Auf der Alm und im Tal - Martina Fischer - E-Book

Auf der Alm und im Tal E-Book

Martina Fischer

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Beschreibung

Martina Fischer lebt mit ihrem Mann in einem alten Bauernhaus im Chiemgau und versorgt sich aus Überzeugung das ganze Jahr über so weit wie möglich selbst. Während die beliebte Autorin den Sommer über die Alm bewirtschaftet, Kühe mit der Hand melkt und zwei ungestüme Bergziegen im Zaum hält, geht ihr Mann auf die Jagd, verwurstet Wildfleisch oder bringt die Ernte im heimischen Garten ein. Birkensaft zapfen, wilde Beeren und Kräuter sammeln, buttern und käsen, Nüsse und Holunder verarbeiten - dieses Buch enthält viele Geschichten, Rezepte und praktische Anleitungen, die Lust machen, sich mit den Gaben der Natur selbst zu versorgen.

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Seitenzahl: 258

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Inhalt

Was bisher geschah

Neues Jahr – neue Alm

Der Selbstversorgerfrühling

Unsere Wurzeln

Bald geht’s los! Die letzten Vorbereitungen

Almauftrieb

Franz geht auf die Jagd

Hochsommer auf der Alm

Ein Schlachtfest wie früher

Wieder daheim

Wie geht es weiter?

Glossar

Rezepte von A bis Z

Literatur und nützliche Adressen

Dank

jedes Jahr auf der Alm verbringe, tragen mich durch Herbst und Winter. Ich bewahre so viele Glücksmomente im Herzen, so viele wundervolle Bilder im Kopf, dass ich auch diese Zeit im Tal nun ganz bewusst genießen kann.

Inzwischen bin ich in beiden Welten zu Hause, in beiden Welten glücklich. Auch das Leben im Tal, in unserem kleinen Dorf, koste ich nun ganz anders aus. Mein Mann Franz und ich haben ein ehemaliges bäuerliches Anwesen renoviert und ausgebaut, inmitten von Wiesen und Weiden, mit Blick in die Chiemgauer Berge und ganz nah am wunderschönen Simssee gelegen. Von Großtante und Großonkel habe ich den Bauernhof vor zwei Jahrzehnten geerbt. Sie hatten keine Nachkommen und übergaben mir ihren Hof dafür, dass ich sie mehrere Jahre lang bis zu ihrem Tod in ihrem Zuhause gepflegt habe. Bis heute bin ich ihnen dafür dankbar.

Franz und ich haben uns ein gemütliches Heim geschaffen, wir bestellen den Gemüsegarten, kümmern uns um die unzähligen Obstbäume, wir achten und bewahren die alte bäuerliche Kultur. Zwar stehen keine Kühe mehr in unserem Stall, aber wir haben immer einen kleinen Tierpark hier. Ganz wie früher, als sich die Bauernhöfe durch eine Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten auszeichneten, weil sie in erster Linie zur Selbstversorgung der Bewohner dienten und weniger zum Gelderwerb. Wir halten neben unseren Katzen immer Hühner, manchmal Enten und Gänse, und ab und zu kommen für einige Zeit Schweine, Ziegen oder Schafe dazu.

Die Tiere dürfen dann im Sommer mit mir das Almleben genießen. Franz ist zwar als Maurermeister mit einem kleinen Bauunternehmen selbstständig und kann sich seine Zeit relativ frei einteilen, aber obendrein noch die Tiere zu versorgen wäre zu viel. Denn auch bei ihm ist der Sommer die Haupterwerbszeit, und er kümmert sich in meiner Abwesenheit ganz allein um Haus, Hof und Garten. Außerdem freuen sich unsere Tiere genauso auf die Almzeit wie ich, da bin ich mir sicher.

Wenn die Natur rund um unser Haus tief verschneit ist, kehrt draußen und drinnen Ruhe ein – Zeit, Kraft zu tanken für das nächste Jahr.

UNSERE PHILOSOPHIE – IN KÜRZE

Die Arbeit und der Wechsel zwischen dem Leben auf der Alm und im Tal waren in den ersten Jahren hart, doch inzwischen habe ich Routine, habe erfahren, wie viel Erfüllung mir diese Monate geben. Inzwischen weiß ich noch genauer, was mir wichtig ist.

Zum Glück sind Franz und ich uns einig darüber, was für uns immer zentraler wird: Wir lieben nicht nur einander, wir lieben auch die Natur, wir freuen uns an jedem Blümchen, an jedem Stück Obst und an jeder Beere, die die Natur uns schenkt. Und wir wollen die Natur erhalten und ihr dankbar sein. Wir schätzen die Nahrung, die sie uns das ganze Jahr über anbietet, und je mehr wir uns mit natürlicher Ernährung beschäftigen, desto weniger wollen wir die industriell verarbeitete Nahrung essen. Lieblos hergestellte, eingeschweißte, ungesunde Lebensmittel, die diese Bezeichnung nicht verdienen – das vermeiden wir, wo es geht. Wir versuchen deshalb, möglichst viel unserer Nahrung selbst herzustellen, mit einem großen Aber: Wir machen daraus kein Dogma. Wir wollen uns nicht stressen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, von heute auf morgen zu kompletten Selbstversorgern zu werden. Dadurch würden wir uns selbst unter Druck setzen, und genau das ist ja nicht unser Ziel.

Im Gegenteil: Wir gehen mit offenen Augen durch die Welt, werden immer aufmerksamer. Wir entdecken Beeren und Wildfrüchte im Wald oder am Wegesrand, wir lernen immer mehr über Kräuter, Bäume, Wildpflanzen und Pilze, die essbar sind, und genießen mit Freuden diese kostenlosen Delikatessen aus der Natur. Gleichzeitig verleihen uns diese Lebens-Mittel eine Grundgesundheit und ein Wohlbefinden, das uns einfach nur guttut und positiv stimmt.

Auf der Alm habe ich zudem oft erfahren, wie hilfreich Kräutermedizin sein kann – einfach weil ich im Akutfall nichts anderes zur Hand hatte. Deshalb habe ich mich gerade in der Wildkräuterkunde fortgebildet und darf mich jetzt »Zertifizierte Fachberaterin für Selbstversorgung mit Wildpflanzen« nennen. Meine Grundausbildung, sie nannte sich »Phyto-Heilkräuterausbildung«, habe ich schon vor einigen Jahren absolviert. So bereite ich auf der Alm meine Kräutertinkturen zu, die mir und den Tieren bei kleineren Blessuren gut helfen. Ich experimentiere auch gern mit Früchten und Kräutern, wobei ganz neue Speisen und Würzmittel entstehen, die ich gerade in der spartanischen Almküche zu schätzen weiß.

Aber auch im Tal, zu Hause, macht es uns großen Spaß, herumzuprobieren und herauszufinden, was man alles selber machen, wie man bestehende Rezepte verändern und neue entwickeln kann.

Und weil immer mehr Freunde, Nachbarn, Almgäste und auch Leserinnen und Leser meines Almbuches nach Rezepten fragen, habe ich meine beliebtesten »Erfindungen« in dieses Buch aufgenommen. Daneben gibt es natürlich wieder die Geschichten, schöne und traurige, aus dem Almalltag der letzten Jahre – es war aufregend!

»MEINE« ALMEN

Nicht weit von der Krottenthaler Alm entfernt fällt der Blick nach Süden auf den fast 2000 Meter hohen Gipfel der Rotwand.

In diesem Sommer werde ich schon zum dritten Mal auf die Krottenthaler Alm ziehen. Sie liegt im Rotwandgebiet, zwischen Bayerischzell und dem Spitzingsee, auf 1437 Metern Höhe – bis jetzt meine höchstgelegene Alm. Viele Menschen sind erstaunt zu hören, dass wir Almerinnen öfter unsere Almen wechseln. Natürlich gibt es auch die, die jahrzehntelang die gleiche Alm bewirtschaften, aber gerade jüngere Almerinnen haben oft Lust, ganz unterschiedliche Bedingungen zu testen, immer wieder an neuen Orten, mit neuen Tieren zu arbeiten, andere Tätigkeiten auszuprobieren, sich neuen Aufgaben zu stellen.

Oft werde ich gefragt, welche Alm nun die schönste, die beste, meine liebste gewesen sei. Doch die gibt es nicht. Jede Alm hat ihre Vorzüge, und für mich ist jede Alm zu ihrer Zeit die richtige. Auch ich bin ja nicht jedes Jahr dieselbe – ich verändere mich, habe andere Ansprüche, andere Vorlieben und Erwartungen. Ich bin dankbar für jede Alm, die ich kennenlernen darf.

Mindestens zwei Sommer auf derselben Alm zu sein, das war in jedem Fall sehr wichtig für mich. Im ersten Sommer muss man ja das Almgebiet, die Bauern, die Tiere und die Gegebenheiten auf dem Berg und um die Hütte kennenlernen. Im zweiten Sommer weiß ich schon, wie alles abläuft, und kann aktiv meine Schwerpunkte setzen, mein persönliches Almjahr gestalten.

Jedes Almgebiet fordert Vieh und Sennerleute auf andere Art, jeder Almbauer ist anders gestrickt. Die Hütten sind unterschiedlich ausgestattet, die Lage ist total verschieden: mal ausgesetzt und windig, mit weiter Sicht, oder geduckt in einer Mulde, mal einsam, mal mehr oder weniger frequentiert.

Bei jeder neuen Alm sage ich spontan: Wow, das ist meine Traumalm, genau so wollte ich das jetzt haben! Und für den Moment, für die Saison, passt es exakt für mich. Ich lasse mich immer ganz auf eine neue Alm ein. Aber je mehr Erfahrung ich habe, desto mehr kann ich natürlich auch selbst einbringen in das Almleben. Von meinen Kenntnissen profitieren ja neben mir auch die Tiere und die Bauersleute.

Die Krottenthaler Alm ist meine dritte Station, nicht nur hoch gelegen, sondern auch die erste ohne Strom.

Die Krottenthaler Alm. Meine kleine Hütte liegt geschützt in einem weiten Kessel, der nach Norden von der 1759 Meter hohen Aiplspitz begrenzt wird.

AUF DER RAMPOLDALM

Die Rampoldalm in Sichtweite des Wendelsteins war meine erste Erfahrung und eine gute Schule. In traumhafter Lage – mit weitem Blick über den gesamten Chiemgau, wie auf einem »Balkon« der Berge hoch über Wiesen, Wäldern und Seen – genoss ich meine ersten Almsommer, durchlebte aber auch Momente der Verzweiflung und Tage der kompletten Überlastung. Täglich die Milchmengen von zwei glücklichen Milchkühen verarbeiten, in stundenlangen Wanderungen fünfzig Stück Jungvieh auf einer riesigen Almfläche rund um den Berggipfel finden und zählen, viele Wanderer bewirten, die ersten zaghaften Versuche, eigenen Käse zu machen, buttern, Topfen herstellen, Brot backen, schwenden – also Disteln und sonstigen unerwünschten Bewuchs entfernen –, Brennnesseln mähen, Stall und Hütte sauberhalten, vier Monate lang jeden Tag um halb fünf aufstehen und meist nicht vor Mitternacht zum Schlafen kommen – und dabei noch Rückschläge verkraften zu müssen wie eine tödlich abgestürzte Kalbin, eine verrückte Ziegenherde, versiegende Brunnen im Hochsommer und Schnee im Juni –, all das forderte mich ungemein und zeigte mir neben der Härte des Almlebens auch meine eigenen Grenzen auf.

Die Rampoldalm liegt auf gut 1200 Metern Höhe, vom Tal aus ist sie mit dem Mountainbike in einer guten Stunde zu erreichen. Deshalb kommen abends oft noch Wanderer oder Bergradler auf die Alm, nach Feierabend, und wollen bewirtet werden. Da hatte ich wenig freie, stille Zeit für mich. Diese erste Almsaison infizierte mich aber trotz aller Widrigkeiten mit dem Almvirus. Und den werde ich vermutlich mein Leben lang nicht mehr los.

Die drei Almsommer im Wendelsteingebiet waren für mich ein Traum. Ich hatte entdeckt, was mich glücklich macht im Leben, und ich wollte besser werden und dazulernen. Deshalb blieb ich im Jahr darauf im Tal, um meine Heilkräuterausbildung abzuschließen. Nach dem Jahr Pause war die Rampoldalm dann besetzt: Die jüngste Tochter des Almbauern war ab jetzt die Sennerin. So musste ich mir eine neue Stelle suchen. Auf der Alm gilt das ungeschriebene Gesetz, dass eine Sennerin so lange bleiben darf, wie sie will – natürlich nur, wenn sie mit den Almbauern gut auskommt. Das tat ich zwar, aber die Fortbildung war mir wichtig gewesen. Ich schickte den Wunsch nach einer neuen Almstelle ins Universum – und prompt traf ich zufällig einen Almbauern, der mich für seine Alm auf dem Laubenstein brauchen konnte.

ZWEITE STATION: LAUBENSTEINALM

Hoch über Frasdorf im Chiemgau verbrachte ich dann anderthalb Sommer auf der Laubensteinalm, denn im zweiten Jahr waren es nur zwei Monate. Franz zuliebe hatte ich schweren Herzens meine Almzeit verkürzt und war nur die zweite Hälfte der Saison auf die Alm gegangen. Allerdings bot sich mir im Frühsommer die Gelegenheit, eine erkrankte Almerin in den Tegernseer Bergen für zwei Wochen zu vertreten – ein kurzer, aber wunderbarer Ausflug und wieder eine neue Erfahrung.

Auch die Laubensteinalm hatte ihren ganz besonderen Reiz. Anders als zuvor beschränkte sich die Aussicht von der Alm auf eine Wiesensenke und den angrenzenden Wald – und natürlich auf die direkt unterhalb liegende Hütte meiner Nachbarin Rosi, mit der ich nicht nur das Stromaggregat, sondern auch die Lust zum Singen und Musizieren teilte. Hätten uns Touristen gesehen, wie wir da abends vor der Hütte saßen und gemeinsam sangen und jodelten, hätten sie nach der versteckten Kamera gesucht. Rosi und ich haben unglaublich viel miteinander gelacht.

Marschierte ich aber zehn Minuten auf den nahen Laubensteingipfel, bot sich eine wunderbare Aussicht, ähnlich wie von der Rampoldalm, auf den Chiemgau von Rosenheim bis fast nach Salzburg, über den Simssee und den Chiemsee mit seinen Inseln und den Segelbooten, die an heißen Wochenenden wie Hunderte kleine Punkte auf der glitzernden Wasserfläche lagen.

Während andere Abkühlung auf dem See suchten, genoss ich auf dem Laubenstein angenehm warme Sommer und ein ruhigeres Almleben als zuvor, denn ich hatte diesmal keine Milchkühe. Das heißt, die komplette Stallarbeit fiel weg: Zweimal am Tag die Kühe von der Weide in den Stall holen, melken, Kühe wieder auf die Weide treiben, Stall ausmisten und saubermachen, die Milch zentrifugieren, den Rahm zu Butter und die Milch zu Käse und Topfen verarbeiten – all das musste nicht erledigt werden.

Elf Mutterkühe mit ihren Kälbern und etliche Jungkühe und Ochsen der alten Simmentaler Rasse verbrachten den Laubenstein-Sommer auf der Almweide, aber die Kälber tranken bei ihren Müttern, alle Tiere waren Tag und Nacht draußen, und ich hatte lediglich darauf zu achten, dass keines verloren ging. Natürlich gab es auch Jungvieh zu zählen, gelegentlich Wanderer zu bewirten, zu schwenden sowie Brunnen und Zäune zu kontrollieren.

Das Stromaggregat für Rosis Melkmaschine stand in meiner Hütte und musste zweimal täglich an- und wieder abgeschaltet werden. Aber der Stall war und blieb leer – ein trauriger Anblick. Die heimelige Wärme, die in einem Stall mit Tieren entsteht, sie fehlte mir. Ich glaube, ich vermisste sogar den Stallgeruch, der doch so oft lästig ist, wenn man ihn nicht aus Kleidern und Haaren rausbekommt. Auch das Käsen und Buttern ging mir ab. Ich hatte in den Jahren auf meiner ersten Alm viele Erfahrungen gesammelt und war begierig darauf, meine Fertigkeiten im Käsemachen auszubauen. So wurde mir immer klarer, was ich eigentlich wollte: eine neue Alm, noch höher gelegen, noch einsamer, aber vor allem mit Milchkühen, weil ich wieder Käse herstellen wollte.

Mein Käsekeller unter der Almhütte. Die Käsepflege ist ein Teil meiner täglichen Arbeit, mit Salzwasser wird jeder Laib abgebürstet.

Neues Jahr – neue Alm

In meinem Traum von der neuen Alm kristallisierte sich allmählich ein deutliches Bild heraus: weniger Menschen, weniger Trubel, dafür mehr Tiere, eine abwechslungsreiche Pflanzenwelt, unbedingt Milchkühe – idealerweise zwei Drittel der Zeit mit, am Ende der Almzeit dann ohne Milchkühe.

Was sich erst einmal paradox anhört, ist auf vielen Almen üblich: Wenn die Kühe auf die Alm kommen, sind sie bereits trächtig und werden bis etwa August zweimal täglich gemolken, anschließend aber trockengestellt. Das heißt, man melkt sie in ihrem hochträchtigen Zustand nicht mehr, damit sie in den letzten Wochen vor der Geburt ihre gesamte Energie auf die Entwicklung des neuen Kälbchens konzentrieren können.

In diesen letzten Wochen der Almzeit würde das Arbeitspensum also abnehmen, mein schöner Almkäse könnte im Keller vor sich hin reifen, ich hätte genug Zeit, um ihn zu pflegen, könnte ausführlich die Natur draußen und das Zusammensein mit meinen Kälbern und den Jungkühen genießen. Auch einfach mal vor der Hütte sitzen, beobachten, nichts tun – vor einigen Jahren noch ein Wunsch, den ich nicht mit mir in Verbindung gebracht hätte. Irgendetwas musste ich immer tun. Nichts zu tun, das hätte ich mir nicht vorstellen können, früher, in meinem durchgetakteten Leben!

So pflegte ich meinen Traum in den letzten Wochen meiner Zeit auf dem Laubenstein – bis eines Tages Martina vor meiner Hütte stand, eine befreundete Sennerin, die ich von verschiedenen Treffen kannte. Ich war gerade vom Schwammerlsuchen gekommen, saß vor der Hütte in der Sonne und putzte die Pilze. Während wir uns unterhielten, kochte ich eine Suppe aus den Schwammerln, und ein paar Semmelknödel hatte ich auch noch, sodass ich Martina zu einem guten Essen einladen konnte. Den ganzen Abend saßen wir gemütlich zusammen und erzählten uns die neuesten Almgeschichten.

Dann, ganz nebenbei, meinte Martina, sie wüsste eine freie Almstelle, die wie für mich gemacht sei. Mit klopfendem Herzen hörte ich ihr zu, wie sie die Alm beschrieb.

ÜBER DIE KROTTENTHALER ALM

Martina selbst arbeitet seit über zehn Jahren auf einer Alm im Spitzingseegebiet, und ihre Nachbaralm, sagte sie, werde im kommenden Jahr vermutlich frei. Über 1400 Meter hoch gelegen, auf der Wetterseite nach Norden und Westen geschützt in einem Kessel liegend, mit weitem Ausblick nach Osten und auf den markanten Rotwandgipfel im Süden – ein schönes Almgebiet mit viel Jungvieh, Kälbchen und ein bis zwei Milchkühen. Meine Aufregung wuchs mit jedem Satz, den ich hörte. Das war genau die Alm, die ich mir erträumt hatte!

Doch als mir klar wurde, dass die Anfahrt zum Talort von unserem Zuhause aus über eine Stunde dauern würde, schoss mir sofort durch den Kopf: »Franz wird das niemals mitmachen! Das ist viel zu weit weg.« Denn mein Mann besuchte mich auf jeder meiner Almen ein- bis zweimal in der Woche nach Feierabend, brachte mir frisches Gemüse und Obst aus unserem Garten mit und alles, was ich gerade brauchte. Niemals würde er eine so lange Anfahrt, die ich ihm ja quasi auferlegen würde, in Kauf nehmen.

Aber ich könnte wieder Käse machen und Butter. Nachts würden die kleinen Kälber im Stall neben meiner Schlafkammer liegen und mich mit ihrem beruhigenden Glöckchengebimmel sanft in den Schlaf geleiten. Ich liebe diese Stimmung und fühle mich dadurch in der Dunkelheit sehr geborgen. Als Martina mir erzählte, dass es dort oben üblich sei, die Milchkühe nur für zwei Drittel der Almzeit auf der Alm zu belassen, glaubte ich endgültig an eine himmlische Fügung, die gerade mir die Botschaft von genau dieser Almstelle geschickt hatte.

»Du hast auf der Alm zwar keinen Strom und musst mit der Hand melken«, sagte Martina noch, »aber das kriegst du sicher hin. Hab ich ja auch geschafft. Und am Anfang könnte ich dir helfen, ich wär dann ja direkt nebendran.« Dusche und warmes Wasser gäbe es natürlich auch nicht, außerdem nur ein Plumpsklo, aber das bin ich ja vom Laubenstein schon gewohnt, damit komme ich zurecht.

Es kämen kaum Wanderer vorbei, denn die Hütte liege abseits der Wanderwege und sei nicht ausgeschildert, erfuhr ich. Nur die Jäger würden regelmäßig auf eine Brotzeit einkehren.

Als am Abend mein Mann zu Besuch kam, erzählte ich ihm bei einem Glas Wein ganz vorsichtig von der neuen Alm. Und dass ich mich gern bewerben würde, aber dass sie natürlich schon sehr weit weg von zu Hause sei. Und dass ich verstehen würde, wenn er keine Lust hätte, nach der Arbeit noch so weit zu fahren.

Franz hörte ruhig zu, sagte erst mal nichts und blieb dann noch gefühlt eine Stunde schweigend sitzen. In seinem Kopf arbeitete es aber, dabei konnte ich förmlich zuschauen.

Endlich holte er tief Luft und meinte trocken: »So schlecht wär das gar nicht. Da könnte ich über Hundham fahren und bei meinem alten Kollegen Joggi vorbeischauen.«

Ich war zunächst sprachlos – und dann einfach nur glücklich. Denn gegen den Widerstand meines Mannes würde ich nicht auf diese Alm gehen, auch wenn es mir schwerfiele.

Den ganzen Abend lang besprachen wir die Details, und schließlich war die Entscheidung gefallen.

Franz – meine große Stütze! Wir geben uns gegenseitig den Raum, unsere Träume zu verwirklichen und möglichst viel Freude in unser Leben und das unserer Mitmenschen zu bringen.

Ein paar Tage später war die Almzeit auf dem Laubenstein zu Ende, und ich bat Martina, bei der Bauernfamilie der neuen Alm anzufragen und mein Interesse zu bekunden.

Inzwischen gibt es für freie Almstellen viele Bewerberinnen und Bewerber, und man muss qualifiziert sein und Glück haben, um seine Wunsch-Alm zu bekommen.

Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben – da rief kurz vor Weihnachten die Bäuerin an und lud mich zu einem Kennenlerngespräch ein. Vor Aufregung zitternd legte ich den Hörer auf und rannte förmlich zu Franz in die Werkstatt, um ihm von meinem Glück zu erzählen. Ich hatte das Gefühl, vor Freude innerlich zu zerspringen. Ja, das würde meine neue Traum-Alm werden – wenn es denn klappte.

Schon nach dem Telefonat hatte ich ein gutes Gefühl, und als wir uns persönlich trafen, war mir schnell klar: Resi und ich, wir haben eine ähnliche Einstellung zum Leben, wir verstehen uns einfach. Als wir nach kurzer Zeit gar nicht mehr über die Alm sprachen, sondern über Gott und die Welt philosophierten, meinte Resis Mann trocken: »Da haben sich ja wieder mal zwei gefunden!« Und ich hatte die Almstelle.

Meine Almbauern der Krottenthaler Alm: Schorsch und Resi. Sie sind (fast) immer entspannt und offen für meine Ideen.

DAS JAHR BEGINNT

Viele Wochen lang wusste nur Franz davon, dass ich die Zusage für die neue Almstelle bekommen hatte. Alle neugierigen Nachfragen beantwortete ich mit einem geheimnisvollen: »Mal sehen, ist noch nichts fix«, obwohl es mir wirklich schwerfiel, mit meiner Begeisterung hinterm Berg zu halten. Es ist nämlich Tradition, ein ungeschriebenes Gesetz, dass man erst mit dem Ende der Weihnachtszeit, erst wenn ganz allmählich die Vorbereitungen für die neue Saison beginnen, erzählt, wer auf welche Alm geht. Vielleicht hängt das mit dem alten Termin des Dienstbotenwechsels Anfang Februar zusammen? Im landwirtschaftlichen Altbayern war es ja üblich, dass am 2. Februar, zu Mariä Lichtmess, Mägde und Knechte auf den Bauernhöfen ihre Stellen wechseln konnten – falls sie das wollten oder falls der Bauer nicht mit ihnen zufrieden war. Sie erhielten dann ihren Jahreslohn, packten ihre Siebensachen und traten nach ein paar freien Tagen eine neue Stelle an.

Jetzt endlich verkündete ich die frohe Botschaft im Freundeskreis: Anfang Juni würde ich für die ganze Almsaison bis Ende September auf die Krottenthaler Alm ziehen, hoch über dem Spitzingsee, in der Nähe der beliebten Tourenziele Rotwand und Taubenstein.

Nun konnte ich ganz offen planen und überlegen. Schon beim Kennenlerngespräch mit meinen neuen Almbauern hatte ich ja erwähnt, dass ich zusätzlich zu Milchkühen, Jungvieh und Kälbern gern meine Hühner mit auf die Alm nehmen würde, und sie waren einverstanden.

SCHWEINE AUF DER ALM

Doch dann tauchte die Idee mit dem Almschwein auf. Es würde sich sein Futter rund um die Alm weitgehend selber suchen, überlegte ich, könnte die Gemüseabfälle aus meiner Küche bekommen und vor allem Magermilch und Molke, die beim Käsen und Buttern in großen Mengen anfallen. Das sind wertvolle vitamin- und eiweißreiche Nahrungsmittel, die mir zu schade sind, um sie einfach wegzukippen. Im Herbst würde das Schwein dann geschlachtet und uns den Winter über mit Fleisch, Speck und Wurst versorgen.

Die Sauen auf der Alm leben das glücklichste Leben, das ein Schwein haben kann: Sie laufen völlig frei auf dem gesamten Gelände und wühlen nach Herzenslust.

In jedem meiner Almsommer hatte ich bis jetzt eine andere Tierart dabei: Im ersten Jahr nahm ich meine Katze Maunzi mit, und diese erste Saison war auch ohne zusätzliche tierische Begleitung aufregend genug. Im zweiten Jahr machte ich die Erfahrung mit einer ganzen Ziegenherde und schwor mir: »Nie wieder Ziegen!« Im dritten Jahr kamen die Hühner dazu. Auf den Laubenstein begleitete mich neben den Hühnern noch der Ganserer Carlos, und nun wollte ich es einmal mit einer Sau probieren.

Auf immer mehr Almen trifft man sie inzwischen, die Almschweine. Noch vor zehn Jahren galt eine Alm mit Schwein als Sensation. Dabei ist nur in Vergessenheit geraten, dass die Schweinehaltung auf der Alm eine lange Tradition hat, eben weil ein, zwei Schweine dort quasi grenzenlosen Auslauf und reichlich Bewegung haben, nach Herzenslust graben und wühlen können, die Reste aus der Milchverarbeitung, etwa Molke oder Magermilch, fressen und bis zum Winter in hochwertiges Fleisch umsetzen. Allmählich wächst eben auch in breiteren Bevölkerungsschichten das Interesse an gutem Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren.

FRAGEN ÜBER FRAGEN

Doch mit Schweinehaltung war ich nicht vertraut und musste mich erst einmal informieren. Wenn ich meine Hühner mit auf die Alm nehme, reichen ein paar Säcke mit Körnerfutter und ein kleiner Verschlag für die Nacht. Mit Sauen kannte ich mich nicht aus. Konnte ich zu einer Sau ein liebevolles Verhältnis aufbauen wie zu einer Kuh oder einem Kalb? Wie reagieren die Rinder auf ein für sie unbekanntes Tier? Kann ich das Schwein zwischen den Kühen herumlaufen lassen oder muss ich es extra einzäunen? Brauche ich einen Extrastall für das Schwein, oder wie bringt man so ein Tier unter? Welches Futter muss ich für die Sau mitnehmen? Fragen über Fragen, die ich Bauern und Almleuten stellte, und allmählich begann die Sache für mich klarer zu werden.

Ich musste mir überlegen, wie alt oder jung das Schwein sein sollte, wenn ich es mit auf die Alm nehme. So eine Sau wird meist im Alter von 8 bis 12 Wochen vom Züchter abgegeben, dann wiegt sie um die 30 Kilogramm. Wenn sie drei bis vier Monate auf der Alm bleibt, erreicht sie ein Schlachtgewicht von mindestens 80 Kilogramm. Je nach Rasse und Art der Haltung kann das Schlachtgewicht aber auch weit über 100 Kilogramm betragen.

Natürlich hört sich das im Moment makaber an: Man denkt an ein süßes kleines Schweinchen, das man mit auf die Alm nimmt, und gleichzeitig schon daran, es zu schlachten. Aber auch für mich ist die Schweinehaltung kein Zeitvertreib, so gern ich die Tiere auch mag, sondern ein Teil unserer Idee, möglichst viele möglichst hochwertige Lebensmittel selbst herzustellen.

DIE PASSENDE RASSE

Mir war wichtig, dass ich ein Tier einer alten, robusten Rasse mitnehme, und auch das Aussehen war mit entscheidend: Eine reine helle Mastschweinrasse wollte ich nicht. Franz und ich wälzten Bücher, schauten ins Internet und nahmen schließlich Kontakt zu verschiedenen Züchtern und Bauern auf, die Erfahrungen mit verschiedenen Rassen haben. In der Theorie fanden wir Rassen wie Duroc und Pietrain und daraus entstandene Kreuzungen interessant, weil Duroc eine hervorragende Fleischqualität haben: schön marmoriertes Fleisch, gut mit Fett durchzogen, aber keine großen Mengen an reinem Fett. Duroc-Schweine gelten auch als sehr gutmütig. Die Rasse Pietrain bringt sehr mageres Fleisch hervor – eine Kreuzung aus beiden Rassen wäre deshalb ideal für unsere Ansprüche.

Dann erfuhr ich von anderen Almleuten, dass die Duroc-Schweine sehr stark grundeln, das heißt, dass sie besonders intensiv mit ihrer kräftigen Schnauze im Boden wühlen und diesen regelrecht umpflügen. Natürlich ist das der normale Instinkt einer Sau, doch wollte ich meinem Almbauern nicht eine komplett umgepflügte Almweide hinterlassen und suchte nach einer weniger aktiven Rasse. Schließlich fanden wir einen Züchter, der trächtige Sauen aus einer Kreuzung von Pietrain und Deutschem Edelschwein hatte, die die Vorteile beider Rassen vereint: Pietrain zeichnet sich durch gutes Muskelwachstum aus, und Muskelfleisch braucht es ja für Schweinsbraten und Schinken, doch ist das Tier enorm stressanfällig. Das Deutsche Edelschwein hingegen gilt als robust und stressresistent.

DARF ICH ÜBERHAUPT?

Meine potenzielle Almsau hätten wir also schon einmal gefunden, nun galt es zunächst, die Zustimmung meines Almbauern zu bekommen. Schweine gelten als Großtiere, die angemeldet und registriert werden müssen wie jedes Tier, das eine Ohrmarke trägt. Mir ist ein gutes Verhältnis zu meinen Bauern sehr wichtig, sein Einverständnis stand für mich an oberster Stelle.

So fuhr ich irgendwann im Februar spontan auf einen Kaffee bei meinen neuen Almbauern vorbei – reichlich nervös, denn ich hatte die beiden bisher ja nur ein einziges Mal, bei meinem Vorstellungsgespräch, gesehen. Zögerlich begann ich Schorsch, den Bauern, zu fragen, ob es denn auf der Alm in der Vergangenheit schon einmal Sauen gegeben habe. »Warum?«, gab er zurück. »Möchtst vielleicht welche mitnehmen?«

Tja, nun musste ich mit der Sprache herausrücken und gestand ihm, dass ich mich schon umgehört hätte und eine Rasse wüsste, die den Almboden nicht zu sehr zerwühlen würde. Das stellte sich tatsächlich als seine größte Sorge heraus. Und ich verstand sie natürlich. Wenn eine Sau den lieben langen Tag frei herumläuft, dann kann sie in zwölf Stunden mal drei, vier Monaten eine Almweide komplett zerstören. Zäunt man die Sau stattdessen ein, verwandelt sie den kleinen Bereich innerhalb des Geheges in wenigen Tagen in reinen Acker, und man muss den Zaun immer wieder versetzen, damit das Tier nicht im Schlamm versinkt.

So wägten wir eine Weile lang das Für und Wider ab, sprachen verschiedene Möglichkeiten durch und einigten uns schließlich: Ich dürfe es versuchen mit einer Sau, meinte Schorsch, aber wenn es zu große Schäden gebe, müsse ich das Tier wieder ins Tal bringen lassen. Das versprach ich und fuhr nach Hause, um meine Pläne zu konkretisieren.

Auch kleine Schweine lieben ihre täglichen Streicheleinheiten.

EIN ODER ZWEI FERKEL?

Sollte ich ein Schwein mitnehmen oder zwei? Da gingen die Meinungen auseinander, jeder Almer erzählte mir etwas anderes. Eine einzelne Sau wäre einsam und deshalb sehr auf den Menschen fixiert, und das wollte ich ja gern. Zwei Sauen werden nicht so zutraulich, sie wachsen angeblich schneller, weil sie sehr futterneidisch sind: Wenn eine frisst, muss die andere sofort auch fressen. Und zwei Schweinchen spielen gern miteinander und haben viel Spaß zusammen. Was tun? Mit dieser Entscheidung quälte ich mich ein paar Tage lang herum, doch dann wurde sie mir von unerwarteter Seite abgenommen: von Resi, meiner Almbäuerin.

Im März besuchte ich den Schweinezüchter, den ich schon ausfindig gemacht hatte, und suchte mir ein entzückendes kleines Ferkelchen aus einem frischen Wurf aus: schweinchenrosa mit vielen schwarzen Flecken. Ein Foto von ihm schickte ich gleich übers Handy an Resi.

Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass Resi sich sofort in mein Ferkel verliebte und mir vorschlug, doch zwei Sauen mit auf die Alm zu nehmen: ein Tier für mich und eines für ihre Familie. So suchte ich gleich noch ein zweites Fleckenferkel aus. Beide Tiere blieben noch einige Wochen beim Züchter, und ich konnte weiter planen.

DER GENIALE SCHWEINESTALL

Jetzt ging es darum, einen Stall für die Sauen zu organisieren. Mein Mann Franz hat immer gute Ideen, und er ist handwerklich versiert – nicht nur als Maurer, denn diesen Beruf hat er gelernt, sondern er kann, wie mir scheint, fast alles. Außerdem ist er ein Meister der Improvisation, und das bewies er nun wieder einmal: mit meinem Saustall. Er erinnerte sich gleich daran, dass im nahen Wald seit Jahren ein ungenutztes, winziges Holzhäuschen herumstand, das im Grunde optimal als Stall geeignet wäre. Wir machten den Besitzer ausfindig und erfuhren, dass es früher als Spielhaus seiner Kinder gedient hatte. Für wenig Geld kauften wir es ihm ab, und Franz begann, das ziemlich reparaturbedürftige Häuschen herzurichten. Er und mein Stiefvater Wast investierten viele Stunden, bis es wieder so stabil war, dass es den Sauen und den Stürmen auf der Alm standhalten würde.

EIN HERZ FÜR ZIEGEN

Im vergangenen Frühling, vor meinem zweiten Krottenthaler Sommer, verliebte ich mich dann neu: in zwei Ziegen. Der Almbauer wunderte sich schon nicht mehr, dass ich meinen Almtierpark noch einmal erweitern wollte. Allerdings reagierte er diesmal verhalten und stimmte meinem Plan nicht spontan zu, und das machte mich stutzig – die Ziegen wühlen ja den Boden nicht auf. Schließlich erklärte er sich doch einverstanden, und ich erfuhr, dass er wegen einer lebhaften Erinnerung an seine Kindheit so gezögert hatte: Sein Großvater hielt damals einen alten Ziegenbock auf der Alm, der offenbar einen so unvergesslich starken Gestank verbreitete, dass Schorsch sich schon in jungen Jahren geschworen hatte, niemals Ziegen anzuschaffen.

Die neugierigen Ziegen versuchen auf allen Wegen, in die Almhütte zu gelangen, um Essbares zu finden. Auch ein offenes Fenster ist immer sehr verlockend.

ZIEGENDESASTER AUF DER RAMPOLDALM

Wer sich über meine neu erwachte Ziegenbegeisterung wunderte, waren alle, die mein Ziegendesaster im zweiten Almsommer auf der Rampoldalm miterlebt hatten. Damals hatte ich – ahnungslos – eine Bande von sieben Ziegen mit auf die Alm genommen: hauptsächlich erwachsene Tiere, nicht erziehbar, frech, eigensinnig und umtriebig. Sie brachten mich nach wenigen Wochen an den Rand des Wahnsinns, sodass ich sie zu meinem großen Bedauern wieder ins Tal schicken musste, denn eigentlich würde ich gern Geißen halten.

Im Nachhinein wurde mir klar, woran es gescheitert war: Hätte es für die Ziegen einen überdachten Unterstand in einem eingezäunten Bereich auf der Weide gegeben, dann hätten sie es dort bei Regen warm und kuschelig gehabt. Denn Ziegen sind außerordentlich wasserscheue und kälteempfindliche Tiere, was mir erst oben auf der Alm klar wurde: Bei den ersten Regentropfen liefen sie laut meckernd in Richtung Kuhstall, drängten sich eng nebeneinander an die Mauer und suchten nach einer Gelegenheit, durch die offene Tür in den warmen Stall zu schlüpfen. Das gelang ihnen des Öfteren, musste ich doch während des Melkens die Tür einen Spalt offen lassen, um die dürftige Beleuchtung zu verbessern. Im Stall sprangen sie wild umher, machten meine Milchkühe nervös, witschten unter den Kälbern durch und hatten nur Unfug im Sinn. Mit einem eigenen Ziegenunterstand hätte ich sie während des Melkens dort einsperren können. So lieb ich sie auch hatte – meine Almsommer blieben erst einmal ziegenfrei.