Diagnostik von Essverhalten - Adrian Meule - E-Book

Diagnostik von Essverhalten E-Book

Adrian Meule

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Beschreibung

Essverhalten ist komplex und weist viele verschiedene Facetten auf, die auf dem Kontinuum von gesundem zu gestörtem Essverhalten interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können. Der vorliegende Band gibt einen umfassenden Überblick über diagnostische Verfahren zur Charakterisierung des Essverhaltens, die im deutschsprachigen Raum verfügbar sind. Das methodische Spektrum erstreckt sich dabei von Messmethoden in Labor und Alltag über Selbstberichtsfragebogen bis hin zu Interviews. Die vorgestellten Verfahren werden unter praktischen und methodischen Gesichtspunkten kritisch überprüft, und es werden detaillierte Empfehlungen gegeben, welche Verfahren im konkreten Anwendungsfall besonders geeignet sind. Neben Selbstberichts- und Interviewverfahren zur Diagnostik etablierter Essstörungen wie Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa werden in den einzelnen Kapiteln des Bandes auch Verfahren zu Aspekten des Essverhaltens beschrieben, deren interindividuelle Ausprägungen auch bei normalgewichtigen Menschen ohne Essstörungen variieren und die beispielsweise im Rahmen grundlagenwissenschaftlicher Fragestellungen bei Gesunden von Interesse sind. Hierzu zählen unter anderem gezügeltes und emotionales Essverhalten, Craving und suchtartiges Essverhalten, orthorektisches Essverhalten sowie intuitives Essverhalten. Ein weiteres Augenmerk liegt auf speziellen Verfahren für das Kindes- und Jugendalter sowie auf Verfahren zu weiteren essensrelevanten Konzepten (z. B. Grazing, Essensmotive, Neophobie und Ekel, körperbezogene Wahrnehmung, gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung). Abschließend wird die Anwendung ausgewählter Verfahren im Kontext der Diagnostik von Essstörungen anhand von drei Fallbeispielen erläutert.

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Adrian Meule

Diagnostik von Essverhalten

Kompendien Psychologische Diagnostik

Band 18

Diagnostik von Essverhalten

Dr. Adrian Meule

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Franz Petermann, Prof. Dr. Heinz Holling

Dr. Adrian Meule, geb. 1983. 2004–2009 Studium der Psychologie an der Universität Würzburg. 2009–2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg und Stipendiat im DFG-Graduiertenkolleg „Verarbeitung emotional relevanter Reize: Von den molekularen Grundlagen zur Empfindung“. 2014 Promotion. 2014–2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum. 2015–2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im ERC-Projekt „Transdiagnostic views on eating disorders and obesity and new approaches for treatment“ an der Universität Salzburg. Seit 2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU München und der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Forschungsschwerpunkte: Essverhalten, Essstörungen, Adipositas.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Deutschland

Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2991-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2991-6)

ISBN 978-3-8017-2991-2

http://doi.org/10.1026/02991-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

|5|Vorwort der Herausgeber

Die Methoden der Psychologischen Diagnostik dienen der Erhebung und Aufbereitung von Informationen, um begründete Entscheidungen zu treffen. Heute bietet die Psychologische Diagnostik ein großes Spektrum an Erhebungsverfahren, das von systematischen Ansätzen zur Befragung und Beobachtung bis zum Einsatz psychometrischer Tests und physiologischer Methoden reicht. Immer schwieriger wird die gezielte Auswahl geeigneter Verfahren und die Kombination verschiedener Ansätze im Rahmen einer ökonomischen Diagnosestrategie.

Unsere Buchreihe möchte aktuelles Wissen über diagnostische Verfahren und Prozeduren zur Weiterentwicklung der Psychologischen Diagnostik zusammenstellen. Wir als Herausgeber der Buchreihe erwarten, dass zukünftig die Kompetenzen der Psychologischen Diagnostik verstärkt nachgefragt werden. Es handelt sich hierbei um Basiskompetenzen psychologischen Handelns, denen in den letzten beiden Jahrzehnten im deutschen Sprachraum vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zukünftig sollten Problemanalysen und Problemlösungen noch stärker auf dieses gut fundierte Fachwissen der Psychologie zurückgreifen.

Die einzelnen Bände dieser Reihe konzentrieren sich jeweils auf spezifische psychologische Themengebiete wie zum Beispiel Rechenstörungen oder aggressives Verhalten. Durch diese Spezifikation können diagnostische Fragen im Rahmen der einzelnen Themen intensiver als in der Standardliteratur abgehandelt werden. Zudem kann eine engere Verbindung zwischen theoretischen Grundlagen und den diagnostischen Fragestellungen erfolgen.

Diese Reihe möchte dem Praktiker eine Orientierung und Vorgehensweisen vermitteln, um in der Praxis eine optimale Diagnosestrategie zu entwickeln. Kurzgefasste Übersichten über die aktuellen Trends, praxisnahe Verfahrensbeschreibungen und Fallbeispiele erleichtern auf verschiedenen Ebenen den Zugang zum Thema. Ziel der Reihe ist es somit, die diagnostische Kompetenz im Alltag zu erhöhen. Dies bedeutet vor allem

diagnostische Entscheidungen zu verbessern,

Interventionsplanungen besser zu begründen und

in allen Phasen der Informationsgewinnung die Praxiskontrolle zu optimieren.

|6|Unser Anspruch besteht darin, bestehende Routinen der Psychologischen Diagnostik kritisch zu durchleuchten, Bewährtes zu festigen und neue Wege der Diagnostik, zum Beispiel im Rahmen computerunterstützter Vorgehensweisen und neuerer testtheoretischer Ansätze, zu etablieren.

Mit unserer Buchreihe möchten wir schrittweise und systematisch verschiedene Anwendungsbereiche der Psychologischen Diagnostik bearbeiten. Pro Jahr sollen zwei Bände publiziert werden, wobei jeder Band etwa 120 bis 180 Druckseiten haben soll.

Folgende Bände sind in Vorbereitung:

Familienrechtliche Diagnostik

Diagnostik von Traumafolgestörungen

Stressdiagnostik

Teamdiagnostik

Wir wünschen uns hierzu einen intensiven Austausch mit unserer Leserschaft.

Bremen und Münster, im Juli 2019

Franz Petermann

und Heinz Holling

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber

Vorwort

1 Einführung

1.1 Geschichtliche Entwicklung essverhaltensbezogener Konzepte und Störungen

1.2 Zum Aufbau dieses Buches

2 Essstörungen und Adipositas

2.1 Anorexia Nervosa

2.2 Bulimia Nervosa

2.3 Binge-Eating-Störung

2.4 Weitere Essstörungen

2.5 Adipositas

3 Erfassung von Essverhalten in Labor und Alltag

3.1 Erfassung von Essverhalten im Labor

3.2 Erfassung von Essverhalten im Alltag

4 Selbstbeurteilungsverfahren

4.1 Gezügeltes und emotionales Essverhalten

4.1.1 Restraint Scale (RS)

4.1.2 Three-Factor Eating Questionnaire (TFEQ)

4.1.3 Dutch Eating Behavior Questionnaire (DEBQ)

4.1.4 Flexible and Rigid Control Scales (FC12, RC16)

4.1.5 Inventar zum Essverhalten und Gewichtsproblemen (IEG)

4.1.6 Perceived Self-Regulatory Success in Dieting Scale (PSRS)

4.1.7 Salzburg Stress Eating Scale (SSES)

4.1.8 Salzburg Emotional Eating Scale (SEES)

4.2 Craving und suchtartiges Essverhalten

4.2.1 Attitudes to Chocolate Questionnaire (ACQ)

4.2.2 Food Cravings Questionnaires (FCQ-T und FCQ-S)

4.2.3 Food Craving Inventory (FCI)

4.2.4 Power of Food Scale (PFS)

4.2.5 Yale Food Addiction Scale (YFAS)

4.3 Orthorektisches Essverhalten

4.3.1 Bratman Orthorexia Test (BOT)

4.3.2 ORTO-15

4.3.3 Düsseldorfer Orthorexie Skala (DOS)

4.4 Intuitives Essverhalten

4.4.1 Intuitive Eating Scale (IES)

4.4.2 Positive Eating Scale (PES)

4.5 Essstörungen

4.5.1 Eating Disorder Examination-Questionnaire (EDE-Q)

4.5.2 Eating Attitudes Test (EAT)

4.5.3 Eating Disorder Inventory (EDI)

4.5.4 Eating Disorder Diagnostic Scale (EDDS)

4.5.5 Munich Eating and Feeding Disorder Questionnaire (Munich ED-Quest)

4.5.6 Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen: Fragebogen zur Selbstauskunft (SIAB-S)

4.5.7 SCOFF

4.5.8 Short Evaluation of Eating Disorders (SEED)

4.5.9 Anorexia-Nervosa-Inventar zur Selbstbeurteilung (ANIS)

4.5.10 Night Eating Questionnaire (NEQ)

4.6 Spezielle Verfahren für das Kindes- und Jugendalter

4.6.1 Children’s Eating Behaviour Questionnaire (CEBQ)

4.6.2 Child Feeding Questionnaire (CFQ)

4.6.3 Eating Disorders in Youth-Questionnaire (EDY-Q)

4.6.4 Anorectic Behavior Observation Scale (ABOS)

5 Interviewverfahren

5.1 Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-5-Störungen (SCID-5)

5.2 Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS)

5.3 Eating Disorder Examination (EDE)

5.4 Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen: Interview für Experten (SIAB-EX)

6 Weitere essverhaltensrelevante Konzepte

6.1 Grazing

6.2 Essensmotive

6.3 Neophobie und Ekel

6.4 Körperbild

6.5 Gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung

7 Fallbeispiele

7.1 Patientin A (Anorexia Nervosa)

7.1.1 Diagnostik bei Aufnahme

7.1.2 Therapieverlauf und Katamnese

7.2 Patientin B (Bulimia Nervosa)

7.2.1 Diagnostik bei Aufnahme

7.2.2 Therapieverlauf und Katamnese

7.3 Patientin C (Nicht näher bezeichnete Essstörung, Adipositas)

7.3.1 Diagnostik bei Aufnahme

7.3.2 Therapieverlauf und Katamnese

Literatur

Anhang

|11|Vorwort

Wie kommt es, dass Essen für manche Menschen etwas ganz Normales ist, über das sie nicht viel nachdenken müssen, während andere Menschen täglich damit hadern und es für sie zum wichtigsten Thema im Leben wird? Diese Alltagsrelevanz (jeder Mensch muss schließlich essen) und die gleichzeitig großen individuellen Unterschiede, die Menschen hierbei an den Tag legen, machen Essverhalten zu einem spannenden Thema. Seit nunmehr etwa 10 Jahren befasse ich mich hiermit wissenschaftlich. Die meisten Menschen denken hierbei dann sofort an Magersucht (die wohl bekannteste Essstörung) oder Adipositas. Essverhalten ist aber sehr viel facettenreicher als die simple Unterscheidung „dünn sein und zu wenig essen“ und „dick sein und zu viel essen“. Ziel dieses Buches ist daher, ein möglichst breites Spektrum an Messmethoden abzudecken, um dieser Vielschichtigkeit der verschiedenen Aspekte des Essverhaltens gerecht zu werden.

Herzlich bedanken möchte ich mich bei den Herausgebern – Prof. Dr. Franz Petermann und Prof. Dr. Heinz Holling – für die Möglichkeit, diesen Band im Rahmen der Reihe Kompendien Psychologische Diagnostik zu verfassen und bei Frau Dipl.-Psych. Tanja Ulbricht für die freundliche Unterstützung bei der Umsetzung dieses Buches. Mein Dank gilt weiterhin allen Kolleginnen und Kollegen, die Informationen und Materialien für dieses Buch bereitgestellt und deren Abdruck genehmigt haben. Schließlich möchte ich mich bei Frau Dr. Anna Richard bedanken, die erheblich zur Erstellung der Fallbeispiele beigetragen hat.

Prien am Chiemsee, im Herbst 2019

Adrian Meule

|12|1 Einführung

Menschen essen täglich, sofern dies nicht durch Nahrungsknappheit eingeschränkt ist. Entsprechend handelt es sich bei dem auf den ersten Blick sehr simplen Vorgang der Nahrungsaufnahme um ein sehr komplexes Verhalten. Jeden Tag müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen werden: wann gegessen wird, was gegessen wird und wie lange bzw. wie viel gegessen wird. Nach Wansink und Sobal (2007) treffen Menschen täglich (und meist unbewusst) sogar über 200 solcher Entscheidungen.

Trotz dieser Komplexität funktioniert die Steuerung des Essverhaltens zumeist ohne Probleme. Manche Menschen nehmen allerdings zu wenig Energie mit der Nahrung bzw. bestimmte Nährstoffe nicht in ausreichender Menge auf, was zu Untergewicht bzw. Mangelernährung führen kann. Dieser Mangel kann einerseits beabsichtigt herbeigeführt sein (wie beispielsweise bei Magersucht), kann aber auch ungewollt eintreten (z. B. bedingt durch körperliche Krankheit). Dahingegen nehmen weitaus mehr Menschen zu viel Energie mit der Nahrung auf, was langfristig mit Übergewicht einhergeht. Wie beim Zu-wenig-Essen kann auch das Überessen unterschiedliche Gründe haben. Während das Essverhalten mancher Menschen beispielsweise durch zeitlich umgrenzte Essanfälle gekennzeichnet ist, läuft eine kontinuierlich erhöhte Energiezufuhr bei vielen Menschen weniger exzessiv und eher unbewusst ab („passives Überessen“).

Das Ziel dieses Buches ist die Darstellung von Erfassungsmöglichkeiten zur Beschreibung des Essverhaltens. Gemeint ist hiermit nicht eine exakte Messung der konsumierten Makro- und Mikronährstoffe, wie sie zum Beispiel im Rahmen einer Ernährungsberatung durchgeführt würde. Stattdessen stehen psychologische Aspekte im Vordergrund. Diese umfassen beispielsweise bestimmte Essensstile und -motive wie eine selbstauferlegte Zügelung des Essens, einen subjektiv empfundenen Kontrollverlust über die Nahrungsmenge, die Rolle von Emotionen als Auslöser von Nahrungsaufnahme oder die Intention, sich besonders gesund ernähren zu wollen. Diese Aspekte können – müssen aber nicht – bei Essstörungen und Adipositas besonders stark oder vermindert ausgeprägt sein. Entsprechend ist ein wesentliches Anliegen dieses Buches zwar einerseits die Beschreibung klarer kategorialer Erfassungsansätze (z. B. bei der Diagnostik von Essstörungen). Darüber hinaus wird andererseits Essverhalten und dessen Charakterisierung durch diagnostische Verfahren vor allem als Kontinuum betrachtet, welches – auch ohne, dass ein |13|klinisch relevantes, gestörtes Essverhalten vorliegt – erheblich variieren kann. Um diese Sichtweise zu verdeutlichen, wird nachfolgend zunächst ein kurzer historischer Überblick über die Entwicklung von relevanten Konzepten und Störungen gegeben.

1.1 Geschichtliche Entwicklung essverhaltensbezogener Konzepte und Störungen

Fälle von Adipositas – also extremen Übergewichts – gab es bereits in der Antike. Beispielsweise berichtete bereits Celsus (ca. 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) von den körperlichen Risiken, die mit Adipositas einhergehen. Weiterhin waren angemessene Therapiemöglichkeiten zu damaliger Zeit nicht unbekannt. So beschreibt etwa Galen (ca. 129 bis 200 n. Chr.) einen adipösen Patienten, der durch eine Kombination von Ernährungsumstellung und körperlicher Aktivität behandelt wurde (Haslam, 2012).

Auch bei der Anorexia Nervosa – also Magersucht – handelt es sich um eine jahrhundertealte Erkrankung. Eine der prominentesten, frühen Beschreibungen stammt von William Gull aus dem Jahr 1873 (nachgedruckt in Gull, 1997), wobei aber auch frühere Fälle bekannt sind (vgl. die Übersicht von Bemporad, 1996). Dementsprechend früh wurde die Anorexie als psychische Störung in diagnostische Klassifikationssysteme aufgenommen, nämlich bereits in die erste Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-I) im Jahr 1952.

Im Gegensatz dazu hat die Erforschung und Behandlung von anderen Essstörungen eine jüngere Geschichte. Eine der ersten Beschreibungen von Patienten1, bei denen Essanfälle auftraten, stammt von dem Psychoanalytiker Mosche Wulff (1932). In den 1950er Jahren erkannte der Psychiater Albert Stunkard, dass das Essverhalten adipöser Patienten individuell sehr unterschiedlich sein kann. So beschrieb er unter anderem die Binge-Eating-Störung, bei der regelmäßige Essanfälle erlebt werden, sowie das Night-Eating-Syndrom, bei dem ein großer Teil der täglichen Nahrungsaufnahme abends nach dem Abendessen oder nachts erfolgt (Stunkard, 1959; Stunkard, Grace & Wolff, 1955). Beide Essstörungen wurden erst über ein halbes Jahrhundert später in die fünfte Version des DSM aufgenommen (|14|American Psychiatric Association, 2013). Der Begriff der Bulimia Nervosa – oder Ess-Brech-Sucht – wurde im Wesentlichen durch die Arbeit von Gerald Russell (1979) geprägt, wobei aber auch hier ältere Beschreibungen existieren (vgl. die Übersicht von Vandereycken, 1994). In das DSM wurde die Bulimie erstmals in dessen dritter Überarbeitung im Jahr 1980 aufgenommen.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts begannen psychologische Ansätze zur Erklärung von Adipositas und Essstörungen eine immer größere Rolle zu spielen. So betonten verschiedene Autoren die Wichtigkeit psychologischer Faktoren, wie etwa die Rolle von Emotionen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexie und Adipositas (Bruch, 1955; Hamburger, 1951; Kaplan & Kaplan, 1957). In den 1960er Jahren dominierte die Externalitätshypothese zur Erklärung von Adipositas, welche vor allem durch die Arbeiten von Richard Nisbett (1968) und Stanley Schachter (1968) geprägt war. Diese besagt, dass das Essverhalten adipöser Menschen vorwiegend durch externale Reize (z. B. der Anblick oder Geschmack von Nahrung oder die Tageszeit) und weniger durch internale Reize (z. B. Hungergefühl) bestimmt wird. In den 1970er Jahren schlug Nisbett (1972) eine alternative Erklärung vor. In seiner Setpoint-Theorie ging er davon aus, dass sich die meisten adipösen Menschen in einem Zustand chronischen Hungers befinden, da sie versuchen ihr Körpergewicht unter ihrem biologisch determinierten „Sollwert“ zu halten.

Diese Überlegungen stimulierten Peter Herman und Janet Polivy zu Untersuchungen zum gezügelten Essverhalten, also der willentlichen Einschränkung der Nahrungsaufnahme zur Gewichtsregulation (z. B. Herman & Polivy, 1975). In einer wegweisenden Studie (Herman & Mack, 1975) fanden sie heraus, dass sogenannte gezügelte Esser mehr Eiscreme aßen, wenn sie vorher einen Milchshake („Preload“) zu trinken bekamen. Ungezügelte („normale“) Esser aßen dahingegen weniger Eiscreme, wenn sie zuvor einen Milchshake getrunken hatten. Der Konsum des Milchshakes führte also bei den gezügelten Essern zu einer Enthemmung (Disinhibition) des Essverhaltens; vermutlich, weil sie mit Konsum des Milchshakes ihre selbstgesetzte Diätgrenze bereits überschritten hatten („what-the-hell-effect“; Herman & Polivy, 1983).

Während die Theorien von Schachter und Nisbett noch die Erklärung des Essverhaltens adipöser Menschen zum Ziel hatten, können die Studien von Herman und Polivy als Startpunkt einer neuen Forschungslinie gesehen werden. Beim Konzept des gezügelten Essverhalten ging es nicht mehr lediglich um das Essverhalten von Menschen mit Essstörungen oder Adipositas, sondern es wurde aufgezeigt, dass auch bei gesunden, normalgewichtigen Menschen große individuelle Unterschiede hinsichtlich des Essverhaltens bestehen.

|15|1.2 Zum Aufbau dieses Buches

Im vorliegenden Band werden zahlreiche Konstrukte des Essverhaltens und deren Erfassungsmöglichkeiten dargestellt. Der Fokus liegt hierbei auf mehr oder weniger bekannten Instrumenten, für die auch deutschsprachige Versionen vorliegen. Daher kann dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich jeglicher Maße, die es zum Essverhalten gibt, stellen. Beispielsweise existieren zahlreiche Verfahren, für die allerdings keine deutschsprachigen Übersetzungen vorliegen. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe im deutschen Sprachraum entwickelter und publizierter Instrumente, die jedoch weder international noch national eine breite Rezeption erfahren haben und daher nicht in dieses Buch aufgenommen wurden.

Im folgenden Kapitel 2 wird zunächst ein Überblick über die Definitionen und Kernmerkmale von Essstörungen und Adipositas gegeben. Danach folgen in Kapitel 3 kurze Erläuterungen zu Erfassungsmöglichkeiten von Essverhalten im Labor und im Alltag. Den Großteil des Buches stellt dann die Beschreibung von Fragebogenverfahren in Kapitel 4 dar. Hier werden zunächst Instrumente beschrieben, die zur Erfassung bestimmter Essverhaltensweisen dienen. Diese können zwar mit Essstörungen und Adipositas in Verbindung stehen, jedoch variieren deren interindividuelle Ausprägungen auch stark bei normalgewichtigen Menschen ohne Essstörungen. Diese Aspekte umfassen unter anderem gezügeltes und emotionales Essverhalten, Craving nach bestimmten Nahrungsmitteln bzw. ein suchtähnlicher Nahrungsmittelkonsum, orthorektisches Essverhalten sowie intuitives Essverhalten. Danach folgt eine Beschreibung von Selbstberichtsverfahren zur Erfassung gestörten Essverhaltens sowie von Interviewverfahren zur Diagnostik von Essstörungen in Kapitel 5. Zusätzlich werden in Kapitel 6 noch Verfahren zu weiteren essensrelevanten Konzepten angesprochen, wie etwa zur Erfassung von Grazing, bestimmter Essensmotive, essensbezogener Neophobie und Ekel, körperbezogener Wahrnehmung und Beurteilung sowie gewichtsbezogener Stigmatisierung und Diskriminierung. Abschließend wird in Kapitel 7 die Anwendung ausgewählter Verfahren im Kontext der Diagnostik von Essstörungen anhand von drei Fallbeispielen erläutert.

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