgegangen werden. Am 15. April verfügte der Papst, dass der Erzbischof von Köln die Bulle im Bereich seines Erzbistums öffentlich bekannt gebe. Eckehart hat diese seine Verurteilung nicht mehr erlebt. Die Bulle spricht von ihm als von einem Verstorbenen und als von einem Manne, der vor seinem Tode einen Widerruf alles dessen geleistet habe, was in seinen Schriften und Predigten durch die Entscheidung des apostolischen Stuhles als ketzerisch, irrig oder glaubensgefährlich erwiesen werde. Man darf annehmen, dass der Meister zwischen 1327 und 1329 in Köln (oder in Avignon?) verstarb und begraben wurde.

Seitdem sind über sechshundert Jahre verflossen. Der Meister aber lebt heute, nachdem er Jahrhunderte lang fast völliger Vergessenheit anheim gefallen war, in der Urkraft seines hinterlassenen Werkes. Die Authentizität des unter seinem Namen überlieferten groß angelegten lateinischen Opus tripartitum steht außer allem Zweifel. Dieses »Dreigeteilte Werk« zerfällt, wie sein Name sagt, in drei Teile: das Opus propositionum, das Opus quaestionum und das Opus expositionum. Auf uns gekommen ist im Wesentlichen nur der dritte Teil, das Opus expositionum, das eine Reihe von Schriftkommentaren zu den Büchern Genesis, Exodus, Sapientia und zum Johannes-Evangelium, je zwei Sermones und Lectiones zu Ecclesiasticus (Jesus Sirach), sowie ein Opus sermonum enthält, d.h. eine Anzahl von mehr oder weniger ausgeführten Skizzen zu Predigten in lateinischer Sprache. Zu den beiden ersten Teilen des großen Werkes sind nur die Prologe erhalten neben dem Gesamtprolog, dem Prologus generalis in Opus tripartitum. Ob einige Quaestionen, die Eckehart während seiner beiden Pariser Aufenthalte und Lehrtätigkeit verfasste und die in der Eigenart und Kühnheit seiner Spekulation ganz den Stempel des großen Mystikers tragen, in das Opus quaestionum aufgenommen werden sollten, bleibt ungewiss. Sicher ist, dass Eckehart weitere lateinische Werke schuf, die als selbstständige Arbeiten außerhalb des Rahmens des großen Hauptwerkes, des Opus tripartitum, stehen: Eine Collatio in libros Sententiarum, also einen Eröffnungsvortrag der Sentenzenvorlesung, die Eckehart bei seinem ersten Aufenthalt in Paris zur Erlangung der Magisterwürde hielt, eine Auslegung des Vater-Unsers (Tractatus super Oratione Dominica) und eine Predigt zu Ehren des hl. Augustinus (Sermo die b. Augustini Parisius habitus), die uns in einer Nachschrift überliefert (reportatus) ist. Das lateinische Gesamtwerk Eckeharts ist ein imponierender Torso geblieben, das Opus tripartitum ist von dem Meister nicht vollendet worden. Und dieser Torso ist uns nur in wenigen Handschriften erhalten, Beweis dafür, dass das lateinische Werk des Pariser Magisters keine große Verbreitung und Auswirkung gefunden hat, wenn man einmal vom allerdings sehr tiefgehenden Einfluss dieses Opus tripartitum auf Nikolaus von Cues absieht.

Ganz anders das in deutscher Sprache gehaltene Werk Eckeharts. Auf ihm beruht der Ruhm und das Verhängnis des Meisters. Eine Fülle von weit über 200 Handschriften, deren Gesamtzahl gewiss durch weitere Funde noch vermehrt werden dürfte, bietet uns das dar, was an Predigten, Traktaten und kleineren spruchförmigen Überlieferungen sich so oder so als Werk Meister Eckeharts ausgibt oder in Anspruch genommen wurde. Eins der Hauptprobleme der Eckehartforschung ist die Frage der Authentizität dieser handschriftlichen Texte, deren Echtheit lange Zeit infolge übertriebener Skepsis und Hilflosigkeit fast für das ganze überlieferte deutsche Werk Eckeharts bezweifelt wurde. Je weiter die Arbeit an der großen Gesamtausgabe der lateinischen und der deutschen Werke voranschreitet, umso stärker und tragfähiger werden die Kriterien werden, aufgrund deren man das Echtheitsproblem der einzelnen überlieferten Texte, der Predigten wie insbesondere auch der Traktate, zu lösen hoffen darf, umso mehr aber auch wird das Vertrauen in die Authentizität dieser Überlieferungstexte wachsen. Und wachsen wird das Vermögen und die, wenn auch auf weite Strecken hin wohl immer nur relativ bleibende Sicherheit, die z.T. sehr verderbten deutschen Überlieferungstexte, zumal der Predigten, von ihren Zahlreichen Verderbnissen aller Art zu heilen und die Texte, wenn nicht in ihrem ganz ursprünglichen, so doch in einem Wortlaut wiederherzustellen, der den ursprünglichen Gedanken Eckeharts und weithin auch seine so charakteristische Prägung wiedergibt. Zwar sind uns die Predigten nur in Kopien von Nachschriften seiner Hörer nach dem gesprochenen Wort des berühmten Kanzelredners überkommen, durchsetzt mit bewussten und unwillkürlichen Entstellungen und Verderbnissen aller Art, von Auslassungen und Interpolationen, von Missverständnissen und absichtlichen Änderungen der Formulierung und der Gedanken. Allein die unverwisch- und unverwechselbare Prägung des kühnen und tiefschürfenden Eckehartischen Wortes leuchtet noch in der grausamsten Entstellung und im hoffnungslosesten Missverständnis.14

Schon lange, bevor man es dem Meister im Prozess und in der päpstlichen Bulle rund heraus vorwarf, dass er »dogmatizavit multa fidem veram in cordibus multorum obnubilantia, que docuit quammaxime in suis predicationibus coram vulgo simplici«,15 muss der Meister die Klage vernommen haben, er profaniere die hohe scholastische Schulgelehrsamkeit, indem er sie dem einfältig ungebildeten Volke von der Kanzel herunter darbiete. Er aber hatte am Schluss seines hochgeistigen »Büchleins der göttlichen Tröstung« auf den Vorwurf geantwortet: »Soll man nicht ungelehrte Leute lehren, so wird niemals wer gelehrt … Denn darum belehrt man die Ungelehrten, dass sie aus Ungelehrten zu Gelehrten werden. Gäbe es nichts Neues, so würde nichts Altes.«16 Und wenn schon manch grober beschränkter Mensch äußere, dass vieles von dem, was er in diesem Trostbuch und auch anderswo geschrieben habe, nicht wahr sei, so erwidert er unter Berufung auf Augustinus im ersten Buch seiner »Beichte« (»Confessiones«): »Was kann ich dafür, wenn jemand das nicht versteht? «17 »Und wiederum sagt er (d.h.Augustinus) anderswo, dass der Mensch sich gar zu offensichtlich selbst liebe, der andere Leute blenden wolle, auf dass seine Blindheit verborgen bleibe. Mir genügt’s, dass in mir und in Gott wahr sei, was ich spreche und schreibe. Wer einen Stab in Wasser getaucht sieht, den dünkt der Stab krumm, wenngleich er ganz gerade ist, und das kommt daher, dass das Wasser gröber ist als die Luft; gleichviel ist der Stab sowohl an sich wie auch in den Augen dessen, der ihn nur in der Reinheit der Luft sieht, gerade und nicht krumm.«18

Der Meister war sich der Kühnheit seines Wortes und der Höhe seines Geistesfluges durchaus bewusst. Niemand brauchte ihm zu sagen, dass er über die Köpfe des einfältigen Volkes hinwegrede, dass er in diesen Köpfen beschränkter Fassungskraft Verwirrung stiften und dass er allenfalls von einigen wenigen kongenialen Geistern begriffen werden könne: »Könntet ihr mit meinem Herzen erkennen, so verstündet ihr wohl, was ich sage; denn es ist wahr, und die Wahrheit spricht es selbst«,19 so sagt er in seiner »Bürgleinpredigt«, und mit demselben Gedanken, dass Gleiches nur von Gleichem erkannt werden könne, schließt er eine seiner tiefsinnigsten und kühnsten Predigten: »Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar. «20

Und doch: So hoch und für die Menge unerreichbar auch sein Geistesflug sein mochte, so erregend und verwirrend seine unerhörten Worte auch in die Seelen seiner Hörer fielen, unwiderstehlich drängte es ihn, das Erkannte, die Wahrheit laut und weit zu verkünden, die Wahrheit, von der er sagte, dass sie so edel sei, dass, wenn »Gott sich von der Wahrheit abkehren könnte, ich wollte mich an die Wahrheit heften und wollte Gott lassen.«21 Diese Wahrheit brach mit mächtigem Drang aus seinem Innern ins äußere, gesprochene und weit tragende Wort seiner Predigt aus: »Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie diesem Opferstocke predigen müssen.«22 Das aber, was der Meister in seinen deutschen Predigten den begeisterten Hörern vortrug, war keineswegs bloße scholastische Kathederweisheit, es war zugleich weniger und unendlich viel mehr.

Man hat von Eckehart gesagt, es mache seine Größe aus, dass er eigentlich nur einen einzigen Gedanken habe, einen Gedanken zwar, tief und erhaben genug zum Leben wie zum Sterben. Dieser eine Grund- und Kerngedanke Eckeharts, aus dem alle Übrigen entwickelt, zu dem sie anderseits alle hin orientiert sind, ist der von der Geburt des Wortes in der Seele. Wer nicht erfasst hat, dass die Geburt des Sohnes durch den göttlichen Vater im Seelenfunken den einzigen Anlass, den Inhalt und das Ziel der Predigt Eckeharts ausmacht und seinen Ausführungen, fast möchte ich sagen, eine großartige Eintönigkeit gibt, der hat Eckehart verkannt. Ihm fehlt die bindende und orientierende Mitte in Eckeharts Geistesgut, dessen Sinn sich ihm nicht erschließt, das sich vielmehr für ihn in ein unentwirrbares Durcheinander von Widersprüchen und Unklarheiten verstrickt, sodass er vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Er sieht nicht, dass Eckehart spekulativer Mystiker ist, dass er als in seinem Wesen zutiefst Veranlagtes den intuitus mysticus besaß, den Tiefenblick, der alle Mannigfaltigkeit im all-einen unendlichen Sein aufgehoben und zur Eins zusammengefasst sah. Er sieht nicht, dass die Bahnen des spekulativen Denkens dieses Mystikers einem vorweg bestimmten Ziel zustreben: der unio mystica in der Geburt des Wortes. Seine mystisch-intuitive Schau gab Eckehart die Gewissheit, dass der Wesenskern der menschlichen Seele und der göttliche Seinsgrund irgendwie von gleicher Artung sein müssten, dass Mensch und Gott zutiefst in ihrem Sein auf eine in begrenztem Begriff nicht voll zu fassende und aussagbare Weise einander verbunden seien. Das Wie dieser Verbindung zu fassen ist zugleich Antrieb und Ziel seiner noch stark umstrittenen Seinsspekulation und seiner rätselvollen Lehre vom Seelengrund.

Ich kann mich im Zusammenhang dieser knappen Einleitung natürlich nicht unterfangen, das spekulative System Meister Eckeharts, insbesondere seine Metaphysik und Psychologie zum Gegenstand einer auch nur skizzenhaften Darstellung zu machen. Auch heute noch sind wir, wie mir scheint, weit entfernt von einer eindeutigen und verbindlichen Interpretation der spekulativen Grundlagen der Eckehartischen Mystik, und ich möchte nach wie vor bezweifeln, dass es je zu einer allgemein verbindlichen Gesamtauffassung des spekulativen Systems des Meisters kommen wird, auch dann nicht, wenn alle lateinischen und deutschen Werke in der großen kritischen Ausgabe der deutschen Meister Eckchart-Kommission zugänglich gemacht sein werden. Wenn die verschiedenen Eckehartauffassungen und Deutungsversuche meist mit leidenschaftlicher Unbedingtheit, Einseitigkeit und Ausschließlichkeit vorgetragen werden, so lässt diese Antithetik des Kampfes um Eckeharts Verkündigung erkennen, wie scheinbar vieldeutig des Meisters Ideengut ist und wie weit entfernt wir noch von einer sichern Bestimmung seines geistigen Ortes sind. Und ich möchte meinen, dass, solange das gesamte lateinische und deutsche Werk Eckeharts nicht in zuverlässiger Ausgabe vorliegt und die sehr schwierigen Fragen der Chronologie der Werke nicht wenigstens annähernd gelöst sind, auch das immer wieder diskutierte Problem einer inneren gedanklichen Entwicklung und damit also einer Periodisierung des Eckehartischen Gesamtwerkes keine verlässliche Lösung finden kann.

Ich will hier nur kurz andeuten, wie und worin ich die metaphysische Grundlage sehe, aus der Eckeharts Ethik des Gerechten abgeleitet ist, um dann diese Ethik selbst in ihren Grundzügen knapp zu entwickeln. Ich werde dabei auf weite Strecken den Meister selbst zu Worte kommen lassen, denn keine noch so begeisterte und verständnisvolle Darstellung und Deutung seiner Lehre ist imstande, so unmittelbar und überzeugend einen Begriff von der Geistesgröße und Sprachgewalt dieses Mannes zu vermitteln wie die suggestive Kraft und der mitreißende Schwung seines eigenen Kernwortes.

Wenn Eckehart sagt: »Nicht davon bin ich selig, dass Gott gut ist … Davon allein bin ich selig, dass Gott vernünftig ist und ich dies erkenne«,23 und wenn er hinzufügt: Im Sein ist Gott nur in seinem Vorhof, und in der Vernünftigkeit erst ist er in seinem Tempel,24 so scheint mir darin der Kerngedanke seiner Seinsspekulation und die tiefste Bestimmung zugleich des göttlichen wie des menschlichen Wesens und ihrer Zuordnung zu Hegen. Die hohe Geistigkeit seiner mystischen Intuition erfasst das göttliche Sein als reines Erkennen: »Vernünfticheit ist der tempel gotes. Niergen wonet got eigenlîcher dan in sînem tempel, in vernünfticheit, als der ander meister sprach, daz got ist ein vernünfticheit, diu dâ lebet in sîn aleines bekantnisse, in im selber aleine blîbende, dâ in nie niht engeruorte, wan er aleine dâ ist in siner stilheit. Got in sîn selbes bekantnisse bekennet sich selben in im selben.«25 In der Pariser Quaestio »Utrum in deo sit idem esse et intelligere« sagt Eckehart, Gott sei reines Erkennen (intelligere), und dieses Erkennen sei das, was das göttliche Sein, dafern man von einem solchen überhaupt sprechen wolle, begründe und trage: »Und daher ist, was immer in Gott ist, über dem Sein selbst und ist ganz Erkennen … Wenn du aber dieses (göttliche) Erkennen ein Sein nennen willst, so bin ich’s zufrieden. Aber ich behaupte gleichviel, dass, wenn es in Gott etwas gibt, das du Sein nennen willst, es ihm nur kraft des Erkennens zukommt … Gott also kommt kein Sein zu, dafern du nicht eine solche Lauterkeit ein Sein nennen willst.«26 Und übereinstimmend heißt es im 29. Sermo (n. 301–304) des Opus sermonum in der Übersetzung: »Dein Gott ist eins, und es gibt außer ihm nichts, das wahrhaft eins ist, weil es nichts Geschaffenes gibt, das reiner und nach seinem ganzen Sein ausschließlicher Intellekt ist. Denn dann wäre es nicht erschaffbar … Es ergibt sich also offensichtlich, dass Gott im eigentlichen Verstande einzig ist. Und da er Intellekt oder Erkennen ist, und zwar reines Erkennen ohne Beimischung irgendeines andern Seins, so ruft dieser einzige Gott durch sein Erkennen die Dinge ins Sein, eben weil in ihm allein das Sein Erkennen ist … Soviel demnach irgendetwas an Erkenntnis oder Erkenntnismäßigem besitzt, soviel besitzt es von Gott und soviel vom Einen und soviel vom Einssein mit Gott … Daher ist Gott nirgends und niemals als Gott vorhanden außer im Intellekt.« An einer Stelle des ersten Genesiskommentars sagt Eckehart: »Er wollte uns lehren, dass Gott reiner Intellekt sei, dessen ganzes Sein das Erkennen selbst ist.«27

Dieses alles Sein tragende und umfassende Erkennen ist die absolute Eins, »die stille Wüste« der Gottheit, aus der der trinitarische Gott bereits als Ausfluss und Abfall erscheint. Das aber, was das unendliche göttliche Erkennen erkennt, ist nichts Anderes als sein Selbst, sein eigenes Sein, das es in seinem Spiegelbild, in seinem Wort, Logos oder Sohn erschaut und erfasst. Wenn Eckehart in seiner Predigt über den guten Knecht, den der Herr über all sein Gut setzen will, dieses höchste Gut, die »Freude des Herrn«, in die der Mensch bei der unio mystica eingeht, genauerhin bestimmen und aussagen soll, so sagt er: »Diu fröide des herren daz ist der herre selber und enkein ander unde der herre ist ein lebende wesende istige verünftikeit, diu sich selber verstêt, und ist und lebet selber in im selber und ist daz selbe.«28

In dem Spiegelbild seiner selbst nun erkennt das absolute göttliche Vernunftsein zugleich die ewigen Vorbilder der Kreaturen, das, was seit Platon die Ideen heißt. Als eine dieser Ideen aber bin auch ich in diesem Selbsterkennungsprozess des göttlichen Erkennens von Ewigkeit her als Abbild göttlichen Vernunftseins geschaut: »In diesem Worte spricht der Vater meinen und deinen und eines jeglichen Menschen Geist als demselben Worte gleich. In demselben Sprechen bist du und ich ein natürlicher Sohn Gottes als dasselbe Wort. Denn, wie ich vorhin sagte, erkennt der Vater nichts als dieses selbe Wort und sich selbst und die ganze göttliche Natur und alle Dinge in diesem selben Worte, und alles, was er darin erkennt, das ist dem Worte gleich und ist dasselbe Wort naturhaft in der Wahrheit.«29 »Hier habe ich ewiglich geruht und geschlafen in der verborgenen Erkenntnis des ewigen Vaters, innebleibend unausgesprochen. Aus dieser Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenen Sohn in das Ebenbild seiner ewigen Vaterschaft, auf dass ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin … Ja, wer in diesem Lichte ein Stück Holz ansähe, es würde zu einem Engel und würde vernunftbegabt und nicht nur vernunftbegabt, es würde zu reiner Vernunft in der ersten Lauterkeit, die da eine Fülle aller Lauterkeit ist. So tut’s Gott: Er gebiert seinen eingeborenen Sohn in das Höchste der Seele. Im gleichen Zuge, da er seinen eingeborenen Sohn in mich gebiert, gebäre ich ihn zurück in den Vater.«30 So nun, wie Vernünftigkeit der Tempel göttlichen Wesens ist, so liegt auch in des Menschen Vernunftbegabtheit sein höchster Adel: »Homo id quod est, per intellectum est.«31 (»Der Mensch ist das, was er ist, durch die Vernunft.«) »Daz hœchste teil der sêle«, der Gipfel und die ihr ganzes Sein einigende Mitte der Seele ist das, was der Meister die »oberste Vernunft« oder auch bildlich den »Seelenfunken« nennt. In dieser obersten Vernunft, in diesem Tempel der Seele liegt des Menschen Gottförmigkeit; hier hört der Mensch in der Stille das Wort des Vaters und vermag in ihm das jenseits aller kreatürlichen Zweckgebundenheit und Wandelbarkeit liegende wahre Sein der Kreaturen, ihre ewigen Ideen, sub specie aeternitatis zu erfassen, er vermag so die Gedanken der Gottheit nach- und mitzudenken, sich dem unendlichen Erkennen zu vermählen und mit ihm eins den ewigen Sohn in seiner Seele zu gebären.

Diesen Grund, diesen Kern des menschlichen Seins, der sich ebenso wie die stille Wüste des göttlichen Seinsgrundes jeder adaequaten Benennung und Aussage entzieht und in dem das göttliche und das menschliche Vernunftsein bei der Geburt des Wortes in der Seele zur Einheit ineinander fließen, auf dass »ich Vater werde und den gebäre, von dem ich geboren bin«, dieses Zentrum der Seele umkreist das Eckehartische Denken beständig. Dieses »Etwas in der Seele« zu ergründen und trotz seiner Unaussagbarkeit dem Ahnen seiner Hörer irgendwie näher zu bringen, setzt Eckeharts unbändiger Drang in die Tiefe immer wieder erneut an, um durch kühnste Aussagen, die ihm die hartnäckigsten Angriffe der Kölner Untersuchungskommission eintrugen, diesen stillen Grund der Seele zu loten: »… wie ich schon öfter gesagt habe, dass etwas in der Seele ist, das Gott so verwandt ist, dass es eins ist und nicht vereint. Es ist eins, es hat mit nichts etwas gemein, noch ist ihm irgendetwas von alledem gemein, was geschaffen ist. Alles, was geschaffen ist, das ist nichts. Nun ist dies aller Geschaffenheit fern und fremd. Wäre der Mensch ganz so geartet, er wäre völlig ungeschaffen und unerschaffbar; wäre alles das, was körperlich und bresthaft ist, so in der Einheit begriffen, so wäre es nichts Anderes, als was die Einheit selbst ist. Fände ich mich nur einen Augenblick in diesem Sein, ich achtete so wenig auf mich selbst wie auf ein Mistwürmlein.«32 »Dieses nämliche Licht pflege ich immerzu in meinen Predigten zu berühren. Und dieses selbe Licht nimmt Gott unmittelbar, unbedeckt entblößt auf, so wie er in sich selbst ist; … Wenn sich der Mensch abkehrt von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen – so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein in der Seele, das weder Zeit noch Raum je berührte. Dieser Funke widersagt allen Kreaturen und will nichts als Gott, unverhüllt, wie er in sich selbst ist … es will in den einfaltigen Grund, in die stille Wüste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist. In dem Innersten, wo niemand daheim ist, dort erst genügt es diesem Licht, und darin ist es innerlicher als in sich selbst. Denn dieser Grund ist eine einfaltige Stille, die in sich selbst unbeweglich ist; von dieser Unbeweglichkeit aber werden alle Dinge bewegt …«33

In diesem »Etwas«, das weder von Zeit noch von Raum berührt wird und das fern ist allen raum-zeit-gebundenen, geschaffenen Dingen, das im ewigen »Nun« so geartet ist, dass »si tota anima esset talis, tota esset increata et increabilis«, wie es in der Übersetzung der obigen Predigtstelle in der Bulle Johanns XXII., Appendix Art. 1, heißt – in diesem »Licht«, in dieser »obersten Vernunft« birgt der Mensch den göttlichen Funken in seiner Brust. Dieser Funke braucht nur zum Erglühen gebracht zu werden, auf dass sich das Leben des unendlichen göttlichen Vernunftseins in der Brust des Menschen entfaltet und sein ganzes Sein durchregt. Diese an sich mit dem göttlichen Intellekt einige »vernünfticheit«, die, wie Eckehart sagt, »gote alsô sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet«, ist aber nun in der Seelenkraft der menschlichen Vernunft an das geschöpfliche Sein der menschlichen Seele und damit auch an deren »Kerker«, den Leib, gebunden und hat als solche »ein zuosehen und ein zuohangen ze der zît, und dâ rüeret si geschaffenheit und ist geschaffen.34 Nur weil das an sich ungeschaffene und unerschaffbare Erkennen als »oberste Vernunft« an das geschaffene Sein der Seele gebunden und als solches ein »esse concreatum« ist, ist es an die Kategorien Zeit und Raum, an das Hier und Nun und damit in die Geschaffenheit verstrickt. Der Seelenfunken liegt zunächst verdeckt und verschüttet unter den aufgetragenen Schichten des mit tausend Fasern in der Selbstsucht und in der Kreaturgebundenheit hängenden und gefangenen Ich. Wenn es dem Menschen aber gelingt, sich durch das mystische Sterben, durch das mystische »Entwerden« von der Bindung an die Zeit und den Raum, an den Kerker des eigenen Leibes, an die Ich-Sucht, an das »Mittel« und das »Warum« zweckgebundener Beziehungen zu den »Zufällen« der Kreaturen in ihrer zerstreuenden und hindernden »Mannigfaltigkeit« zu lösen, sich und die Welt zu »lassen« und das zu erreichen, was die Mystik mit ihrer eigenen sprachlichen Prägung als den Zustand der »Gelassenheit«, der »Abgeschiedenheit« bezeichnet, dann wird die oberste Vernunft, der göttliche Funke in der Tiefe des menschlichen Seelengrundes wieder »ledic und vrî und ungebunden«, dann erfährt die oberste Vernunft in ihrer »einicheit« und »glîcheit« mit dem göttlichen »intelligere« in der unio mystica den »învluz«, den »îndruc«, die »îngeberunge« des göttlichen Vernunftseins, es vollzieht sich die Geburt des Wortes oder des Sohnes in der Seele, und zwar »âne allen underscheit« genau so, wie diese Geburt im innertrinitarischen Prozess im »ewigen Nun« geschieht. Soll also diese Geburt des Wortes in der Seele Ereignis werden, so gilt es zunächst, die den Seelengrund verdeckenden Schichten abzutragen.

Diese Geburt des Sohnes in der Seele ist das »innere Werk« und ist zugleich die Geburt des Gerechten aus der ewigen Gerechtigkeit. Sie vollzieht sich im innersten Kern des Menschen, in der stillen Wüste des Seelengrundes, im Tempel der Seele. Zu diesem »inneren Werk« aber muss der Tempel gesäubert sein von allen Käufern und Verkäufern, Feilschern und Maklern, d.h. von aller noch so versteckten Bindung an das selbstsüchtige und selbstgefällige Ich und von der Unzulänglichkeit und Hinfälligkeit bloß sinnlich kreatürlichen Daseins. Abgeschiedenheit, Gelassenheit, Entwerdung lautet die sittliche Aufgabe des Menschen, »Stirb und werde!«, fordert Eckeharts Imperativ. Leg’ ab allen bloßen Schein, zerbrich die Schale, auf dass der Kern frei und fruchtbar werde, klebe nicht am selbstgefälligen Werk und an der »bezeichenunge«. Denn alles dies ist Teufelsspott. Solange du deine Werke wirkst um des Werkes willen, um Gut, Ehre, bequemes Leben, Lust, Innerlichkeit, Heiligkeit, Lohn oder Himmelreich, solange ist dein Tempel ein lärmender Jahrmarkt, voll von Händlern und Kaufleuten, die mit dem ewigen Gott ihr ichsüchtiges Kaufgeschäft betreiben wollen. Er aber ist für solche Krämer nicht zu Hause, er schweigt im Tempel, denn die Seele hat laute, fremde Gäste.35 Er ist ein Gott der Ewigkeit. Du aber bist mit deinem selbstgefälligen Werk gebunden an Zeit und Ort, Zweck und Absicht, so wie die eheliche Frucht, die zeitgebunden ihre neun Monate zur Reife braucht. Du schaust »mit eigenschaft« auf die Weise deines Werkes und suchst und willst etwas mit ihm: dich selbst und deinen Lohn. Du gibst nur vor, Gott zu suchen; in Wahrheit machst du aus Gott eine Kerze, mit der du etwas Anderes suchst, und hast du es gefunden, so wirfst du die Kerze hinweg.36 Du erniedrigst den unendlichen Gott zur melken Kuh, die man um der Milch und des Käses, um des eigenen Profits willen schätzt. »Isti faciunt capram de Deo, pascunt eum foliis verborum. Item faciunt Deum histrionem, dant sibi veteres et viles vestes suas«. (»Diese machen aus Gott eine Ziege, füttern ihn mit Wort-Blättern. Ebenso machen sie aus Gott einen Schauspieler, geben ihm ihre alten und schlechten Kleider.«)37 Du tust so wie jene, die, wenn es ihnen gut geht, »Gott loben und ihm wohl vertrauen, wie denn etliche sagen:,Ich habe zehn Malter Korn und ebenso viel Wein in diesem Jahre, ich vertraue fest auf Gott!’ Ganz recht, sage ich, du hast volles Vertrauen – zu dem Korn und dem Wein!«38 Du marktest mit deinem Gott, gibst und wirkst, auf dass er dir das Tausendfache wiedergebe; dies Geben ist eher ein Heischen zu nennen.39 Bei Gott! Solange du deine Werke wirkst aus äußerem Antrieb, um des Himmelreiches oder um Gottes oder um deiner ewigen Seligkeit willen, so ist es wahrlich nichts Rechtes mit dir. Man mag dich wohl leiden, aber es ist das Beste nicht. Denn, wahrlich, wer glaubt, Gottes mehr zu erlangen in Innerlichkeit, in Andacht und süßer Verzückung als bei dem Herdfeuer oder in dem Stalle, der tut wie einer, der seinen Gott nähme, ihm einen Mantel um das Haupt wände und ihn dann unter eine Bank schöbe.40

Eckehart wird nicht müde, die geheimsten Bindungen des menschlichen Tuns und Lassens, die verstecktesten Regungen der Ich-Sucht, der Absichtlichkeit und »Meinung« aufzudecken, das verzückte Schielen nach Dank und Gegengabe zu brandmarken. Sie verkaufen den Herrn wie Judas, und wenn sie ihren Lohn dahin haben, kümmern sie sich um ihren Gott nicht mehr.41 Alles, was sich vermittelnd zwischen das innerste Ich und den stillen Grund der göttlichen Wüste drängt, verhindert ihrer beider Einswerdung. Und das gilt nicht nur von jenen Bindungen des Wollens und des Strebens, sondern auch von denen des Denkens, Vorstellens, Glaubens, Wähnens und Hoffens. Jedwede »Einbildung« von »Bildern« und Vorstellungen, jedes Haften am äußeren Zeichen und genießende Schauen hindert dich am Erfassen des ganzen Gottes, sei es nun, dass du am äußeren Zeichen des Sakraments klebst oder in Lust Visionen des Menschen Christus genießt. Nein, der Tempel muss ledig und frei sein, wie das Auge frei und leer sein muss von allen Farben, soll es Farbe sehen.42 Alle jene Bilder und Vorstellungen aber sind der Balken in deinem Auge. Drum wirf sie hinaus, alle Heiligen und Unsere Frau aus deiner Seele, denn sie alle sind Kreaturen und hindern dich an deinem großen Gott.43 Ja, selbst deines gedachten Gottes sollst du quitt werden, aller deiner doch so unzulänglichen Gedanken und Vorstellungen über ihn wie: Gott ist gut, ist weise, ist gerecht, ist unendlich: Gott ist nicht gut, ich bin besser als Gott; Gott ist nicht weise, ich bin weiser als er, und Gott ein Sein zu nennen, ist so unsinnig, wie wenn ich die Sonne bleich oder schwarz nennen wollte.44 Alles, was du da über deinen Gott denkst und sagst, das bist du mehr selber als er, du lästerst ihn, denn, was er wirklich ist, vermögen alle jene weisen Meister in Paris nicht zu sagen.45 Hätte ich auch einen Gott, den ich zu begreifen vermöchte, so wollte ich ihn niemals als meinen Gott erkennen.46 Drum schweig und klaffe nicht über ihn,47, behänge ihn nicht mit den Kleidern der Attribute und Eigenschaften, sondern nimm ihn »ohne Eigenschaft«, als er »ein überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit«48 ist in seinem »Kleidhaus«,49 in der stillen »Wüste« seiner Gottheit namenlos.50 In diesen göttlichen Abgrund aber führt nichts als geistige Armut, und in der Verkündung dieser paupertas Spiritus erhebt sich die Ethik Eckeharts zum schlechthin Steilsten, Kühnsten und unübersteigbar Höchsten. Hier reichen sich der Metaphysiker und der Ethiker, der »Lese-« und der »Lebemeister« die Hand; hier liegt der Quell- und Angelpunkt seiner mystischen Spekulation wie seiner Lebenslehre.

Was heißt arm sein im Geiste? Gibt es da Leute, die sich dafür halten, wenn sie ein Leben der Askese und äußeren Frömmigkeitsübung führen. Sie sind nicht gerade schlecht daran, denn ihre Absicht ist gut; schenke ihnen denn der Herr in seiner Barmherzigkeit den Himmel. Aber dass man solche Menschen für groß erachtet, das erbarme Gott! In Wahrheit sind sie Esel, die nichts davon verstehen und keinen Hauch der wahren geistigen Armut verspürt haben. Geistig arm vielmehr ist der, der nichts will, nichts weiß und nichts hat und alles das so radikal, dass er nicht einmal so viel will, dass er den Willen Gottes erfüllen will; dass er nicht einmal weiß, dass Gott in ihm wirkt; dass er nicht einmal eine Stätte habe in sich, in der Gott wirken könnte; mit anderen Worten: Mystisch arm ist der, der so ist, wie er war, da er noch nicht war.51 »Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursache meiner selbst. Ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein lediges Sein und ein Erkenner meiner selbst im Genuss der Wahrheit. Da wollte ich mich selbst und wollte nichts sonst; was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig … Darum bitte ich Gott, dass er mich Gottes quitt mache; denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott, sofern wir Gott als Beginn der Kreaturen fassen. In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber (willens), diesen Menschen (= mich) zu schaffen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist … In meiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge; und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge; wäre aber ich nicht, so wäre auch ,Gott’ nicht: Dass Gott,Gott’ ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht,Gott’ Dies zu wissen ist nicht Not«,52 fügt der Meister zur Entspannung seiner erschreckt staunenden Hörer hinzu. Mit dieser rechten geistigen Armut schwingt sich der Mensch in sein wahres Wesen zurück, das er ewig gewesen ist und das er ewig bleiben wird. Und wenn ihm dies gelingt, dass er auf seinem Rückgang aus der Ich- und Kreaturgebundenheit durch sein eigenes innerstes ewiges Wesen bei seinem Gott nicht stehen bleibt, sondern auch durch ihn hindurchbricht in das ureine, ewige, göttliche Vernunftsein, in dem die obersten Engel und die Seelen und die Fliegen und Mücken eins sind, dann ist dieser Durchbruch und Rückfluss edler als des Menschen Ausgang in der Schöpfung.53 Denn hier entsinkt er seinem kleinen und beschränkten Ich, hier stirbt der Konrad und Heinrich,54 um in der wüsten Gottheit begraben zu werden.55

Auf dieses »Stirb!«, aber folgt ein machtvolles »Werde!«; dem Tode des alten antwortet die Wiedergeburt des neuen Menschen, des neuen Adam. Der Mensch hat den innersten Adelskern seines wahren Wesens freigelegt und hat in seinem tiefsten Seelengrunde den Einfluss des göttlichen Wesensgrundes erfahren; denn, so wie die Sonne die Luft erleuchten muss, wenn sie frei von Wolken ist,56 so wie der Stein die Neigung zum Fall nie verlieren kann,57 wie ein ins Wasser fallender Stein Wellenkreise ziehen muss bis ins Unendliche,58 so muss der göttliche Seinsgrund sich dem menschlichen vermählen, wenn dieser weit und frei entblößt daliegt: »wie wenn einer ein Ross laufen lässt auf einer grünen Heide, die völlig eben und gleich wäre; des Rosses Natur wäre es, dass es sich im Springen auf der Heide mit aller seiner Kraft gänzlich ausgösse«,59 so auch ergießt sich das Göttliche in den Grund der Seele, wenn sie sich im reinen Adel ihres gottförmigen Seins weit und frei entdeckt. Denn Gleiches zieht Gleiches an60; hier aber sind Gottes Grund und mein Grund völlig eins,61 und in diesem einigen Grund gebiert nun der Vater seinen Sohn, ja gebiert er mich als seinen Sohn, gebiert sich mich und mich sich, auf dass auch ich Vater werde und den gebäre, von dem ich ewig geboren wurde.62 Aus dem Schoße der unendlichen und ewigen Gerechtigkeit werde ich als der Gerechte gezeugt und bleibe doch eines Seins mit der ewigen Gerechtigkeit: »daz ist ein gereht mensche, der in die gerehtikeit îngebildet und übergebildet ist. Der gerehte lebet in gote unde got in ime, wan got wirt geborn in dem gerehten unde der gerehte in gote …«63

Diesen Gerechten als den Wiedergeborenen in seinem ganzen Sein und Tun zu bestimmen und vorzuführen, ist das leidenschaftliche Bemühen unseres Meisters. Dieser Gerechte steht zunächst so fest auf dem Grunde der Gerechtigkeit, dass, wenn Gott nicht gerecht wäre, er nicht eine Bohne um diesen Gott gäbe; ja, stünde die Hölle am Wege der Gerechtigkeit, er führe freudig hinein.64 »iustus iustitiae serviens plus eam amat quam se ipsum, ut si iustum portaret in se infernum vel diabolum, ipsum amaret, ipsi saperet, ipsum delectaret; et e contrario: si iniustum portaret secum paradisum, deum ipsum, ipsi non saperet.« (»Der Gerechte, der der Gerechtigkeit dient, liebt sie mehr als sich selbst, sodass, wenn das Gerechte die Hölle oder den Teufel in sich trüge, er es lieben, es ihm schmecken, es ihn erfreuen würde, und anderseits: Wenn das Ungerechte das Paradies mit sich führte, ja, Gott selbst, so würde es ihm nicht schmecken.«)65 Dieser Gerechte steht in der vollkommenen inneren Freiheit seines Adels; er ist nicht Knecht, sondern Sohn. »Ich habe euch nicht Knechte geheißen, sondern meine Freunde.«66 Der Knecht kennt den Willen seines Herrn nicht,67 denn zwischen Herrn und Knecht gibt es keinen Frieden, gibt es keine Freundschaft (»Inter servum et dominum non est amicitia, ut ait philosophus«68), da nur zwischen Gleichen Freundschaft möglich ist.69 Der Gerechte aber ist nicht nur gleich, sondern völlig eins mit dem eingeborenen Sohn des Vaters, ja mit dem Vater und dem göttlichen Grunde selbst. Er braucht Gott um nichts zu bitten, er kann ihm vielmehr gebieten, denn er ist Gottes so gewaltig wie Gott seiner selbst gewaltig ist.70 »Was irgendetwas vom andern begehrt, das ist,Knecht’, und was da lohnt, das ist,Herr’. Ich dachte neulich darüber nach, ob ich von Gott etwas nehmen oder begehren wollte. Ich will es mir sehr wohl überlegen, denn wenn ich von Gott (etwas) nehmen würde, so wäre ich unter Gott wie ein Knecht und er im Geben wie ein Herr.«71 Der Gerechte aber ist so gleich und eins mit Gott wie das Bild und das Urbild, die nicht zu unterscheiden und zu trennen sind: »Gott selber zum Trotz, den Engeln zum Trotz, den Seelen und allen Kreaturen zum Trotz (sage ich), dass sie die Seele, wo sie Bild Gottes ist, (von Gott) nicht zu trennen vermöchten!«72 Und »Trutz Gott, … Ich will Gott niemals dafür danken, dass er mich liebt, denn er kann’s gar nicht lassen, ob er wolle oder nicht: Seine Natur zwingt ihn dazu«.73 So wie sich hier auf dem tiefsten Grunde der Demut im Gerechten ein titanischer Adelsstolz erhebt, so hat dieser Vollkommene alle Furcht überwunden, wenn er vor seinem Gotte steht. Denn die Furcht, die Schusterahle, bahnt zwar den Weg, aber nicht sie, sondern die nachfolgende Freundschaft und Liebe verbindet den Gerechten mit Gott, so wie erst der hinter der Ahle folgende Draht den Schuh bindet.74 So radikal ist bei Eckehart das Knechtschaftsverhältnis von Mensch und Gott in der völligen Einheit beider überwunden, dass er sagen kann: Jede kleinste Regung, jedes kleinste Werk dieses Gerechten lässt einen Freudeschauer durch das Göttliche rieseln, sodass in seinem Grunde nichts bleibt, das nicht von Freude durchkitzelt werde.75

Wie aber steht dieser gottgeeinte Gerechte zum Leben? Scheint es doch, als tauge dieses leere Gefäß, das nichts will, nichts hat und nichts weiß in geistiger Armut, nur dazu, öde und tatenlos in die stille Wüste des Unendlichen zu starren. Doch nein, das ist es, was dieser Mystik Eckeharts den unverkennbaren Stempel des abendländischen Weltgefühls aufprägt, den Stempel unendlicher Werde- und Tatenlust, dass für Eckehart die ewige Ruh’ in Gott dem Herrn nicht anders denk- und vorstellbar ist denn als ewiges Drängen und Werden. Die stille Wüste des unendlichen göttlichen Vernunftseins ist für das vitale Denken Eckeharts ein unendlich energiegefülltes Geschehen, das »wie ein aus sich selbst rollendes Rad seine Bewegung im Umschwung immerfort in die Ruhe zurücknimmt«,76 sie ist für ihn vergleichbar einem unendlichen feurig flüssigen Erzfluss, der kochend sich selbst beständig mit sich selbst durchdringt, bevor er ausfließt in das geschöpfliche Sein: »Tertio notandum quod bis ait: sum qui sum puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat. Rursus ipsius esse quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem et in se ipso mansionem sive fixionem; adhuc autem quandam bullitionem sive parturitionem sui in se fervens, et in se ipso et in se ipsum liquescens et bulliens. Lux in luce et in lucem se toto se totum penetrans, et se toto super se totum conversum et reflexum undique, secundum illud sapientis:,monas monadem gignit vel genuit et in se ipsum reflexit amorem sive ardorem’. Propter hoc loh. I dicitur:,in ipso vita erat’. Vita enim quandam dicit exseritionem, qua res in se ipsa intumescens se profundit primo in se toto, quolibet sui quodlibet sui, antequam effundat et ebulliat extra«. (»Zum Dritten ist zu bemerken, dass, wenn er zweimal sagt:,Ich bin, der ich bin’, er die Reinheit der Bejahung unter Ausschluss alles Negativen von Gott selbst anzeigt, weiterhin sein Sein als eine gewisse auf sich selbst und über sich selbst zurückgebogene Hinwendung und ein In-sichselbst-Ruhen und Feststehen, überdies aber ein gewisses Kochen oder Sich-selbst-Gebären, das in sich glüht und in sich selbst und über sich selbst verfließt und kocht, ein Licht, das im Licht und in’s Licht mit sich ganz sich ganz durchdringt und das mit sich ganz über sich ganz überall gewandt und zurückgebogen ist gemäß jenem Wort eines Weisen:,Die Monade erzeugt oder erzeugte eine andere Monade und wandte auf sich selbst die Liebe oder Glut zurück’. Deshalb heißt es bei Johannes I:,In ihm war das Leben’. Das Leben besagt nämlich ein Ausströmen, bei dem etwas in sich selbst schwellend sich zunächst in sich selbst ergießt mit jedem Teil seiner selbst in jeden Teil seiner selbst, bevor es sich ausgießt und überkocht nach draußen.«)77

Diese unendlichen Energien aber sind auch im Gerechten wirksam, da er ja doch in den Rhythmus der unendlich bewegten Gottesevolution eingeschwungen ist: »Ich habe schon manchmal gesagt, Gott erschaffe diese ganze Welt voll und ganz in diesem Nun. Alles, was Gott je vor sechstausend und mehr Jahren erschuf, als er die Welt machte, das erschafft Gott jetzt allzumal. Gott ist in allen Dingen; aber soweit Gott göttlich und soweit Gott vernünftig ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der Seele und in den Engeln, wenn du willst: im Innersten der Seele und im Höchsten der Seele. Und wenn ich sage,das Innerste’, so meine ich das Höchste; und wenn ich sage,das Höchste’, so meine ich das Innerste der Seele. Im Innersten und im Höchsten der Seele: Ich meine sie dort beide als in Einem. Dort, wo niemals Zeit eindrang, niemals ein Bild hineinleuchtete: Im Innersten und im Höchsten der Seele erschafft Gott die ganze Welt. Alles, was Gott erschuf vor sechstausend Jahren, und alles, was Gott noch nach tausend Jahren erschaffen wird, wenn die Welt noch so lange besteht, das erschafft Gott im Innersten und im Höchsten der Seele. Alles, was vergangen ist, und alles, was gegenwärtig ist, alles, was zukünftig ist, das erschafft Gott im Innersten der Seele. Alles, was Gott in allen Heiligen wirkt, das wirkt Gott im Innersten der Seele. Der Vater gebiert seinen Sohn im Innersten der Seele und gebiert dich mit seinem eingeborenen Sohne als nicht geringer. Soll ich Sohn sein, so muss ich in demselben Sein Sohn sein, in dem er Sohn ist, und in keinem andern.«78 Dieser Gerechte, der über die Kategorien Ort und Zeit erhaben ist, wirkt im Nu der Ewigkeit mit Gott die Werke, die er vor tausend Jahren wirkte, die er jetzt in diesem Augenblick wirkt und die er nach tausend Jahren wirken wird, denn in der Ewigkeit gibt es kein Vor und Nach: »Manche Menschen fragen, wieso der Mensch die Werke wirken könne, die Gott vor tausend Jahren gewirkt hat und nach tausend Jahren wirken wird, und verstehen’s nicht. In der Ewigkeit gibt es kein Vor und Nach. Darum, was vor tausend Jahren geschehen ist und nach tausend Jahren geschehen wird und jetzt geschieht, das ist eins in der Ewigkeit. Darum, was Gott vor tausend Jahren getan und geschaffen hat und nach tausend Jahren tun wird und was er jetzt tut, das ist nichts als ein Werk. Darum wirkt der Mensch, der über die Zeit erhoben ist in die Ewigkeit, mit Gott, was Gott vor tausend und nach tausend Jahren gewirkt hat. Auch dies ist für weise Leute eine Sache des Wissens und für grobsinnige eine Sache des Glaubens.«79 Man kann allen jenen Erscheinungen, die die Mystik im Ganzen in Misskredit gebracht haben, nicht skeptischer, nicht ablehnender begegnen, als es der Meister tut: Jenen tränen- und rührseligen Verzückungen, dem schmeckenden Genießen frömmelnder Gefühle und entzückender Gesichte und Visionen. Wollen doch diese Menschen in ihrer Gefallsucht nichts Anderes hören, als dass sie dem Herrn die Liebsten sind und an welchen Fehlern ihr lieber Mitmensch krankt.80

Nein! Eckeharts Mystik hat nichts mit beschaulichem Quietismus zu tun, sie kennt keine Wundersucht, keine ekstatischen Zustände und kein religiöses Genießertum. Das Innewerden des Gottes in der eigenen Brust, das lebensvolle »Ausquellen« und »Fließen« der »übervollen Fülle Gottes«81 im Seelengrunde als Frucht der Geburt des Wortes ist nicht nur wenigen Auserwählten und mit ekstatischer Schau Begnadeten und Begabten, sondern jedem Sterblichen erfahrbar: »Und darum sage ich abermals, wie ich vorhin schon sagte: Kein Mensch hier ist so grobsinnig, so verständnislos und so untüchtig dazu, vermag er nur seinen Willen durch die Gnade Gottes lauterlich und ganz mit dem Willen Gottes zu vereinen, so braucht er in seinem Verlangen nur zu sprechen:,Herr weise mir deinen liebsten Willen, und stärke mich, den zu tun!’, und Gott tut es so gewiss, wie er lebt, und Gott gibt ihm in ebenso reichlicher Fülle in jeder Weise vollkommen, wie er’s nur irgend diesem Weibe gab. Seht, dies kann der Grobsinnigste und der Geringste unter euch allen von Gott empfangen, noch ehe er heute aus dieser Kirche kommt, ja, noch ehe ich heute zu Ende predige, in voller Wahrheit und so gewiss, wie Gott lebt und ich Mensch bin! Und darum sage ich: ‚Erschrecket nicht! diese Freude ist euch nicht fern, wollt ihr sie nur verständig suchen.«82 Der Gerechte ist gewiss ein Ausnahmemensch, und Eckehart gäbe freudig ein Münster voll Goldes und Edelgesteins für ein Huhn, das dieser Gerechte verzehrte.83 »Wisset, dass das Königreich sich selig preisen kann, in dem dieser Menschen einer lebt; denn sie schaffen in einem Augenblick mehr ewigen Nutzens als alle äußeren Werke.«84 Aber dieser Gerechte ist deshalb doch kein Übermensch; er ist ein Mensch wie alle Menschen, gebunden an ein sinnenhaft-leibliches Dasein. Auch ihm wird ein schmerzend schriller Ton niemals zum Ohrenschmaus eines süßen Saitenspiels,85 auch er wird angefallen und bewegt von den Wechselfällen des Lebens; aber er steht fest, es wirft ihn nicht mehr aus der Bahn.

Diese innere Freiheit und innere Festigkeit aber ist kein Gnadengeschenk von oben, sie ist der Siegespreis eines harten Kampfes mit sich selbst um die völlige Gelassenheit. Jenen, die sich bequem auf ein Faulbett legen, indem sie sagen: Ich will einen guten Willen haben und ein guter Mensch sein, im Übrigen aber meine Ruhe haben, denen ruft Eckehart zu: Euch wird nichts!86 »Man soll laufen in den Frieden, man soll nicht anfangen im Frieden,87 d.h. die innere Ruhe und Ausgeglichenheit kann nur das Ergebnis eines beständigen Ringens bis zur völligen Selbstbeherrschung sein, so wie die Beherrschung einer Kunst, der Kunst des Schreibens oder Geigenspiels etwa, die schließlich wie von selbst und ohne bewusst gedächtnismäßige Kontrolle vom Künstler ausgeführt wird, nur die Frucht sauren und fleißigen Übens sein kann.88