Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte - Michael Beleites - E-Book

Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte E-Book

Michael Beleites

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Beschreibung

Dicke Luft in Bitterfeld, Schaum auf der Elbe, Tagebaukrater in der Lausitz, radioaktive Wismut-Halden: weite Teile Sachsens waren einst in der DDR ökologisches Krisengebiet. Junge Menschen begannen deshalb über Zukunftsfragen öffentlich zu diskutieren und Bäume zu pflanzen. Das war Ende der siebziger Jahre. Es entstand eine alternative Szene, die spektakuläre Aktionen erdachte, Untergrundschriften druckte und erste Demonstrationen organisierte. Die Machthaber betrachteten diese Aktivitäten immer als Angriff und Bedrohung. Viele Mitstreiter wurden deshalb von der Stasi verfolgt und dadurch politisiert. Die unabhängige Umweltbewegung entwickelte sich so zu einem wichtigen Teil der Opposition und zu einer Säule der Demokratiebewegung im Herbst '89. Auch nach 1989 brachten sich viele in den Erneuerungsprozess ein. Sie bewegen die Gesellschaft bis heute. Dieses Buch beleuchtet die Entstehung und Entwicklung der alternativen Umweltszene der DDR und ihre grenzüberschreitenden Impulse. Michael Beleites, einst selbst engagierter Umweltaktivist, stellt plastisch Aktionen & Akteure vor. Dazu hat er seltene Dokumente und Fotos seiner damaligen Mitstreiter zusammengetragen. Ein historisches und doch sehr aktuelles Buch.

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Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Band

Michael Beleites

Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte

Die unabhängige Umweltbewegung in der DDR

Die Deutsche Bibliothek – Bibliographische Informationen Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Fotos, soweit nicht anders angegeben, vom Autor.

© 2016 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gesamtgestaltung: behnelux gestaltung, Halle (Saale)

Coverbild: Teilnehmer des Umwelt-Protestmarsches von Bitterfeld nach

Wolfen am 19. Mai 1984 © Michael Beleites

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-374-04495-5

www.eva-leipzig.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einführung

1 Zum Entstehungszusammenhang der Umweltbewegung in der DDR

2 Zum politischen Selbstverständnis der unabhängigen Umweltbewegung

2.1 Öko-Gruppen – Der unpolitische Zweig der Opposition?

2.2 Das Verhältnis zu den Kulturbund-Gruppen

2.3 Das Verhältnis zu den Kirchen

2.4 Das Verhältnis zur Allgemeinheit

2.5 Vernetzung im Ost-West-Zusammenhang

2.6 Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit

3 Das politische System als Gegner

3.1 Geheimhaltung von Umweltdaten

3.2 Verfolgung durch die Stasi

Die unabhängige Umweltbewegung als Zielgruppe des MfS

Die Stufen der Verfolgung

Die »Zersetzung«

Zur »Rechts«lage der kritischen Umweltinitiativen

3.3 Gegenstrategien der Umweltinitiativen

Das Unterlaufen der Geheimhaltung

Das Unterlaufen der Zensur

Das Unterlaufen der Verfolgung

4 Vier Phasen einer Bewegung

4.1 Ein Umweltbewusstsein entwickeln: Die Konstituierung der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR (1979 bis 1982)

Die Idee der Baumpflanzaktionen

Das Kirchliche Forschungsheim in Wittenberg

Das Grüne Kreuz – ein Symbol für die Umweltbewegung

Öko-Seminare – Umweltbildung selbst organisiert

Die Radsternfahrt-Treffen

Begegnungsstätten auf dem Land

4.2 Mit der Realität konfrontiert: An den ökologischen Brennpunkten wird eine kritische Öffentlichkeit organisiert (1983 bis 1986)

Braunkohle

Chemische Industrie

Waldsterben

Sozialistische Landwirtschaft

Natur und Landschaft

Atom und Uran

»Pechblende« – Entstehung und Wirkung einer Untergrundschrift

Samisdat und Plakate

Foto-Postkarten – Widerstand aus der Dunkelkammer

4.3 Der Systemfrage Priorität geben: Die ökologische Bewegung stellt sich in die Demokratiebewegung hinein (1987 bis 1989)

Das Fanal von Zion: Der Überfall auf die Umweltbibliothek

Fast eine Partei: Das grün-ökologische Netzwerk Arche

Nicht mehr im Trüben fischen: Eine politische Bewegung geht in die Öffentlichkeit

4.4 Ein Teil des demokratischen Prozesses: Umweltaktivisten in Bürgerkomitees und an Runden Tischen (1989 bis 1990)

Die Ökumenische Versammlung

Ankunft in der neuen Parteienlandschaft

Die Friedliche Revolution

5 Freiheit als Chance: Umwelt und Umweltinitiativen im wiedervereinigten Deutschland

6 Rückblick: Zur geschichtlichen Bewertung der unabhängigen Umweltbewegung in der DDR

Zur besonderen Situation in der DDR

Das Verhältnis von Opposition und Sozialismus

Zur Würdigung der Akteure

7 Fazit

Nachwort: Die Umweltbewegung als Krisenwahrnehmungsmanagement(Lutz Rathenow)

Anhang

Dokumente

Brief zum Grünen Kreuz (1984)

Friedrich Schorlemmer: Eines Tages … war alles verändert (1982)

Literatur

Personenverzeichnis

Weitere Bücher

Fußnoten

Einführung

Noch vor 30 Jahren war in Mitteldeutschland die Umweltkrise allgegenwärtig: von Braunkohlebaggern umgepflügte Landschaften in der Lausitz und südlich von Leipzig, dicker und stinkender »Industrienebel« in Bitterfeld und Espenhain, toter Wald im Erzgebirge, strahlende Halden im Wismut-Gebiet, Schaum auf Elbe, Elster und Pleiße, nitratvergiftete Brunnen überall. Völlig überalterte Industrieanlagen, eine übermäßig chemisierte und industrialisierte Landwirtschaft und eine materialistische Ideologie, die die Natur nur als Ressource betrachtete, verursachten Umweltzerstörungen in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß.

In dieser Situation schlossen sich ab Ende der siebziger Jahre junge Menschen zusammen, um über Zukunftsfragen zu diskutieren – und Bäume zu pflanzen. Es entstand eine alternative Szene, die zumeist im Umfeld der Evangelischen Kirche Gesprächskreise eröffnete, Bäume pflanzte, Untergrundschriften druckte und erste Demonstrationen organisierte. Die jungen Umweltaktivisten wurden von der Stasi ebenso als »politischer Untergrund« betrachtet und entsprechend verfolgt wie diejenigen, die sich in Friedens- und Menschenrechtsgruppen engagierten.

Auf diese Weise wurden wiederum viele Menschen politisiert, die sich mit dem Umweltthema zunächst bewusst ein vermeintlich unpolitisches Betätigungsfeld gesucht hatten. So entwickelte sich die unabhängige Umweltbewegung – neben den Friedens- und Menschenrechtsgruppen – zu einer der drei wichtigen Säulen der Demokratiebewegung, die die Friedliche Revolution des Herbstes 1989 entscheidend mitgetragen haben. Und gerade weil sich der vermeintlich unpolitischeren Umweltbewegung viele anschlossen, die ihre berufliche Karriere nicht gefährden wollten, war die Umweltbewegung 1989 diejenige unter den oppositionellen Strömungen, die am weitesten in der DDR-Bevölkerung verankert war – und die überall in ihren Reihen Leute hatte, die sich in Staat und Verwaltung auskannten. Dies verlieh ihr auch außerhalb der großen Städte eine Kraft, die entscheidend dazu beitrug, den politischen Veränderungsprozess voranzutreiben und schließlich unumkehrbar zu machen.

Gerade in Sachsen hat sich gezeigt, dass die frühe Auseinandersetzung mit den ökologischen Brennpunkten, wie Braunkohle, Chemieindustrie, Wismut und Waldsterben, den betroffenen Regionen wichtige Impulse verliehen hat. Hier wurde der Transformationsprozess früher, engagierter und vor allem mit einer größeren Bürgerbeteiligung auf den Weg gebracht als an anderen Orten! Und es wirkt bis heute fort, dass die Konfrontation mit ökologischen Zusammenhängen die Sensibilität für Belange der Allgemeinheit geschärft und die Bereitschaft zu ehrenamtlichen Tätigkeiten gestärkt hat.

Dieses Buch ist keine umfassende »Geschichte der DDR-Umweltbewegung«, sondern es gibt einen Überblick über die in den achtziger Jahren in der DDR wirkenden Umweltgruppen, über ihre Entstehung, ihre Entwicklung, ihre Leitbilder, ihre Vernetzung, ihre Aktivitäten, aber auch über ihre Verfolgung und ihre Konflikte. Ein besonderes Augenmerk wird auf die besondere Rolle dieser Gruppen in der Wendezeit des Herbstes 1989 sowie in der sich daran anschließenden Phase des gesellschaftlichen Übergangs gelegt.

Manche Historiker mögen einwenden, dass ich als Autor befangen bin, weil ich zu dieser Bewegung dazugehört habe, die ich hier beschreibe. Ich möchte es selbst nicht beurteilen, inwieweit sich dies nachteilig auf das Buch auswirkt. Aber ich kann versichern, dass sich der Umstand, hier auch Sichtweisen aus einer Innenperspektive der Umweltbewegung einbringen zu können, gewiss bereichernd in diesem Buch niederschlägt. Gerade weil ich mir der Gefahren einseitiger Darstellungen bewusst bin, habe ich mich um eine Analyse aus verschiedenen Perspektiven bemüht. Neben der Verwertung schriftlicher Quellen und den Schilderungen aus eigenem Erleben habe ich Menschen befragt, die in unterschiedlichster Weise beteiligt waren. Solche, die damals in verschiedenen Umweltgruppen aktiv waren und solche, die damals an der konspirativen Abschirmung von Umweltschäden teilhatten (MfS- und Umweltbehörden-Mitarbeiter).

Da ich mich seit 1990 an der Aufarbeitung des Wirkens der unabhängigen Umweltbewegung in der DDR beteiligt habe, profitiert auch das hier vorliegende Buch von Gesprächen, die ich seither mit verschiedenen Zeitzeugen geführt habe. So mit Uwe Böhm (bis 1989 Sachbearbeiter für die Überwachung und »Zersetzung« kirchlicher Umweltgruppen bei der MfS-Zentrale in Berlin), Hans-Peter Gensichen (Leiter des Kirchlichen Forschungsheims in Wittenberg), Petra Hans (Initiatorin der Umweltgruppe Altenburg), Maria Jacobi (prägende Akteurin im Ökologischen Arbeitskreis der Dresdner Kirchenbezirke), Carlo Jordan (Initiator der ersten kirchlichen Umweltbibliothek und des grünen Netzwerks Arche in Berlin), Reinhard Markgraf (bis 1989 Stellvertretender Leiter der MfS-Kreisdienststelle Gera), Felix Christian Matthes (1982 Autor der Untergrundschrift »Umweltschutz im Haushalt« und 1990 Begründer der Zweigstelle des Ökoinstituts Freiburg in Berlin), Ulrike Metz und Jes Albert Möller (1982–84 Mitinitiatoren der Potsdamer Radsternfahrt-Treffen), Jörn Mothes (Mitbegründer der kirchlichen Umweltbewegung und Initiator der DDR-weiten Ökologieseminare Anfang der achtziger Jahre in Schwerin), Dietmar Perz (bis 1989 Sachbearbeiter für den gegen mich geführten Operativen Vorgang »Entomologe« bei der MfS-Kreisdienststelle Gera), Sebastian Pflugbeil (1989 Autor der kirchlichen Studie »Energie und Umwelt«), Horst-Jürgen Seidel (bis 1989 Erster Stellvertreter des Leiters der MfS-Bezirksverwaltung Gera), Günther Wagner (bis 1989 Sachbearbeiter für die Radioaktivitätsbelastung der Gewässer bei der Wasserwirtschaftsdirektion Gera), Reinhard Weidner (bis 1989 Pfarrer in Dittersdorf und Initiator von Protesten in der Nachbarschaft des »Schweinezucht- und Mastkombinats« Neustadt), Joachim Wiegand (bis 1989 Leiter der Kirchenabteilung bei der MfS-Zentrale in Berlin), Eckhard Zergiebel (bis 1989 Mitarbeiter bei der Abteilung Umweltschutz und Wasserwirtschaft des Rates der Stadt Gera). Allen, die für informative Gespräche zur Verfügung standen, mir Dokumente und Fotos gaben und in anderer Weise das Zustandekommen dieses Buches direkt oder indirekt unterstützten, sei hier herzlich gedankt!

Meine besondere Anerkennung gilt Lutz Rathenow, dem Herausgeber dieses Büchleins, der die Idee einer kompakten Darstellung der DDR-Umweltbewegung sofort aufgriff und sich bereiterklärte, sie in die Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen aufzunehmen! In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis: Ein solches Buch über die Umweltgruppen in der DDR wollte ich nämlich bereits im Jahr 2000 schreiben. Damals wurde nichts daraus, weil ich in das Amt des Sächsischen Landesbeauftragten gewählt wurde, das ich dann zehn Jahre innehatte. Nun lädt mein Nachfolger mich dazu ein, diese Idee wieder aufzugreifen und als Buch in der von mir begründeten und von ihm fortgeführten Schriftenreihe zu publizieren. Dafür danke ich ihm sehr!

Michael Beleites

Blankenstein (Sachsen), im Herbst 2015

1 Zum Entstehungszusammenhang der Umweltbewegung in der DDR

Ende der siebziger Jahre verließ die erste Generation die DDR-Schulen, die den Westen nie gesehen hatte. Diese Generation war von sozialistischen Lehrern erzogen worden, die einen neuen »sozialistischen Menschen« nach ihrem Bilde formen wollten. Doch ihre Rechnung war nicht aufgegangen: Unter den jungen Leuten machte sich Frust breit über die lähmende Enge in der von Stacheldraht und Selbstschussanlagen umzäunten DDR. Vor allem im Umfeld der evangelischen Kirchen entstand eine alternative Szene, die sich lieber an den emanzipatorischen Bewegungen des Westens orientierte, als sich im FDJ-Blauhemd an der zunehmenden Militarisierung des Landes zu beteiligen. Themen, die die Jugend wirklich bewegten, wie die militärischen und ökologischen Bedrohungen, waren im SED-Staat tabuisiert.

Kurz nach der Entstehung der kirchlichen Friedensbewegung Ende der siebziger Jahre konstituierten sich die ersten Umweltgruppen. Die westliche Debatte über Grenzen des Wachstums1, die auch von den Kirchen in der DDR aufgegriffen wurde, spielte damals eine wichtige Rolle.

Diejenigen, die die unabhängige Umweltbewegung in der DDR ins Leben riefen, orientierten sich an den emanzipatorischen Bewegungen in der Bundesrepublik und in der übrigen westlichen Welt. Ausgelöst durch Rachel Carsons Buch »Der stumme Frühling« (1963) war im Westen bereits zehn Jahre früher eine starke Umweltbewegung entstanden. Mit der Gründung einer ökologisch orientierten Partei – den Grünen – im Jahr 1980 ist diese Bewegung zu einer politischen Kraft geworden. Ihre Etablierung im politischen Betrieb führte dann allerdings dazu, dass gerade die ökologische Dimension des Gründungsimpulses in den Hintergrund geriet. Aber auch diese Strömung wird unter Historikern nur als die »zweite ökologische Bewegung« betrachtet. Denn in vielem knüpfte sie an die »erste ökologische Bewegung« an: nämlich an die Lebensreformbewegung zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

So muss die unabhängige Umweltbewegung, die in den achtziger Jahren in Mitteldeutschland wirkte, in diesem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang gesehen werden. Sie stützte sich auf Einsichten der frühen Lebensreformbewegung und orientierte sich an den thematischen Schwerpunkten der westlichen Ökologiebewegung – zu der sie auch enge Kontakte pflegte. Und ihre Entstehung fiel zeitlich zusammen mit der Etablierung der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. Die organisatorischen Verflechtungen und persönlichen Kontakte waren so eng, dass es mitunter unmöglich ist, zwischen der Umwelt- und Friedensbewegung eine klare Grenze zu ziehen. Aber genau von dieser Vernetzung zu anderen oppositionellen Gruppen in der DDR und zu Akteuren gewaltfreien Widerstands im Westen profitierte die Bewegung in den entscheidenden Wochen der Friedlichen Revolution 1989/90.

Am Beginn der Auseinandersetzung mit ökologischen Themen ging es aber nicht um die DDR, sondern um die Erde. In den siebziger Jahren kam die Umweltproblematik als ein globales Thema auf die Tagesordnung internationaler Konferenzen der Kirchen. Die ökumenischen Weltkonferenzen der christlichen Kirchen versammelten sich unter den Leitgedanken »Ungewisse Zukunft und christliche Hoffnung« (Bukarest, 1974), »Menschliche Entwicklung – Technologie und die Qualität des Lebens« (Nairobi, 1975) und »Glaube, Wissenschaft und Zukunft« (Boston, 1979). Insbesondere die Konferenzen in Nairobi und Boston empfahlen den Mitgliedskirchen die Weiterarbeit am ökologischen Thema. Auch aus der DDR konnten einige wenige Kirchenvertreter an diesen Konferenzen teilnehmen. Der Erfurter Propst, Heino Falcke, und der Ost-Berliner Theologe Götz Planer-Friedrich trugen dann wesentlich dazu bei, dass die Ergebnisse dieser Konferenzen in den evangelischen Kirchen der DDR intensiv ausgewertet wurden und weite Verbreitung fanden. Diese theologischen Vordenker wurden von kirchlichen Gesprächskreisen und den neu entstehenden Umweltgruppen oft zu Vorträgen eingeladen.

Theologische Vordenker: Propst Dr.Heino Falcke, Dr.Götz Planer-Friedrich und Dr.Hans-Peter Gensichen.

Noch wichtiger war aber, dass sie unter dem Stichwort Bewahrung der Schöpfung eine theologische Fundierung schufen und auch kirchliche Institutionen für eine Auseinandersetzung mit den ökologischen Fragen öffneten. So wurde im Ausschuss Kirche und Gesellschaft und in der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR sowie im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg schon vor bzw. während der Entstehung der kirchlichen Umweltgruppen eine theoretische Grundlage für die spätere Umweltbewegung geschaffen. Die 1980 im Selbstdruck hergestellte Broschüre »Die Erde ist zu retten – Umweltkrise, christlicher Glaube, Handlungsmöglichkeiten« des Kirchlichen Forschungsheimes ist dann das erste ökologische Grundsatzpapier der evangelischen Kirchen in der DDR. Unter dem Motto »Christliche Verantwortung für die Schöpfung« war die Umweltfrage 1984 Thema der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Greifswald. Obwohl die Umweltgruppen vor allem bei den evangelischen Kirchen entstanden, waren die kirchlichen Umweltgruppen nicht allein eine protestantische Bewegung. Auch in der katholischen Kirche spielte das ökologische Thema eine Rolle. So gab es 1984 in St. Marienstern ein großes Treffen katholischer Studentengemeinden zum Thema »Schöpfung bewahren«. Und dort, wo die evangelischen Kirchenvertreter ihre Räume für kirchliche Basisgruppen verschlossen hielten, wie z.B. in Gera, öffneten sich katholische Gemeinden für Umweltinitiativen.

Ökologische Verantwortung: 1984 ist die Umweltfrage Thema der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Greifswald.

Zusammen mit der kirchlichen Profilierung der Umweltfragen wirkte auch der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit »Die Grenzen des Wachstums« von 1972 in die ökologisch orientierten Kreise der DDR hinein. Das Buch von Dennis Meadows ist zwar in der DDR nie erschienen; es wurde aber von westdeutschen Besuchern vielfach ins Land »geschmuggelt« – und gab hier entscheidende Denkanstöße. Es sorgte auch dafür, dass die sich in der Umweltbewegung etablierenden ethischen Maßstäbe von denen anderer oppositioneller Gruppen deutlich unterschieden: Während sich die anderen an der aktuellen westdeutschen und westeuropäischen Situation orientierten und das Wohlstandsdefizit in der DDR beklagten, orientierten sich die Umweltgruppen mehr an der Frage, wie viel Ressourcenverbrauch die ganze Erde verkraftet, wenn alle Erdenbewohner denselben Wohlstand haben. Daher standen hier eher die Fragen nach Verzicht und Einsparung von Energie und Ressourcen (bzw. Effizienzsteigerung) auf der Tagesordnung. Allen, die hierzu ein breiteres, über die ökologischen Gruppen hinausreichendes Bewusstsein herstellen wollten, war damals schon klar, dass Schlussfolgerungen aus der Einsicht in die Endlichkeit unserer Erde kaum mehrheitsfähig sein würden – und daher auch unter demokratischen Verhältnissen ein der Situation angemessenes rasches Umsteuern als unwahrscheinlich angesehen werden musste.

2 Zum politischen Selbstverständnis der unabhängigen Umweltbewegung

2.1 Öko-Gruppen – Der unpolitische Zweig der Opposition?

Auf den ersten Blick waren die Umweltgruppen, die oft in der Art von Bürgerinitiativen nur lokale oder regionale Einzelprobleme thematisierten, weniger politisch als die Friedens- oder Menschenrechtsgruppen. Und aus genau diesem Grund gelang es den Umweltinitiativen, weitaus breitere Kreise in oppositionelle Zusammenhänge einzubeziehen als den vordergründig politischen Gruppen. Da die Stasi aber auch in den eher unpolitischen Umweltkreisen einen »politischen Untergrund« zu erkennen glaubte, der im Begriff gewesen sei, den Staat zu beseitigen, sahen sich sehr bald auch die sogenannten »reinen« Umweltschützer, die den Konflikt mit dem Staat eigentlich vermeiden wollten, einer politischen Verfolgung ausgesetzt. Auf diesem Wege wurden schließlich mehr und mehr Menschen in den Konflikt mit dem Staat hineingezogen – und dadurch politisiert.

In den Umweltgruppen waren nicht nur »Aussteiger« versammelt, sondern auch viele, die beruflich etabliert waren und den Konflikt mit dem Staat vermeiden wollten. Deren Kriminalisierung und Verfolgung wegen ihres offenkundig gemeinnützigen Engagements machte nun auch ihre Kollegen und Bekanntenkreise mit der Realität politischer Repression bekannt. So kam die Erfahrung mit dem repressiven Charakter des politischen Systems in breiten Kreisen der Bevölkerung an. Auch wenn es zu einer offenen Solidarisierung mit politisch Verfolgten erst im Herbst 1989 kam, ist auf diesem Wege in einer seit 1987 rasch wachsenden Bevölkerungsgruppe eine solidarische Haltung herangereift. Wenn sich in diesen Jahren – weitgehend unbemerkt – der Boden für ein revolutionäres Potenzial verbreitert hat, so hat die breitere Verankerung der Umweltbewegung in der Bevölkerung hieran einen wesentlichen Anteil gehabt.

Und auch in der frühen Phase der Friedlichen Revolution waren es die Umweltgruppen, die Leute in ihren Reihen hatten, die sich in den DDR-Verwaltungsstrukturen auskannten und genau wussten, wo und über wen die jeweiligen Kommunen bei den verschiedenen Problemfeldern zu greifen waren. Auf diese Weise konnte besonders in mittleren und kleineren Städten der Handlungsspielraum der oppositionellen Gruppen schnell ausgeweitet werden.

2.2 Das Verhältnis zu den Kulturbund-Gruppen

Wenn hier von den »unabhängigen Umweltgruppen« die Rede ist, so bedeutet das, dass es auch eine offizielle Umwelt-Gesellschaft gab. Diese existierte allerdings überwiegend zum Zweck der Neutralisierung bzw. Auflösung der kritischen Umweltgruppen. Als sozialistische Auffangbecken für potenziell politisch Andersdenkende (Christdemokraten, Liberale, Nationaldemokraten, Bauernschaft) bestanden die Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und DBD an der Seite der SED. Als sich in der Bundesrepublik die Grünen politisch etabliert hatten, versuchte man für deren Sympathisanten in der DDR ein weiteres sozialistisches Auffangbecken zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde 1980 die Gesellschaft für Natur und Umwelt beim Kulturbund der DDR gegründet.

Da sich SED-treue bzw. anpassungsbereite »Grüne« für eine quasi grüne Blockpartei nicht fanden, wurden zunächst die bereits bestehenden naturwissenschaftlichen Fachgruppen des Kulturbundes (z.B. Botaniker, Ornithologen, Entomologen) zwangseingegliedert. Institutionell war die Gesellschaft für Natur und Umwelt nur eine neue Ebene, die zwischen die naturkundlichen Fachgruppen des Kulturbundes und die Kulturbund-Leitungen geschoben wurde. Sie fungierte fortan als eine Art Dachorganisation der naturkundlichen Fachgruppen. Zu diesen gesellten sich in nur wenigen Städten auch allgemein am Umweltthema interessierte Initiativen. Außer in Halle, wo unter der Leitung von Peter Bliss ein recht reger »Arbeitskreis Umweltschutz« mehrere Jahre beim Kulturbund bestand, waren solche Gruppen nach kürzester Zeit wieder von der Bildfläche verschwunden (worden). Die von Matthias Platzeck initiierte Interessengemeinschaft Stadtökologie in Potsdam bekam zum Ende der DDR hin immer mehr Schwierigkeiten mit dem Staat. Und die von mir in Gera 1986/87 begründete »Interessengemeinschaft Umweltschutz« der Gesellschaft für Natur und Umwelt des Kulturbundes wurde schon nach wenigen Monaten von Stasi-IM wieder »zersetzt«. Darüber hinaus gab es Ende der achtziger Jahre an einigen Erweiterten Oberschulen (EOS) Umweltgruppen, die aber – da unter staatlicher Kontrolle stehend – über Müllsammeln und Bäumepflanzen nicht hinauskamen, und daher kein kritisches Potenzial darstellten.

Nationale Front: Der Kulturbund wurde als eine Art Blockpartei betrachtet – und auch dort untergebracht.

Natur als Motiv des ökologischen Engagements: Andreas Weber, Ines Schäfer, Annette Beleites und Jörn Mothes 1985 auf naturkundlicher Exkursion im Ahrenshooper Holz.

Ein fester Termin im Oktober: Einige der Begründer der Umweltbewegung trafen sich alljährlich zur Beobachtung des Kranichzuges in der vorpommerschen Boddenlandschaft.

Wenn die Gesellschaft für Natur und Umwelt des Kulturbundes das Umwelt-Thema nahezu komplett ausgespart hat, so muss man umgekehrt von den unabhängigen Umweltgruppen sagen, dass sie ihrerseits das Arbeitsfeld des Naturschutzes nahezu komplett umgangen haben. Die Motivation der Mitglieder von kritischen Umweltinitiativen bestand zum einen in einem – eher globalen – Verantwortungsgefühl für die Zukunft, d.h. für die Lebensbedingungen kommender Generationen, und zum anderen in der Schaffung eines politischen Gegengewichts zur offiziellen Umweltpolitik (besser: Nicht-Umweltpolitik) der DDR. Naturverbundenheit als Motiv des Umweltengagements war hier eine seltene Ausnahmeerscheinung.

Unter dem Dach des Kulturbundes der DDR sammelten sich viele Heimat- und Wanderfreunde sowie Naturliebhaber in den spezifischen Fachgruppen. Die meisten der Botaniker, Mykologen (Pilzkundler), Entomologen (Insektenkundler), Herpetologen (Lurch- und Reptilienkundler) und Ornithologen (Vogelkundler) verstanden sich zugleich als Naturschützer. Nach den Angaben von Behrens2 zählten die naturbezogenen Fachgruppen des Kulturbundes zusammen 50.000 bis 60.000 Mitglieder.3 Auch wenn hier der Zusammenhang des Artenrückgangs mit globalen und in der DDR hausgemachten Umweltproblemen kaum thematisiert wurde, haben die im Kulturbund engagierten Naturschützer eine ganz bedeutsame Arbeit geleistet. Ohne das nahezu flächendeckende Wirken dieser ehrenamtlich tätigen Naturschützer hätte die sozialistische Landwirtschaft noch weitaus mehr Biotope zerstört.

Aus der Perspektive der meisten Naturschützer waren die unabhängigen Umweltgruppen im politischen Untergrund wirkende Initiativen, die mit einem geringen Fachwissen und einer hohen Risikobereitschaft unveränderbare Verhältnisse verändern wollten. So führte nicht nur die Angst vor beruflicher Benachteiligung, wenn man sich mit »Staatsfeinden« einlässt, sondern auch die Einschätzung der Aussichtslosigkeit und Vergeblichkeit ihrer Vorhaben dazu, dass die meisten Naturschützer einem Kontakt mit den kritischen Umweltinitiativen aus dem Wege gingen.

Dennoch gab es immer wieder Berührungspunkte zwischen Umweltgruppen und Naturschützern. Reimar Gilsenbach aus dem brandenburgischen Brodowin z.B. war einer der prägenden Akteure des Naturschutzes in der DDR, der sehr wohl die Zusammenhänge zwischen Naturzerstörung und Umweltbelastung thematisiert und eigens dazu die »Brodowiner Gespräche« begründet hatte. Er hatte auch keine Scheu vor Kontakten zu den kritischen Umweltgruppen. So hat er beim ersten Radsternfahrt-Treffen der kirchlichen Umweltgruppen im Juli 1982 in Potsdam eine Arbeitsgruppe geleitet.

Opposition auf Eis: Naturkundliche Wanderung über den Schweriner See am Rande des Basisgruppentreffens Frieden konkret 1985 in Schwerin. Hannes Knapp, Jörn Mothes, Annette Beleites, Marcel Rotter, Walter Mothes, Beate Nekwasil und Christine Rietzke (v. r. n. l.).

In den Entstehungsjahren der Umweltbewegung spielte der Natur- bzw. Tierschutz in einigen Gruppen eine wichtige Rolle. In Meiningen gab es einen Umweltkreis, der sich an der Rettung wandernder Kröten an einer Fernverkehrsstraße beteiligte. Der 1981 entstandene Umweltkreis um Manfred Hastedt in Chemnitz, dem damaligen Karl-Marx-Stadt, kümmerte sich intensiv um die Pflege untergewichtig aufgefundener Igel. Interessant ist auch, dass hier der Aktionskreis Hastedt als eine mehr naturorientierte Initiative mit der als Montagskreis fungierenden Ökologiegruppe der Inneren Mission, die mehr umweltorientiert war, 1984 zur Ökogruppe Karl-Marx-Stadt fusionierte.

Seitens der Umweltgruppen waren die wenigen, die wegen ihrer Naturverbundenheit zur Umweltbewegung kamen, zumeist gleichzeitig in den entsprechenden Fachgruppen des Kulturbundes verankert. Besonders im Norden der DDR gab es mit Hannes Knapp, Ulrich Meßner, Jörn Mothes, Annette Beleites, Andreas Weber, Ines Schäfer und Gerhard Busse ein Netzwerk von Menschen, die sich gleichermaßen in Umwelt- und in Naturschutzinitiativen engagierten. Hannes Knapp und Ulrich Meßner gelang es, im Zusammenwirken mit Michael Succow 1989 und 1990 die Initiative für das Nationalpark-Programm der DDR auf den Weg zu bringen.

2.3 Das Verhältnis zu den Kirchen

Die kirchlichen Basisgruppen entstanden aus dem Bedürfnis heraus, sich außerhalb der offiziellen Organisationsformen, ohne staatliche Kontrolle und Bevormundung zu treffen und mit gesellschaftlichen Fragen der Zeit auseinanderzusetzen. Den dafür geeigneten Freiraum bot die Kirche, zumeist die evangelische Kirche. Politischer Widerstand und systemkritische Haltungen wurden auch von einigen Künstlern an die Öffentlichkeit getragen, doch zu einer freien Diskussion und einer tiefergehenden Beschäftigung mit den angesprochenen Problemen kam es nur im Rahmen der kirchlichen Gruppen. Die Initiatoren dieser Gruppen waren in den meisten Fällen auch Angehörige von Kirchengemeinden, die ihr Engagement mit einer christlichen Ethik in Verbindung brachten. Eine Flucht bestehender unabhängiger Gruppen unter das schützende Dach der Kirche – wie oft behauptet – gab es kaum. Allerdings waren unter den Mitgliedern der kirchlichen Basisgruppen viele, die sonst mit der Kirche nichts zu tun hatten. In Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssituation entwickelten sich die kirchlichen Basisgruppen in den achtziger Jahren fast immer zu Umwelt-, Friedens- oder 2/3-Welt-Gruppen. Auch viele Frauengruppen gehörten zu den kirchlichen Basisgruppen. Mitunter gab es auch die Situation, dass die sich bildende Gruppe, nur weil sie einen der üblichen Namen brauchte, zur »Friedensgruppe« oder »Umweltgruppe« wurde und sich dann erst sekundär auf den betreffenden Problemkreis konzentrierte.

Ein neues Bekenntniszeichen: Nach dem Kugelkreuz der verfolgten Jungen Gemeinden