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Eine schicksalhafte Entscheidung
Australien im 19. Jahrhundert. In der Swan-River-Kolonie sind Cassandra und Maia sehr glücklich, ein neues Leben zu beginnen. Xanthe hingegen sehnt sich danach, die Welt zu entdecken. Aber selbst, wenn sie es sich leisten könnte zu reisen: Würde ihre geliebte Zwillingsschwester Maia sie gehenlassen?
Als ein gutaussehender Ire das Erbe der Schwestern aus England mitbringt, sieht Xanthe ihre Chance. Mithilfe des Geldes könnte sie ihren Traum wahr werden lassen und auf Entdeckungsreise gehen. Doch für Maia bringt derselbe Mann Schwierigkeiten mit sich. Er hat die Macht, ihr das Leben zur Hölle zu machen.
Der abschließende Band der Swan-River-Saga über die vier Blake-Schwestern - ein bewegender Love-and-Landscape-Roman vor der atemberaubenden Kulisse Australiens.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Danksagung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog
Träume im Glanz der Morgenröte: Töchter des Horizonts
Sehnsucht unter weitem Himmel: Töchter des Horizonts
Goldene Stunde in der Ferne: Töchter des Horizonts
Hoffnung unter dem Südstern: Töchter des Horizonts
Silberstreif des Glücks: Töchter des Horizonts
Die Australien-Töchter: Wo die Hoffnung dich findet
Die Australien-Töchter: Wo das Glück erstrahlt
Eine schicksalhafte Entscheidung
Australien im 19. Jahrhundert. In der Swan-River-Kolonie sind Cassandra und Maia sehr glücklich, ein neues Leben zu beginnen. Xanthe hingegen sehnt sich danach, die Welt zu entdecken. Aber selbst, wenn sie es sich leisten könnte zu reisen: Würde ihre geliebte Zwillingsschwester Maia sie gehenlassen?
Als ein gutaussehender Ire das Erbe der Schwestern aus England mitbringt, sieht Xanthe ihre Chance. Mithilfe des Geldes könnte sie ihren Traum wahr werden lassen und auf Entdeckungsreise gehen. Doch für Maia bringt derselbe Mann Schwierigkeiten mit sich. Er hat die Macht, ihr das Leben zur Hölle zu machen.
Der abschließende Band der Swan-River-Saga über die vier Blake-Schwestern – ein bewegender Love-and-Landscape-Roman vor der atemberaubenden Kulisse Australiens.
Anna Jacobs hat bereits über siebzig Bücher verfasst. Sie wurde in Lancashire geboren und wanderte 1970 nach Australien aus. Sie hat zwei erwachsene Töchter und wohnt mit ihrem Mann in einem Haus am Meer.
DIEAUSTRALIEN-TÖCHTER
ANNA JACOBS
Wo die Liebedich erwartet
Aus dem Englischen vonNina Restemeier
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das E-Book-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © by Anna Jacobs 2011
Titel der britischen Originalausgabe: Destiny’s Path
Originalverlag: Hodder & Stoughton, Hachette UK
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Clarissa Czöppan
Covergestaltung: Miriam Verlinden / Guter Punkt, München
Unter Verwendung von Motiven von © Artem Tryhub/shutterstock; Totajla/gettyimages; LifeofRileyDesign/gettyImages
E-Book-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-6876-5
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Für Ros Merefield,die beste aller Freundinnen,
Wieder einmal bedanke ich mich bei den wunderbaren australischen Bibliotheken und dem Staatsarchiv für die Hilfe bei der Recherche.
Und vielen Dank an Eric Hare für seine freundliche Hilfe mit den Schiffsdetails.
Ende Februar 1866
Xanthe Blake starrte aus dem Küchenfenster auf die verdorrte australische Landschaft. Das Gras jenseits der Koppeln war beige, weil es Sommer war und seit zwei Monaten nicht geregnet hatte. Ledrige, vertrocknete Blätter lagen hier und da herum und verrotteten langsamer als die Blätter in England. Weil Wasser kostbar war, nahm sie die Blechschüssel, in der sie den Abwasch gemacht hatte, trug sie nach draußen und entleerte sie vorsichtig über dem nächsten Gemüsebeet. Auf einmal überkam sie Sehnsucht nach den grünen Feldern und der sanften Luft von Lancashire, wo sie aufgewachsen war. Vor fast drei Jahren war sie gezwungen worden, nach Australien auszuwandern und als Dienstmädchen zu arbeiten – aber sie hatte nicht vor, noch viel länger hierzubleiben.
»Einen Penny für deine Gedanken.«
Sie bemerkte, dass sie in Gedanken versunken dagestanden hatte, und drehte sich um. Ihr Dienstherr stand in der Tür und musterte sie ernst. Sie hatte großen Respekt vor Conn Largan. Er war zwar als Sträfling hierhergekommen, aber er war wegen seiner politischen Ansichten verurteilt worden, was ihn in ihren Augen nicht zu einem Verbrecher machte. Zumindest hatte seine Mutter ihnen versichert, dass er unschuldig sei, und Mrs Largan war keine Lügnerin.
»Meine Gedanken sind keinen Penny wert.« Sie bemühte sich um einen heiteren Tonfall, doch an der Art, wie er den Kopf neigte und sie ansah, erkannte sie, dass er sich nicht täuschen ließ. Als ehemaliger Anwalt war er ein sehr kluger Mann, aber er war auch liebenswürdig, und sie war versucht, sich ihm anzuvertrauen.
»Du bist eine intelligente Frau, und deine Gedanken sind es normalerweise wert, angehört zu werden, Xanthe«, drängte er freundlich.
Also erzählte sie es ihm, denn sie sehnte sich danach, mit irgendjemandem über ihr Problem zu sprechen, und ihrer Zwillingsschwester konnte sie sich in dieser Angelegenheit ausnahmsweise nicht anvertrauen. »Ich versuche, mir über zwei Dinge klar zu werden: Erstens, wohin ich von hier aus gehen soll, und zweitens, wie ich Maia davon überzeugen kann, mich allein gehen zu lassen und hier in Galway House zu bleiben, wo sie glücklich ist.«
Er schwieg so lange, dass sie sich schon anschickte, zurück in die Küche zu gehen.
»Für Maia wäre es besser, wenn du sie mitnehmen würdest«, sagte er schließlich.
»Wie kommst du nur auf den Gedanken? Ich möchte reisen, aber sie ist sehr häuslich – und außerdem ist sie deiner Mutter treu ergeben.« Maia war außerdem ihrem Herrn ergeben, obwohl sich Xanthe nie ganz sicher war, ob Conn wusste, dass ihre Schwester ihn liebte. Sie war sich hingegen ziemlich sicher, dass seine Mutter Bescheid wusste, doch so offen Mrs Largan in den meisten Angelegenheiten auch war, hatte sie das Thema nie angesprochen.
Er ging auf und ab, ohne sie direkt anzublicken. »Wenn du mir ein wenig Zeit gibst, kann ich andere Mädchen finden, die den Haushalt führen und sich um meine Mutter kümmern.«
Das überraschte sie. Wollte er sie etwa beide loswerden? »Das ist in der Swan River Colony nicht so einfach. Auf eine Frau kommen zehn Männer, und die wohlhabenderen Leute sind verzweifelt auf der Suche nach Dienstmädchen. Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber Maia und ich haben viele andere Angebote bekommen, seit wir für dich arbeiten. Männer kommen zu dir wegen deiner Pferde, aber sie kommen auch heimlich zu mir und Maia und flehen uns an, für ihre Frauen zu arbeiten.« Einer oder zwei hatten sogar noch mehr von ihr gewollt, aber sie würde niemals ihren Körper verkaufen, ganz egal wie viel sie ihr bieten würden. Nicht weniger als drei junge Männer, die in der Nähe wohnten, hatten ihr einen Heiratsantrag gemacht, obwohl sie sie kaum kannten. Natürlich hatte sie ohne zu zögern abgelehnt.
Manchmal wünschte sie sich, sie wäre hässlich, dann würden die Männer ihr nicht so nachstellen. Im Gegensatz zu den anderen jungen Frauen, die sie kannte, hatte sie noch nie einen getroffen, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, also war sie zu dem Schluss gekommen, dass mit ihr etwas nicht stimmen musste. Aber da sie und ihre Schwestern Geld von ihrem Onkel geerbt hatten, brauchte sie nicht zu heiraten, bloß um versorgt zu sein. Sie würde nicht einmal für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, solange sie nicht allzu verschwenderisch lebte. Sie konnte sich glücklich schätzen, oder zumindest würde sie es können, sobald ihr ein Teil ihres Erbes nach Australien geschickt worden wäre. Bis dahin war sie so knapp bei Kasse wie eh und je.
»Ich könnte ein oder zwei Dienstmädchen aus Irland herholen lassen«, sagte Conn. »Allerdings ist mir bewusst, dass das fast ein Jahr dauern würde, und du bist vielleicht nicht bereit, so lange zu warten.«
»Ich kann nirgendwo hingehen, bevor unser Geld da ist. Als Pandora uns geschrieben hat, dass sie sicher nach England zurückgekehrt sei, sagte sie, es könne einige Zeit dauern, bis die Cottages verkauft seien, die unser Onkel uns hinterlassen hat, und dann jemanden zu finden, der uns das Geld hierherbringe. Sie und Zachary möchten uns den Laden abkaufen, also wird aus diesem Verkauf später noch mehr Geld kommen.«
Wieder runzelte er die Stirn. »Es wird nicht einfach werden, das Geld sicher hierherzubringen. Und wenn du es hast, wo würdest du es anlegen? Bei der Postbank oder der Bausparkasse in Perth? Beide gibt es noch nicht lange genug, als dass sie sich als sicher erwiesen hätten. Die anderen Banken hier haben auch nicht lange überlebt. Ich frage mich …« Er wandte sich ab, blickte in die Ferne und sagte dann nachdenklich: »Ein guter Freund von mir denkt darüber nach, mich hier zu besuchen, möglicherweise sogar, sich hier niederzulassen. Ich würde Ronan mein Leben anvertrauen. Vielleicht könnte er dir etwas von dem Geld mitbringen. Es gibt nichts Besseres als gute goldene Sovereigns in der Geldbörse oder der Schatulle.«
Er verstummte, um ihr Zeit zum Nachdenken zu lassen, schlenderte zum Zaun und blickte über die grasbewachsene Koppel, deren Gras mehr oder weniger grün geblieben war, weil es regelmäßig mit Brunnenwasser gegossen wurde.
So ist Conn Largan einfach, dachte Xanthe, während sie ihn beobachtete. Er versuchte nie, eine schnelle Antwort zu erzwingen oder anderen seine Meinung aufzudrücken. War er schon immer so vernünftig gewesen, oder war es eine Folge seiner Verbannung nach Australien? Die meisten Männer, die so privilegiert aufgewachsen waren wie er, benahmen sich ihren Angestellten gegenüber nicht annähernd so rücksichtsvoll – schon gar nicht einer Angestellten, die daran dachte zu kündigen.
»Das könnte eine gute Idee sein«, sagte sie schließlich. »Ich will sowieso nicht mein ganzes Geld hierherbringen, denn ich gehe definitiv irgendwann zurück nach England und werde wahrscheinlich dortbleiben, also …«
Hinter sich vernahm sie ein Keuchen, und als sie sich umdrehte, sah sie ihre Zwillingsschwester, die sie entsetzt von der Küchentür aus anstarrte. Ihre Schwester zu sehen war immer, als betrachtete sie ein leicht verzerrtes Spiegelbild ihrer selbst. Sie sahen fast gleich aus, groß und mit den gleichen dunklen Haaren und Augen, aber Maia war ein wenig draller und mit weicheren Zügen. Charakterlich ähnelten sie einander überhaupt nicht. Xanthe wusste, dass sie viel entschlossener war, während Maia manchmal einfach viel zu gut für die Welt war.
Ihre Zwillingsschwester rannte zu ihr herüber und packte sie am Arm. »Das kannst du nicht ernst meinen, Xanthe. Ich weiß, letztes Jahr hast du gesagt, du würdest nicht für immer hierbleiben, aber ich dachte, du hättest dich eingelebt. Du wirktest in letzter Zeit einigermaßen glücklich.«
»Ich habe mich dazu entschlossen, das Leben in Australien als Erfahrung anzusehen, bis ich mir darüber im Klaren bin, wohin mein Weg mich führen wird. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich habe nur keinen Sinn darin gesehen, dich unnötig aufzuregen.«
»Wann müssen wir los? Können wir wenigstens so lange bleiben, bis wir eine neue Pflegerin für Mrs Largan gefunden habe? Ach, ich werde sie so sehr vermissen!«
Xanthe sah sie traurig an. »Du willst doch gar nicht gehen, Liebes, das weißt du doch auch.«
»Ich will nicht von dir getrennt werden.«
»Ich will etwas von der Welt sehen, und du hasst Reisen, denk doch nur daran, wie seekrank du auf der Überfahrt hierher warst.« Als ihre Schwester etwas sagen wollte, hob sie eine Hand. »Nein, lass mich ausreden, Maia. Du bleibst lieber zu Hause, umgibst dich mit Menschen, die du kennst, während ich gern neue Leute kennenlerne. Das war das Beste an der Reise hierher, mit Leuten zu reden, die Kurse auf dem Schiff zu besuchen, etwas Neues zu lernen.«
Sie warf einen Blick über ihre Schulter und stellte erleichtert fest, dass Conn sich entfernt hatte, damit sie unter vier Augen miteinander reden konnten. Trotzdem senkte sie die Stimme. »Außerdem, wie könntest du gehen? Du liebst ihn doch, nicht wahr?«
Maia stiegen Tränen in die Augen. »Du weißt, dass ich ihn liebe. Aber es ist hoffnungslos. Er ist ein gebildeter Gentleman, und ich bin bloß ein Baumwollmädchen, auch wenn ich mittlerweile ein wenig Geld habe. Er würde mich nie als etwas anderes sehen als ein Dienstmädchen.«
»Du bist nicht ›bloß‹ irgendetwas. Unser Vater hat seinen vier Töchtern nicht nur ausgefallene griechische Namen gegeben, er sorgte auch dafür, dass wir mit einer Liebe zu Büchern aufwuchsen, damit wir unseren Geist genauso nähren konnten wie unseren Körper. Was deinen Verstand angeht, bist du allen anderen ebenbürtig.«
»Als ob das andere Leute interessieren würde! Ihnen ist nur wichtig, dass man seinen Platz in der Gesellschaft kennt und sich entsprechend verhält.«
»Wann haben wir jemals getan, was von uns erwartet wurde? Wir sind auf mehr als eine Weise die Töchter unseres Vaters. Sonst wären wir schon längst verheiratet und hätten eine Schar von Kindern an unseren Rockzipfeln hängen. Nun, ich werde nie …« Sie sah, wie sich der Ausdruck ihrer Schwester veränderte. »Oh, wie dumm von mir, so zu reden! Du wünschst dir nichts lieber als eine Schar Kinder, nicht wahr?«
Maia versuchte zu lächeln. »Es sollte nicht sein. Ich bin jetzt siebenundzwanzig und habe einfach nie den richtigen Mann kennengelernt, obwohl einige versucht haben, mir den Hof zu machen, als wir noch in Lancashire lebten. Ich würde mich nicht mit weniger zufriedengeben als mit einem Mann, den ich wirklich liebe. Schau, wie glücklich Cassandra und Reece sind. So eine Ehe will ich auch – oder gar keine. Er ist ein wunderbarer Schwager, findest du nicht?«
»Ja, sie hat großes Glück, ihn gefunden zu haben.« Xanthe umarmte ihre Schwester, und dabei beließen sie es.
Aber sie hatte ihre Meinung nicht geändert. Sobald sie ihr Geld bekäme, würde sie Australien verlassen – und zwar allein. Das Leben hier war für ihren Geschmack zu eintönig, und manchmal, wenn sie ihrer langweiligen täglichen Routine nachging, hätte sie am liebsten laut geschrien. Es machte ihr keinen Spaß, Hausmädchen zu sein, obwohl sie ihre Arbeit so gut wie möglich erledigte – aus purem Stolz.
Ein paar Monate später in Lancashire wachte Pandora Carr auf, und ihr war übel. Sie lag still und schloss die Augen, hoffte, sie könne die Übelkeit mit reiner Willenskraft bezwingen, doch es gelang ihr nicht.
»Geht es dir gut?«, fragte Zachary.
»Nein. Mir ist schon wieder schlecht.« Sie hörte, wie er scharf Luft holte, und wusste, was er hoffte. »Ich glaube, ich erwarte ein Kind«, fügte sie hinzu.
»Oh, mein Liebling! Ich bin so glücklich.«
Sie wagte eine leichte Bewegung, um ihn anzusehen. Sein schlichtes, hageres Gesicht strahlte vor Freude. Er würde nie schön aussehen, aber sein freundliches Naturell machte ihn für sie und andere attraktiv. »Ich bin mir nicht sicher, wie ich das finde«, gestand sie. »Es ist zu früh.«
Er lachte leise. »Kinder kommen, wenn der Zufall es will. Und außerdem, hatten wir nicht gesagt, wir wollen drei oder vier?«
»Aber jetzt noch nicht. Ich habe mich noch kaum in die Routine des Ladens eingefunden. Wir sind noch nicht einmal seit einem Jahr zurück in England. Du und ich haben so viele Pläne, jetzt, wo der Krieg in Amerika vorbei ist und die Fabriken der Stadt wieder in Betrieb genommen werden.« Sie und Zachary beabsichtigten, ihren Schwestern ihre Anteile am Laden ihres Onkels abzukaufen, wo Zachary seit seinem zwölften Lebensjahr arbeitete und den er liebte.
»Ich weiß, Liebling, aber wir werden mit einem Baby gut zurechtkommen. Ich sorge dafür, dass es meinen Kindern an nichts mangelt.« Er betrachtete sie besorgt. »Kann ich dir irgendwie helfen? Es muss dir wirklich nicht gut gehen, wenn du nicht sofort aus dem Bett springst.«
Sie lächelte schwach. »Ich habe auf einmal Lust auf eine Tasse Tee, sehr süß. Könntest du Dot bitten, eine heraufzubringen?«
Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. »Sofort.« Er hatte gehört, dass ihr Dienstmädchen schon vor einer Weile aufgestanden war.
Eine halbe Stunde später stand Pandora auf, und obwohl ihr anfangs etwas schwindlig war, beruhigte sich ihr Körper bald wieder. Sie war noch dankbarer als sonst für das wunderbare Innenbad und lächelte schief, als sie sich an ihre Tage als Dienstmädchen in Australien erinnerte, wo sie in einem Zelt schlafen, das ganze Wasser aus dem Brunnen holen und anfangs sogar einen Graben als Abtritt hatte benutzen müssen. Es war hart gewesen, vor allem, nachdem ihre älteste Schwester Cassandra geheiratet und sie bei ihren Dienstherren allein gelassen hatte.
Beim Gedanken an ihre drei Schwestern stiegen ihr Tränen in die Augen, wie so oft. Sie hatte in Australien so schreckliches Heimweh gehabt, war vor Kummer ganz krank gewesen, doch den anderen hatte es dort gefallen, und sie hatten sich geweigert, mit ihr nach England zurückzukehren.
Natürlich schrieben sie einander Briefe, aber das war nicht das Gleiche, und es tat trotzdem weh, von ihnen getrennt zu sein. Es würde nie wieder so sein wie damals, als sie alle zusammengelebt hatten. Schließlich dauerte es über sechs Monate, bis ein Brief in Australien ankam und sie eine Antwort erhielt. Seit Wochen wartete sie jetzt darauf, von wenigstens einer ihrer Schwestern zu hören.
Seufzend zog sie sich an und ging in die Küche, um mit Dot über die anstehenden Aufgaben zu sprechen – sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, ein Dienstmädchen zu haben –, und dann in den Laden, um Zachary zu sehen, bevor er öffnete.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte er lächelnd.
»Viel besser. Was machst du heute? Wie ist die neue Teemischung, die du kreiert hast?« Sie fühlte sich vom Laden ausgeschlossen, weil dort nur Männer arbeiteten, und denen missfiel es sogar, wenn sie offen Vorschläge machte, also musste sie das über Zachary tun, ihm zuliebe.
»Blakes Bester verkauft sich gut. Dein Onkel sagte immer, ich hätte einen guten Geschmacks- und Geruchssinn, und ich glaube, ich habe eine ebenso gute Mischung geschaffen wie er. Heute werde ich mir die Regale im Laden vornehmen. Ich bin sicher, dass wir alles etwas effizienter gestalten können. Dabei könnte ich deine Hilfe gebrauchen. Wir können es uns gemeinsam ansehen und dann einen Plan machen. Also denk mal darüber nach.«
Es gefiel ihr, wie er versuchte, sie einzubeziehen. »Das Frühstück ist fertig. Beeil dich lieber, sonst sind gleich die Angestellten schon da.«
Gerade als Blakes Gemischtwarenladen öffnete, kam der Postbote mit einem Brief aus Australien an die Haustür. Beim bloßen Anblick strahlte Pandora. Was für ein Wunder, dass etwas so Kleines wie ein Brief eine so weite Strecke sicher zurücklegen konnte! Sie blinzelte Tränen weg, als sie mit den Fingerspitzen Xanthes Handschrift auf dem Kuvert nachfuhr.
Sie schloss die Haustür, blieb an der Verbindungstür zum Laden stehen und winkte ihrem Mann begeistert mit dem Umschlag zu. Er grinste und winkte zurück und wusste, dass dieser Brief ihr den Tag retten würde.
Dann konnte sie es nicht mehr abwarten und eilte nach oben in den Salon, um ihn zu lesen. Ein rascher Blick verriet ihr, dass es diesmal hauptsächlich Xanthes Handschrift war. Doch sie würde auch Einschübe von Maia und Cassandra finden, die gab es jedes Mal.
Doch diesmal gab es keine Einschübe. Es war ein langer Brief, in dem Xanthe ihrer Schwester ihr Herz ausschüttete. Und was sie las, beunruhigte und erfreute Pandora gleichermaßen. Es konnte bedeuten, dass sie ihre Schwester wiedersehen würde.
Und was auch immer Xanthe sagte, sie glaubte nicht, dass Maia ihre Zwillingsschwester so weit weggehen lassen würde.
Ronan Maguire wartete, bis er allein war, bevor er den Brief seines Freundes Conn aus Australien öffnete. Er las ihn mit großem Interesse und verschloss ihn anschließend vorsichtig in seinem Reiseschreibpult. Seine Mutter war sich nicht zu fein, seine Sachen zu durchstöbern, und da er nie lange wütend auf sie sein konnte, fand er es einfacher, seine privaten Papiere unter Verschluss zu halten.
Unten im Salon stellte er sich ans Fenster und blickte über die regengepeitschte Landschaft auf das große Haus am anderen Ende der Auffahrt. Ardgullan war seit Generationen im Besitz der Familie. Es war etwa zehnmal so groß wie das Witwenhaus, in dem seine Mutter seit dem Tod seines Vaters lebte. Das Haus seiner Mutter stand ein wenig abgelegen in einem kleinen Waldstück in der Nähe der Tore, und manchmal fragte er sich, ob der Vorfahre, der es gebaut hatte, es bewusst so weit entfernt wie möglich vom Hauptwohnsitz der Familie angelegt hatte.
Ein noch stärkerer Regenguss trommelte gegen die Fensterscheiben. Ein schönes Sommerwetter war das hier! Er hörte seine Mutter hinter sich hereinkommen und seufzte: »Es will einfach nicht aufhören zu regnen.«
Sie hakte sich bei ihm unter. »Wir sind nun einmal in Irland. Wir sind berühmt für unseren Regen. Warum machst du nicht trotzdem einen Ausritt?«
»Ich würde nass und durchgefroren zurückkommen. Spaß stelle ich mir anders vor.«
»Deine Reisen nach Italien und Griechenland haben dich verweichlicht. Obwohl ich manchmal auch die Nase voll vom Regen habe. Aber der Gärtner sagt, dass es morgen schön werden soll. Ich bin nicht mehr geritten, seit ich ein junges Mädchen war, und ich vermisse es auch nicht. Pferde stinken! Ich habe deinem Bruder vorgeschlagen, vor dem großen Haus ein Krocketfeld anzulegen. Krocket ist der letzte Schrei. Dann hätten wir etwas Angenehmes zu tun.«
»Und mit wem würdest du spielen? In unserem winzigen Dorf findest du bestimmt keine geeigneten Spielpartner.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich könnte mit dir spielen, wenn du hier bist.«
»Da ich die Hälfte der Zeit nicht hier bin, wäre es Verschwendung. Hubert würde nicht spielen. Mein Bruder ist nicht besonders gesellig. Außerdem bezweifle ich, dass er es sich leisten kann. Hast du gesehen, wie heruntergekommen die Cottages auf dem Anwesen sind? Das ganze Dorf befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Seltsam, dass er nichts dagegen unternimmt. Das ist viel wichtiger.«
»Ständig gehst du ins Dorf und redest mit den einfachen Leuten. Du solltest mehr Zeit mit Menschen deines Standes verbringen.«
»Ich bin mit einigen der Männer im Dorf aufgewachsen, als Kinder haben wir zusammen gespielt.«
Sie ließ seinen Arm los und trat an den Kaminsims, wo sie an den Ziergegenständen herumfummelte. »Nun, jetzt seid ihr keine Kinder mehr. Mein Lieber, du solltest langsam sesshaft werden, eine Frau und Kinder haben. Das würde dich zur Ruhe bringen.«
»Hubert ist auch nicht verheiratet, und er ist der Stammhalter. Konzentriere deine Verkupplungsversuche auf ihn.«
»Ich habe eine oder zwei junge Frauen im Sinn, aber er ist genauso stur wie du. Er sagt, er will das Anwesen in Ordnung bringen, bevor er an eine Heirat denkt.«
»Wegen Vaters Spielsucht.«
»Ja.« Sie sagte nichts weiter zu der Schwäche ihres verstorbenen Mannes fürs Kartenspiel, das hatte sie noch nie. »Nun, immerhin hat mein jüngster Sohn gut geheiratet, und Patrick hat mir sogar Enkelkinder geschenkt – obwohl sie in England leben und ich sie selten sehe.«
So redete sie seit Jahren und stellte Ronan immer wieder junge Damen im heiratsfähigen Alter vor, aber er hatte noch keine einzige kennengelernt, die ihn nicht zu Tode gelangweilt hätte. Hubert hasste gesellschaftliche Anlässe und mied sie, wann immer er konnte, obwohl er jetzt der Gutsherr war. Er mied sogar seine eigene Familie und zog es vor, seine Abende allein zu verbringen. Ronan hatte ihn nie verstanden, und wären sie nicht zufällig Brüder gewesen, hätte er sich überhaupt nicht mit ihm abgegeben.
Seine Mutter zog an seinem Arm, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Du hörst mir nicht zu. Denke darüber nach, eine Frau zu finden. Ich bin sicher, es würde dich glücklicher machen.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen.
»Das bezweifle ich. Ich bräuchte ein Haus, wo ich eine Familie unterbringen könnte, und ich habe keins.«
»Du hast genug Geld, um eins zu kaufen. Deine Großtante Mary hat dir eine hübsche Summe hinterlassen. Du könntest in der Nähe wohnen und deine arme alte Mutter glücklich machen. Du bist dreißig, Ronan, Liebling. Wenn du noch lange wartest, wird es für dich zu spät sein, Kinder zu zeugen.«
Er verkniff sich ein Lächeln, er bezweifelte, dass er damit Probleme haben würde. Er hatte bereits ein uneheliches Kind und hatte sichergestellt, dass es gut versorgt war.
Sie begann, mit den Fingern auf die Stuhllehne zu trommeln. »Deine ganzen Reisen haben dich aus dem Gleichgewicht gebracht. Hast du eine Ahnung, was für Sorgen ich mir um dich mache, wenn du unterwegs bist?«
»Ich war immer in Sicherheit.«
»Dann könntest du mich vielleicht eines Tages mitnehmen. Mir ist hier manchmal sehr langweilig, wenn du weg bist.«
Er würde es hassen, mit ihr zu reisen. Sie würde wegen jeder Kleinigkeit einen Aufstand machen. »Ich glaube, du legst zu großen Wert auf Annehmlichkeiten, um zu reisen, Mutter.«
»Es könnte die Unannehmlichkeiten wert sein. Ich fühle mich hier sehr einsam ohne dich.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht überrasche ich euch alle eines Tages und breche auf, um etwas von der Welt zu sehen. London. Paris. Rom. Wenn du davon erzählst, klingt es immer so interessant.«
Auf einmal heulte der Wind ums Haus, und er dachte sehnsüchtig an die warmen, müßigen Tage in Italien und Griechenland. Aber die weniger besuchten Teile Südeuropas waren zurzeit nicht besonders sicher, und er hatte nicht vor, dort sein Leben aufs Spiel zu setzen, ehe sich die Lage wieder beruhigt hatte. Seit Jahren gab es immer wieder Konflikte, verschoben sich die Territorien kleinerer Königreiche, von Österreich über Preußen bis hin zu Frankreich. Wer wusste schon, was als Nächstes passieren würde? Er hatte keine Lust, sich in Gefahr zu begeben.
»Nun, ich gehe besser und schreibe ein paar Briefe.« Er ließ sie mit ihrer Stickarbeit allein.
In seinem Schlafzimmer schloss er das Schreibpult auf, holte den neuesten Brief heraus und las ihn noch einmal sorgfältig durch. Es war verlockend, der Einladung nach Australien zu folgen. Er wusste, Conn hatte sich niemals der Verschwörung gegen Königin und Vaterland schuldig gemacht, doch sein Cousin Michael hatte überzeugende Beweise gegen ihn vorgelegt. Alles, was Ronan für seinen Freund hatte tun können, war, seine Finanzen so zu regeln, dass Geld auf ihn gewartet hatte, als er in Australien angekommen war.
Wie war eine solche Ungerechtigkeit nur möglich? Von seinem verdammten Vater hatte Conn auch keine Unterstützung erhalten.
Jemand ritt zur Vordertür hinauf. Ein Besucher. Gut. Das würde seine Mutter aufheitern. Doch ein paar Minuten später rief sie die Treppe hinauf, ihre Stimme klang drängend. »Ronan! Komm schnell! Gerade kam eine Nachricht aus Shilmara. Der arme Mr Largan hatte einen Schlaganfall und liegt im Sterben. Wir müssen sofort Kathleen besuchen, unsere Anteilnahme ausdrücken und Hilfe anbieten.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nie wieder einen Fuß über diese Schwelle setzen werde.«
»Du wirst unserem Nachbarn in seinen letzten Stunden Respekt erweisen, wenn du schon sonst nichts respektierst, Ronan Maguire, oder du bist nicht mehr mein Sohn.«
Wenn sie in diesem scharfen Tonfall mit ihm sprach, tat er normalerweise, was sie wollte. Und dann kam ihm in den Sinn, dass Conn, wenn er ihn denn in Australien besuchte, sicher wissen wollen würde, was im Haus seiner Familie vor sich ging.
»Ich lasse die Pferde anspannen«, rief er zurück.
Als er wieder ins Haus kam, um ihr mitzuteilen, dass die Kutsche bereitstand, wartete seine Mutter schon mit in die Hüfte gestemmten Armen und zornesroten Wangen auf ihn. Er sah sie verwirrt an. Fenella Maguire war seit jeher recht launisch, aber dieser plötzliche Stimmungswandel verblüffte ihn. »Worüber regst du dich auf einmal so auf?«
»Dein Freund Conn glaubt offenbar, du hättest zugestimmt, ihn an diesem heidnischen Ort zu besuchen.«
»Du hast schon wieder meine Briefe gelesen.«
Sie warf den Kopf zurück. »Warum denn nicht? Du hast den letzten offen herumliegen lassen. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass da Geheimnisse drinstehen? Ich bin schließlich deine Mutter, nicht wahr? Und außerdem habe ich das Recht zu lesen, was in meinem Haus ankommt. Ich werde nicht zulassen, dass du so weit weggehst! Du bleibst hier in Irland, das ist mein letztes Wort.«
Ihre Schnüffelei machte Ronan die Entscheidung leicht. Er würde gehen, aber das würde er ihr erst erzählen, wenn er seine Pläne gemacht hätte. Es hatte keinen Sinn, sie umstimmen zu wollen. Bis zu ihrem letzten Atemzug würde sie sich in die Leben ihrer Kinder einmischen und an ihren Nerven zehren. Sie meinte es gut, das musste er ihr zugestehen, aber er wollte nicht, dass sie ihn in eine Ehe drängte, wie sein Bruder Patrick sie führte, eine Ehe, in der die Beteiligten einander nicht liebten und es nur um Geld und die gesellschaftliche Stellung ging. Ronan beabsichtigte, seinen eigenen Weg zu gehen, wohin ihn der auch führen mochte.
»Bereit zu gehen, Ma’am?«
Sein Tonfall und die formelle Anrede verrieten ihr offenbar, dass er ernsthaft verärgert war. Sie warf ihm einen vorsichtigen Blick zu, zögerte, und als er nichts weiter zu Conns Brief sagte, legte sie ihm eine Hand auf den Arm und ließ sich von ihm zu der wartenden Kutsche hinausführen.
Er sah Shilmara schon von weitem, lange bevor sie dort ankamen, ein ausladendes, zweistöckiges Gebäude auf einer Anhöhe mit Blick auf einen kleinen See. Er war nicht mehr hier gewesen, seit man Conn nach Australien verbannt hatte, und er fragte sich, was sie davon halten würden, dass er heute hierherkam. Nun, wen interessierte es, was sie dachten? Er war Conn zuliebe hier, nicht weil irgendein alter, intriganter Lügner auf dem Sterbebett lag.
Ein Stallknecht kam gerannt, um die Kutschentüre zu öffnen, und flüsterte: »Es ist schön, dich wiederzusehen, Ronan. Hast du in letzter Zeit von Mr Conn gehört?«
»Ich habe gerade erst gestern von ihm gehört. Er geht ihm gut in Australien, er züchtet Pferde. Du weißt, wie gut er immer mit Tieren umgehen konnte.«
»Und seine Mutter?«
»Sie ist dort im wärmeren Klima bei besserer Gesundheit, kann sich aber immer noch nicht gut bewegen.«
»Das freut mich zu hören. Die arme Dame hat früher sehr stark unter ihrem Rheuma gelitten.«
Ein Hüsteln aus dem Wageninneren erinnerte sie an ihre Verpflichtungen, und Ronan ging um die Kutsche herum, um seiner Mutter beim Aussteigen zu helfen.
»Musst du mit den Stallburschen plaudern?«, zischte sie, während sie die Treppe zur Haustür hinaufstiegen.
»Ich kenne Bram, seit wir beide noch Kinder waren. Es ist nur natürlich, dass er sich nach Conn und Mrs Largan erkundigt.«
»Diese Person hat ihre Pflicht gegenüber ihrem Ehemann vernachlässigt. Ich bringe es nicht einmal über mich, ihren Namen auszusprechen.«
Seiner Meinung nach hatte Mrs Largan, als sie ihrem Sohn nach Australien gefolgt war, einer höheren Pflicht gehorcht und der Sache der Wahrheit und Gerechtigkeit gedient, anstatt bei ihrem Mann zu bleiben, der ohne ein Wort des Widerspruchs zugelassen hatte, dass sein Sohn wegen einer erfundenen Anklage ins Gefängnis gesteckt worden war. Ronan verachtete seine Mutter für ihre Einstellung gegenüber der Frau, die jahrelang ihre beste Freundin gewesen war. »Wir werden nicht schon wieder darüber streiten.«
Sie warf den Kopf zurück und trat als Erste durch die Haustür, die inzwischen geöffnet worden war. Die Haushälterin der Largans wartete darauf, sie hereinzuführen.
Ronan blieb stehen, um auch sie namentlich zu begrüßen, sehr zum Ärger seiner Mutter. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Peggy. Ich hoffe, es geht Ihrer Mutter besser.«
Sie nickte, aber nach einem Blick auf seine Mutter sagte sie nur: »Mrs Kathleen erwartet Sie im Salon, Mrs Maguire.«
»Danke.«
Als sie den Raum betraten, trat Kathleen Largan vom Fenster, von wo aus sie offenbar ihre Ankunft beobachtet hatte, und kam ihnen entgegen. »Wollen Sie sich nicht setzen?«, sagte sie zu ihrer Besucherin. Sie machte keine Anstalten, Ronan zu begrüßen. Sie hatte kein Wort mehr mit ihm gesprochen, seit er ihrem Mann geholfen hatte. Als ob er sich von einem guten Freund wie Conn abwenden würde! Er trat neben den Kamin, legte eine Hand auf den Kaminsims und stellte sich auf einen langweiligen Besuch ein.
Seine Mutter warf ihm einen warnenden Blick zu, er solle sich benehmen, und sagte dann mit der gurrenden Stimme, die sie immer benutzte, wenn sie sich in vornehmer Gesellschaft befand: »Wir haben von Mr Largan gehört und sind umgehend hergekommen. Wie geht es Ihrem armen, lieben Schwiegervater?«
»Er schlägt sich tapfer, sagt der Arzt. Das ist alles, worauf wir im Moment hoffen können.«
»War es ein schwerer Schlaganfall?«
»Ja. Eine Körperseite ist vollständig gelähmt, und er ist nur halb bei Bewusstsein. Ich habe nach Kieran geschickt – für den Fall …«
Nun, es wäre deutlich schöner, Conns ältesten Bruder als Nachbarn zu haben, fand Ronan. Er würde seinen Pächtern jedenfalls nicht das Leben zur Hölle machen, wie es dieser böse alte Mann getan hatte. Von dem Augenblick an, als er geerbt hatte, war James Largan ein Schoßhündchen der Engländer gewesen, sogar dem katholischen Glauben hatte er abgeschworen und war wütend geworden, als seine Frau und seine Söhne seinem Beispiel nicht gefolgt waren.
Die beiden Frauen unterhielten sich vielleicht fünf Minuten lang. Kathleen wandte sich kein einziges Mal an Ronan, was ihm nur recht war. Sie war wirklich eine seltsame Frau, festgefahren in ihren Verhaltensweisen, und er wusste, dass Conn sie nur auf Druck seines Vaters geheiratet hatte.
Während er zuhörte, sah Ronan sich im Raum um und stellte fest, wie heruntergekommen er inzwischen aussah. Waren die Largans etwa auch knapp bei Kasse?
Als seine Mutter und er sich verabschiedeten, ignorierte ihre Gastgeberin ihn erneut. Er fragte sich, was sie tun würde, wenn ihr Schwiegervater nicht mehr da wäre, um sie zu beschützen. Er wusste, dass Kieran sie nicht ausstehen konnte, und bezweifelte, dass er sie nach dem Tod seines Vaters weiterhin auf Shilmara leben lassen würde.
Nach diesem Besuch fragte Ronan sich, ob er selbst jemals wieder hierherkommen würde. Vielleicht würde er in Australien bleiben. Und selbst wenn er nach Irland zurückkehrte, würde er sich vielleicht woanders ein Haus kaufen. Ach, wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde.
Aber der Gedanke, ein Haus zu kaufen, deprimierte ihn. Er hatte nicht unbegrenzt Geld und würde eine Art von Landgut kaufen müssen, das ihm ein regelmäßiges Einkommen einbrachte – und es sorgfältig pflegen müssen. Es gäbe also keine Reisen mehr für ihn, höchstens vielleicht nach Dublin oder London.
Wollte er sesshaft werden?
Wusste er überhaupt, was er wollte?
Pandora schritt im Salon über dem Laden auf und ab und schaute durch das Fenster auf die Hauptstraße von Outham hinunter. Warum, dachte sie zornig, verlangte man von schwangeren Frauen, sich zu verstecken, als wäre ihr Zustand irgendetwas Unanständiges? Nichts war natürlicher, als ein Baby zu bekommen. Und wehe, sie zeigte sich im Laden! Als würde die ganze Stadt mit einem Donnerschlag untergehen, wenn sie das täte!
Nicht, dass sie sich für eine Dame hielt. In dieser Hinsicht war sie weder Fisch noch Fleisch. Als junges Mädchen hatte sie in der Baumwollfabrik gearbeitet, aber jetzt hatte sie Geld und Grundbesitz, und deshalb wussten die Leute nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten.
Sie sah den Mitarbeiter ihres Anwalts die Straße entlangkommen, und als er den Laden betrat, fragte sie sich, was er wohl von Zachary wollte. Wenn er wegen ihr hier war, sollte er ihr besser nicht aus dem Weg gehen. Sie würde es sich von niemandem nehmen lassen, ihr eigenes Erbe zu verwalten.
Mr Dawson kam nicht wieder zurück auf die Straße, und sie fragte sich, ob Zachary ihn für ein privates Gespräch in den Korridor geführt hatte, der das Geschäft mit den Wohnräumen verband. Sie schlich zum Treppenabsatz, in der Hoffnung, sie zu hören, und ärgerte sich darüber, dass sie heimlich lauschen musste.
Und tatsächlich drang Zacharys Stimme zu ihr hinauf. »Ich möchte meine Frau in ihrem Zustand damit nicht belasten, also könnte ich vielleicht in etwa einer Stunde in Mr Featherworths Büro kommen, wenn im Laden etwas weniger zu tun ist?«
Zornig rief sie die Treppe hinunter: »Du belastest mich nicht, und wenn es um mich und meine Schwestern geht, bestehe ich darauf, einbezogen zu werden.«
Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille, und sie konnte sich vorstellen, wie die beiden Männer einen Blick wechselten, dann rief Zachary: »Dann schicke ich Mr Dawson hinauf und komme gleich nach, meine Liebe.«
Sie hörte Schritte auf der Treppe, und wenig später kam Mr Dawson um die Ecke. Sie stellte sich schon darauf ein, eine scharfe Bemerkung zu machen, falls er es wie so manche Männer vermeiden sollte, sie und ihren Babybauch anzusehen, doch als er oben ankam, schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln.
»Ich brauche Sie wohl nicht zu fragen, wie es Ihnen geht, Mrs Carr. Sie sind das blühende Leben.«
»Kommen Sie herein und setzen Sie sich. Wie geht es Ihrer Frau?«
Er errötete. »Sie ist auch … ähm … in anderen Umständen.«
Sie sah ihn überrascht an. Sowohl er als auch seine Frau waren Mitte vierzig und erst seit Kurzem verheiratet, sodass niemand erwartet hatte, dass sie ein Kind bekommen würden. »Wie wunderbar für Sie!«
Er lächelte, aber in seinen Augen stand Angst. »Sie ist recht alt für ein erstes Kind, fürchte ich.«
»Alice ist bei guter Gesundheit und wurde während der Baumwollkrise gut ernährt, also denke ich, dass sie eine so gute Chance wie jede andere auf eine erfolgreiche Entbindung hat.«
»Ja, Sie haben recht. Ich hoffe, dass ich mir grundlos Sorgen mache. Aber seit dem Tod meiner Schwester ist Alice alles, was ich habe. Wenn ich sie verlieren würde …«
Sie versuchte nicht, ihn zu beruhigen, denn soweit sie wusste, riskierten Frauen ständig ihr Leben, wenn sie ein Kind auf die Welt brachten. Sie war erleichtert, als sie Zachary leichtfüßig die Treppe heraufkommen hörte. Sie drehte sich zu ihm um, blickte ihn herausfordernd an und beantwortete seine üblichen Fragen, noch bevor er sie stellen konnte: »Nein, ich bin nicht müde, und nein, ich sollte mich nicht ausruhen.« Mit einem Lächeln wandte sie sich wieder Mr Dawson zu. »Mein Mann macht sich zu viele Sorgen um mich. Das finde ich mehr als nur ein wenig lästig, weil ich bei ausgezeichneter Gesundheit bin. Ich hoffe, Sie machen Ihre Frau nicht auch so verrückt!«
Zachary sah sie schief und entschuldigend an, und natürlich konnte sie nicht anders, als zurückzulächeln. Sie konnte unmöglich lange böse auf ihn sein. Sie wandte sich wieder an den Anwalt. »Nun, Mr Dawson, bitte erzählen Sie uns, warum Sie hier sind.«
»Sie werden sich freuen zu hören, dass ich zwei der drei Cottages, die Sie geerbt haben, verkaufen konnte, und zwar zu den Preisen, die wir angesetzt haben.«
Pandora klatschte in die Hände. »Das sind wunderbare Neuigkeiten! So können wir meinen Schwestern einen angemessenen Geldbetrag schicken. Haben Sie schon eine Möglichkeit gefunden, wie wir das bewerkstelligen können?«
»Mr Featherworth hat sich mit der Angelegenheit beschäftigt, aber es scheint, dass alle Methoden ihre Nachteile haben. Die wichtigste Sicherheitsmaßnahme, so glauben wir, besteht darin, nicht alles Geld auf einmal zu versenden. Wenn wir alles schicken und das Schiff sinkt, wie die London im Januar im Golf von Biskaya, dann ist das ganze Erbe verloren. Wegen der jüngsten Zusammenbrüche sind wir uns auch bei den Banken nicht sicher. Und in Australien scheinen sie recht häufig Banken zu eröffnen und wieder zu schließen, genau wie hierzulande. Also … Das Beste wäre wahrscheinlich, einen Teil des Geldes in Form von Goldsovereigns unter der Obhut einer verantwortungsvollen Person nach Australien zu schicken. Aber ich weiß nicht, wo wir jemanden finden sollen, dem wir absolut vertrauen können.«
»Ich wüsste jemanden«, sagte Pandora und bemerkte selbstgefällig die Überraschung auf den Gesichtern der anderen. »Ich habe vor Kurzem einen Brief von meiner Schwester aus Australien bekommen. Xanthe wird die Swan River Colony verlassen und nach England zurückkehren, sobald sie etwas von ihrem Geld hat, obwohl sie hofft, unterwegs noch etwas von der Welt zu sehen. Sie schreibt, ein Freund ihres Dienstherrn werde wahrscheinlich nach Australien reisen, um die Largans zu besuchen, und Conn hat ihn gefragt, ob er etwas Geld für sie mitnehmen kann. Er wäre sehr zuverlässig, da bin ich mir sicher. Er ist selbst wohlhabend. Und wenn er ein Freund von Conn ist, können wir ihm definitiv vertrauen. Solange sie ihr Geld nicht hat, kann sich Xanthe nicht einmal die Überfahrt nach England leisten.« Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Ihre drei Schwestern waren alle so weit weg!
»Wer genau ist diese Person?«
»Er heißt Ronan Maguire und stammt aus einer Grundbesitzerfamilie in der Nähe von Enniskillen. Xanthe hat mir seinen Namen und seine Adresse geschickt, damit ich ihn kontaktieren kann.«
»Vielleicht wäre es besser, wenn das Ihr Mann täte?«, schlug Mr Dawson vor.
Sie holte tief Luft. »Ich glaube, ich schaffe es selbst, ein paar leserliche Worte hinzukritzeln.«
Zachary lächelte. »Meine Frau hat einige unumstößliche Grundsätze … – und es ist schließlich ihr Geld.«
»Rechtlich gesehen gehört es jetzt Ihnen, als ihr Mann.«
»Dann ist das Gesetz falsch«, sagte er leise. »Sie hat es geerbt. Wenn ich es ohne ihre Erlaubnis für meine eigenen Zwecke verwenden würde, wäre es nicht besser als stehlen.«
Pandora sah ihn an und spürte, wie ihr vor Rührung Tränen in die Augen stiegen. Nur wenige Männer waren so liberal, was das Geld ihrer Ehefrauen anging. »Danke«, sagte sie leise.
Sein Blick verriet ihr, dass er genau verstanden hatte, wie sie sich fühlte.
Seltsam, dass er in dieser Hinsicht so liberal war, aber nicht guthieß, dass Frauen im Geschäft bedienten. Seiner Meinung nach würden die Kunden es als wenig kultiviert empfinden und sich möglicherweise entscheiden, woanders einzukaufen. Fürs Erste würde sie das akzeptieren müssen, denn er war gut darin, das Lebensmittelgeschäft zu führen, und liebte, was er tat. Er hatte von ihrem Onkel gelernt, der aus einem kleinen Laden einen so erfolgreichen gemacht hatte.
Einige Tage später traf ein Brief in Ardgullan ein. Ronans Mutter betrachtete stirnrunzelnd den Umschlag, doch sie riss ihn nicht auf wie sonst. Ronan vermutete, dass er für ihn war, und schnappte ihn ihr aus der Hand.
»Nun, wer schreibt dir denn aus England?«, erkundigte sie sich.
»Ich kenne die Handschrift nicht, also werde ich es erst wissen, wenn ich den Brief gelesen habe.«
Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er nahm ihn mit in sein Schlafzimmer und schwor sich, dass er diesmal sein Schreibpult sorgfältig verschließen würde.
Sehr geehrter Mr Maguire,
meine Schwester Xanthe Blake arbeitet für Conn Largan in Australien. Sie schreibt, dass Sie erwägen, ihren Arbeitgeber dort zu besuchen, und Mr Largan glaubt, dass Sie damit einverstanden sein könnten, etwas Geld für uns in die Swan River Colony zu bringen.
Wären Sie so freundlich, das zu tun?
Wenn Sie zustimmen, können Sie uns vielleicht besuchen, bevor Sie Ihre Reise antreten? Mein Mann Zachary und ich würden uns freuen, Ihnen ein Bett für die Nacht zur Verfügung zu stellen und alle Kosten zu übernehmen, die Ihnen durch diesen Umweg entstehen.
Mrs Pandora Carr
Er lächelte. Conn hatte die vier Schwestern erwähnt, von denen zwei für ihn arbeiteten. Er hatte erzählt, wie ungewöhnlich und belesen sie seien. Diese hier zumindest konnte ordentlich schreiben und sich gut ausdrücken. Er wunderte sich allerdings, warum nicht der Ehemann ihn kontaktierte.
Er würde ihre Einladung auf jeden Fall annehmen. Er war noch nie zuvor in Lancashire gewesen und liebte es sehr, neue Orte zu besuchen. Waren die Industriestädte wirklich so schlimm, wie es William Blakes Gedicht suggerierte, mit »dunklen teuflischen Mühlen«, die Rauch ausstießen?
Jemand klopfte an seine Schlafzimmertür. »Mr Ronan, Bram Deagan möchte Sie sprechen, er sagt, es sei dringend.«
»Ich komme gleich.« Ronan verschloss sorgfältig sein Schreibpult und lief leichtfüßig hinunter in die Küche.
Dort fand er Bram, der mit einer Tasse Tee am Tisch saß und schrecklich niedergeschlagen aussah. »Was ist passiert?«
»Sie hat mich entlassen. Mrs Kathleen hat mich entlassen.«
»Wieso das denn?«
»Weil ich dich nach Mr Conn gefragt habe. Ihr Fenster stand offen, und sie hat uns gehört.«
Ronan spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Diese Frau war genauso schlimm wie der alte Mr Largan, hart in ihren Urteilen, grausam zu denen, die ihr dienten, aber im Gegensatz zu ihrem Schwiegervater handelte sie manchmal irrational, sodass man nie vorhersehen konnte, was sie als Nächstes tun oder sagen würde.
»Ich habe mich gefragt, ob du nicht mit ihr sprechen könntest? Sie weigert sich sogar, mir meinen Lohn zu zahlen. Aber der steht mir doch zu, nicht wahr? Ich habe meine Arbeit gemacht, sogar mehr als zwei Monate, denn bald ist Quartalsende und Zahltag.«
»Das ist nicht gerecht.«
»Meine Mutter packt schon meine Sachen – und weint sich die Augen aus. Mrs Kathleen sagt, sie wird meine Eltern aus ihrem Haus werfen, wenn ich bei Einbruch der Dunkelheit nicht vom Anwesen verschwunden bin, und sie sollen dankbar dafür sein, wenn sie bleiben dürfen. Was soll ich ohne mein Geld machen? Ich gebe Mammy den größten Teil meines Lohnes, also bleiben mir nur ein paar Schilling für mich selbst.«
»Du kommst am besten hierher. Du kannst hier übernachten, wenn auch nur im Stall.«
»Wir werden nichts dergleichen tun!«, rief seine Mutter hinter ihm.
Ronan drehte sich um. »Mutter, sicher …«
»Ich werde im Salon mit dir sprechen. Und Sie«, wandte sie sich an Bram, »trinken Sie Ihren Tee aus und warten Sie draußen. Ich bin sicher, Mr Maguire wird Ihnen eine oder zwei Münzen geben, um Ihnen auszuhelfen, aber das ist alles, was er tun wird.«
Ronan folgte ihr in den Salon. »Weigerst du dich wirklich, Bram eine Unterkunft für die Nacht zu geben?«
»Natürlich. Alles andere wäre illoyal gegenüber unseren Nachbarn.«
»Ich hätte gedacht, du wärst freundlicher, Mutter.«
Sie starrte ihn an. »Deine Loyalität hat deiner eigenen Klasse zu gelten, und den Largans standen wir schon immer besonders nahe.«
»Meine Loyalität gilt Wahrheit und Gerechtigkeit – genauso wie es die alte Mrs Largan gehalten hat.« Er wartete darauf, dass sie etwas sagen würde, aber sie presste die Lippen fest aufeinander. »Wenn du deine Meinung nicht änderst, gehe ich mit ihm.«
Einen Augenblick lang starrte sie ihn fassungslos an. »Das kann nicht dein Ernst sein! Du würdest dich gegen deine Mutter und deine Nachbarn entscheiden – für einen Diener?«
»Es ist mein Ernst. Ich wollte sowieso gehen, aber das hat mich nur bestärkt. Ich werde definitiv Australien besuchen.«
Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Du besuchst ihn, nicht wahr, Conn Largan?«
»Das stimmt. Und ich werde auch nicht zurückkommen, nicht nach allem, was du und Kathleen heute getan habt.«
Sie richtete sich auf. »Dann möge der Herr dir vergeben, Ronan, denn mir wird es schwerfallen.« Sie drehte sich um und verließ hocherhobenen Hauptes den Raum.
Einen Moment lang stand er da und war unendlich traurig. In ein paar Tagen würde seine Mutter ihre harten Worte bereuen. Sie bereute es stets, wenn ihr Temperament mit ihr durchging. Aber dann wäre es zu spät. Er wäre weg. Ach, er würde ein wenig Zeit verstreichen lassen und ihr dann schreiben. Sie würde schon zur Besinnung kommen.
Er ging hinaus zu Bram, der vor der Hintertür wartete. »Es tut mir leid, dass meine Mutter dich nicht hier übernachten lässt, aber da ich heute abreise, könntest du mich begleiten. Ich habe sogar einen Vorschlag für dich, eine mögliche Arbeitsstelle.« Er wusste aus Conns Briefen, dass ein Mann, der gut mit Pferden umgehen konnte, in einem neuen Land wie Australien sicher eine Anstellung finden würde – wahrscheinlich sogar bei Conn selbst. Und Bram war intelligenter als die meisten anderen. Die Auswanderung könnte ihm die Möglichkeiten bieten, die er hier in Irland nicht finden würde.
Sein Freund sah ihn traurig an. »Ich konnte dich und deine Mutter bis hierher streiten hören. Ich werde mich nicht zwischen dich und deine Familie stellen, Ronan, mein Freund. Wenn du mir ein oder zwei Pfund leihen und mir ein Empfehlungsschreiben ausstellen könntest, dass ich ein guter Arbeiter bin, dann werde ich es irgendwie schaffen. Und du kannst dir sicher sein, dass ich es dir eines Tages zurückzahlen werde, das schwöre ich.«
»Überstürze nichts. Wir reden heute Abend weiter. Könntest du mir in der Zwischenzeit einen Gefallen tun? Wenn ich dir ein Pferd leihe, kannst du John Docherty eine Nachricht überbringen und auf seine Antwort warten?«
»Natürlich.«
»John ist ein guter Freund, und er wird uns einen Wagen leihen, der uns und unser Gepäck zum Bahnhof in Enniskillen bringt. Es ist schockierend, wie rückständig Irland im Vergleich zum Rest der Welt im Hinblick auf den Schienenverkehr ist. In ganz England gibt es Bahnstrecken, sogar bis in die kleinsten Städte. Jeder benutzt dieses Transportmittel.«
»Dann gehst du nach England?«
»Wir gehen nach England, Bram. Es ist aber nur unsere erste Etappe.« Er holte seine Taschenuhr hervor und schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als er sah, wie spät am Nachmittag es schon war. »Ich erkläre es dir später. Vertraust du mir und kommst mit?«
Noch immer zögerte der Stallknecht. »Bist du sicher, dass du das möchtest? Du hast deine Mutter verärgert, und nun bringst du auch noch die Largans gegen dich auf.«
»Ich bin mir sicher. Ganz sicher. Diese Frau behandelt ihre Angestellten schlecht, und ich für meinen Teil kann das nicht länger ertragen. Sie und der alte Mr Largan haben sogar meine Mutter gegen Conn aufgehetzt, einen Mann, den wir alle seit unserer Kindheit kennen und mögen. Ich kann mit dieser Heuchelei und der regelrechten Grausamkeit nichts anfangen, Bram, mein Freund. Ich wollte sowieso gehen, das versichere ich dir.«
Falls Kieran zurückkehrte, würde er Bram vielleicht seine Anstellung zurückgeben, weil Bram ein guter Arbeiter war. Aber vielleicht auch nicht. Da er einige Jahre älter war als Conn und Ronan, hatte Kieran nicht zu ihrem Freundeskreis gehört, und seit er erwachsen war, hatte er nicht viel Zeit auf dem Anwesen verbracht. Nein, das war es nicht wert, das Risiko einzugehen.
Er sah, dass sein alter Kamerad immer noch zögerte, und fügte mit fester Stimme hinzu: »Ich reise heute ab, ob du dich mir anschließt oder nicht.«
»Dann wäre es mir eine Ehre, mit dir zu reisen.«
Xanthe summte, während sie die Küche aufräumte. Es war Monate her, seit Conn an seinen Freund geschrieben hatte, der eventuell etwas Geld für sie nach Australien bringen könnte. Sie musste geduldig sein, doch manchmal fiel ihr das schwer, und obwohl sie für so nette Menschen arbeitete, fühlte sie sich hier gefangen.
Als sie hinter sich ein Geräusch vernahm, drehte sie sich um und sah ihre Herrin in der Tür stehen, die sich auf ihren Gehstock stützte.
»Warum haben Sie nicht nach mir geläutet, Mrs Largan? Ich wäre gekommen, um zu sehen, was Sie brauchen.«
»Ich wollte dich allein erwischen. Maia putzt gerade mein Schlafzimmer, also können du und ich uns vielleicht ein wenig unterhalten? Ich mache mir Sorgen um sie, weißt du. Deine Entscheidung zu gehen, sobald dein Geld da ist, hat sie so unglücklich gemacht.«
Xanthe seufzte. »Ich weiß. Aber ich kann nichts daran ändern, wie wir beide sind. Mir war immer klar, dass wir eines Tages getrennte Wege gehen würden, und ich habe versucht, sie darauf vorzubereiten, aber sie will mir einfach nicht glauben.«
»Möchtest du dich hinsetzen und mir erzählen, was du vorhast?«
Xanthe half der Hausherrin, sich auf einen Stuhl zu setzen, und zog einen weiteren für sich selbst heran. »Es ist sicher sinnvoll, mit jemandem zu reden, der nicht Teil des Problems ist, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Ma’am. Die Sache ist die, ich wollte schon immer die Welt sehen. Und Maia – nun, sie nicht.«
»Willst du eine Entdeckerin wie Louisa Anne Meredith werden? Ich habe ihre Berichte über ihre Reisen zu den Antipoden gelesen und sie immer beneidet.«
»Sie haben sie beneidet?«
Susannah Largan lächelte. »Ja. Ich habe mich sehr für Botanik interessiert, als ich noch jünger war und gesund war. Interessiert dich diese Art von Reisen?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich habe keine Lust, unzivilisierte Orte zu erkunden oder unter Eingeborenen zu leben.« Xanthe lächelte. »Wenn man in einem Arbeiterviertel ohne Gärten aufwächst, hat man keine Gelegenheit, Pflanzen zu lieben, geschweige denn zu studieren. Ich war immer mehr an Büchern als an Blumen interessiert. Nein, ich möchte die Länder sehen, von denen ich gelesen habe, vor allem Griechenland. Mein Vater liebte die griechische Sprache und die Mythologie so sehr. Ich will für ihn dorthin reisen. Und dann …«
»Was dann?«
»Ich weiß es nicht. Etwas von meinem eigenen Land sehen, oder von Ihrem, oder von Schottland. Paris besuchen. Ich habe gelesen, dass ein Mann namens Thomas Cook mit ganzen Gruppen nach Frankreich und Deutschland reist. Vielleicht könnte ich an einer seiner Fahrten teilnehmen, jetzt, da ich Geld habe.«
»Und wo würdest du zwischen deinen Reisen wohnen?«
»Ich könnte meine Schwester Pandora besuchen, oder irgendwo ein hübsches kleines Häuschen mieten, sobald sie und Zachary uns unsere Anteile am Laden ausgezahlt haben, denn um ehrlich zu sein …« Sie sah sich um und lauschte, denn sie wollte nicht, dass Maia sie hörte. »Ich glaube nicht, dass ich jemals zurückkommen werde, um in Australien zu leben.«
»Das wird deine Schwester traurig machen. Und was soll aus Maia werden, wenn ich sterbe?«, fragte Mrs Largan. »Dann ist sie ganz allein.«
Xanthe zögerte, denn sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
»Euch beiden ist sicher klar, dass ihre Liebe zu meinem Sohn zu nichts führen kann.«
Das war sowohl für sie als auch für ihre Schwester offensichtlich. Maia war doch nicht dumm. Aber Xanthe hatte nicht geahnt, dass Mrs Largan von Maias Gefühlen wusste. Selbst diese freundlichste aller Dienstherrinnen würde eine Heirat zwischen ihrem Sohn und einer jungen Frau aus der Arbeiterklasse niemals dulden. »Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass Maia erwartet, dass etwas aus ihren Gefühlen wird, Ma’am. Sie weiß, dass ein Gentleman wie Ihr Sohn keine Arbeiterin heiraten würde.«
»Erwarten ist eine Sache, träumen eine andere. Wenn ich nicht so dringend auf sie angewiesen wäre, würde ich ihr helfen, eine andere Anstellung zu finden, zu ihrem eigenen Besten.« Mrs Largan blickte traurig auf ihre verkrüppelten Hände hinab. Sie wünschte sich, sie hätten ihren Dienstmädchen von Anfang an die Wahrheit darüber gesagt, dass Conn verheiratet war. Vielleicht hätte es Maia davon abgehalten, sich in Conn zu verlieben – oder vielleicht auch nicht. Wer konnte sich schon aussuchen, in wen er sich verliebte? »Nun, deine andere Schwester wohnt in der Nähe. Maia könnte zu Cassandra gehen, wenn es erforderlich ist. Und bis dahin, wenn du gehst, werde ich mich so gut ich kann um sie kümmern. Kann dich das ein wenig beruhigen?«
»Ja, das kann es.« Verheimlichte ihre Herrin ihr etwas? Warum sprach sie vom Sterben? Hatte sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert? Xanthe beobachtete, wie Mrs Largan langsam und unter Schmerzen aufstand und den Raum verließ. Offensichtlich war das Gespräch beendet.
Aber es hatte wenig dazu beigetragen, Xanthes Sorgen zu vertreiben. Sie war immer die Starke gewesen, die ihre sanftmütige Schwester beschützt hatte, und sie fühlte sich schuldig, weil sie ging. Aber sie konnte nicht ihr ganzes Leben für Maia aufgeben, sosehr sie sie auch liebte.
Zwei Wochen, nachdem er das Haus seiner Mutter verlassen hatte, stieg Ronan in Outham aus dem Zug und sah sich interessiert um. Er lächelte schief, als er feststellte, dass es auch hier nach Regen aussah, mit schweren, tief hängenden grauen Wolken. Seine Reisen hatten ihn noch nie in eine Industriestadt in Lancashire geführt, und er hoffte, eine Führung durch eine der gewaltigen Fabriken mit ihren hoch aufragenden Schornsteinen zu bekommen. Er würde hier jedoch nicht leben wollen, eingepfercht zwischen Reihenhäusern auf beiden Straßenseiten, unter einem Himmel, der mit den schwarzen Rauchsäulen aus den Fabriken wie vergittert wirkte.
Er wurde sich bewusst, dass ein Junge ihn etwas gefragt hatte, und zwang seine Aufmerksamkeit zurück, doch es fiel im schwer, den Akzent zu verstehen. »Was? Oh ja, ich hätte gern einen Handwagen für mein Gepäck. Ich muss zu Blakes Gemischtwaren.«
»Es ist gleich in diese Richtung die Hauptstraße hinunter, Sir«, sagte der Junge, nicht vorlaut, aber direkt, als wären sie einander ebenbürtig, was sich sehr von der Art und Weise unterschied, wie ärmere Menschen in Irland mit Adeligen sprachen.
Ronans restliche Sachen lagerten in Southampton und warteten darauf, auf das Schiff geladen zu werden. Bram würde er in London wiedertreffen. Ronan hatte ihm genug Geld gegeben, damit er Englands berühmte Hauptstadt besichtigen konnte, wozu er vermutlich nicht noch einmal die Gelegenheit haben würde, und sein Jugendfreund hatte sich darüber wie ein Kind gefreut.
Ronan hatte seiner Mutter eine kurze Nachricht geschrieben, in der er ihr mitgeteilt hatte, dass er nach Australien segeln würde, hatte aber keine Antwort erhalten. Normalerweise dauerte es nicht länger als ein paar Tage, bis sie über eine Meinungsverschiedenheit hinwegkam, und er verstand nicht, warum sie diesmal so nachtragend war.
Der Junge blieb stehen und deutete auf einen Laden mit einem großen Schaufenster rechts neben dem Eingang und einem kleineren links davon. Der Name des Geschäfts stand in großen Goldlettern auf kastanienbraunem Hintergrund über den blitzsauberen Schaufenstern. Ein paar Dosen und Pakete waren ordentlich in der Auslage des schmaleren Fensters arrangiert, und das gesamte Innere war voll von Regalen mit Lebensmitteln aller Art, einiges an Trockengut war bereits abgewogen und säuberlich in verschiedenfarbigen Päckchen aufgereiht. Es machte den Anschein eines gut gehenden Geschäfts.
»Haustür oder Laden, Mister?«
»Die Haustür, nehme ich an«, sagte Ronan, also griff der Junge nach dem Türklopfer, und sie warteten geduldig.
Eine junge Frau mit einem fröhlichen Gesicht und der weißen Schürze und Kappe eines Dienstmädchens öffnete ihnen.
»Ich bin Ronan Maguire. Mr und Mrs Carr erwarten mich.«
Sie strahlte ihn an. »Ach ja. Willkommen in Outham, Sir. Wenn Sie bitte hereinkommen und Ihr Gepäck hier im Flur lassen wollen. Ich hole gleich jemanden aus dem Laden, der es nach oben in Ihr Schlafzimmer trägt.«
Er bezahlte den Jungen und folgte ihr nach oben, wo seine Gastgeberin auf ihn wartete. Sie war strahlend schön, wie es einige Frauen sind, wenn sie ein Kind erwarten.
»Mr Maguire. Wie nett von Ihnen, dass Sie zu uns kommen!«
Er gab ihr die Hand. »Ich bin immer daran interessiert, neue Orte kennenzulernen.«
Sie lächelte. »Sie klingen wie meine große Schwester Xanthe. Sie beabsichtigt, einen Teil des Geldes, das wir geerbt haben, für Reisen zu verwenden.«
»Mit ihrem Mann?«
»Sie ist nicht verheiratet.«
Er hoffte, er hatte sich seine Überraschung nicht anmerken lassen, aber er konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. »Es ist ungewöhnlich, dass unverheiratete Damen allein reisen.«
»Ich bezweifle, dass eine von uns Schwestern ›gewöhnlich‹ ist, Mr Maguire. Unser Vater arbeitete in der Fabrik und lernte trotzdem Griechisch. Und meine Schwestern und ich stecken normalerweise die Nase in ein Buch, sobald wir die Zeit dafür haben.« Sie seufzte und blickte wehmütig auf ein aufgeschlagenes Buch, das neben ihr auf dem Sofa lag. »Im Moment habe ich leider viel zu viel Zeit.«
Er konnte nur vermuten, dass ihre Schwester nicht so schön war wie sie, denn normalerweise waren es vertrocknete alte Jungfern, die zur Weltenbummlerin wurden, ein moderner Ausdruck, der ihm sehr gefiel. Er hatte auf seinen Reisen einige solcher Frauen kennengelernt, und sie waren exzentrisch, bizarr gekleidet und manchmal recht ungezwungen in ihrem Verhalten gewesen.
Erst als um sechs Uhr das Abendessen serviert wurde, das alle hier »Tee« nannten, kam Mr Carr aus dem Laden und leistete ihnen Gesellschaft. Danach entschuldigte er sich wieder, weil er zurück in den Laden musste, der bis neun Uhr geöffnet hatte.
»Ihr Mann arbeitet hart.«