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Paul, Rohrbach

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The Project Gutenberg EBook of Die Bagdadbahn, by Paul RohrbachThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Die BagdadbahnAuthor: Paul RohrbachRelease Date: August 28, 2014 [EBook #46713]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BAGDADBAHN ***Produced by Jens Poenisch and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net (This file wasproduced from images generously made available by TheInternet Archive)

Hinweise zur Transkription:

Im Original gesperrter Text wird so dargestellt.

Im Original fetter Text wird so dargestellt.

Weitere Hinweise finden sich am Ende des Buches.

Die Bagdadbahn

Von

Dr. Paul Rohrbach

Mit einer Karte

2. Auflage

Berlin 1911 Verlag von Wiegandt & Grieben (G. K. Sarasin).

Inhalt.

Seite

Vorwort

5

I.

Politische Gesichtspunkte

7

II.

Die Trace und die Landschaften der Bahn

32

III.

Wirtschaftliche Erwägungen und Tatsachen

49

Karte

84/85

Vorwort.

Die erste Auflage dieses Schriftchens erschien im Jahre 1902 als Frucht zweier in den Jahren 1898 und 1900/01 unternommener Reisen nach dem Orient, die zusammen mehr als ein volles Jahr beansprucht hatten. Längere Studien über die politisch-geographischen Verhältnisse, über die gegenwärtige Wirtschaftslage und über die alte Kultur der Länder zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf waren vorangegangen und folgten. Seitdem habe ich noch zweimal, zuletzt 1909, die Gebiete besucht, die von der anatolischen Bahn, von der Anfangsstrecke der eigentlichen Bagdadbahn und von der Trace des jetzt in Angriff genommenen neuen Bauabschnitts durchzogen werden. Die große Mehrzahl der Orte und Gegenden, durch welche die zukünftige Weltverkehrslinie laufen wird, habe ich also selbst gesehen; manche Stücke, namentlich die wichtigeren, sind auf verschiedenen Routen zwei- bis dreimal von mir zurückgelegt worden. Der Verlauf und die wichtigsten Beobachtungen der Reise von 1900/01 wurden in einer Reihe von Berichten in den »Preußischen Jahrbüchern«, April bis November 1901, ausführlicher geschildert. Das meiste davon ist hernach in Sonderausgabe erschienen, unter dem Titel: »Um Bagdad und Babylon. Vom Schauplatz deutscher Arbeit und Zukunft im Orient.« (Hermann Paetel, Berlin, 1909.) Auf diese Veröffentlichungen bitte ich alle diejenigen Leser verweisen zu dürfen, die, über das eigentliche Thema von der Bagdadbahn hinaus, Näheres und auf eigener Anschauung Beruhendes von Land, Leuten und Zuständen im Bereich des zukünftigen Bahngebietes erfahren wollen, soweit nicht durch andere Beschreibungen dafür gesorgt ist.

Jahrelang hat es geschienen, als ob der große Plan in ein bedenkliches Stocken gekommen sei. Jetzt endlich hat der Weiterbau energisch begonnen und die Gesamtheit der mit ihm zusammenhängenden Fragen bewegt wiederum in einer Weise wie nie vorher das politische und wirtschaftliche Interesse, nicht nur in Deutschland und der Türkei, sondern auch in England, Rußland, Frankreich, Persien und anderen Ländern. Was vor einem oder vor zwei Jahrzehnten nur dem tiefer blickenden und besser orientierten Politiker deutlich war: daß die Bagdadbahnfrage aufs engste mit Problemen verknüpft ist, die das Lebensinteresse großer Nationen und Reiche stark bewegen – das fängt heutzutage an Gemeingut des öffentlichen Urteils zu werden. Um so notwendiger erscheint es, die einzelnen Faktoren, die hier in Frage kommen, so objektiv wie möglich zu untersuchen und zur Darstellung zu bringen.

Erstes Kapitel. Politische Gesichtspunkte.

Jedermann, der die Sache der Bagdadbahn absichtlich schädigen will oder unabsichtlich dafür wirkt, sie zu diskreditieren, bringt sie in Verbindung mit dem Gedanken deutscher »Kolonisation« in Kleinasien, Mesopotamien usw. Vor 50 Jahren hat ein deutscher Reisender in Anatolien, Ludwig Ross, Professor aus Halle, zum erstenmal den Gedanken ausgesprochen, daß Kleinasien ein zukünftiges Kolonisationsland für das Deutschtum sei. Mehr als ein Menschenalter hat diese Idee dann ein ziemlich beschauliches Dasein geführt, bis sie vor etwas über zwei Jahrzehnten wieder ausgegraben und, seit sich engere politische Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei knüpften, von den verschiedensten Seiten neu aufs Tapet gebracht wurde. Schließlich verging kein Jahr, ohne daß Leute, die oft nicht einmal in Kleinasien gewesen waren, in Wort und Schrift die Vorzüglichkeit des dortigen Bodens und Klimas priesen und die Verhältnisse so darstellten, als ob das Land nur auf eine deutsche Masseneinwanderung warte, und trotz des kurzen Zeitraums, über den sich das deutsche Orientinteresse einstweilen erst erstreckt, war es noch vor kurzem fast unmöglich, ein Wort zur Sache zu äußern, das einem nicht schon förmlich im Munde zugunsten des Kolonisationsgedankens umgedreht wurde, auch wenn man mit aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit das Gegenteil gesagt hatte.

So viel ist sicher: wenn die Türken es auch nur von ferne für möglich halten, daß hinter unseren Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu ihnen die Idee stecke, Zehntausende oder gar Hunderttausende unserer Bauern auf osmanisches Territorium übersiedeln zu lassen, so wäre es von dem Augenblick mit all unserer Politik im Orient auf lange hinaus zu Ende, ganz besonders, wenn dabei von Kleinasien die Rede ist. Freilich ist auch dieser Begriff Kleinasien in der Vorstellung des deutschen Publikums etwas so Schwankendes und Unbestimmtes, daß es schwer hält, für die Erörterung der darauf bezüglichen Probleme die geographische Grundlage herzustellen. Man begegnet in unseren ersten Zeitungen Berichten und Darstellungen, die das Land zwischen dem oberen Euphrat und Tigris, ja sogar die unteren Stromgebiete nahe dem persischen Golf, endlich auch syrische Landschaften, ganz harmlos auch als Kleinasien bezeichnen. Demgegenüber mag hier, so selbstverständlich es vorkommen will, ausdrücklich betont werden, daß unter Kleinasien oder Anatolien nur die eigentliche Halbinsel westlich einer Linie, die von Trapezunt am Schwarzen Meer nach dem Golf von Issos oder Alexandretta verläuft, zu verstehen ist; daß östlich dieser Grenzlinien Armenien und Kurdistan liegen und südlich von diesen beiden das ebene Stromland des Euphrat und Tigris: in seiner nördlichen Hälfte herkömmlich Mesopotamien genannt, in seiner unteren Babylonien oder das »arabische« Irak; das ganze Küstenland dagegen vom Golf von Alexandretta bis zur Grenze Ägyptens fassen wir heute wie vor alters unter dem Namen Syrien zusammen.

Auf diesem ganzen weiten Gebiet muß man zwischen der anatolischen Halbinsel und den übrigen Ländern insofern eine sehr starke Scheidung machen, als jene von osmanischer Bevölkerung in ziemlich kompakter Masse besiedelt ist, diese aber von dem osmanischen Türkentum nach Rasse und Sprache getrennt sind. Das kurdisch-armenische Hoch- und Gebirgsland käme schon wegen seiner schwierigen Bodenbeschaffenheit für europäische Besiedelung nicht in Betracht. Es verbleiben also das arabische Sprachgebiet, d. h. Syrien, Mesopotamien und Babylonien, und das türkische, d. h. Anatolien. Dieses letztere beherbergt etwa 6 Millionen Osmanen, die zum größeren Teil als Bauern auf dem platten Lande, zum kleineren als Gewerbetreibende in den Städten leben. Es ist der nationale und materielle Kern des türkischen Reiches, die einzig zuverlässige Basis seiner politischen und militärischen Existenz. Eine sehr bedeutende und der Türkei sehr wohlwollende Autorität hat daher einmal den Türken den Rat gegeben, sie möchten allmählich, je eher desto lieber, ihren ganzen »überseeischen« Besitz, d. h. alle schlecht an Anatolien angegliederte Reichsteile, abstoßen. Gerade auf diese Weise würde es der Türkei möglich sein, eine feste und stabile Weiterexistenz inmitten des europäischen und orientalischen Staatensystems zu führen, während die Aufgabe, wesentlich mit den Kräften, d. h. mit dem Menschenmaterial Anatoliens, das ganze über drei Erdteile ausgedehnte Reich zu verteidigen, leicht eine auf die Dauer verhängnisvolle Überanstrengung jenes einen tragenden Teils herbeiführen könnte. Allerdings ist zu sagen, daß es auf jeden Fall unnütz sei, solche Gedanken zu diskutieren, weil sich doch keine türkische Regierung finden wird, die von der Notwendigkeit einer derartigen Selbstamputation überzeugt werden könnte. Unter dem alten Regime wäre daher die Katastrophe auch über kurz oder lang eingetreten, weil nicht nur die Überlastung des osmanischen Elements zu groß war, sondern außerdem noch die Kräfte des Staates teils sinnlos unterbunden, teils frivol verschleudert wurden. Das neue Regime hat auch in dieser Beziehung seine Einsicht bewiesen, indem es sich zu dem Versuch entschloß, auch die Christen zum Militärdienst heranzuziehen. Ich habe über diese allerdings sehr schwierige Frage mit führenden militärischen Persönlichkeiten der neuen Türkei eine Unterhaltung gehabt und aus dieser entnommen, daß nicht die Vergrößerung der Truppenmacht in Bezug auf die Zahl der Mannschaften, sondern die Entlastung des mohammedanischen und in erster Linie des türkischen Elements die Absicht dabei ist. Das ist absolut notwendig, aber es muß noch mehr geschehen. Bisher haben nicht nur die Christen, sondern auch ein großer Teil der nichttürkischen mohammedanischen Untertanen des Sultans keine Militärdienste geleistet, weil die Regierung zu schwach war, um die Stellung von Rekruten überall durchzusetzen. Die Nomaden in Mesopotamien und Babylonien sowie in den syrisch-arabischen Grenzgebieten stellten keine Rekruten, die Kurden auch nicht und die albanesischen Stämme überwiegend auch nicht. Der Versuch Abd ul Hamids, die militärische Kraft der Kurden durch die Organisation der sogenannten Hamidiéregimenter, die etwas Ähnliches sein sollten wie die russischen Kosaken, für die Reichsverteidigung nutzbar zu machen, hatte nur einen sehr geringen Wert, da die Hamidiés im Ernstfall schwerlich hätten bewogen werden können, auf größere Entfernung von ihrer Heimat ins Feld zu rücken. Jetzt greift die Regierung kräftiger durch; Albanien ist unterworfen und zum großen Teil auch entwaffnet; wie es scheint, ist man auch schon mit den Drusen im Hauran, einem kleinen, aber kräftigen Stamm, fertig geworden, und zweifellos wird bald Kurdistan an die Reihe kommen. Diese Erfolge der neuen Regierung sind größer als man sie vorher für möglich zu halten geneigt war, und sie verdienen aufrichtige Bewunderung. Trotzdem wird es aber noch längere Zeit dauern, bis jene eben gebändigten oder noch zu bändigenden Völkerschaften in ein neues organisches und allgemein türkisches Staatsgefühl hineinwachsen, und wenn ihre Heranziehung zum Militärdienst auf der einen Seite dazu beitragen wird, die Osmanen noch weiter zu entlasten, so wird ihre dauernde Beruhigung und Kontrollierung vorläufig immer noch einen Teil der militärischen Kraft des Reiches absorbieren. Selbst aber, wenn diese Sorge in Zukunft einmal nicht mehr existieren sollte, so müßte der Gedanke an irgendeine Kolonisation von Europa aus nach der Türkei hinein, d. h. an Masseneinwanderung bäuerlicher Elemente, an einer anderen Erwägung scheitern. Entweder würden nämlich die Einwanderer Untertanen einer ausländischen Macht bleiben, und das muß jede türkische Regierung als eine schlechthin unmögliche Zumutung ablehnen, oder sie müssen türkische Untertanen werden. Welche inneren und äußeren Schwierigkeiten das für deutsche Ansiedler hätte, liegt auf der Hand, und selbst wenn diese Schwierigkeiten in Wirklichkeit kleiner wären, als sie sind, so müßte es den Türken doch im höchsten Grade unratsam erscheinen, zu den schon vorhandenen, nichtmohammedanischen Angehörigen ihres Staatswesens hinzu noch neue fränkische, christliche, Einsprengungen zu schaffen. Selbst beim besten Willen von beiden Seiten würden sich aus dem bloßen Versuch, eine deutsche Einwanderung nach Kleinasien zu organisieren, so starke und so zweifellose Konflikte ergeben, daß in Wirklichkeit der deutschen Sache im Orient gar kein schlechterer Dienst geleistet werden kann, als wenn die Leute, die sich fälschlich dazu berufen glauben, ihre wirklichen oder angeblichen Erfahrungen und Überzeugungen betreffs deutscher Einwanderung in türkisches Staatsgebiet für die weitere Öffentlichkeit zum besten geben. Sie können sicher sein, daß eine jede derartige Äußerung von den Gegnern Deutschlands, von den Feinden unserer legitimen Bestrebungen im Orient, sorgfältig aufgesucht, verzeichnet und bei geeigneter Gelegenheit den Türken in möglichst tendenziös zugestutzter Form zu unserm Schaden präsentiert wird. Mißtrauen gegen uns kann in der Türkei trotz aller augenblicklichen Beliebtheit des Deutschtums immer hervorgerufen werden. Ich habe selbst bei mehr als einer Gelegenheit die Erfahrung gemacht, daß gerade unter den gebildeteren und einsichtigeren Türken die fremden Bahnprojekte manchmal als die Einleitung zur Besitznahme des Landes angesehen wurden. »Jetzt ist unsere Freundschaft ja groß, aber ich fürchte, im Grunde seid ihr doch nicht besser als die Russen und Engländer und wollt doch unser Land gleich diesen nehmen. Die Eisenbahn aber wird der Strick sein, mit dem ihr es an euch zieht.« – Mit diesen Worten kennzeichnete mir ein alter gebildeter und vornehmer Mohammedaner während meiner Reise in Mesopotamien 1900/01 seine Anschauung von der deutsch-türkischen Politik und von der Eisenbahnfrage. Es bedarf also wirklich nicht solcher politischen Ungeschicklichkeiten, wie es manche Journalartikel über deutsche Kolonisation im Orient sind, um unsere ohnehin nicht leichte Stellung und Aufgabe am Bosporus zu erschweren.

In politisch-nationaler Beziehung lägen die Dinge, wenn es nur hierauf ankäme, im arabischen Sprachgebiet allerdings anders. Zwar ist von wirklichem rassenreinem Arabertum in der arabisierten, syrischen und babylonischen Bevölkerung von Beirut und Jaffa bis Mossul und Basra nur sehr wenig vorhanden. Aber weil die Leute arabisch sprechen, bilden sie sich ein, weitaus etwas Besseres zu sein als der Türke, den sie tief innerlich als einen rohen Barbaren verachten, obwohl er ihnen an Energie und manchen anderen Eigenschaften seines Wesens weit überlegen ist. Viel trägt zu dieser Stimmung, die am schärfsten in Damaskus und überhaupt in Syrien ist, der Umstand bei, daß nur wenige von den höheren Provinzialbeamten aus den Eingeborenen des Landes genommen werden, sondern fast alles vom einfachen Kaimakam (etwa Landrat) an wird von Konstantinopel hergeschickt. Selbst aber, wenn die Türken in Syrien-Mesopotamien an Kolonisation von außerhalb dächten, um das »arabische« Element in Schach zu halten, so hülfe uns das aus dem Grunde wenig, weil nur in sehr beschränkten Teilen jener Gebiete Ackerbaukultur und überhaupt schwerere Arbeit für den Deutschen möglich ist – aus klimatischen Gründen. Die schwäbischen Kolonisten in Palästina, die sogenannten Templer, machen scheinbar davon eine Ausnahme, aber erstens hat es Jahrzehnte gedauert, bis ihre Ansiedelungen zu der jetzigen Blüte gelangt sind, zweitens beschäftigen sie sich meistens nicht mit dem schweren Feldbau, sondern mit den leichteren landwirtschaftlichen Kulturen, Südfrüchten und anderem Obst, Bienenzucht, Weinbau und ähnlichem, und drittens sind sie bekanntlich trotz allem heftigen Angriffen ausgesetzt, und daß ihre Ansiedelungen irgendwie zu beträchtlicheren Größenverhältnissen gediehen, ist durch die ganze Lage der Dinge ausgeschlossen.

Die Besorgnis vor der »politischen« Einflußnahme Deutschlands in den von der Bagdadbahn durchzogenen Landesteilen der Türkei ist es auch offenbar gewesen, wodurch es, von den finanziellen Schwierigkeiten in der Garantiefrage abgesehen, den Gegnern Deutschlands Jahre und Jahre hindurch erleichtert wurde, in türkischen Kreisen selbst Stimmung gegen die »deutschen Eisenbahnbauten« zu machen. Auch von uns anscheinend nicht übelwollender Seite in England, und ebenso auch in Rußland, hört man öfters die Meinung äußern, Deutschland müsse bei dem starken Anwachsen seiner Bevölkerung doch irgendwo auf den Erwerb eines wirklichen Kolonisationsgebietes bedacht sein. Die Leute, die das meinen, übersehen erstens, daß wir im Durchschnitt noch lange nicht eine Volksdichte erreicht haben, bei der von Übervölkerung die Rede sein kann. Selbst aber, wenn das nach langer Zeit wirklich einmal der Fall sein und starker innerer Überdruck ein Steigen der Auswanderungsquote hervorrufen sollte, so wird man bei uns nie daran denken, die Bewegung in die Länder am Euphrat und Tigris abzuleiten.

Diese Vorbemerkung über die jetzt glücklicherweise etwas mehr in den Hintergrund tretende, aber immer noch nicht ganz abgetane Kolonisationsfrage war notwendig, um für die weitere Behandlung des ganzen Bagdadbahnproblems nach der politischen wie nach der wirtschaftlichen Seite hin freie Bahn zu bekommen.

Unter das Stichwort »Bagdadbahn« gehört ein für Deutschland sehr weittragender, umfassender und nicht einfacher Zusammenhang von Tatsachen und Erwägungen der großen Politik. Als zuerst der Gedanke im Ernst auftauchte, unter Führung deutschen Kapitals und mit maßgebender Beteiligung der deutschen Industrie einen Schienenweg zu erbauen, der am Bosporus beginnen und am persischen Golfe endigen sollte, da dachte man in weiteren Kreisen zunächst nur an die sogenannten rein wirtschaftlichen Vorteile, die sich hieraus für das deutsche Wirtschaftsleben ergeben würden. Wer seine Gedanken weiter schweifen ließ, der stellte sich vor, daß in Zukunft auch die Versorgung des europäischen, zum Teil also auch des deutschen Marktes mit Getreide, Baumwolle und anderen Produkten aus dem zukünftigen Gebiet der Bagdadbahn würde stattfinden können, sobald dort infolge des Bahnbaues Bodenertrag und Bevölkerung wieder auf einen ähnlichen Stand gelangt sein würden, wie einst im Altertum. Man braucht diese Erwägungen keineswegs auszuschließen, ja man kann und muß sie sogar stark unterstreichen, aber der eigentliche Ausschlag in der Gesamtheit der Fragen, um die es sich hier handelt, liegt nicht bei ihnen, sondern auf anderem Gebiet. Um ihn seiner Natur nach zu verstehen, ist es notwendig, von ziemlicher Ferne her auszuholen, und zwar von dem Wechsel in den Prinzipien der deutschen auswärtigen Politik, der bald nach 1890 durch das veränderte Verhältnis zu England offenbar wurde.

Von 1870 an ist unsere Politik etwa ein Vierteljahrhundert lang ganz überwiegend durch das Verhältnis zu Frankreich bestimmt worden. Als der Frankfurter Friede geschlossen war, sagte Moltke, die Festhaltung des Errungenen würde dem neuen deutschen Reich fünfzig Jahre Waffenbereitschaft kosten. Bismarck führte in seinen »Gedanken und Erinnerungen« mehrfach aus, wie das Prinzip der Gefahr für Deutschland hierbei in der Möglichkeit der »Konstellation des Siebenjährigen Krieges« läge, d. h. in einem Bündnis Frankreichs, Österreichs und Rußlands gegen uns. Aus diesem Grunde, sagt er, müsse die deutsche Politik so geführt werden, daß Deutschland zwischen Österreich und Rußland sich mindestens mit einem dieser beiden Staaten, womöglich aber mit beiden, in einer dauerhaften Verständigung befinde. Sehr häufig findet sich bei Bismarck, angedeutet oder ausgesprochen, der Gedanke, daß – vom Standpunkt Deutschlands aus betrachtet – der politische Zusammenschluß der drei Kaiserreiche im Grunde das ideale europäische System sei, immer mit Rücksicht auf das Revanchebedürfnis Frankreichs und auf die von dort ausgehende, den alten Monarchien unbequeme Agitationskraft der demokratisch-republikanischen Idee.