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Mit dem Standardwerk in der 14. Auflage werden auch Nichtjurist:innen sicher durch das Abmahnverfahren geleitet. Klaus Beckerle erläutert, wann eine Abmahnung nötig ist und wie Sie in neun Schritten zur Abmahnung kommen. Mithilfe der Checkliste können Sie die Abmahnung inhaltlich prüfen und werden dabei unterstützt, eine rechtssichere und wirkungsvolle Abmahnung zu formulieren. Das Buch umschreibt die häufigsten Abmahnungsfälle: vom Verhalten während einer Arbeitsunfähigkeit über die Verletzung der Aufsichtspflicht bis hin zur Verletzung der Schweigepflicht. Darüberhinaus Sie erfahren auch, wie Sie juristische Auseinandersetzungen vermeiden können. Inhalte: - Erläuterungen zu über 50 konkreten Fällen mit Abmahnungsmustern - Was eine Abmahnung auf jeden Fall enthalten und in welcher Form sie zugestellt werden muss - Wann Sie frühestens und wann Sie spätestens abmahnen müssen - Wann Sie den Betriebsrat oder Personalrat beteiligen müssen - Mit Hinweisen zur Abmahnung in Sonderfällen Neu in der 14. Auflage: - Aktuelle Entscheidungen des BAG, des EuGH sowie der Instanzgerichte - Aktuelle Entwicklungen im Personalvertretungsrecht (u. a. Novellierung des BPersVG) und im Bereich der Gleichstellungsgesetze - Mögliche Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung auf das Personalaktenrecht - Das neue Hinweisgeberschutzgesetz im Zusammenhang mit "Whistleblowing" Die digitale und kostenfreie Ergänzung zu Ihrem Buch auf myBook+: - Zugriff auf ergänzende Materialien und Inhalte - E-Book direkt online lesen im Browser Jetzt nutzen auf mybookplus.de.
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Seitenzahl: 379
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die Abmahnung
14. Auflage 2024, Juli 2024
© 2024 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer
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Die Abmahnung ist ein fester Bestandteil des Kündigungsschutzrechts. Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer verhaltensbedingten Kündigung führt zwangsläufig zu der Frage, ob eine vorherige Abmahnung des Fehlverhaltens erforderlich ist. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich hierzu eine Rechtsprechung entwickelt, die in erster Linie von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt ist. Hinzu kommen neuere Entwicklungen, die sich auf das Rechtsinstitut der Abmahnung auswirken, wie etwa die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Anzeige- und Nachweispflicht), das Hinweisgeberschutzgesetz (Whistleblowing) oder die Datenschutz-Grundverordnung (Entfernung unberechtigter Abmahnungen).
Aufgrund zahlreicher neuer Rechtsprechungshinweise sind zur besseren Übersichtlichkeit einige ältere Entscheidungen herausgenommen worden, ebenso wie ältere Fundstellen aus dem Schrifttum.
So arbeiten Sie mit diesem Buch
Dieses Buch hilft Ihnen, schnell eine rechtssichere Abmahnung zu erstellen. Dafür haben wir zwei Tools entwickelt:
Der Workflow zeigt Ihnen, wie Sie in neun Schritten zur fertigen Abmahnung kommen. Hier können Sie eintragen, wer von Ihren Kolleginnen und Kollegen wann was macht. Zugleich dient der Workflow als Protokoll, das Sie zusammen mit der Abmahnung in der Personalakte Ihrer Mitarbeiterin oder Ihres Mitarbeiters abheften können.
Die Checkliste dient der inhaltlichen Prüfung der Abmahnung und unterstützt Sie dabei, eine rechtssichere und wirkungsvolle Abmahnung zu formulieren.
Digitale Extras
Alle Arbeitshilfen zum Buch stehen Ihnen auf www.mybook.haufe.de zur Verfügung. Von dort können Sie alle Abmahnungsmuster in Ihre Textverarbeitung übernehmen. Darüber hinaus finden Sie dort weitere hilfreiche Arbeitsmittel wie die Checkliste und den Workflow aus dem Buch.
Klaus Beckerle
a. A.
anderer Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Ort
Abs.
Absatz
a. E.
am Ende
a. F.
alte Fassung
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
AiB
Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)
allg.
Allgemein
Anm.
Anmerkung
AP
Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts)
APS
Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl. 2021
ArbG
Arbeitsgericht
ArbGG
Arbeitsgerichtsgesetz
ArbR
Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift)
ArbuR
Arbeit und Recht (Zeitschrift)
ArbStättV
Arbeitsstättenverordnung
ARSt.
Arbeitsrecht in Stichworten (Zeitschrift)
Art.
Artikel
AuA
Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)
Aufl.
Auflage
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAT
Bundes-Angestelltentarifvertrag
BayPVG
Bayerisches Personalvertretungsgesetz
BB
Betriebs-Berater (Zeitschrift)
BBG
Bundesbeamtengesetz
BBiG
Berufsbildungsgesetz
BDO
Bundesdisziplinarordnung
BeckRS
Beck online Rechtsprechung
BEEG
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
Beil.
Beilage
BErzGG
Bundeserziehungsgeldgesetz
Beschl.
Beschluss
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGleiG
Bundesgleichstellungsgesetz
Bl.
Blatt
BMI
Bundesministerium des Innern
BMT-G
Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe
BPersVG
Bundespersonalvertretungsgesetz
BremPersVG
Bremisches Personalvertretungsgesetz
BRRG
Beamtenrechtsrahmengesetz
BT-V
TVöD – Besonderer Teil Verwaltung
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BZRG
Bundeszentralregistergesetz
bzw.
beziehungsweise
CR
Computer und Recht (Zeitschrift)
DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
DM
Deutsche Mark
DSGVO
Datenschutz-Grundverordnung
DuD
Datenschutz und Datensicherung (Zeitschrift)
EFZG
Entgeltfortzahlungsgesetz
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Entsch.
Entscheidung
ErfK
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 24. Aufl. 2024
EUR
Euro
EzA
Entscheidungen zum Arbeitsrecht
EzA-SD
Entscheidungen zum Arbeitsrecht – Schnelldienst
EzBAT
Entscheidungssammlung zum BAT
ff.
Folgende
FPfZG
Familienpflegezeitgesetz
Fn.
Fußnote
GewO
Gewerbeordnung
GG
Grundgesetz
ggf.
Gegebenenfalls
GKG
Gerichtskostengesetz
Halbs.
Halbsatz
HGB
Handelsgesetzbuch
HinSchG
Hinweisgeberschutzgesetz
HmbPersVG
Hamburgisches Personalvertretungsgesetz
HPVG
Hessisches Personalvertretungsgesetz
IfSG
Infektionsschutzgesetz
i. S. v.
im Sinne von
i. V. m.
in Verbindung mit
krit.
kritisch
KSchG
Kündigungsschutzgesetz
L
Leitsatz, Leitsätze
LAG
Landesarbeitsgericht
LAGE
Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte
LGG
Landesgleichstellungsgesetz
LKW
Lastkraftwagen
LohnFG
Lohnfortzahlungsgesetz
LPersVG
Landespersonalvertretungsgesetz
LPVG
Landespersonalvertretungsgesetz
MBG
Mitbestimmungsgesetz
MMR
MultiMedia und Recht (Zeitschrift)
MTArb
Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder
MTL
Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Länder
MuSchG
Mutterschutzgesetz
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NPersVG
Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
n. v.
nicht veröffentlicht
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht
NZA-RR
NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht
öAT
Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht
o. g.
oben genannt
OVG
Oberverwaltungsgericht
PersR
Der Personalrat (Zeitschrift)
PersV
Die Personalvertretung (Zeitschrift)
PflegeZG
Pflegezeitgesetz
R
Rückseite
RdA
Recht der Arbeit (Zeitschrift)
Rn.
Randnummer
Rz.
Randziffer
RzK
Rechtsprechung zum Kündigungsrecht (Entscheidungssammlung)
S.
Seite(n)
SAE
Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)
SächsPersVG
Sächsisches Personalvertretungsgesetz
SBV
Schwerbehindertenvertretung
SchwbG
Schwerbehindertengesetz
SeemG
Seemannsgesetz
SGB
Sozialgesetzbuch
sog.
sogenannte(r)
SPersVG
Saarländisches Personalvertretungsgesetz
StGB
Strafgesetzbuch
ThürPersVG
Thüringer Personalvertretungsgesetz
TVK
Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern
TV-L
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder
TVöD
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
Urt.
Urteil
usw.
und so weiter
v.
von
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
z. B.
zum Beispiel
ZfPR
Zeitschrift für Personalvertretungsrecht
ZPO
Zivilprozessordnung
ZTR
Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes
zust.
zustimmend
Gesetzliche Grundlagen der AbmahnungDie AbmahnungAbmahnungAbmahnung, gesetzliche Grundlagen ist gesetzlich nicht geregelt. Sie wird lediglich – soweit ersichtlich – in § 314 Abs. 2 BGB und in § 12 Abs. 3 AGG (vgl. hierzu 3.2.32) als eine mögliche Sanktionsmaßnahme erwähnt und unterliegt nach verschiedenen LandespersonalvertretungsgesetzLandespersonalvertretungsgesetzen der Beteiligung des Personalrats (vgl. hierzu 9.1). Außerdem enthalten das Bundesgleichstellungsgesetz1Bundesgleichstellungsgesetz (vgl. hierzu 9.1) und das LGG Rheinland-Pfalz (vgl. hierzu 9.2.11) ausdrückliche Regelungen zu den Rechten der GleichstellungsbeauftragtenGleichstellungsbeauftragte bei Abmahnungen.
1 Gesetz für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG) vom 24.4.2015 – BGBl . I S. 642, 643.
Rechtsprechung, Entwicklung derDefinition der AbmahnungBegriff der AbmahnungAbmahnung, BegriffDie Abmahnung ist eine Erfindung der Arbeitsgerichtsbarkeit, stellt also typisches Richterrecht dar. Als Begriff taucht sie erstmals in einer Entscheidung des BAG aus dem Jahre 19582 auf. Das Gericht hatte festgestellt, dass Fälle denkbar seien, in denen vor Ausspruch der Kündigung eine Anhörung des Arbeitnehmers oder »sogar eine Abmahnung« erforderlich sei. Das BAG brauchte damals nicht zu entscheiden, welche Wirkung ein Unterlassen der Abmahnung in solchen Fällen hat. Es konnte sich deshalb mit dem allgemein gehaltenen Leitsatz begnügen, es bedürfe nicht in allen Fällen der fristlosen Kündigung einer vorherigen Abmahnung des Arbeitnehmers.
Eine rechtliche Begründung für die Notwendigkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung wegen Störungen im Leistungsbereich hat das BAG erstmals in seiner Entscheidung vom 19.6.19673 gegeben.
Bereits ein halbes Jahr später4 hat das BAG eine Parallele zum Mietrecht gezogen. Das Mietverhältnis sei ebenso wie das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis. Das Mietrecht sehe bei der auf Störungen im Leistungsbereich gestützten außerordentlichen Kündigung ebenfalls eine Abmahnung vor (heute § 543 Abs. 3 BGB).
1976 hat das BAG den allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, bei Störungen im sogenannten Leistungsbereich sei in der Regel eine vorherige Abmahnung erforderlich, ohne zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung zu unterscheiden.5 Das BAG hat den maßgeblichen Grundgedanken der Abmahnung so formuliert:
»Von einem Arbeitnehmer kann nicht erwartet werden, dass er sein Verhalten ändert, wenn er annehmen darf, dass der Arbeitgeber mit seinen Leistungen zufrieden ist. Der Arbeitgeber setzt sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten, wenn er zuerst Grund zu dieser Annahme gibt und dann dem Arbeitnehmer wegen dessen mangelnder Leistungen kündigt, ohne ihm vorher Gelegenheit gegeben zu haben, seine Arbeitsweise den Anforderungen anzupassen …«.
Das BAG hat damit den rechtlichen Ausgangspunkt im Urteil vom 19.6.1967 verlassen und auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und GlaubenTreu und Glauben (§ 242 BGB) abgestellt (venire contra factum proprium). Im Schrifttum wird zum einen der Grundsatz der VerhältnismäßigkeitVerhältnismäßigkeit, Grundsatz der (Ultima-Ratio-PrinzipUltima-Ratio-Prinzip) und zum anderen das sog. Prognoseprinzip zur Begründung dafür herangezogen, dass der verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen muss.6 Die Abmahnung muss der Kündigung als milderes Mittel vorgehen, wenn sie geeignet ist, die eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen, und wenn sie darüber hinaus dem Arbeitgeber zumutbar ist. Beides ist dann der Fall, wenn nach erfolgter Abmahnung zu erwarten ist, dass eine Wiederholungsgefahr nicht besteht. Das BAG hat das sog. PrognoseprinzipPrognoseprinzip übernommen7, aber auch daran festgehalten, dass die Abmahnung zugleich Ausdruck des VerhältnismäßigkeitsgrundsatzesVerhältnismäßigkeit, Grundsatz der ist.8
2 Urt. v. 2.5.1958 – AP BetrVG § 66 Nr. 16.
3 AP GewO § 124 Nr. 1 mit Anm. v. Hueck; kritisch zu § 326 BGB als Anspruchsgrundlage Bock in ArbuR 1987, 217; Falkenberg in NZA 1988, 489.
4 Urt. v. 18.1.1968 – AP BetrVG § 66 Nr. 28.
5 Urt. v. 29.7.1976 – AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 9
6 ErfK/Niemann § 626 BGB Rn. 29; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 199; APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 272a.
7 Urt. v. 13.12.2007 = NZA 2008, 589 m. w. N.
8 Urt. v. 23.6.2009 = NZA 2009, 1198.
Der Arbeitgeber wird zu einem rechtzeitigen Hinweis an den Arbeitnehmer verpflichtet, damit sich dieser später nicht darauf berufen kann, er habe einem bestimmten Verhalten keine kündigungsrelevante Bedeutung beigemessen, hätte dieses aber geändert, wenn ihm die arbeitsrechtlichen Folgen vor Augen geführt worden wären.
Begriff der AbmahnungAbmahnung, DefinitionDefinition der AbmahnungDen heute gültigen Begriff der Abmahnung hat das BAG erstmals in seiner grundlegenden Entscheidung vom 18.1.19809 definiert:
Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, dass im Wiederholungsfall der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei.
Die Abmahnung ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine tatsächliche Erklärung des Arbeitgebers, die keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslöst. Sie stellt daher keine Willenserklärung im engeren rechtlichen Sinne dar.10 Teilweise wird auch eine geschäftsähnliche Handlung angenommen.11 Die Abmahnung ist eine vom Arbeitgeber ausgesprochene individualrechtliche Rüge eines bestimmten Fehlverhaltens des Arbeitnehmers, verbunden mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall.12 Sie hat nicht nur Abmahnung, WarnfunktionAbmahnung, Warn- und AnkündigungsfunktioneineWarnfunktion der Abmahnung Warn- und Abmahnung, AnkündigungsfunktionAnkündigungsfunktionWarn- und Ankündigungsfunktion.13
9 Urt. d. BAG v. 18.1.1980 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 3; bestätigt durch Urt. v. 4.3.1981 – AP LPVG Baden-Württemberg § 77 Nr. 1; ferner Urt. v. 21.11.1985 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 12.
10 Schaub in NZA 1997, 1185; APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 406.
11 Kranz in DB 1998, 1464; Bader in ZTR 1999, 200, 202; ErfK/Niemann § 626 BGB Rn. 30.
12 Ähnlich Hunold in BB 1986, 2050.
13 Urt. d. BAG v. 10.11.1988 – AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3.
Literatur: Bülow, Die Missbilligung im öffentlichen Dienst, Teil 1: Die individualrechtliche Er- und Abmahnung, PersV 2022, 284; Litty, Die Abmahnung – Grundlagen und Praxis-Tipps für Arbeitgeber, ZTR 2021, 617; Notzon, Die Abmahnung im öffentlichen Dienst, öAT 2016, 4; Wirlitsch/Galster, Abmahnungen im Arbeitsrecht, PersR 1/2018, 32
1. Grundsatz
Die AbmahnungAbmahnung, Grundsätze ist vor allem im Zusammenhang mit verhaltensbedingten und leistungsbedingten KündigungKündigungen von Bedeutung. Vor personenbedingten, insbesondere krankheitsbedingten, Kündigungen kann in besonders gelagerten Fällen eine Abmahnung in Erwägung zu ziehen sein. Bei betriebsbedingten Kündigungen kommt eine Abmahnung nicht in Betracht.
2. Grundsatz
Gegenstand einer Abmahnung kann nur eine arbeitsvertragliche PflichtverletzungPflichtverletzung sein. Deshalb ist z. B. eine Abmahnung wegen häufiger krankheitsbedingter FehlzeitenFehlzeiten, krankheitsbedingt unzulässig. Etwas anderes gilt bei der Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit.
3. Grundsatz
Vor einer Kündigung ist eine Abmahnung nur dann nicht notwendig, wenn es sich um schwerwiegende Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers handelt, die eine Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses nicht mehr erwarten lassen (negative Verhaltensprognosenegative Verhaltensprognose) oder dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unzumutbar machen. Typische Fälle hierfür können strafbare Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers sein.
4. Grundsatz
Eine AbmahnungAbmahnung, Wirksamkeit bedarf zu ihrer Wirksamkeit nicht der Schriftform. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Abmahnungs- und Kündigungsschutzprozess sollte eine Abmahnung jedoch stets schriftlich erfolgen.
5. Grundsatz
Eine Abmahnung ist nur wirksam, wenn sie zwei wesentliche Bestandteile enthält:
Konkrete Darstellung der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung,
Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Fall weiterer Pflichtverletzungen.
6. Grundsatz
Eine AnhörungAnhörung des Arbeitnehmers vor Erteilung einer Abmahnung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Aufnahme der Abmahnung in die Personalakten ist bei entsprechender tarifvertraglicher Regelung notwendig, um keinen Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers auszulösen. Die Verletzung eines etwaigen Anhörungsrechts macht die Abmahnung zwar formell unwirksam; sie behält jedoch ihre Warnfunktion.
7. Grundsatz
Eine AbmahnungAbmahnung, unwirksam ist unwirksam und muss auf Antrag aus den Personalakten entfernt werden, wenn sie auf mehreren Pflichtverletzungen beruht und diese nicht alle nachweisbar sind bzw. nicht alle zutreffen. Eine nur teilweise wirksame Abmahnung ist insgesamt unwirksam.
8. Grundsatz
FristenDer Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, tarifliche Ausschlussfristen oder Klagefristen einzuhalten, wenn er die Unwirksamkeit einer Abmahnung geltend machen will. Sein Berichtigungs- bzw. Entfernungsanspruch kann allerdings verwirken.
9. Grundsatz
Die Erteilung einer Abmahnung ist im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes mitbestimmungsfrei. Im Geltungsbereich der Landespersonalvertretungsgesetze sind unterschiedliche Regelungen zu beachten, ferner die jeweiligen Bestimmungen des BundesgleichstellungsgesetzBundesgleichstellungsgesetzes und der Landesgleichstellungsgesetze.
Auf den folgenden Seiten finden Sie den »Workflow Abmahnung«. Kopieren Sie sich den Workflow aus dem Buch oder öffnen Sie ihn aus den digitalen Extras und tragen Sie ein, wer von Ihren Kolleginnen und Kollegen mit Ihnen bis wann welche Aufgaben erledigt. Sie sollten nicht länger als zwei Wochen mit der Abmahnung warten, auch wenn es keine Frist gibt, die Sie einhalten müssen. Nutzen Sie den Workflow außerdem als Protokoll und heften Sie ihn mit der Abmahnung zusammen ab.
Workflow: Abmahnung
Erstellung einer Abmahnung für: (Name, Vorname)
Verantwortlich in der Personalabteilung ist: (Name, Vorname)
Fachvorgesetzte/r ist: (Name, Vorname)
Unterschriftsberechtigt ist: (Name, Vorname)
Bis wann? (Tragen Sie in diese Spalte konkrete Termine ein.)
Was ist zu tun?
Wer macht es? (Tragen Sie in diese Spalte die Namen der Verantwortlichen ein.)
Was ist konkret zu tun?
1
Meldung an die Personalabteilung
Vorgesetzte/r des/der Abzumahnenden
2
(Es besteht keine gesetzliche Frist, bis wann die Abmahnung nicht mehr wirksam ausgesprochen werden kann.)
Vorprüfung des Tatbestands
Personalabteilung
Prüfen Sie vorläufig, ob es sich um einen abmahnungsrelevanten Tatbestand handelt oder nicht. Die gültige Prüfung nehmen Sie vor, wenn alle Informationen vorliegen.
3
(Empfehlung: Mahnen Sie innerhalb von 14 Tagen ab.)
Abzumahnende/n Mitarbeiter/in befragen
Führungskraft Personalabteilung
Fachvorgesetzte/r
Es besteht keine rechtliche Verpflichtung, den/die Mitarbeiter/in zu befragen, es ist sinnvoll aber zur Aufklärung des Sachverhalts.
4
Zeugen befragen
Personalabteilung
Wer kann die Tat bezeugen? (z. B.: häufiges Zuspätkommen: IT/Zeiterfassung; Beleidigung: Kolleg/innen)
5
Zusammentragen der Informationen
Personalabteilung
Zeitpunkt, Ort, Zeugen, genaue Beschreibung des Hergangs
6
Personalakte prüfen
Personalabteilung
Wurde die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter schon einmal abgemahnt?
Zum gleichen Tatbestand?
Wann war die letzte Abmahnung?
siehe Kapitel 8.2
7
Abmahnung schriftlich erstellen
Personalabteilung
Sie können auch mündlich abmahnen – es ist nicht vorgeschrieben, dass eine Abmahnung schriftlich erfolgen muss. Aber eine schriftliche Abmahnung ist anzuraten, damit Sie im Falle eines Abmahnungs- bzw. Kündigungsschutzprozesses die Abmahnung als Beweis vorlegen können.
Siehe Muster bei den digitalen Extras
8
Prüfung der Abmahnung
Personalabteilung
Verwenden Sie zur Prüfung die Checkliste Abmahnung.
Siehe digitale Extras
9
Abmahnung zustellen
Personalabteilung oder Vorgesetzte/r
Übergeben Sie die Abmahnung persönlich und lassen Sie sich auf einer Kopie die Übergabe bestätigen. (Bei Beschäftigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ist die Abmahnung zusätzlich in muttersprachlicher Übersetzung zu erstellen.)
siehe Kapitel 6.3
Mit der Checkliste prüfen Sie Ihre fertige Abmahnung unter allen Gesichtspunkten, damit sie auch den rechtlichen Anforderungen entspricht.
Wer?
Namen der Zeugen und Beteiligten
Wo und wann?
genaue Orts-, Datums- und Zeitangabe
Was?
unmissverständliche Schilderung des Vorwurfs
keine Schlagworte
keine Werturteile, sondern Tatsachen
Falsch:
»… in der letzten Zeit sind Sie häufig zu spät gekommen«. (Werturteil)
Richtig:
»… am Montag, den … sind Sie erst um 10.00 Uhr zur Arbeit erschienen«. (Tatsache)
Falsch:
»… haben Sie Ihre Führungskraft, Herrn …, beleidigt« (Werturteil)
Richtig:
»… haben Sie Ihre Führungskraft, Herrn …, einen Idioten genannt« (Tatsache)
Ausreichender Hinweis?
künftig erwartetes Verhalten und Leistungen
Aufforderung, zukünftig das Fehlverhalten zu unterlassen?
unmissverständlicher Hinweis
Androhung von Konsequenzen für den Wiederholungsfall?
Liegen mehrere Vorfälle vor?
nur einen Vorfall pro Abmahnungsschreiben
Literatur: Joussen, Abmahnung und Krankheit – Das Abmahnerfordernis bei Therapieverweigerung, NZA-RR 2016, 1
Notwendigkeit der AbmahnungSowohl die Begriffsbestimmung der AbmahnungAbmahnung, Notwendigkeit als auch deren zuvor beschriebener Sinn und Zweck machen deutlich, dass eine Abmahnung grundsätzlich nur vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten KündigungVerhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG oder vor einer Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, sofern der wichtige Grund in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegt, in Betracht kommen kann. In seiner PersonPersonenbedingte Kündigung liegende oder durch dringende betriebliche ErfordernisseBetriebsbedingte Kündigung bedingte Gründe kann der Arbeitnehmer im Regelfall nicht beeinflussen, sodass eine Abmahnung in den entsprechenden Fällen ihre Wirkung verfehlen würde.14
Krankheitsbedingte FehlzeitenDeshalb ist eine AbmahnungAbmahnung, krankheitsbedingte Fehlzeiten des Arbeitnehmers wegen dessen krankheitsbedingter Fehlzeiten nicht gerechtfertigt.15 Allerdings kann nach Ansicht des Hessischen LAG16 vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung eine Abmahnung geboten sein, wenn die Erkrankung durch ein steuerbares Verhalten beseitigt werden kann (im entschiedenen Fall die Wiederaufnahme der unterbrochenen Medikation durch Psychopharmaka). Ob das Unterlassen der Einnahme von Medikamenten als Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gewertet werden kann, was Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Abmahnung wäre, muss zumindest bezweifelt werden.
Abmahnung, unbehebbare LeistungsmängelAuch in Fällen von unbehebbaren LeistungsmängelnLeistungsmängel, unbehebbare infolge einer dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit kommt eine Abmahnung nicht in Betracht.17
Praktische Konsequenz: Da die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingten KündigungKündigung, Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingteren mitunter allerdings schwierig sein kann, empfiehlt es sich für den vorsichtigen Arbeitgeber, im Zweifelsfall vorsorglich eine Abmahnung auszusprechen.
Wird eine ordentliche Kündigung mit einem Sachverhalt begründet, der mehrere in § 1 Abs. 2 KSchG geregelte Gründe berührt (Kündigung wegen eines Mischtatbestandes), richtet sich der Prüfungsmaßstab in erster Linie danach, aus welchem der im Gesetz genannten Bereiche die Störung des Arbeitsverhältnisses kommt.18 Dies ist ausschlaggebend dafür, ob eine vorherige vergebliche Abmahnung Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen Kündigung ist.
Praktische Konsequenz: Abmahnung, Verhaltensbereich, StörungenAbmahnungen sind grundsätzlich nur vor verhaltensbedingten Kündigungen erforderlich. Die Erforderlichkeit einer Abmahnung kann auch vor dem Ausspruch einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gegeben sein.
Eine Abmahnung ist vor jeder verhaltensbedingten Kündigung zu prüfen. Die frühere Unterscheidung zwischen Störungen im LeistungsbereichUltima-Ratio-Prinzip, Störungen im VertrauensbereichLeistungsbereich, Störungen im einerseits und Störungen im VertrauensbereichVertrauensbereich, Störungen im und betrieblichen Bereich andererseits ist überholt.19 Sie ist durch spätere Entscheidungen des BAG20 noch schwieriger geworden und hat deshalb praktisch keine Bedeutung mehr, da nach der aktuellen Rechtsprechung vor jeder Kündigung und damit auch vor einer verhaltensbedingten Kündigung, die auf einer PflichtverletzungPflichtverletzung im Vertrauensbereich beruht, zu prüfen ist, ob der Kündigung zunächst eine Abmahnung vorausgehen muss. Das BAG geht unter teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung21 davon aus, dass auch bei Störungen im Vertrauensbereich jedenfalls dann vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Die Differenzierung nach verschiedenen Störbereichen sei nur von eingeschränktem Wert.
Die Abmahnung dient nach der heute maßgebenden Rechtsprechung des BAG22 der Objektivierung der negativen PrognoseprinzipPrognose. Eine solche liegt vor, wenn aus der konkreten Pflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen.
So wie eine krankheitsbedingte Kündigung im Regelfall eine negative Gesundheitsprognose und eine betriebsbedingte Kündigung gewissermaßen eine »negative Betriebsprognose« voraussetzt, erfordert eine verhaltensbedingte Kündigung, die dem Grundsatz der VerhältnismäßigkeitVerhältnismäßigkeit, Grundsatz der gerecht werden soll, eine negative Verhaltensprognose, da andernfalls eine Abmahnung das geeignete mildere Mittel des Arbeitgebers wäre, um auf die Störung der Vertragsbeziehung zu reagieren.
Selbst bei einer schwerwiegenden PflichtverletzungPflichtverletzung, schwerwiegende, die als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, hat unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Bewertung des Einzelfalls zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten (insbesondere Abmahnung oder ordentliche Kündigung) unzumutbar sind. Diese sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck zu erreichen, nämlich nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses.
Bei der Prüfung des jeweiligen Einzelfalles sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen.23
Die Abmahnung, EntbehrlichkeitEntbehrlichkeitEntbehrlichkeit der Abmahnung einer Abmahnung kann immer nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles, nicht aber aufgrund abstrakter, systematisierender Zuordnungen beurteilt werden. Natürlich gibt es nach wie vor Sachverhalte, bei denen der Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung sofort kündigen kann, etwa bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers (vgl. hierzu im Einzelnen die nachfolgenden Fallgestaltungen24). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist nach der Rechtsprechung des BAG25 grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Eine Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung für die Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.
Fazit
Eine Abmahnung ist immer dann notwendig, wenn sie voraussichtlich geeignet ist, die durch die arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen. In diesem Fall würde nämlich eine für den Arbeitnehmer einschneidendere Maßnahme (Kündigung) gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
14 Vgl. auch von Hoyningen-Huene in RdA 1990, 193, 199.
15 So auch Urt. d. LAG Düsseldorf v. 6.3.1986 = NZA 1986, 431; ebenso Becker-Schaffner in ZTR 1999, 105, 106.
16 Urt. v. 18.3.2014 = PersR 2014, 42; a. A. APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 132.
17 Urt. d. BAG v. 18.1.1980 (= Fn. 9).
18 Urt. d. BAG v. 21.11.1985 (= Fn. 9).
19 ErfK/Niemann § 626 BGB Rn. 29c; APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 367 ff.
20 Urt. v. 4.6.1997 – AP BGB § 626 Nr. 137; Beschl. v. 10.2.1999 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; Beschl. v. 21.2.2002 – AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 43; vgl. hierzu auch Zuber in NZA 1999, 1142.
21 Urt. v. 15.7.1984 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14; Urt. v. 13.12.1984 – AP BGB § 626 Nr. 81.
22 Urt. v. 26.6.2008 = NZA 2008, 1415; Urt. v. 23.6.2009 = NZA 2009, 1198; Urt. v. 10.6.2010 = NZA 2010, 1227; Urt. v. 24.3.2011 = NZA 2011, 1029; Urt. v. 9.6.2011 = NZA 2011, 1027; Urt. v. 23.1.2014 = ZTR 2014, 556.
23 BAG, Urt. v. 20.11.2014 = NZA 2015, 294.
24 So kann z. B. nach der bedenklichen Auffassung des LAG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 20.5.2010 (ZTR 2010, 486) die Interessenabwägung dazu führen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung ausreichend und angemessen gewesen wäre, wenn ein Busfahrer im öffentlichen Personennahverkehr einen Omnibus fährt, obwohl er keine Fahrerlaubnis hat!
25 Urt. v. 20.11.2014, a. a. O. (= Fn. 23).
AbmahnungsfälleAbmahnung, FälleDie nachfolgend in alphabetischer Reihenfolge geschilderten Abmahnungsfälle betreffen Beispiele aus der Rechtsprechung zu der Frage, ob bei der jeweiligen Fallkonstellation eine Abmahnung erforderlich ist oder nicht. Da jede Entscheidung einzelfallbezogen ist und insbesondere die Instanzgerichte zum Teil sehr unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe anlegen, können aus den Beispielen nur bedingt allgemeine Schlussfolgerungen gezogen werden. Diejenigen Tatbestände, in denen eine Abmahnung notwendig ist, werden durch ein entsprechendes Muster ergänzt und damit veranschaulicht.
Literatur: v. Hoyningen-Huene, Alkoholmissbrauch und Kündigung, DB 1995, 142; Liebscher, Alkohol im Arbeitsverhältnis, öAT 2017, 249; Notzon, Kündigung bei Suchterkrankungen im öffentlichen Dienst, öAT 2014, 178; Schwan/Zöller, Alkohol im Betrieb als Kündigungsgrund, ZTR 1996, 62
Alkoholbedingtes Fehlverhalten, Abgrenzung zur AlkoholabhängigkeitHierbei ist zwischen AlkoholabhängigkeitAlkoholabhängigkeit einerseits und alkoholbedingtem FehlverhaltenAlkoholbedingtes Fehlverhalten ohne das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit andererseits zu unterscheiden: Im ersten Fall handelt es sich um einen personenbedingten Grund, da Alkoholismus als Krankheit zu werten ist.26 Alkoholabhängigkeit als solche kann deshalb bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, die das BAG zu der krankheitsbedingten Kündigung entwickelt hat, eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, ohne dass der Arbeitgeber zuvor eine Abmahnung erteilen muss.
Im zweiten Fall geht es um verhaltensbedingte Gründe, die eine Abmahnung rechtfertigen und im Wiederholungsfall eine Kündigung nach sich ziehen können. Bei AlkoholmissbrauchAlkoholmissbrauch ist nach der Rechtsprechung des BAG27 regelmäßig eine Abmahnung erforderlich, bevor der Arbeitgeber kündigen kann. Entscheidend sei, ob eine Wiederholungsgefahr bestehe und sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirke. Deshalb werde erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten werde. Bei Alkoholmissbrauch im privaten Bereich, der in den dienstlichen Bereich hineinwirkt, kommt es danach insbesondere darauf an, ob dadurch die charakterliche Eignung des Arbeitnehmers für die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit infrage gestellt ist. In dem vom BAG im Jahre 1997 entschiedenen Fall ging es um einen Zugfahrer bei der U-Bahn, dem deshalb gekündigt worden war, weil er bei einer privaten Trunkenheitsfahrt einen Unfall verursacht hatte, was einen Strafbefehl sowie den Entzug der FahrerlaubnisFahrerlaubnis zur Folge hatte.
Typische Fälle abmahnungsrelevanter arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen sind in diesem Zusammenhang insbesondere Verstöße gegen ein im Betrieb bestehendes Alkoholverbot. Ein solcher Verstoß liegt z. B. auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer in alkoholisiertem Zustand zur Arbeit erscheint und ihm dadurch die Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht oder nicht ordnungsgemäß möglich ist.
Ein Berufskraftfahrer darf seine Fahrtüchtigkeit nicht durch die Einnahme von Medikamenten oder Drogen gefährden. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, kann dies die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Droge vor oder während der Arbeitszeit konsumiert wurde. Ebenso ist es unerheblich, ob die Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt war und aus diesem Grund eine erhöhte Gefahr im Straßenverkehr bestand. Im Rahmen der Interessenabwägung sind vielmehr die sich aus der Einnahme von Medikamenten oder Drogen typischerweise ergebenden Gefahren für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers entscheidend zu berücksichtigen.28
Ist das Führen eines Kfz zwar nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag, stellt die alkoholbedingte Entziehung der FahrerlaubnisFahrerlaubnis nach Auffassung des LAG Rheinland-Pfalz29 einen an sich geeigneten Grund für eine Kündigung dar. Bietet der Arbeitnehmer jedoch vor Zugang der Kündigung an, die Zeit bis zur Wiedererteilung der FahrerlaubnisFahrerlaubnis durch Beschäftigung eines Fahrers auf eigene Kosten und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu überbrücken, und ist dies dem Arbeitgeber zumutbar, kommt eine solche Möglichkeit als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung in Betracht. Verstößt ein langjährig Beschäftigter durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist – so das LAG Rheinland-Pfalz – nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vornherein entbehrlich.
Abmahnung wegen alkoholbedingten Fehlverhaltens
Vorbemerkung: Alkoholbedingtes Fehlverhalten ist von alkoholbedingten (krankheitsbedingten) Fehlzeiten zu unterscheiden. Nur im ersten Fall kommt eine Abmahnung in Betracht. Das Fehlverhalten ist möglichst genau zu umschreiben. Gegebenenfalls ist dem Arbeitnehmer die Durchführung einer EntziehungskurEntziehungskur anzuraten oder nahezulegen.
Musterabmahnung
Muster, alkoholbedingtes FehlverhaltenAlkoholbedingtes Fehlverhalten, MusterAbmahnung
Datum
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
Am ………… mussten wir feststellen, dass Sie während der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen haben. Dies wurde von mehreren Kollegen beobachtet und lässt sich eindeutig nachweisen. Sie wissen, dass nach unserer Betriebsordnung/den bestehenden Unfallverhütungsvorschriften/dem Arbeitsvertrag/unserer Betriebsvereinbarung der Genuss alkoholischer Getränke während der Arbeitszeit untersagt ist. Diese Regelung dient nicht nur den betrieblichen Sicherheitsinteressen, sondern ist insbesondere auch mit Rücksicht auf unsere Kunden erfolgt. Es macht einen sehr schlechten Eindruck, wenn unsere Kunden von Mitarbeitern bedient werden, die unter Alkoholeinfluss stehen. Nach unseren Feststellungen haben Sie an dem eingangs genannten Tag so viel getrunken, dass es Ihnen nicht nur äußerlich anzumerken war (gerötete Augen), sondern dass Sie auch Sprachschwierigkeiten hatten.
Wir weisen Sie mit allem Nachdruck darauf hin, dass wir im Interesse der Betriebsdisziplin/eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs dieses Fehlverhalten nicht dulden, sondern ausnahmslos beanstanden. Bei weiterem Fehlverhalten müssen Sie deshalb damit rechnen, dass wir Ihr Arbeitsverhältnis kündigen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Gesundheitsamt, Untersuchung durch dasAmtsärztliche Untersuchung, WeigerungInsbesondere die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes geben dem Arbeitgeber die Möglichkeit, Arbeitnehmer während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses »bei begründeter Veranlassung« z. B. durch einen Betriebsarzt, Personalarzt oder Amtsarzt untersuchen zu lassen (§ 3 Abs. 4 TVöD; § 3 Abs. 5 TV-L). Die Weigerung des Arbeitnehmers, einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitgebers Folge zu leisten, stellt die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die eine Abmahnung rechtfertigt. Dies hat das BAG zu einer inhaltsgleichen Vorschrift des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern (TVK) entschieden.30 Ein derartiger Sachverhalt kann nach der Rechtsprechung des BAG sogar je nach den Umständen des Einzelfalls geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen, und zwar auch eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer.31
Bestehen begründete Zweifel, ob der Arbeitnehmer nur vorübergehend durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert oder auf Dauer erwerbsgemindert ist, so hat er sich, wenn er schuldhaft keinen Rentenantrag stellt, auf Verlangen des Arbeitgebers nach § 33 Abs. 4 TVöD und § 33 Abs. 4 TV-L einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Gefährdet der Arbeitnehmer den Erfolg dieser Untersuchung dadurch, dass er trotz Abmahnung beharrlich sein Einverständnis zu der Beziehung der Vorbefunde der behandelnden Ärzte verweigert, so kann dies nach zutreffender Auffassung des BAG32 je nach den Umständen des Falles auch einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen.
Diese Rechtsprechung des BAG macht deutlich, dass der Arbeitnehmer im Krankheitsfall nicht nur Anzeige- und Nachweispflichten, sondern auch Mitwirkungspflichten hat, deren Verletzung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung haben können.
Abmahnung wegen Weigerung, sich ärztlich untersuchen zu lassen
Vorbemerkung: Die Weigerung des Arbeitnehmers, sich trotz entsprechender Aufforderung durch den Arbeitgeber ärztlich untersuchen zu lassen, kann eine abmahnungsrelevante Pflichtverletzung sein. Sofern der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen der Abmahnung eine Frist setzt, bis zu deren Ablauf er dieser Aufforderung nachkommen soll, muss sich der Arbeitgeber darüber im Klaren sein, dass er nach Fristablauf reagieren muss, wenn der Arbeitnehmer sich nicht hat untersuchen lassen.
Musterabmahnung
AbmahnungMuster, amtsärztliche UntersuchungAmtsärztliche Untersuchung, Weigerung, Muster
Datum
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
aufgrund Ihrer häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten in den zurückliegenden Monaten haben wir Sie gemäß § 3 Abs. 4 TVöD mit Schreiben vom ……. aufgefordert, sich am ……. bei dem Betriebsarzt ……. daraufhin untersuchen zu lassen, ob Sie in der Lage sind, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ohne gesundheitlich bedingte Einschränkungen zu erbringen.
Wie uns der Betriebsarzt gestern mitgeteilt hat, haben Sie den vereinbarten Termin nicht wahrgenommen und sich weder dort noch bei uns für Ihr Fernbleiben entschuldigt. Durch dieses Verhalten haben Sie eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen, da Sie unsere berechtigte Anweisung missachtet und uns dadurch die Möglichkeit genommen haben, Aufschluss darüber zu erhalten, ob und ggf. für welche Dauer Ihr Gesundheitszustand die Erbringung Ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit aus medizinischer Sicht beeinträchtigt.
Wir fordern Sie hiermit auf, sich bis spätestens ……. bei dem Betriebsarzt vorzustellen und die erforderliche Untersuchung vornehmen zu lassen. Sollten Sie bis zum Ablauf dieser Frist wiederum unentschuldigt dieser Aufforderung nicht Folge leisten, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Mit freundlichen Grüßen
Nachweispflicht, Verletzung derAnzeigepflicht, Verletzung derDie Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit betrifft eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitnehmers, die sowohl gesetzlich (§ 5 EFZG) als auch in einigen Fällen tarifvertraglich geregelt ist. Bevor der Arbeitgeber derartige Verstöße zum Anlass für eine verhaltensbedingte Kündigung nehmen kann, muss er den Arbeitnehmer zuvor zumindest einmal vergeblich abmahnen.33
Die schuldhafte Verletzung der Anzeigepflicht kann nach vergeblicher Abmahnung eine ordentliche Kündigung auch dann sozial rechtfertigen, wenn es dadurch nicht zu einer Störung der Arbeitsorganisation oder des Betriebsfriedens gekommen ist. Wenn derartige nachteilige Auswirkungen eingetreten sind, ist das im Rahmen der Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.34
Das BAG hat ausdrücklich festgestellt, es lasse sich nicht der Rechtssatz aufstellen, die Verletzung der Pflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne auch nach vorheriger Abmahnung niemals einen wichtigen Kündigungsgrund abgeben.35 So hat z. B. das LAG Köln36 die Auffassung vertreten, die hartnäckige, trotz dreimaliger Abmahnung über längere Zeit fortgesetzte Verletzung der Pflicht, eine Arbeitsunfähigkeit oder deren Verlängerung anzuzeigen, die zu einem völligen Ausfall der Planbarkeit des Einsatzes eines Arbeitnehmers führt, könne an sich geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG sind Arbeitgeber berechtigt, vom Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung früher als nach drei Kalendertagen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG) zu verlangen.37 Ein Verstoß gegen eine entsprechende arbeitsvertragliche Regelung kann bei erschwerenden Umständen eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dies kann nach einer Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz38 der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer trotz Abmahnung keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.
Ist der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, muss die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit der Angabe über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird (§ 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG). Händigt – wie im Regelfall – der behandelnde Arzt dem Arbeitnehmer sowohl den Teil der AU-Bescheinigung, der dem Arbeitgeber übersandt werden muss, als auch den Teil der AU-Bescheinigung, der der Krankenkasse übersandt werden muss, aus, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die AU-Bescheinigung der Krankenkasse zukommen zu lassen. Das ArbG Erfurt39 hat entschieden, es handele sich dabei um eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, deren Verletzung mit einer Abmahnung sanktioniert werden könne. Das Ergebnis der der Krankenkasse nur bei Kenntnis der für sie bestimmten AU-Bescheinigung möglichen Prüfung habe nämlich Auswirkungen auf die Vermögensverhältnisse des Arbeitgebers, ob eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung besteht oder ob weitere Maßnahmen der Rehabilitation oder Ähnliches eingeleitet werden müssen.
Die Nachweispflicht der Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind, hat sich ab 1.1.2023 geändert. Ab diesem Zeitpunkt sind sie lediglich dazu verpflichtet, zu den in § 5 Abs. 1 Satz 2 bis 4 EFZG genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung aushändigen zu lassen (§ 5 Abs. 1a Satz 1 EFZG). Die Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber nicht mehr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Vielmehr kann dieser bei der zuständigen Krankenkasse eine elektronische ArbeitsunfähigkeitsbescheinigungElektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abrufen. Abmahnungsrelevant kann demnach insoweit nur die Verletzung der vorgenannten Feststellungspflicht des Arbeitnehmers sein.
Unentschuldigtes Fehlen, Verletzung der Anzeige- und NachweispflichtUnabhängig von der unter 3.2.3 dargestellten Rechtsprechung ist die Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht (bzw. Feststellungspflicht, Verletzung derFeststellungspflicht) von unentschuldigtem Fehlen zu unterscheiden. Von Letzterem kann nur gesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer für bestimmte Tage weder rechtzeitig vorher noch im Nachhinein eine Entschuldigung vorbringt bzw. ein ärztliches Attest vorlegt. Sofern der Arbeitnehmer lediglich seine Anzeige- oder Nachweispflicht verletzt, rechtfertigt er – wenn auch verspätet – sein Fernbleiben von der Arbeitsstelle. Dies stellt zwar ein abmahnungs- und möglicherweise sogar kündigungsrelevantes Fehlverhalten dar, kann aber nicht als unentschuldigtes Fehlen gewertet oder etwa in einer Abmahnung als solches bezeichnet werden.40
Abmahnung wegen Verletzung der AnzeigepflichtVerletzung der Anzeigepflicht
Vorbemerkung: Die Verletzung der AnzeigepflichtMuster, Anzeigepflicht, Verletzung der ist von der Verletzung der NachweispflichtNachweispflicht, Verletzung der, Muster (siehe das folgende Muster) zu unterscheiden. Die genaue Angabe des Datums und ggf. der Tageszeit ist für eine wirksame Abmahnung unerlässlich.
Musterabmahnung
AbmahnungAnzeigepflicht, Verletzung der, Muster
Datum
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
Am Donnerstag, dem …….., sind Sie nicht zur Arbeit erschienen. An diesem Tag haben Sie uns keine Mitteilung über den Grund Ihres Fernbleibens zukommen lassen.
Als Sie am darauffolgenden Tag Ihre Arbeit wieder aufgenommen haben, haben Sie auf entsprechendes Befragen gegenüber unserem Personalleiter/Ihrem Vorgesetzten erklärt, Sie hätten sich am Vortag nicht wohlgefühlt. Diese Entschuldigung können wir nicht akzeptieren. Im Interesse eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs müssen wir darauf bestehen, unverzüglich von unseren Arbeitnehmern unterrichtet zu werden, wenn sie – aus welchem Grund auch immer – der Arbeit fernbleiben.
Wir raten Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, dieses Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen. Sollten Sie erneut Anlass zu Beanstandungen geben, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Mit freundlichen Grüßen
Abmahnung wegen Verletzung der Nachweispflicht im Krankheitsfall
Vorbemerkung: Die Verletzung der Nachweispflicht (zur Anzeigepflicht siehe das vorhergehende Muster) kann den Arbeitgeber dazu berechtigen, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern (vgl. § 7 EFZG bzw. ggf. entsprechende Tarifregelungen). Unabhängig davon liegt eine Pflichtverletzung vor, die erst nach erfolgloser Abmahnung zur Kündigung berechtigt. Legt der Arbeitnehmer im Nachhinein eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für sämtliche zurückliegenden Fehltage vor, darf nicht wegen unentschuldigten Fehlens, sondern nur wegen Verletzung der Nachweispflicht abgemahnt werden.
Musterabmahnung
AbmahnungMuster, Nachweispflicht, Verletzung der
Datum
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
In der Zeit vom 12.10. bis einschließlich 23.10. …….. sind Sie krankheitsbedingt nicht zur Arbeit erschienen. Sie haben uns zwar am 12.10. …….. telefonisch von Ihrer Erkrankung/Arbeitsunfähigkeit unterrichtet, aber entgegen § 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes41 haben Sie uns die am 12.10. …….. ausgestellte ärztliche Bescheinigung über Ihre Arbeitsunfähigkeit erst am 16.10. …….. zukommen lassen.
Durch dieses Verhalten haben Sie gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Wir weisen Sie darauf hin, dass wir dieses Fehlverhalten nicht hinnehmen können. Sollten Sie sich weitere Pflichtverletzungen zuschulden kommen lassen, müssen Sie damit rechnen, dass das Arbeitsverhältnis gekündigt werden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Unberechtigte ArbeitsniederlegungenArbeitsniederlegung hat das BAG als Störungen im Leistungsbereich angesehen und daran unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung die Folge geknüpft, dass der Arbeitgeber im Regelfall vor Ausspruch einer Kündigung aus wichtigem Grund eine Abmahnung aussprechen müsse.42 Diese Generalisierung ist in Anbetracht des zugrunde liegenden Sachverhalts bedenklich, zumal das BAG ausdrücklich festgestellt hat, der Kläger habe ohne Rechtsgrund die Arbeit niedergelegt und sich daher vertragswidrig verhalten.
Das LAG Rheinland-Pfalz hat die ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung bei folgendem Sachverhalt für wirksam erachtet: Die Klägerin hatte während der gesamten Dauer einer Schicht ihre Arbeit nicht aufgenommen, obwohl sie von vier Vorgesetzten mehrmals entsprechend angewiesen und ermahnt worden war. Das Gericht hat zu Recht darauf hingewiesen, auch ein verständiger und wohlwollender Arbeitgeber könne ein derartiges Verhalten nicht sanktionslos hinnehmen. Die ordentliche Kündigung sei als angemessene Reaktion zu werten.43
Arbeitsplatz, eigenmächtiges VerlassenDas mehrfache eigenmächtige vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes nach Ablauf des Erziehungsurlaubs durch eine Arbeitnehmerin, deren Antrag auf Halbtagsbeschäftigung abgelehnt worden war, rechtfertigt nach Auffassung des Hessischen LAG44 nach vorheriger Abmahnung sogar eine fristlose Kündigung.
Ein mehrstündiger »SitzstreikSitzstreik« im Dienstzimmer des Vorgesetzten zur Durchsetzung eines AT-Vertrages kann auch nach langjähriger Betriebszugehörigkeit ohne vorherige Abmahnung jedenfalls eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.45
Wenn die Arbeitsniederlegung auf der Teilnahme an einem rechtmäßigen StreikStreik beruht, kommt eine Abmahnung nicht in Betracht.
Zur Arbeitsverweigerung siehe auch 3.2.7
Abmahnung wegen Arbeitsniederlegung
Vorbemerkung: Sofern Arbeitsniederlegungen aufgrund ihres zeitlichen Umfangs, ihrer Beharrlichkeit oder ihrer Zielsetzung nicht ohne vorherige Abmahnung eine sofortige Kündigung rechtfertigen, ist zu berücksichtigen, dass nur Pflichtverletzungen abgemahnt werden können.
Musterabmahnung
AbmahnungMuster, ArbeitsniederlegungenArbeitsniederlegung, Muster
Datum
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
am ……. mussten wir feststellen, dass Sie in der Zeit von ……. bis ……. Uhr Ihre Arbeit niedergelegt haben, ohne hierfür einen triftigen Grund zu haben oder sich bei Ihrem Vorgesetzten oder im Personalbüro zu entschuldigen bzw. abzumelden.
Wir weisen Sie hiermit ausdrücklich darauf hin, dass wir die Nichterfüllung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten in dem vorgenannten Zeitraum nicht akzeptieren, sondern erwarten, dass Sie während Ihrer Arbeitszeit die Ihnen zugewiesenen Tätigkeiten verrichten.
Für die ausgefallene Arbeitszeit werden wir eine entsprechende Gehaltskürzung vornehmen.
Sollten sich derartige oder ähnliche Pflichtverletzungen wiederholen, müssen Sie mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Mit freundlichen Grüßen
Arbeitsunfähigkeit, Verhalten währendNicht selten ziehen Arbeitgeber eine ordentliche oder sogar außerordentliche Kündigung wegen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers für einen Dritten während ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit ohne vorherige Abmahnung in Betracht.
Das BAG hat schon vor vielen Jahren46 die Ansicht vertreten, Nebenbeschäftigungen während der Arbeitsunfähigkeit könnten eine Kündigung nur rechtfertigen, wenn sie aus Gründen des Wettbewerbs den Interessen des Arbeitgebers zuwiderlaufen oder durch sie der Heilungsprozess verzögert wird. Pauly47 hat diese Rechtsprechung als »praxisfremd« bezeichnet und darauf hingewiesen, dass hier ganz entscheidend der (nach der früheren Rechtsprechung des BAG noch relevante) Vertrauensbereich angesprochen sei.
Auf jeden Fall ist bei einem derartigen Sachverhalt eine Abmahnung als Mindestreaktion gerechtfertigt. Bei besonders eklatanter Verletzung der Treuepflicht durch den Arbeitnehmer kann auch eine sofortige Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommen, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedarf.
Nebenbeschäftigung, während ArbeitsunfähigkeitDies hat das BAG in späteren Entscheidungen bestätigt.48 In diesem Fall hatte der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer fristlos gekündigt, der während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit mehrmals nachts jeweils sechs Stunden bei einer anderen Firma gearbeitet hatte. Das BAG hat zwar nicht abschließend über die Kündigung entschieden, aber den Rechtsstreit auf die Revision des Arbeitgebers an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das LAG habe die Wirksamkeit der Kündigung nicht von vornherein an der fehlenden Abmahnung scheitern lassen dürfen. Wer trotz Krankschreibung den Heilungsprozess dadurch gefährde, dass er während seiner Krankheit schichtweise einer Vollbeschäftigung nachgehe, und das auch noch nachts, verstoße nicht nur gegen Leistungspflichten, sondern zerstöre das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit.