Die 5 Dakinis - Tsültrim Allione - E-Book

Die 5 Dakinis E-Book

Tsültrim Allione

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Beschreibung

Dakinis sind Himmelstänzerinnen, mythische Geistwesen mit wechselndem Temperament. Sie stärken die weiblichen Kräfte in uns – jene Qualitäten, die wir in Zeiten wie diesen besonders dringend brauchen, um uns selbst und die Erde zu heilen. Lama Tsültrim Allione, eine der bekanntesten tibetisch-buddhistischen Lehrerinnen im Westen, zeigt uns darüber hinaus, wie die Dakinis uns helfen können, wann immer wir Mut und Durchhaltevermögen brauchen. Und wie sie uns sogar bei alltäglichen Problemen wie Entscheidungsschwierigkeiten oder Aufschieberitis zur Seite stehen. Durch kraftvolle, jedoch leicht erlernbare Meditationstechniken können wir uns mit den Dakini-Kräften verbinden und sie zu machtvollen himmlischen Begleiterinnen machen.

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Seitenzahl: 513

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Zu dem Buch:

Dakinis sind Himmelstänzerinnen, mythische Geistwesen mit wechselndem Temperament. Sie stärken die weiblichen Kräfte in uns – jene Qualitäten, die wir in Zeiten wie diesen besonders dringend brauchen, um uns selbst und die Erde zu heilen. Lama Tsültrim Allione, eine der bekanntesten tibetisch-buddhistischen Lehrerinnen im Westen, zeigt uns darüber hinaus, wie die Dakinis uns helfen können, wann immer wir Mut und Durchhaltevermögen brauchen. Und wie sie uns sogar bei alltäglichen Problemen wie Entscheidungsschwierigkeiten oder Aufschieberitis zur Seite stehen. Durch kraftvolle, jedoch leicht erlernbare Meditationstechniken können wir uns mit den Dakini-Kräften verbinden und sie zu machtvollen himmlischen Begleiterinnen machen.

Zu der Autorin:

Tsültrim Allione ist eine der ersten Amerikanerinnen, die in der tibetischen Tradition ordiniert wurden. Sie lebte viele Jahre als buddhistische Nonne im Himalaya und studierte bei tibetischen Lehrern, kehrte dann aber in ein weltliches Leben zurück, heiratete und wurde Mutter dreier Kinder. Tsültrim Allione beschäftigt sich intensiv mit den weiblichen Traditionen im tibetischen Buddhismus. Sie ist Gründerin des Meditationszentrums Tara Mandala in Colorado, USA. Als beliebte und angesehene spirituelle Lehrerin besucht sie regelmäßig Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Tsültrim Allione

DIE

5 DAKINIS

Die himmlischen Kräfte des Buddhismus

Mit Meditationen für viele Alltagsprobleme

Aus dem Amerikanischen von Claudia Fregiehn

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Wisdom Rising. Journey into the Mandala of the Empowered Feminine« im Verlag Enliven Books / Atria Books, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc., New York. Alle Rechte an der Originalausgabe vorbehalten.
Die hier vorgestellten Informationen und Heilmethoden wurden nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen die Autorin und der Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendeiner Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch dieser Informationen oder Heilmethoden ergeben.
Deutsche Erstausgabe © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe Arkana, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München © 2018 der Originalausgabe Tsültrim Allione. Die deutsche Erstausgabe entstand in Zusammenarbeit mit dem Originalverlag Enliven Books / Atria Books, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc., New York. Lektorat: Daniela Weise Umschlag- und Layoutgestaltung: ki 36 Editorial Design, Sabine Skrobek, München Umschlagmotiv: © pixabay.com Layoutmotiv Mandala: © Adobe/Starlineart Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering ISBN 978-3-641-23311-2V002
www.arkana-verlag.de
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Ich widme dieses Buch allen meinen Lehrern, angefangen bei meinen geliebten Eltern, Ruth Dewing Ewing und James Dennis Ewing, die mir seit meiner Geburt den Weg wiesen und mich dann freigaben, auf dass ich meinen eigenen Weg finde. Der führte zu den außergewöhnlichen tibetischen Lamas, die mich mit Dakinis und dem Prinzip des Mandalas vertraut machten.

Als dynamisches Prinzip ist die Dakini die Energie selbst; ein echter Kontakt mit ihr erzeugt ein Gefühl von Frische und Magie. Sie wird zur Führerin und zur Gefährtin, die das intuitive Verstehen und die grundlegende Bewusstheit aktiviert, aber diese Energie kann plötzlich umschlagen und einem den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn man von ihr abhängig wird und sie zu fixieren versucht. Das kann schmerzhaft sein. Wenn die Energie blockiert wird und wir den Schmerz fühlen, der durch unsere Fixierung verursacht wird, ist dies die zornvolle Dakini. Ihre Wut gibt uns den Anstoß, dieses Festhalten zu überwinden und ihre geheimnisvolle Wohnstatt zu betreten.

Lama Tsültrim Allione, Tibets weise Frauen

INHALT

Liebe Leserinnen und Leser

Einleitung

TEIL I: BEGEGNUNG MIT DEM MANDALA

1. Meine Reise zur Ganzheit

2. Warum das Mandala?

3. Ein Grund, zwei Pfade, zwei Ergebnisse

TEIL II: BEGEGNUNG MIT DER DAKINI

4. Eine kraftvolle Weiblichkeit

5. Das Prinzip der Dakini

6. Erleuchtung durch Verkörperung

TEIL III: BEGEGNUNG MIT DEN FÜNF FAMILIEN UND DEN WEISHEITS-DAKINIS

7. Die fünf Familien

8. Die Buddha-Dakini: alles umfassende Weisheit

9. Die Vajra-Dakini: spiegelgleiche Weisheit

10. Die Ratna-Dakini: Weisheit des Gleichmuts

11. Die Padma-Dakini: unterscheidende Weisheit

12. Die Karma-Dakini: Alles vollendende Weisheit

TEIL IV: DIE WEISHEITSENERGIE ERWECKEN: ÜBUNGEN

13. Das Mandala der fünf Dakinis

14. Eine Reise mit der Dakini

15. Einen Dakini-Mandala-Altar gestalten

16. Mandalaarbeit mit den Händen und mehr

Schlussbemerkung

Danksagung

Häufig gestellte Fragen

Bildteil

Anhang

Mandala der fünf Dakinis – Kurzform

Die Attribute der fünf Buddha-Familien

Weiterführende Informationen

Empfohlene Literatur

Glossar

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bildrechte

Liebe Leserinnen und Leser,

dieses Buch ist eine Reise in das Mandala kraftvoller Weiblichkeit. Ich wünsche mir, dass Ihre Reise so erfolgreich wie möglich verläuft, und bitte Sie deshalb, sich etwas Zeit zu nehmen, um die Einleitung zu lesen. Darin habe ich einige Schlüsselbegriffe und Informationen aufgeführt, die ich Ihnen als nützliches Wissen mit auf den Weg durch das Buch geben möchte.

Bei einer Reise kann die Art und Weise, wie man sie beginnt, ganz entscheidend sein. Ich hoffe, dass Sie so viel wie möglich von dieser Erfahrung haben werden.

Danke, dass Sie sich auf diesen Weg machen.

Lama Tsültrim Allione

EINLEITUNG

Wenn wir eines aus der Geschichte wissen, dann ist es, dass patriarchalische Modelle des Spirituellen nicht frauenfreundlich sind. Konstrukte, die den Geist an die oberste Stelle setzen und die Materie ganz unten ansiedeln, verbannen, bewusst oder unbewusst, Frauen und die Natur an das untere Ende der Skala.

Sherry Ruth Anderson und Patricia Hopkins, The Feminine Face of God

Wie kann ich meine Spiritualität in den Alltag integrieren? Das ist, was mich Frauen am häufigsten fragen. Dass wir diese Frage überhaupt stellen müssen, zeigt, wie fremd uns eine Spiritualität ist, in der das Weibliche maßgeblicher Bestandteil ist. Denn in allen religiösen Traditionen mit eindeutig weiblicher Sichtweise ist die Verbindung von Geist und Materie, von Geist und Körper ein wesentlicher Bezugspunkt. Daraus ergibt sich eine Spiritualität, die untrennbar von unserem Alltagsleben ist, und auch eine Vorstellung des Göttlichen als etwas, das innewohnend und nicht transzendent ist.

Das wissenschaftliche Nachschlagewerk Merriam Webster’s Collegiate Dictionary (Ausgabe 2003) spricht im Zusammenhang mit dem Begriff Patriarchat von einem unverhältnismäßig großen Anteil der Macht durch Männer. Als soziale Organisation sei das Patriarchat durch die Vorherrschaft des Vaters im Klan oder in der Familie gekennzeichnet, durch die rechtmäßige Abhängigkeit von Ehefrau und Kindern sowie durch die Festlegung von Abstammung und Erbfolge nach der männlichen Linie. Die große Mehrheit der Menschen weltweit wird vom Patriarchat bestimmt, und in allen großen Religionen herrschen patriarchalische Strukturen. Alle patriarchalischen Religionen trennen durchgängig den Geist oder Gott vom Weiblichen, von der Natur und der Materie. Genau genommen ist das Wort »Materie« eine Ableitung vom Lateinischen »mater«, das als »Ursprung, Quelle und Mutter« definiert wird.

Sowohl die Natur als auch die Erde werden mit dem Weiblichen in Verbindung gebracht, wie wir an den Begriffen »Mutter Erde« oder »Mutter Natur« sehen oder auch an Bezeichnungen wie »jungfräulicher« Wald – ein Ort, der noch unberührt ist, in den noch nie ein Mensch eingedrungen ist. Wenn im Laufe der Geschichte das Weibliche in patriarchalischen Religionen entmachtet oder abgewertet wurde, gab es parallel dazu immer eine Missachtung der Natur: Die Erde wurde nicht als etwas Heiliges angesehen, das man respektieren muss. Aus einer solchen Sichtweise sind Natur und Frauen Hindernisse, die bei der hochfliegenden, entkörperlichten spirituellen Suche nach dem erhabenen Göttlichen stören. In diesem Zusammenhang wurde die Natur als etwas wahrgenommen, das von dämonischen Kräften kontrolliert wird, und Frauen galten als Tor zur Sünde und als Hindernis bei der Einheit mit dem Göttlichen.

Wie die Philosophin Elizabeth Dodson Gray schreibt, gehe es in diesem Zusammenhang darum, »wegzukommen vom Gewöhnlichen, vom Natürlichen, vom Unheiligen – weg von Frauen, fleischigen Körpern und der verwesenden Natur, weg von allem, was in Sterblichkeit und dem Sterben verwurzelt ist. ›Hinauf, hinauf und weg!‹ ist der Ruf dieses religiösen Bewusstseins, während es versucht, zu dem erhabenen Reich des reinen Geistes und völliger Transzendenz aufzusteigen, in dem nichts beschmutzt wird, verfault oder stirbt.«1

Dementsprechend finden wir in diesen Religionen Erzählmuster, Glaubenssätze und Regeln, die von einer Beherrschung von Frauen und ihrer Körper ausgehen. Es gibt sexuelle Tabus, die oft durch das Zölibat und Keuschheitsgebote für Priester bzw. Mönche ergänzt werden. Deshalb vermeiden männliche Geistliche körperlichen Kontakt mit Frauen und sehen in ihnen mitunter eine gefährliche Bedrohung für ihre Beziehung zum Göttlichen. Frauen werden auch nicht in gleichberechtigten Funktionen und Stellungen mit Eigenverantwortung oder in Führungspositionen zugelassen. Dabei sind Frauen selbstverständlich in allen Religionen vertreten. Diese Religionen haben jedoch stets das Männliche idealisiert und Frauen weitgehend entmachtet; sie bleiben unter der Kontrolle der Männer. Genauso wird die Natur als etwas angesehen, das man beherrschen, benutzen und missbrauchen kann, wie es einem gefällt – etwas, das man unterwerfen kann und über das man die Vorherrschaft hat.

Ich habe weder die Absicht, in diesem Buch eine umfassende theologische Analyse vorzulegen, noch, ausführlich über Ökofeminismus zu schreiben. Zu diesen Themen gibt es bereits viele gute Bücher.2

Mein Thema ist es, unsere gegenwärtige Situation in Bezug auf Spiritualität, Religion und die Abwertung des heiligen Weiblichen darzustellen und zu erklären, wie dieses Gefüge die aktuelle Weltlage ganz maßgeblich beeinflusst.

Schauen wir uns einmal die Verbindung zwischen einer patriarchalischen Haltung gegenüber Frauen und gegenüber der Erde an: Ist es wohl ein Zufall, dass US-Präsident Donald Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, die Verkleinerung von Nationalparks um Tausende Quadratkilometer und seine Genehmigung von Offshorebohrungen in Küstengewässern genau seinem frauenfeindlichen, respektlosen, von einer Vergewaltigungskultur geprägten Verhalten gegenüber Frauen entspricht? Diese Art tödlicher Geringschätzung hat zur aktuellen ökologischen Krise und zu einem ungezügelten Missbrauch von Frauen geführt. Wie sehr Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen die Erde parallel zueinander vorkommen, zeigen die folgenden statistischen Daten. Hier einige Angaben aus der englischen Tageszeitung The Guardian von 2017:

Die Temperaturen der Erdoberfläche steigen weltweit bereits 20-mal rasanter an als bei den schnellsten Klimaschwankungen, die bei Übergängen vor und nach Eiszeiten aufgetreten sind. Wenn wir nicht umgehend ernsthafte Schritte unternehmen, um dieCO²-Belastung durch den Menschen zu reduzieren, könnte dieser Wert bald schon 50-mal höher sein als bei den schnellsten natürlichen Klimaschwankungen der Erde.3Der Weltklimarat hat prognostiziert, dass zum Ende des Jahrhunderts 40 Prozent oder mehr der weltweit vorkommenden Tierarten aussterben könnten.4Seit 2008 haben laut Weltklimarat durch den Klimawandel bedingte Gefährdungen durchschnittlich 21,5 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Der Klimarat rechnet auch damit, dass Häufigkeit und Stärke dieser Ereignisse zunehmen werden. Zudem wirke der Klimawandel als »Bedrohungsmultiplikator« in Regionen mit andauernden Konflikten. »Der Klimawandel sät einerseits Konflikte, andererseits verschlimmert er Vertreibung, wenn sie ohnehin stattfindet«, heißt es in dem Bericht.5Im April 2017 wurde bekannt, dass zwei Drittel des australischen Great Barrier Reef von Korallenbleiche schwer beschädigt wurden. Sie tritt ein, wenn die im Korallengewebe lebenden Algen ausgestoßen werden. Das geschieht normalerweise als Folge von zu hohen Wassertemperaturen.6

Gerade als ich diese statistischen Daten notierte, fegte ein Hurrikan der Kategorie 4 mit Windgeschwindigkeiten von 210 Stundenkilometern über den Südosten von Texas hinweg und überschwemmte die Region mit sintflutartigen Regenfällen. Das führte zu katastrophalen Überflutungen und großer Zerstörung. Einige Tage später verursachte einer der weltweit stärksten Hurrikane seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (Kategorie 5) Verwüstungen in Florida und der Karibik – gleich danach folgte noch ein Sturm. In Mexiko ereigneten sich in dieser Woche gleich drei verheerende Erdbeben. Eines davon war das schlimmste, welches das Land in diesem Jahrhundert erlebt hat. Im Westen der Vereinigten Staaten kam es 2017 zu 27 Waldbränden zur gleichen Zeit. Bis zum 22. Dezember 2017 ist eine Fläche von knapp vier Millionen Hektar Land abgebrannt. Das sind 1,74 Millionen Hektar mehr als 2016.

Mittlerweile ereignen sich Erdbeben an Orten, an denen es früher keine gab, und es treten noch nie dagewesene Windgeschwindigkeiten auf. Weltweit steigen die Temperaturen immer weiter an – und zwar schneller, als es Wissenschaftler, die vor der Erderwärmung warnen, vorhergesagt haben.

Seit Jahrtausenden ignorieren unsere patriarchalischen religiösen und politischen Systeme die Warnungen vor dem Klimawandel und missachten und missbrauchen die Natur. Dadurch führen sie die gesamte Menschheit an den Rand des Abgrunds. Naomi Klein schreibt dazu in Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima: »Beim Klimawandel aber hat unsere politische Führung noch nie solche Krisenmaßnahmen ergriffen, obwohl er das Risiko birgt, sehr viel mehr Leben zu vernichten als ein paar kollabierte Banken oder Gebäude.«7

Schaut man sich die Statistiken zum Missbrauch von Frauen an, ergibt sich aus dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Folgendes:8

Gewalt gegen Frauen, vor allem Gewalt durch Beziehungspartner und sexuelle Gewalt, ist ein ernsthaftes Problem für die Gesundheit der Bevölkerung in aller Welt. Schätzungen der WHO zufolge hat weltweit jede dritte Frau (35 Prozent) in ihrem Leben schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebt oder sexuelle Gewalt durch jemanden, der nicht ihr Partner ist. In den meisten dieser Fälle wird die Gewalt von Beziehungspartnern ausgeübt. Weltweit gab fast ein Drittel (30 Prozent) der Frauen, die in einer Beziehung leben, an, dass sie in ihrem Leben schon einmal Formen von körperlicher und/oder sexueller Gewalt durch ihren Beziehungspartner erlebt haben. Weltweit werden 38 Prozent der Morde an Frauen von einem männlichen Beziehungspartner verübt.

In den vergangenen Jahren wurden Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen Medienschaffende wie Bill Cosby, Bill O’Reilly und Roger Ailes erhoben. Diese Enthüllungen nahmen an Fahrt auf, als Frauen begannen, ihre Stimme gegen den Medienmogul Harvey Weinstein zu erheben. Dies löste eine Flut von Beschuldigungen gegen ihn und andere profilierte Männer in der Medienbranche aus. Das Ausmaß des Problems kam immer mehr an die Oberfläche, als die Initiatorin des Hashtags #MeToo, Tarana Burke, und die Schauspielerin Alyssa Milano begannen, diesen Hashtag auf Twitter zu nutzen. Sie forderten Frauen, die sexuell belästigt oder angegriffen wurden, dazu auf, auf Twitter ein paar Worte unter dem Hashtag #MeToo zu schreiben. Die Reaktion in dem sozialen Netzwerk war explosionsartig – und zwar nicht kurzfristig, sondern es entstand eine Bewegung. Kurze Geschichten oder nur einige wenige Worte, die mit dem Kürzel #MeToo gepostet wurden, machten deutlich, dass das Thema weit verbreitet und definitiv nicht auf die Unterhaltungsbranche begrenzt ist. Das Nachrichtenmagazin Time sprach im Zusammenhang mit der sozialen Bewegung #MeToo von den »Brecherinnen des Schweigens« und ernannte sie kollektiv zum Menschen des Jahres 2017. Die Bewegung sei der schnellste soziale Wandel seit Jahrzehnten. Auf die #MeToo-Bewegung folgte #TimeIsUp, und in den Medien scheinen täglich neue Enthüllungen zu sexuellem Missbrauch bekannt zu werden.

Es ist, als ob ein Schrank geöffnet worden wäre, der bis zum Rand mit Leid und Wut gefüllt war und aus dem nun alles anfängt hervorzuquellen. Frauen, die zum Schweigen gebracht worden waren, sich machtlos fühlten oder Angst hatten, etwas zu sagen, erhoben ihre Stimmen und erzählten ihre Geschichten. Am 17. Oktober 2017 schrieb die Washington Post: »Eine große Mehrheit der Amerikaner sagt mittlerweile, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sei ein ›ernsthaftes Problem‹ in den Vereinigten Staaten. Fast zwei Drittel der Amerikaner geben an, dass Männer, die ihre Arbeitskolleginnen sexuell belästigen, normalerweise einfach so damit davonkämen. … Ein Drittel der Frauen berichtet, sexuelle Annäherungsversuche von einem Arbeitskollegen oder einem Vorgesetzten erlebt zu haben, und wiederum ein Drittel dieser Frauen bezeichnet das Verhalten ihrer Arbeitskollegen als sexuellen Missbrauch.«9

Das Ausmaß an Vergewaltigungen von Frauen und an Gewalt gegen die Erde macht aber nicht alle Männer zu Tätern. Es ist wichtig zu würdigen, dass es überall auf der Welt viele zukunftsorientiert denkende Männer gibt, die genau diese Themen erkannt haben und die im Schulterschluss mit Frauen gemeinsam an Veränderungen arbeiten. In diesem Buch konzentriere ich mich zwar auf die Notwendigkeit, Frauen in ihre Kraft zu bringen, sowie darauf, welche verheerenden Folgen fehlende Gleichberechtigung und Missbrauch haben. Aber letztlich brauchen wir eine partnerschaftliche Gesellschaft. Letzten Endes müssen wir das Modell einer sich gegenseitig stärkenden Partnerschaft mit Männern entwickeln statt einer Partnerschaft, in der das eine Geschlecht vom anderen dominiert wird. Wir brauchen Gesellschaften, die es fördern, Macht miteinander zu teilen, und nicht, Macht über den anderen auszuüben.

Der Verlust von weiblichen Qualitäten ist ein drängendes psychologisches und ökologisches Problem in der modernen Gesellschaft. Es ist ein schmerzlicher Verlust in unserem Gefühlsleben und ein katastrophaler Verlust für die Sicherheit des Lebens auf der Erde. Bei Frauen betrifft der Verlust ihre wesentliche Identität und bei Männern ihre Fähigkeit, Gefühle und Wertschätzung zu empfinden. Der Verlust des Weiblichen macht einen Mann launisch und einsam. Eine Frau verliert dadurch den Glauben an sich selbst. Langsam werden wir uns der Krise der Erde und des Verlustes des heiligen Weiblichen bewusst. Aber nur wenige Menschen begreifen, dass dieser Notlage eine Krise von spirituellen Werten zugrunde liegt – Wertvorstellungen, die beinhalten, dass das Heilige innewohnend ist, das ganze Leben durchdringt und dass alles Leben von gegenseitiger Abhängigkeit bestimmt wird.

Was können wir tun, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und um zu heilen? Dazu müssen wir bei den Menschenrechten und der wirtschaftlichen Situation einen Ausgleich zwischen Männern und Frauen erzielen. Wir müssen auch von Religionen, die männliche Dominanz vorleben und propagieren, wegkommen – hin zu spirituellen Modellen von Partnerschaft und Respekt für unseren kostbaren Planeten. Dadurch, dass wir das heilige Weibliche stärken und darauf hören, was die Erde uns mitzuteilen versucht, werden wir letztendlich geheilt werden.

Als mein Ehemann Dave und ich auf das Land im Südwesten von Colorado zogen, wo im Frühjahr 1994 Tara Mandala entstand, verspürte ich das Bedürfnis, Kontakt zu den Ureinwohnern des Landes herzustellen. Ich wollte sie um Unterstützung und Hilfe bitten.

Fast synchron dazu, im selben Frühjahr kurz vor unserem Umzug, saß ich in Texas bei einem Treffen neben Grandmother Bertha Grove, einer hoch geachteten Ältesten vom Stamm der Ute, die unsere nächste Nachbarin in Colorado werden sollte. Zu der Zeit war sie in ihren Siebzigern: eine kleine, zierliche Frau mit grauem Haar, hohen Wangenknochen und dicken Brillengläsern. Es war immer schwer zu sagen, wohin sie gerade schaute. Während des Treffens unterhielten wir uns ein bisschen und tauschten Adressen aus.

Als wir in Colorado ankamen, kontaktierte ich sie sofort und besuchte sie in ihrem kleinen weißen Haus in Ignacio, etwa eine halbe Autostunde durch sanfte Hügel, Wiesen und majestätische Felsformationen von uns entfernt. Hinter ihrem Haus sah ich die Kuppel einer Schwitzhütte. Sie begrüßte mich an ihrer Haustür, und ich betrat das Wohnzimmer, einen klaren, offenen Raum mit zwei Sofas, auf denen indianische Decken lagen. Wir gingen durch das Wohnzimmer in die Küche, die weiß gestrichen war und in der ein weißer Gasherd und ein Kühlschrank standen. Auf den Regalen waren sorgfältig beschriftete Gläser mit Kräutern aufgereiht. Sie bot mir ein Glas Wasser an, und wir setzten uns an den Küchentisch.

Ich nannte ihr sogleich mein Anliegen: »Grandmother, wir sind hier gerade auf ein 280 Hektar großes Grundstück gezogen mit der Absicht, dort ein Retreatzentrum aufzubauen. Könnten Sie bitte kommen und uns helfen, eine Schwitzhütte zu errichten und Zeremonien abzuhalten, um Führung zu erbitten, wie wir das Land auf gute Art nutzen können?«

Sie war einverstanden. Ein paar Wochen später kam sie mit ihrem Mann Vincent in einem kleinen braunen Wohnmobil, in dem sie auch übernachteten. Damals hatten wir noch keine Gebäude, und alle zelteten. Wir bauten unsere Hütte auf einer kleinen, flachen Wiese in der Nähe unserer Freiluftküche, die unter einem großen Eschen-Ahorn-Baum stand. Die Schwitzhütte, auch Hütte der »Steinmenschen« genannt, ist eine kuppelförmige Konstruktion, für die Äste von Großblattweiden so zurechtgebogen werden, dass sie wie ein Korb aussehen, der auf dem Kopf steht. Vor der Tür, die nach Osten zeigte, sollte das Feuer sein, um die Steine zu erhitzen. Während des Baus der Hütte wurde diese mit Decken und einer Plane belegt und schließlich versiegelt.

Sobald unsere Hütte fertig war, gingen wir hinein ins Dunkle, um mit der Zeremonie zu beginnen. Der Feuerhüter brachte die rot glühenden Steine und legte sie in eine Erdkuhle in der Mitte. Die Eingangsklappe wurde heruntergelassen, und die Gebete begannen, wobei es von dem aufsteigenden Dampf des Wassers, mit dem die Steine übergossen wurden, immer heißer wurde. Vincent war für das Wassergießen zuständig und für das Vorsingen der Lieder in der Ute-Sprache. Es wurden Lieder der Reinigung, Heilung und Verjüngung gesungen. Während der Zeremonie forderte man uns auf, laut Gebete für einen bestimmten Zweck oder für bestimmte Menschen zu sprechen. Ich betete, Führung von den Geistern des Geländes von Tara Mandala zu erhalten.

Als wir wieder aus der Hütte kamen und im Gras saßen, um uns von der Intensität zu erholen, saß Grandmother Bertha neben mir und sagte: »Was ihr hier vorhabt, ist alles schon da … Ich kann es sehen. Ich kann den Tempel sehen und all die anderen Gebäude. Sie schweben schon über dem Land – ihr müsst sie nur noch aus dem weiten Raum auf die Erde bringen.« Es zeigte sich allerdings, dass dies alles viel schwieriger werden sollte, als es klang. Immer wenn ich im Laufe der Jahre den Mut verlor, erinnerte ich mich an ihre Worte – bis wir Tara Mandala endlich fertig gebaut hatten.

Ich lernte bei Grandmother Bertha auch Kräuterheilkunde. Eines Tages, als wir draußen auf der oberen Wiese waren und Kräuter sammelten, sagte sie: »Wenn du irgendeine Pflanze pflückst, bitte erst um Erlaubnis. Reiß dir dann ein Haar vom Kopf und hinterlasse es als Opfergabe. Es muss immer einen Austausch mit Mutter Erde geben … Das bisschen Schmerz, das du am Kopf empfindest, wenn du dir ein Haar ausreißt, spürt auch die Erde, wenn du eine Pflanze pflückst. Deswegen ist das eine gute Gedankenstütze.«

Dann wandte sie sich einer kleinen Pflanze mit gelben Blüten zu und sagte: »Siehst du das gelbe Gummikraut hier? Es ist gut für die Lunge und hilft bei Husten. Wenn du die gelbe Blume unten zusammendrückst, fühlst du, wie klebrig sie ist.« Sie pflückte eine und hielt sie hoch, damit ich sie berühren konnte. »Das ist die heilende Medizin in der Pflanze. Aber nimm nie die kräftigste Pflanze, wenn du sie pflückst, weil die stärkste eine neue, noch kräftigere Generation hervorbringen wird. Nimm die mittelgroßen. Sie haben auch genug Kraft, und du wirst nicht den gesamten Bestand vernichten.«

Bei diesem kurzen Austausch lernte ich so viel darüber, wie eine gute Beziehung zu Pflanzen und zu allen unseren Ressourcen aussehen sollte. Sie nannte die Erde immer Mutter Erde und sagte: »Wir sollten sie ehren.« Ganz gleich, ob es unsere eigenen Mütter, Mutter Erde oder sonst irgendetwas oder irgendjemanden betrifft – wir stehen immer mit allem und allen in einer Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit.

Wir alle, sowohl Männer als auch Frauen, müssen auf eine vereinte und kreative Partnerschaft zwischen den Geschlechtern und Mutter Erde hinarbeiten – auf die Verbindung von Geist und Materie zu einem Ganzen. Wir müssen lernen, etwas übrig zu lassen, wenn wir uns etwas nehmen. Wir müssen lernen, das Beste und das Stärkste übrig zu lassen, damit es künftigen Generationen zur Verfügung steht, statt uns das Beste einfach selbst zu nehmen. Häuptling Crazy Horse sagte: »Geh gut mit der Erde um: Sie wurde dir nicht von deinen Eltern gegeben, du hast sie von deinen Kindern geliehen.«

DIE ZORNVOLLE WEIBLICHE DAKINI

Bevor der weibliche Buddha, Tara, entstand, war sie eine Prinzessin mit dem Namen Weisheitsmond. Sie empfand große Hingabe für die Lehren des Buddhas und hatte eine tiefgehende Meditationspraxis. Sie war kurz davor, die Erleuchtung zu erlangen, und hatte die Absicht, dies zum Wohle aller Wesen zu erreichen.

Da kam ihr Lehrer, ein Mönch, auf sie zu und sagte: »Wie schade, dass du den Körper einer Frau hast, weil es nicht möglich ist, in einem Frauenkörper Erleuchtung zu erlangen. Deswegen wirst du wohl als Mann zurückkommen müssen, bevor du erleuchtet werden kannst.«

Die Prinzessin gab darauf eine brillante Antwort, die zeigt, dass sie die absolute Wahrheit verstanden hatte: »Hier ist kein Mann und keine Frau, kein Selbst, kein Mensch und kein Bewusstsein. Etwas als ›weiblich‹ oder ›männlich‹ zu bezeichnen ist dumm. Oh, wie die weltlichen Narren sich doch täuschen!«

Danach legte sie diesen Eid ab: »Es gibt viele, die in einem männlichen Körper die höchste Erleuchtung erlangen wollen, aber nur ganz wenige, die in einem weiblichen Körper den Anliegen der Wesen dienen wollen. Möge ich deswegen, solange es noch Leben auf dieser Welt gibt, in einem Frauenkörper zum Wohle der Wesen wirken.«

Von dieser Zeit an widmete sich die Prinzessin dem Erreichen der vollständigen Erleuchtung, und als sie ihr Ziel erreicht hatte, wurde sie als Tara, die Befreierin, bekannt. Ich bezeichne Tara gern als die erste Feministin und sage scherzhaft, dass sie in ihrer Form als grüne Tara das spirituelle Oberhaupt der Grünen Partei ist: die Hüterin des Waldes, schnell handelnd und voller Mitgefühl. Tara wird mit einem Fuß auf dem Boden und mit einem Fuß in Meditationshaltung dargestellt – eine Position, in der auch viele von uns sind.

Wie auch Tara glaube ich fest daran, dass wir auf der absoluten Ebene über die Einteilung der Menschen in Geschlechter erhaben sind und dass jeder Begriff von Geschlecht begrenzt ist und nicht unserer wahren Natur entspricht. Auf relativer Ebene sind Männer und Frauen allerdings sehr wohl unterschiedlich, und dieser Unterschied ist wertvoll. Ich bin nicht dafür, dass Frauen wie Männer werden, damit sie akzeptiert werden und Erfolg haben. Wir brauchen nicht noch mehr Männer oder Frauen, die wie Männer handeln. Trotzdem unterstütze ich natürlich Frauen, die ihren Weg gehen oder dem Beruf nachgehen, zu dem sie sich hingezogen fühlen. Sie sollten dabei in jedem Fall gleichberechtigt behandelt werden.

Wenn ich in diesem Buch über das Männliche und Weibliche spreche, spielt es keine Rolle, ob Sie Ihre Geschlechteridentität als männlich, weiblich oder Transgender definieren. Es ist auch nicht wichtig, welche sexuelle Orientierung Sie haben – männliche und weibliche Energien sind sowohl in jedem Einzelnen von uns als auch in unserer Welt vorhanden. Trotzdem gibt es weltweit Regeln, Gesetze und kulturelle Botschaften, die speziell Frauen betreffen und ihnen ihre Macht entziehen. Ich wünsche mir, dass wir nicht den Kontakt zu dem einzigartigen Zauber des ursprünglich Weiblichen verlieren, zu der einmaligen Kraft, die wir angesichts der Herausforderungen unserer Zeit gut zum Einsatz bringen können.

Modelle und Vorbilder von weiblicher Stärke sind weitgehend verloren gegangen, unterdrückt oder versteckt worden. Das gilt vor allem für Frauenbilder, die für die patriarchalische Gesellschaft inakzeptabel oder verunsichernd sind. Solche Bilder von der Wahrsagerin, der weisen Frau oder der wilden Frau – von Frauen, die bestimmte magische, spirituelle und übernatürliche Kräfte der Transformation verkörpern – werden zu Bildern von »bösen Hexen«. Die Anzahl von Frauen, die zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert als Hexen hingerichtet wurde, wird auf 60000 bis 100000 geschätzt. Sie wurden meist durch Verbrennen bei lebendigem Leib umgebracht, weil das als besonders schmerzhafter Tod galt. Es waren Zeiten von Puritanismus und sexueller Unterdrückung. Frauen, die als Hexen verbrannt wurden, waren oft unabhängige oder rebellische Frauen, die allein lebten und Kräuterheilkunde praktizierten, oder Frauen, die ihren Männern nicht gehorchten oder keinen Sex mit ihnen haben wollten.

Bilder der hingebungsvollen, friedlichen Mutter waren dagegen immer unverfänglich. Solche Bilder wurden zu allen Zeiten und in allen Kulturen akzeptiert, auch in patriarchalischen Kulturen. Es gibt aber noch eine andere Ebene der Reflexion urweiblicher Erfahrung, die nicht präsent ist und nach der sich sowohl Männer als auch Frauen sehnen. Das ist eine Erfahrung, die aus dem intuitiven heiligen Weiblichen kommt, von einem Ort, an dem Sprache paradox oder prophetisch sein kann, wo es auf die symbolische Bedeutung ankommt und nicht auf die Worte: wo Frauen nackt im Kreis sitzen, nur Schlamm, Knochen und Federn tragen, Frauen, die zu heiligen Göttinnen und hässlichen Alten werden – zu zornvollen Dakinis.

Das Sanskritwort dakini wird im Tibetischen zu khandro und bedeutet Himmelstänzerin, wörtlich, »diejenige, die sich durch den Himmelsraum bewegt«. Die Dakini ist die wichtigste Manifestation des Weiblichen in den Lehren des tibetischen Buddhismus. Sie kann als Mensch oder als Gottheit erscheinen, wobei sie oft als zornvoll abgebildet wird, von Flammen umringt, nackt, tanzend mit Reißzähnen, heraushängender Zunge und mit Knochenschmuck. In ihrer linken Armbeuge hält sie einen Stab, der ihren inneren Gefährten, ihren inneren männlichen Partner, darstellt. In ihrer erhobenen rechten Hand hält sie ein gebogenes Hackmesser, das Dakini-Messer. Es steht dafür, dass sie unablässig dualistische geistige Fixierungen abschneidet. Sie ist voller Mitgefühl, aber gleichzeitig reißt sie dem Ego gnadenlos den Boden unter den Füßen weg. In ihrer linken Hand, auf der Höhe des Herzens, hält sie eine Schädelschale, die für Vergänglichkeit und für die Transformation von Begierde steht. Ihr Anblick ist intensiv und furchterregend.

Die Dakini ist eine Botin des weiten Raumes und eine Kraft der Wahrheit, die darüber wacht, wie die Selbsttäuschung zu Grabe getragen wird. Immer wenn wir uns übermäßig an etwas festklammern, schneidet sie es ab. Immer wenn wir etwas vertuschen wollen – auch vor uns selbst –, bringt sie es ans Tageslicht. Die Dakini erscheint üblicherweise in Zeiten von Übergängen: zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod, in Visionen zwischen Schlaf und Wachsein, auf Friedhöfen und Leichenplätzen.

Wenn ich an Geburtswehen denke – die meiner beiden Töchter, die mir je zwei wunderbare Enkelkinder bescherten, und auch an die Wehen bei den drei Geburten meiner eigenen Kinder –, dann kommt mir die Dakini in den Sinn. Und zwar vor allem in der sogenannten Übergangsphase während der Geburt, wenn sich die letzten Zentimeter des Gebärmutterhalses öffnen müssen, damit das Baby in den Geburtskanal rutschen kann. Die Übergangsphase ist im Allgemeinen die schmerzhafteste und schwierigste Phase der Wehen. Dabei muss sich die Frau auf ihre eigene Wildheit besinnen, die Regie übernehmen und auf ihre tiefste Urkraft zugreifen. In dieser Phase wird sie oft zornig und muss die starke Dakini in ihrem Inneren mobilisieren, um die Übergangsphase, den Tunnel der Dunkelheit, zu überstehen und ihr Baby hinaus ins Licht zu bringen. Das kann niemand anders für sie tun.

Ich erinnere mich noch an meine ersten Geburtswehen, bei denen ich die Macht der Dakini entfesselt und in ihrer vollen Kraft erlebte. Das geschah, nur wenige Monate nachdem ich mit meinem Mann aus Indien zurückgekehrt war und weniger als ein Jahr nachdem ich meine Robe als buddhistische Nonne abgelegt hatte. Wir lebten auf Vashon Island im Puget Sound, einer Bucht vor Seattle im US-Bundesstaat Washington, und ich hatte mich für eine natürliche Hausgeburt entschieden. Wir wohnten in einem kleinen weißen Beerenpflücker-Cottage, in dem vor uns Saisonarbeiter untergebracht waren, die zur Johannisbeerernte auf die Insel kamen. Ein kleiner Holzofen war unsere Heizung und Herd zugleich.

Als der Tag gekommen war, gingen morgens die Wehen los, und sie waren sofort stark. Gegen Abend, als der Arzt aus Seattle eintraf, hatte ich schon acht Stunden lang in starken Wehen gelegen. Es gab allerdings keinerlei Fortschritt, und der Arzt war der Meinung, dass der Kopf des Babys in der falschen Position lag. Plötzlich dachte ich: Ich muss dieses Baby zur Welt bringen! Ich habe es in der Hand, das kann niemand anders machen. Was muss ich jetzt tun?

Ich horchte in meinen Körper hinein, stieg aus dem Bett, kniete mich auf allen vieren auf den Fußboden und schickte den Arzt weg. Dann fing ich an, mich zu winden und zu schütteln, vor und zurück und hoch und runter. Mein Mann versuchte, mir näher zu kommen und mir zu sagen, ich solle mich beruhigen und ruhig atmen, aber ich machte allen klar, dass sie mir aus dem Weg gehen sollten. Ich war überhaupt nicht nett oder ruhig; ich war zornig und klar. Ich war wie ein Urtier: Ich schwitzte, schüttelte mich, stöhnte und warf meinen Körper wild vor und zurück.

Dann ging es mit den Wehen voran. Als die Übergangsphase begann, wurde ich noch wilder, und mein Körper zitterte – ich war immer noch auf allen vieren. Schon bald danach hielt ich meine neugeborene Tochter in den Armen. Wenn ich einfach getan hätte, was man mir gesagt hatte, wäre es mir nicht gelungen, sie zu drehen; es waren meine wilden Bewegungen auf allen vieren, die geholfen hatten, die Position des Babys zu verändern. Wenn ich nicht die Initiative ergriffen hätte, indem ich zornvoll und klar wurde und mich von meinem Inneren leiten ließ, wäre ich vermutlich mit der Luftrettung in ein Krankenhaus in Seattle zum Kaiserschnitt geflogen worden.

EINSTIMMUNG AUF DIE KRAFT EINER »FIESEN FRAU«

Zornvolles Mitgefühl ist nicht nur eine Sache der Frauen; ein gutes Beispiel dafür ist in der Tat der Dalai-Lama.

Einmal war ich zusammen mit fünf anderen buddhistischen Lehrern aus westlichen Ländern in Kalifornien im Spirit Rock Meditation Center bei einem Mittagessen mit dem Dalai-Lama. Wir saßen in einem bezaubernden Raum mit weißen Teppichen und vielen Fenstern. Es gab ein köstliches, wunderbar duftendes vegetarisches indisches Gericht. Auf dem Tisch standen hübsche Blumenarrangements, und einige sanfte, anmutige Schüler servierten das Essen. Wir diskutierten über sexuelles Fehlverhalten bei westlichen buddhistischen Lehrern. Eine Buddhistin aus Kalifornien brachte jemanden ins Gespräch, der mit einigen seiner Schülerinnen sexuelle Beziehungen hatte.

»Wir arbeiten mit ihm voller Mitgefühl und versuchen, ihn dazu zu bringen, seine Beweggründe zu verstehen, aus denen er weibliche Schülerinnen ausnutzt. Wir wollen ihm helfen, sein Verhalten zu ändern«, sagte eine Frau.

Da schlug der Dalai-Lama mit der Faust auf den Tisch und sagte laut: »Mitgefühl ist gut, aber das muss aufhören! Und es soll bekannt gemacht werden, wer diejenigen sind, die das tun.«

Alle Teller auf dem Tisch machten einen Satz, die Wassergläser wackelten bedrohlich, und ich hätte mich fast an einem Bissen Safranreis verschluckt, den ich im Mund hatte. Plötzlich sah ich ihn als eine zornvolle Manifestation des Mitgefühls und begriff, dass diese Klarheit nicht etwa zu bedeuten hatte, dass der Dalai-Lama von seinem Mitgefühl abgerückt war. Er brachte sehr wohl Mitgefühl auf, aber er brachte es mit entschlossener Heftigkeit zum Ausdruck. Er hatte eine magnetische Anziehungskraft, die wie Feuer glühte. An diesen Tag werde ich mich immer erinnern, weil das eine so gute Lektion über Mitgefühl und Bestimmtheit war. Mitgefühl ist nicht irgendein Wischiwaschi-Ansatz nach dem Motto »Alles ist erlaubt«. Auch ein zornvolles Nein! kann Ausdruck von Mitgefühl sein. Mitgefühl bedeutet nicht, dumm und nachsichtig mit jemandem umzugehen und ihm alles zu geben, was er will. Chögyam Trungpa Rinpoche nannte dies »idiotisches Mitgefühl«,10 wie wenn man einem Drogenabhängigen Drogen gibt.

Wenn ich den Begriff zornvoll in diesem Buch benutze, meine ich damit die Art, wie eine Tiermutter ihre Jungen verteidigt: ein Laserstrahl des Zorns, mit der Schärfe reiner Energie. Wenn diese Energie kontrolliert und zielgerichtet eingesetzt wird, ist sie stark und unaufhaltsam. Es ist ein Zorn ohne Wut oder Hass. Manchmal ist ein zornvolles Auftreten wirkungsvoller als eine friedliche Herangehensweise. Indem wir den Zorn der Dakini als eine produktive und kreative Quelle roher Energie verstehen, können wir die Dakinis in Aktion sehen: dabei, wie sie ihre Macht, zu unterwerfen, zu schützen und zu transformieren, ausüben.

Wir müssen die Ursprünge finden, um auf diese zornvolle Dakini-Kraft zuzugreifen, und sie auf die wichtigen Angelegenheiten in unserem Leben anwenden, seien es emotionale, spirituelle, intellektuelle oder politische. Wenn wir mit unserer starken weiblichen Energie in Kontakt kommen, werden wir uns wie Frauen entwickeln und nicht wie Frauen, die versuchen, Männer oder asexuelle Wesen zu sein. Wir sind anders, und solange nicht bekannt ist, worin dieser Unterschied besteht, solange er nicht angenommen und gefördert wird, werden unsere wahre weibliche Stärke und die Fähigkeit, die Welt ins Gleichgewicht zu bringen, nicht zur Verwirklichung kommen. Das kraftvolle, zornvolle Weibliche ist ein wichtiger Teil der Psyche, aber es wird verdrängt. Und wenn es nicht anerkannt wird, weil es bedrohlich ist, kann es zu einer subversiven und rachsüchtigen Kraft werden. Aber wenn das zornvolle Weibliche angenommen und verehrt wird, ist es eine unglaubliche Kraftquelle.

Bis vor Kurzem war es mit einem Stigma behaftet, Feministin zu sein. Das habe ich auch selbst zu spüren bekommen – etwa als mich mein buddhistischer Lehrer dafür kritisierte, »zu feministisch« zu sein. Dabei versuchte ich nur, mehr Ausgewogenheit in den Buddhismus einzubringen und über eine gestärkte Weiblichkeit, sexuellen Missbrauch und patriarchalische Aspekte des Buddhismus zu sprechen. Später änderte er seine Meinung und unterstützte mich, doch es war eine schwierige Zeit, als das Wort Feministin ein Schimpfwort war. Manche Frauen distanzieren sich eilig von dieser Bezeichnung, weil sie Angst haben, als »wütende Feministin« abgestempelt zu werden und für Männer unattraktiv zu sein. Was ist aber, wenn man diese Frauen, die sich nicht als Feministinnen sehen, einmal fragt, ob sie für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit, reproduktive Freiheit und für Schutz vor sexueller Gewalt sind? Dann sagten die meisten: »Ja, natürlich.« Also sind sie im Grunde genommen doch Feministinnen, aber sie haben Angst, als antimännlich angesehen zu werden.

Das ändert sich zurzeit. Der Feminismus kehrt als Bezeichnung zurück, auf die man stolz sein kann – Frauen wie Männer. Sowohl Barack Obama als auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau bezeichnen sich selbst als Feministen. Trudeau sagte, er sei »stolz« darauf, als Fürsprecher für »He for She«11 aufzutreten, eine Initiative der Vereinten Nationen, bei der sich Männer für Frauen einsetzen. Das Comeback des Feminismus ist besonders authentisch, weil die Bewegung zunehmend auf Inklusion setzt und intersektionell wird: Das heißt, sie berücksichtigt die Überschneidung von mehreren Diskriminierungsformen und damit die spezifischen Erfahrungen von farbigen Frauen, Transgenderfrauen und von Frauen mit geringem Einkommen.

Erinnern Sie sich noch, wie Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf 2016 Hillary Clinton abwerten wollte und sie beschimpfte, »was für eine fiese Frau« sie sei? Das hat ihm nicht viel gebracht. Frauen haben die Aussage aufgegriffen und sie zu einem Slogan gemacht, um sich selbst und anderen ihre eigene Kraft ins Bewusstsein zu rufen: Never underestimate the power of a nasty woman (Unterschätze nie die Macht einer fiesen Frau). Was als Beleidigung gedacht war, haben wir in etwas umgewandelt, was Frauen gern für sich in Anspruch nehmen wollten. Wir fragten nicht länger um Erlaubnis, ob wir energisch, geradeheraus und entschlossen auftreten dürften. Wir beschlossen, uns mit all unserer Kraft zusammenzutun und den widerlichen patriarchalischen Strukturen die Stirn zu bieten.

Trumps Beschimpfung wurde zu einer Bewegung. Never underestimate the power of a nasty woman wurde extrem schnell bekannt. Frauen kamen mit ihrem zornvollen Anteil in Berührung und schlossen sich am 21. Januar 2017 nach Trumps Amtseinführung beim Women’s March zusammen. Die Frauen gingen mit der Unterstützung von Menschen mit anderen Geschlechteridentitäten für den Schutz von Frauenrechten, Menschenrechten und für die Rechte der Erde auf die Straße. Sie trugen witzige rosafarbene Strickmützen mit Katzenohren mit der Aufschrift PUSSY POWER. Die Proteste waren fröhlich, gewaltfrei, aber unaufhaltsam. Nie zuvor hatte es solch einen massenhaften, globalen Protest gegeben.

Die Teilnehmerzahlen am Women’s March 2017 in aller Welt wurden auf fünf Millionen geschätzt.12 Auf allen sieben Kontinenten wurden mindestens 673 Protestmärsche gezählt.13 In Washington, D. C., war der Marsch die größte Demonstration seit den Protesten gegen den Vietnamkrieg in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es war der verkehrsreichste Tag in der U-Bahn der Stadt, der je dokumentiert wurde. Es gab keine Festnahmen, keine Aggressionen, und alles blieb friedlich. Dabei trugen die Demonstrantinnen reihenweise provokative Plakate: Fiese Frauen an die Macht; Rettet den Planeten; Wenn Ihr mir Verhütungsmittel verbietet, produziere ich nur noch mehr Feministinnen; Schlampen kriegen was auf die Reihe.Eine 90-jährige Frau trug ein Plakat mit der Aufschrift:Neunzig, fies und unverwüstlich.

Männer von unterschiedlicher ethnischer Herkunft und aus vielen verschiedenen Kulturen marschierten aus Solidarität mit. Sie trugen Schilder mit solchen Sprüchen: Männer mit Klasse haben keine Angst vor Frauenrechten; Wahre Männer sind Feministen; Dieser Feminist hat Eier in der Hose. Ein Mann mittleren Alters trug seinen kleinen Sohn auf den Schultern, und beide hatten Schilder dabei: Mein Versprechen: Ich erziehe meinen Sohn gegen Frauenfeindlichkeit und für Feminismus. Ein junger Mann hatte ein Plakat mit diesem Spruch: Schluss mit der giftigen Männlichkeit, Schluss mit der Vergewaltigungskultur.

Bei dem Marsch der Frauen kamen eine gewaltige Energie und ein enormer Zusammenhalt zum Ausdruck, aber anschließend schien es mir, dass sich die Energie etwas verflüchtigte. Das Gesprächsthema ist allerdings weiterhin sehr aktuell. Einige Frauen berichteten mir, dass sie sich nach der Aktion entmutigt, unsicher und frustriert fühlten. Vielleicht weil nicht klar ist, wie die nächsten, wirkungsvollen Schritte aussehen könnten. Aus meiner Sicht zeigte sich da der Bedarf an einer inneren Quelle der Ermächtigung und Inspiration, um auf dem Schwung des Marsches aufbauen zu können.

Wir brauchen eine Methode, um auf dieser Energie aufzubauen; eine innere Praxis, um die Energie aufrechtzuerhalten und sie über den Protest hinaus in ihre volle Verkörperung zu bringen. Wir müssen aus der kraftvollen, ungezähmten und zugleich weisen Energie der Dakinis schöpfen. Das werden wir lernen, indem wir in diesem Buch auf die Reise in das Mandala der fünf Dakinis gehen. Dabei werden wir das heilige Weibliche nutzen, das ins Unbewusste, ins Negative, in den »Schatten« verbannt wurde – die »Alte«, »Hexe«, »Schlampe« und ja, die »fiese Frau«. Wir werden diese Energie hervorbringen und ihr positives Potenzial in unserem Leben anwenden.

Im April 2016 lehrte ich das Mandala der fünf Dakinis bei einem Wisdom-Rising-Retreat, einer Veranstaltung zur Erweckung der weiblichen Weisheitsenergie, in einem Yogazentrum im Westen von Massachusetts. Ein Jahr später, nach der Wahl von Präsident Trump, leitete ich am selben Ort das Retreat noch einmal. Gegen Ende der Veranstaltung mit 150 Teilnehmerinnen meldete sich eine blonde, etwa 40-jährige Frau zu Wort. »Ich habe etwas mitzuteilen«, sagte sie. »Diese Praxis hat mein Leben verändert. Ich habe das Mandala der fünf Dakinis seit dem Retreat im letzten Jahr jeden Tag praktiziert. Seit Jahren beschwere ich mich schon über die politische Situation. Mittlerweile fühle ich mich aber so gestärkt, dass ich in meinem Leben die Regie übernommen habe und jetzt auch für den Kongress kandidieren werde!« Die Frauen im Raum johlten laut zur Unterstützung, und diejenigen, die in ihrer Nähe saßen, klopften ihr auf die Schultern. Ich fand es wunderbar, wie sie ihre innere Stärke in Handeln umsetzte.

Dann meldete sich noch eine Frau: »Ich bin politisch aktiv, aber ich war immer erschöpft, ausgebrannt und habe mich angesichts des aktuellen politischen Klimas hilflos gefühlt. Letztes Jahr war ich auch hier und habe das Mandala der fünf Dakinis das ganze Jahr lang praktiziert. Das war erstaunlich. Es gibt mir meine innere Stärke zurück und neue Energie – ganz gleich, was im Außen geschieht.«

Eine dritte Frau mit kurz geschnittenem braunen Haar hob die Hand und sagte: »Ich habe im Leben nur sehr wenig Glück gehabt. Ich wurde als Kind schwer missbraucht und hatte mein Leben lang mit Depressionen, Abhängigkeit und Selbstmordgedanken zu tun. Ich habe es immer gehasst, eine Frau zu sein. Aber in diesem Retreat hier konnte ich zum ersten Mal überhaupt ehrlich sagen, dass ich in meinem weiblichen Körper Freude empfunden habe. Und ich fühle mich dazu befähigt, die Veränderung mitzugestalten.«

Genau wie für diese Frauen haben die Dakinis auch für Sie ein Geschenk parat. Sie bieten ein weibliches Modell, das zornvoll, weise, spirituell und verkörpert ist. Sie verleihen uns die Energie ungezügelter Weiblichkeit. Sie sind nicht sanftmütig oder unterwürfig. Sie sind strahlende subtile spirituelle Energie; sie sind Torwächterinnen und Hüterinnen der Weisheit, die nicht an Bedingungen gebunden ist, und Hüterinnen der heiligen Erde. Durch die Praxis und den Eintritt in das Mandala der fünf Dakinis aktivieren wir diesen Archetypen in uns und lösen die transformierende Energie des Weiblichen aus.

Wir werden sehen, dass der weibliche Körper, wenn er sich als Dakini manifestiert, ein Instrument ist, um Erleuchtung zu erlangen. Das Mandala der fünf Dakinis hat tiefgründige Wurzeln, die zeitlos und allumfassend sind. Es ist eine Praxis, die Ihnen helfen kann, die Herausforderungen des Alltags zu meistern: etwa wenn Sie sich zerstreut und zur gleichen Zeit in alle Richtungen gezerrt fühlen; wenn Sie das Bedürfnis haben, Ihre Mitte zu finden; wenn Sie eine Entscheidung treffen müssen; wenn Sie sich hilflos fühlen oder festsitzen. Durch den Eintritt in das Mandala und die Begegnung mit den Dakinis werden Sie Zugang zu großer Klarheit und Kraft finden.

ÜBER DAS BUCH

Ich hatte das unglaubliche Glück, bei einigen der großen Lamas aus Tibet zu studieren, die vor der chinesischen Invasion nach Indien und Nepal geflohen waren. Vor der Invasion hatte das von hohen Bergen umgebene Land Tibet die Funktion einer Art Labor für die spirituelle Entwicklung in der Mitte Asiens. Viele Jahre lang war es dabei vor äußeren Einflüssen geschützt. In dieser besonderen Umgebung entwickelten sich eine Tiefe an Weisheit und Meditation und auch ein Prozess der Erleuchtung, bei dem es darum ging, innerhalb der Gesellschaft Mitgefühl zu fördern.

Seit ich 1967 zum ersten Mal mit der tibetischen Tradition in Berührung kam, setze ich mich kontinuierlich dafür ein, eine Brücke zwischen Ost und West zu schlagen. Damals hatte ich das Gefühl, auf eine Schatzkiste voller Juwelen gestoßen zu sein, die ich mit anderen teilen wollte – und zwar so, dass jeder die Schönheit und Kostbarkeit dieser Edelsteine auch erleben konnte. Die Juwelen, die ich in diesem Buch besonders gern teilen möchte, sind das grundlegende Mandala und das Dakini-Prinzip sowie die Einführung in die fünf Buddha-Familien. Dann möchte ich zeigen, wie dies alles in der Praxis des Mandalas der fünf Dakinis zusammenfließt.

Mir ist sehr bewusst, dass ich in einem einzigen Buch unmöglich die Kraft und den Tiefgang der tibetischen Tradition und des Mandalas, so wie sie mir ursprünglich übertragen wurden, weitergeben kann. Und doch müssen wir in diesen Zeiten, die schwierig sind wie nie zuvor, Wege finden, um diese tiefgründige Weisheit, die aus dem isolierten Tibet hervorging, zugänglich zu machen. Ganz gleich, ob Sie Buddhist(in) sind oder nicht, Mann oder Frau – ich möchte Sie mit diesen Prinzipien bekannt machen. Ich hoffe, dass Sie sie in ihrem täglichen Leben anwenden können, dass sie ihre Wirkung entfalten und helfen, die Zerrissenheit unserer Welt zu heilen. Wenn wir es schaffen, unser spirituelles Paradigma zu ändern, werden sich unsere Gesellschaft und Kultur ebenfalls verändern.

Dieses Buch bietet einen Ansatz für persönliche Arbeit, die Frauen und überhaupt allen Interessierten dabei helfen wird, weiser und auf wirkungsvolle Art mit den Herausforderungen und dem Chaos unserer Lebenswirklichkeit umzugehen. Es ist ein Leitfaden, der helfen soll, der Welt mit Stärke sowie frei von Aggression entgegenzutreten und aus der unverfälschten weiblichen Kraft zu schöpfen, die bedingungslos und in der Ganzheit verwurzelt ist, und es ist eine Einladung zu einer neuen Partnerschaft mit dem authentisch Männlichen. Die Reise in das Mandala bringt eine neue Ausdrucksform des Weiblichen hervor, die zwar aus alter Weisheit schöpft, aber auf das Hier und Jetzt zugeschnitten ist. In vielen Beispielen und Beschreibungen in diesem Buch geht es schwerpunktmäßig um Frauen. Doch auch für Männer dürften die Lektüre und das Üben der Praktiken ein großer Gewinn sein.

Den ersten Teil beginne ich mit Berichten von meinen Reisen nach Asien. Ich erzähle, wie ich von Europa über Land nach Kathmandu gereist bin, als erste Nordamerikanerin ordinierte buddhistische Nonne der tibetischen Tradition wurde und wie ich zum ersten Mal dem Mandala und der Dakini begegnete. Die Kapitel 2 und 3 gehen mehr in die Tiefe und liefern Einzelheiten über das Mandala – über seinen Zweck, seine Bedeutung und Anwendung als starkes Mittel der Transformation. Es ist wichtig, ein Verständnis des Mandalaprinzips als Werkzeug für die Meditation zu haben, als die grundlegende Struktur, auf der wir unsere Arbeit mit den fünf Buddha-Familien und den Weisheits-Dakinis aufbauen.

Im zweiten Teil werde ich den Faden meiner eigenen Geschichte wieder aufgreifen: meine Entscheidung, die Nonnenrobe abzulegen und Mutter zu werden, und wie es dazu kam, dass ich einer Dakini ins Angesicht sah, der großen tibetischen Meisterin aus dem 11. Jahrhundert, Machig Labdrön. In den Kapiteln 5 und 6 werden wir uns mit dem Dakini-Prinzip und der Wiedererweckung des heiligen Weiblichen befassen. Wir werden untersuchen, wie wir zu einer spirituellen Integration und Weisheit gelangen, indem wir die kraftvolle weibliche Energie tatsächlich verkörpern. Der spirituelle Pfad wird dann zur Meditation in Aktion, zur Erleuchtung durch die Art, wie wir unseren Alltag leben, indem wir uns die Dakini in unserem Inneren zunutze machen.

Im dritten Teil liegt der Schwerpunkt auf den fünf Buddha-Familien und den Weisheits-Dakinis, die der Buddha-, Vajra-, Ratna-, Padma- und Karma-Familie zugeordnet werden. Ich beschreibe ihre einzigartigen Eigenschaften und Persönlichkeiten, und Sie können herausfinden, welcher Familie Sie sich zugehörig fühlen, und sehen, auf welche Art die fünf Familien in so vielen Lebensbereichen präsent sind. Das Wichtigste ist, dass wir auf die blockierenden emotionalen Muster jeder Familie schauen und auf die dazugehörenden Weisheiten als Gegenstück.

Schließlich führe ich Sie im vierten Teil Schritt für Schritt durch die Meditationen des Mandalas der fünf Dakinis und durch eine Reise mit der Dakini. Anschließend folgen noch zusätzliche Übungen, mit denen Sie die Dakinis in Ihr Alltagsleben integrieren und tatsächlich verkörpern können: durch die Gestaltung eines Dakini-Altars, Mandalazeichnen, ein Mandala in der Natur oder durch die Arbeit mit dem Mandala im Sandspiel. Ich mache auch Vorschläge, wie man das Mandala bei wichtigen Lebensereignissen oder Zeremonien verwenden kann, wie Geburtstagen, Hochzeiten und Bestattungen.

Teil I

BEGEGNUNG MIT DEM MANDALA

1.MEINE REISE ZUR GANZHEIT

Gott ist die unendliche Sphäre, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist.

LIBER XXIV Philosophorum, Das Buch der 24 Philosophen

Als Teenager streifte ich gern über den Harvard Square, wo Studenten und Professoren durch den wuseligen Verkehr zu ihren Vorlesungen eilten. Der Platz mit Buchhandlungen, einem Lebensmittelladen, einem Eisenwarengeschäft, einem Deli, wo es riesige heiße Pastrami-Sandwiches mit Sauerteigbrötchen gab, war damals das Zentrum des Stadtteils. Dort war auch das Restaurant, in dem mein Großvater jeden Tag frischen Fisch aß, und eine Eisdiele, die das beste Pfefferminzeis überhaupt hatte – mit kleinen roten schmelzenden Pfefferminzstückchen.

Mein Großvater mütterlicherseits, früher Philosophie- und Wirtschaftsprofessor in Harvard, war schon längst im Ruhestand, aber er lebte weiterhin mit meiner Großmutter – auch Philosophin und ehemalige Professorin – in einem kleinen weißen Haus in der Willard Street 8 in Cambridge. Ich besuchte sie an Wochenenden, als ich im Internat am Stadtrand von Boston war. Es war immer eine tolle Abwechslung, aus dem Internatsschlafsaal in ihr skurriles Häuschen zu kommen: ein Haus im Kolonialstil mit unebenen Holzfußböden und griechischen Vasen, die er sammelte und die furchtbar kippelig auf einem wackeligen Tisch in dem kleinen dunklen Wohnzimmer standen.

Bei einem meiner Besuche, als ich in der Senior High School war, stieß ich in der Bücherabteilung im Harvard-Coop-Laden auf ein großes Buch mit dem Titel Der Mensch und seine Symbole, herausgegeben von C. G. Jung. Darin waren zahlreiche Abbildungen und Fotos, und das Buch war anders als alle Bücher, die ich je zuvor gesehen hatte. Den Umschlag zierte ein tibetisches Mandala, und innen im Buch waren noch viel mehr Mandalabilder. Die Mandalas übten eine solche magnetische Anziehungskraft auf mich aus, dass ich das Buch sofort kaufte.

Ich nahm es mit ins Haus meiner Großeltern, ging hinauf in das kleine Gästezimmer und lehnte mich auf der alten Rosshaarmatratze in die Kissen zurück. Ich schlug das Buch auf und fand tibetische Mandalas und jede Menge Bilder von anderen Mandalas verschiedener Kulturen aus aller Welt. Als ich mir ein tibetisches Mandala ansah, schaute ich mit konzentriertem Blick auf dessen Mittelpunkt. Da eröffnete sich eine leuchtende Dimension, und ich verspürte eine tiefe Ruhe in mir. Kein Kunstwerk hatte je zuvor eine so starke Reaktion in mir ausgelöst. Ich hatte ein leicht unheimliches Gefühl von Vertrautheit kombiniert mit der Faszination darüber, was mir da gerade geschah und was diese Bilder darstellten. In den nächsten Jahren nahm ich das Buch überallhin mit und betrachtete die Mandalas.

In dem Buch stellte Jung viele Formen von Mandalas vor, nicht nur traditionell tibetische, sondern auch Mandalas in der Architektur, Stadtplanung, in der christlichen Sakralkunst, Glasmalerei, in der Kunst und bei Zeremonien indigener Völker. Doch ich fühlte mich ganz besonders zu den tibetischen Mandalas hingezogen: Ihre Tiefe und ihre komplexe Symmetrie lösten eine Resonanz in mir aus und schienen nach mir zu rufen. Ich spürte, dass dies mehr als nur Bilder waren. Sie strahlten eine mystische Energie aus, und ich fragte mich, welche Wahrheiten wohl in diesen Bildern lagen. Ihre Kraft ergab sich nicht aus dem kognitiven Verständnis ihrer Bedeutung, die ich inzwischen kenne, sondern aus der direkten Betrachtung der Mandalas. Dies war meine erste Begegnung mit tibetischen Mandalas, und sie sollten meine gerade beginnende spirituelle Suche beschleunigen.

Innerlich fühlte ich mich zur buddhistischen Kultur hingezogen, vor allem in Richtung Tibet, doch in New England gab es darüber nur wenige Informationen. Es war die Zeit vor dem Internet, vor Google, Facebook und YouTube. Kommunikation fand nur per Telefon oder Briefpost statt. Um sich Informationen zu beschaffen, musste man ein Buch lesen, mit jemandem reden, der sich auskannte, oder selbst direkt an die Quelle gehen. Über Tibet hatte ich zwar im Lexikon meiner Eltern etwas gelesen, aber ein Buch zum Thema konnte ich nicht finden. Etwa zu dieser Zeit gab mir meine Großmutter mütterlicherseits das Buch Zen Telegrams von Paul Reps, ein Buch mit Zen-Haikus und Kalligrafie. Die kurzen Gedichte in Kombination mit den Zeichnungen aus Pinselstrichen inspirierten mich zu dem, was ich heute meine erste Meditationserfahrung nennen würde – eine Einsicht in ein »Gewahrsein des Gewahrseins«. Damals nannte ich es »das Bewusstsein des bewusst Seins«.

Ich war in unserem Sommerhaus an einem See in New Hampshire und hatte Reps’ Buch oben in meinem Zimmer gelesen – einer rustikalen Kammer mit Wänden aus rohem Kiefernholz und mit offen liegenden Balken. Ich beschloss, aus dem Schlafzimmerfenster meiner Schwester hinauszuklettern und mich von dort auf das Dach über der Veranda zu setzen. Vor dem Haus standen vier hochgewachsene Weymouthkiefern. Vom See wehte ein sanfter Wind herüber, und ich saß still. Dann hörte ich die Kiefernnadeln auf das Dach fallen, ein kaum hörbares Geräusch. In diesem Moment war ich mir zur gleichen Zeit meines Bewusstseins bewusst und nahm wahr, wie es den sanften Wind und die auf das Dach fallenden Kiefernnadeln erlebte. Ich begriff nicht ganz, was ich da gerade für eine Erfahrung machte; ich kannte den Zusammenhang nicht, hatte keinen spirituellen Lehrer. Es war auch nichts, was meine Freunde verstanden hätten, und doch war es etwas, das ich nie vergessen sollte: ein tiefes Gefühl von Gewahrsein und Frieden.

Diese und einige andere frühe Erfahrungen inspirierten mich dazu, mich auf die spirituelle Suche zu begeben – eine Sehnsucht, die schließlich mein Leben beherrschte. Nach meinem Highschoolabschluss ging ich zur University of Colorado, doch in der Hochschule fand ich nichts, was mich zu der inneren Weisheit führte, die ich suchte. Dann, eines Tages im Herbst meines zweiten Studienjahres, als ich durch die Magazine der Universitätsbibliothek streifte, fand ich ein Buch, das sofort meine Aufmerksamkeit weckte. Es war eines der ersten Bücher über Yoga, das es auf Englisch gab: The Hidden Teaching Beyond Yoga [deutsch: Die Philosophie der Wahrheit, tiefster Grund des Yoga] von Paul Brunton. Ich lieh es schnell aus und nahm es mit in mein Zimmer im Wohnheim.

Nachdem ich eine Weile darin gelesen hatte, wurde ich müde, legte das Buch weg und drehte mich auf den Bauch, um ein paar Minuten zu schlafen. Als ich so dalag, hatte ich das Gefühl, dass mein Körper vom Bett hochgehoben wurde und ich hoch über dem Bett auf Höhe der Zimmerdecke schwebte. Ich habe das als echte Erfahrung erlebt. Dass ich schwebte, war so real und machte mir eine solche Angst, dass ich mich zwang, die Augen zu öffnen, und dann lag ich wieder auf dem Bett. Durch die Erfahrung, den eigenen Körper verlassen zu haben, intensivierte ich meine spirituelle Suche noch und sprach mit meiner besten Freundin, Vicki Hitchcock, darüber. Ihr Vater war damals amerikanischer Generalkonsul in Kalkutta. Seit wir uns im ersten Studienjahr getroffen und als Seelenverwandte erkannt hatten, teilten wir nun unsere Suche und unser Interesse am »mystischen Osten«, wie wir es nannten. Wir sind tatsächlich unser Leben lang Freundinnen geblieben und folgen letzten Endes beide dem tibetischen Pfad, seit wir 19 Jahre alt waren.

Im Sommer 1967, dem »Summer of Love«, wurde unsere Suche aufregender. Wir brachen beide die Uni in Colorado ab und reisten nach Indien und Nepal. Wir flogen nach Hongkong, wo wir einen esoterischen Buchladen fanden und jedes Buch über Tibet kauften, das es dort gab. Wir wechselten uns beim Lesen ab und segelten auf einem italienischen Schiff nach Bombay. Dann flogen wir nach Kalkutta, wo Vickis Eltern in einem großen alten Kolonialhaus neben dem amerikanischen Konsulat lebten. Nachdem wir dort eine Zeitlang in einem Heim von Mutter Teresa für ledige Mütter und verlassene Babys gearbeitet hatten, brachen Vicki und ich auf nach Nepal.

Abb. 1: Lama Tsültrim vor der Abreise aus Indien, 1967.

SWAYAMBHU

Eines Morgens, als wir gerade bei einer nepalesischen Familie im Stadtzentrum von Kathmandu zu Besuch waren, durften wir auf die Dachterrasse, um die Aussicht zu genießen. Das Tal war mit tief liegendem Nebel bedeckt, aber in der Ferne erhoben sich die kristallenen Gipfel des Himalaya. Viel näher, etwa anderthalb Kilometer von uns entfernt, sahen wir eine strahlend weiße Halbkugel mit einer funkelnden goldenen Spitze – wie eine Art vergänglicher Palast, der auf einer Insel in einem See treibt. Es war einer der mystischsten Anblicke, die ich je gesehen hatte. Als ich mich genauer danach erkundigte, sagte man mir, dass dies Swayambhu sei, der Affentempel. Man nannte ihn so, weil eine Horde wilder Affen dort auf dem Berg lebte, und es sei einer der heiligsten Orte der Stadt.

Einige Tage später hatten wir die Gelegenheit, uns einer Prozession anzuschließen, die vor Sonnenaufgang diesen Berg hinaufzog. Durch die dunklen Straßen von Kathmandu zu gehen war so, als ob man uns zurück ins Mittelalter katapultiert hätte. Schweine, Hunde und Kühe suchten den Müll, den die Menschen auf die Straße geworfen hatten, nach Nahrung durch – eine Art mittelalterliche Abfallentsorgung!

Wir gingen durch das Tal, überquerten eine alte Brücke über den Fluss, die uns auf einen schmalen Feldweg brachte, der zwischen Reisfeldern hindurchführte. Allmählich gelangten wir auf den Berg. Der Pfad wurde immer steiler, und am Schluss wurde er zu einer Treppe, die direkt ganz nach oben führte. Genau in dem Moment, als wir die letzten Treppenstufen hinaufkamen, fiel langsam das Morgenlicht auf unsere Umgebung.

Abb. 2: Treppe zum Stupa von Swayambhu, Kathmandu, Nepal, 1967.

Vor mir stand die weiße Halbkugel, auf der oben ein goldener, spitzer Turm etwa drei Stockwerke in die Höhe ragte. Auf dem quadratischen Sockel, auf dem der spitze Turm stand, war auf jeder Seite ein Paar geheimnisvoller Buddha-Augen gemalt, die in die vier Himmelsrichtungen blickten – nach Norden, Osten, Süden und Westen.

Später erfuhr ich, dass dies ein alter Stupa (ein buddhistisches Heiligtum) war, der das Mandala darstellte, das in der Tradition des tantrischen Buddhismus die Grundstruktur des Kosmos beschreibt. Es ist der kreisförmige Aufbau der zentrierten erleuchteten Erfahrung, eine kosmologische Darstellung des Universums. Swayambhu bedeutet »selbst-entstanden«, weil es heißt, dass der Ort früher einmal eine Insel in der Mitte eines Sees war, und dieser See war das Kathmandu-Tal. Auf der Insel habe eine »selbst existierende« Flamme gebrannt, über die schließlich der Stupa gebaut wurde.

Abb. 3: Stupa von Swayambhu im Kathmandu-Tal, Nepal.

Für ein 19-jähriges amerikanisches Mädchen war es eine magische Erfahrung, dieses unglaubliche Bauwerk, eine der heiligsten Stätten Nepals, in der goldenen Morgensonne zu erblicken. Mit dem Aufgehen der Sonne konnte ich allmählich immer mehr erkennen. Genau wie die nepalesischen Pilger begann ich, den Stupa im Uhrzeigersinn zu umrunden. Im unteren Teil des Bauwerks sah ich fünf Nischen mit Buddha-Statuen in den vier Himmelrichtungen, eine für jede Richtung – nur im Osten gab es zwei, weil eine die Mitte darstellte. Jede Statue hatte eine andere Handhaltung (Mudra). Als ich um den Stupa herumging, den intensiven Duft der nepalesischen Rauchzöpfe einatmete und den Klang der riesigen Glocken hörte, hatte ich ein unglaubliches Gefühl von Vertrautheit, wie eine Erinnerung.

Als ich an diesem Morgen ganz oben auf dem Hügel von Swayambhu saß und das Tal überblickte, hatte ich den Eindruck, dass sich mein Leben verändert hatte, und so war es auch. Es war der erste Stupa, den ich je gesehen hatte, und damals hatte ich noch keine Ahnung, dass ich zurückkehren würde, um Nonne zu werden und in Nepal zu leben. Hier einige Zeilen, die ich über meine erste Begegnung mit dem Stupa von Swayambhu 1967 geschrieben hatte:

»Wir waren außer Atem und schwitzten, als wir über die letzten Stufen wankten, und fielen geradezu über das größte Vajra (Donnerkeilzepter), das ich jemals gesehen habe. Hinter diesem Vajra erhob sich die gewaltige weiße Kuppel des Stupa wie ein weiter, kompakter Rock, und darüber befanden sich zwei riesige Buddha-Augen, die weise über das friedliche Tal hinwegblickten, das gerade zu erwachen begann.«14

Es wurde ein Ort oben auf dem Berg, an den ich jeden Morgen ging, und dann setzte ich mich im Kloster neben dem Stupa in eine Ecke. Nach ein paar Tagen lag in meiner Ecke ein kleiner Teppich zum Sitzen, und noch ein paar Tage später wurde mir auch Tee eingegossen, der den Mönchen während ihrer Morgenmeditation serviert wurde. Es wurde mein Platz, mein Kloster – auf das ich mich für den Rest meines Lebens innerlich berufen habe.