Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - E-Book

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl E-Book

Jan Quenstedt

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Beschreibung

Die Studie fragt, wie es im Rahmen früher christlicher Gemeinden zur Herausbildung eines Konzepts diakonischen Handelns kam. Dazu stellt sie unter Beachtung des Entstehungskontexts des Neuen Testaments Handlungsvollzüge dar, die zeitgenössischen Konzepten diakonischen Handelns zugeordnet werden. Sie nutzt hierzu einen Vergleich früher christlicher Gemeinden mit antiken Vereinigungen und deren epigraphischen Zeugnissen. Insbesondere in Bezug auf die zugehörigen Handlungsvollzüge und die Motivation von "Diakonie" setzt die Studie neue Akzente, weil sie methodisch begründet in ihrer Darstellung über diejenigen Zusammenhänge hinausgeht, die gemeinhin mit "Diakonie" verbunden werden. Dadurch regt die Studie eine Auseinandersetzung mit der Thematik an, die das diakonisch-fürsorgliche Handeln als eine bleibende Herausforderung theologischer und kirchlicher Praxis versteht.

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Jan Quenstedt

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

Das Konzept diakonischen Handelns im Licht antiker Vereinigungen und früher christlicher Gemeinden

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig angenommene Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor Theologiae.

 

Die Drucklegung wurde gefördert durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Union Evangelischer Kirche in Deutschland (UEK), die Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. sowie die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS).

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-7720-8710-3 (Print)

ISBN 978-3-7720-0120-8 (ePub)

Inhalt

VorwortEinleitungI. „Diakonie“: Annäherungsversuche1. Biblische Kontexte und „Diakonie“1.1 „Diakonie“ in der Bibel1.1.1 Neues Testament1.1.2 Septuaginta1.2 „Diakonie“ und Diakoniewissenschaft1.2.1 „Studienbuch Diakonik“1.2.2 „Diakonisches Kompendium“1.2.3 „Diakonische Konturen. Theologie im Kontext sozialer Arbeit“1.2.4 „Diakonie. Grundlagen für die soziale Arbeit der Kirche“1.2.5 „Diakonik. Grundlagen – Konzeptionen – Diskurse“1.3 „Diakonie“, Denkschriften und Leitbilder1.3.1 Diakonie Deutschland1.3.2 Diakonie Sachsen1.3.3 Diakonisches Werk Innere Mission Leipzig e. V.1.3.4 Herz und Mund und Tat und Leben – Denkschrift der EKD1.4 „Diakonie“ und Predigt1.5 „Diakonie“ und Musik1.6 „Diakonie“ und Alltagssprache1.7 Zusammenfassung2. Empirische Wissenschaft und „Diakonie“2.1 Problemanzeige: Das Selbstverständnis „diakonisch“ Handelnder2.2 V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD2.3 Kritische Würdigung3. Exegetische Wissenschaft und „Diakonie“3.1 Hermann Wolfgang Beyer3.1.1 Darstellung3.1.2 Kritische Würdigung3.2 John N. Collins3.2.1 Darstellung3.2.2 Kritische Würdigung3.3 Anni Hentschel3.3.1 Darstellung3.3.2 Kritische Würdigung3.4 Collins’ Auseinandersetzung mit Hentschel3.5 Ergebnisse4. ZusammenfassungII. „Diakonie“ und Vereinigungen1. Vorbemerkungen1.1 Einführung1.2 Formale Hinweise1.2.1 Zeit1.2.2 Raum1.2.3 Grenzen1.2.4 Methodischer Leitfaden1.3 Das Konzept diakonischen Handelns – Semantisch-inhaltliche Hinweise1.4 Das Imperium Romanum – Sozialgeschichtliche Problemskizze1.4.1 Hellenismus1.4.2 Zeit1.4.3 Raum und Mobilität1.4.4 Strukturen1.5 Imperium Romanum und Vereinigungen – Überblick1.5.1 Skizzen zur Forschungslage1.5.2 Begriffsbestimmungen1.5.3 Rechtliche Grundlagen der Vereinigungen1.5.4 Strukturelle Grundlagen der Vereinigungen1.5.5 Quellenlage und Editionen1.6 Vereinigungen und Neues Testament – Ausgangspunkte und Zielstellung2. Quellenanalyse: Vereinigungen in Selbstdarstellungen2.1 Vorbemerkungen2.2 Vereinigungsstatut aus Lanuvium2.2.1 Text und Übersetzung2.2.2 Situation der Inschrift2.2.3 Soziologie der Vereinigung2.2.4 Ergebnisse2.3 Vereinigungsstatut aus Thessaloniki2.3.1 Text und Übersetzung2.3.2 Situation und Lektüre der Inschrift2.3.3 Soziologie der Vereinigung2.3.4 Ergebnisse2.4 Vereinigungsstatut aus Athen2.4.1 Text und Übersetzung2.4.2 Situation der Inschrift2.4.3 Soziologie der Vereinigung2.4.4 Ergebnisse2.5 Würdigung des Chaireas2.5.1 Text und Übersetzung2.5.2 Situation und Lektüre der Inschrift2.5.3 Soziologie der Vereinigung2.5.4 Ergebnisse2.6 Würdigung des Kraton2.6.1 Text und Übersetzung2.6.2 Situation und Lektüre der Inschrift2.6.3 Soziologie der Vereinigung2.6.4 Ergebnisse2.7 Würdigung des Diodoros2.7.1 Text und Übersetzung2.7.2 Situation und Soziologie der Inschrift2.7.3 Lektüre der Inschrift2.7.4 Ergebnisse2.8 Würdigung des Cheirisophos2.8.1 Text und Übersetzung2.8.2 Situation und Lektüre der Inschrift2.8.3 Soziologie der Vereinigung2.8.4 Ergebnisse2.9 Würdigung des Herakleitos2.9.1 Text und Übersetzung2.9.2 Situation und Lektüre der Inschrift2.9.3 Gruppendynamik und Arzthonorar2.9.4 Ergebnisse2.10 Würdigungen der Atalante2.10.1 Text und Übersetzung2.10.2 Situation und Lektüre der Inschriften2.10.3 Ergebnisse2.11 Semantische Überlegungen2.11.1 Philotimia2.11.2 Philanthropie2.12 Ergebnisse2.12.1 Methodische Einsichten2.12.2 Inhaltliche Einsichten2.12.3 ZusammenfassungIII. „Diakonie“, Vereinigungen und Neues Testament1. Vorbemerkungen1.1 Struktur1.2 Inschriften, Evangelien und Briefe2. Gruppendynamik2.1 Hierarchie2.1.1 Epigraphischer Befund2.1.2 Neutestamentlicher Befund2.1.3 Zusammenfassung2.2 Strategien zur Lösung von Problemen und zur Konfliktprävention2.2.1 Epigraphischer Befund2.2.2 Neutestamentlicher Befund2.2.3 Zusammenfassung2.3 Mimesis und Nachahmung2.3.1 Epigraphischer Befund2.3.2 Neutestamentlicher Befund2.3.3 Zusammenfassung3. Gaben, Güter und Mahlzeiten3.1 Gaben, Güter und Mahlzeiten im Kontext der Apostelgeschichte3.1.1 Das Gemeindebild der Apostelgeschichte3.1.2 Kontextualisierung und Problemanalyse3.1.3 Zusammenschau: Apostelgeschichte und Vereinigungen3.2 Gaben, Güter und Mahlzeiten im Kontext der paulinischen Briefe3.2.1 Gaben und Güter im Licht gemeinsamer Mahlzeiten3.2.2 Gaben und Güter im Licht der Kollektenprojekte3.3 Exkurs: Gaben, Güter und Mahlzeiten bei den Apologeten4. Bestattung4.1 Epigraphischer Befund4.2 Neutestamentlicher Befund4.3 Exkurs: Außerkanonischer Befund4.3.1 Darstellung4.3.2 Kontextualisierung4.4 Zusammenfassung5. Philanthropie5.1 Philanthropie in der Apostelgeschichte5.1.1 Apg 27,1–35.1.2 Apg 28,1–25.2 Philanthropie in Tit 3,1–75.3 Zusammenfassung6. Philotimia6.1 Philotimia in Röm 15,14–216.2 Philotimia in 2Kor 4,16–5,106.3 Philotimia in 1Thess 4,9–126.4 ZusammenfassungIV. Ertrag1. Innovation und Integration2. Motivation und MimesisV. Praktisch-theologische Perspektiven1. Lernen und Leben1.1 Grundlagen1.2 Voraussetzungen Diakonischen Lernens1.3 Diakonisches Lernen in der Diakonie1.4 Diakonisches Lernen und Diakonie – Resümee2. Aufgaben und AusblickAbkürzungsverzeichnisInschrifteneditionenSchriften Philons von AlexandrienSchriften Flavius Josephus’Textkritische ZeichenLiteraturverzeichnisRegister

Mihi crede, verum gaudium res severa est.

Sen. epist. XXIII

Vorwort

In einer immer komplexer werdenden Welt sind es manchmal die alltäglichen und allgegenwärtigen Dinge, deren Kern vielschichtiger und schwieriger zu verstehen ist, als es auf den ersten Blick scheint. Für mich ist „Diakonie“ ein solches Phänomen, welches mich seit meinen Studientagen in Theorie und Praxis begleitet. Die Auseinandersetzung mit ihr steht im Zentrum der vorliegenden Studie: Welche Gestalt sollte sie haben? Wie lässt sie sich begründen? Welche biblische Fundierung kann sie für sich in Anspruch nehmen? Welche Beziehungen bestehen zwischen ihr und der Kirche? Was zeichnet sie aus gegenüber anderen Formen sozialen Handelns? Ist sie überhaupt noch zeitgemäß? Den Frageperspektiven, deren Spektrum ich hier nur basal andeute, sind keine Grenzen gesetzt. Und überhaupt erweist sich die Beschäftigung mit „Diakonie“ als eine beständige Quelle neuer Erkenntnisse, Überlegungen und Fragen. Die vorliegende Studie legt über diese Vielgestaltigkeit Zeugnis ab und will ihrerseits zur Beschäftigung mit dem Thema „Diakonie“ anregen, das für mich eine bleibende Aktualität und Faszination besitzt. Gleichsam als eine Art Bestandsaufnahme meiner vorläufigen Überlegungen zu diesem Sujet wurde die vorliegende Arbeit von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig im Juli 2019 als Dissertation angenommen, für den Druck leicht überarbeitet und an wenigen Stellen ergänzt.

Viele Menschen haben in unterschiedlichster Art und Weise dazu beigetragen, dass mein Interesse an der „Diakonie“ zum Gegenstand einer Dissertation und zum Inhalt des vorliegenden Buches werden konnte. Ihnen allen gilt mein tief empfundener Dank.

Besonders danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Jens Herzer, der mir mit einem großen Vertrauensvorschuss die Konzeption und Erarbeitung meines Dissertationsprojektes ermöglicht hat. Seine exzellente Betreuung hat mir zu jedem Zeitpunkt die notwendige Anleitung bei größtmöglicher Freiheit gegeben und damit grundlegend zum Erfolg meines Vorhabens beigetragen. Ohne das persönliche Interesse meines Doktorvaters an diakonischen Fragestellungen und ohne seine beständige Ermutigung wäre mir die Abfassung der Dissertation nicht in dem Maße eine Freude gewesen, wie sie es, zu meiner eigenen Überraschung, anhaltend war. Prof. Dr. Marco Frenschkowski gilt mein Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens und für Anregungen und Literaturhinweise, die nach wie vor zu einem beständigen Wissensgewinn und bis zu diesem Zeitpunkt zu einer ebenso beständigen Erweiterung der Arbeit beigetragen haben.

Meine Anstellung am Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig hat mir vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung und des Austauschs eröffnet. Besonders zu erwähnen sind die Neutestamentliche Sozietät am Institut für Neutestamentliche Wissenschaft der Universität Leipzig, das Internationale Forschungskolloquium mit der Rice-University Houston/Texas und die alljährliche Internationale Doktorandentagung der Universitäten Leipzig, Wien und Hamburg. Allen daran Teilnehmenden danke ich für konstruktiven Austausch, ermutigende Worte und anregende Diskussionen. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Neutestamentliche Wissenschaft schulde ich Dankbarkeit für ein freundschaftlich-tragendes Miteinander, das weit über dienstliche Notwendigkeiten hinausreicht. Den Studierenden der Leipziger Theologischen Fakultät, die sich in mehreren Übungen gemeinsam mit mir auf die Spur der „Diakonie“ begeben haben, danke ich für ihre Offenheit und Diskussionsfreude. Unsere Lehrveranstaltungen haben meinen Erkenntnisweg angeregt und mich immer wieder herausgefordert, meine Überlegungen und Formulierungen auf ihre Verständlichkeit hin zu überprüfen. Auch aus diesem akademischen Miteinander heraus entspringt mein Wunsch, dass das vorliegende Werk für eine breite Öffentlichkeit verständlich ist und ihr eine Perspektive für die „Diakonie“ eröffnet. Der weitgefächerte Zugriff auf die Thematik sowie der Aufbau der Studie versuchen diesem Ansinnen Rechnung zu tragen.

Ich danke den Herausgebenden der Reihe „Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie“ für die freundliche Aufnahme in diese Buchreihe und dem Narr Francke Attempto Verlag für die unkomplizierte und konstruktive Zusammenarbeit. Die Drucklegung wurde durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK), die Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS) gefördert. Allen Institutionen gilt mein herzlicher Dank für die großzügige Unterstützung.

Mein besonderer Dank gilt den Menschen in meinem Umfeld, die mich in den Jahren meiner Arbeit an der vorliegenden Studie – und darüber hinaus – begleitet und unterstützt haben. Sei es durch kollegialen Austausch oder konstruktive Kritik, durch gemeinsam verbrachte Zeit oder durch Ermutigung, durch Erfahrungsaustausch oder technische Hilfestellung. Insbesondere sind Dr. Teresa Tenbergen, Dr. Martin Naumann, Eike H. Thomsen, Lena Seehausen, Kerstin Backhaus, Michael Mazurkiewicz, Christian Mittelstaedt, Dr. Erik. A. Panzig, Lisa Kern, Nicole Oesterreich und Sabrina Lohse zu nennen, die mir mit viel Akribie und Zeitaufwand als Gesprächspartnerinnen und -partner und Korrekturleserinnen und -leser zur Seite standen. Auch die beständige Unterstützung meiner Familie, besonders die meiner Eltern Beate und Jürgen Quenstedt, hat wesentlich zum Gelingen meines Dissertationsvorhabens beigetragen. Ich danke ihnen von Herzen. Meine Frau Luise-Catharina Quenstedt hat in den letzten Jahren oftmals meine Aufmerksamkeit mit meinem Dissertationsprojekt teilen müssen. Sie hat mich in dieser Zeit beständig und geduldig daran erinnert, dass es auch ein Leben neben dem Schreibtisch gibt. Für diese „Diakonie“ bin ich ihr bleibend dankbar, weswegen ihr diese Arbeit gewidmet sei.

 

Leipzig, am Sonntag Judika 2020    Jan Quenstedt

Einleitung

„Was ist Diakonie?“

 

Interessierte Internetnutzerinnen und -nutzer1, die die voranstehende Frage in die Internetsuchmaschine Google eingeben, erhalten etwa 11.700 Suchergebnisse.2 Allein die schiere Größe der Zahl lässt den Schluss zu, dass „Diakonie“ ein weitgefächertes Phänomen darstellt, das offen ist für eine Vielzahl an Erklärungs- und Deutungsmöglichkeiten. Außerdem provoziert diese horrende Anzahl an Suchergebnissen aber auch die Frage, warum die vorliegende Studie noch einen weiteren Antwortversuch vorlegt, wenn doch schon alles gesagt zu sein scheint in Bezug auf das Verständnis von „Diakonie“.

Aus der Sicht eines diakoniewissenschaftlich interessierten Exegeten liegt die Notwendigkeit eines 11.701. Versuchs auf der Hand: Die exegetische Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren aufgezeigt, dass ein lange gültiger Konsens in Bezug auf das Verständnis des neutestamentlichen Lexems διακονέω κτλ. keine Tragfähigkeit mehr besitzt, sondern eine Reformulierung des Verständnisses notwendig erscheint. Zugleich ist das, was die exegetische Wissenschaft unter dem Lexem versteht, nicht zwangsläufig das, was die Diakonie als Trägerin sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich praktisch umsetzt. Es besteht also eine Differenz zwischen dem neutestamentlichen Verständnis von „Diakonie“ und seiner praktischen Gestalt: Beides kann zweifellos von Zeit zu Zeit und an diversen Orten in eins fallen, aber ein Konvergenzautomatismus ist nicht gegeben. Diakonie ist also nicht gleich „Diakonie“. Das zeigt auch der Sprachgebrauch in dieser Studie: Steht der Begriff in Anführungszeichen, so bezeichnet er Motive, Verhaltensweisen und HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge, die mit dem Begriff verbunden werden. Ohne Anführungsstriche gebraucht, ist jeweils die namensgleiche Institution gemeint, die sich mit ihren Werken, Verbänden und Einrichtungen auf dem Markt der WohlfahrtspflegeWohlfahrt engagiert. Weiterhin bezieht sich das Attribut „diakonisch“, in dieser Studie ohne Anführungszeichen gebraucht, inhaltlich auf „Diakonie“ und die damit verbundenen Motive. Die vorliegende Studie sucht Verbindungen zwischen dieser „Diakonie“ und der Diakonie und damit zwischen exegetischer Wissenschaft und diakonischer Praxis vor dem Hintergrund der verbindenden Basis des Neuen Testaments. Dass mit dieser Suche die bereits angerissenen Differenzen zwischen Theorie und Praxis nicht grundlegend ausgeräumt werden können, legt sich aufgrund des begrenzten Umfangs der Untersuchung und der Exemplarizität ihrer Ausführungen nahe. Wie später noch ausgeführt werden wird, besteht der Mehrwert dieser Studie darüber hinaus aber in der Anregung eines Gesprächs zwischen den theologischen Disziplinen, in dem „Diakonie“ als ein Konzept verstanden werden sollte. Damit versuchen diese Ausführungen die exegetische Wissenschaft, die Diakonie und die DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft an einen Tisch zu bringen und eine Verbindung zwischen den einzelnen Disziplinen bzw. Institutionen herzustellen. Mit dieser angestrebten Verbindung wird ein Bogen geschlagen, der über diese Studie hinausweist, weil er darauf angelegt ist, an anderen Stellen aufgegriffen und vertieft zu werden.

Um den avisierten Bogen nachvollziehen zu können, beschreitet diese Arbeit im Spannungsfeld von Neuem Testament und „Diakonie“ einen neuen Weg, indem sie das Gespräch mit den Zeugnissen antiker Vereinigungen sucht. Diese bieten sich aufgrund ihrer Strukturen, ihrer OrganisationsformOrganisationsform und ihres Gemeinschaftslebens zum Vergleich an, wie auch in den Kapiteln II.1.1, II.1.5 und II.1.6 deutlich herausgearbeitet werden wird. In dieser Perspektive eines phänomenologischen Vergleichs zwischen antiken Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden, der auf der Untersuchung von epigraphischen Zeugnissen und neutestamentlichen Schriften beruht und durch eine heuristische Bestimmung des Konzepts diakonischen Handelns geleitet wird, wird deutlich werden, was „Diakonie“ ist und sein kann und welche Relevanz ihr für die Gegenwart zukommt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass sich im Begriff der „Diakonie“ die Dimension praktischer HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge mit der Dimension einer ihnen vorausgehenden Gesinnung und Lebensgewohnheit, d.h. eines EthosEthos, verbindet. Implizit wird also auch die Frage nach diesem Ethos und der daraus resultierenden GruppendynamikGruppendynamik von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden mit bedacht werden.

Zur Begehung des skizzierten Weges gliedert sich die vorliegende Arbeit in vier Abschnitte als Wegmarken des Erkenntnisgewinns. Abschnitt I bietet Annäherungsversuche an den Begriff und das Phänomen der „Diakonie“. Der Struktur des Abschnitts liegt die didaktisch motivierte Überlegung zugrunde, drei verschiedene Zugänge zu bieten, die je nach Vorkenntnis und Interesse der Leserinnen und Leser einzeln oder in Gänze wahrgenommen werden können. Je nach Neigung kann hier eine Annäherung an die Thematik über eine Statistik biblischer Befunde sowie deren Kontexte (Kapitel I.1), empirische Wahrnehmungen (Kapitel I.2) oder exegetische Diskurse (Kapitel I.3) erfolgen. Alle drei Zugänge werden in Kapitel I.4 zusammengefasst und miteinander ins Gespräch gebracht. Allein für sich und ohne die weiteren Abschnitte betrachtet, bietet Abschnitt I aber auch die Möglichkeit, sich der Thematik ohne weitreichendes Vorwissen anzunähern und damit die Grundlagen für eigene Überlegungen zu schaffen. Darüber hinaus versteht sich Kapitel I.3 auch als eine forschungsgeschichtliche Skizze über die exegetische Auseinandersetzung mit dem Lexem διακονέω κτλ. Dass diese Studie neben diesem forschungsgeschichtlichen Überblick noch einen weiteren Überblick zur theologisch motivierten Forschung zu antiken Vereinigungen in Kapitel II.1.5.1 bietet, liegt in dem Umstand begründet, dass die Betrachtung der Thematik „Diakonie“ im Kontext antiker Vereinigungen bisher ein Desiderat darstellt und deswegen beide Forschungsbereiche gleichermaßen beachtet und dargestellt werden müssen.

Abschnitt II wendet sich der Untersuchung antiker Vereinigungen zu. Der Studie vorangestellt sind Hinweise zur Auswahl der epigraphischen Quellen sowie zum bereits genannten Konzept diakonischen Handelns (Kapitel II.1.3). Dieses Konzept bildet die Grundlage der Untersuchung der HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge antiker Vereinigungen und greift dabei auf die in Abschnitt I gewonnenen Erkenntnisse zurück. Da die vorliegende Untersuchung einen exemplarischen Ansatz verfolgt, sind zudem Vorbemerkungen erforderlich, die den historischen, sozialen und kulturellen Kontext erhellen, in dem die Vereinigungen ihren Ursprung haben (Kapitel II.1.4). Deren rechtliche und strukturelle Grundlagen werden anschließend in Kapitel II.1.5 dargestellt und mit einem Überblick über die Quellenlage und die Forschungsgeschichte zu antiken Vereinigungen verbunden. Obgleich diese Vorbemerkungen ein retardierendes Moment darstellen mögen, sind sie im Rahmen dieser Studie dennoch aus drei Gründen notwendig:

Um auf Grundlage der exemplarischen Auswahl an Inschriften zu tragfähigen Erkenntnissen zu gelangen, die sich im Kontext weiterer Forschung zu den Vereinigungen plausibilisieren lassen, ist die besprochene Auswahl zunächst in ihren zeitgeschichtlichen Horizont einzuzeichnen.

Zugleich entsprechen die Vorbemerkungen den bereits in Zusammenhang mit Abschnitt I erwähnten didaktischen Überlegungen, die eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema und den Ursprüngen des Konzepts diakonischen Handelns ermöglichen wollen, ohne dass weitere Literatur für eine erste Orientierung notwendig ist.

Letztlich dienen die Vorbemerkungen auch der Schaffung eines vergleichbaren Verstehenshorizonts zwischen dem Verfasser und den Leserinnen und Lesern dieser Studie, der das Nachvollziehen der Untersuchung und ihrer Ergebnisse erleichtert.

Kapitel II.2 bietet die Besprechung der VereinigungsinschriftenVereinigungsinschrift und befragt sie hinsichtlich des Konzepts diakonischen Handelns, wie es in Kapitel II.1.3 formuliert wurde. Der Ertrag dieses Abschnitts wird in Kapitel II.2.12 gebündelt. Dieser Ertrag stellt vonseiten der Inschriften die Grundlage für die komparative Betrachtung mit den neutestamentlichen Schriften in Abschnitt III dar. Die griechischen Inschriften werden jeweils mit einer deutschen Arbeitsübersetzung des Verfassers versehen. Für die untersuchte lateinische Inschrift wird eine fremde Übersetzung dargeboten, die von der Übersetzerin an der Originalinschrift überprüft wurde und sich deswegen besonders für die Weiterarbeit auszeichnet. Da für einige Inschriften bisher keine deutschen Übersetzungen vorliegen, schließt diese Studie auch eine Lücke in diesem Bereich.

Wie die Überlegungen zur Quellenlage in Kapitel II.1.5.5 zeigen werden, ist für eine Auseinandersetzung mit den Inschriften eine exemplarische Auswahl zu treffen. Obgleich eine Exemplarizität immer mit der Gefahr verbunden ist, singuläre Phänomene zu allgemeingültigen Merkmalen zu erheben, ist diese Beschränkung im vorliegenden Rahmen aufgrund der Fülle des Materials zwangsläufig notwendig. Gegen die Gefahr der Verallgemeinerung singulärer Phänomene wird einerseits auf die bereits aufgezeigte Bedeutung der Vorbetrachtungen verwiesen. Andererseits ist vorwegzunehmen, dass alle in dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse zunächst allein im Licht der angegebenen und besprochenen Inschriften Plausibilität besitzen und dementsprechend eine Applikation der Ergebnisse auf weitere Vereinigungen sowie die Zuordnung weiterer Inschriften jeweils einer kritischen Überprüfung bedürfen. In dieser Hinsicht wird deutlich, dass der Ertrag von Abschnitt III erst vor dem Hintergrund von Kapitel II.2 plausibel wird und beide Kapitel bzw. Abschnitte gemeinsam wahrzunehmen sind.

Der Zusammenhang von Abschnitt III und Kapitel II.2 wird noch einmal deutlicher, wenn wahrgenommen wird, dass besagter Abschnitt den in Kapitel II.2.12 gebündelten Ertrag in Beziehung zu frühen christlichen Gemeinden und den ihnen zugehörigen neutestamentlichen Schriften setzt. Die Struktur von Abschnitt III und die Auswahl der jeweiligen neutestamentlichen Perikopen ergeben sich dementsprechend aus der in Kapitel II.2 durchgeführten Besprechung der Inschriften. Weil die darin getroffene Auswahl der Inschriften einen exemplarischen Charakter besitzt, sind auch die darauf aufbauenden Ausführungen zum Neuen Testament als exemplarisch zu kennzeichnen. Auf den damit korrelierenden Gedanken der Plausibilität der Ergebnisse wurde bereits hingewiesen. Die Exemplarizität der Ausführungen geht einher mit dem Ansinnen eines phänomenologischen Vergleichs, bei dem es nicht darum gehen kann, unreflektiert HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge früher christlicher Gemeinden additiv nebeneinander zu stellen, um so dem Gedanken einer eventuellen Überbietung der Vereinigungen durch frühe christliche Gemeinden Vorschub zu leisten. Stattdessen kann ein Vergleich von frühen christlichen Gemeinden und nichtchristlichen Vereinigungen nur gelingen und anschlussfähig für das Gespräch zwischen den (theologischen) Disziplinen sein, wenn die Untersuchung geleitet wird von einem Kriterienkatalog, der für beide Corpora verbindlich ist. Appliziert auf diese Studie bedeutet diese Voraussetzung, dass nur die Motive Betrachtung finden können, die sich sowohl bei den Vereinigungen als auch bei den frühen christlichen Gemeinden im Licht des Konzepts diakonischen Handelns (vgl. Kapitel II.1.3) beobachten lassen. Das vorgestellte Konzept sorgt somit für eine Vergleichbarkeit von Vereinigungen und frühen christlichen Gemeinden. Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich aus der Untersuchung der Vereinigungen Fragen nach der GruppendynamikGruppendynamik (Kapitel III.2), nach dem Umgang mit GabenGaben, GüternGüter und MahlzeitenMahlzeiten (Kapitel III.3) und nach dem Umgang mit BestattungenBestattung (Kapitel III.4) sowie Fragen nach der Bedeutung von PhilanthropiePhilanthropie (Kapitel III.5) und PhilotimiaPhilotimia (Kapitel III.6) im Rahmen der frühen christlichen Gemeinden. Dass die hinter diesen Motiven stehenden Handlungsvollzüge in beiden Gruppen eine differierende Gestalt besitzen können, bleibt unbenommen. Aber es besteht die Möglichkeit, dass die Darstellung praktischer Handlungsvollzüge in Abschnitt III über den in Kapitel II.2.12 gezeichneten Ertrag hinausgeht, solange sie auf das Konzept diakonischen Handelns bezogen und mit den anhand der Inschriften herausgearbeiteten Motiven in einem inneren Zusammenhang stehen. Dass unter dieser Voraussetzung kein komplettes Bild der Handlungsvollzüge der frühen christlichen Gemeinden gezeichnet werden kann, versteht sich von selbst. Aber dasjenige Bild, das im Rahmen dieser Studie vor dem Hintergrund ausgewählter antiker Vereinigungen skizziert wird, besitzt für das Konzept diakonischen Handelns eine historische Kontextplausibilität, die es ermöglicht, den in Abschnitt IV formulierten Ertrag dieser Studie innerhalb anderer Kontexte zu vertiefen und in die praktisch-theologische bzw. diakonische und diakoniewissenschaftliche Theoriebildung (Abschnitt V) einfließen zu lassen, sofern die Voraussetzungen und Entscheidungen im Blick behalten werden, welche den Ertrag dieser Studie bedingen.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Struktur der folgenden Studie besitzt der 11.701. Antwortversuch auf die Frage „Was ist Diakonie?“ ein innovatives Potenzial, weil er seine Ausführungen nicht aus der Tradition der „Diakonie“ ableitet, sondern fernerhin danach fragt, wie es im Rahmen früher christlicher Gemeinden zur Herausbildung von HandlungsvollzügenHandlungsvollzüge kam, die einem Konzept diakonischen Handelns zugeordnet werden können. Dabei beansprucht der Antwortversuch nicht, HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge, die traditionellerweise mit „Diakonie“ verbunden werden, unter Rückgriff auf die neutestamentlichen Schriften ex eventu zu begründen. Stattdessen stellt er vor dem Hintergrund des historischen Entstehungskontexts der neutestamentlichen Schriften Handlungsvollzüge dar, die zeitgenössischen Konzepten diakonischen Handelns zugeordnet werden können. Die vorliegende Studie besitzt damit auch eine kritische Dimension, die mit der gegenwärtigen Gestalt von „Diakonie“ und Diakonie ins Gespräch zu bringen ist. Insbesondere in Bezug auf die zugehörigen Handlungsvollzüge und in Bezug auf die MotivationMotivation von „Diakonie“ setzt die vorliegende Studie neue Akzente, indem sie, methodisch begründet und durch die Lektüre der Inschriften motiviert, in ihrer Darstellung über diejenigen Themen und Zusammenhänge hinausgeht, die gemeinhin mit „Diakonie“ verbunden werden. Diese Perspektive wird in den Abschnitten IV und V thematisiert, die die gewonnenen Erkenntnisse zur Weiterarbeit bündeln sowie auf deren Grundlage einen Ausblick und Aufgaben formulieren. In dieser Perspektive wird der in Abschnitt IV formulierte Ertrag vielleicht nicht die Vorarbeiten für einen 11.702. Antwortversuch leisten. Jedoch kann er eine weitergehende Auseinandersetzung anregen, die das diakonische Handeln als eine bleibende Herausforderung theologischer und kirchlicher Praxis versteht.

I. „Diakonie“: Annäherungsversuche

1.Biblische Kontexte und „Diakonie“

Im Folgenden wird ein exemplarischer Einblick in eine Auswahl von aktueller diakoniewissenschaftlicher Literatur und von Verlautbarungen diakonischer WerkeDiakonische Werke und Einrichtungen gegeben. Damit fragt dieses Kapitel nach der Verwendung biblischer Texte innerhalb der DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft und der Diakonie. Ziel dieser Untersuchung ist es, einen Eindruck zu gewinnen, welchen biblischen Texten beide Bereiche aktuell eine Bedeutung zuschreiben. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu „Diakonie“, Vereinigungen und Neuem Testament (Abschnitt III) kann dann sichtbar werden, ob es Perikopen gibt, die zwar einen eindeutigen Bezug zur „Diakonie“ haben, aber dennoch keine Rolle in der Begründung diakonischen Handelns besitzen.1

1.1„Diakonie“ in der Bibel

1.1.1Neues Testament

Bereits eine flüchtige empirische Wahrnehmung des Vorkommens des Wortfeldes um διακονέω, διακονία und διάκονος lässt ein weitgefächertes BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum im Neuen Testament erahnen: 101 Belegstellen für den διακον-Stamm untermauern diesen Eindruck. Folgende Häufigkeitsverteilung ist für das gesamte Wortfeld festzuhalten:

Evangelien

Apostelgeschichte

ProtopaulinenProtopaulinen1

Andere ntl. Schriften

31 Belege

10 Belege

36 Belege

24 Belege

Innerhalb der Evangelien und der Apostelgeschichte ergibt sich in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit folgende Verteilung:

Apostelgeschichte: Zehn Belege

Matthäusevangelium: Neun Belege

Lukasevangelium: Neun Belege

Markusevangelium: Sieben Belege

Johannesevangelium: Sechs Belege

Innerhalb des Corpus Paulinum ergibt sich in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit folgende Verteilung:

2. Korintherbrief: 20 Belege

Römerbrief: Neun Belege

1. Korintherbrief: Drei Belege

Galaterbrief: Ein Beleg

1. Thessalonicherbrief: Ein Beleg

Philiperbrief: Ein Beleg

Brief an PhilemonPhilemon: Ein Beleg

Tab. 1:

Belegstellen des διακον-Stammes im Neuen Testament

Es wird ersichtlich, dass der 2. Korintherbrief innerhalb dieser Aufstellung eine hervorgehobene Stellung einnimmt. Mit 20 Fundstellen bietet diese Schrift die meisten Belege für die Verwendung des διακον-Stammes. Innerhalb der neutestamentlichen Schriftengruppen bilden die ProtopaulinenProtopaulinen zudem diejenige Gruppe, die – wenn die Apostelgeschichte unabhängig von den Evangelien angesehen wird – das Wortfeld am häufigsten gebraucht. Die Apostelgeschichte rangiert bei der Anzahl des Vorkommens zugleich auf Platz zwei.

Im Anschluss an die Begriffsstatistik ist zu prüfen, welche inhaltlichen Schwerpunkte die einzelnen Belege besitzen und welches Verständnis von „Diakonie“ sie implizieren.

1.1.1.1Evangelien

Belegstelle

Verwendete Form (Grundform)

Inhalt

Mt 4,11Mt 4,11

par. Mk 1,13Mk 1,13

διηκόνουν

(διακονέω)

Versuchung Jesu, nach welcher ihm die EngelEngel „dienen“1

Mt 8,15Mt 8,15

par. Mk 1,31Mk 1,31

par. Lk 4,39Lk 4,39

διηκόνει

(διακονέω)

Reaktion einer Frau nach der Heilung durch Jesus: sie „dient“ ihm

Mt 20,26Mt 20,26

par. Mk 10,43Mk 10,43

par. Lk 22,26Lk 22,26

Mt/ Mk: διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Lk: διακονῶν

(διακονέω)

von der Rangordnung unter den JüngernJünger – wer groß sein will, muss „dienen“

Mt 20,28Mt 20,28

par. Mk 10,45Mk 10,45

διακονηθῆναι

(διακονέω)

LösegeldlogionLösegeld;

über das Herrschen und Dienen – Jesus ist nicht gekommen um sich „dienen“ zu lassen

Mt 20,28Mt 20,28

par. Mk 10,45Mk 10,45

διακονῆσαι

(διακονέω)

LösegeldlogionLösegeld;

über das Herrschen und Dienen – Jesus ist gekommen, um zu „dienen“

Mt 22,13Mt 22,13

διακόνοις

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ bei der königlichen Hochzeit

Mt 23,11Mt 23,11

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

gegen die SchriftgelehrtenSchriftgelehrte und PharisäerPharisäer – wer groß sein will, muss „dienen“

Mt 25,44Mt 25,44

διηκονήσαμέν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienst“ des Menschen für Jesus

Mt 27,55Mt 27,55

par. Mk 15,41Mk 15,41

Mt: διακονοῦσαι

Mk: διηκόνουν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ von Frauen für Jesus

Mk 9,35Mk 9,35

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Rangstreit der JüngerJünger – wer der Erste unter ihnen sein will, der muss den Anderen „dienen“

Lk 8,3Lk 8,3

διηκόνουν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ der Jüngerinnen Jesu

Lk 10,40Lk 10,40

διακονεῖν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ der Marta für Jesus

Lk 10,40Lk 10,40

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienens“ der Marta für Jesus

Lk 12,37Lk 12,37

διακονήσει

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ des (Haus-)Herrn für die treuen Knechte

Lk 17,8Lk 17,8

διακόνει

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ des Knechts für seinen Herrn

Lk 22,27Lk 22,27

διακονῶν

(διακονέω)

von der Rangordnung unter den JüngernJünger – Frage nach dem Größten und Bezeichnung des (Tisch-) „Dieners“

Lk 22,27Lk 22,27

διακονῶν

(διακονέω)

von der Rangordnung unter den JüngernJünger – Jesus ist unter ihnen wie ein „Diener“

Joh 2,5Joh 2,5

διακόνοις

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ bei der Hochzeit zu Kana

Joh 2,9Joh 2,9

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ bei der Hochzeit zu Kana

Joh 12,2Joh 12,2

διηκόνει

(διακονέω)

Salbung in Bethanien – Marta „dient“ Jesus bei Tisch

Joh 12,26Joh 12,26

διακονῇ

(διακονέω)

die Verherrlichung des MenschensohnesMenschensohn – Anweisung zum „Dienen“ für Jesus

Joh 12,26Joh 12,26

διακονῇ

(διακονέω)

die Verherrlichung des MenschensohnesMenschensohn – Bezeichnung des Menschen in der NachfolgeNachfolge als „Diener“

Joh 12,26Joh 12,26

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

die Verherrlichung des MenschensohnesMenschensohn – wer Jesus „dient“, wird vom Vater geehrt

Tab. 2:

Belegstellen des διακον-Stammes innerhalb der Evangelien

1.1.1.2Apostelgeschichte

Belegstelle

Verwendete Form (Grundform)

Inhalt

Apg 1,17Apg 1,17

διακονίας

(διακονία)

Nachwahl des zwölften ApostelsApostel – Bezeichnung des „Dienstes“/ „Amtes“ des JudasJudas

Apg 1,25Apg 1,25

διακονίας

(διακονία)

Nachwahl des zwölften ApostelsApostel – Bezeichnung des „Dienstes“/ „Amtes“ des JudasJudas

Apg 6,1Apg 6,1

διακονίᾳ

(διακονία)

Wahl der sieben ArmenpflegerArmenpfleger – Bezeichnung der täglichen „Versorgung“/ des „Dienstes“ für die WitwenWitwe

Apg 6,2Apg 6,2

διακονεῖν

(διακονέω)

Wahl der sieben ArmenpflegerArmenpfleger – Bezeichnung des Tisch-„Dienstes“

Apg 6,4Apg 6,4

διακονίᾳ

(διακονία)

Wahl der sieben ArmenpflegerArmenpfleger – Bezeichnung des „Dienstes“ am Wort

Apg 11,29Apg 11,29

διακονίαν

(διακονία)

verstanden im Sinne einer „KollekteKollekte“/ „GabeGabe“ aus Antiochien für JudäaJudäa

Apg 12,25Apg 12,25

διακονίαν

(διακονία)

bezeichnet den „Dienst“/ die „GabeGabe“ des BarnabasBarnabas und Saulus in JerusalemJerusalem

Apg 19,22Apg 19,22

διακονούντων

(διακονέω)

Bezeichnung für das „Dienen“ des TimotheusTimotheus und Erastus

Apg 20,24Apg 20,24

διακονίαν

(διακονία)

Abschiedsrede des PaulusPaulus – Bezeichnung seines „Dienstes“, den er von Jesus empfangen hat

Apg 21,19Apg 21,19

διακονίας

(διακονία)

PaulusPaulus in JerusalemJerusalem – Bezeichnung für seinen „Dienst“

Tab. 3:

Belegstellen des διακον-Stammes innerhalb der Apostelgeschichte

1.1.1.3Protopaulinen

Belegstelle

Verwendete Form (Grundform)

Inhalt

Röm 11,13Röm 11,13

διακονίαν

(διακονία)

PaulusPaulus zum Verhältnis zwischen Christen und Juden – Bezeichnung seines „Dienstes“

Röm 12,7Röm 12,7

διακονίαν

(διακονία)

GabenGaben im Dienst der Gemeinde – hier: GabeGabe des „Dienens“

Röm 12,7Röm 12,7

διακονίᾳ

(διακονία)

GabenGaben im Dienst der Gemeinde – hier: GabeGabe des „Dienens“

Röm 13,4Röm 13,4

διάκονός

(διάκονοςδιάκονος)

die ObrigkeitObrigkeit als „Dienerin“ Gottes

Röm 13,4Röm 13,4

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

die ObrigkeitObrigkeit als „Dienerin“ Gottes

Röm 15,8Röm 15,8

διάκονον

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung für Christus als den „Diener“ der Beschneidung für die WahrheitWahrheit Gottes

Röm 15,25Röm 15,25

διακονῶν

(διακονέω)

Selbstaussage des PaulusPaulus zu seinem „Dienen“ für die HeiligenHeilige

Röm 15,31Röm 15,31

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des PaulusPaulus für JerusalemJerusalem

Röm 16,1Röm 16,1

διάκονον

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Dienerin“ Phöbe in Kenchreä

1Kor 3,51Kor 3,5

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

„Diener“ als Bezeichnung für PaulusPaulus und Apollos

1Kor 12,51Kor 12,5

διακονιῶν

(διακονία)

Subsumierung der verschiedenen „Dienste“ und ÄmterAmt

1Kor 16,151Kor 16,15

διακονίαν

(διακονία)

der „Dienst“ des Hauses des Stephanas für die HeiligenHeilige

2Kor 3,32Kor 3,3

διακονηθεῖσα

(διακονέω)

Bezeichnung des apostolischen „Dienstes“

2Kor 3,62Kor 3,6–9

διακόνους

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der ApostelApostel als „Diener“ des neuen Bundes

2Kor 3,72Kor 3,6–9

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des Todes, also des Gesetzes

2Kor 3,82Kor 3,6–9

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des Geistes

2Kor 3,92Kor 3,6–9

διακονίᾳ

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ der Verdammnis

2Kor 3,92Kor 3,6–9

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ der GerechtigkeitGerechtigkeit

2Kor 4,12Kor 4,1

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des ApostelsApostel

2Kor 5,182Kor 5,18

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Amtes“/ des „Dienstes“ der VersöhnungVersöhnung

2Kor 6,32Kor 6,3f.

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung des „Amtes“/ des „Dienstes“ des ApostelsApostel

2Kor 6,42Kor 6,3f.

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ Gottes

2Kor 8,42Kor 8,1ff.

διακονίας

(διακονία)

Bezeichnung der Gemeinschaft des „Dienstes“ für die HeiligenHeilige

2Kor 8,192Kor 8,1ff.

διακονουμένῃ

(διακονέω)

Bezeichnung der „KollekteKollekte“/ „GabeGabe“

2Kor 8,202Kor 8,1ff.

διακονουμένῃ

(διακονέω)

Bezeichnung der „KollekteKollekte“/ „GabeGabe“

2Kor 9,12Kor 9,1ff.

διακονίας

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ für die HeiligenHeilige

2Kor 9,122Kor 9,1ff.

διακονία

(διακονία)

Bezeichnung für den „Dienst“/ das „AmtAmt“ der SammlungSammlung bzw. der KollekteKollekte

2Kor 9,132Kor 9,1ff.

διακονίας

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ der SammlungSammlung

2Kor 11,82Kor 11,7–9

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung für den „Dienst“ des PaulusPaulus

2Kor 11,152Kor 11,15

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ des SatansSatan

2Kor 11,152Kor 11,15

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Diener des SatansSatan verstellen sich als „Diener“ der GerechtigkeitGerechtigkeit

2Kor 11,232Kor 11,23

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“ Christi

Gal 2,17Gal 2,17

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Ist Christus „Diener“ der Sünde?

Phil 1,1Phil 1,1

διακόνοις

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung von „Aufsehern“/ „Dienern“

Phlm 13Phlm

διακονῇ

(διακονέω)

„Dienen“ um des Evangeliums willen

1Thess 3,21Thess 3,1–3

 

Diese Belegstelle für διακονον ist textkritisch schwierig.1 Jedoch kann eine ausführliche Diskussion an dieser Stelle unterbleiben, da der Beleg keinen anderen inhaltlichen Schwerpunkt setzt als andere Belegstellen.

Tab. 4:

Belegstellen des διακον-Stammes innerhalb der ProtopaulinenProtopaulinen

1.1.1.4Deuteropaulinen und weitere Schriften

Belegstelle

Verwendete Form (Grundform)

Inhalt

1Tim 1,121Tim 1,12

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung für das „AmtAmt“/ den „Dienst“ des PaulusPaulus

1Tim 3,81Tim 3,8–13

διακόνους

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“/ „DiakoneDiakon“ der Gemeinde

1Tim 3,101Tim 3,8–13

διακονείτωσαν

(διακονέω)

„Dienen“ der „Diener“/ „DiakoneDiakon“

1Tim 3,121Tim 3,8–13

διάκονοι

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung der „Diener“/ „DiakoneDiakon“ der Gemeinde

1Tim 3,131Tim 3,8–13

διακονήσαντες

(διακονέω)

Bezeichnung für den „Dienst“ der „Diener“/ „DiakoneDiakon“ der Gemeinde

1Tim 4,61Tim 4,6

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des TimotheusTimotheus als „Diener“ Christi

2Tim 1,182Tim 1,18

διηκόνησεν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienstes“ des OnesiphorosOnesiphoros

2Tim 4,52Tim 4,5

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des TimotheusTimotheus als Evangelist

2Tim 4,112Tim 4,11

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienstes“ des Markus

Eph 3,7Eph 3,7

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des PaulusPaulus als „Diener“ Christi

Eph 4,12Eph 4,12

διακονίας

(διακονία)

„Dienst“ der HeiligenHeilige als Erbauung des Leibes Christi

Eph 6,21Eph 6,21

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des TychikusTychikus, der treue „Diener“ in dem Herrn

Kol 1,7Kol 1,7

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des EpaphrasEpaphras, der treuer „Diener“ Christi

Kol 1,23Kol 1,23

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des „Dieners“ des Evangeliums, PaulusPaulus

Kol 1,25Kol 1,25

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des „Dieners“ der Gemeinde, PaulusPaulus

Kol 4,7Kol 4,7

διάκονοςδιάκονος

(διάκονοςδιάκονος)

Bezeichnung des TychikusTychikus, der treue „Diener“ in dem Herrn

Kol 4,17Kol 4,17

διακονίαν

(διακονία)

Nennung des „Dienstes“/ „Amtes“ des Archippus

Hebr 1,14Hebr 1,14

διακονίαν

(διακονία)

Nennung des „Dienstes“/ „Amtes“ der EngelEngel

Hebr 6,10Hebr 6,10

διακονήσαντες

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ der Adressatinnen und Adressaten für die HeiligenHeilige

Hebr 6,10Hebr 6,10

διακονοῦντες

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ der Adressatinnen und Adressaten für die HeiligenHeilige

1Petr 1,121Petr 1,12

διηκόνουν

(διακονέω)

Bezeichnung des „Dienens“ der Propheten für die Adressatinnen und Adressaten

1Petr 4,101Petr 4,10f.

διακονοῦντες

(διακονέω)

Bezeichnung des wechselseitigen „Dienens“

1Petr 4,111Petr 4,10f.

διακονεῖ

(διακονέω)

Ermahnung zum „Dienen“ aus der Kraft, die Gott gewährt

Offb 2,19Offb 2,19

διακονίαν

(διακονία)

Bezeichnung des „Dienens“ des Engels der Gemeinde von Thyatira

Tab. 5:

Belegstellen des διακον-Stammes innerhalb der Deuteropaulinen etc.

1.1.1.5Inhaltliche Systematisierung

Die aufgelisteten Belegstellen für das Wortfeld um διακονέω, διακονία und διάκονος können ferner hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bezüge systematisiert werden. Dabei ergeben sich fünf inhaltliche Schwerpunkte:

Inhaltliche Fokussierung

Zugehörige Perikope(n)

Bezeichnung einer Handlung bzw. eines Verhaltens Jesu als

1. Selbstzuschreibung oder

2. Fremdzuschreibung

1. Mt 20,28Mt 20,28 par.; Lk 22,27Lk 22,27

2. Röm 15,8Röm 15,8; Gal 2,17Gal 2,17

Bezeichnung des TischdienstesTischdienst bzw. der Versorgung von Personen mit Nahrung

Lk 12,37Lk 12,37; Lk 17,8Lk 17,8; Lk 22,27Lk 22,27

Joh 12,2Joh 12,2

Apg 6,1–2Apg 6,1–7

Bezeichnung von „Diensten“ mit oder ohne genauerer Spezifikation oder aber Bezeichnung der ausführenden Person

Mt 4,11Mt 4,11 par.; Mt 8,15Mt 8,15 parr.; Mt 20,26Mt 20,26 parr.; Mt 22,13Mt 22,13; Mt 23,11Mt 23,11; Mt 25,44Mt 25,44; Mt 27,55Mt 27,55 par.; Mk 9,35Mk 9,35

Lk 8,3Lk 8,3; Lk 10,40Lk 10,40

Joh 2,5.9Joh 2,5.9; Joh 12,26Joh 12,26

Apg 1,17.25Apg 1,17.25; Apg 19,22Apg 19,22

Röm 12,7Röm 12,7; Röm 13,4Röm 13,4; Röm 15,25Röm 15,25; Röm 16,1Röm 16,1

1Kor 3,51Kor 3,5; 1Kor 12,51Kor 12,5; 1Kor 16,151Kor 16,15

2Kor 3,6.7.8.92Kor 3,6–9; 2Kor 11,8.15.232Kor 11,8.15.23

Phil 1,1Phil 1,1

Phlm 13Phlm

1Tim 3,8.10.12.131Tim 3,8–13; 1Tim 4,61Tim 4,6

2Tim 1,182Tim 1,18; 2Tim 4,5.112Tim 4,5.11

Eph 3,7Eph 3,7; Eph 4,12Eph 4,12; Eph 6,21Eph 6,21

Kol 1,7Kol 1,7; Kol 4,7Kol 4,7; Kol 4,17Kol 4,17

Hebr 1,14Hebr 1,14; Hebr 6,10Hebr 6,10

1Petr 1,121Petr 1,12; 1Petr 4,10.111Petr 4,10f.

Offb 2,19Offb 2,19

Bezeichnung der VerkündigungVerkündigung, eines Verkündigungsgeschehens oder der verkündigenden Person

Apg 6,4Apg 6,4; Apg 12,25Apg 12,25; Apg 20,24Apg 20,24; Apg 21,19Apg 21,19

Röm 11,13Röm 11,13

2Kor 3,32Kor 3,3; 2Kor 4,12Kor 4,1; 2Kor 5,182Kor 5,18; 2Kor 6,3.42Kor 6,3f.

1Tim 1,121Tim 1,12

Kol 1,23.25Kol 1,23.25

Bezeichnung einer SammlungSammlung bzw. „KollekteKollekte“

Apg 11,29Apg 11,29

Röm 15,31Röm 15,31

2Kor 8,4.19.202Kor 8,1ff.; 2Kor 9,1.12.132Kor 9,1ff.

Tab. 6:

Inhaltliche Schwerpunkte des διακον-Stammes innerhalb des Neuen Testaments

1.1.1.6Zusammenfassung

Aus der voranstehenden Auflistung wird ersichtlich, dass das Wortfeld in Zusammenhängen unterschiedlichster Art gebraucht wird. Das Spektrum reicht dabei von der Bezeichnung des Haus- und Hofpersonals und der TischdienerTischdiener über den VerkündigungsdienstVerkündigungstätigkeit bis hin zur „Diakonie“ der KollektensammlungKollektensammlung.

1.1.2Septuaginta

An die Seite des neutestamentlichen Befundes ist der Befund der Septuaginta zu stellen. Die Konkordanz weist sieben Belege innerhalb der LXX für das Lexem und seine Derivate auf. Folgende Belege und Kontexte sind wahrzunehmen:

Belegstelle

Verwendete Form (Grundform) mit hebräischem Lexem

Inhalt

Est 1,10Est 1,10

Διακόνοις

(Διάκονος)

(סריס)

Bezeichnung der sieben „Kämmerer/Diener/Eunuchen“ des Königs Ahasveros

Est 2,2Est 2,2

Διάκονοι

(Διάκονος)

(נער)

Bezeichnung der „Diener“/„Männer“ des Königs

Est 6,3Est 6,3

Διάκονοι

(Διάκονος)

(נער)

Bezeichnung der „Diener“ des Königs

Est 6,5Est 6,5

Διάκονοι

(Διάκονος)

(נער)

Bezeichnung der „Diener“ des Königs

Prov 10,4Prov 10,4

Διακόνῳ

(Διάκονος)

(צורה)

Bezeichnung der „Tatkräftigen“/„Mannhaften“

1Makk 11,581Makk 11,58

Διακονιάν

(Διακονία)

Bezeichnung der „Dienerschaft“

4Makk 9,174Makk 9,17

Διάκονοι

(Διάκονος)

Bezeichnung der „Waffenträger“/„Leibwache“

Tab. 7:

Belegstellen des διακον-Stammes innerhalb der Septuaginta

Es zeigt sich, dass mit dem Lexem und seinen Derivaten in der LXX verschiedene hebräische Begriffe übersetzt werden. Außerdem wird deutlich, dass es nicht nur einfache, dienende Aufgaben bezeichnet, sondern durchaus auch höher gestellte königliche Beamte kennzeichnet (vgl. Est 1,10Est 1,10). Die Verwendung in der LXX hebt keine karitative Komponente innerhalb der διακον-Gruppe hervor.

1.2„Diakonie“ und Diakoniewissenschaft

Die Betrachtung der diakoniewissenschaftlichen Fachliteratur folgt abermals dem Grundsatz der Exemplarizität, vor deren Hintergrund nur Literatur verwendet wird, die ab dem Jahr 2000 entstanden ist. Darüber hinaus wird Grundlagenliteratur herangezogen, die einen konzisen Einblick in die DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft eröffnet, aber keine Spezialthemen und Randgebiete der Disziplin erschließt.

1.2.1„Studienbuch Diakonik“

Das „Studienbuch Diakonik“1 wurde 2006 veröffentlicht und bietet vielfältige Zugänge zur „Diakonie“. Ziel dieses Bandes ist es, „ein Panorama der DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft [zu zeichnen, JQ], das klassische und wirkungsgeschichtlich bedeutsame Ansätze zusammenstellt, […] und zwar in einer Breite, die über mögliche Engführungen nach Schulen, Traditionen o.ä. weit hinausgeht.“2

1.2.1.1Aufbau

Seinem Ziel entsprechend, ein „Panorama der DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft“ zu geben, eröffnet der vorliegende Band seinen Leserinnen und Lesern drei verschiedene Zugänge zur „Diakonie“: biblische, historische und theologische.1 Unter jedem dieser Zugänge vertiefen Beiträge verschiedener Autoren jeweils einen thematischen Aspekt, der zur eigenen Auseinandersetzung mit der Thematik anregen will.

1.2.1.2Inhalt

Für die hier beabsichtigte Bestandsaufnahme ist zunächst die erste der drei Zugangsarten von Bedeutung: Der biblische Zugang zur „Diakonie“. Sechs verschiedene Beiträge gehören zu diesem Zugang und sollen kurz vorgestellt werden.

Unter dem Titel „Diakonie – biblisch-theologische Grundlagen und Orientierungen. Problemhorizonte“1 öffnet der Heidelberger Diakoniewissenschaftler Theodor Strohm das Problemfeld, auf dem sich diakonische Theoriebildung s. E. zu verorten hat. Er verweist in seinen Ausführungen exemplarisch auf einige konkrete Bibelstellen, die eine Relevanz für die DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft besäßen: Gal 3,23–5,1Gal 3,23–5,1; Mk 10,42f.Mk 10,42f.; 2Kor 5,19ff.2Kor 5,19ff.; Ex 20,2Ex 20,2; Lev 19,33f.Lev 19,33f.; Ps 82Ps 82,1ff.; Lk 10,25ff.Lk 10,25ff.; Mt 5–7Mt 5–7; Mt 25,31–46Mt 25,31–46; Mt 20Mt 20; Dtn 23,20ff.Dtn 23,20ff.; Dtn 15,1ff.Dtn 15,1ff.; Lev 25,8Lev 25,1ff.; Mk 2,1–12Mk 2,1–12; Röm 13,1–12Röm 13,1–122; Phil 1,1Phil 1,1; 1Tim 3,8.121Tim 3,8–13; Röm 16,1ff.Röm 16,1ff. Innerhalb dieser Aufzählung werden Mt 25Mt 25 und Lk 10,25Lk 10,25 im Kontext der Ausführungen zur „Magna Charta der Diakonie“3 zugehörig gezählt, obgleich Lk 10,25 keinen Beleg für ein Wort des διακον-Stammes bietet. Entsprechend dem Ansinnen, ein gesamtbiblisches Verständnis von „Diakonie“ zu gewinnen, werden auch alttestamentliche Texte von Strohm untersucht. Zugleich werden folgende neutestamentliche Stellen, die nicht das gesuchte Wortfeld verwenden, angesprochen:

Perikope

Kontext

Gal 3,23–5,1Gal 3,23–5,1

Richtungskriterium für diakonisches Handeln: „Berufung zur Freiheit und Mündigkeit durch Emanzipation vom heterogenen Umgang mit dem ‚GesetzGesetz‘ und den Zwängen der Umwelt.“4

2Kor 5,19ff.2Kor 5,19ff.

„Diakonie“ als Dienst der VersöhnungVersöhnung5

Lk 10,25ff.Lk 10,25ff.

Das Gleichnis vom barmherzigen SamaritanerSamaritaner als Beispiel, dass durch das NächstenliebegebotNächstenliebe Hilfebedürftige und Helfer eine Beziehungsebene teilen.6

Mt 5–7Mt 5–7

BergpredigtBergpredigt als Aufruf zu GerechtigkeitGerechtigkeit und BarmherzigkeitBarmherzigkeit7

Mk 2,1–12Mk 2,1–12

Begründung der Zielvorstellung von „Diakonie“: Das Leben von Gesunden und Kranken in versöhnter Gemeinschaft vor Gott – nicht aber Heilung.8

Tab. 8:

Neutestamentliche Perikopen (ohne Beleg des διακον-Stammes) zur Begründung von „Diakonie“ nach Strohm

Unter dem Titel: „Grundfragen der Diakonie in der Perspektive gesamtbiblischer Theologie“ bietet Klaus Müller einen Überblick über gängige hermeneutische Begründungsmodelle diakonischen Handelns.9 Ohne seine Beobachtungen im Detail darzustellen, sei festgehalten, dass s. E. die „Diakonie“ nur in gesamtbiblischer Perspektive, in der Zusammenschau von Altem und Neuem Testament, ihren Inhalt und ihre Begründung finden könne.10 „Gottes Sein in Mit-Leidenschaft – [ist] Grund und Maß aller biblisch orientierten Diakonie.“11

Die Verbindung zwischen „Diakonie“ und Biblischer Theologie stellt Rudolf Weth her und verortet die diakoniewissenschaftliche Theoriebildung im Kanon wissenschaftlicher Theologie.12 Bereits der Titel gibt die Problemstellung vor: „Der eine Gott der Diakonie. Diakonik als Problem und Aufgabe Biblischer Theologie.“13 Weth arbeitet heraus, das es im Alten Testament Denkmodelle und Paradigmen gäbe, die unabdingbar für eine biblisch fundierte Begründung von „Diakonie“ seien.14 Somit sei „Diakonie“ „ein besonderer Anwendungsfall, ein spezifisches Problem- und Aufgabenfeld Biblischer Theologie, wenn denn wirklich Biblische Theologie nicht auf die exegetischen Disziplinen beschränkt werden darf.“15 Biblische Theologie werde so zum kritischen Korrektiv gegenüber einer einseitigen Orientierung und Fokussierung des DiakoniebegriffsDiakoniebegriff, z.B. auf sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich, im Anschluss an einige neutestamentliche Perikopen.16 Weth illustriert seine Aussagen anhand von drei Beispielen: Im Geist Johann Hinrich WichernsWichern, Johann Hinrich etabliert er den Gedanken der „Diakonie“ in der Offenbarungsgeschichte, der mit dem Begriff der „familia Dei“ Altes und Neues Testament in Bezug auf die „Diakonie“ miteinander zu verbinden weiß.17 Dem entspräche der im Anschluss an Ulrich Bach formulierte Gedanke des einen Gottes der „Diakonie“, der sich gegen einen Ditheismus wende, der Baal als Gott der Stärke und der Gesunden im Gegenüber zu Jahwe als Gott der Unsicherheit und der Marginalisierten zeichne. Demgegenüber handele es sich bei der „Diakonie“ – so Bach im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer – um den Dienst des leidenden Gottes.18 Deswegen sei die „Diakonie“ innerhalb der Gotteslehre zu verhandeln. Als letztes Beispiel für Biblische Theologie innerhalb der Diakonik verweist Weth anhand des Problemfeldes von Asyl und Fremdlingsschaft auf den alttestamentlichen Zusammenhang von „Diakonie“ und RechtRecht, der geeignet sei, „die heutige Diakonie, […] aus der Grauzone karitativer Beliebigkeit herauszuholen und in die solidargemeinschaftliche Verbindlichkeit eines diakonischen Rechts zu überführen.“19

Frank Crüsemann stellt im Anschluss an die vorangegangenen Ausführungen von Rudolf Weth dar, inwiefern „[d]as Alte Testament als Grundlage der Diakonie“20 gelten könne. Leitkategorie für die Suche nach dem Beitrag des Alten Testaments zur christlichen „Diakonie“ ist für Crüsemann die Frage, „wie menschliches Leid in seinen verschiedenen Ausprägungen und auf dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Situation gesehen, theologisch verstanden und wie in theologisch reflektierter Praxis damit umgegangen wird.“21 Exemplarisch bezieht er sich auf zwei Kategorien, die ihrem Sinn entsprechend zur „Diakonie“ gehören würden und deren Verdrängung s. E. zu Problemen führt, die durch eine Orientierung am neutestamentlichen Befund nicht gelöst werden könnten. Es handele sich dabei um die Kategorien der Klage und des Rechts.22 Darüber hinaus sei theologisch zu reflektieren, wie das Verhalten Gottes in Beziehung zum Verhalten des Menschen gegenüber Bedürftigen und Notleidenden zu setzen ist. Es stelle sich heraus, dass die Möglichkeit zur Klage und die Wende von der Klage zu Dank und Lob als ZuwendungZuwendung Gottes und insofern als „Diakonie“ zu verstehen seien.23 Damit werde die besonders in den Psalmen bezeugte Klage und Rettung zum Zeugnis für Gottes Handeln.24 In Bezug auf das RechtRecht stellt Crüsemann dar, dass auch soziale Wirtschaftsregeln ihren Platz innerhalb des alttestamentlichen Rechts hätten und sie ein Ausdruck des Willen Gottes seien. Auch die Versorgung von Bedürftigen sei auf die ZuwendungZuwendung Gottes, mithin auf seine „Diakonie“, zurückzuführen.25 In einem letzten Punkt stellt Crüsemann Überlegungen zum Verhältnis von Gottes Tat und menschlichem Handeln an, wobei festzuhalten sei, dass „Israel und Gott […] je für sich und in ihrer Beziehung durch den Exodus geprägt [sind].“26 Ermöglichungsgrund dieses Geschehens sei die LiebeLiebe Gottes (Dtn 24,17Dtn 24,17). Wenn Israel durch diese Tat Gottes geprägt sei, sei ihm materielle Hilfe für Flüchtlinge möglich und geboten, weil sie ihm selbst von Gott zuteil wurde.27 „Diakonie“ hätte ihren Grund folglich in der vorrangigen LiebeLiebe Gottes. Ferner seien Nächsten-Nächstenliebe und FremdenliebeFremdenliebe auch aus dem Heiligkeitsgesetz heraus zu begründen (vgl. Lev 22,31ff.Lev 22,31ff.; Lev 20,7f.Lev 20,7f.; Lev 24ff.Lev 24ff.).28

Gerd Theißen entfaltet in seinem Beitrag „Die Bibel diakonisch lesen: Die Legitimitätskrise des Helfens und der barmherzige SamariterSamaritaner“29 Begründungsmodelle für diakonisches Handeln anhand der Geschichte vom barmherzigen SamaritanerSamaritaner (Lk 10,25ff.Lk 10,25ff.). Dabei unternimmt er den Versuch, die Perikope innerhalb ihrer innerbiblischen Bezüge sowie ihrer literarhistorischen Kontexte zu verorten. Dafür setzt er die Aussagen und Implikationen der Perikope in Beziehung zu soziologischen und psychologischen Begründungsmodellen für das Hilfehandeln. Darüber hinaus bezeichnet Theißen das LösegeldlogionLösegeld in Mk 10,42–45Mk 10,42–45 als „diakonische Grundregel“30. Im Sinne von 1Joh 4,161Joh 4,16 könne die ZuwendungZuwendung zum Nächsten als „Ausdruck einer größeren LiebeLiebe erlebt werden.“31 Theißen zeigt in seinem Beitrag auch die Widersprüche und Probleme auf, die sich mit allen Hilfsabsichten verbinden lassen und die bei einer biblischen Begründung diakonischen Handelns nicht vernachlässigt werden dürften.32

Abgeschlossen werden die biblischen Zugänge zur „Diakonie“ durch Überlegungen von Hans-Jürgen Benedict33 zu John N. Collins, die sich kritisch mit dessen Monographie zum DiakoniebegriffDiakoniebegriff auseinandersetzen.34 Collins, so die Darstellung Benedicts, befasse sich intensiv mit der vorherrschenden Gleichsetzung von „diakonein“ mit „Dienst“ und der Deutung, „dass Dienen, das vor allem TischdienstTischdienst meint, im griechisch-hellenistischen Denken negativ gesehen wird, während durch das Dienen Jesu und seiner JüngerJünger dieses diakonein eine neue positive Bewertung erfahren habe.“35 Dem gegenüber warne Collins, so Benedict, vor einer voreiligen Parallelisierung „von LebenshingabeLebenshingabe Jesu mit der Bedeutung von diakonein als demütigem und hingebungsvollen Dienen.“36 TischdienstTischdienst, und damit eine niedrige Tätigkeit, sei ein möglicher Aspekt des BedeutungsspektrumsBedeutungsspektrum von diakonein, nicht aber der Einzige.37 Neben dem Kontext des Aufwartens trete der Begriff auch in dem der Überbrindung von Botschaften und dem der Übermittlungstätigkeit auf. „Die zugrundeliegende Bedeutung in allen drei Bereichen ist die des Dazwischengehens, der VermittlungVermittlung. Im Bereich der Botschaft meint das Nomen den VermittlerVermittler, Sprecher oder Kurier, im Bereich der Tätigkeit den Agenten und das Medium, im Bereich des Aufwartens den Diener und Aufwärter.“38 Dem Begriff komme, nach Collins in der Darstellung von Benedict, entsprechend ein weitaus größeres BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum zu, als ihm die Fokussierung auf soziale Tätigkeiten erlaube.39 „Collins Untersuchung stellt die herrschende diakonische Selbstlegitimierung produktiv in Frage, hebt die Gleichsetzung von christlicher Existenz und demütigem bzw. helfendem Dienst auf und läßt uns neu danach fragen, was denn das Besondere der christlichen BeauftragungBeauftragung, Botschaft und VermittlungVermittlung (alles gleich diakonia) ist, wenn es nicht die CaritasCaritas bzw. die Diakonie als Hilfehandeln ist.“40

1.2.1.3Kritische Würdigung

Die biblischen Zugänge im Studienbuch Diakonik bieten ein breites Spektrum an Einsichten zur „Diakonie“ im biblischen Horizont. Dabei legt sich das Studienbuch aber nicht auf eine bestimmte Deutung und Begründung fest. Vielmehr werden die Leserinnen und Leser zu einer eigenen Denk- und Verstehensleistung angeregt und herausgefordert. Diese erscheint besonders wichtig, um die vorgetragenen Erkenntnisse auf ihre Plausibilität hin zu prüfen. Insbesondere der Artikel von Benedict regt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den gängigen Deutungs- und Begründungsmodellen von „Diakonie“ in biblischer Perspektive an, besonders mit dem von ihm dargestellten Beitrag von Collins. Diese Auseinandersetzung ist bereits im Aufbau der Zugänge angelegt: Sechs verschiedene Beiträge von ebenso vielen Autoren verhindern eine Engführung der Thematik und regen die eigene Verstehensleistung, bzw. Auseinandersetzung mit dem biblischen Befund an.

1.2.2„Diakonisches Kompendium“

Bereits die Einführung in das „Diakonische Kompendium“ gibt den Sinn der Publikation an: „Erklärtes Ziel ist es dabei, wesentliche Grundkenntnisse heutiger evangelischer Diakonik übersichtlich zu präsentieren, das Problembewusstsein zu schärfen und so einen Beitrag zu einer kritisch reflektierten und zugleich kreativen diakonischen Praxis im Bereich der deutschsprachigen evangelischen Kirche zu leisten, der das pluriforme Projekt Diakonie in einem dynamischen Prozess entfalten hilft.“1 Das Kompendium sei ein Praxisbuch, das auf die gegenwärtige Gestalt der „Diakonie“ einwirken wolle. Dem entspräche auch die vorgegebene Zielgruppe, die alle Mitarbeitenden in helfenden Berufen sowie Studierende von DiakoniewissenschaftDiakoniewissenschaft, Theologie, Religions- und Gemeindepädagogik, Gesundheits- und Sozialwesen umfasst.2 So diene das Kompendium der Aus- und Fortbildung, sowohl in der diakonischen Praxis als auch in der Diakoniewissenschaft.

1.2.2.1Aufbau

Das Kompendium weist eine komplexe Gliederung auf. Zunächst sind die 38 Beiträge thematisch nach sieben Kategorien geordnet: „Grundlagen und Entwicklungen“, „Konzeptionen und Dialogbewegungen“, „Kollektive Subjekte und OrganisationsformenOrganisationsform“, „Lenken und Gestalten“, „Personen und Kompetenzen“, „Spiritualität und Bildung“ sowie „Aufgaben und HandlungsfelderHandlungsfelder“. Neben dem äußeren Aufbau besitzen die einzelnen Beiträge ein einheitliches Raster, das von den Herausgebern vorgegeben wurde: „1. Einführung; 2. Historische Dimension; 3. Gegenwärtige Situation; 4. Diakoniewissenschaftliche Anstöße und diakonische Perspektiven; 5. Zur Weiterarbeit.“1

Die Lektüre des Kompendiums soll geleitet sein durch ein in der Einführung formuliertes, heuristisch zu verstehendes Diakonieverständnis: „Diakonie ist die im christlichen GlaubenGlaube begründete, kraft der LiebeLiebe und im Horizont der HoffnungHoffnung auf das Reich GottesReich Gottes sich vollziehende christlich-kirchliche Praxis des Beistands, die zu einem Leben in Freiheit ermächtigen will. Das diakonische Beistandshandeln verbindet sich mit der Inszenierung solidaritätsfördernder Arrangements und der Verpflichtung, zur Steigerung des gesellschaftlichen Niveaus von GerechtigkeitGerechtigkeit beizutragen.“2

1.2.2.2Inhalt

Für einen Annäherungsversuch und der mit ihm verbundenen Frage nach biblischen Texten in diakoniewissenschaftlichen Kontexten ist insbesondere der Beitrag von Ulrich Luz zu den „Biblischen Grundlagen der Diakonie“ bedeutsam.1

Luz geht von einer Begriffsbestimmung des διακον-Stammes aus, die die Vielschichtigkeit des Begriffsfeldes in der Profangräzität, der LXX und dem Neuen Testament deutlich macht. Auch er verweist in diesem Zusammenhang auf die bereits erwähnte Studie von Collins.2 Anschließend skizziert Luz jüdische und biblische Wurzeln der „Diakonie“, beginnend bei den „LiebeswerkenLiebestätigkeit“ in der jüdischen Tradition.3 Innerhalb dieses Punkts rekurriert Luz auf die oben dargestellten Ausführungen Crüsemanns. Darüber hinaus verorten sich die Hinweise zur „Diakonie“ im Neuen Testament innerhalb der bereits dargestellten Perikopen. Zugleich referiert Luz die These von Gerd Theißen, dass der Dienst an den „Wanderradikalen“ eine Wurzel christlicher „Diakonie“ darstelle.4 Neben der Betonung von gemeinsamen MahlzeitenMahlzeiten als Form sozialer Hilfe und Sicherheit5, zeigt Luz das seines Erachtens weite Verständnis von „Diakonie“ bei PaulusPaulus auf und entfaltet die paulinische KollektensammlungKollektensammlung als ein Beispiel ökumenischer „Diakonie“.6 Daran werde deutlich, dass der DiakoniebegriffDiakoniebegriff noch nicht im heutigen Sinne als terminus technicus gebraucht, aber seine inhaltliche Füllung vorbereitet werde.7 Ohne im Detail auf die Probleme einzugehen, die sich mit dem Begriff des DiakonsDiakon8 innerhalb des Neuen Testaments ergeben würden, skizziert Luz die Ansätze zu einer InstitutionalisierungInstitutionalisierung der „Diakonie“ innerhalb der späteren Schriften des Neuen Testaments. Dabei sei aber anhand des 1. Timotheusbriefs festzuhalten, dass die Gemeindediakonie nicht verdrängt worden sei: „Die beginnende InstitutionalisierungInstitutionalisierung der diakonischen Aufgaben tritt also nicht an die Stelle des diakonischen Einsatzes aller Gemeindeglieder, sondern ergänzt ihn.“9 Im Licht von Apg 6Apg 6 sei noch einmal deutlich zu machen, dass auch der WortdienstWortverkündigung in den DiakoniebegriffDiakoniebegriff eingebunden sei.10 Anhand der Apostolischen Väter werde dann deutlich, dass die InstitutionalisierungInstitutionalisierung der „Diakonie“ im Laufe der Geschichte weiter voranschreite.11 Abschließende Thesen beschreiben die „Diakonie“ als nota ecclesiae12, verdeutlichen noch einmal das weite BedeutungsspektrumBedeutungsspektrum des Begriffs.

1.2.2.3Kritische Würdigung

In seinem Beitrag versucht Luz einen grundlegenden Einblick zur biblischen Begründung der „Diakonie“ zu geben. Dabei beschränkt er sich nicht ausschließlich auf den neutestamentlichen Befund, sondern nimmt auch das Alte Testament sowie die jüdische und nachneutestamentliche Tradition in den Blick. Es ist evident, dass dieser knappe Überblick nicht ohne notwendige Kürzungen auskommt. Dennoch bietet er für die Leserinnen und Leser eine profunde Grundlage für eigene Überlegungen. Besonders die Thesen bzw. „Theologischen Impulse“ am Ende der Ausführungen laden zu einer Weiterarbeit auf Grundlage seiner Ausführungen ein. Zugleich ist aber kritisch anzumerken, dass die biblische Fundierung innerhalb des Sammelbandes rein quantitativ gesehen – 19 Seiten Aufsatz bei einer Gesamtseitenzahl von weit über 600 – sehr marginal ist. Zu würdigen ist aber, dass Luz innerhalb seiner Ausführungen einen weiten Raum öffnet, in dem sich „Diakonie“ in biblischer Lesart zu verorten habe, ohne sich in Detailfragen der exegetischen bzw. diakoniewissenschaftlichen Forschung zu verlieren.

1.2.3„Diakonische Konturen. Theologie im Kontext sozialer Arbeit“

Bei dem unter diesem Titel publizierten Sammelband handelt es sich um eine Veröffentlichung des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.1

1.2.3.1Aufbau

Der Band weist eine Zweiteilung auf, die den Überlegungen zur „Theologie im Kontext sozialer Arbeit […] [d]iakonische Konturen im Neuen Testament“ voranstellt.1 Während der zweite Teil größtenteils Probevorlesungen darbietet, die an der Evangelischen Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg im Jahr 2002 gehalten worden, bietet der erste Teil zwei Abschlussarbeiten aus dem Diakoniewissenschaftlichen Institut Heidelberg sowie Aufsätze zur Auseinandersetzung mit dem Begriff διακονία unter Rückgriff auf die Überlegungen von John N. Collins.2 Rein quantitativ ist anhand der Seitenzahl eine ungefähre Parität zwischen beiden Teilen festzuhalten.

Für die Frage nach der Bedeutung biblischer Texte in diakonischen bzw. diakoniewissenschaftlichen Kontexten ist der erste Teil relevant. Dabei ist voranzustellen, dass sich der Band besonders in Bezug auf die neutestamentlichen Ausführungen als Grundlage weiterführender Diskussionen und nicht als abschließende Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Diskurses versteht. Ziel aller Ausführungen sei es, „die Diakonie mit Hilfe ihres theologischen Erbes neu zu profilieren, sei es durch exegetische Arbeit an diakonischen oder sozialen Schlüsseltexten des Neuen Testaments, sei es durch theologisch-ethische Reflexionen bestimmter Kontexte sozialen Handelns.“3

1.2.3.2Inhalt

Die Ausführungen zu den diakonischen Konturen im Neuen Testament werden von Überlegungen von Bettina Rost zum sozialen Handeln im lukanischen Doppelwerk eröffnet.1 Sie rekurriert dabei besonders auf die Thematik von ArmutArmut und ReichtumReichtum im Horizont der kommenden GottesherrschaftGottesherrschaft. Sie zeigt, dass als ethische Mitte bei Lukas die Spenden- und Almosenforderung gesehen werden könne.2 Insofern lasse sich sagen, dass Lukas an wohlhabenden Gemeindegliedern interessiert sei, zu denen er ein seelsorgerliches Verhältnis aufzubauen sucht, um sie für seine Argumentation zu gewinnen: „Er ist an ihrer ethischen Umkehr zu den Bedürftigen hin interessiert.“3 Ziel sei es, „eine alternative Lebensweise zu wagen im Dienst der wirtschaftlich Benachteiligten. Dazu gehöre die Bereitschaft zu aktiver WohltätigkeitWohltätigkeit über das gewohnte Maß hinaus, sodass die Gegensätze, die faktisch zwischen Arm und Reich bestehen, verringert werden können.“4 Die MotivationMotivation zu diesem Handeln werde in Lk 6,35f.Lk 6,35f. deutlich: BarmherzigkeitBarmherzigkeit werde möglich, weil Gott barmherzig sei. Der BarmherzigkeitBarmherzigkeit sei so eine eschatologisch-soteriologische Dimension inhärent: „Lukas fordert auf zu SolidaritätSolidarität und VerantwortungVerantwortung für den Mitmenschen, denn nur mit dem Mitmenschen gemeinsam findet der Mensch zum Heil.“5 Damit werde anhand der Ausführungen deutlich, dass „Diakonie“ auch im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit verstanden werden könne, die die Grundlage für das weitere sozial-karitative Handeln darstelle. Abgeschlossen werden Rosts Ausführungen durch Anmerkungen zur Aktualität der Armutsproblematik.

Den umfangreichsten Aufsatz des Sammelbandes bietet Dirk Jonas mit Überlegungen zum Verständnis der „Diakonie“ bei den Evangelisten Markus und Lukas.6 Wie schon bei dem Beitrag von Bettina Rost handelt es sich bei den Ausführungen Jonas’ um Überlegungen, die im Rahmen einer diakoniewissenschaftlichen Abschlussarbeit bzw. Diplomarbeit angestellt wurden. Ziel seiner Ausführungen sei es, Begründungszusammenhänge diakonischen Handelns in neutestamentlicher Perspektive darzustellen, um damit einen umfassenden biblischen Einblick in die Thematik zu bieten. Es erscheint s. E. sachgemäß, von einer Betrachtung des διακον-Wortfeldes ausgehend die biblischen Vorstellungen vorzutragen. Anhand einer Exegese von Mk 10,35–45Mk 10,35–45 mit Bezug auf biblische und außerbiblische Bezüge arbeitet Jonas den markinischen DienstbegriffDienstbegriff heraus, der im Anschluss an Mk 10,45Mk 10,45 von der ganzen Existenz Christi her zu verstehen und als Befreiungstat Christi inhaltlich zu füllen sei.7 Dementsprechend sei die „Befreiung des Menschen als VersöhnungVersöhnung mit Gott und Findung der eigenen IdentitätIdentität […] als Zeichen der in die Gegenwart hineinwirkende basileia Gottes zu verstehen. Mit ihr manifestiere sich der Herrschaftswechsel, der sich in der Existenz Jesu als einer, der dient und bedient werden will, vollzieht.“8 „Diakonie“ in der NachfolgeNachfolge Jesu sei als Befreiung zu verstehen „und zwar in Bezug auf die eigene Person, im Verhältnis zum Mitmenschen und im Verhältnis zu dem, was man besitzt.“9 Der qualitative Unterschied zwischen dem Dienen Jesu und dem Dienen der Menschen sei in dem „LösegeldLösegeld“ zu finden, das diese Befreiungstätigkeit nach Mk 10,45 erst ermögliche. Auf ähnlicher Linie erfolge die Argumentation und Begründung im lukanischen Doppelwerk, in dem das gesamte Wirken Jesu als „Diakonie“ bzw. Dienst verstanden werde, wobei Jesus als Diener wiederkommen werde (vgl. Lk 12,37Lk 12,37). In der Zeit zwischen dem Wirken des irdischen Jesus und dem des Wiederkommenden vollziehe sich der Dienst des Menschen in der NachfolgeNachfolge Jesu und vor dem Horizont des kommenden GottesreichesReich Gottes.10 Dieser Dienst sei als Auslegung des Doppelgebots der LiebeLiebe zu verstehen, wird durch die BarmherzigkeitBarmherzigkeit Gottes motiviert (vgl. Lk 6,36Lk 6,36) und geschehe im GlaubenGlaube. „Das heißt, der Dienst des Menschen erhält seinen Sinn nicht von dem her, was der Mensch tut, sondern vom SelbstverständnisSelbstverständnis des Menschen als Glaubender und zum GlaubenGlaube Gerufener.“11 Für die Charakterisierung der ApostelApostel und des PaulusPaulus in der Apostelgeschichte sei es wichtig festzuhalten, dass ihr Dienst bzw. ihre „Diakonie“ „das Zeugnis vom irdischen Jesus und das Zeugnis vom auferstandenen Jesus“12 darstelle. Somit würden die ApostelApostel die Kontinuität zwischen der Erdenzeit Jesu und der Zeit nach seiner Himmelfahrt gewährleisten. Für Paulus sei anzunehmen, dass sein Dienst in MissionMission, Predigt, Gemeindeaufbau und auch karitativen Tätigkeiten bestand.13 Für die „Diakonie“ der ApostelApostel biete Lk 9,1ff.Lk 9,1ff. eine inhaltliche Konkretion und Füllung, darüber hinaus gehöre nach der Apostelgeschichte die Organisation des Gemeindelebens zu ihrer „Diakonie“. Summarisch sei mithin festzuhalten, dass „auch der Dienst der Menschen, die heute in der Erwartung der Wiederkunft Jesu als Glaubende und zum GlaubenGlaube Gerufene leben, nach lukanischem Verständnis – jedenfalls der Sache nach – zum Zeugnis vor der Welt vom Dienst des gekommenen und wiederkommenden Herrn [werde].“14 Der signifikanteste Unterschied in den BegründungszusammenhängenBegründungszusammenhang bei Markus und Lukas sei in Bezug auf den Tod Jesu zu sehen, dem bei Markus durch das LösegeldlogionLösegeld eine Bedeutung für den DiakoniebegriffDiakoniebegriff zukomme, der dann als Ausdruck von LebenshingabeLebenshingabe zu verstehen sei. Demgegenüber sei im lukanischen Doppelwerk eine pragmatischere Begründung zu finden: „Jesu ganzes Leben und Sterben ist der Dienst, der das Verlorene sucht und rettet, und gilt als bleibendes Kennzeichen, denn er wird als Diener wiederkommen.“15 Für das Matthäusevangelium sei im Anschluss an die WeltgerichtsredeWeltgerichtsrede (Mt 25,31–46Mt 25,31–46