Die Alm - Ein Ort für die Seele - Martina Fischer - E-Book

Die Alm - Ein Ort für die Seele E-Book

Martina Fischer

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Heimkommen wo die Seele wohnt

Die stille Abgeschiedenheit des Berges, fernab vom hektischen Alltag im Tal: Das sind die Sommer von Martina Fischer. Von Almauftrieb bis Almabtrieb übernimmt sie die harte Arbeit einer Almerin, melkt Kühe, macht Butter und Käse, mistet den Stall aus, füttert die Tiere. So lebt sie im ursprünglichen Rhythmus der Jahreszeiten, den Gewalten der Natur ausgeliefert. Doch einsam wird es auf der Alm nie. Ein enges Verhältnis zu den Tieren erfüllt ihr Leben auf eine ganze neue Weise und auch an interessanten Besuchern mangelt es nicht. In diesem Buch will uns die inspirierend bodenständige Autorin an ihrem Alltag, ihren Gedanken und Einsichten aus dem Leben auf der Alm teilhaben lassen.

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Seitenzahl: 315

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Martina Fischer, Jahrgang 1972, ist gelernte Krankenschwester und Ernährungsberaterin. Ihre Leidenschaft gilt der Kräuterheilkunde. Die Sommer 2011 bis 2013 verbrachte sie als Sennerin auf der Rampoldalm und 2015 auf dem Laubenstein in den oberbayrischen Voralpen. Sie lebt mit ihrem Mann in einem schönen alten Bauernhof im Chiemgau.

Martina Fischer

Dorothea Steinbacher

Die Alm

Ein Ort für die Seele

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Copyright © 2016 Kailash, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenBildnachweis: Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Aufnahmen aus dem Archiv von © Martina Fischer.Text- und Bildredaktion: Ute Heek, MünchenUmschlaggestaltung und Innenlayout: ki 36, Sabine Krohberger Editorial Design, MünchenSatz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering ISBN 978-3-641-17872-7V003
www.kailash-verlag.de

Inhalt

1. Einmal Sennerin, immer Sennerin

2. Wie ich Almerin wurde

3. Mein Almjahr beginnt

4. Alles rund um die Rampoldalm

5. Die tierischen Almbewohner

6. Mein Tagesablauf auf der Alm

7. Vom Melken, Buttern und Käsemachen

8. Das Essen auf der Alm

9. Unterwegs im Almgebiet

10. Der Blick in den Himmel – vom Wetter

11. Halbzeit – wie geht es mir?

12. Vom Alleinsein, von Besuchern und Almnachbarinnen

13. Almabtrieb

14. Wieder daheim

15. Und so geht’s weiter

16. So kann man Sennerin oder Senner werden

Glossar

Zum Weiterlesen

Verzeichnis der Rezepte

Dank

© Mathias Neubauer

Einmal Sennerin, immer Sennerin

»Wie kommst du nur dazu, auf die Alm zu gehen …?« Das ist die Frage, die mir stets aufs Neue gestellt wird. Oft mit dem Zusatz: »… also, ich könnte mir das ja überhaupt nicht vorstellen!« Ich schon. Immer wieder. Ich verbringe den Sommer von Mai bis September als Almerin – Sennerin kann man auch sagen, bei uns im Chiemgau werden beide Begriffe verwendet – hoch auf dem Berg. Auf der Alm kümmere ich mich um Kühe, Stall und Weide, stelle Butter und Käse her. Solange ich die Arbeit leisten kann, wird es mich immer wieder auf die Alm ziehen. Was die Faszination ausmacht? Was mir die Zeit auf der Alm gibt? Warum ich schon fast almsüchtig bin? Das habe ich versucht herauszufinden und auf den folgenden Seiten zusammengetragen. Für alle, die mich immer wieder fragen, und für mich selbst: Was ich als Almerin tue, wie mein Leben auf der Alm aussieht, und warum ich für keinen Luxus der Welt meine Zeit auf der Alm eintauschen würde. Fast ein halbes Jahr in und mit der Natur zu leben, mit den Tieren, hoch auf dem Berg, mit weiter Sicht übers Tal, mitten im Wettergeschehen, nah an der Sonne oder im Zentrum tobender Gewitter – das schenkt mir Kraft für das andere halbe Jahr im Tal. Ich muss hart arbeiten, oft bis an die Grenzen meiner körperlichen Kräfte gehen. Und doch empfinde ich nie und nirgends eine solche Zufriedenheit, ein solches Glück, wie auf der Alm, dort tankt meine Seele auf. Den vierten Almsommer habe ich nun schon hinter mir, und eins ist sicher: Es war nicht der letzte …

Wie ich Almerin wurde

Es war ein Samstag im September 2010, ich erinnere mich noch genau. Micha, die Frau meines Cousins, bewirtschaftete in diesem Sommer eine Alm im Wendelsteingebiet, und ich hatte sie schon ein paar Mal dort oben besucht. Bis mittags musste ich arbeiten, aber dann wollte ich sie überraschen – ich sehnte mich schon seit Stunden danach, endlich aus den geschlossenen Räumen hinaus in die frische Luft zu kommen. Ein sonniger Herbsttag, wenn auch kühl. Der frische Wind blies dicke weiße Wolken über den blauen Chiemgauer Himmel – ein Tag, wie gemacht für eine Tour mit dem Mountainbike.

Eine gute Stunde später saß ich schon vor der Almhütte, ein Glas frische Buttermilch vor mir, und merkte, wie die Anspannung von mir abfiel. Lange und ausführlich ratschte ich an diesem Nachmittag mit Micha. Später half ich ihr noch beim Melken, dann fuhr ich heim ins Tal. Um diese Zeit im Jahr wird es schon früh dunkel.

Zum ersten Mal ließ ich an diesem Abend den Gedanken zu, der offenbar schon lange tief in mir drin geschlummert hatte: Warum nicht einmal selbst als Almerin arbeiten? Ich merkte, wie sehr es mich auf die Alm zog, in dieses Leben inmitten der Natur. Ich wollte es versuchen.

Mein Mann Franz teilt zwar meine Begeisterung fürs Wandern und Bergsteigen, fürs Mountainbiken und für die Musik, für Garten und Tiere – aber meine Almerinnen-Idee stieß bei ihm zunächst auf wenig Gegenliebe. Wie sollte das gehen? Würden meine Arbeitgeber mich monatelang freistellen? Wer würde den Haushalt erledigen, während mein Mann – er ist Maurermeister und hat ein kleines Bauunternehmen – außer Haus arbeitete, wer würde sich um den Garten kümmern? Was würden unsere Musikgruppen sagen, wenn ihre Flügelhornistin monatelang ausfiel? Und wie würde es ihm gehen, allein daheim am Abend, in der Nacht, am Morgen, das ganze Wochenende? Wir sprachen stundenlang darüber, nicht nur an diesem Abend, und drehten und wendeten das Für und Wider meines immer dringender werdenden Wunschs, auf die Alm zu gehen. Als Franz schließlich verstanden hatte, dass es sich dabei nicht nur um eine fixe Idee handelte, sondern um ein inzwischen fast schmerzhaftes Sehnen, tief aus dem Bauch heraus, arbeiteten wir Punkt für Punkt ab. Ließ sich mein Herzenswunsch realisieren? Zu unserem Erstaunen fanden wir für jedes Problem eine Lösung, mit der wir beide leben konnten.

All meine Gedanken kreisten in den nächsten Tagen nur um dieses eine Thema. Bald saß ich wieder auf der Alm bei Micha und erzählte ihr, welche Entscheidung ich in der Zwischenzeit getroffen hatte. Mit einem Augenzwinkern meinte sie, das habe sie sich schon lange gedacht und überhaupt hätte sie rein zufällig von einer freien Almstelle fürs nächste Jahr gehört – ganz in der Nähe. Der Bauer Vogt suche eine Almerin für die Rampoldalm. Ein Anruf genügte, und ein paar Tage später saß ich mit der Bäuerin in der Stube.

BEWERBUNGSGESPRÄCH AM KÜCHENTISCH

Ich erzählte Christl Vogt, dass ich aus einer Bauernfamilie stamme und ganz in der Nähe aufgewachsen war, in einem Dorf bei Rosenheim. Meine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft, in der wir drei Geschwister schon früh mit anpacken mussten. Ich ging gerne in den Stall, meist mit meinem Vater. Dabei wurde nicht viel gesprochen, und doch wusste jeder, was zu tun war. Wir waren auf gleicher Wellenlänge und verstanden uns ohne Worte. Beide liebten wir den Umgang mit den Kühen und den Kälbern, den Geruch von Heu, von frisch gemähtem Gras im Sommer und das Geräusch der pulsierenden Melkmaschine. Leider starb mein Vater viel zu früh, ich war erst 18. Auch deshalb bewahre ich die Erinnerung an die intensive gemeinsame Zeit mit ihm wie einen Schatz in meinem Herzen.

Von meiner Mutter lernte ich das Buttern und ein wenig auch das Käsemachen. Als ich noch daheim wohnte, gab es nämlich eine Zeit, in der wir mehr Milch produzierten, als wir an die Molkerei abliefern durften. Da holten wir das alte Butterfass vom Dachboden und kurbelten die Zentrifuge an. So trennten wir den Rahm von der Magermilch. Aus dem Rahm machten wir Butter und aus der Magermilch Quark, auf bairisch Topfen. Wir probierten damals auch Mozzarella und Weichkäse herzustellen, das war weniger schwierig als erwartet. Auf diese Weise lernte ich als Jugendliche schon einiges, das ich später auf der Alm gut brauchen konnte. Auch meine zehnjährige Berufspraxis als examinierte Krankenschwester war keine schlechte Voraussetzung für die Alm. Ich kann mit Kranken umgehen und Verletzte versorgen – ob Mensch oder Tier ist da erst einmal recht egal. Ich arbeite diszipliniert, verliere in schwierigen Situationen nicht gleich die Nerven und halte körperlich schwere Arbeit aus. Alles Pluspunkte, die für mich als Almerin sprachen.

Doch noch war ich nicht eingestellt. Mit der Bäuerin verstand ich mich zwar auf Anhieb sehr gut, und ich hatte den Eindruck, dass sie mich auch gleich mochte. Aber dann kamen nacheinander die drei fast erwachsenen Töchter der Vogts in die Stube, setzten sich für ein paar Minuten dazu und begutachteten mich – wie ich gleich erfahren sollte. Denn als Christl und ich unser »Vorstellungsgespräch« beendet hatten, rief sie die Töchter in die Stube und fragte nur: »Und?«

»Die passt!«, war die knappe Antwort – viel gesprochen wird in Bayern nicht zu solchen Anlässen. Danach kam auch Klaus, der Bauer, noch herein. »Seine« vier Frauen erzählten ihm kurz, dass wir ausführlich geratscht hätten und dass sie mich für die Alm gern einstellen würden. Wir tranken gemeinsam ein Glaserl Wein und gaben uns zur Bekräftigung unseres Vertrags die Hand. Abgemacht! Mit dem Almauftrieb im Mai des nächsten Jahres würde ich die neue Almerin auf der zum Hof gehörenden Rampoldalm werden.

DER HANDSCHLAG GILT!

Juhu, juhu, juhu! Vor Aufregung zitternd setzte ich mich ins Auto und raste nach Hause, um Franz die Neuigkeit mitzuteilen. Meine damaligen Arbeitgeber reagierten tags darauf zunächst nicht erfreut – klar. Zu dieser Zeit arbeitete ich als Verkäuferin in ihrem Sportfachgeschäft. Ich verstand mich sehr gut mit meinen Chefs, Evi und Andi, die Arbeit machte mir Spaß – aber die Vorfreude auf die Alm war größer. Und dann passierte, wofür ich den beiden heute noch dankbar bin: Sie stellten mich für vier Monate von der Arbeit frei, weil sie sagten, es sei zu spüren, wie sehr mir dieser Schritt am Herzen läge. Das war eine ungeheure Befreiung für mich und etwas, was mich erneut an die immer wieder positiven Wendungen in meinem Leben glauben ließ. Schon immer hatte ich ein unglaubliches Vertrauen in das Schicksal, daran, dass es immer irgendwie weitergeht und dass es das Leben gut mit mir meint. Wieder einmal empfand ich mich als echtes Glückskind!

Ich hatte mir nämlich schon einmal in meinem Leben die Frage gestellt, ob es das schon gewesen sein sollte. Nach zehn Jahren Arbeit im Krankenhaus: Tag für Tag, oder – je nach Schicht – Nacht für Nacht die gesamte Arbeitszeit in geschlossenen Räumen zu verbringen. Als Rädchen nach einem engen Zeitplan zu funktionieren, begleitet von Klingeln, Alarm, Hetze und dem Blick zur Uhr. Schon damals war mir klar geworden, dass mir das nicht nur dauernden Stress verursachte – es machte meine Seele unglücklich.

Weil ich mich schon immer für natürliche Ernährung und für Pflanzen interessiert habe, hatte ich neben meiner Krankenhaustätigkeit eine zweijährige Ausbildung zur Ernährungsberaterin absolviert. Außerdem betreute ich in der Zeit zwei häusliche Pflegefälle: meinen Großonkel und meine Großtante – ich pflegte sie in ihrem Zuhause, wie sie sich das gewünscht hatten, bis zu ihrem Ende. Dann kündigte ich im Krankenhaus und fing an, in einem Biomarkt zu arbeiten. Nach ein paar Jahren wechselte ich ins Sportgeschäft. Das hört sich vielleicht nach einer eher sprunghaften Natur an. Doch im Rückblick waren das alles Schritte in die Richtung, in die es mich auch jetzt wieder drängte – Tätigkeiten, die ganz eng verbunden waren mit dem, was ich eigentlich den ganzen Tag tun wollte: draußen sein, mich bewegen, Sport machen, mich mit der Natur beschäftigen, ernten, kochen, Heilpflanzen sammeln.

Jetzt konnte ich all das bisher Gelernte brauchen: Ich freute mich auf meine erste Saison. Endlich raus aus der Enge geschlossener Räume, endlich den ganzen Tag in freier Natur, »hauptberuflich« mit Tieren und Pflanzen umgehen, ein einfaches Leben führen, ohne feste Tages- und Wochenpläne, ganz allein auf mich gestellt, in meinem Reich. Diese Aussicht beflügelte mich in den darauf folgenden Monaten und trug mich leicht wie auf einer Wolke des Glücks durch den beginnenden Winter und das Frühjahr.

© Mathias Neubauer

Mein Almjahr beginnt

Über den Winter lief alles weiter wie vorher: arbeiten, musizieren, üben, Auftritte absolvieren, Haushalt, putzen, kochen, Freunde treffen, feiern. Ganz bewusst genoss ich diese letzten Monate und meinen gewohnten Alltag – bald würde alles anders werden. Langsam, ganz allmählich nur, wurde für mich immer greifbarer, dass ich wirklich ab Mai auf eine Alm gehen würde. Meine Monate im Laden waren gezählt – ab dem frühen Sommer würde ich oben auf dem Berg sein. Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Mein Traum würde bald wahr werden. Ab und zu besuchte ich meine Almfamilie und erfuhr immer mehr über mein zukünftiges Leben auf der Alm, über die Aufgaben, die mich erwarteten, und die Besonderheiten der Rampoldalm.

MEINE AUFGABEN ALS ALMERIN

Meine erste Alm bot gleich das ganze Programm: 40 Koima (Jungkühe), dazu zehn bis zwölf Kaiwe (Kälbchen) und zwei Kia (Milchkühe). Das bedeutete: Die Jungkühe blieben Tag und Nacht draußen auf der Weide, wurden aber täglich einmal gezählt. So stellt man möglichst bald fest, wenn sich eine Kuh verirrt haben sollte oder – was ich mir nicht wünschte – eine verunglückt sein sollte. Die Kälbchen brauchten noch ein paar Tage zur Eingewöhnung und durften die ersten, noch kalten Nächte im Stall verbringen, bekamen Zusatzfutter und Extra-Streicheleinheiten. Die Milchkühe mussten täglich zweimal gemolken und die Milch sofort weiterverarbeitet werden – zu Rahm, Butter, Käse und Topfen. Da die Alm an einem Wanderweg liegt, kommen immer wieder Gäste vorbei, die bewirtet werden wollen. Und die Speisen für die Wanderer werden natürlich auch auf der Alm hergestellt.

© Mathias Neubauer

Auf den meisten Almen befindet sich im Sommer der gesamte Bestand an Jungvieh eines Bauern – ein kostbares Gut. Man trägt also große Verantwortung, das war mir von Anfang an bewusst. Und ich war stolz, dass mein Bauer, Klaus Vogt, mir seine wertvollen Tiere anvertraute.

Doch es gilt nicht nur, die Tiere zu zählen und zu schauen, dass keines abhandenkommt. Eine Almerin muss auch prüfen, ob die Zäune rund um die Weiden noch in Ordnung sind, und sie gegebenenfalls reparieren. Sie muss die über die riesige Weidefläche verstreut liegenden Brunnen und Quellen, aus denen die Tiere trinken, täglich besuchen und nachsehen, ob das Wasser fließt, ob sie nicht verstopft oder verschüttet sind, etwa nach heftigen Regenfällen und kleineren Erdrutschen. Gegen Ende des Sommers kann es passieren, dass bei einem hoch gelegenen Brunnen das Wasser versiegt – wenn das bei allen Brunnen der Fall ist, müssen die Tiere an der Alm getränkt werden.

Eine Almerin ist auch dafür verantwortlich, die Auskehren in den Almwegen frei zu halten. Das sind diese schräg in den Wegen verlaufenden Rinnen, die bei starken Regenfällen und während der Schneeschmelze die Sturzbäche in die Hänge ableiten. Wenn die Auskehren verstopft sind, von Erde und Steinen, würden die Wassermassen die Wege unterspülen oder wegreißen.

Zur Almpflege gehört auch das Schwenden. Die Almwiesen würden ohne Pflege in kürzester Zeit wieder zuwachsen mit Latschen, also Krüppelkiefern, mit Almrausch, Fichten und anderen Bäumchen, deren Samen der Wind auf die fruchtbaren Weideflächen fallen lässt. Diesen Anflug auszurupfen, das Schwenden, ist eine der vordringlichsten Aufgaben einer Almerin. Zum unerwünschten Bewuchs der Almweiden zählen auch Disteln, die von den Kühen als Futterpflanzen verschmäht werden. Sie müssen gemäht oder ebenfalls ausgerissen werden.

Wanderer bewirten durfte ich, musste es aber nicht. Andere Almen liegen in sehr beliebten Wandergebieten an viel begangenen Wegen. Hier macht in der Hochsaison und bei Schönwetter die Bewirtung der Wanderer den überwiegenden Teil der Almarbeit aus. Und viele Almen, das sind die, die man hauptsächlich im Fernsehen sieht, heißen nur noch Alm, sind aber inzwischen weniger Sommerfrische für Kühe als für Urlauber, die dort wie in einer Gastwirtschaft verköstigt werden und sogar übernachten können. Meine wichtigste Aufgabe war die Betreuung der Tiere und die Pflege der Alm. Wenn Zeit blieb, durfte ich Gäste bewirten, war Wichtigeres zu tun, konnte ich die Tür zusperren.

Manchmal wurde mir angesichts der langen Liste der Aufgaben bange, ob ich das alles schaffen würde.

LETZTE VORBEREITUNGEN

Auf meine erste Almsaison versuchte ich mich natürlich so gut wie möglich vorzubereiten. Chrissi, die jüngste Tochter meines Almbauern, ist wie ihre Schwestern von Kindesbeinen an mit dem Almleben vertraut. Sie erklärte mir viel und sollte mir in den ersten Tagen der neuen Saison auf der Alm zur Seite stehen. Das beruhigte mich.

Auch meine Mutter fragte ich noch einmal um Rat, bat sie, mir zu erzählen, wie wir das damals mit der Butterherstellung gemacht hatten. Und wie das noch mal mit dem Käsen ging. Meine Mutter hatte nach dem Tod meines Vaters die Landwirtschaft aufgegeben und später noch einmal einen Partner gefunden. Die beiden waren glücklich, dass ich glücklich war und dass die Tochter quasi in ihre Fußstapfen trat und Almerin wurde. Eine Almerin ist angesehen bei den Bauern – denn sie wissen, was eine Almerin leisten muss. Wer das gut hinkriegt, wer eine gute Almerin ist, vor der haben alle Respekt.

In den Dörfern wurde im beginnenden Frühjahr schon über die neuen Almerinnen geredet: Wer geht auf diese Alm und wer auf jene? Und wer ist eigentlich die neue Sennerin, die auf die Rampoldalm gehen wird?

Der Almwirtschaftliche Verein von Oberbayern, in dem die Almbauern organisiert sind, veranstaltet jedes Jahr im ausgehenden Winter einen mehrtägigen Almlehrgang. Hier lernen die künftigen Senner und Sennerinnen die wichtigsten Grundlagen ihrer Arbeit, hier kann man sich Rat und Hilfe holen (siehe hier). Leider konnte ich vor meiner ersten Saison nicht an diesem Kurs teilnehmen, ich musste ja arbeiten. So besorgte ich mir noch ein Grundlagenbuch über die Käseherstellung, das mir meine Vorgängerin empfohlen hatte. Es gehörte zu meiner bevorzugten Lektüre während der Frühlingsmonate, in denen ich meinen Abschied von daheim vorbereitete. Ja, das wollte ich alles ausprobieren: Weichkäse und Mozzarella, Camembert und Frischkäse. Ich sah schon meine gefüllten Käseregale vor mir.

Klar würde der Bauer ein- bis zweimal die Woche auf die Alm fahren, um den frischen Butter abzuholen. Er könnte mir dann Lebensmittel mitbringen. Aber ich wollte ja möglichst selbstständig zurechtkommen. Gemüselieferungen würde wohl eher mein Mann übernehmen. Ich richtete auf jeden Fall Samentütchen und Saatkästen her, damit ich vor der Hütte Kräuter und Salat anbauen konnte. Aus meinem heimischen Gemüsegarten grub ich ein paar überwinterte Schnittlauchpflanzen aus und setzte sie in Töpfe. Sie würden mir die allerersten Vitamine liefern.

JETZT GEHT’S LOS

Sobald die Almwiesen schneefrei waren, hieß es: Rauf auf die Alm! Jedes Jahr nach dem Winter werden überall die Almhütten hergerichtet und die Zäune neu gezogen. Lawinen, Schneedruck, Murenabgänge setzen vielen Hütten und den Almweiden zu, manche Hütte muss aufwendig repariert werden. Nicht so die Rampoldalm. Hier nämlich gibt es Winterpächter, den Günter und seine Frau Anni. Sie nutzen die Alm von Oktober bis Mai und helfen dem Bauern als Gegenleistung, sie über die Wintermonate in einem guten und sauberen Zustand zu halten. Günter legt vor dem Winter die Zäune um, der Schnee würde sie sonst niederdrücken. Er geht im Winter oft mit den Skiern hinauf und heizt den Ofen ein, damit das Mauerwerk trocken bleibt. Er überprüft, ob durch den Schnee Schäden entstanden sind, und repariert und erneuert das eine oder andere sofort.

© Mathias Neubauer

Vor meinem dritten Almsommer hat er mir geholfen, Löcher im Mauerwerk zu verputzen, damit die Mäuse nicht mehr in die Almhütte und in meinen Käsekeller gelangen konnten. Meine Alm fand ich gut ausgestattet vor: Es gibt dort – neben den nötigen Utensilien für die Milchverarbeitung – auch genügend Ess- und Kochgeschirr, Backformen und vielerlei Küchenwerkzeug – man merkt, dass hier seit Jahrzehnten Almerinnen wirtschaften. Hier werden Kuchen und Brot und Strudel gebacken. Ich habe andere Almen gesehen, auf denen es weder eine Kuchenform noch mehr als zwei Tassen gibt. Da ist dann halt anderes wichtiger.

In wenigen Tagen würde ich hier einziehen! Deshalb putzte ich die Almhütte von oben bis unten einmal durch, ebenso den Stall und schaute nach, ob genügend Brennholz für den Anfang vorhanden war: Günter hatte vorgesorgt, es gab Holz, große und kleinere Scheite, Rindenstücke zum Anheizen, sodass ich vorerst auch kein Kleinholz machen musste.

Meine Almbäuerin, die Christl, schickte mir schön bepflanzte Blumenkästen herauf, die wir vor den Fenstern der Almhütte anbrachten. Frisch gewaschene Vorhänge für die Stube und die Schlafkammer hatte sie auch vorbereitet – jetzt sah die Hütte richtig einladend aus, und ich konnte es kaum mehr erwarten einzuziehen.

WAS NEHME ICH MIT?

Wieder im Tal packte ich mein Auto voll mit Grundnahrungsmitteln: Vom Mühlenladen holte ich mir große Säcke mit Roggen-, Dinkel- und Weizenmehl und einige Kilo Saaten und Flocken zum Brotbacken; für mein Müsli noch Hafer- und Kürbiskerne, Haferflocken, Buchweizen und Hirse. Auch Trockenhefe und getrockneten Sauerteig packte ich ein, dazu kamen Gewürze, Salz und Pfeffer, Essig, Öl, Honig und eine Kiste hausgemachter Marmeladen aus meinem heimischen Vorratsschrank. Und – ich geb’s ja zu – auch einen Vorrat an Schokolade für die Sennerin. Außerdem natürlich ein paar Flaschen Schnaps und Likör, manche mache ich ja selber, andere kaufte ich von einheimischen Brennern – Schnaps gehört dazu auf der Alm. Ein Sack Kartoffeln, ein paar Kilo Linsen und ein paar Packungen Zucker für Kuchen und Strudel – damit würde die Speis gut gefüllt sein. Ich wollte, so weit es ging, autark sein und auch möglichst viel von dem verwenden, was ich im Bergwald und auf den Wiesen an Essbarem vorfinden würde.

Ein Radio mit Batterie nahm ich auch mit. Mal Nachrichten hören, vielleicht Musik, dachte ich mir. Auf jeden Fall mussten meine Instrumente mit auf den Berg: Flügelhorn und Alphorn und ein paar Notensätze. Denn wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem man Alphorn blasen sollte und wo man Weisen spielen konnte, dann doch auf der Alm. Ein paar Bücher packte ich ebenfalls in die Tasche – vielleicht würde mich abends oder wenn es regnete, die Lust zu lesen überkommen?

An Kleidung braucht man sehr wenig. Stallgwand, also Kleidung für die Stallarbeit: lange, strapazierfähige Hosen, alte T-Shirts und Blusen, warme Pullover und Jacken und einige Mützen und Kopftücher, um die Haare aus dem Gesicht zu halten und sich bei den Wanderungen über die Weiden gegen den Wind zu schützen. Gummistiefel für den Stall und die nassen Weidengänge, bequeme, eingelaufene Bergschuhe, wasserdichte Regenkleidung, kurze und lange Berghosen, Unterwäsche in allen »Wärmestufen« und natürlich ein Dirndlgwand, für das eine oder andere Almfest. Das gehört dazu.

Die gute alte Kernseife packte ich auch mit ein, damit konnte ich sowohl mich als auch mal schnell ein Wäscheteil waschen, ein paar Flaschen Shampoo, Zahnpasta, Gesichtscreme, Sonnenschutzmittel für den Anfang und eine kleine Hausapotheke: Tinkturen, Salben und Verbände für leichtere Verletzungen von Mensch – also ich – und Tier – also über 50 Rinder.

All das luden wir am Tag meines Abschieds von daheim in unseren großen Kastenwagen. Dazu meine liebe Katze Maunzi, die sich auf der Alm hoffentlich wohlfühlen würde – für sie hatte ich ein paar Großpackungen Trockenfutter dabei. Franz brachte die kostbare Fuhre mit dem Auto auf die Alm. Ich radelte mit meinem Mountainbike hinterher, das Radl brauchte ich, um schnell mal ins Tal fahren zu können – sei es zum Einkaufen, für einen Besuch daheim oder für einen Auftritt mit der Musik.

ALMAUFTRIEB FRÜHER UND HEUTE

Der Almauftrieb findet meistens zwischen Mitte und Ende Mai statt – je nach Witterung und je nachdem, wie fortgeschritten die Vegetation ist. Die Kühe müssen ja von Anfang an genügend Gras auf der Weide finden. In den letzten Jahren hat sich der Zeitpunkt des Almauftriebs nach vorn verschoben – die Winter waren mild, es lag nicht viel Schnee, und die Almen konnten früher bestoßen werden als in sehr kalten und schneereichen Jahren.

Ich wollte lieber schon ein paar Tage vor dem Auftrieb auf der Alm sein, und so halte ich es auch heute noch. Das gibt mir Zeit, mich schon etwas einzugewöhnen, alles einzurichten, und ich kann mich, wenn es dann so weit ist, voll auf die Tiere konzentrieren. Unglaublich ruhig ist es in diesen ersten ein, zwei Tagen.

Da saß ich nun, vor meinem ersten Almsommer, abends allein in der Stube – draußen vor der Hütte war es noch viel zu kalt zum Sitzen. Mit klopfendem Herzen malte ich mir aus, was mich in den kommenden Monaten wohl erwarten würde: Würde ich das schaffen? Wieder einmal ging mir auf, wie groß das Vertrauen war, das der Bauer in mich setzte. Welche finanziellen Risiken auch in so vielen wertvollen Tieren steckten, für die ich nun hauptverantwortlich war. Hoffentlich würde alles gut gehen, hoffentlich würde ich die Tiere gut über den Sommer bringen und das Vertrauen des Bauern in mich nicht enttäuschen. Genauso wenig wie die großen Ansprüche, die ich selbst an mich stellte: meinen Ehrgeiz, nicht nur alles halbwegs gut rumzubringen, sondern eine hervorragende Almerin zu werden.

Bis vor ein paar Jahren wurden die Rinder wie in den Jahrhunderten zuvor noch zu Fuß aus dem Tal auf die Alm getrieben. Aber das hat sich als für Tiere und Treiber zu strapaziös herausgestellt. Die Wiesen der Nachbarbauern waren das eine Problem, die Tiere bedienten sich hier genüsslich an den feinen Blumen und Kräutern, trampelten das Gras platt und wollten erst mal nicht mehr weitergehen – für die Treiber ein hoffnungsloses Unterfangen. Wenn die Kolonne endlich auf dem schmalen Wanderweg im Wald angekommen war, wurden Mensch und Tier von Mückenschwärmen aus dem Unterholz heimgesucht. Das brachte Panik in die Herde, sodass das Weiterkommen richtig schwierig war. Endlich auf der Alm waren alle am Ende ihrer Kräfte und mit den Nerven fertig – deshalb macht Klaus den Almauftrieb seit einigen Jahren mit dem Viehanhänger. Er bringt die Tiere mit dem Transporter zur Rampoldalm hoch, nicht alle auf einmal, sondern immer nur wenige, an mehreren Tagen nacheinander. Dadurch ist die Herde ausgeglichener und beruhigt sich nach der großen Aufregung schneller. So wird es inzwischen auf den meisten Almen gehandhabt.

Zuerst kommen die Milchkühe. Es ist faszinierend, wie leicht sie sich zurechtfinden und sofort wieder eingewöhnen. Sie springen freudig aus dem Anhänger, denn sie wissen, was sie erwartet. Drei bis vier Almsommer haben sie hier ja schon hinter sich. Es ist lustig zuzusehen, wie sich zwei Kühe freuen können – wie kleine Kinder, die endlich raus zum Spielen dürfen.

© Mathias Neubauer

Alles rund um die Rampoldalm

Die Rampoldalm liegt auf 1244 Metern – das ist ganz schön hoch –, sagen Bekannte, die mich auf der Alm besuchen wollen. Für geübte Berggeher sind die eineinhalb oder zwei Stunden bergauf zwar ein Leichtes, aber um schnell mal nur so, nach der Arbeit, eine Tour zu machen, ist es doch zu viel. Deshalb kommen nach Feierabend vor allem Mountainbiker auf die Rampoldalm.

Als Almerin habe ich einen Almausweis, der mich berechtigt, mit dem Auto bis vor die Hüttentür zu fahren. Anders wäre es viel beschwerlicher, meine Vorräte und meine Habseligkeiten für die Almzeit nach oben zu schaffen. Ansonsten brauche ich auf der Alm kein Auto, bei mir steht nur das Mountainbike vor der Tür. Damit fahre ich hie und da für kleine Besorgungen oder zu einem Geburtstagskaffee ins Tal und strample dann zur Stallzeit wieder nach oben. Das letzte steile Stück schiebe ich mein Radl manchmal, es ist wirklich anstrengend, und wenn ich gleich anschließend zum Melken gehe, muss ich mit meinen Kräften haushalten.

WEGE AUF DIE ALM

Auf meine Alm führen aus dem Tal zwei Wege herauf: Einer ist zwar stellenweise steil und natürlich nicht durchgehend geteert, aber dennoch mit einem normalen Auto befahrbar. Die Strecke verläuft schmal, und manchmal muss man einfach mutig Gas geben, damit man weiterkommt. Aber daran gewöhnt man sich schnell. Wenn man im Voralpenland wohnt, lässt es sich ja kaum vermeiden, dass man immer mal wieder steile Straßen bewältigt.

Früher mussten die Almer alles, was sie brauchten, entweder auf dem Rücken hinauftragen oder mit Lastpferden oder Eseln nach oben transportieren. Wenn ich mir solche Zeiten vorstelle, bin ich, ehrlich gesagt, schon dankbar, dass mein Almbauer mich regelmäßig trägerweise mit Getränken versorgen kann. Er nimmt dann gleich den Butter und Käse mit ins Tal. Ein- bis zweimal die Woche fährt mein Mann zu mir hinauf und bringt mir frisches Gemüse und Obst aus unserem Garten im Tal mit.

Der zweite Weg ist nicht mit dem Auto befahrbar. Der Forstweg endet gut hundert Meter Luftlinie unterhalb meiner Alm, bei meiner Nachbarin auf der Nordseite der Rampoldplatte. Von dieser Alm aus steigt man dann noch in ein paar steilen Kehren auf einem schönen Wiesenweg bis zu mir hoch.

Wer über diesen Weg kommt, steht erst einmal vor dem Stall. Der ist nämlich auf der Westseite an die Alm gebaut, er bildet sozusagen das Bollwerk der Almhütte, denn von Westen kommt das Wetter – der Regen, der Schnee, der Wind. Um die Alm herum geht man dann auf die Ostseite, wo vor dem Hütteneingang der schönste Platz ist: die Terrasse – früher sagte man »Vouhaagl« – mit freiem Blick weit nach Osten und Norden. Manchmal sehe ich von hier aus über hundert Kilometer weit: Im Nordwesten liegt München, die Landeshauptstadt, deren Lichter ich bei klarem Wetter am Horizont ahnen kann. Weit im Nordosten erkenne ich den Bayerischen Wald. Und nicht ganz so weit im Nordosten blicke ich über den gesamten Chiemsee, nach Osten ins Inntal und nach Südosten in die Berchtesgadener Berge.

Bei klarer Sicht erscheint Rosenheim ganz nah, von hier oben sind es nur viele helle Punkte in der Nacht, Gleiches gilt für die ferne Autobahn, die am Nordrand des Gebirges vorbeiführt. Und genauso wie die Dörfer im Inntaler und Chiemgauer Hügelland unmittelbar unterhalb erscheint auch die Autobahn in der Dunkelheit wie eine ferne Seepromenade. Manchmal sieht sie wie das Glitzern der nächtlichen Wellen auf dem weiten Meer aus. Wirklich! Ich sitze regelmäßig vor meiner Hütte und schaue hinunter ins Dunkel über die hügeligen Vorberge bis ins Tal. Rund um mich ist dann nur Dunkelheit, keine Straßenlaternen, kein elektrisches Licht, und ich zünde oft nicht einmal eine Kerze an und benütze meine Taschenlampe nur, wenn es sein muss, damit es ganz finster um mich ist. Da breitet sich unter mir der riesige nachtblaue Teppich mit Tausenden von funkelnden Lichtlein aus – dann fühle ich mich wie am Ufer eines unendlich weiten Meeres und bin einfach nur glücklich. In diesen Momenten hier oben sein zu dürfen ist ein großes Geschenk. Auch meine Gäste sind von diesem Anblick immer wieder fasziniert. Das Schönste für mich ist, dass ich abends hier oben bleiben darf.

Wo sonst kann man das erleben: totale nächtliche Dunkelheit, bei klarem Wetter über mir nur die Sterne und unterhalb die Lichter der »Zivilisation«? Wenn Wolken am Himmel sind oder in nebligen Nächten nicht einmal das. Dann ist die Nacht komplett dunkel – schwarz wie die Nacht, heißt es. Unten im Tal erlebt man nur noch ganz selten, dass die Nacht wirklich schwarz ist. Wenn dann noch über den Wiesenbuckel das Geräusch von gemütlich mampfenden Kuhmäulern dringt, die eins nach dem anderen die feinen Almgrasbüschel abrupfen, wenn dazwischen ab und zu ein leises Glockenbimmeln zu hören ist, dann fühle ich mich am richtigen Platz. Behütet und beschützt von der Natur und den Tieren und dem Leben – das ist Glück, denke ich dann. Wenn ich in solchen Momenten überhaupt etwas denke – meistens fühle ich es einfach nur.

ALMRUNDGANG

Auf der Almterrasse steht ein großer, alter Tisch mit zwei Bänken, auf denen meine Gäste Platz nehmen und auf denen ich sitze, wenn ich Feierabend habe. Oft jedenfalls, denn bei Kälte oder Regen sitze ich natürlich in der Almstube. Die Hütte steht hier am Hang ziemlich ausgesetzt, im Frühling und im Herbst wird es am Abend schnell kalt, und der Wind pfeift erbarmungslos um die Ecke. Vor der Hütte ist außerdem noch Brennholz zum Trocknen aufgestapelt – schön ordentlich, sodass es gerade bis unters Fenster reicht. Das Holz ist abgedeckt mit einem dicken, waagrechten Brett, das die Scheite gegen Regen und Schnee schützt. Das Brett dient mir aber auch als Ablagefläche. Darauf trocknen Milch-, Butter- und Käsegeschirr oder Käsetücher, Bürsten und alles, was luftig und sonnig und – dank des Dachvorsprungs – regengeschützt aufbewahrt werden soll. Blumenkästen mit Geranien und Kräutertöpfe finden dort auch noch Platz. Direkt an der Terrasse habe ich ein schmales Kräuter- und Blumengärtchen angelegt, eigentlich nur ein Beet, aber darin wächst alles, was mir hier oben wirklich kostbar ist, weil ich es täglich zum Kochen und für die Zubereitung von Tee verwende: Ringelblumen und Kornblumen, Borretsch, Schnittlauch, Petersilie, Zitronenmelisse und ein paar Sommerblumen, die auch hier oben gedeihen. Die Terrasse und der kleine Vorplatz sind von einem Zaun umgeben, sodass die Kühe nur bis zum hinteren Bereich der Almhütte gelangen, dem Stall.

© Mathias Neubauer

Vor dem Stalleingang steht eine Viehtränke, ein Brunnen, der aus einem riesigen Holzstamm gearbeitet ist. Er ist immer mit Wasser gefüllt. So können die Tiere schon ihren Durst löschen, wenn sie noch vor dem verschlossenen Stall stehen und aufs Melken warten.

Meine Alm verfügt über fließendes Wasser in der Küche und sogar im Bad – was nicht selbstverständlich ist. Diesen Luxus hat der Almbauer vor Jahren schon für seine Almerinnen eingebaut, und dafür sind wir ihm sehr dankbar. Ich genieße es wirklich, an kalten Tagen meine Haare mit warmem Wasser waschen zu können, mich unter der Dusche richtig aufzuwärmen. Auf vielen Almen ist es noch so wie früher: Da gibt es nur einen Wassertrog vor der Alm, aber keine Wasserstelle in der Hütte. Und an diesem Trog muss die Almerin sich selbst, das Geschirr und ihre Kleidung waschen.

Allerdings nehme ich es, wie es kommt. Das ist für mich eine Herausforderung: Wenn es nur kaltes Wasser gibt, ist das völlig in Ordnung, damit komme ich gut zurecht. Früher gab es auf keiner Alm eine heiße Dusche, und ich finde, das muss auch nicht sein. Das Leben auf einer Alm war schon immer einfach, und ein Teil meiner Liebe zum Almleben rührt daher, dass ich mich diesem einfachen Leben stellen möchte. Es hat für mich einen gewissen Reiz, zu testen, wie ich damit umgehen kann. Lieber freue ich mich über das gute, klare Quellwasser, statt mich zu grämen, dass es kalt ist.

HÜTTENFÜHRUNG

Wenn man in die Stube tritt, sieht man auf der rechten Seite das Herzstück der Alm, den riesigen Herd mit einem langen Ofenrohr in den Kamin. Er ist Wärmequelle und Kochstelle in einem, hier brennt die ganze Almsaison über ein Feuer – von halb fünf Uhr früh oft bis spät in die Nacht, da man ja zum Spülen des Milch- und Käsegeschirrs morgens und abends heißes Wasser braucht. In der Stube ist es deshalb immer wohlig warm, ganz gleich, ob draußen 25 oder minus fünf Grad herrschen. An der hinteren Wand der Stube, rechts, über Eck mit dem Herd, ist die Spüle: Hier stehen, wenn nicht gerade abgespült wird, verschiedene Käseformen und der Topfen zum Abtropfen. Darüber ein Bord mit den wichtigsten Utensilien, von der Schöpfkelle bis zum Milchthermometer. Links daneben befindet sich schon die Tür zum Stall. Anschließend, an der gleichen Wand links das zweite Herzstück der Stube: die ehrwürdige gusseiserne Zentrifuge, fast so hoch, wie ich groß bin. Oben schütte ich die frisch gemolkene Milch hinein – der Trichter fasst rund 30 Liter –, und unten kommt sie in ihre beiden Bestandteile getrennt wieder heraus: rechts der Ausfluss für die Magermilch und links der Hahn für den Rahm, die Sahne. Daraus wird dann der Butter gemacht. So ganz von selber läuft die Zentrifuge natürlich nicht: Sie hat eine Handkurbel, die ich kräftig drehen muss, das braucht Kraft – doch dazu später mehr.

Neben der Zentrifuge, an der linken Stubenwand, wird im schönen, alten Küchenbüfett das Ess- und Kochgeschirr aufbewahrt: oben, im Vitrinenaufsatz, die Tassen und Kannen, Gläser und Krüge; unten, hinter den beiden Schranktüren, die Teller und Brotzeitbrettl, die Töpfe und Pfannen. Ich weiß nicht, wie oft ich den gesamten Satz Gläser, Brettl und Teller durchgespült habe: einige Hundert Male? Wenn ich im Sommer viele Wanderer bewirte, kann es schon sein, dass mir zwischendurch einmal das Geschirr ausgeht.

In der vorderen Stubenecke, gleich links vom Eingang, steht der große, schwere Holztisch mit einer gemütlichen Eckbank entlang der Stubenwand. An diesem Tisch wird nicht nur gegessen und getrunken, geratscht und gelesen. Es ist auch der Arbeitstisch. Die einzige Arbeitsfläche im Raum, der Küche und Stube, Arbeits- und Wohnzimmer gleichzeitig ist. An dem Tisch knete ich Brot- und Strudelteig, hier portioniere und verziere ich den Butter, hier schreibe ich meine Rezepte auf und schneide die Kräuter für Tee und Tinkturen klein. Ein Tisch genau so, wie ich ihn gern mag: mit einer dicken, massiven Holzplatte. Obwohl er noch keine Antiquität ist, hat der Tisch schon ein »Gesicht«; er ist nicht mehr nagelneu, und die Gebrauchsspuren erzählen von seiner Geschichte. Man sieht Messerschnitte und Kerben, die vielleicht von einer Kurbel oder einem Werkzeug stammen. Es macht mir Freude, auf der blank gescheuerten Holzplatte Hefeteig zu kneten oder einen Strudelteig hauchdünn auszuziehen. Das Holz lebt, und mit jedem Strudelteig mehr wird die Patina schöner.

Die Zimmerecke oberhalb des Tischs ist traditionell der Platz für den Herrgottswinkel. Das ist auf der Alm nicht anders als im Tal. Nur, dass man sich hier oben dem Herrgott vielleicht noch ein Stückchen näher fühlt als drunten. Die eine Almerin ist gläubiger, die andere weniger. Doch wenn ein starkes Unwetter aufzieht, zündet noch jede Sennerin die schwarze Wetterkerze an. Diese schlichten oder mit einem Gnadenbild verzierten, aber immer rabenschwarzen Kerzen kennt man im Alpenraum schon seit dem 16. Jahrhundert. Wer sie anzündet, bittet darum, dass Felder, Haus und Hof, Mensch und Tier vor Schaden bewahrt werden. Neben der Tür hängt ein Kreuz mit einem frommen Spruch: »Herr, segne dieses Haus und alle, die da gehen ein und aus.« Es ist ein tröstlicher Spruch, der mir das Gefühl gibt, dass da noch jemand ist, der auf einen aufpasst.

Auf dem Bord an der Wand stehen auch noch ein paar unscheinbare Dinge, die man täglich braucht, ebenso wie Erinnerungsstücke: die Kerzen für sturmumtoste Nächte, Zündhölzer, Geburtstagskarten und ein getrocknetes Sträußchen mit Bergblumen, das vielleicht einmal ein Geschenk war von einem Besucher, der der Almerin viel bedeutet hat.

© Mathias Neubauer

Überm Tisch hängt die Stubenlampe, die, wenn die Sonne ausreichend scheint, von der Solarzelle auf dem Dach gespeist wird. Sie gibt einen Abend lang etwas Licht, das immerhin heller ist als der Schein einer Kerze.