Die Asylfalle - Rubina Möhring - E-Book

Die Asylfalle E-Book

Rubina Möhring

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Beschreibung

Der Fall Jovan Mirilo, einer von momentan rund 25.000 österreichischen Asyl-Schicksalen, ging noch vor den Fällen Arigona Zogaj und den Komani-Zwillingen durch die Medien, das Dossier liest sich wie eine Aneinanderreihung willkürlicher Schikanen und Erniedrigungen. Und es steht exemplarisch für das Leben von Asylwerbern, von denen immer öfter unglaubliche Details an die Öffentlichkeit gelangen. Rubina Möhring, ORF-Journalistin und Präsidentin der österreichischen Sektion von "Reporter ohne Grenzen", deckt in ihrem sorgfältig recherchierten Titel menschen-unwürdige Amtshandlungen und verzweifelte Lebenssituationen ohne Tabus auf. Die Asylfalle ist eine umfassende und aktuelle Darstellung der Asylsituation in Österreich - ein Buch über den Umgang von Menschen mit Menschen im Rahmen unserer heutigen Gesellschaft. Zugleich bietet es anhand internationaler Beispiele einen Ausblick auf eine mögliche menschenwürdige Asylpolitik.

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Rubina Möhring

DIE ASYLFALLE

Wie Österreich mit seiner Flüchtlingspolitik scheitert

Rubina Möhring

DIE ASYLFALLE

Wie Österreich mit seiner Flüchtlingspolitik scheitert

Czernin Verlag, Wien

Möhring, Rubina: Die Asylfalle, Wie Österreich mit seiner Flüchtlingspolitik scheitert / Rubina Möhring Wien: Czernin Verlag 2012 ISBN: 978-3-7076-0360-6

© 2012 Czernin Verlags GmbH, Wien Umschlaggestaltung: sensomatic Satz: Eva Mayer Lektorat: Eva Steffen Produktion: www.nakadake.at ISBN Epub: 978-3-7076-0360-6 ISBN PDF: ISBN Print: 978-3-7076-0353-8

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

1.

KARFREITAG 2007

Karfreitag, 6. April 2007. In London werden 15 Marineangehörige zu ihrer Gefangenschaft im Iran befragt. Eritrea verbietet die Beschneidung von Frauen. Die Vereinten Nationen rechnen mit bis zu 300 Millionen »Klimaflüchtlingen«. Es ist der internationale Weltgesundheitstag. Aaron Rhodes, Direktor der Helsinki-Föderation für Menschenrechte feilt an seinem Österreich-Bericht, den er nach Ostern veröffentlichen wird. Er wird erklären, dass kein anderes europäisches Land außer der Türkei öfter wegen Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde. Österreich, das bei der Einhaltung der Menschenrechte im Mittelfeld der europäischen Staaten liege, verfüge zudem über das schärfste Asyl- und Fremdenrecht Europas. Und: »Österreich hat ein Problem mit Rassismus und Fremdenhass … Wir glauben, dass das von mehr offiziellen Stellen verurteilt werden sollte«.1

In Wien herrscht an diesem Karfreitag mildes Wetter, es ist einer der ersten sonnigen Frühlingstage. Zeitgerecht hat das Stadtgartenamt den Osterputz abgeschlossen: Primeln, Tulpen, Narzissen respektive Osterglocken. Wien ist fein gemacht für Touristenströme aus aller Welt. Österreich ist ein ordentliches Land. Österreich ist ein katholisches Land. Wie in allen christlichen Ländern dient auch hier der Karfreitag dem Gedenken an die Kreuzigung Christi. Für das Römische Reich, in dessen Name der Jude von Nazareth vor über 2000 Jahren hingerichtet wurde, war Jesus als unentwegter Prediger der Nächstenliebe ein unliebsamer Revoluzzer, ein Aufwiegler, dessen Fangemeinschaft derart wuchs, dass er für die innere Sicherheit ein nicht mehr kalkulierbares Risiko darzustellen schien. Obendrein war er Sohn einer Flüchtlingsfamilie. Also entschloss man sich, ihn mit obligater Dornenkrone ans Kreuz zu nageln – noch schnell vor Pessachbeginn, damit auch die jüdischen Amtsträger zufrieden und befriedet sind. Gegen 15 Uhr soll der Tod eingetreten sein.

Protestanten ist sein Todestag ein hoher Feiertag, Katholiken hingegen nur ein Fasten- und Arbeitstag. Doch auch im katholischen Österreich sind am Karfreitag die Büros leergefegt und in erster Linie Journaldienste erreichbar. Längst dient hier der Kreuzigungstag des Jesus Christus vor allem christlich-profaner Vorbereitung des bevorstehenden langen Osterwochenendes: den drei en suite gesetzlich arbeitsfreien Osterfeiertagen Samstag, Sonntag, Montag.

An diesem Karfreitag 2007 macht sich der österreichische Autor Peter Handke in Begleitung von Claus Peymann – einst Wiener Burgtheaterdirektor, nun Intendant des Berliner Ensembles – in spezieller Mission auf den Weg. Ihr Reiseziel ist die Serben-Enklave Velika Hoča im Südwesten des Kosovo. Ein 650-Seelen-Dorf, dessen Einwohner seit Ende des Kosovokrieges im Juni 1999 vorwiegend auf Sozialhilfe und geringe landwirtschaftliche Erträge angewiesen sind. Die Einwohner von Velika Hoča stehen unter dem Schutz internationaler Truppen, seitdem Kosovo-Albaner einst selbst erlittenes Unrecht durch Übergriffe zu vergelten begannen. Zu groß ist die Kluft zwischen Serben und Albanern während des serbisch-nationalistischen Milošević-Regimes geworden.

Gründonnerstag, 5. April 2007. Am Tag vor Handkes Abreise hat das Parlament des Kosovo einstimmig beschlossen, den Vorschlag des UNO-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari zum künftigen Status des Kosovo – eine international überwachte Unabhängigkeit – zu unterstützen.2 Ein Jahr später, 2008, wird der Kosovo sich endgültig für unabhängig erklären. Zumindest das ist an jenem Freitag, als Handke nach Velika Hoča aufbricht, allenfalls zu ahnen, nicht jedoch vorauszusehen.

Keinen kurzen Brief zum langen Abschied, auch nicht nur gute Worte und tiefe Gedanken im Gepäck bringt Handke an diesem Tag in die Enklave mit. 50 000 Euro blättert der Schriftsteller für die Bürger von Velika Hoča hin: als Ostergabe. Es ist das Geld des im Februar privat initiierten Berliner Heinrich-Heine-Preises. Der Betrag ist von deutschen Schauspielern und Publizisten gesammelt worden, nachdem Handke 2006 wegen seiner demonstrierten Sympathie zu dem Kriegsverbrecher und früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milošević der traditionelle Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis aberkannt worden war.

Ostersonntag, 8. April 2007 in Velika Hoča. Peter Handke dankt bei der persönlichen Übergabe des Heine-Preisgeldes allen Einwohnern der Enklave emphatisch, »dass sie hier geblieben sind, und immer noch hier leben«.3 Der Bürgermeister, Dejan Baljošević, dankt nicht minder bewegt. Ein Teil des Geldes werde für die Renovierung der serbisch-orthodoxen Kirche verwendet. Zudem solle ein Gebäude für eine Peter-Handke-Stiftung eingerichtet werden, »in dem Künstler Bilder über unsere Situation malen können«.4 Barbarazweige blühen, in der serbisch-orthodoxen Kirche läuten die Osterglocken. 50 000 Euro, das ist real schon sehr viel Geld, von viel höherem Wert jedoch ist das politische Kleingeld, das Handke Velika Hoča aushändigt.

An demselben Karfreitag, an dem Handke samt intellektueller Entourage zu den serbischen Freunden im Kosovo aufbricht, um Gutes zu tun und darüber berichten zu lassen, sucht in Österreich, in Tirol, ein serbischer Bürger um Asyl an, weil zuhause in Serbien sein Leben bedroht ist. Sofort wird er in Haft genommen, wie ein Verbrecher behandelt, in die westösterreichische Schubhaftanstalt Wels überführt: Leibesvisitation, Verhör, Zelle. Jovan Mirilo hat Sicherheit in Freiheit erhofft, stattdessen kommt er in Sicherheitsgewahrsam. Von den Beamten wird er bezichtigt, ein Agent, vielleicht sogar ein Doppelagent zu sein. Der Asylantrag wird zu einer Lebensfalle.

Karfreitag, 6. April 2007. Gegen 15 Uhr läutet mein Telefon: »Bitte hier ist Jovan. Jovan Mirilo. Sie erinnern sich? Ich darf nur einmal telefonieren und habe kaum Euros. Ich rufe aus dem Gefängnis an, weil ich um Asyl angesucht habe. In drei Tagen werde ich zurückgeschoben, sagt die Polizei. Meine Frau und unser Kind sind noch frei. Erinnern Sie sich an uns?« Sicher erinnere ich mich. Zwei Jahre zuvor habe ich ihn und seine Familie das erste Mal getroffen. Ich informiere Amnesty International. Trotz vorösterlicher Feiertagsstimmung wird Jovan Mirilo dem Innenministerium noch am selben Tag als dringlicher Fall zu Bewusstsein gebracht. Er werde nur über die Feiertage in Schubhaft bleiben, versichert das Ministeramt für Inneres.

Nur ein Telefonat aus der Schubhaft – Jovan Mirilo hat zufällig die richtige Karte gezogen. Ende Juli 2005 hatte ich ihm und seiner Lebensgefährtin Dragana Djaković nach einem Interview meine Visitenkarte gegeben. Gemeinsam mit Frau und Kind war er damals dank Vermittlung eines in Wien lebenden Südosteuropa-Korrespondenten einer Einladung aus Österreich gefolgt, um sich in Tirol während der Sommerferien von den Anfeindungen in seiner Heimatstadt Šid zu erholen. In Šid wurden er und seine Frau Dragana Djaković als Verräter beschimpft, bespuckt, gemieden. Dennoch stand im Sommer 2005 für die Familie fest: Wir kehren zurück. »Dort, in Šid, nicht in Österreich, ist unser Platz.« Sie kehrten zurück, obwohl sie schon damals zuhause ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Nun, 2007, sind sie wieder nach Österreich gekommen, dorthin, wo sie 2005 warm empfangen worden waren. Dieses Mal kommen sie jedoch nicht mehr als Touristen, sondern als schlichte Asylwerber.

Jovan Mirilo ist jener Mann, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag im Frühjahr 2005 jenes Video zugespielt bekam, das den willkürlichen Mord an bosnischen Jugendlichen durch Mitglieder der serbischen paramilitärischen Einheit »Skorpioni« bei Srebrenica belegt. Den Haag diente das Video als ein Beweis für den Völkermord bei Srebrenica im Prozess gegen den früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Die Bilder der brutalen Mordszenen, die der mit Füßen getretenen, mit dem Gesicht zur Erde auf dem Boden kauernden acht bosnischen Jugendlichen, die schließlich zum Abschuss in einer Reihe antreten mussten, und die der lachenden, voller wollüstigem Stolz mordenden Skorpione gingen damals um die Welt. Auch im serbischen Fernsehen wurden sie ausgestrahlt.

Seit der Veröffentlichung dieses Videos durch Den Haag waren die Leben von Jovan Mirilo, seiner Frau Dragana Djaković und der gemeinsamen kleinen Tochter Marija in der Provinzstadt Šid in Gefahr. Šid, nahe der kroatischen Grenze gelegen, ist eine Hochburg der Skorpioni.

Die Familie war im Frühjahr 2007 in konkreter Lebensgefahr, weil für Mitte April in Belgrad der Kriegsverbrecherprozess der fünf in dem Video als Mörder wiedererkennbaren Skorpioni anberaumt war. Der Vater eines der Angeklagten hatte auf Jovan Mirilo ein Kopfgeld ausgesetzt: 50 000 Euro. Deshalb die Flucht nach Österreich, deshalb dort der Asylantrag. Jovan, Dragana und Marija wollten keine U-Boote sein, sie wollten legale Bürger bleiben.

Heute gilt Serbien als politisch korrektes Land. Doch vor Rachemord, zumal in ultranationalistischen Ecken, kann selbst die beste Regierung nicht schützen. Nach einem fast dreijährigen Asylverfahren wird der Familie Anfang 2010 das Asyl verwehrt. Der Anspruch auf Asyl wird nach sogenannter eingehender Prüfung angezweifelt, die Abschiebung beschlossen. Nadja Lorenz, AI-Anwältin, meldet umgehend Rekurs an. Der Fall wird von den Medien aufgegriffen. Im Dezember 2010 kommen den österreichischen Behörden selbst Zweifel an der Richtigkeit des Bescheids.5

Jovan Mirilo und Dragana Djaković entschieden sich Ende März 2007 zur Flucht. Wollten sie ihr Leben retten, blieb ihnen keine andere Wahl. Sie entschieden richtig, auch wenn die österreichischen Behörden von Anbeginn anderer Meinung waren. Sie waren in immer größerer Gefahr, je näher die Urteilsverkündung der Belgrader Srebrenica-Kriegsverbrecherprozesse rückte.

Belgrad, 10. April 2007. Im Rahmen der Belgrader Kriegsverbrecherprozesse gegen die Skorpione werden die Urteile gefällt. Vor Gericht stehen jene fünf Mitglieder der nationalistischen paramilitärischen Einheit, die 1995 am Völkermord von Srebrenica beteiligt waren. Wesentliches Beweisstück ist das Srebrenica-Video. Nochmals werden die erschütternden Szenen in Erinnerung gerufen. Trotz der in dem Video dokumentierten Rohheit und Brutalität ist das Belgrader Gericht am 10. April vergleichsweise milde gestimmt.

Der Befehlshaber der Einheit, Slobodan Medić, und ein zweiter Angeklagter werden zu jeweils 20 Jahren Haft verurteilt. Ein Beschuldigter, der als Einziger die Tat gestanden hat, erhält 13 Jahre, ein anderer fünf Jahre Haft. Den fünften Angeklagten, ebenfalls Mitglied der gleichen paramilitärischen Gruppe, spricht das Gericht frei. Es ist eines der ersten Urteile eines serbischen Gerichts in Zusammenhang mit dem Massaker von Srebrenica, dem in den letzten Monaten des Bosnienkrieges 8000 muslimische Männer und Jungen zum Opfer fielen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat im Februar zuvor das Massaker als einen Akt des Völkermordes klassifiziert und dem serbischen Staat eine Mitverantwortung an den Gräueltaten zugewiesen.6 Den Vater des verurteilten Kommandeurs, Slobodan Medić, kümmert das wenig. Er sinnt bis heute auf Rache. Ist dieser doch nun der zweite Sohn, der wegen Gesinnungsuntaten und Zugehörigkeit zu den Skorpioni hinter Gitter kommt.

Belgrad 11. April 2007. Der Journalist Dejan Anastasijević kritisiert die laxen Urteile. Das Gericht, so Dejan Anastasijević, habe die längste Zeit damit verbracht, die Skorpioni als paramilitärische Brigade ohne staatlichen Auftrag darzustellen. Primäres Anliegen sei es gewesen, jeglichen möglichen Konnex zur damaligen Regierung Milošević zu widerlegen. Dass immerhin der staatliche Geheimdienst die Skorpioni organisiert und finanziert habe, sollte in dem Prozess also kein Thema sein. All dies analysiert Dejan Anastasijević am Tag nach dem Urteilsspruch in der Sendung »Kažiprst« – Zeigefinger – des unabhängigen serbischen Senders B92. Der Radiokanal selbst ist an Anschläge als Reaktion auf seine Berichterstattung bereits gewöhnt. 2006 explodierte eine Bombe direkt vor dem Sender. Olja Bećković, die Moderatorin der populären Sendung »Utisak Nedelje« – »Thema der Woche« – verließ gerade kurz vor Mitternacht das Haus mit ihren Gesprächspartnern, darunter Nataša Kandić, jene Menschenrechtsaktivistin und Leiterin des »Fonds für Humanitäre Rechte« in Belgrad, der 2005 das Srebrenica-Video dank Jovan Mirilo zugespielt worden war und die es dann an Den Haag weitergeleitet hatte.

Wien, 12. April 2007. Aaron Rhodes veröffentlicht seinen Österreichbericht. Aus Tirol ruft mich Dragana Djaković an. Die Fremdenpolizei will sie samt der damals fünfjährigen Marija zurück nach Serbien bringen. Ich nenne Wien als besseres Reiseziel.

Wien, 13. April 2007. Dragana und Marija kommen in Wien an. Knapp fünf Monate werden sie mit Wissen des Innenministeriums bei mir leben. Nach vier Wochen Schubhaft – statt der vom Innenministerium genannten wenigen Tage – kommt auch Jovan Mirilo dazu. Die sichere Bleibe in einem Privathaushalt war ministerielle Bedingung.

Belgrad, 14. April 2007. Knapp drei Stunden nach Mitternacht explodiert auf der Fensterbank einer Innenstadtwohnung eine M52 Handgranate. Die Fenster bersten, das Schlafzimmer wird völlig zerstört. Wohnungsinhaber ist Dejan Anastasijević, prominenter Kommentator und Journalist des Wochenmagazins Vreme, bekannt für seine scharfe Kritik, seine Unbestechlichkeit und seinen unerbittlichen Kampf gegen Korruption. Dejan Anastasijević und seine Frau bleiben unversehrt, die zweite Handgranate auf dem Fenstersims explodiert nicht.

Kein Anlass für die internationalen Medien, über den Fall Anastasijević und die Hintergründe dieses Mordanschlages groß zu berichten. Denn Schlagzeilen machen getötete Journalisten. Nur »erfolgreiche« Morde können offenbar noch erschüttern, oder spektakuläre Entführungen wie zum Beispiel die des BBC-Journalisten Alan Johnston im Gazastreifen eineinhalb Monate zuvor. Was sich damals allerdings in Serbien abspielte, war nicht weniger erschütternd. Doch niemand schaut hin, auch nicht die Wiener Fremdenpolizei.7

Kurz nach dem Attentat nimmt Dejan Anastasijević ein Job-Angebot aus Brüssel an. Bei seinem Wiener Zwischenaufenthalt sprechen wir auch über den Fall Mirilo. Dejan Anastasijević setzt eine freiwillige Rückkehr der Familie nach Šid mit Selbstmord gleich, eine Abschiebung mit der Provokation eines möglichen Mordes.

Wien, 11. September 2007. In einem feierlichen Zeremoniell im Wiener Rathaus wird der Asylwerber Jovan Mirilo mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet, gemeinsam mit dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan. Was ihm sein Leben lang bleiben wird, was ihn während der erniedrigenden Asylwerber-Verhöre in Österreich und dem jahrelangen Leben als Mensch jenseits aller bürgerlicher Normen nicht straucheln lässt, ist diese Ehrung und das gemeinsame Foto mit Kofi Annan. Dies und die serbischen Presseberichte, teils anerkennend, teils hämisch, die Verwandte aus Šid per Post schicken. Das Preisgeld fließt in die Anmietung einer Miniwohnung. Dort wohnen sie, ohne jedoch einen Vertag zu erhalten, als Untermieter. Später übersiedelt die Familie in ein Wiener 27-Quadratmeter-Zimmer. Für Ende 2010 ist gerichtlich die Delogierung angesagt. Die Familie soll auf die Straße gesetzt werden: Vater, Mutter, Kind. Dank privater Initiativen findet sie Weihnachten 2010 eine neue Unterkunft.

Jovan Mirilo ist nur einer von knapp 22 000 Asylwerbern, die heute in Österreich leben. Asylwerbern sind offiziell nur jene Arbeiten erlaubt, für die sich keine Österreicher finden, auch diese nur für begrenzte Zeit, um arbeitsrechtliche Ansprüche zu vermeiden. Zuletzt war Jovan Mirilo bei der Müllabfuhr tätig. Ohne Arbeitserlaubnis, ohne Mietvertrag ist die Familie umso mehr der Willkür jener ausgesetzt, die angehalten sind, die Zahl der Asylverfahren zu verringern. Anfang des Jahres 2010 soll die Familie aufgrund einer fehlerhaften Expertise abgeschoben werden. Um keine Fristen zu versäumen, bringen die Polizeibeamten sogar noch nach 20 Uhr den negativen Bescheid für Frau und Kind der Familie direkt ins Haus. Weniger als bürgernahe Serviceleistung, Fristen dürfen nicht versäumt werden. Der Fall geht durch die Medien, auch in Serbien.

Jovan, Dragana und Marija können zunächst in Wien bleiben, doch für wie lange, bleibt nach wie vor ungewiss. In ihrer Heimatstadt Šid freuen sich viele auf ihre mögliche Abschiebung. Immerhin stehen dort noch immer 50 000 Euro zur Disposition. Nicht wie in der von Peter Handke favorisierten serbischen Enklave Velika Hoča als humanitäres Preisgeld für Kirchenbau samt künstlerischem Zentrum. Im extrem serbisch-nationalistischen Šid wartet dieselbe Summe als Kopfgeld: 50 000 Euro für das Leben eines Mannes, einer Familie – als privater Racheakt für die Verurteilung ortsansässiger Kriegsverbrecher, für die Haftstrafen von Söhnen einflussreicher Familien der Stadt.

2.

SCHUTZBURG EUROPA

Grundsätzlich ist in der Europäischen Union Asyl »eine Form von Schutz, den ein Staat auf seinem Hoheitsgebiet gewährt. Er beruht auf dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung und auf international oder national anerkannten Flüchtlingsrechten. Asyl wird einer Person gewährt, die in ihrem Heimat- oder Wohnsitzland keinen Schutz finden kann, insbesondere aus Angst vor Verfolgung auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Meinung. Die Europäische Union ist ein Raum, in dem die Freizügigkeit gewährleistet sein muss. Seit Anfang der 90er-Jahre haben derart viele Personen in der EU internationalen Schutz gesucht, dass die Mitgliedstaaten beschlossen haben, gemeinsame Antworten auf diese Herausforderung zu entwickeln. Eine Reihe gemeinsam vereinbarter Prinzipien auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Asyls kann einen deutlichen Mehrwert bringen und gleichzeitig Europas humanistische Tradition aufrechterhalten.« Nachzulesen ist diese Grundsatzerklärung auf der Webseite der Europäischen Kommission.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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