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Die nach acht Jahren vorzunehmende Neubearbeitung dieses Werks ist vor allem dadurch notwendig geworden, dass sich in der Praxis des Garantiegeschäfts die Anwendung der von der Internationalen Handelskammer (ICC) herausgegebenen "Uniform Rules for Demand Guarantees" (URDG 758) immer mehr durchsetzt. Die Bankgarantie ist ein Instrument des internationalen Handelsverkehrs. Erläutert wird die Rechtslage in Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, der Schweiz und in Spanien. Hinzukommen erstmals Ausführungen betreffend die Bankgarantie in Tschechien. Da die Gliederung für alle Länderberichte (soweit möglich) einheitlich gestaltet ist, ergeben sich so wichtige rechtsvergleichende Aspekte, die praktischen Nutzen versprechen. Dabei finden auch die einschlägigen Fragen der URDG 758 entsprechende Beachtung. Der Titel in Kürze: •Rechtsfragen zum einstweiligen Verfügungsverfahren •Probleme des abstrakten Garantiegeschäfts •Darstellung der Bankgarantie in zahlreichen Rechtsordnungen •Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung und Literatur
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Seitenzahl: 1715
Veröffentlichungsjahr: 2022
Herausgegeben von
Professor Dr. Friedrich Graf von Westphalen
Rechtsanwalt, Lohmar
Mit Beiträgen von
Louis B. Buchman; Tom Ensink, LL.M.; Dr. Nicolas de Gottrau, LL.M.; Marie de Gottrau, MLaw; Dr. Fabian Liebel; Prof. Dr. Pedro Portellano; Prof. Stefano Troiano; Mgr. Michal Vávra; Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen
5., überarbeitete Auflage 2023
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
Alle im Buch verwendeten Begriffe verstehen sich geschlechterneutral. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet – entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN ISBN 978-3-8005-1807-4
© 2023 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Druckvorstufe: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, 69502 Hemsbach
Druck und Verarbeitung: CPI books, 25917 Leck
Printed in Germany
Acht Jahre, das ist in jeder Hinsicht eine lange Zeitspanne, sind seit dem Erscheinen der 4. Auflage dieses Handbuchs ins Land gegangen. Mit Recht drängte der Verlag auf eine Neubearbeitung. Sie weist gegenüber der Vorauflage eine wichtige Änderung auf: Frau Professor Brigitta Zöchling-Jud ist als Herausgeberin nicht mehr mit von der Partie; ihre überaus zeitraubenden und umfangreichen sonstigen Tätigkeiten als Professorin an der Universität Wien ließen ihr zu ihrem eigenen Bedauern leider keine andere Wahl. Es ist mir als verbleibender Herausgeber daher ein wichtiges Anliegen, ihr für die jahrzehntelange Begleitung und Betreuung dieses Werks meinen herzlichen Dank auszusprechen.
Ohne großes Zögern hat Herr Rechtsanwalt Dr. Fabian Liebel, Wien, die Aufgabe übernommen, den Teil betreffend das österreichische Recht der Bankgarantie neu zu konzipieren und umfassend darzustellen. Die übrigen Autoren, die höchst fachkundig schon in den Vorauflagen die einzelnen Länderberichte erstellt hatten, haben alle ihr Möglichstes getan, um die gebotene Aktualität in ihren Darstellungen im Rahmen eines weithin einheitlichen Schemas wieder zu gewährleisten. Zu bedauern ist allerdings, dass es – trotz großer Mühen und vielfältiger Versuche – nicht gelungen ist, den Part betreffend das englische Recht der Bankgarantie neu zu besetzen. Ein kleiner, sicherlich nicht vollwertiger Ersatz ist, dass Herr RA Michal Vávra, Brünn, bereit war, die Rechtslage in Tschechien darzustellen. Allen Autoren danke ich für ihre vorzüglichen Berichte und ihre stets als höchst kompetent zu wertenden Kommentierungen.
Durch alle Länderberichte – das betrifft auch die Darstellung des deutschen Rechts – zieht sich wie ein roter Faden die Frage, ob und in welchem Maß die von der ICC herausgegebenen „Uniform Rules for Demand Guarantees“ No. 758 sich in der Praxis der einzelnen Länder bereits durchgesetzt haben. Das Urteil ist – per Saldo – aus mancherlei Gründen als recht skeptisch zu bezeichnen. Untersucht wurde daher auch, ob sich daran etwas geändert haben könnte (oder auch ändern dürfte), wenn man die praktische Anleitung der ICC-Publikation von 2021 hinzunimmt: „International Standard Demand Guarantees Practice for URDG 758 – ISDGP“. Die bislang seit dem Erscheinen verstrichene Zeit ist jedoch zu kurz, um hier Abschließendes sagen zu können. Im deutschen Recht erweisen sich auch an dieser Stelle die zwingenden Normen des AGB-Rechts im Blick auf eine einheitliche Lösung der vielfältigen Fragen der Bankgarantie als recht sperrig.
So hofft denn der Herausgeber – und mit ihm natürlich alle beteiligten Autoren – dass die Neuauflage dieses Werks dazu beitragen möge, Zweifelsfragen für die Praxis klären zu helfen, damit das unentbehrliche Instrument der abstrakten Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr rechtssicher eingesetzt werden kann. Für Hinweise aus der Praxis bin ich stets dankbar.
Lohmar, im Oktober 2022
Friedrich Graf von Westphalen
Louis B. Buchman
Avocat, Paris
Tom Ensink, LL.M.
Rechtsanwalt, Rotterdam
Marie de Gottrau, MLaw
Rechtsanwältin, Zürich
Dr. iur. Nicolas de Gottrau, LL.M.
Rechtsanwalt, Genf
Dr. Fabian Liebel
Rechtsanwalt, Wien; Lehrbeauftragter am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien
Prof. Dr. Pedro Portellano
Full Professor of Commercial Law, Universidad Autónoma de Madrid; Of Counsel, Madrid
Prof. Stefano Troiano
Inhaber des Lehrstuhls für Privatrecht, Universität Verona
Mgr. Michal Vávra
Advokát, Brno, Wien
Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen
Rechtsanwalt, Lohmar
a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABB
Allgemeine Bedingungen für Bankgeschäfte 2001
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, JGS 946/1811 i.d.F. BGBl. I Nr. 145/2022
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
AG BS
Appellationsgericht Basel-Stadt
AGB
Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
AWG
Außenwirtschaftsrecht
BB
Betriebs-Berater
Bd.
Band
BGE
Amtliche Sammlung der Entscheide des Schweizerischen Bundesgerichts, Lausanne
BGer
Schweizerisches Bundesgericht
BGH
Bundesgerichtshof
BJM
Basler Juristische Mitteilungen, Basel
BR
Baurecht, Zürich
BuB
Bankrecht und Bankpraxis
BWG
Bankwesengesetz, BGBl. 639/1993 i.d.F. BGBl. I Nr. 36/2022
bzw.
beziehungsweise
cdbf
Centre de droit bancaire et financier der Universität Genf
CJ GE
Cour de Justice, Genf
d.h.
das heißt
DB
Der Betrieb
ders.
derselbe
E.
Erwägung(en)
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
ERA
Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive
ERAG
Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien, Publikation Nr. 458 der IHK, in Kraft getreten am 1.1.1993
ERI
Einheitliche Richtlinien für das Inkasso von Handelspapieren
etc.
et cetera
EWiR
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
f.
folgende
ff.
fortfolgende
Fn.
Fußnote(n)
Formular IHK
Musterformulare für die Ausstellung von auf Anfordern zahlbaren Garantien, im Anhang zu den Einheitlichen Richtlinien der IHK für auf Anfordern zahlbare Garantien (Publikation Nr. 458 der IHK), Publikation Nr. 503 der IHK, veröffentlicht 1994
FS
Festschrift
ggfs.
gegebenenfalls
GS
Gedächtnisschrift
h.A.
herrschende Ansicht
h.L.
herrschende Lehre
HG ZH
Handelsgericht des Kantons Zürich
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.
Herausgeber
HS
Handelsrechtliche Entscheidungen
i.d.F.
in der Fassung
i.d.R.
in der Regel
i.f.
in fine
i.i.
in initio
i.S.d.
im Sinne des
IHK
Internationale Handelskammer
IPR
Internationales Privatrecht
IPRax
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
IPRG
Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (SR 291)
IPRG
Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das Internationale Privatrecht, BGBl. 304/1978 i.d.F. BGBl. I Nr. 147/2022
JBl
Juristische Blätter
JT
Journal des Tribunaux, Lausanne
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Lit.
Literatur
lit.
littera
LugÜ
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (SR 0.275.12)
m.E.
meines Erachtens
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer(n)
NRCP
Nuova rivista di diritto commerciale e processuale, Lugano
NZ-K
Kartei in Außerstreitsachen in Österreichische Notariatszeitung
ÖBA
Österreichisches Bank-Archiv
ÖBl
Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
OG TI
Obergericht (Tribunale d’Appello) des Kantons Tessin
OG ZH
Obergericht des Kantons Zürich
OGH
Oberster Gerichtshof
ÖJZ
Österreichische Juristenzeitung
OLG
Oberlandesgericht
OR
Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30.3.1911 (SR 220)
ÖZW
Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
QuHGZ
Quartalshefte der Girozentrale
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für Internationales Recht
RdW
Österreichisches Recht der Wirtschaft
RG
Reichsgericht
RGRK-BGB
Kommentar zum BGB, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern
RGRK-HGB
Kommentar zum HGB, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
RIW/AWD
Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
Rn.
Randnummer
Rspr.
Rechtsprechung
RZ
Österreichische Richterzeitung
s.
siehe
S.
Seite(n)
SAG
Schweizerische Aktiengesellschaft (= La société anonyme suisse) (seit 1990: SZW), Zürich
SchKG
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11.4.1889 (SR 281.1)
SJ
La Semaine Judiciaire, Genf
SJZ
Schweizerische Juristen-Zeitung (= Revue Suisse de Jurisprudence), Zürich
SR
Systematische Sammlung des Bundesrechts
SZ
Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen
SZW
Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (= Revue suisse de droit des affaires) (bis 1989: SAG), Zürich
TC VD
Cour civile du Tribunal cantonal vaudois
u.v.m.
und viele mehr
UNCITRAL
Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht
URDG 758
Uniform Rules on Demand Guarantees 758 – Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien, Publikation Nr. 758 der IHK, in Kraft getreten am 1.7.2010
v.
versus
vgl.
vergleiche
wbl
Wirtschaftsrechtliche Blätter (ab 1996)
WBl
Wirtschaftsrechtliche Blätter (bis 1995)
WuB
Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht
z.B.
zum Beispiel
ZBB
Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung
ZG BS
Zivilgericht Basel-Stadt
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10.12.1907 (SR 210)
Ziff.
Ziffer(n)
ZPO
Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19.12.2008 (SR 272)ZR
Blätter für Zürcherische Rechtsprechung, Zürich
ZSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht (= Revue de droit suisse), Basel
Graf von Westphalen
Übersicht
1
Neben dem Dokumenten-Akkreditiv als Zahlungsmittel ist die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie das wichtigste Sicherungsinstrument des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs.1 Deshalb ist es geboten, zunächst ihre Funktion näher zu beleuchten, um auf diese Weise das Verständnis dieses Instruments in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu vertiefen.
2
Im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr gibt es kein größeres Geschäft, in dem nicht eine Bankgarantie – sei es vom deutschen Exporteur/Importeur, sei es vom ausländischen Kunden/Lieferanten – gestellt werden muss. Auch wenn Schätzungen über das Volumen der jährlich im Export- und Importgeschäft herausgelegten Bankgarantien in die Milliarden EURO gehen, findet sich bislang keine einheitliche, auch keine nationalrechtliche gesetzliche Regelung dieses Instruments.2 Das öffnet in der Praxis entweder den Weg, auf die von der ICC herausgegebenen „Uniform Rules on Demand Guarantees 758“ (URDG 758)3 zurückzugreifen oder – häufiger – es den Parteien an die Hand zu geben, wie sie im Einzelnen die jeweils akkordierten Bankgarantie für ihren Vertrag textieren. Da sich die URDG 758 mittlerweile einer gewissen Beachtung in der deutsch-rechtlichen Bank- und Garantiepraxis erfreuen,4 sollen die sich insoweit ergebenden Rechtsfragen nicht mehr gesondert dargestellt werden, sondern sie werden – soweit sinnvoll – ans Ende eines jeden Kapitels gestellt. Für diese Darstellungsweise spricht auch, dass die ICC erst kürzlich die „International Standard Demand Guarantee Practice for URDG 758“ publiziert hat.5 Dieser praktische Leitfaden erinnert an die bereits weiter fortgeschrittene Behandlung der das Akkreditiv umgebenden Rechtsfragen.6 Dort hat inzwischen die ICC neue Richtlinien zur elektronischen Vorlage von Dokumenten bei Akkreditiven und Inkassi herausgegeben.7 Doch die Digitalisierung hat das internationale Garantiegeschäft noch nicht in gleicher Weise erfasst.8
3
Schinnerer/Avancini9 blicken in die Geschichte der internationalen Bankgarantie zurück und unterbreiten folgende Beobachtung: Nach dem 1. Weltkrieg gewann das Dokumenten-Akkreditiv zusehends an Bedeutung; der wachsende Außenhandel sowie das Aufkommen der Linienschifffahrt waren hierfür verantwortlich.10 Als dann zwischen den beiden Weltkriegen die Zeiten – auch für den internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr – ruhiger wurden, erlangte das Dokumenten-Inkasso11 ungeahnte Verbreitung. Die immer weiter anwachsende Bedeutung der auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellten Bankgarantie stammt indessen aus den Zeiten nach dem 2. Weltkrieg.12 Dieser Trend ist ungebrochen: Weitreichende Partikularisierungen der Rechtsordnungen – trotz zunehmender Vereinheitlichungstendenzen – und das hohe Sicherungsbedürfnis der jeweils Begünstigten machen die Bankgarantie zu einem unverzichtbaren Sicherungsinstrument. Sie ist ein zentrales Instrument zur Förderung des Außenhandels geworden.13
4
Von ihrer Grundstruktur her betrachtet ist die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte – rechtstechnisch als abstrakt einzuordnende – Bankgarantie ein „Kind des Misstrauens“: Sie verschafft dem Begünstigten – allein aufgrund der während ihrer Laufzeit drohenden Inanspruchnahme – die „denkbar stärkste“ Rechtsposition.14 Losgelöst vom Vertragsverhältnis zwischen Exporteur/Importeur sichert sie regelmäßig den Begünstigten, gleichgültig, ob es sich um Export- oder ein Importgeschäft handelt, vor den Risiken einer Nichterfüllung bzw. einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrages durch den anderen Vertragspartner, den Garantieauftraggeber.15 In gleicher Weise sichert sie – keineswegs selten – in ihrer Form als Zahlungsgarantie den Zahlungsanspruch des Exporteurs, was vor allem im Forfaitgeschäft im Rahmen einer Refinanzierung praktiziert wird.16 Die Inanspruchnahme der auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellten Bankgarantie erweist sich dabei – von Ausnahmefällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen (Kap. C Rn. 63; Kap. D Rn. 194ff.) – als Ergebnis des vertragswidrigen Verhaltens des Garantieauftraggebers.17 Dieses berechtigt den Begünstigten, die zu seinen Gunsten hinausgelegte Bankgarantie rechtmäßig in Anspruch zu nehmen. Doch ist eine solche Inanspruchnahme in der Praxis eher die Ausnahme.18 Denn die Bankgarantie hat primär Sicherungsfunktion,19 nicht aber in erster Linie stets eine Liquiditätsfunktion zugunsten des Begünstigten.20 Doch haftet die Bank dem Begünstigten als einem Dritten21 gegenüber stets im Fall der formell zutreffenden Inanspruchnahme.22 Der vom Begünstigten auf „erstes Anfordern“ zu fordernde Betrag ist allerdings durch den Zweck der Garantie konkretisiert und haftungsmäßig durch die Garantiesumme limitiert.23 Der Struktur nach ist die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie eine Forderungsgarantie, durch die dem Begünstigten die Erfüllung einer bestimmten, in ihrer Höhe durch die ausgewiesene Garantiesumme begrenzten Forderung durch die Bank verbindlich zugesichert wird,24 indem der Begünstigte sogleich liquide Mittel erhält.25 Aus der Sicht des Garantieauftraggebers – in der Regel: des deutschen Exporteurs – erfüllt die Stellung einer Bank eine klassische Kreditierungsfunktion.26
5
Wesentliches Merkmal der auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellten Bankgarantie ist nach der Dogmatik des deutschen Rechts ihre Abstraktheit: Genauso wie das Dokumenten-Akkreditiv ist die Bankgarantie vom Grundgeschäft losgelöst, was freilich im Folgenden – auch in Abgrenzung zum Dokumenten-Akkreditiv – noch zu vertiefen ist.27 Doch soll schon jetzt dies als markanter Unterschied herausgegriffen werden: Das Dokumenten-Akkreditiv hat stets reine Zahlungsfunktion. Demgegenüber hat die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie primär eine Sicherungsfunktion; ihre Liquiditätsfunktion stellt sich erst in dem Augenblick ein, in welchem der Begünstigte sie auf „erstes Anfordern“ in Anspruch nimmt und vom Garanten Zahlung erhält. Die Banken garantieren also bei Übernahme einer Garantie für den Garantieauftraggeber, dass dieser seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Begünstigten erfüllt.28 Anders gewendet und schärfer formuliert: Der Zahlungsanspruch des Begünstigten entsteht immer erst dann, wenn die Voraussetzungen des „formellen“ Garantiefalls (Kap. D Rn. 176ff.) erfüllt sind und der Begünstigte auf diese Weise die Bank zur Zahlung der Garantiesumme verpflichtet. Ob auch, bezogen auf das Grundverhältnis zwischen Exporteur und Importeur, also zwischen Begünstigtem und Garantieauftraggeber, die Voraussetzungen des „materiellen“ Garantiefalls (Kap. D Rn. 194ff.) gegeben sind, bleibt regelmäßig aus der Perspektive der zur Zahlung verpflichteten Bank, von den Ausnahmefällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen, außer Betracht. In diesem Tatbestand dokumentiert sich die in der Abstraktheit29 liegende besonders starke Rechtsposition des Begünstigten. Darin wird – nicht ganz zu Unrecht – ein Druckmittel des Begünstigten gesehen, welche die Durchsetzung von Ansprüchen erleichtert.30
6
Historisch ist die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie dadurch zu erklären, dass sie das früher übliche – und auch heute noch immer wieder, abhängig von der Bonität des Garantieauftraggebers geforderte – Bardepot abgelöst hat.31 Bevor die Praxis im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr dieses Instrument entwickelte, war nämlich der Garantieauftraggeber in jedem Einzelfall verpflichtet, zugunsten des Garanten – regelmäßig einer Bank – in entsprechender Höhe ein Bardepot zu hinterlegen, und zwar entweder in Bargeld oder in Wertpapieren. Auf dieses konnte der Begünstigte unter Beachtung der getroffenen Vereinbarungen zugreifen, sofern er der Auffassung war, dass der Garantieauftraggeber seine Vertragspflichten verletzt und ihm einen Schaden zugefügt hatte, den er auf diesem Wege – jedenfalls bis zur Höhe der vereinbarten Garantiesumme – kompensieren wollte.32 In dieser Perspektive wird die bereits angesprochene Kreditierungsfunktion der Bankgarantie besonders deutlich.33
7
Zugunsten des Begünstigten bewirkt die Verwendung einer auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellten Bankgarantie im praktischen Ergebnis eine Vertauschung der Parteirollen.34 Sofern nämlich der Begünstigte die zu seinen Gunsten ausgestellte, auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie formell ordnungsgemäß (Kap. D Rn. 161ff.) in Anspruch nimmt, erreicht er – zumindest in der Regel – eine bei Abschluss des Vertrages als ausreichend angesehene Sicherung für den Schaden, der ihm wegen der Nichterfüllung oder der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung von seinem Vertragspartner, dem Garantieauftraggeber, verursacht wurde. Da es jedoch bei einer ordnungsgemäßen Inanspruchnahme der auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellten Bankgarantie – wie bereits angedeutet – nicht entscheidend darauf ankommt, ob im Grundverhältnis zwischen Garantieauftraggeber und Begünstigtem die Voraussetzungen des „materiellen“, d.h. eines auch in diesem Vertragsverhältnis als rechtmäßig einzustufenden Garantiefalls gegeben sind, äußert sich – bezogen aus der Perspektive des Begünstigten – der klassische Vorteil der Bankgarantie: Es gilt der eherne Grundsatz: „Erst zahlen, dann prozessieren.“35 Hat also der Begünstigte die auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie formell ordnungsgemäß in Anspruch genommen und von der Bank auch Zahlung der angeforderten Garantiesumme erhalten, dann wird der Garantieauftraggeber in Bezug auf einem ihm zustehenden Rückforderungsanspruch in die Rolle des Klägers gedrängt. Er muss gegenüber dem Begünstigten, sofern er mit der Inanspruchnahme der Bankgarantie – materiell-rechtlich im Rahmen des Grundverhältnisses bewertet – nicht einig geht, darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen des „materiellen“ Garantiefalls innerhalb des Grundverhältnisses zum Begünstigten nicht gegeben sind und dass dieser die Garantie zwar formell rechtmäßig, aber letztlich eben doch rechtswidrig in Anspruch genommen hat.36 Das in diesen Fällen entstehende Rückforderungsrisiko liegt also beim Garantieauftraggeber (Kap. D Rn. 264ff.). Die Bank selbst nimmt nach Auszahlung der fällig gestellten Garantiesumme sogleich beim Garantieauftraggeber nach den §§ 683, 670 BGB Regress und belastet sein Konto mit der ausgezahlten Garantiesumme.37 Deshalb wird regelmäßig erst in einem der Inanspruchnahme der Bankgarantie nachfolgenden Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren zwischen Garantieauftraggeber und Begünstigtem die Frage endgültig geklärt, ob die Inanspruchnahme der Bankgarantie tatsächlich – Stichwort: „materieller Garantiefall“ – berechtigt oder nicht berechtigt war.38
8
Genau dieser Umstand ist es, der den bereits apostrophierten, für das Instrument der Bankgarantie typischen „Rollentausch“ zwischen Garantieauftraggeber und Begünstigten nach Inanspruchnahme der Garantie und Auszahlung des Garantiebetrages charakterisiert. Ist nämlich der Exporteur/Importeur – ohne als Begünstigter eine auf „erstes Anfordern“ zahlbar gestellte Bankgarantie in Händen zu haben – gezwungen, Schadensersatz oder Nichterfüllungsansprüche gegenüber seinem Vertragspartner durchzusetzen, dann muss er dies von Anfang an in einem Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren entsprechend den Vereinbarungen des Grundvertrages klären lassen. Er kann dann nicht – auch nicht wenigstens vorläufig – seinen erlittenen Schaden (durch formell ordnungsgemäße Inanspruchnahme der Bankgarantie in Höhe der Garantiesumme) liquidieren.
9