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Die Ampelkoalition E-Book

Pola Lehmann

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Beschreibung

Nach der Bundestagswahl 2021 kam es in Deutschland zum ersten Mal seit den 1950er-Jahren zu einer Drei-Parteien-Koalition. Was bedeutet das für die politische Repräsentation der Wähler*innen? Und wie wurden die Wahlversprechen in das Regierungsprogramm übersetzt? Die Autor*innen gehen diesen Fragen sowohl allgemein als auch für vier zentrale Politikfelder (Verkehrswende, Bildungsgerechtigkeit, Familie und Beruf, Digitalisierung in der Gesundheitspolitik) nach. Sie untersuchen, was vor den Wahlen versprochen wurde, wie dies Eingang in die Sondierungsgespräche fand und unter welchen Reibungsverlusten es schließlich im Koalitionsvertrag steht.

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Pola Lehmann (Dr.), geb. 1984, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und leitet dort das Manifesto-Projekt. Sie forscht zu politischer Repräsentation, Demokratie, Parteien und automatisierter Textanalyse.Theres Matthieß (JProf. Dr.), geb. 1988, ist Juniorprofessorin für empirische Demokratieforschung an der Universität Trier. Sie forscht und lehrt zu Parteienwettbewerb, Wahlverhalten, politischer Repräsentation, Legitimität und sozialer Ungleichheit.Sven Regel, geb. 1982, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Er arbeitet im Manifesto-Projekt und beschäftigt sich mit Parteien, Abgeordnetenverhalten, politischer Geographie und automatisierter Textanalyse.Bernhard Weßels (Prof. Dr.), geb. 1955, ist kommissarischer Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Pola Lehmann, Theres Matthieß, Sven Regel, Bernhard Weßels

Die Ampelkoalition

Wie wird aus unterschiedlichen Zielen ein gemeinsames Regierungsprogramm?

Für die finanzielle Unterstützung der Publikation der Druckversion dieses Bandes danken die Autor:innen dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2022 im transcript Verlag, Bielefeld © Pola Lehmann, Theres Matthieß, Sven Regel, Bernhard Weßels

Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Print-ISBN 978-3-8376-6332-7 PDF-ISBN 978-3-8394-6332-1 EPUB-ISBN 978-3-7328-6332-7https://doi.org/10.14361/9783839463321 Buchreihen-ISSN: 2364-6616 Buchreihen-eISSN: 2747-3775

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1.EinleitungEine Analyse der Delegationskette von der Wahl zur Koalition

2.Analysestrategie

2.1Das empirische Material: Wahlprogramme, Sondierungspapier und Koalitionsvertrag

2.2Die Methode: Inhaltsanalyse

2.3Der Vergleich

3.Der Wahlkampf 2021

3.1Die Parteien stellen sich auf: Spitzenkandidat:innen und Wahlprogramme

3.2Der Wahlkampf in den Medien

3.3Das inhaltliche Angebot der Parteien im Wahlkampf

3.4Thematische Schwerpunkte und Alleinstellungsmerkmale

3.5Vier Politikziele unter der Lupe

4.Die Verkehrswende in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

4.1Einleitung: Das Politikziel und seine Herausforderungen

4.2Wie wichtig ist es?

4.3Welche Pläne haben die Parteien?

4.4Wie konkret sind die Versprechen?

4.5Wo herrscht Konsens, wo Konflikt?

5.Bildungsgerechtigkeit in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

5.1Einleitung: Das Politikziel und seine Herausforderungen

5.2Wie wichtig ist es?

5.3Welche Pläne haben die Parteien?

5.4Wie konkret sind die Versprechen?

5.5Wo herrscht Konsens, wo Konflikt?

6.Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

6.1Einleitung: Das Politikziel und seine Herausforderungen

6.2Wie wichtig ist es?

6.3Welche Pläne haben die Parteien?

6.4Wie konkret sind die Versprechen?

6.5Wo herrscht Konsens, wo Konflikt?

7.Die Digitalisierung im Gesundheitswesen in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

7.1Einleitung: Das Politikziel und seine Herausforderungen

7.2Wie wichtig ist es?

7.3Welche Pläne haben die Parteien?

7.4Wie konkret sind die Versprechen?

7.5Wo herrscht Konsens, wo Konflikt?

8.Wahlprogramme – Eine gute Grundlage für Wahlentscheidung und Koalitionsverhandlungen?

9.Eine neue Koalition entsteht

9.1Sondierungen – Die Ausgangslage

9.2Sondierungen – Das Ergebnis

9.3Koalitionsverhandlungen und Koalitionsvertrag

10.Die Verkehrswende im Koalitionsvertrag und in den Wahlprogrammen im Vergleich

10.1Einleitung

10.2Was ist drin? Bedeutung des Politikziels, Pläne und Versprechen im Koalitionsvertrag

10.3Wer hat sich durchgesetzt? Rückführung des Koalitionsvertrags auf die Wahlprogramme

10.4Was ist neu? Versprechen im Koalitionsvertrag ohne Vorlage in den Wahlprogrammen

10.5Wie erfolgreich waren die Parteien? Übertragung der Wahlversprechen in den Koalitionsvertrag

11.Bildungsgerechtigkeit im Koalitionsvertrag und in den Wahlprogrammen im Vergleich

11.1Einleitung

11.2Was ist drin? Bedeutung des Politikziels, Pläne und Versprechen im Koalitionsvertrag

11.3Wer hat sich durchgesetzt? Rückführung des Koalitionsvertrags auf die Wahlprogramme

11.4Was ist neu? Versprechen im Koalitionsvertrag ohne Vorlage in den Wahlprogrammen

11.5Wie erfolgreich waren die Parteien? Übertragung der Wahlversprechen in den Koalitionsvertrag

12.Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Koalitionsvertrag und in den Wahlprogrammen im Vergleich

12.1Einleitung

12.2Was ist drin? Bedeutung des Politikziels, Pläne und Versprechen im Koalitionsvertrag

12.3Wer hat sich durchgesetzt? Rückführung des Koalitionsvertrags auf die Wahlprogramme

12.4Was ist neu? Versprechen im Koalitionsvertrag ohne Vorlage in den Wahlprogrammen

12.5Wie erfolgreich waren die Parteien? Übertragung der Wahlversprechen in den Koalitionsvertrag

13.Die Digitalisierung im Gesundheitswesen im Koalitionsvertrag und in den Wahlprogrammen im Vergleich

13.1Einleitung

13.2Was ist drin? Bedeutung des Politikziels, Pläne und Versprechen im Koalitionsvertrag

13.3Wer hat sich durchgesetzt? Rückführung des Koalitionsvertrags auf die Wahlprogramme

13.4Was ist neu? Versprechen im Koalitionsvertrag ohne Vorlage in den Wahlprogrammen

13.5Wie erfolgreich waren die Parteien? Übertragung der Wahlversprechen in den Koalitionsvertrag

14.Bilanz und Ausblick

Anhang

Literatur

Tabellenverzeichnis

Tabelle 4.1: Bedeutsamkeit (Salienz) des Politikziels Verkehrswende in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

Tabelle 4.2: Grad der Konkretheit der Versprechen der Parteien zum Politikziel Verkehrswende

Tabelle 4.3: Anzahl gegensätzlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Verkehrswende

Tabelle 4.4: Anzahl gleicher oder ähnlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Verkehrswende

Tabelle 5.1: Bedeutsamkeit (Salienz) des Politikziels Bildungsgerechtigkeit in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

Tabelle 5.2: Grad der Konkretheit der Versprechen der Parteien zum Politikziel Bildungsgerechtigkeit

Tabelle 5.3: Anzahl gleicher oder ähnlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Bildungsgerechtigkeit

Tabelle 5.4: Anzahl gegensätzlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Bildungsgerechtigkeit

Tabelle 6.1: Bedeutsamkeit (Salienz) des Politikziels Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

Tabelle 6.2: Grad der Konkretheit der Versprechen zum Politikziel Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Tabelle 6.3: Anzahl gleicher oder ähnlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Tabelle 7.1: Bedeutsamkeit (Salienz) des Politikziels Digitalisierung im Gesundheitswesen in den Wahlprogrammen der Parteien 2021

Tabelle 7.2: Grad der Konkretheit der Versprechen der Parteien zum Politikziel Digitalisierung im Gesundheitswesen

Tabelle 7.3: Anzahl gleicher oder ähnlicher Zielsetzungen in den Wahlprogrammen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen

Tabelle A4.1: Gleiche, ähnliche und gegensätzliche Zielsetzungen zur Verkehrswende

Tabelle A5.1: Gleiche, ähnliche und gegensätzliche Zielsetzungen zur Bildungsgerechtigkeit

Tabelle A6.1: Gleiche, ähnliche und gegensätzliche Zielsetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Tabelle A7.1: Gleiche, ähnliche und gegensätzliche Zielsetzungen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 3.1: Positionen der Bundestagsparteien im zweidimensionalen Raum während des Wahlkampfs 2021

Abbildung 3.2: Anteil der Aussagen zu den fünf wichtigsten Themen je Partei in den Wahlprogrammen 2021

Abbildung 3.3: Thematische Alleinstellungsmerkmale der Parteien in den Wahlprogrammen 2021

Abbildung 9.1: Anteil der Aussagen zu den fünf wichtigsten Themen im Sondierungspapier 2021

Abbildung 9.2: Positionen der Ampelparteien, des Sondierungspapiers und des Koalitionsvertrags im zweidimensionalen Raum in 2021

Abbildung 10.1: Rückführung der Versprechen zur Verkehrswende im Koalitionsvertrag 2021 auf die Wahlprogramme der Ampelparteien

Abbildung 10.2: Übertragung der Versprechen zur Verkehrswende aus den Wahlprogrammen 2021 in den Koalitionsvertrag

Abbildung 11.1: Rückführung der Versprechen zur Bildungsgerechtigkeit im Koalitionsvertrag 2021 auf die Wahlprogramme der Ampelparteien

Abbildung 11.2: Übertragung der Versprechen zur Bildungsgerechtigkeit aus den Wahlprogrammen 2021 in den Koalitionsvertrag

Abbildung 12.1: Rückführung der Versprechen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Koalitionsvertrag 2021 auf die Wahlprogramme der Ampelparteien

Abbildung 12.2: Übertragung der Versprechen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus den Wahlprogrammen 2021 in den Koalitionsvertrag

Abbildung 13.1: Rückführung der Versprechen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen im Koalitionsvertrag 2021 auf die Wahlprogramme der Ampelparteien

Abbildung 13.2: Übertragung der Versprechen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen aus den Wahlprogrammen 2021 in den Koalitionsvertrag

1.EinleitungEine Analyse der Delegationskette von der Wahl zur Koalition

»Die Ampel-Parteien müssen ihre Versprechen brechen« (Sauga 11.10.2021) – so titelte der Spiegel, als die Sondierungsgespräche zwischen der SPD, den Grünen und der FDP in Gang kamen. Der Titel macht einesteils die besondere Herausforderung deutlich, vor der das ungewöhnliche Bündnis stand: Es mussten gemeinsame Positionen zwischen diesen unterschiedlichen Partnern gefunden werden. Andernteils verbirgt sich dahinter aber auch eine generelle Skepsis, ob Parteien ihre Wahlversprechen halten, wenn sie in die Regierung eintreten. Beiden Aspekten widmet sich dieses Buch: Welche Bedeutung haben Politikversprechen ganz allgemein und wie hat sich die Situation während der Bundestagswahl und der Regierungsbildung im Jahre 2021 dargestellt?

Die Ampelkoalition ist ein Novum in der Bundesrepublik: ein ungewöhnliches Dreierbündnis und keine Wunschkoalition. Sie ist das erste Dreierbündnis auf der Bundesebene seit den 1950er Jahren und löst eine 16-jährige Phase der »Merkelregierungen« ab: von 2005 bis 2021 war die Christdemokratin Angela Merkel Bundeskanzlerin. In dieser Zeit hat sie vier Regierungen angeführt, davon drei Große Koalitionen mit der SPD, bevor sie sich entschied, im Jahr 2021 nicht erneut anzutreten. Bei dieser besagten Bundestagswahl erlitt die Union einen schweren Verlust. Sie verlor im Vergleich zu 2017 neun Prozentpunkte und war damit nicht mehr stärkste Kraft. Dieses Privileg kam der SPD mit mehr als 25 Prozent der Stimmen und einem Zugewinn von über fünf Prozentpunkten zu. Die meisten Zugewinne erzielten jedoch die Grünen. Sie kletterten von neun auf fast 15 Prozent. Dennoch reichte es am Ende für keine Wunschkoalition: eine rot-grüne Koalition war weit von einer Mehrheit entfernt und auch für Rot-Grün-Rot reichte es nicht. Hier wurden die Folgen der Fragmentierung des Parteiensystems sichtbar. Spätestens mit dem Einzug der AfD 2017 wurde die Mehrheitsbildung im Parlament zu einer Herausforderung und Wunschkoalitionen im »linken« oder »rechten« Lager zu einer Utopie. Die letzten beiden Koalitionsbildungen endeten so in einer Großen Koalition. Besonders nach der Bundestagswahl 2017 wurde dies als Niederlage empfunden; die SPD sträubte sich lange gegen eine Koalition mit der Union, aber nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gab es kaum eine Alternative. 2021 stand die Große Koalition, die rein rechnerisch als einziges Zweierbündnis möglich gewesen wäre, nicht zur Debatte. Stattdessen wurden Dreierbündnisse diskutiert: neben der Ampel wäre die Bildung einer Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP möglich gewesen. In bilateralen Gesprächen wurden die Optionen zunächst sondiert: besonders zwischen Grünen und FDP gab es Redebedarf. Ende November 2021 einigten sich schließlich die Ampelkoalitionäre auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung, einer selbsternannten »Fortschrittskoalition«.

Aber wie war die Ausgangslage und wie hatten sich die sechs Bundestagsparteien thematisch vor der Wahl aufgestellt?1 Welche Positionen haben sie im Bundestagswahlkampf 2021 vertreten? Wie groß war die programmatische Nähe, wie groß waren die Differenzen zwischen den Parteien? Und wie kam es zur Bildung einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP? Worauf haben sich die Koalitionäre geeinigt und wer konnte sich bei welchen Punkten (nicht) durchsetzen? Im Kern geht es also um die Frage, ob und wie weit die Delegationskette vom Wahlergebnis bis zum Regierungsprogramm und Regierungshandeln funktioniert. Mit ihrem Wahlverhalten haben die Wähler:innen eine Auswahl aus den Angeboten der Wahlprogramme getroffen (Thomassen/Schmitt 1997: 168). Die Parteien erhalten damit ein politisches Mandat, und wenn sie zur Mehrheit gehören, ein Regierungsmandat (Manin et al. 1999: 30-33). Was in den Wahlprogrammen der Koalitionsparteien – in Deutschland sind es bisher immer Koalitionsregierungen gewesen – versprochen wurde, sollte im Sinne der Delegationskette in einen Koalitionsvertrag, also ein Regierungsprogramm gegossen werden. Und schließlich sollte erwartbar sein, dass das im Regierungsprogramm Versprochene auch in die Tat umgesetzt wird. Um zu beurteilen, wie gut dieser demokratische Prozess gelingt und wie funktionsfähig die Delegationskette ist, sind Antworten auf die genannten Fragen zu geben.

Das Buch beantwortet diese Fragen zunächst anhand einer generellen Betrachtung der von den Parteien und der Koalition vertretenen Positionen und deren Schwerpunktthemen. Der Hauptfokus liegt aber auf der detaillierten Analyse von vier zentralen Politikzielen: Verkehrswende, Bildungsgerechtigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Analyse erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren, das den Prozess des Wahlkampfs bis zur Regierungsbildung chronologisch widerspiegelt: beginnend mit den Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien, über das Sondierungspapier bis schließlich zum Koalitionsvertrag. In allen Dokumenten werden die enthaltenen Positionen und Versprechen zu den vier Politikzielen identifiziert. Politikversprechen sind definiert als Maßnahmen oder Ziele, zu deren Umsetzung oder Erreichung sich Parteien oder Regierungen verpflichten (Thomson et al. 2017).

Die Auswahl der vier Politikziele steht exemplarisch für relevante Politikbereiche, die für die »Zukunftskoalition« von besonderer Bedeutung sind und einesteils neue Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ansprechen, anderenteils auch weiter zurückreichende Konflikte des gesellschaftlichen Zusammenlebens berühren. Die Politikziele umfassen gesellschafts-, aber auch wirtschaftspolitische Aspekte. Im Kern geht es bei der Familien- und Bildungspolitik um die Umverteilung staatlicher Ressourcen zur Gestaltung einer sozialen Gesellschaft. Bei der derzeitigen Verkehrspolitik mit dem Schwerpunkt auf der Verkehrswende und der Digitalisierungspolitik geht es um zentrale Modernisierungsimpulse mit unterschiedlichen Zielrichtungen: ökologische Nachhaltigkeit einerseits und infrastrukturelle Modernisierung andererseits.

Die Verkehrswende als Politikziel gehört in das größere Politikfeld Verkehr, das seiner Natur nach ein Querschnittsthema ist. Es berührt mehrere Dimensionen, die miteinander integriert werden müssen. Es bedarf der technischen, sozialen, politischen und ökologischen Integration (Schwedes 2019: 205), weil Verkehr als Infrastruktur für Versorgung, Konsum, Produktion und Mobilität von zentraler Bedeutung ist. Das Politikziel Verkehrswende innerhalb der Verkehrspolitik hat eine überragende Bedeutung, da der Verkehr nach der Energieversorgung mit einem Anteil von 20 Prozent zweitgrößter Produzent aller CO2-Emissionen und der einzige Sektor ist, in dem die CO2-Emissionen weiter ansteigen (Schwedes 2019: 194). Demzufolge hat das Politikziel im Zuge der Klimadebatten an besonderer Bedeutung und Relevanz gewonnen. Aber auch jenseits des drängenden Problems der klimaschädlichen Emissionen ergibt sich Handlungsbedarf durch die zunehmende Versieglung der Landschaft für den Straßenbau, gesundheitliche Schäden durch Abgase oder eine wachsende Zahl an Staus. Die Verkehrswende beschäftigt sich mit all diesen Dimensionen der Verkehrspolitik. So geht es zum Beispiel um technologische Innovationen für Fahrzeugantriebe und die Förderung des Umstiegs auf ökologischere Verkehrsmittel. Ministeriell ist das Politikziel hauptsächlich im Bundesministerium für Digitales und Verkehr angesiedelt. Aufgrund der starken ökologischen Dimension des Themas und seiner großen ökonomischen Relevanz im »Land der Autobauer« ergeben sich allerdings auch starke Überschneidungen zu Zuständigkeiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.

Bildungsgerechtigkeit ist eines der zentralen, zeitüberdauernden gesellschaftspolitischen Themen, das aber besonders in den letzten Jahrzehnten – spätestens seit der PISA-Studie von 2000 – an Brisanz gewonnen hat. Auch die Corona-Pandemie hat die Defizite in diesem Bereich verstärkt sichtbar gemacht. Bildungsgerechtigkeit ist aus vielen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Perspektiven zentral. Sie hat einen großen Anteil an den Teilhabe- und Lebenschancen der Menschen, ist aber auch aus ökonomischer Sicht eine wichtige Determinante für das individuelle Einkommen und auch für die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Bildungsgerechtigkeit lässt sich dem größeren Politikfeld Bildungspolitik zuordnen. Bildung liegt in der Kompetenz der Bundesländer. Das wurde direkt im 1949 aufgesetzten Grundgesetz verankert, um eine Zentralisierung und Manipulation der Bildung, wie es im NS-Regime der Fall war, zu vermeiden. Das ist sicherlich ein Grund dafür, warum das Politikfeld bundesministeriell noch nicht so lange verankert ist, wie etwa die Familienpolitik. Ursprünglich wurde Bildungspolitik dem 1955 gegründeten Bundesministerium für Atomfragen zugeordnet, welches 1962 schließlich in Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung umbenannt wurde. Mit der Grundgesetzänderung von 1969 wurden die Bundeskompetenzen in den Bereichen Bildungsplanung und Forschungsförderung erweitert und schließlich ein Ministerium mit »Bildung« im Namen gegründet: das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, heutiges Bundesministerium für Bildung und Forschung (Weingart/Taubert 2006).

Familienpolitik ist schon seit 1953 durch ein Bundesministerium gesichert. Es ist ein zentrales Politikfeld, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht seit langem auf der Agenda und zählt regelmäßig zu den wichtigsten Wahlkampfthemen (APuZ 2017). Familienpolitik insgesamt widmet sich den Rahmenbedingungen für Familien, betreibt also Familienförderung. In der Familienpolitik geht es um soziale Aufgaben und Sozialpolitik; demographische Aspekte und auch seit langer Zeit die Frauenpolitik spielen eine Rolle. Mit dem speziellen Fokus auf der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht es um Geschlechtergerechtigkeit ebenso wie um Lebensgestaltungschancen und arbeitsmarktpolitische Aspekte. Vereinbarkeit von Familie und Beruf berührt damit viele Aspekte, die zum Teil auch in andere Politikbereiche hineinreichen, so wie Kinderbetreuung, Ganztagsschule, Kinderkrankentage und vieles mehr.

Auch das Politikziel Digitalisierung im Gesundheitswesen hat, wie die Verkehrswende, einen Schwerpunkt in der Modernisierung der Gesellschaft. Es ist ebenso wie die Verkehrswende ein zentrales Zukunftsthema, das durch die Corona-Pandemie besondere Dringlichkeit erlangt hat. Hinreichend schnelle und umfassende Informationsvermittlung und -verarbeitung, wie sie durch die Digitalisierung von Informationsströmen möglich sind, stehen hier ebenso im Vordergrund wie darüber hinausreichende infrastrukturelle Probleme in der Kranken- und Altenpflege. Es geht bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen langfristig nicht nur um bessere Informationsbestände, sondern auch um die Frage, ob bestimmte Bereiche der medizinischen Versorgung und der Pflege durch Digitalisierung an Effektivität, Versorgungssicherheit und Qualität gewinnen können. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Datenschutz, da insbesondere Patient:innendaten eine hohe Sensibilität aufweisen, der bei der Digitalisierung Rechnung getragen werden muss. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist ein Teilbereich der Gesundheitspolitik und maßgeblich beim Bundesministerium für Gesundheit angesiedelt.

Neben der spezifischen Betrachtung der Situation in Deutschland zur Bundestagswahl 2021 ist die Motivation dieses Buches auch, einen allgemeinen Beitrag zur Bedeutung von Politikversprechen zu leisten. Die Umsetzung politischer Maßnahmen oder die Erreichung von Zielen zu versprechen, ist zentraler Bestandteil repräsentativer Demokratien. Vor der Wahl gegebene Versprechen sind Teil einer Art Tauschgeschäft: Parteien unterbreiten unterschiedliche politische Angebote und die Bürger:innen machen bei der Partei ihr Kreuz, die ihren eigenen Interessen am nächsten kommt (Downs 1957). Sie sprechen damit den Parteien Vertrauen aus und erwarten, dass nach der Wahl getan wird, was vor der Wahl versprochen wurde (Mansbridge 2003). Allerdings gibt es großes Misstrauen und das Narrativ von Politiker:innen und Parteien, die ihre Versprechen brechen, sobald sie an der Macht sind, ist in der Gesellschaft tief verankert (Naurin 2011) und wird von den Medien reproduziert (Müller 2020). Das ist erstaunlich, denn wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Parteien deutlich mehr als die Hälfte ihrer Versprechen einhalten (Naurin et al. 2019).

Ein Teil der Erklärung für diese Lücke zwischen tatsächlicher Performanz und Wahrnehmung der Bürger:innen könnte in Ländern wie Deutschland dem Umstand geschuldet sein, dass sich Regierungen aus mehreren Parteien bilden. Ein Verhältniswahlsystem wie in Deutschland ist darauf ausgelegt, die Repräsentation der möglichst Vielen und nicht nur die der Mehrheit herzustellen. Das hat Koalitionsregierungen zur Folge, womit wiederum vorprogrammiert ist, dass nicht alle Wahlversprechen umgesetzt werden können, sondern es an vielen Stellen Kompromisse bedarf (Lijphart 2012; Powell 2000). In Koalitionsregierungen ist die Regel nicht eine 100-prozentige Durchsetzung von Parteizielen, sondern der Kompromiss. Insofern sind Versprechen in Wahlprogrammen als die Maximalforderung anzusehen, die in die Koalitionsverhandlung eingebracht wird. Ein Abweichen von diesen Forderungen ist entsprechend nicht zwangsläufig als Versprechensbruch zu beurteilen.

Vor diesem Hintergrund ist auch nicht erstaunlich, dass die durchschnittliche Erfüllungsrate von Wahlversprechen in Deutschland bei 60 Prozent liegt, hingegen in Ländern wie Großbritannien, wo Einparteienregierungen gebildet werden, bei 90 Prozent (Ferguson 2019; Thomson et al. 2017). In solchen Mehrheitswahlsystemen ist das Wahlprogramm identisch mit dem Regierungsprogramm. In Deutschland dagegen wird das Regierungsprogramm erst nach der Wahl im Koalitionsvertrag festgelegt – die Umsetzungsrate von Koalitionsverträgen liegt mit fast 80 Prozent deutlich über jener der Wahlprogramme (Vehrkamp/Matthieß 2018, 2021). Das entlastet die Parteien aber nicht davon, möglichst viel von dem, was sie im Wahlprogramm versprochen haben, auch in das Regierungsprogramm einzubringen zu versuchen. Aus dieser Perspektive ist es besonders relevant zu fragen, auf welche Positionen und Vorhaben sich die Ampelkoalition geeinigt hat und durch welche Parteiprogrammatik der Koalitionsvertrag besonders geprägt ist.

Das Buch gliedert sich in 14 Kapitel. Im folgenden Kapitel wird zunächst der methodische Werkzeugkoffer beschrieben, mit dem die in diesem Buch gestellten Fragen angegangen werden. Die inhaltlichen Quellen für die Analyse, Wahlprogramme, Sondierungspapier und Koalitionsvertrag werden vorgestellt. Es wird geklärt, was überhaupt Positionierungen und Versprechen sind und wie sich inhaltliche Nähe und Distanz zwischen Parteien bestimmen lassen. Im zweiten Teil (Kapitel 3 bis 8) liegt der Fokus auf der Zeit vor der Bundestagswahl 2021. Kapitel 3 führt zunächst in den Wahlkampf ein: Wie hat sich die Situation 2021 dargestellt? Wer ist zur Wahl angetreten und welche Themen und Positionen haben die Parteien ganz allgemein vertreten? Die Kapitel 4 bis 7 wenden den Blick auf die vier fallspezifischen Untersuchungen zu Verkehrswende, Bildungsgerechtigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Digitalisierung im Gesundheitswesen. Hier wird geklärt, wie wichtig diese spezifischen Politikziele für die Parteien waren, wie die Parteien sich zu ihnen positioniert haben, wie konkret die Wahlversprechen waren und wo sich zwischen den unterschiedlichen Parteien Kooperations- und Konfliktpotentiale abzeichneten. Kapitel 8 fasst die Befunde in einem Zwischenfazit zusammen. Im dritten Teil dieses Buches (Kapitel 9 bis 13) geht es schließlich um die Zeit nach der Wahl. In chronologischer Reihenfolge wird dabei in Kapitel 9 zunächst nach den Koalitionschancen und den Sondierungen gefragt. Wie groß sind die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den je drei Partnern einer Ampel aus SPD, Grünen und FDP auf der einen Seite und einer Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP auf der anderen Seite? Und was genau ist bereits im Sondierungspapier der Ampelkoalition gelandet? Auch nimmt Kapitel 9 eine generelle Einordnung der Positionen und allgemeinen Themen im Koalitionsvertrag vor. Im Anschluss erfolgt die detaillierte Analyse des Koalitionsvertrags anhand der vier spezifischen Politikziele. Wie häufig tauchen sie im Koalitionsvertrag auf? Wie positioniert sich der Koalitionsvertrag und wie konkret sind die Versprechen? Schließlich wird in diesen Kapiteln auch geklärt, welche Parteiprogrammatik den Koalitionsvertrag besonders prägt. Wie also lässt sich der Koalitionsvertrag auf die Wahlprogramme zurückführen? Gibt es auch Koalitionsversprechen, die keine Rückführung auf die Wahlprogramme zulassen? Im Schlusskapitel werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst. Wie stellt sich das Bild nun dar? Funktioniert die Delegationskette von den in den Wahlprogrammen festgehaltenen Versprechen zum Koalitionsvertrag? Dieses Kapitel nimmt abschließend eine Einordnung vor, welche Umsetzungschancen Koalitionsverträge allgemein haben, wie sich die spezifische Ausgangssituation für die Ampelkoalition im Besonderen darstellt und mit welchen Herausforderungen die Ampel voraussichtlich konfrontiert sein wird.

1Die CDU und CSU werden in diesem Buch als eine Partei betrachtet. Für die Bundestagswahlen veröffentlichen die Unionsparteien ein gemeinsames Wahlprogramm, das auch Grundlage unserer Untersuchung ist.

2.Analysestrategie

Es geht in diesem Buch darum, zu analysieren, was Parteien vor der Wahl versprochen haben, welche Koalitionspotentiale sich daraus ergeben, und wie die Pläne und Positionen der Koalitionsparteien Eingang in das Regierungsprogramm gefunden haben. Dazu müssen eine Reihe von Fragen geklärt werden. Welche Positionen haben die Parteien in ihren Wahlprogrammen eingenommen? Welche Themen haben sie angesprochen? Was wurde von den Parteien versprochen? Wie konkret und damit überprüfbar sind die Versprechen? Was bedeuten die Versprechen der Parteien in ihren Wahlprogrammen für Nähe und Entfernung, also Koalitionschancen zwischen den Parteien? Und wie finden diese Versprechen Eingang in den Koalitionsvertrag? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es empirisches Material und empirische Methoden, das Material auszuwerten.

2.1Das empirische Material: Wahlprogramme, Sondierungspapier und Koalitionsvertrag

Zur Beantwortung dieser Fragen werden drei Arten von Dokumenten ausgewertet: die Wahlprogramme, das Sondierungspapier und der Koalitionsvertrag. All dies sind Dokumente, die politische Inhalte zu einem bestimmten Zeitpunkt festschreiben und der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Sie spiegeln die chronologische Abfolge des politischen Prozesses und der Delegationskette wider. Vor der Wahl veröffentlichen Parteien ihre Wahlprogramme. In diesen Programmen artikulieren sie, wofür sie stehen. Sie halten ihre Vision für die Zukunft fest und unterbreiten Vorschläge, wie sie die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen meistern wollen. Wahlprogramme haben zuallererst die Funktion, Wähler:innen zu informieren und zu überzeugen, bei der entsprechenden Partei ihr Kreuz zu machen (Merz/Regel 2013). Aber Wahlprogramme haben darüber hinaus mindestens noch zwei weitere wichtige Funktionen: sie bündeln verschiedene innerparteiliche Interessen, binden die Parteifunktionäre und gewählten Repräsentant:innen an diese Ziele und dienen als eine Art parteiinternes Kontrollinstrument, um gegebenenfalls bei Abweichungen gegenzusteuern. Darüber hinaus haben Wahlprogramme die Funktion, potentielle Koalitionspartner zu informieren: die Parteien bekommen gegenseitig einen Eindruck davon, wofür die Mitbewerberinnen stehen und wo es ähnliche Interessen und damit Potential zur Zusammenarbeit gibt.

Die beiden anderen Programme entstehen, nachdem die Wahl stattgefunden hat. Das Sondierungspapier ist unter den drei Programmarten in der Regel das kürzeste. Es ist das Produkt der Sondierungsverhandlung und klopft bereits erste gemeinsame Programmpunkte einer potentiellen Koalitionsgemeinschaft ab. Es dient als eine Art vorbereitendes Dokument, bevor in die ausführlichen Koalitionsverhandlungen eingetreten wird. In der Sondierung geht es noch nicht darum, ein detailliertes gemeinsames Regierungsprogramm zu entwerfen, sondern zu eruieren, ob eine Zusammenarbeit denkbar und machbar wäre. Hier stecken die Parteien rote Linien ab und erörtern, ob es einen gemeinsamen Nenner und das nötige Vertrauen zueinander gibt, auf deren Basis eine gemeinsame Regierungsbildung möglich wäre. Das am Ende der Sondierungen veröffentlichte Sondierungspapier hat vor allem eine Kommunikationsfunktion. Es soll zum einen die Parteimitglieder von der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen überzeugen und zum anderen den Wähler:innen die grobe Vision der potentiellen zukünftigen Koalition skizzieren.

Der Koalitionsvertrag schließlich schreibt als dritter Dokumenttyp das Regierungsprogramm der Koalition fest. Er ist zwar im rechtlichen Sinne kein bindender Vertrag, hat aber trotzdem eine hohe Verbindlichkeit (Strøm et al. 2010). Wie auch die Wahlprogramme hat der Koalitionsvertrag verschiedene Funktionen. Auf seiner Grundlage werden Arbeits- und Zeitplan für das Regierungshandeln entwickelt. Innerhalb der Koalition dient er dazu, sich gegenseitig zu kontrollieren und darauf zu achten, dass der andere Koalitionspartner – etwa durch die Kontrolle eines wichtigen Ministeriums – nicht von gemeinsamen Positionen abweicht (Thies 2001). So wird er auch als entsprechend expliziter Arbeitsauftrag an die Ministerien verstanden, die in ihrem Ressort Aufgabenpakete spezifizieren, um entsprechend der Planung die Gesetze vorzubereiten. Aus Sicht des demokratischen Repräsentationsauftrags der Regierenden ist die wichtigste Funktion aber wieder auf die Wähler:innen ausgerichtet. Der Koalitionsvertrag ist eine Vorausschau auf die zu erwartende Regierungspolitik der nächsten vier Jahre. Außerdem wird aus diesem Dokument ersichtlich, welche Partei welche der ihr – und ihren Wähler:innen – wichtigen Punkte durchsetzen konnte.

2.2Die Methode: Inhaltsanalyse

Diese drei Dokumententypen werden inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei arbeiten wir uns in mehreren Schritten von der aggregierten Draufsicht zur detaillierten politikzielspezifischen Analyse vor. Im ersten Schritt verorten wir die Positionen, die die Parteien in den Dokumenten einnehmen in einem zweidimensionalen Raum, im zweiten Schritt blicken wir auf die thematischen Schwerpunkte in den Programmen. Im dritten Schritt zoomen wir noch einmal stärker in die Dokumente hinein und untersuchen die vier eingangs definierten Politikziele im Detail. Hier erfolgt zunächst die Bestimmung der Bedeutsamkeit der genannten Politikziele in den jeweiligen Programmen. Im Anschluss wird die Positionierung der Partei, bzw. der Koalition allgemein und zu dem jeweiligen Politikziel eingeordnet. Als drittes Element werden schließlich die Versprechen identifiziert und in ihrer Konkretheit bestimmt.

Für die Analyse arbeiten wir zunächst mit den vollständigen Dokumenten, um die allgemeinen Positionen und Themenschwerpunkte der Parteien zu bestimmen. Für die politikzielspezifische Auswertung stützen wir uns dagegen nur auf die Textpassagen, die sich jeweils mit einem der vier Politikziele beschäftigen.1Berücksichtigt werden hier alle dem Politikziel zuzurechnenden Textteile unabhängig davon, welche Position zu dem Politikziel besteht. Das bedeutet, dass sowohl Aussagen berücksichtigt werden, die sich für das Politikziel aussprechen, als auch jene, die dagegen stehen. Die Textauswahl erfolgt somit unabhängig davon, wie die jeweilige Partei das Politikziel auslegt. Sie schließt Äußerungen mit ein, die das Politikziel voranbringen wollen, aber auch solche, die ihm skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.

Was ist wichtig? Zur Salienz von Themen und Politikzielen

Die Wahlprogramme der Parteien sind in aller Regel recht lang und behandeln eine Fülle an Themen, die die Problemlage der Gesellschaft Deutschlands insgesamt ansprechen wollen. Die Parteien betonen verschiedene Themen unterschiedlich häufig, z.B. sprechen die einen häufiger über Umwelt, während die anderen sich wiederum der Marktwirtschaft widmen. Mit diesen unterschiedlichen Themenschwerpunkten konkurrieren sie um die Gunst der Wähler:innen, so die Salienztheorie (Klingemann et al. 1994). Je häufiger ein Thema angesprochen wird, desto wichtiger ist dieses Thema für die Partei.