Die aktuelle Situation - Ruth Herzberg - E-Book

Die aktuelle Situation E-Book

Ruth Herzberg

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Beschreibung

Wir dachten, sie sei vorbei, „die aktuelle Situation“, mit täglichen Updates zu Inzidenzen, doch sie bringt uns erst jetzt wirklich an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Ruth Herzberg schreibt an diesem Rand entlang, als alleinerziehende Mutter zweier Kinder, als verzweifelte Liebhaberin und als prekäre Berliner Bohemienne, in einem Furor, der die Erstickungsgefahr durch Lachen und Schreien befreit. Dieser Roman ist zugleich Selbstdarstellung, Bekenntnis, Revenge Porn, Wutanfall, Gesprächsangebot, Kriegserklärung, Anklage, leichte Unterhaltung, Soap Opera, Essay, Überlebensratgeber, Geisterbeschwörung, Verweigerung jeglichen Gehorsams und verstärkte Maßnahme gegen die verstärkten Maßnahmen. „Die aktuelle Situation“ ist die Fortsetzung von Ruth Herzbergs erfolgreichem Roman „Wie man mit einem Mann unglücklich wird“, inklusive Einkäufen mit Handschuhen, steigenden Bitcoin-Kursen, geschlossenen Grenzen, Begegnungen mit selbsternannten Gurus, Home Schooling-Erleuchtungen, Neuen Normalitäten, Permanent Vacation Feelings, Spirit Animals als letzter Rettung – und immer wieder zu viel Liebe und zu wenig Sex oder umgekehrt. „Gut, dass es Ruth Herzberg gibt. Irgendjemand muss für den Alltags-Wahnsinn die richtigen Worte finden.“ Max Scharnigg „Ich lache selten so viel wie bei Ruths Büchern, und ich fühle mich gleichzeitig selten so oft ertappt – und befreit.“ Anna Brüggemann „Ruth Herzberg erzählt mit faszinierender Beschwingtheit von der Krise, die einer alleinerziehende Mutter virtuose Höchstleistungen abverlangt, um ihre Seele zu retten.“ Franziska Hauser „Ruth Herzbergs Buch ist traurig, lustig, brillant. Ich konnte nicht aufhören, das zu lesen.“ Jacinta Nandi Ruth Herzberg wurde 1975 in Ost-Berlin geboren. Nach einem Drehbuch-Studium an der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg widmet sie sich hauptberuflich dem Schreiben von Prosa. Sie lebt und schreibt in Berlin-Prenzlauer Berg.

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Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ruth Herzberg Die aktuelle Situation

Roman

ein mikrotext

ePub-Erstellung: im VerlagCover: Inga Israel

Coverfoto: Hannah HerzbergCovetypo: PTL Attention, Viktor Nübel

Schriften: Myriad Pro, Gentium Book Basic, PT Attention

www.mikrotext.de

ISBN 978-3-948631-21-5

Alle Rechte vorbehalten.

© mikrotext 2022, Berlin

Inhalt

Wir dachten, sie sei vorbei, „die aktuelle Situation“ mit täglichen Updates zu Inzidenzen, doch sie bringt uns immer wieder neu an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Ruth Herzberg schreibt an diesem Rand entlang, als alleinerziehende Mutter zweier Kinder, als verzweifelte Liebhaberin und als prekäre Berliner Bohemienne, in einem Furor, der die Erstickungsgefahr durch Lachen und Schreien befreit.

Dieser Roman ist zugleich Selbstdarstellung, Bekenntnis, Revenge Porn, Wutanfall, Gesprächsangebot, Kriegserklärung, Anklage, leichte Unterhaltung, Soap Opera, Essay, Überlebensratgeber, Geisterbeschwörung, Verweigerung jeglichen Gehorsams und verstärkte Maßnahme gegen die verstärkten Maßnahmen.

Die aktuelle Situation ist die Fortsetzung von Ruth Herzbergs erfolgreichem Roman Wie man mit einem Mann unglücklich wird, inklusive Einkäufen mit Handschuhen, steigenden Bitcoin-Kursen, geschlossenen Grenzen, Begegnungen mit selbsternannten Gurus, Home Schooling-Erleuchtungen, Neuen Normalitäten, Permanent Vacation Feelings, Spirit Animals als letzter Rettung – und immer wieder zu viel Liebe und zu wenig Sex oder umgekehrt.

Ruth Herzberg

Die aktuelle Situation

Roman

ICH FANG JETZT wieder an zu schreiben. Ja, ich schreibe ab jetzt jeden Tag alles auf.

Hab ja nur noch das. Hab ja keinen mehr, der mir zuhört.

Ich stehe ja jetzt mit den Kindern alleine da.

Eric Blanc – das ist natürlich nicht sein echter Name – also, Eric Blanc, also Eric. Eric, mein Ex, der Vater meiner Kinder, kommt erstmal nicht nach Berlin zurück. Bis vor ein paar Wochen, bis Ende Januar, haben wir uns die Kinderbetreuung noch geteilt. Sie waren eine Woche bei mir und eine bei ihm. Dann verstarb seine Mutter, und er musste nach Paris, um ihre Wohnung aufzulösen und zu renovieren und zu vermieten.

Anfang März wollte er wieder hier sein. Anfang März hörte ich nichts von ihm. Ich rief ihn heulend an.

„Komm bitte zurück, ich kann nicht mehr, ich brauche eine Pause, ich bin seit Wochen im Dienst, ich kann nicht mehr, die ganze Zeit die Kinder und früh aufstehen und arbeiten und Haushalt und ein Liebhaber, der mich quält, anstatt mir beizustehen, ein Liebhaber, bissig und bösartig wie eine Hornisse und kälter und gleichgültiger als ein Stein, ich brauche eine Pause, ich dreh durch, ich will einfach nur schlafen, tagelang schlafen, bittebittebitte.“

Eric Blanc sagte, er könne noch nicht kommen, weil die Wohnung noch nicht fertig renoviert sei, aber nächste Woche sei er wieder da, versprochen, wirklich, wirklich. Aber als ich ihn eine Woche später anrief, sagte er, es ginge nicht, weil: Auto kaputt, Wohnung immer noch nicht fertig und dazu sei ihm der Vorderzahn abgebrochen, er müsse erst noch zum Zahnarzt. Ja, gut, ja, klar. Ich hatte Mitleid mit ihm. Ende März, meinte er. Ende März sei er wieder hier. Da ging das mit Corona schon los. Da waren die Leute schon dabei, die Supermärkte leerzukaufen. Da waren bei Lidl um die Ecke schon die Haferflocken ausverkauft. Na gut, Ende März. Ich war relativ entspannt. Mit meinem Liebhaber lief es gerade wieder. Wir hatten wieder per SMS Kontakt aufgenommen, nach dem letzten Streit. Er ist nämlich auch nicht in der Stadt. Ich dachte, vielleicht wird alles gut, vielleicht wird er in der Corona-Krise aufwachen und erkennen, dass er mich mag, und wir werden einander beistehen und er wird zu mir stehen und Verantwortung übernehmen, für mich und die Kinder. Das ist natürlich kompletter Blödsinn, mein Liebhaber ist, gleich nach Eric Blanc, das bösartigste Wesen, dem ich je begegnet bin.

Der Treulose hat mein Herz zerrissen wie Papier, ich dürfte ihn eigentlich nie wieder sehen und nie wieder mit ihm sprechen. Aber ich bin leider immer noch von ihm infiziert, deswegen schreibe ich ihm manchmal, aber ich glaube, er vergiftet gerade eine andere oder mehrere andere und antwortet nur, um auch auf mich, bzw. meinen Kühlschrank, mein WLAN und mein warmes Bettchen zurückgreifen zu können, wenn er mal wieder in der ­Gegend ist.

Jedenfalls nach ein paar Tagen schrieb er mir nicht mehr zurück und wurde dann sehr gehässig, als ich fragte, warum denn nicht, und ich bräuchte ihn und ich würde mich allein fühlen und ihn vermissen. Er hätte darauf keinen Bock, sagte er, und ich würde ihn nerven. Ich glaube, er hasst mich, ich glaube, noch nie hat mich jemand so gehasst wie mein Liebhaber. Ich war so traurig, ich hätte mich gern für drei Tage mit Substanzen in andere Umlaufbahnen geschossen. Aber ich bin allein mit den Kindern, ich muss funktionieren. Und das Schlimme ist, mein Liebhaber weiß das, und wenn er mich verletzt, verletzt er meine Kinder, denn ich bin nach so einer Nachricht extrem angegriffen und kaum handlungsfähig oder ansprechbar und die Kinder wundern sich: „Mama, was ist denn?“ Und ich muss sagen: „Nichts, es geht gleich wieder. Lasst mich bitte kurz in Ruhe.“ Und das tut mir dann doppelt leid, denn was können die Kinder dafür, dass ich so ein Händchen für Schwachmaten habe? Und eigentlich ist das so extrem frauenfeindlich und menschenfeindlich und bösartig, eine alleinerziehende Mutter zu verletzen, jemand sollte einen Haftbefehl gegen ihn ausstellen. Er kennt meine Kinder und er hat bei mir gewohnt und ich habe ihm durch schwere Zeiten geholfen und anstatt mich zu lieben, hasst er mich und hat einfach null Mitgefühl mit mir und ich muss ihn wirklich wirklich wirklich endlich loslassen. Aber es ist ein Prozess und ein langer Weg. Wir sind schon seit über zwei Jahren nicht zusammen und machen schon seit einem Jahr miteinander Schluss.

Als es dann hieß, sie machen wegen Corona die Grenzen dicht, rief ich Eric an.

„Wenn du jetzt losfährst, schaffst du es noch vor Mitternacht, vor der Grenzschließung nach Deutschland.“

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal solche Sätze sagen muss, das klingt dermaßen nach Zweiter Weltkrieg.

Ich dachte, er hätte ein Interesse, in diesen schweren Zeiten in der Nähe seiner Kinder zu sein. Um sie zu beschützen und zu bewachen.

„Nein, es geht nicht, sie werden mich verhaften“, sagte er. Was? Das klang ja jetzt wirklich nach WW2.

Ja, es gäbe wegen irgendwelcher unbezahlter Bußgelder einen offenen Haftbefehl gegen ihn, Eric Blanc.

„Die schicken jetzt niemand ins Gefängnis“, sagte ich. Denn ich hatte das gerade gelesen. In Deutschland wird jetzt niemand mehr wegen Geld eingebuchtet. Die Corona-Krise kann auch Vorteile haben.

Doch Eric Blanc meinte, er wolle das Risiko nicht eingehen. Mit dem verbeulten Auto würde ihn doch jeder Bulle sofort anhalten.

„Dann nimm den Zug oder das Flugzeug!“, rief ich. Noch schlimmer. Wenn die seinen Pass kontrollierten … Er riet mir noch, wegen Corona nicht mit den Kindern zu kuscheln. Ich legte auf.

Danach musste ich erstmal einen Wodka trinken, gegen die Angst.

Bald ist hier Lockdown, als nächstes folgt der Hausarrest, und wie lange wird es noch etwas zu essen in den Supermärkten geben, wenn die europäischen Lieferketten unterbrochen sind? Es weiß doch kein Mensch, wie lange das alles geht, und ich bin hier allein mit den Kindern. Wer wird sich denn für uns einsetzen, wenn der Bürgerkrieg ausbricht und nur noch das Recht des Stärkeren gilt? Wenn das Militär und die Gangs die Macht übernehmen?

Sie schlossen die Grenzen. Sie schlossen die Schulen. Ich erfuhr durch Zufall, dass Eric Blancs Berliner Wohnung, wo er zur Untermiete wohnte, mittlerweile an jemand anders vergeben ist. Die Kinder haben keinen Vater mehr. Die Kinder dürfen nicht merken, dass ich vor Angst durchdrehe.

Ich gebe mein Bestes. Wir teilen uns den Tag gut ein. Ich mache Listen, was wir an dem Tag jeweils tun wollen, und wir versuchen, das meiste davon zu schaffen, und wenn nicht, wenigstens eine gute Zeit zu haben. Wir spielen, wir scherzen, wir haben Spaß und gute Laune. Ich habe die Nummer meines Liebhabers gelöscht, um ihm nicht in einer schwachen Stunde zu schreiben und ihm damit Gelegenheit zu geben, mich in den Selbstmord zu treiben. Es geht mir fast gut. Ich bin fast stabil. Heute Abend war bei Lidl fast gar keine Schlange und es gab auch wieder Haferflocken. Fast alle Regale waren voll. NOCH.

VORMITTAGS. Die Kinder spielen friedlich mit ihren Duplohäusern und dann gibt es Streit. Spongebob (9) will nicht mit Patrick (5) spielen.

Patrick regt sich auf. „Aber du musst mit mir spielen! Du darfst nicht alleine spielen! Wenn ich mal woanders übernachte, bei Lala oder bei Bela, dann darfst du alleine spielen, sonst nicht!“

„Aber du wirst nicht woanders übernachten“, erklärt Spongebob ihr ruhig. „Es ist Corona-Krise.“

Zum Frühstück wollen sie, dass ich das Glas mit dem Apfelmus aufmache. Sie wollen Apfelmus zum Haferbrei, keinen geriebenen Apfel wie sonst immer. Ich weigere mich zuerst.

„Aber warum denn?“

„Weil ihr erst die frischen Äpfel essen sollt.“

„Aber wir wollen Apfelmus!“

Ich will gerade sagen, nein, das geht nicht, das gibts erst, wenn es keine frischen Äpfel mehr gibt, wenn alle krank sind und niemand mehr da ist, um die Äpfel zu pflücken, zu verpacken, zu liefern, aber das kann ich ihnen doch nicht sagen, ich kann sowas doch nicht zu den Kindern sagen, also tue ich so, als sei alles normal und sage „Na gut“ und schraube ihnen das Apfelmusglas auf und schreibe mir eine Notiz in den Einkaufszettel auf dem Handy: Apfelmus.

Beim Kaffeekochen in der Küche denke ich nach. Ich habe mir letzte Woche noch Kaffeebohnen gekauft, ein Kilo.

Wenn das alle ist, wird es dann noch Kaffee geben?

Oder soll ich mir sicherheitshalber schnellstens noch ein Kilo holen?

„Kaffee!“, schreibe ich ins Handy. Und: „Wodka“ und „Rotwein 2 ד.

Sicher ist sicher.

Ich bin müde. Ich brauche ein Nickerchen.

Die Kinder fragen, ob sie „sich inspirieren lassen dürfen“. So nennen wir das Fernsehgucken ab jetzt. Ich habe ihnen gesagt, wir seien eine Künstlerfamilie und Künstler sehen kein fern. Wenn Künstler fernsehen, dann sehen sie nicht um des Fernsehens willen fern, sondern sie tun es, weil sie sich inspirieren lassen wollen.

ICH FÜHLE MICH SCHULDIG. Hatte ich mir nicht genau das gewünscht? Eine Pause von Allem.

Gerade als ich mir das am meisten wünschte, hat die Regierung es für mich beschlossen.

Lockdown. Pause. Stopp.

Nicht mehr jeden Tag früh aufstehen, Kinder weg­bringen, Haushalt machen, arbeiten, einkaufen, Kinder abholen, Hausaufgaben, Abendessen, spielen, vorlesen, auf­räumen, noch irgendwas machen, schlafen, aufstehen etc.

Ich wollte eine Pause und jetzt habe ich sie.

Aber kaum ist sie da, bin ich auf mich zurückgeworfen, lenkt mich nichts mehr von meinen Gelüsten ab.

Und ich wünsch mir den Bösen her, so nenne ich meinen Liebhaber mittlerweile. „Der Böse“ soll herkommen und es mir besorgen und ich kann an nichts anderes mehr denken und mir ist alles egal und genau das ist mein Problem.

Ich bin zu regressiv, zu unreif.

Ich habe mich nicht im Griff, weil ich keinen habe, der mich beruhigt, und ich habe keinen, der mich beruhigt, weil ich mich nicht im Griff habe.

Es stimmt ja auch: Man kann sich doch nicht immer nur gehen lassen wollen. Aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann.

Der Böse hat mich im Griff, aber beruhigen tut er mich ganz und gar nicht.

Stattdessen macht er mir Vorwürfe, wenn ich ihn um Gnade, Rückhalt und Zuwendung anbettle.

Ich würde mich in Selbstmitleid suhlen. Andere hätten ganz andere Probleme und zwar besonders er.

Ja, genau. Seine Probleme sind größer als meine. Er hat Steuerschulden und seine Mutter ist krank. Eric hat auch kein Geld. Er wird nicht müde, das zu betonen. Und Erics Mutter lebt nicht mehr.

Ja, vergleichsweise geht es mir prächtig. Es stimmt. ­Meine Mutter lebt, mein Rubel rollt. Ich habe nur ein Problem und zwar: immer an der falschen Adresse die falschen Dinge zu fordern. Wer Liebe, Rückhalt, Zuwendung, Aufmerksamkeit oder Unterstützung haben will, sollte sich nicht an Eric Blanc oder den Bösen wenden. Jedenfalls ich nicht. Auch dann nicht, wenn ich niemanden sonst habe. Ist doch eigentlich ganz einfach.

Aber trotzdem.

Alle denken immer, ich sei so super robust und stark, dabei bin ich schwach, ganz klein und schwach. Ich halte gar nichts aus und ich will nur das Eine und es ist klar, dass man mich nur verachten kann, wenn man das weiß.

Die Leute mögen das nicht, wenn ich durchhänge.

Besonders der Böse und Eric wollen nichts davon hören.

Weil man sich dann um mich kümmern müsste.

Aber wer könnte das wollen, sich um mich kümmern.

Ich bin das gar nicht wert, maßlos und schwach wie ich bin.

Das ist einfach nur abstoßend, erbärmlich und abstoßend und durchgeknallt.

Ich muss endlich erwachsen werden und darf nicht mehr so durchgeknallt und triebgesteuert sein.

Ich muss erwachsen werden und mich ­zusammen­reißen und abgrenzen und an was anderes denken.

Jajajajajajajajajajajajajajajaja.

Wenn der Böse nichts mehr mit mir zu tun haben will, weil er mich jetzt nicht mehr braucht, dann will ich eben auch mit niemandem mehr was zu tun haben.

ODER SOLLTEN SPONGEBOB, Patrick und ich doch noch schnell zu Freunden aufs Land fliehen?

Aber da gibts kein WLAN und man kann ja auch nicht immer nur im Wald spazieren gehen.

Falls es dann nächste Woche wieder kalt wird, sitzt man zusammengepfercht um den Ofen in der kleinen Küche.

Alle husten und saufen die ganze Zeit und irgendwann schlagen wir uns die Köpfe ein, weil jemandes Kind zu viel Kekse gegessen hat.

Nein, nein, ich bleibe, wo ich bin. Wo ich bin, siehts mal wieder wüst aus, dabei habe ich doch gestern oder vorgestern oder vorvorgestern erst aufgeräumt.

Ich müsste schon wieder Spülmaschine und Wasch­maschine … und so weiter.

Außerdem: Spongebob und Patrick zerspielen alles.

Sie haben jedes Zimmer mit Wohnungen besiedelt.

„Schau mal, Mama, mein Haus! Hier geht man rein, das ist der Flur, da die Küche, hier schlafen die Eltern, da ist das Kinderzimmer, hier oben das Esszimmer, dort das Arbeitszimmer. Da ist die Terrasse, da der Stall, die Weide ist oben auf dem Tisch, da führt ein Weg hoch, den kann man aber nicht sehen.“

Es gibt Häuser aus Duplosteinen, Legosteinen, aus Bauklötzen, aus Playmobil-Elementen und aus Einzelteilen des großen Schleich-Reiterhofes, den sie zu Weihnachten bekommen haben. Dann sind da noch die Collagen, die wir gemacht haben und die Schnipsel und die Stifte und die Acrylfarben und die Illustrierten und die Scheren und die Wollbommeln.

Wir arbeiten schon an der dritten.

Das ist eine meiner neuen Lieblingsbeschäftigungen: Bommeln machen.

Das ist so meditativ, den wuscheligen Wollfaden durch die Pappringe zu ziehen.

Also, ich bin busy, es ist kaum zu glauben, was es alles zu tun gibt, wenn sonst alles wegfällt.

Die Schule mailt Lehrpläne. Aber wir üben noch kein Mathe, dafür habe ich den Mädchen heute anhand des Verhaltens eines Wassertropfens Adhäsion und Kohäsion erklärt.

Außerdem bringe ich Patrick Lesen bei, damit sie nicht immer den GANZEN TAG mit mir spricht.

Eigentlich gehts mir gerade ganz gut. Die Lage ist stabil. Das bleibt jetzt alles erstmal so, vorausgesetzt, es bleibt erstmal so.

Ja, tuts ja auch, hier passiert ja nichts. Es gibt ja nur noch uns, meine Kinder und mich.

Ich mache, was ich will, ich mache, was die Kinder wollen, ich habe zu tun, ich habe frei, ich kümmer mich, ich ruh mich aus, ich mach mein Ding, ich mach alles, ich mach nichts.

Keine Paras, keine Depression, kein Stress.

Aber wer weiß, was morgen ist. Auf meine Stimmung trifft haargenau dasselbe zu wie auf die Corona-Pandemie-Ausnahmezustands-Gesamtsituation:

Man weiß nicht, wie lange es dauert, aber es geht vorbei.

Ich wette, morgen geht es mir noch besser als heute. Ich finde gerade alles super.

Ich liebe zum Beispiel das Spielplatzverbot. Endlich muss man da nicht mehr hin.

Wir gehen stattdessen spazieren, die Straßen sind leer, alle lächeln einen dankbar an, wenn man einen Bogen um sie macht.

Man will einander nicht mehr infizieren. Man spricht leiser und weniger, damit sich keine virushaltigen Spucke­tröpfchen in der Luft verteilen können.

Ich mag diese Berührungsvermeidung, ich mag die Stille, ich mag die Leere.

Ja, man kann sagen: aus Leben wurde Schweben.

Von mir aus kann es so bleiben.

Sie werden ja, um Himmels Willen, nicht wirklich nach Ostern die Schulen wieder aufmachen. Aber was rede ich. Natürlich nicht.

Ich habe die illegalen Legosiedlungen im Wohnzimmer planiert und dann durften die Kinder sich mal wieder inspirieren lassen, weil ich meine Ruhe haben wollte.

ICH MAG DIE FUNKSTILLE. Der Böse sitzt weit fort in Süddeutschland und kümmert sich um seine Mutter und Reisen ist gerade verboten in Deutschland und es geht ja nicht.

Alle sollen und müssen bleiben, wo sie sind, und der sowieso.

Eric Blanc konnte ich mir noch selber vom Halse schaffen, aber für seinen Nachfolger, den Bösen, brauchte ich Hilfe.

Nur ein Wunder konnte mich vor ihm retten. Ich war so zerrissen, zerrissen wie die Heilige Corona. Die gab es wirklich. Corona starb 170 nach Christus eines grausamen Todes und wurde später als Märtyrerin heiliggesprochen. Zur Strafe dafür, dass sie ihrem Geliebten, dem Heiligen Viktor Mut zugesprochen hatte, während man ihn folterte, band man Corona mit Händen und Füßen an zwei herabgebogenen Palmen fest, durch deren Auseinanderschnellenlassen sie in Stücke gerissen wurde. Ich wurde ebenfalls bei lebendigem Leib, durch Wut und Sehnsucht auf den Bösen, zerrissen. Lebe aber, zerrissen wie ich bin, weiter und heilig spricht mich auch niemand. Im Gegenteil.

Weil ich ja selber schuld bin. Aber was soll ich tun? Ich kann mich doch so schlecht abgrenzen.

Egal, wie böse der Böse zu mir war, egal, wie weit er ging. Ich konnte nicht aufhören, ihm hinterherzulaufen.

Ja, es ist wahr. Ich habe diese allumfassende Gesundheitskrise gebraucht. Ich bin schuld an der Pandemie. Ich habe sie gewollt. Ich habe den lieben Gott um Rettung gebeten, habe schon vor Wochen, habe sogar schon letztes Jahr, habe sogar schon vor zwei Jahren, kurz nachdem ich den Bösen kennenlernte, den Himmel um Hilfe angefleht.

Und siehe da, ich wurde erhört. Der Himmel sandte die Heilige Corona zu meiner Rettung auf die Erde zurück. Nur sie konnte mir den Bösen vom Leibe halten.

Sie kam, setzte mir Grenzen und schloss sie.

DAS SOZIALE IST EIN MUSKEL, der schnell ­erschlafft. Ich habe eigentlich nicht mal mehr Lust zu telefonieren.

Mir gefällt auch die Sache mit dem Abstandhalten draußen ganz gut, und dass man nicht mehr stehenbleiben und sich unterhalten muss, wenn man Bekannten begegnet.

Man winkt einander von Weitem zu und das wars. Ich halte mich fern und das soll man ja auch, weil man es vermeiden soll, sich anzustecken.

Der Feind, das sind ja meist nicht die Fremden, sondern die Vertrauten, weil man ja meistens denen zu nahekommt und dann wirds brenzlig.

Das, was früher asozial war, ist ab jetzt sozial. Ich rufe meine Freunde nur noch selten zurück.

ICH VERGESSE IMMER ALLES.

Wieso ist Covid19 so gefährlich? Warum nochmal werden sie uns jetzt monatelang zu Hause einsperren und dadurch unsere gute Laune, die Wirtschaft und somit Existenzen ruinieren?

Mittlerweile suchen sie verzweifelt Erntehelfer, steht im Facebook.

Vielleicht sollte ich mich melden. Könnte Spongebob und Patrick mit aufs Feld nehmen. Die könnten ja eigentlich auch mal was arbeiten, wenn ichs mir recht überlege.

Die Kinder nerven. Was wollen die die ganze Zeit von mir?

Ich rede doch auch nicht mit denen. Ich sage denen doch auch nicht, dass sie mal gucken sollen, was ich ­Tolles gebaut habe, oder dass ich Hunger habe.

Ich mach mein Ding, die sollen gefälligst ihres machen.

Heute habe ich sie mal eine halbe Stunde früher ins Bett geschickt, also schon um 23 Uhr, damit ich früher Feierabend habe.

Oh, Mann, kann ja wohl nicht wahr sein.

Wie viel Ruhe will ich denn NOCH haben???

Als sie schlafen, gönne ich mir zwei dreifache Wodka oder drei doppelte. Gleich ist die Laune besser.

Nein. Ich darf nicht trinken, vom Trinken bekomme ich so sinnlose Sehnsucht.

Ich vergesse immer alles. Warum nochmal war es mit dem Bösen nicht gut und er nicht für mich?

Horny und haltlos wie ich bin, gerate ich immer mehr in Versuchung, ihm zu schreiben. Wir haben uns auf fünf Kanälen gegenseitig blockiert, aber SMSe sollten eigentlich noch ankommen.

Da rettet mich die Bundeskanzlerin persönlich, indem sie ein Kontaktverbot zwischen den Haushalten ausspricht.

(Bevor sie sich selber in Quarantäne begibt.)

Als getreue Staatsbürgerin unterbreche ich also umgehend meine, in die komplett falsche Richtung führenden Gedankengänge.

Der von mir hochverehrte, österreichische Schrift­steller Heimito von Doderer führte auch Tagebuch.

Im März 1950 schrieb er:

„Man sitzt zwischen den Mauer-Resten eines Lebens und gut ist’s, wenn man über diese hinausschauen kann; aber, wie viele führen ihr Dasein bis ans Ende im dichten eigenen Hause. Viele zwischen Trümmern ihrer selbst, die aber genügen, um die Sicht zu sperren.“

An anderer Stelle steht:

„Situation und Sexualität: Wir können aus der Situation unseres Lebens auch einmal in das Sexuelle geraten; aber die Mehrzahl der Menschen, scheint es, schafft sich durch ihre Sexualität Situationen.“

Jajajajaja …

ICH TELEFONIERE MIT MUTTER. Sie sagt:

„Sie haben sogar die kleine Sandkiste bei uns im Hof gesperrt, da haben doch nur die Kinder aus dem Haus gespielt, absurd!“

Ich antworte: „Nein, gar nicht, wenn die kleinen Kinder da zusammen buddeln und eines von denen hat das Virus und geht damit nach Hause und steckt die Eltern an und am nächsten Tag fährt einer von denen Straßenbahn und so weiter …“

„Ach, hör doch auf zu predigen“, sagt Mutter. „Das weiß ich doch alles.“

„Ja, aber wenn du es weißt, wieso sagst du dann, es wäre absurd …“

„Naja … also wirklich … ist doch übertrieben … die kleine Kiste …“

Mit Mutter zu telefonieren, ist neuerdings ein bisschen so, wie es war, mit dem Bösen Nachrichten zu schreiben: Es eskaliert immer sehr schnell.

Ich reiche das Telefon lieber an die Kinder weiter, bevor es so weit ist.

ICH HABE DAMIT begonnen, Krieg und Frieden zu lesen, und als hätte Tolstoi es geahnt, ist hier gleich auf der ersten Seite die Rede von der Grippe: „Anna Pawlowa hustete seit einigen Tagen, sie hatte, wie sie sagte, die ­Grippe.“

‚Grippe‘ war damals ein ganz neues und nur von ganz wenigen gebrauchtes Wort.

Krieg und Frieden liest sich ja wie ein sehr teuer pro­duzierter Kostümfilm mit Starbesetzung.

Man sieht alles ganz genau vor sich. So detailliert ist die Garderobe aller Personen, jede kleine Geste, jeder Blick, jede Veränderung der Mimik bei der Soirée der Annetta Pawlowna Scherer aufgeschrieben worden.

Ich weiß aber nicht, ob ich das noch lange durchhalte, all die nackten Schultern und Ballkleider, die Ironie und das Französisch, das strahlende Lächeln, die Handküsse und die außergewöhnlichen Schönheiten.

In meinen Mails stoße ich auf eine ungelesene von letzter Woche. Von der Schule.

Ein Infobrief vom Berliner Senat mit „Tipps für Familien“ bezüglich des Zu-Hause-Unterrichtens.

Da Spongebob gerade in der Nähe ist, lese ich ihr die Nachricht vor.

Wir sind geschockt: Da steht, man solle sich morgens den Wecker stellen.

Man soll einen Wochenplan machen und eine Aufgabenliste für jeden Tag.

Hm.

„Wir müssten vielleicht wirklich bald mal anfangen, ein bisschen Mathe zu machen“, sage ich zu Spongebob.

EVERYDAY IS LIKE SUNDAY. Everyday is silent and grey. In der Dämmerung schlüpfe ich noch kurz in den Supermarkt.

Ich lasse meine Handschuhe an, ziehe mir den Schal über Nase und Mund, atme so wenig wie möglich und sammle rasch und verstohlen das Nötigste ins Körbchen.

Es ist ein komplett freudloser Vorgang. Ohne Glitzer, ohne Lust.

Bloß schnell raus hier, aus der Giftzentrale.

Die Kassiererin und ich wechseln sonst immer ein paar Worte miteinander, diesmal sehen wir uns nur traurig an und wünschen uns gegenseitig einen „Schönen Abend“.

Als ob wir noch wüssten, was das ist.

Es ist kurz nach 19 Uhr, als ich mich auf den Heimweg mache.

Es ist Ende März und Frühlingsanfang, aber mir ist, als hätten wir Anfang Februar, zwischen 3 und 4 Uhr morgens.

So kalt ist es, so tief ist die Dunkelheit, so allein bin ich hier draußen.

Auf der anderen Straßenseite brüllt ein Irrer heiser: „Das ist ja schlimmer als nach dem Atomkrieg!!!“

Es liegt kein einziger Hauch von Frühling in der Luft. Die Atmosphäre klirrt wie im sibirischen Winter. Oder ja: Wie nach dem Atomkrieg.

Es ist Anfang Januar. Die Erde dreht sich rückwärts. Bald fängt der Winter an.

BEI REWE HABE ich die neurotische Angst von gestern wieder fallen gelassen. Hab alles angelangt. Ordentlich zugeschlagen. Ganz normal eingekauft. Sushi, Bierchen, Eis am Stiel. Das Körbchen in der bloßen Hand getragen, die Geheimzahl mit nacktem Finger eingetippt.

Bin jemandem so nahe gekommen, dass ich sein Parfüm riechen konnte.

Home-Schooling läuft so mittel. Aber ich verstehe nicht, was Spongebob hat.

MIR macht schriftliche Division Spaß.

Dafür beschäftigen sich beide Mädchen den halben Tag hingebungsvoll mit dem Pferdeausmalbuch, das ich ihnen vom Einkaufen mitgebracht habe.

Vielleicht übergebe ich das dem Lehrer, wenn sie wieder in die Schule gehen dürfen.

Die Collagen, die Wollbommeln, die ausgemalten ­Pferde.

Die Hälfte der Zeit beim Home-Schooling geht damit drauf, dass Spongebob und ich versuchen, die Aufgabenstellung zu verstehen.

Dann macht sie sich ans Werk.

Unterstreichen soll man, Linien ziehen, einkreisen, ­ausmalen und alles verschiedenfarbig!

Ein Viertel der Zeit vergeht infolgedessen beim Stiftwechsel.

Kappe auf, Kappe zu. Ich flehe das Kind an, die richtigen Lösungen doch einfach nur anzukreuzen.

Es weigert sich.

Deswegen würde ich das gern für sie machen, aber sie lässt mich nicht.

Ich bin etwas im Stress, denn es handelt sich um Hausaufgaben, die sie noch vor der „Aktuellen Situation“ ­hätte gemacht haben sollen.

Wie viel Zeit ist noch übrig, wenn man Hälfte und Viertel abzieht?

Gar keine. Ich habe keine Lust mehr und sie auch nicht.

Ich würde mir gern ihre Bücher und Hefte nehmen und den ganzen Mist in einer Nacht einfach Zackzack durcharbeiten. Oder lieber doch nicht. Das Schulbuch redet mit mir im Befehlston. So kann ich nicht arbeiten.

„Erfrage die Dativ- und Akkusativ-Objekte!

Unterstreiche sie unterschiedlich!

Erfrage die Orts- und Zeitangaben!

Unterstreiche sie unterschiedlich!“

Ich lese das und spüre sofort einen wohlbekannten Schmerz. So sprach der Böse zu mir, wenn er wütend auf mich war.

Ich darf nie vergessen, wie bös der Böse zu mir war. Damit ich nicht nochmal auf ihn hereinfalle, falls er wieder Kontakt zu mir aufnimmt.

Aber, aktuelle Situation hin oder her. Ich will infiziert werden, überallhin infiziert werden, hemmungslos infiziert werden und zwar so richtig und zwar von ihm, einzig und allein von ihm.

Jajaja.

Weil er doch so schön ist und ich liebe ihn. Weil er nämlich so einen gut trainierten Body hat und so schönes flauschiges Brusthaar und so eine weiche makellose Haut und überhaupt keine Hornhaut an den Füßen und er riecht so gut. Selbst, wenn wir 48 Stunden am Stück zusammen im Bett verbracht haben oder er sommers spätnachts betrunken hier hereinschneite. Immer duftet er frühlingsfrisch und niemals nach abgestandenem Schweiß oder altem Mann.

Und auch, wenn wir zusammen getrunken und geraucht haben, so schmeckten seine Lippen immer süß und war sein Atem rein und er hat so einen wunderbaren Bizeps und überhaupt ist sein ganzer Körper wie extra für mich erschaffen worden, so gut verschränken wir uns ineinander, gibt es keine Stellung, die wir nicht vorbildlich ausführen können. Also, es gibt an ihm überhaupt keinen einzigen Makel. Seine Proportionen sind absolut perfekt und alles an ihm harmoniert miteinander und mit mir. Seine Arme passen zu seiner Brust und sein Hintern zu seinem Bauch und seine Waden zu seinen Füßen und sein Hinterkopf zu seiner Nase. So wie seine Hände zu meinen Brüsten passen und … so weiter und so weiter … Und stundenlang könnte ich den feinen Schwung seiner Brauen studieren und die Art, wie sich die Lider über seine schönen blauen Augen wölben.

Stundenlang könnte ich seine Hände streicheln, die so weich und kräftig zugleich sind.

Weder plump, noch weibisch. Unvergleichlich, wie ­seine kräftigen Handgelenke Daumen und Unterarm miteinander verbinden und wie es sich anfühlt, all das zu betasten und unter dem festen Gewebe seine mir inzwischen so wohlvertrauten Knochen zu erspüren.

Außer der Stelle unter der Narbe an seinem linken Unter­arm. Da kreischte er auf, wenn ich da rankam, da tat es ihm noch weh.

Also die, wo er sich den in L.A. beim Longboardfahren gebrochen hat. Aber die Stelle auf dem Rist, wo der Idiot von Filmkollegen ihm direkt nach der Landung in Mexico City den Stahlwagen mit der Filmausrüstung drüber geschoben hat, die durfte ich anfassen.

Und seinen süßen kleinen weißen Arsch und seinen …

Mir ist alles egal. Es gibt keinen wie ihn auf der Welt, den ich jemals lieber hatte, lieber habe und jemals lieber haben werde und jemals lieber haben will und das ist eben so und damit muss ich klarkommen und er auch.

Sollen sie doch alle den Kopf schütteln und mich dafür verachten, einschließlich ihm.

Es ist mir egal und es gibt dafür keine rationale Erklärung und ich vermute, dass mich nur deswegen niemand verstehen kann, weil die Leute einander heutzutage eben nicht mehr so richtig lieben können.

Es ist allen immer so wichtig, die Wahl zu haben und zu behalten und nicht den Kopf zu verlieren, und da haben sie recht, und ich werde beim nächsten Mal besser aufpassen und beim nächsten Mal das Gegenüber auf jeden Fall viel weniger lieben, weil das einfach gesünder ist und man mehr vom Leben hat, wenn man weniger liebt.

Denn ich liebe ihn möglicherweise ein wenig zu sehr und davon hat er nichts und ich auch nicht und es bringt ja nichts.

Und dass ich ihn zu sehr liebe, heißt aber nicht, dass ich dumm bin und ihn verkenne und ihn auf ein Podest stelle und ich alles mit mir machen lasse. Das geht ja nicht, schon wegen meiner Kinder geht das nicht, und einen schönen Mann muss man sich leisten können, und ich kanns aber nicht.

ICH ZITIERE JETZT zum Runterkommen einfach ein paar Sätze aus Patricks Deutschbuch:

„Heute schenkt Luise ihrer Mutter Blumen.

Oma kocht den Kindern am Abend ihr Lieblingsessen.

Meine Tante kauft mir in der Stadt ein Buch.

In der Schule erklärt ein Feuerwehrmann den Kindern heute seine Arbeit.

In der Pause teilt uns der Hausmeister auf dem Schulhof die Spielgeräte aus.“