Die Bekehrung der Welt - Bernhard Maier - E-Book

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Bernhard Maier

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Beschreibung

«Machet zu Jüngern alle Völker!» Das Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen bescherte dem «Missionsbefehl» Jesu eine völlig neue Schubkraft. Der Religionshistoriker Bernhard Maier beschreibt eindrucksvoll, wie christliche Missionare von der spanischen Conquista über die Zeit der Kolonialreiche bis zur Entkolonialisierung Kulturen und Religionen auf der ganzen Welt transformierten – und nicht zuletzt auch das Christentum selbst. Seine souveräne Geschichte der weltweiten Mission bietet einen einzigartigen Schlüssel, um die Globalisierung der Kulturen in der Neuzeit besser zu verstehen. Im Frühjahr 1493 bestätigte Papst Alexander VI. das Anrecht der spanischen Könige auf die neuentdeckten Gebiete jenseits des Atlantiks, wenn sie deren Missionierung betrieben. Damit war ein Grundmuster vorgegeben. Bernhard Maier zeigt, wie Missionare die Unterwerfung der Welt moralisch flankierten, doch dabei bald an Grenzen stießen. Erzwungene Bekehrungen waren selten nachhaltig. Man musste die Sprachen der Heiden erlernen, die Frohe Botschaft übersetzen, Mythen und Rituale christlich deuten, Schulen gründen, medizinische Versorgung bieten, ja, wenn nötig die anvertrauten Völker paternalistisch auch gegen die eigene Kolonialmacht in Schutz nehmen. So änderten sich mit der Mission auch die Religionen in den Missionsgebieten, die christliche Muster übernahmen und teils selbst missionarisch wurden, während viele Missionare einen neuen Sinn für Spiritualität und Ganzheitlichkeit mit nach Hause brachten. Mit diesem anschaulich geschriebenen Buch liegt erstmals eine Gesamtdarstellung der neuzeitlichen Mission auf dem aktuellen Forschungsstand vor.

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Bernhard Maier

DIE BEKEHRUNG DER WELT

Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit

C.H.Beck

Zum Buch

«Machet zu Jüngern alle Völker!» Das Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen bescherte dem «Missionsbefehl» Jesu eine völlig neue Schubkraft. Der Religionshistoriker Bernhard Maier beschreibt eindrucksvoll, wie christliche Missionare von der spanischen Conquista über die Zeit der Kolonialreiche bis zur Entkolonialisierung Kulturen und Religionen auf der ganzen Welt transformierten – und nicht zuletzt auch das Christentum selbst. Seine souveräne Geschichte der weltweiten Mission bietet einen einzigartigen Schlüssel, um die Globalisierung der Kulturen in der Neuzeit besser zu verstehen.

Im Frühjahr 1493 bestätigte Papst Alexander I. das Anrecht der spanischen Könige auf die neuentdeckten Gebiete jenseits des Atlantiks, wenn sie deren Missionierung betrieben. Damit war ein Grundmuster vorgegeben. Bernhard Maier zeigt, wie Missionare die Unterwerfung der Welt moralisch flankierten, doch dabei bald an Grenzen stießen. Erzwungene Bekehrungen waren selten nachhaltig. Man musste die Sprachen der Heiden erlernen, die Frohe Botschaft übersetzen, Mythen und Rituale christlich deuten, Schulen gründen, medizinische Versorgung bieten, ja, wenn nötig die anvertrauten Völker paternalistisch auch gegen die eigene Kolonialmacht in Schutz nehmen. So änderten sich mit der Mission auch die Religionen in den Missionsgebieten, die christliche Muster übernahmen und teils selbst missionarisch wurden, während viele Missionare einen neuen Sinn für Spiritualität und Ganzheitlichkeit mit nach Hause brachten. Mit diesem anschaulich geschriebenen Buch liegt erstmals eine Gesamtdarstellung der neuzeitlichen Mission auf dem aktuellen Forschungsstand vor.

Über den Autor

Bernhard Maier ist Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen. Bei C.H.Beck erschien von ihm zuletzt «Die Ordnung des Himmels. Eine Geschichte der Religionen von der Steinzeit bis heute» (2018).

Inhalt

Vorwort

Einleitung – Die Mission des Christentums vor der Neuzeit

Das Christentum als missionierende Religion

Biblische Bezugspunkte

Mission im Römischen Reich und an seinen Grenzen

Die Christianisierung Europas

Religion und Herrschaft

Bekämpfung und Aneignung fremder Religionen

Akkulturation und historischer Wandel

Erinnerung und Geschichtsschreibung

1: Katholische Mission am Beginn der Globalisierung – Die Karibik und Lateinamerika von der Entdeckung durch Kolumbus bis zum Niedergang des spanischen Kolonialreichs

Von der Eroberung bis zur Entkolonisierung

Voraussetzungen der Missionierung

Sklaverei und Völkerrecht

Das Experiment der Jesuitenreduktionen

Probleme der Übersetzung und Inkulturation

Missionare als Gelehrte

Einheimische Heilkunde und europäische Medizin

Gewaltsamer Widerstand gegen die Missionierung

Die Christianisierung Lateinamerikas als Thema der Literatur

2: Rivalität der Nationen und Konfessionen – Nordamerika von der Ankunft der Europäer bis zum Ende der Indianerkriege

Die ersten Europäer in Nordamerika

Frühe Missionare in Neuengland

Jesuiten in Neufrankreich

Die Mission der Herrnhuter

Die Missionierung der Prärie-Indianer

Einheimische Helfer als kulturelle Vermittler

Langhaus-Religion und Geistertanz-Bewegung

3: Missionare, Händler und Gelehrte – Indien von der Ankunft der Portugiesen bis zum Niedergang des Mogulreichs

Europäische Mächte und einheimische Herrscher

Die Mission der Jesuiten

Religionsgespräche am Hof des Großmoguls

Die Dänisch-Hallesche Mission

Frühe Studien zu indischen Sprachen und Religionen

Indien als Ausgangspunkt

4: Mission und Machtpolitik – Japan von der Ankunft der Jesuiten bis zum Verbot des Christentums

Politik und Religion an der Schwelle zur Neuzeit

Mission, Handel und Technologietransfer

Jesuiten als Erforscher der japanischen Sprache

Die ersten Japaner in Europa

Christenverfolgung und Märtyrerkult

Der Shimabara-Aufstand und seine Folgen

5: Kulturaustausch und Akkulturation – China von der Ankunft der Jesuiten bis zum Ende des Ritenstreits

China und seine Religionen

Die Vermittlung europäischen Wissens

Europäische Vorstellungen von China

Auf der Suche nach gemeinsamen Ursprüngen

Der Ritenstreit und das Ende der Chinamission

Missionare als Kulturvermittler

6: Inselwelten diesseits und jenseits des Äquators – Die Philippinen, Indonesien, Melanesien, Polynesien und Australien

Aspekte der Kolonialgeschichte

Christentum und Islam auf den Philippinen und in Niederländisch-Ostindien

Die Entstehung der Cargokulte

Exotische Religionen und europäische Theorien

Mission als Abenteuer in Kinder- und Jugendbüchern

7: Im hohen Norden – Grönland, Lappland, Nordasien und Alaska

Im Zeitalter der imperialen Expansion

Die Mission der Dänen und Herrnhuter auf Grönland

Der Schamanismus der Samen und das Christentum

Russisch-orthodoxe und protestantische Missionare in Sibirien und Alaska

Neubekehrte als Zuschauer und Zur-Schau-Gestellte

8: Unter Christen, Juden und Muslimen – Der Vordere Orient vom Fall Konstantinopels bis zum Ende des Kolonialzeitalters

Das Osmanische Reich und die Länder Europas

Französische Missionare in Algerien

Englische und deutsche Missionare in Palästina

Die christliche Mission und der Völkermord an den Armeniern

Amerikanische Missionare in Syrien und im Libanon

Christliche Mission und islamischer Reformismus

9: Zwischen kolonialer Ausbeutung und einheimischem Widerstand – Afrika im Zeitalter der imperialen Expansion

Europäische Kolonien in Afrika

Die Anfänge des Christentums im Kongo

Portugiesische Missionare in Äthiopien

Südafrika als Ziel englischer und deutscher Missionsgesellschaften

Missionare als Augenzeugen der Gräuel im Kongo

Handel, Widerstand und Völkermord in den deutschen Kolonien

10: Mission als Motor religiösen Wandels – Indien im Zeitalter der britischen Kolonialherrschaft

Indien vom Niedergang des Mogulreichs bis zur Unabhängigkeit

Britische und deutsche Missionare

Neohinduistische Reformbewegungen

Islamische Reformbewegungen

Die Theosophische Gesellschaft und das «Weltparlament der Religionen»

11: Zwischen Tradition und Modernisierung – Japan von der Restauration des Kaisertums bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

Restauration des Kaisertums und Modernisierung

Die Neuetablierung des Christentums in Japan

Japanische Christen und Buddhisten

Europäische Interpretationen des japanischen Buddhismus

Christliche Mission in Korea

12: Zwischen Konfuzianismus und Atheismus – China vom Ersten Opiumkrieg bis zur Gründung der Volksrepublik China

Öffnung nach außen, Krise im Innern

Europäische und amerikanische Missionare

Der Taiping-Aufstand

Christliche Interpretationen chinesischer Philosophie

Vom Boxerkrieg bis zum Verbot der christlichen Mission

Rückblick und Ausblick – Mission im Zeitalter der Entkolonisierung und Globalisierung

Die Geburt der Religionswissenschaft

Die Faszination der Mission im Film

Missionsmuseen in der Defensive

Anhang

Zeittafel

Anmerkungen

Vorwort

Einleitung

1 Katholische Mission am Beginn der Globalisierung

2 Rivalität der Nationen und Konfessionen

3 Missionare, Händler und Gelehrte

4 Mission und Machtpolitik

5 Kulturaustausch und Akkulturation

6 Inselwelten diesseits und jenseits des Äquators

7 Im hohen Norden

8 Unter Christen, Juden und Muslimen

9 Zwischen kolonialer Ausbeutung und einheimischem Widerstand

10 Mission als Motor religiösen Wandels

11 Zwischen Tradition und Modernisierung

12 Zwischen Konfuzianismus und Atheismus

Rückblick und Ausblick

Literatur

Bildnachweis

Register

Vorwort

Über die Mission des Christentums in der Neuzeit gibt es eine kaum mehr überschaubare Fülle von Darstellungen und Untersuchungen. Einige wenige Bücher geben einen Gesamtüberblick, die meisten beschäftigen sich mit einzelnen Regionen und Zeitabschnitten oder mit bestimmten Teilaspekten wie etwa dem Zusammenhang von Mission und Kolonialismus oder der Bedeutung der Mission für die Entstehung heutiger kirchlicher Strukturen. Darüber hinaus gibt es inzwischen auch zahlreiche Bücher zu den Aktivitäten verschiedener Orden und Missionsgesellschaften sowie zum Wirken einzelner Missionare und Missionarinnen.[1]

Ein wesentlicher Grund für das in letzter Zeit stark gestiegene Interesse an der neuzeitlichen christlichen Mission liegt in ihren Auswirkungen auf den religiösen und kulturellen Wandel – nicht nur in den Missionsgebieten, sondern auch in Europa. Zwar waren christliche Missionare schon im Spätmittelalter immer wieder über die Grenzen Europas hinaus in den Vorderen Orient sowie nach Afrika und Asien vorgestoßen, doch eröffnete erst die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien die Perspektive transkontinentaler Missionsaktivitäten, die solche Austausch- und Wandlungsprozesse in einem bis dahin unbekannten Umfang erweiterten. Durch die enge Verbindung von Missionierung und Kolonisierung entstanden weitgespannte Netzwerke, deren Auswirkungen weit über die religiöse Sphäre hinausreichten. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Erfindung des Buchdrucks, die in Verbindung mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften das europäische Weltbild ebenso tiefgreifend wie nachhaltig veränderte. Von zentraler Bedeutung erwies sich außerdem die Reformation, da die Vertreter unterschiedlicher Konfessionen in ihren Missionsanstrengungen miteinander in Wettstreit traten und mit wechselndem Erfolg ihr jeweils unterschiedliches Verständnis des Christentums in den Missionsgebieten zu etablieren suchten.

Lange Zeit eine Domäne der theologisch dominierten Kirchengeschichte und Missionswissenschaft, wird die Missionsgeschichte des Christentums in der Neuzeit seit einigen Jahren auch von der Universalgeschichte und Religionswissenschaft intensiv erforscht.[2] Dabei ging und geht es oftmals nicht allein um die Mission als solche, sondern um ihre Wechselwirkungen mit allen Aspekten der Kultur sowohl in den verschiedenen Missionsgebieten als auch in Europa selbst. Legten ältere, nicht selten apologetisch gefärbte Darstellungen ihren Schwerpunkt gerne auf die positiven Auswirkungen der Mission, so sind gerade in der jüngsten Vergangenheit auch deren Schattenseiten in den Blick gerückt. Betonten zeitgenössische Darstellungen und Selbstdarstellungen von christlicher Seite gerne das aktive Handeln der Missionare und die Passivität der Missionierten, so haben neuere Untersuchungen erwiesen, dass der Verlauf der Missionierung oft wesentlich von den bewussten Entscheidungen und dem aktiven Handeln der Missionierten bzw. der zu Missionierenden bestimmt wurde. Zudem hat sich gezeigt, dass die Mission eben nicht nur in den Missionsgebieten, sondern auch in Europa weitreichende Veränderungen nach sich zog. Neue Perspektiven bietet nicht zuletzt eine verstärkte Berücksichtigung der Rolle von Frauen in der Missionsarbeit, die in älteren Darstellungen oft ausschließlich unter dem Aspekt der Gattin als helfender Stütze und Gefährtin abgehandelt oder gar weitgehend ausgeblendet wurde. Charakteristisch für die heute vorherrschende Sichtweise ist zum einen ein ausgeprägter Methodenpluralismus, der unterschiedliche Zugangsweisen miteinander kombiniert und fruchtbar zu machen sucht, zum anderen eine stärkere Quellenkritik, die traditionelle Standpunkte immer wieder hinterfragt und sich zumindest darum bemüht, trotz des Ungleichgewichts unserer Quellen nicht nur die Perspektive der Missionare, sondern auch die der Missionierten und derjenigen, die sich der Missionierung verweigerten, zu ihrem Recht kommen zu lassen. Die folgende Darstellung soll die Resultate dieser neueren Forschung bündeln und damit einen neuen Blick auf die neuzeitliche Mission insgesamt ermöglichen. Im Zentrum stehen dabei die vielfältigen religiösen und kulturellen Verflechtungen, die eine bis heute nachwirkende Folge der christlichen Mission sind.

Einleitung

Die Mission des Christentums vor der Neuzeit

Seit jener Zeit, da Gottes Sohn Mensch zu werden geruhte und auf jenen beiden feurigen Rossen des göttlichen Geistes – ich meine die beiden Apostel Petrus und Paulus – […] über das Meer der Heiden hinwegreitend viele Wasser aufrührte und seine Quadrigen um viele Tausende aus zahllosen Völkern vermehrte, da gelangte der oberste Fuhrmann jenes Wagens, welcher ist Christus, der wahre Vater, der Wagenlenker Israels, über den Lauf der Gewässer, über den Rücken der Delphine und über die schwellenden Fluten sogar bis zu uns.

Der irische Missionar Columbanus, 613[1]

Um die christliche Mission der Neuzeit in ihrer Eigenart zu verstehen, müssen zunächst die Anfänge der Ausbreitung des Christentums bis zum Ausgang des Mittelalters betrachtet werden. Denn obschon man sich von christlicher Seite immer wieder gerade auf die Frühzeit des Christentums als Vorbild und Ideal der Mission berief, hatte sich nicht nur das Christentum, sondern auch die Art und Weise seiner Verbreitung schon vor dem Anbruch der Neuzeit im Laufe der Jahrhunderte stark verändert.

Das Christentum als missionierende Religion

In der zu Beginn des zweiten Jahrtausends v. Chr. entstandenen Erzählung des Sinuhe wird geschildert, wie der ägyptische Höfling Sinuhe nach der Flucht aus seiner Heimat einem lokalen Machthaber im Raum Syrien-Palästina in leuchtenden Farben die Macht und Stärke des gottgleichen Herrschers von Ägypten ausmalte. Der aber gab ihm nur kühl zur Antwort: «Da hat Ägypten ja Glück, dass es seinem Herrscher wohl ergeht. Du aber bist hier, sollst hier bei mir bleiben, und was ich für dich tue, wird gut sein.» Sieht man von der literarischen Stilisierung und propagandistischen Tendenz der Erzählung einmal ab, bringt sie einen grundlegenden Wesenszug aller alten Religionen prägnant zum Ausdruck: Das Bekenntnis zu einer Religion ist untrennbar verbunden mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen und sozialen Ordnung, und mit dem Wechsel von einer Gesellschaft in eine andere erfolgt zugleich ein Wechsel der Religion. Dementsprechend erklärt denn auch im biblischen Buch Ruth (1,16) die verwitwete Moabiterin Ruth ihrer aus Juda stammenden Schwiegermutter Naemi: «Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, und wo du bleibst, da bleibe auch ich; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.» Wie aus der Inschrift des Königs Mescha von Moab (heute im Pariser Louvre) hervorgeht, verehrten die Moabiter in der Tat einen nationalen Gott, Kemosch. Dieser war, wie die Formulierung der Inschrift deutlich erkennen lässt, aufgrund seiner engen und exklusiven Bindung an das Volk, das ihn verehrte, durchaus mit dem Gott Israels der ältesten biblischen Texte vergleichbar. In ähnlicher Weise verehrten die Babylonier ihren Nationalgott Marduk, die Assyrer den Gott Assur und die Perser ihren Schutzgott Ahura Mazda. Nicht von ungefähr beschwor man im Alten Orient daher bilaterale internationale Verträge stets bei den jeweiligen Landesgöttern – so etwa in dem ältesten uns bekannten Friedensvertrag zwischen Ägypten und dem Hethiterreich aus dem Jahr 1259 v. Chr., dessen Kopie im UN-Gebäude in New York zu sehen ist.

Um die Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. begegnen uns mit dem Buddhismus und dem Jinismus erstmals zwei Religionen, deren Anhänger ihnen nicht schon von Geburt an zugehörig waren, sondern sich in Abkehr von den überkommenen religiösen Vorstellungen ihrer Umgebung durch eine bewusste, individuelle Entscheidung dazu bekannt hatten. Den religiösen Hintergrund für die Entstehung dieser beiden neuen Religionen bildete die indische Anschauung vom leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten und damit die Frage, wie der Mensch diesem Kreislauf entrinnen könne. Die Stifter des Buddhismus und Jinismus – Siddhartha Gautama genannt Buddha («der Erwachte») bzw. Vardhamana genannt Jina («der Sieger») – gaben darauf jeweils unterschiedliche Antworten, die kaum miteinander vereinbar waren. Entscheidend für die Zugehörigkeit zum Buddhismus oder Jinismus war daher das Bekenntnis zur neuen Lehre des Stifters, die – wenigstens in ihren Anfängen – nicht an eine bestimmte politische und soziale Ordnung gebunden war.

Mit der wechselseitigen Durchdringung griechischer und orientalischer Kulte im Hellenismus entstanden im letzten Drittel des ersten Jahrtausends v. Chr. auch im Umkreis des Mittelmeerraums Erlösungsreligionen, die den Menschen jenseits des offiziellen Götter- und Herrscherkults und in einer nur mehr losen Verbindung mit der jeweiligen politischen und sozialen Ordnung neue Möglichkeiten der Sinnstiftung und Identitätsbildung eröffneten. Dazu gehörten neben der Verehrung überregional bekannter und verehrter Heilgötter vor allem die Mysterienkulte, zu deren geheimen Riten und Mythen man erst durch eine besondere Einweihung Zutritt erlangte. Darüber hinaus boten aber auch die verschiedenen Schulen der griechischen Philosophie sowie das streng monotheistisch ausgerichtete Judentum dem Einzelnen Rückhalt bei der Bewältigung des eigenen Daseins, Teilhabe an der Identität einer selbst gewählten Gemeinschaft und damit die Einbettung der eigenen Existenz in ein größeres Ganzes und eine sinnvolle Ordnung. Erforderte das Bekenntnis zu einer philosophischen Schule wie etwa jener der Stoiker, Epikureer oder Kyniker keine besonderen Formen, so erwarteten Juden von den als Proselyten («Hinzugekommene») bezeichneten Neubekehrten als formalen Akt ein rituelles Tauchbad, den Vollzug des Opfers im Tempel zu Jerusalem sowie von Männern die Beschneidung. Neben den Proselyten gab es allerdings auch die sogenannten «Gottesfürchtigen», die ohne eine förmliche Konversion nur mehr oder weniger stark mit dem Judentum sympathisierten.

Im Zusammenhang mit diesem weit verbreiteten Aufschwung individuell zugänglicher Erlösungsreligionen als Wahlgemeinschaften und mit der Entstehung universeller neuer Heilslehren auf dem Boden älterer, regional begrenzter Kulte steht das Christentum, das sich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung von unscheinbaren Anfängen am östlichen Rand des Mittelmeerraums zunächst zur Staatsreligion des Römischen Reichs und nach dem Untergang des Weströmischen Reichs zur vorherrschenden Religion des abendländischen Mittelalters entwickelte.[2]

Biblische Bezugspunkte

Das Wort «Mission» ist von lateinisch missio, «Aussendung», abgeleitet und in der heutigen Bedeutung dieses Wortes erst seit der Frühen Neuzeit allgemein gebräuchlich. Der Sache nach war die Werbung für das Christentum jedoch von Anfang an ein fester Bestandteil der neuen Religion, so dass man erste Aussagen dazu bereits im Neuen Testament und in weiteren frühchristlichen Schriften findet. Besondere Bedeutung erlangten dabei jene neutestamentlichen Stellen, die den Missionsgedanken entweder auf Jesus selbst zurückführten oder aber in späterer Zeit als Beschreibungen einer idealen Frühzeit christlicher Mission verstanden werden konnten.

Wenn der Verfasser des Matthäusevangeliums Jesus bei der Aussendung der zwölf Apostel sprechen lässt: «Gehet nicht auf eine Straße der Heiden und gehet nicht in eine Stadt der Samariter, sondern gehet vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel!» (10,5–6), so lässt diese Stelle deutlich erkennen, dass man sich der besonderen Rolle der Juden als ursprünglicher Adressaten der Botschaft Jesu noch am Ausgang des ersten Jahrhunderts wohl bewusst war. Tatsächlich zeigte der jüdische Monotheismus jedoch schon in vorchristlicher Zeit eine klare Tendenz zum Anspruch universaler Gültigkeit, wie dies aus der Vorstellung von Israel als einem «Bundesmittler für das Menschengeschlecht» und einem «Licht der Völker» (Jesaja 42,6) hervorgeht. An diese Tendenz konnten also bereits die ersten Christen anknüpfen, wendeten sie aber gegen die Juden und legten damit einen Grundstein für den modernen Antisemitismus. «Euch zuerst musste das Wort Gottes verkündigt werden», lässt der Verfasser der Apostelgeschichte (13,46) die Missionare Paulus und Barnabas den Juden von Antiochia gegenüber erklären, «da ihr es von euch stoßt und euch des ewigen Lebens selbst nicht für würdig achtet, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.» In ähnlicher Weise erklärt im Lukasevangelium (24,47) der Auferstandene seinen Jüngern, «dass auf seinen Namen hin Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden solle unter allen Völkern, beginnend mit Jerusalem.» Schon bei Paulus begegnet der Gedanke, dass sich nach der «Vollzahl der Heiden» auch die Juden bekehren «und auf diese Weise ganz Israel gerettet werden» würde (Römerbrief 11,25–26). Dieser Satz begründete die Vorstellung von der Verstocktheit der Juden, die sich erst am Ende der Zeiten, nach allen anderen Völkern, bekehren würden und deren Bekehrung zum Christentum wiederum ein Zeichen der Endzeit sein würde.

Eine zentrale Rolle für das spätere Verständnis von Mission spielte der heute oft als «Tauf-» oder «Missionsbefehl» bezeichnete Schlussabschnitt des Matthäusevangeliums (28,16–20). Dort stellt der Verfasser die globale Mission als göttlichen Auftrag dar, indem er den Auferstandenen zu seinen Jüngern sprechen lässt: «Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich befohlen habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.» In ähnlicher Weise spricht der Auferstandene zu seinen Jüngern im Markusevangelium (16,15–18): «Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium allen, die erschaffen sind! Wer gläubig geworden und getauft worden ist, wird gerettet werden; wer aber nicht gläubig geworden ist, wird verurteilt werden. An Zeichen aber werden folgende die Gläubigen begleiten: in meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; in neuen Zungen werden sie reden; Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches getrunken haben, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden genesen.» Wie aus diesen Stellen hervorgeht, lag das Ziel der Mission also einerseits in der «Bekehrung» (epistrophē) im Sinne der positiven Hinwendung zur neuen Religion, andererseits in der als «Buße» oder – vielleicht treffender – «Sinnesänderung» bezeichneten «Abkehr» (metanoia) von der bisherigen Einstellung gegenüber der Welt und früheren religiösen Überzeugungen oder Gewohnheiten. Ein Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist der «Glaube» (pistis), der in den neutestamentlichen Schriften nicht nur die vertrauensvolle Hinwendung zu Jesus bezeichnet, sondern auch den Glauben daran, dass Jesus als der Messias gekreuzigt wurde und vom Tod wiederauferstanden ist.

Verschiedentlich erwähnt die Apostelgeschichte im Zusammenhang mit der Mission die Unterstützung Bedürftiger, etwa wenn die Apostel ein Komitee von sieben Helfern zur täglichen Versorgung der Witwen berufen oder die Christen in Antiochia während einer Hungersnot Nahrungsmittel nach Judäa schicken (6,1–7 und 11,27–30). Sehr viel öfter und ausführlicher ist jedoch von der Überzeugung der Heiden durch die Predigt sowie von zeichenhaften Handlungen und Wundern die Rede, etwa wenn Petrus einen von Geburt an Lahmen heilt, indem er ihn im Namen Jesu bei der Hand nimmt und aufrichtet, oder wenn ein unehrliches neubekehrtes Ehepaar zum Schrecken aller Umstehenden sogleich tot umfällt, nachdem Petrus die beiden zur Rede gestellt hat (3,6–8 und 5,1–10). Mitunter trifft solcher Zorn der Missionare auch heidnische «Zauberer», die als Werkzeuge des Teufels Bekehrungen zu verhindern suchen, in der Auseinandersetzung mit den Missionaren jedoch stets unterliegen (Apostelgeschichte 13,6–12 und 19,13–17). Sinnfälliger Ausdruck der Bekehrung zur neuen Religion ist die Taufe durch Untertauchen in fließendes Wasser, die als «Bad der Wiedergeburt und Erneuerung kraft des heiligen Geistes» (Titusbrief 3,5) alle Sünden abwäscht (Apostelgeschichte 22,16).

Zahlreiche farbig ausgeschmückte Erzählungen variieren diese Grundanschauungen und konnten dank der Aufnahme der Apostelgeschichte in den neutestamentlichen Kanon späteren Generationen als Vorbild für missionarisches Handeln dienen. So tauft etwa der Apostel Philippus auf dem Weg nach Jerusalem einen äthiopischen Hofbeamten, nachdem er ihm auf das Geheiß eines Engels hin den Sinn der Schrift erklärt und ihm das Evangelium von Jesus verkündigt hat (8,26–40), während Petrus ebenfalls im Auftrag eines Engels in Caesarea den römischen Hauptmann Cornelius bekehrt (10,1–48) und Paulus in seiner Predigt auf dem Athener Areopag den Zuhörern die wahre Identität des von ihnen verehrten unbekannten Gottes enthüllt (17,22–31). Mindestens ebenso wirkungsvoll und einflussreich wie diese ausführlich erzählten Beispiele war indessen die Gesamtkomposition der Apostelgeschichte, deren Verfasser die Gemeinschaft der frühen Christen idealisierte und die allmähliche Ausbreitung ihrer Religion vom äußersten Rand des Römischen Reichs in dessen Zentrum als Vollzug eines machtvollen göttlichen Plans unter Mitwirkung des Heiligen Geistes darstellte. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang bereits die Vorstellung von der unrechtmäßigen Verfolgung der Missionare und von ihrem Martyrium um der Ausbreitung des Glaubens willen, wie dies etwa in den Erzählungen von der Steinigung des Stephanus durch die Jerusalemer Juden (7,54–60) oder der Hinrichtung des Apostels Jakobus durch König Herodes (12,1–2) zum Ausdruck kommt.

Mission im Römischen Reich und an seinen Grenzen

Schon wenige Jahrzehnte nachdem das sogenannte Apostelkonzil kurz vor der Mitte des ersten Jahrhunderts die Heidenmission gebilligt hatte, gab es zahlreiche christliche Gemeinden in Palästina, Syrien, Kleinasien und Griechenland, bald danach auch in Ägypten, Nordafrika und in den großen Hafenstädten des westlichen Mittelmeerraums. Eine wesentliche Grundlage für die rasche Ausbreitung der neuen Religion bildete die Pax Augusta, der «Augusteische Friede», wie die Periode der Stabilität und inneren Sicherheit des Römischen Reichs nach dem Ende der Bürgerkriege 27 v. Chr. schon von den Zeitgenossen bezeichnet wurde. Sie erleichterte die individuelle Mobilität, den Austausch materieller und kultureller Güter und damit auch die Ausbreitung religiöser und philosophischer Ideen. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang wohl auch die jüdische Diaspora, deren Netz von Synagogen die Vermittlung monotheistischen Gedankenguts in einer polytheistischen Umwelt begünstigte. Dass die Mission der frühen Christen nicht zentral gesteuert wurde und keinem festen Plan folgte, steht außer Frage. Davon abgesehen dürfte sich die neue Religion aber überhaupt in vielen Fällen weniger durch eine gezielte Werbung als vielmehr durch zwischenmenschliche Kontakte in der Familie und im persönlichen Umfeld der einzelnen Gläubigen verbreitet haben. Von erheblicher Bedeutung war dabei die christliche Ethik mit ihrer Forderung nach vorbehaltloser Unterstützung der sozial Schwachen, Kranken, Gefangenen und Sklaven.

Eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Mission und Ausbreitung des Christentums vom östlichen Rand ins Zentrum des Römischen Reichs war die Notwendigkeit, die Inhalte der neuen Lehre nunmehr auch in lateinischer Sprache zu formulieren, nachdem man sich dafür bis dahin fast ausschließlich der griechischen Sprache bedient hatte. Im Zuge dieses kulturellen Transfers wurden viele zentrale Begriffe entweder als griechische Fremdwörter ins Lateinische übernommen, durch lateinische Wortneuschöpfungen ausgedrückt oder aber als Lehnübersetzungen dem griechischen Vorbild nachempfunden. Im Gefolge dieser Entwicklung zeichnete sich bereits in der Spätantike ein charakteristischer Unterschied zwischen der West- und der Osthälfte des Römischen Reiches ab. Während man im Westen langfristig am Lateinischen als Sprache der Heiligen Schrift und des christlichen Gottesdienstes festhielt, so dass die mittelalterlichen Volkssprachen vor allem in der Glaubensunterweisung, nicht aber in der Liturgie oder Bibelübersetzung zum Einsatz kamen, griff man im griechischsprachigen Osten neben dem Griechischen in großem Umfang auch auf andere Volkssprachen wie etwa das Koptische in Ägypten, das Armenische in Kleinasien oder das Syrische in Mesopotamien zurück. Dieser Eigenheit der griechischsprachigen Mission verdankt sich denn auch die gotische Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila, die älteste Bibelübersetzung in eine germanische Sprache, da die Missionierung der Goten im vierten Jahrhundert aus der Osthälfte des Römischen Reichs heraus erfolgte.

Wie schon der Taufbefehl des Matthäusevangeliums und verschiedene andere Stellen im Neuen Testament nahelegen, ging der altkirchlichen Taufe in der Regel ein als Katechese bezeichneter Taufunterricht voraus, der die formelhafte Zusammenfassung zentraler Glaubensaussagen, aber auch ethische Anweisungen zum Inhalt hatte. Dieser Unterricht gewann seit dem zweiten Jahrhundert im Zuge der Ausgestaltung kirchlicher Lehren, aber auch innerkirchlicher Auseinandersetzungen zunehmend an Bedeutung. Innerhalb der Kirche entwickelte sich daher neben den Getauften ein eigener Stand der Taufbewerber oder Katechumenen. Erst seit dem späten vierten Jahrhundert wurde die – oft lange aufgeschobene – Erwachsenentaufe in zunehmendem Maße durch die Säuglings- oder Kindertaufe abgelöst, wodurch die Unterweisung in der christlichen Religion auf die Zeit nach der Taufe verschoben wurde. Diese Entwicklung stand in einem engen Zusammenhang mit den strukturellen und organisatorischen Veränderungen der Kirche seit dem Ende der Christenverfolgungen und der Gewährung der allgemeinen freien Religionsausübung im Jahr 313.

Schon seit der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts hatte die Kirche allmählich Organisationsstrukturen ausgebildet, die sie auf lange Zeit prägen sollten. Dazu gehörten eine herausgehobene, durch eine besondere Weihe zum Ausdruck gebrachte Stellung der Geistlichkeit, deren klare Abgrenzung gegenüber den Laien und eine besondere Bedeutung des Bischofsamtes. Waren die einzelnen Gemeinden ursprünglich oft von einer Gruppe gleichberechtigter Personen geleitet worden, so lag ihre Führung nunmehr immer häufiger in den Händen eines einzelnen Bischofs, der den Eucharistiefeiern vorstand und als Sprecher des Gremiums der Presbyter oder Gemeindevorsteher wirkte. Seine besondere Stellung wurde mit der Theorie der apostolischen Sukzession im Sinne einer kontinuierlichen Weitergabe der Amtsvollmacht von einem der zwölf Apostel bis zum gegenwärtigen Amtsträger begründet. In den Händen der Bischöfe lagen von da an nicht nur die Fixierung oder Modifizierung der als verbindlich anerkannten kirchlichen Lehre, sondern auch die Weihe anderer kirchlicher Funktionsträger, die wichtigsten Funktionen innerhalb gottesdienstlicher Handlungen, die Entscheidungsgewalt über den Ausschluss aus der Kirche sowie die Verwaltung der kirchlichen Armenfürsorge. Gleichzeitig entwickelte sich aus der Funktion des Presbyters, auf den der Bischof einen Teil seiner Aufgaben übertragen konnte, das Amt des Priesters. Auf die weitere Geschichte der christlichen Mission sollten diese Strukturen weit über ihren spätantiken Ursprung hinaus einen bleibenden Einfluss ausüben.

Noch bevor Kaiser Theodosius I. das Christentum im Jahr 380 zur Staatsreligion erhob, hatte sich der Charakter der Kirche jedoch schon in wesentlichen Punkten verändert. Bereits im zweiten Jahrhundert hatte es innerhalb der Kirche erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben, wie hoch der Anspruch einer christlichen Lebensführung sein sollte und welche Verfehlungen man sich zuschulden kommen lassen durfte, ohne aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen zu werden. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion darüber im Anschluss an die erste allgemeine Christenverfolgung im Jahre 250, während der sich Christen in großer Zahl dem staatlichen Zwang zur Teilnahme am Kult der Staatsgötter gebeugt oder aber sich auf unlauterem Wege die erforderlichen Opferbescheinigungen verschafft hatten. Während manche Christen jede Möglichkeit zur Rückkehr in die Kirche nach einer solchen Verfehlung rundweg bestritten, beharrten andere auf dem Recht zur Buße und neuerlichen Bewährung. Im Gefolge dieser Auseinandersetzungen wurde der rigorose Anspruch vieler früher Christen zunehmend abgemildert, wodurch sich die Kirche für breite Schichten der Bevölkerung öffnete, während die Befürworter einer strenger und anspruchsvoller geregelten Lebensweise nun unter anderem im Mönchtum neue Lebensformen zur Verwirklichung ihrer Ideale fanden. Hatte also die Mission der Frühzeit noch für die Mitgliedschaft in einer kleinen Gemeinschaft von Auserwählten geworben, so zielte sie nunmehr in zunehmendem Maße auf den Übertritt zu einer Volkskirche der breiten Bevölkerungsmehrheit.

Die Christianisierung Europas

Während sich das Christentum bis zum Ausgang der Antike noch weitgehend innerhalb der Grenzen des Römischen Reichs ausbreitete, begann mit dem Niedergang des Weströmischen Reichs und seinem Ende im Jahr 476 die allmähliche Christianisierung Europas.[3] In der römischen Provinz Britannien hatte das Christentum schon im zweiten Jahrhundert Fuß gefasst. Von dort aus brachten es vermutlich kriegsgefangene Sklaven auf die Nachbarinsel Irland, deren Bewohner sich im Laufe des fünften und sechsten Jahrhunderts zur neuen Religion bekehrten. Um dieselbe Zeit vollzog sich, beginnend mit dem König und seinem Gefolge, die Christianisierung der Franken. Schon gegen Ende des sechsten Jahrhunderts erfolgte von Irland aus die Missionierung Schottlands, während gleichzeitig von Rom aus die Bekehrung der Angelsachsen in Angriff genommen wurde. Über die Missionsmethode unterrichtet uns ein Brief Papst Gregors I. an den Abt Mellitus, in dem der Papst hervorhebt,[4]

dass die Heiligtümer der Götzen bei diesem Volk keineswegs zerstört werden sollen, dass aber die Götzenbilder, die sich darin befinden, zerstört werden sollen, dass Wasser geweiht und in diesen Heiligtümern versprengt, dass Altäre gebaut, Reliquien niedergelegt werden. Denn wenn diese Heiligtümer gut gebaut sind, müssen sie notwendigerweise vom Dämonenkult in die Verehrung des wahren Gottes verwandelt werden, damit dieses Volk, wenn es sieht, dass diese seine Heiligtümer nicht zerstört werden, den Irrglauben aus dem Herzen verbannt und, den wahren Gott erkennend und bewundernd, mit mehr Zutrauen an den Orten zusammenkommt, an die es gewöhnt ist.

Taufe von Heiden und Märtyrertod des Bonifatius, Buchmalerei aus dem frühen 11. Jahrhundert

Seit dem siebten und achten Jahrhundert wirkten irische und angelsächsische Missionare mit fränkischer Unterstützung auf dem europäischen Festland, unter anderem bei den noch heidnischen Friesen und Hessen. Die Bekehrung der Sachsen begann mit den Sachsenkriegen Karls des Großen 772 und endete nach wenig mehr als drei Jahrzehnten mit deren Zwangschristianisierung und Unterwerfung unter die fränkische Herrschaft.

Noch vor dem Ende des achten Jahrhunderts hatten die Überfälle der Wikinger auf England, Schottland, Irland und das Frankenreich die Aufmerksamkeit der christlichen Herrscher Europas auf ihre heidnischen nördlichen Nachbarn gelenkt. Dies führte zu verstärkten Missionsbemühungen, die durch die Kontakte der Wikinger mit dem Christentum außerhalb ihrer Heimatregionen und die politischen Einigungs- und Zentralisierungsprozesse in den skandinavischen Ländern selbst begünstigt wurden. Eine wichtige Rolle spielten dabei kirchliche Strukturen und Institutionen als Instrumente der Herrschaftssicherung, aber auch die mit dem Religionswechsel verbundenen Möglichkeiten eines verbesserten und erweiterten Handels- und Kulturaustauschs mit den südlichen Nachbarn. So ließ sich etwa der dänische Fürst Harald Halfdansson, seit 814 ein Lehnsmann des fränkischen Königs Ludwig der Fromme, mitsamt seinem Gefolge taufen, um dadurch die Beziehungen zum fränkischen König zu stärken und seine eigene Position im Machtkampf mit seinen dänischen Rivalen zu verbessern. 911 nahm auch Rollo, der Anführer der dänischen Wikinger in der Normandie, das Christentum an und wurde im Gegenzug vom westfränkischen König Karl III. mit Ländereien am Unterlauf der Seine belehnt. Der erste getaufte König Norwegens war Hakon I., der die neue Religion als Ziehsohn des englischen Königs Aethelstan an dessen Hof kennengelernt hatte. Intensive Bemühungen um eine umfassende Christianisierung Norwegens unternahm jedoch erst kurz vor der Jahrtausendwende König Olav I. Tryggvason, der während seiner nur fünfjährigen Herrschaft auch die Missionierung Islands vorantrieb. Dort fiel die Entscheidung für die Annahme des Christentums auf einer allgemeinen Volksversammlung im Jahr 1000, nachdem der Gesetzessprecher Thorgeir seinen Landsleuten in einer eindringlichen Rede vor Augen geführt hatte, «dass ihre Verhältnisse in eine unhaltbare Lage geraten seien, wenn sie nicht alle ein und dasselbe Gesetz hier im Lande haben sollten» und dass man daher einen Ausgleich suchen müsse, wie der Historiker Ari Thorgilsson in seinem um 1125 verfassten Isländerbuch berichtet. «So wurde nun dies als Gesetz verkündet, dass alle, die hierzulande noch ungetauft wären, Christen werden und die Taufe annehmen sollten; aber für die Kindesaussetzung und das Pferdefleischessen sollten noch die alten Gesetze gelten. Opfern sollte man heimlich, wenn man wollte, doch bei Strafe des Lebensringzauns [dreijährige Landesverweisung], wenn Zeugen dafür beigebracht würden.»[5] Zum Abschluss kam die Christianisierung Norwegens unter König Olav II. Haraldsson, der schon bald nach seinem Tod in der Schlacht von Stiklestad 1030 als Heiliger verehrt wurde. Das letzte skandinavische Land, das im Laufe des zwölften Jahrhunderts für die neue Religion gewonnen wurde, war Schweden.

Anders als in Skandinavien ging die Missionierung Ost- und Südosteuropas von zwei verschiedenen, miteinander konkurrierenden Reichen aus. Schon gegen Ende des achten Jahrhunderts trieb Karl der Große die Missionierung der slawisch besiedelten Gebiete zwischen Main und Regnitz sowie in Kärnten voran, um die Ostgrenze seines Reiches zu sichern. Darauf folgten im neunten Jahrhundert ausgedehnte fränkische Missionsbemühungen in Böhmen, Mähren und Slowenien. In diesen Regionen wirkten seit 863 aber auch die beiden byzantinischen Missionare Kyrill und Method, auf deren Initiative hin neben dem Griechischen und Lateinischen nunmehr auch das Altslawische für den Gottesdienst zugelassen wurde. Derlei fränkische und byzantinische Bemühungen konkurrierten ferner in Bulgarien, dessen Fürst Boris I. um 865 mit der Taufe den christlichen Namen Michael annahm und ebenfalls das Altslawische als Liturgiesprache einführte. Hier setzte sich der oströmische Einfluss letztlich durch, mit dem Ergebnis, dass 927 eine unabhängige bulgarisch-orthodoxe Kirche entstand. Historisch bedeutsam war auch, dass in der Kiewer Rus Fürst Wladimir I. der Große 988 das Christentum in seiner orthodoxen Form annahm, wohingegen Mähren im Laufe des zehnten Jahrhunderts wieder zur römischen Liturgie zurückkehrte. Vom Ostfränkischen Reich aus wurden schließlich auch die Westslawen, die ihnen benachbarten Ungarn und zuletzt die baltischen Völker christianisiert. So erfolgte im Laufe des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts unter maßgeblicher Beteiligung des Deutschen Ordens die gewaltsame Missionierung der Letten, Liven, Kuren, Esten, Preußen und Litauer. Als die letzten Heiden Europas verblieben damit nur die Finnen und Samen (Lappen) im hohen Norden, die größtenteils erst nach der Reformation in einer über zweihundert Jahre währenden Missionsarbeit der evangelisch-lutherischen Kirche zum Christentum bekehrt wurden.

Während das Christentum bis zum Ausgang des Mittelalters in fast ganz Europa zur dominierenden Religion wurde, verlor es gleichzeitig in zahlreichen ursprünglich christlichen Ländern Nordafrikas und des Vorderen Orients infolge der Ausbreitung des Islams immer mehr an Boden. Außerhalb Europas gab es zu Beginn der Neuzeit daher in einer überwiegend außerchristlichen Umgebung nur wenige christliche Gemeinden, die als religiöse Minderheiten, etwa als «Schutzbefohlene» im Herrschaftsbereich des Islams oder in Indien, bestehen konnten. Nur selten gab es bis zum Ausgang des Mittelalters Versuche der Kirche, außerhalb Europas zu missionieren. Seit dem dreizehnten Jahrhundert unternahmen zwar besonders die neuen Orden der Franziskaner und Dominikaner immer wieder Missionsanstrengungen in Nordafrika, dem Vorderen Orient und Vorderasien, doch war ihnen dort kein dauerhafter Erfolg beschieden.

Religion und Herrschaft

Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, zog sich die Christianisierung Europas über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren hin und war eng verknüpft mit der Ausbreitung der lateinischen Schrift und Sprache, der antiken Literatur und Bildung und anderer zivilisatorischer Errungenschaften. Ein weiterer wesentlicher Grundzug der Mission im Mittelalter war die enge Verbindung zwischen der Ausbreitung des Christentums und der politischen Integration immer neuer Völker in die Nachfolgestaaten des Römischen Reichs, so dass Unterwerfung und Missionierung mitunter wie zwei Seiten ein und derselben Medaille erscheinen konnten. Die germanischen Völker an der Ostflanke des Frankenreichs sind dafür ein anschauliches Beispiel: Nachdem ihre Christianisierung mit friedlichen Mitteln zunächst gescheitert war, entschloss sich Karl der Große zum Einsatz militärischer Gewalt. 782 wurden die von den Sachsen bewohnten Regionen mit Unterstützung eines Teils der sächsischen Oberschicht in Grafschaften eingeteilt und ins Frankenreich eingegliedert, und jegliche Angriffe gegen die fränkische Herrschaft oder die Kirche wurden ebenso wie die fortgesetzte Durchführung heidnischer Riten mit drakonischen Strafen bedroht. Dies führte zum Aufstand einer heidnischen Opposition, den der König erst über zwanzig Jahre später nach zahlreichen Kämpfen, Hinrichtungen und Deportationen widerspenstiger Bevölkerungsteile endgültig niederschlagen konnte. Ähnliches wiederholte sich rund hundertfünfzig Jahre später an der Ostgrenze des Ostfränkischen (Deutschen) Reichs, wo Otto I. nach seinem Sieg über die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld die Missionierung der an Elbe und Ostsee siedelnden Slawen und ihre Integration in die ostfränkische Herrschaft vorantrieb. Bezeichnenderweise ging das Festhalten an der althergebrachten heidnischen Religion bei Elb- und Ostseeslawen Hand in Hand mit der Fortdauer ausgeprägt kleinräumiger Herrschaftsstrukturen, wohingegen die Nachbarn im Westen und Osten mit der Zentralisierung von Herrschaft auch die Hinwendung zum Christentum und dem Aufbau kirchlicher Strukturen vollzogen hatten. Einen schweren Rückschlag erlitt die Missionierung der Slawen zwischen Elbe und Oder 983, als sich die heidnischen Liutizen und Abodriten gegen die deutsche Herrschaft erhoben und die erst kurz zuvor gegründeten Bischofssitze in Havelberg und Brandenburg zerstörten. Zu einer weiteren Rebellion kam es 1066, wie der zeitgenössische Chronist Adam von Bremen berichtet:

Der greise Bischof Johannes und die übrigen Christen in der Burg Mecklenburg wurden als Gefangene für die Siegesfeier aufgespart. Für sein Bekenntnis zu Christus erhielt er Stockschläge und wurde dann zum Hohn in den verschiedenen Slavenorten herumgeführt; da man ihm Christi Sache nicht abspenstig machen konnte, hieb man ihm Hände und Füße ab und warf seinen Leib auf die Gasse; sein Haupt aber wurde abgeschnitten; die Heiden spießten es als Siegeszeichen auf einen Spieß und opferten es ihrem Gott Radegost; das geschah am 10. November in der slavischen Hauptburg Rethra.[6]

Die Lage änderte sich grundlegend erst wieder mit dem sogenannten Wendenkreuzzug von 1147, in dem sächsische, polnische und dänische Adlige gemeinsam die auch als Wenden bekannten Elbslawen bekämpften.

Von zentraler Bedeutung für die Theorie und Praxis der gewaltsamen Ausbreitung des Christentums im Mittelalter war die Idee vom «Gerechten Krieg» (bellum iustum), die auf älteren Vorstellungen aus dem Bereich des heidnischen römischen Sakralrechts fußte. Hatten die frühen Kirchenväter wie etwa Tertullian den Dienst im römischen Militär wie auch den Krieg an sich noch ohne Wenn und Aber verurteilt, so änderte sich diese Einstellung, nachdem das Christentum die Staatsreligion des Römischen Reichs geworden war. Wegweisend für die künftige Beurteilung der damit verbundenen Fragen wurden nunmehr die Schriften des Kirchenvaters Augustinus, der den Krieg zwar grundsätzlich ablehnte, unter bestimmten Bedingungen jedoch für erlaubt oder sogar geboten hielt. Die Voraussetzungen dafür bestanden ihm zufolge zum einen im unrechten Handeln oder schuldhaften Verhalten des Gegners, zum anderen in der auf Bestrafung des Unrechts und Wiederherstellung von Frieden, Ordnung und Gerechtigkeit gegründeten guten Absicht. Ihre noch in der Frühen Neuzeit gängige Formulierung fanden diese Vorstellungen durch die Vertreter der Scholastischen Theologie des dreizehnten Jahrhunderts, darunter Thomas von Aquin, der neben den genannten Gesichtspunkten auch die Forderung nach einer Legitimierung des Gerechten Kriegs durch eine christliche Autorität aufstellte. Dachte man dabei zunächst in erster Linie an Kaiser oder Papst, so setzte sich am Ausgang des Mittelalters immer wieder die Auffassung durch, dass letztlich jeder christliche Herrscher zur Legitimierung eines Gerechten Krieges berechtigt sei.

Mit der Vorstellung des Gerechten Krieges verband sich seit dem ausgehenden elften Jahrhundert auch der Kreuzzugsgedanke, der den Kampf gegen die Ungläubigen an den Grenzen der christlichen Welt zugleich als Bußübung, Pilgerfahrt und verdienstvolle Unterstützung bedrohter Christen auffasste und anpries. Von Papst und Kaiser legitimiert, galten die frühen Kreuzzüge nach Palästina zwar als Unternehmungen der gesamten christlichen Welt, doch wurde der Kreuzzugsgedanke schon bald auch in den Dienst nationaler Sonderinteressen gestellt. Dies betraf in besonderem Maße den Krieg gegen die noch heidnischen Slawen an der Ostgrenze des Deutschen Reichs, aber auch den Kampf gegen die Muslime auf der Iberischen Halbinsel. Dort hatten muslimische Araber und Berber schon 711 das Reich der Westgoten erobert und ihre Herrschaft zeitweise bis fast zu den Pyrenäen ausgedehnt. Mit dem Wiedererstarken des christlichen Widerstands setzte sich dort alsbald die Auffassung durch, dass die Besetzung durch die Muslime ein Unrecht sei und die verbliebenen christlichen Königreiche im Norden der Pyrenäenhalbinsel als legitime Erben des Westgotenreiches angesehen werden müssten. Infolgedessen bemühten sich die Christen seit dem achten Jahrhundert um die «Rückeroberung» (Reconquista) der muslimischen Gebiete und setzten damit eine Bewegung in Gang, die nach jahrhundertelangen Kämpfen im Frühjahr 1492, nur wenige Monate vor der Entdeckung Amerikas, mit der Eroberung des letzten muslimischen Territoriums auf der Halbinsel, des Emirats von Granada, ihren Abschluss finden sollte.

Taufe von Muslimen nach der Eroberung Granadas, Altarrelief in der Kathedrale von Granada, 16. Jahrhundert

Bekämpfung und Aneignung fremder Religionen

Um sich vom Verlauf der Christianisierung Europas ein Bild zu machen, kann man auf zeitgenössische oder doch zeitnahe schriftliche Quellen und auf archäologische Funde und Befunde zurückgreifen. Letztere sind indessen oft mehrdeutig, während Erstere fast ausschließlich die Perspektive der missionierenden Kirche und kaum jemals die der heidnischen Opposition bewahrt haben. Grundsätzlich hatte die Kirche kein Interesse am Heidentum um seiner selbst willen und interpretierte es – ohne den Versuch eines tiefergehenden Studiums – allein auf der Grundlage jenes spätantik-frühmittelalterlichen christlichen Weltbilds, das auf einer Verschmelzung biblischer und griechisch-römischer Vorstellungen beruhte. Schon um 300 v. Chr. hatte der Schriftsteller Euhemeros von Messene im Zeitalter des hellenistischen Herrscherkults den Gedanken verbreitet, dass die großen griechischen Götter ursprünglich nur verdiente und erst nach ihrem Tod in besonderer Weise verehrte sterbliche Menschen gewesen seien. Diese nach ihrem Urheber als Euhemerismus bekannt gewordene Theorie griffen die frühchristlichen Schriftsteller in ihrer Auseinandersetzung mit dem antiken Polytheismus dankbar auf, um mit Hilfe eines heidnischen Kronzeugen die Existenz der griechisch-römischen Götterwelt insgesamt zu bestreiten. So heißt es etwa im vierten Jahrhundert bei dem Kirchenschriftsteller Laktanz:[7]

Die angeblichen Götter, die, wie allbekannt, nach Menschenart erzeugt wurden und nach Menschenart erzeugt haben, sind unzweifelhaft Sterbliche gewesen; aber sie sind für Götter gehalten worden, weil man sie als große und mächtige Könige wegen der Wohltaten, die sie den Menschen gespendet, nach ihrem Tode göttlicher Ehre für würdig hielt und durch Errichtung von Tempeln und Bildsäulen ihr Andenken wie das von Unsterblichen erhalten und verherrlicht hat.

Waren Griechen und Römer ebenso wie die Völker des Alten Orients und Ägyptens noch der Auffassung gewesen, hinter der Vielzahl unterschiedlicher Namen verberge sich letztlich immer dieselbe Götterwelt, so sahen die Christen in all diesen unterschiedlich benannten Göttern nur Manifestationen ein und desselben Teufels und der mit ihm verbündeten Dämonen, die den Menschen von der Verehrung des einen wahren Gottes abzuhalten suchten. «Und ich widersage allen Werken und Worten des Teufels – Donar, Wodan, Saxnot und allen Unholden, die ihre Genossen sind», heißt es dementsprechend im altsächsischen Taufgelöbnis aus der Zeit um 800.

Charakteristisch für die mittelalterliche Sicht des Heidentums war ferner der Vorwurf der Idolatrie oder des Götzendienstes, also der Verehrung der von Menschen gefertigten Kultbilder. Hier stand die christliche Polemik in der Tradition des Judentums mit seiner Betonung eines bildlosen Monotheismus. Außerdem wandten sich christliche Theologen vehement gegen jede Art von Opferkult und alle Formen einer Erkundung des göttlichen Willens durch divinatorische Riten. Beides war in den Religionen der Alten Welt allgemein verbreitet, mit dem christlichen Gottesbild jedoch letztlich unvereinbar. Im Übrigen sahen die mittelalterlichen Christen innerhalb des Heidentums keine wesentlichen Unterschiede, sondern interpretierten anfangs sogar den monotheistischen Islam mit denselben althergebrachten Kategorien. Weit verbreitet war die Gleichsetzung aller Formen von heidnischer Religion mit Zauberei. Vom Christentum als von einer unter mehreren Religionen zu sprechen, war dagegen bis in die Frühe Neuzeit ungebräuchlich.

Über die Art und Weise, wie sich der von kirchlicher Seite geforderte Mentalitätswandel der Missionierten im Einzelnen vollzog, schweigen sich die Quellen weitgehend aus. Was man anhand der schriftlichen und archäologischen Zeugnisse zumindest ansatzweise rekonstruieren kann, sind der Aufbau kirchlicher Organisationsstrukturen, die Aufgabe oder Zerstörung heidnischer Kultstätten und Kultbilder, der Neubau christlicher Kirchen und Klöster, eine zunehmende Verwendung christlicher Symbole sowie Veränderungen im Grabbrauchtum, nicht aber die innere Einstellung der Beteiligten während dieser Umwälzungen. So bleibt denn auch weitgehend unklar, wie weit die Neubekehrten, was das Verständnis der neuen Religion betraf, mit den offiziellen Kirchenvertretern übereinstimmten. Berichte von Zwangsbekehrungen und Massentaufen ohne entsprechende kirchliche Unterweisung lassen vermuten, dass sich das Christentum der Neubekehrten mitunter erheblich von dem propagierten Ideal unterschieden haben dürfte, ohne dass die Quellen ein auch nur annähernd vollständiges Bild davon vermitteln. Seit dem Frühmittelalter diente die Institution der Beichte dazu, christliche Verhaltensmuster einzuprägen und bei Verstößen dagegen besondere Bußleistungen zu verhängen. Der Ausmerzung oder wenigstens Eindämmung außerkirchlicher Anschauungen und Praktiken diente außerdem eine umfangreiche theologische Literatur zur Bekämpfung des Aberglaubens, während eine besondere kirchliche Sendgerichtsbarkeit Zuwiderhandlungen gegen die kirchlichen Normen untersuchte und gegebenenfalls ahndete. Eine wichtige Rolle spielte seit dem frühen dreizehnten Jahrhundert die päpstliche Inquisition, die vor allem bei der Ketzerbekämpfung zum Einsatz kam.

Akkulturation und historischer Wandel

Wie sich im Verlauf der Christianisierung Europas immer wieder beobachten lässt, setzte die Mission in vielen Fällen beim Herrscher oder bei der politisch tonangebenden Oberschicht an. Nahm die Christianisierung der Franken mit dem Übertritt ihres Königs zur neuen Religion ihren Anfang, so begann die Bekehrung der Sachsen mit der Integration der sächsischen Oberschicht in die Grafschaftsverfassung des Frankenreichs. Auch im Fall der Alemannen geht man davon aus, dass sich nach fränkischem Vorbild zunächst die politisch führende Schicht der neuen Religion öffnete, auch wenn dies fast nur aus stummen archäologischen Zeugnissen zu erschließen ist. Dass die Kirche hier wie in vielen anderen, vergleichbaren Fällen die Interessen dieser Oberschicht berücksichtigen musste, liegt auf der Hand. Um die Ausbreitung der neuen Religion in einem vormals heidnischen Gebiet angesichts der beschränkten personellen und institutionellen Ressourcen der Kirche voranzubringen, erschien es jedoch auch geboten, nach Möglichkeit an Bekanntes anzuknüpfen und, wo nötig, Kompromisse zu schließen, um bereits erzielte Missionserfolge nicht zu gefährden. Wie schon Gregor I. 601 in seinem bereits zitierten Brief an den Abt Mellitus im Hinblick auf die noch heidnischen Angelsachsen erklärt hatte:[8]

Da sie viele Rinder als Opfer für die Dämonen zu schlachten pflegen, muss für sie auch daraus eine andere Feier werden: dass sie sich am Tage der Weihe oder am Tage der heiligen Märtyrer, deren Reliquien dort niedergelegt sind, Hütten aus Baumzweigen um diejenigen Kirchen bauen, die aus den Heiligtümern entstanden sind, und den Festtag mit frommen Festmahlen begehen und nicht mehr Tiere dem Teufel opfern und zum Lobe Gottes für ihr Essen Tiere schlachten und dem Geber der Dinge für ihre Sättigung Dank sagen, damit sie, wenn ihnen äußerlich einige Freuden erhalten bleiben, den inneren Freuden leichter zustimmen können. Denn zweifellos ist es unmöglich, schwerfälligem Verstand alles auf einmal wegzunehmen, da ja auch derjenige, der den höchsten Gipfel besteigen möchte, Schritt für Schritt und nicht in Sprüngen nach oben kommt.

Ebenso wie sich das frühe Christentum im Zuge seiner Ausbreitung im Römischen Reich allmählich verändert hatte, passte es sich daher auch im Laufe der Christianisierung Europas immer wieder den jeweils vorherrschenden politischen und kulturellen Gegebenheiten an. Konnten die Autoren der neutestamentlichen Schriften noch auf die religiöse Begrifflichkeit der griechischen Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen zurückgreifen, so erforderte die spätantike Übersetzung der gesamten Bibel ins Lateinische bereits ein deutlich höheres Maß an sprachlicher Neuschöpfung. In noch größerem Umfang galt dies für die ungefähr gleichzeitig entstandene Übersetzung der Bibel ins Gotische, in der viele neutestamentliche Begriffe entweder als Lehnwörter übernommen oder mit den einheimischen sprachlichen Mitteln, so gut es eben ging, nachempfunden werden mussten. Entsprechend fremdartig wirkt auf den modernen Leser daher ein Werk wie der altsächsische Heliand, mit dem ein unbekannter geistlicher Autor nur wenige Jahre nach der Zwangsbekehrung der Sachsen den Neubekehrten das Leben Jesu mit dem Wortschatz und den stilistischen Mitteln der heidnischen heroischen Dichtung nahezubringen suchte.

Als oftmals schwierig erwies sich nicht nur die sprachliche Vermittlung der biblischen Botschaft, sondern auch die Durchsetzung vieler damit verbundener ethischer Forderungen. So war etwa im frühmittelalterlichen Irland die Polygamie zumindest in den politisch führenden Kreisen weit verbreitet, obschon die Kirche diese Praxis immer wieder durch entsprechende Verbote einzudämmen suchte. Wie schwer sich die Vertreter der Kirche wie auch die einzelnen Gläubigen damit taten, die gesellschaftliche Realität mit dem Anspruch der christlichen Lehre in Einklang zu bringen, zeigt nicht zuletzt der Wandel im Verständnis des Verhältnisses von Taufe und Buße. In der alten Kirche verstand man die «Buße» (metanoia) entsprechend dem ursprünglichen Wortsinn noch als «Umkehr» oder «Sinnesänderung»; die Taufe als Symbol der Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen war dementsprechend das unwiederholbare Zeichen dieser Umkehr und der damit verbundenen Sündenvergebung. Im Falle einer späteren schweren Verfehlung, die den Ausschluss aus der Gemeinschaft nach sich zog, konnte der Sünder zwar durch Reue und die Erfüllung entsprechender Bußauflagen eine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft erreichen, doch war dies nur einmal vorgesehen und galt zunächst – ebenso wie die Taufe – als nicht wiederholbar. Dies änderte sich jedoch im Frühen Mittelalter, als man dem einzelnen Gläubigen zugestand, dem Priester immer wieder seine Sünden zu bekennen und bei Erfüllung der jeweils verhängten Bußauflagen Vergebung dafür zu erlangen. Hatte die alte Kirche in diesem Zusammenhang nur einige wenige besonders schwere Verfehlungen thematisiert, so entstanden seit dem sechsten Jahrhundert ausführliche Bußbücher im Sinne katalogähnlicher Zusammenstellungen, die eine Vielzahl kleinerer und größerer Verfehlungen auflisteten und überdies zur Ermittlung einer angemessenen Bußleistung die Motivation des Sünders sowie Alter, Geschlecht, soziale Stellung und wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigten. Wie sehr sich das altkirchliche Verständnis von «Umkehr» und «Sinnesänderung» im Zuge dieser Entwicklung hin zu einer «Tarifbuße» gewandelt hatte, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass man besonders mühevolle oder zeitaufwendige Bußleistungen auch einem Stellvertreter übertragen oder durch die Zahlung einer entsprechenden Geldsumme ersetzen konnte. Seit dem zwölften Jahrhundert setzte sich die Privatbeichte durch, in der die Sündenvergebung unmittelbar auf das nichtöffentliche Sündenbekenntnis vor einem Priester folgte und die Bußleistung eine gleichsam nachgeordnete Bedeutung erhielt.

Der augenfällige Wandel des Bußverständnisses zeigt, dass das im Zuge der Missionierung vermittelte Christentum auch im lateinischsprachigen Westen keineswegs eine über Zeit und Raum hinweg einheitliche Größe war. Dies konnte im Laufe einer mehrhundertjährigen Missionsgeschichte immer wieder auch zu Verwerfungen und Konflikten führen. So lernten etwa die germanischen Völker der Goten, Burgunden, Sueben und Vandalen das Christentum zunächst in der sogenannten «arianischen» oder besser «homöischen» Ausprägung kennen. Vor dem Glaubensbekenntnis der Konzilien von Nicaea und Konstantinopel entstanden, postulierte diese Form des Christentums nicht den später allgemein anerkannten Trinitätsglauben, sondern die Unterordnung des Sohnes unter den Vater. Nach dem Untergang des Weströmischen Reichs hatte dies zur Folge, dass es in den germanischen Nachfolgereichen immer wieder zu Spannungen zwischen der herrschenden germanischen Oberschicht und ihren romanischen Untertanen kam. Nachdem der fränkische König Chlodwig gegen Ende des fünften Jahrhunderts direkt vom Heidentum zum Katholizismus übergetreten war, ließen sich daher auch die Könige der Burgunden, Sueben und Westgoten im Laufe des sechsten Jahrhunderts trinitarisch taufen. In ähnlicher Weise kam es während des sechsten und siebten Jahrhunderts in Irland und im angelsächsischen England zu erbitterten Streitigkeiten über die Berechnung des Ostertermins, als die Anhänger der in Irland lange Zeit üblichen Praxis auf die Befürworter einer jüngeren, nun auf dem Kontinent weit verbreiteten Berechnungsweise trafen.

Erinnerung und Geschichtsschreibung

Da der Gebrauch der Schrift im Zeitalter der Christianisierung Europas fast ausschließlich auf kirchliche Kreise beschränkt blieb, lag auch die Deutungshoheit dieses Aspekts der Geschichte weitgehend in den Händen der Kirche. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Bibel, da alt- wie neutestamentliche Texte das Vokabular zur Beschreibung außerchristlicher Riten und Kulte bereitstellten, während die Schilderungen der frühchristlichen Mission in den paulinischen Briefen und der Apostelgeschichte späteren Generationen als Vorbild für eine erfolgreiche Verkündigung der christlichen Lehre dienten. Dementsprechend tiefgreifend war der Einfluss biblischer Erzählungen auf die mittelalterliche Hagiografie, in der das missionarische Wirken herausragender Heiliger überdies oft weniger die historische Wirklichkeit als vielmehr die späteren macht- und kirchenpolitischen Interessen im Umfeld der Verfasser dieser Texte widerspiegelt. So diente etwa die Legende, derzufolge der Apostel Thomas Südindien missionierte und in Mylapore bei Chennai den Märtyrertod fand, in erster Linie dazu, die späteren christlichen Gemeinden Indiens historisch zu legitimieren. Ähnlich verknüpfte man im Spätmittelalter die Einführung des Christentums in England mit der Legende von einer Reise des Joseph von Arimathaea, während die Entstehung des schottischen Bistums St. Andrews mit der wundersamen Entdeckung der Reliquien des Apostels Andreas an der schottischen Ostküste in Zusammenhang gebracht wurde. Auch in der umfangreichen lateinischen und irischen Literatur über das Wirken des heiligen Patrick spiegelt sich daher weniger die kaum mehr rekonstruierbare Geschichte Irlands im fünften Jahrhundert als vielmehr die spätere zentrale Stellung des Bistums Armagh, das mit Patricks Verehrung besonders verbunden war. Für das Selbstverständnis der Kirche und die allgemein vorherrschende Sicht der Christianisierung Europas blieben solche hagiografischen Texte und Legenden gleichwohl bis weit in die Neuzeit von herausragender Bedeutung und wurden oftmals erst im Zuge des Aufschwungs der historischen und archäologischen Forschung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert kritisch hinterfragt.

Von herausragender Bedeutung war die kirchliche Perspektive auf die Christianisierung Europas aber auch für die Entwicklung der Vorstellungen, die man sich von den vor- und frühgeschichtlichen Religionen Europas machte. Da frühe Schriftzeugnisse der keltischen, germanischen und slawischen Völker weitgehend fehlten oder doch erst im Laufe der Neuzeit entdeckt und allmählich erforscht wurden, galten die nach biblischen Vorbildern stilisierten Darstellungen der Bekehrungszeit durch Hagiografen und Kirchenhistoriker oft bis in die jüngste Vergangenheit als wertvolle Quellen für unsere Kenntnis der vorchristlichen Religionen Europas. Dabei unterlag die Bewertung dieser Religionen erheblichen Schwankungen. Stand man dem alten europäischen Heidentum im Mittelalter weitgehend ablehnend gegenüber, so entdeckten bereits die französischen Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts ihre Vorliebe für die keltische Priesterklasse der Druiden, deren vermeintliche Lehren begeisterte Altertumsforscher im England des achtzehnten Jahrhunderts mit jenen der zeitgenössischen Anglikanischen Kirche gleichsetzten. Immer wieder spielten dabei die Berichte aus der Bekehrungszeit eine wichtige Rolle, etwa wenn man eine dort erwähnte Zerstörung des sächsischen Zentralheiligtums Irminsul mit den Externsteinen zusammenbrachte und so eine phantasievolle germanische Naturreligion konstruierte. Dass die Vertreter solcher romantisierender Ideen oft nur zeitgenössische philosophische Debatten und religiöse Kontroversen in die heidnische Vergangenheit zurückspiegelten, wurde zumeist erst im Rückblick deutlich.

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Katholische Mission am Beginn der Globalisierung

Die Karibik und Lateinamerika von der Entdeckung durch Kolumbus bis zum Niedergang des spanischen Kolonialreichs

Obwohl wir Missionspatres unter soviel Tausenden von Menschen, will sagen Indianern leben, befinden wir uns in der Thebais [d.h. Wüste]. Hier gibt es nahezu keinen religiösen Gedankenaustausch, größte Einsamkeit, immerwährendes Stillschweigen, wenige, seltene und verspätete Nachrichten über Eure Angelegenheiten. Wir sind der Welt entrückt und für sie wie tot, mit ungeheuren Mühen und dauernden Sorgen belastet.

Der Jesuit Anton Sepp, 1714[1]

Mit dem Anbruch des Zeitalters der Entdeckungen rückten in rascher Folge die Inseln der Karibik, Amerika, Indien und Ostasien in das Blickfeld der europäischen Mächte und der christlichen Kirchen. Doch während sich das Christentum auf den Inseln der Karibik und in Amerika auf Dauer als Mehrheitsreligion etablieren konnte, blieb sein Einfluss in Indien, Japan und China lange Zeit eng begrenzt. Im Osten Nordamerikas waren Missionare unterschiedlicher Konfessionen aus England, Schottland, Frankreich und verschiedenen mitteleuropäischen Ländern tätig. Sie konnten vielfach auf Erfahrungen aufbauen, die man zuvor in Mittel-, Süd- und Nordwestamerika gewonnen hatte, wo die Gründung eines weitgespannten spanischen Kolonialreichs zusammen mit einer ausgedehnten katholischen Mission unter spanischer bzw. portugiesischer Führung erfolgt war. So erscheint es zweckmäßig, eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit mit dem Blick auf die Missionierung der Karibik und Lateinamerikas zu beginnen.

Von der Eroberung bis zur Entkolonisierung

Die Geschichte des spanischen Kolonialreichs in der – schon im frühen sechzehnten Jahrhundert so genannten – Neuen Welt begann im Oktober 1492 mit der Inbesitznahme einer Insel der Bahamas durch Kolumbus. Sie endete im Dezember 1898 mit der Unterzeichnung des Pariser Friedens am Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges. In der Folge musste Spanien Puerto Rico, Guam und die Philippinen an die Vereinigten Staaten abtreten und Kuba in die Unabhängigkeit entlassen, nachdem sich im Anschluss an die Napoleonischen Kriege bereits viele andere Regionen der Karibik sowie Süd- und Mittelamerikas vom spanischen Mutterland losgesagt hatten. Um die Entstehung, den Verlauf und die Folgen der christlichen Mission in all diesen Ländern zu verstehen, gilt es zunächst die Geschichte ihrer Eroberung und sodann den Anteil staatlicher und kirchlicher Organe an ihrer Verwaltung und Ausbeutung ins Auge zu fassen.

Den Ausgangspunkt der spanischen Kolonisierung Lateinamerikas bildete die Karibik. Auf der nach Kuba zweitgrößten Insel Hispaniola – heute aufgeteilt zwischen Haiti im Westen und der Dominikanischen Republik im Osten – entstand bereits 1493 die erste spanische Ansiedlung. Ihr folgten bis 1530 weitere Siedlungen auf den Inseln Puerto Rico, Jamaica, Kuba und Trinidad. Danach verlagerte sich der Schwerpunkt des spanischen Interesses zunehmend auf das mittel- und südamerikanische Festland. Dies führte seit dem späten sechzehnten Jahrhundert zu einer wachsenden Einflussnahme Englands, Frankreichs und später auch der Niederlande in der Karibik, was sich einerseits in der Eroberung und Kolonisierung einzelner Inseln, andererseits in den Aktivitäten vor allem englischer und französischer Freibeuter niederschlug.

Die spanische Eroberung des mittelamerikanischen Festlands begann im April 1519 mit der Landung einer von Hernán Cortés geführten Truppe in der Nähe der heutigen Stadt Veracruz am Golf von Mexico. Indem er geschickte Bündnisse mit jenen Teilen der einheimischen Bevölkerung schloss, die den zentralmexikanischen Azteken tributpflichtig waren oder aber mit ihnen rivalisierten, konnte Cortés das Aztekenreich innerhalb von kaum mehr als zwei Jahren vollständig in Besitz nehmen. Als sehr viel langwieriger erwies sich jedoch die Unterwerfung der daran angrenzenden Gebiete. Zwischen 1522 und 1530 eroberten die Spanier das Reich der auch als Purépecha bezeichneten Tarasken mit der Hauptstadt Tzintzuntzan im Nordwesten des Aztekenreichs. Noch weiter nördlich lag eine von den Spaniern als La Gran Chichimeca bezeichnete Region mit reichen Silbervorkommen, deren nomadische und halbnomadische Bewohner den Eindringlingen erbitterten Widerstand leisteten. Von 1550 bis 1590 führte Spanien dort die ebenso verlustreichen wie kostspieligen Chichimekenkriege, die erst durch den spanischen Verzicht auf eine kurzfristige Unterwerfung der Bevölkerung und umfangreiche Maßnahmen zu ihrer allmählichen Assimilation beendet werden konnten. Noch länger dauerte die Eroberung der Halbinsel Yucatán südöstlich des Aztekenreichs, die erst gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts ihren Abschluss fand. Auch Nordamerika westlich des Mississippi wurde von den Spaniern teilweise erst im Laufe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erschlossen und ihrem Kolonialgebiet einverleibt.

Mit der Ankunft Francisco Pizarros und seiner Truppe begann 1532 die Eroberung des Inkareichs in Peru, die 1572 mit der Hinrichtung des letzten Inka-Herrschers Túpac Amaru endete. In diesen Zeitraum fällt auch die Inbesitznahme weiterer Regionen in Südamerika, die teils vom Boden des ehemaligen Inkareichs und teils von der Ostküste Südamerikas aus durchgeführt wurde. Schon 1516 hatten spanische Seefahrer den Río de la Plata erkundet und 1527 in dieser Region einen Stützpunkt angelegt. 1536 und 1537 folgte die Gründung der Städte Buenos Aires und Asunción. In den darauffolgenden Jahren unternahmen die Spanier auch Expeditionen in den goldreichen Norden Südamerikas, das heutige Kolumbien, legten dort befestigte Stützpunkte an und unterwarfen die einheimische Bevölkerung der Musca und Chibcha.

Die Anfänge der Verwaltung des spanischen Kolonialreichs gehen auf Königin Isabella von Kastilien und ihren Hofkaplan und Berater Juan Rodríguez de Fonseca zurück. Auf ihr Betreiben hin entstand bereits 1503 in Sevilla eine Casa de Contratación oder «Handelshaus» genannte Behörde. In deren Händen lag die Genehmigung, Finanzierung und Überwachung des gesamten Verkehrs und Handels mit den neuerworbenen überseeischen Gebieten sowie die Eintreibung der daraus resultierenden Steuern und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. 1524, im Gefolge der Eroberung des Aztekenreichs, verfügte Kaiser Karl V. dann nach dem Vorbild des Kastilischen Kronrats die Einrichtung eines nur dem Monarchen selbst verantwortlichen «Königlichen Obersten Indienrats» (Real y Supremo Consejo de las Indias). Besetzt mit Juristen und anderen vom Monarchen berufenen Fachleuten, diente der Indienrat unter der Leitung seines Präsidenten als oberstes Beratungs- und Verwaltungsgremium wie auch als oberstes Berufungsgericht für das gesamte spanische Kolonialgebiet in der Karibik, Amerika und auf den Philippinen. Als territoriale Verwaltungseinheiten entstanden 1535 das Vizekönigreich Neuspanien mit der Hauptstadt Mexiko-Stadt sowie 1542 das Vizekönigreich Peru mit der Hauptstadt Lima. Zum Vizekönigreich Neuspanien gehörten neben den spanischen Besitzungen in Mittelamerika und Venezuela auch die Philippinen sowie die Gebiete in der Karibik und im westlichen Nordamerika. Dagegen umfasste das Vizekönigreich Peru die spanischen Besitzungen in Südamerika (außer Venezuela). Beide Vizekönigreiche waren in Provinzen eingeteilt, deren Gouverneure dem jeweiligen Vizekönig unterstanden.

Tiefgreifende Veränderungen erfuhren die spanischen Kolonien im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, als nach dem Tod Karls II., des letzten spanischen Habsburgers, die Herrschaft auf den Bourbonen Philipp von Anjou, einen Enkel Ludwigs XIV., überging. Ursache dafür waren die Bourbonischen Reformen, mit denen Philipp V. und seine Nachfolger nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges dem politischen und wirtschaftlichen Niedergang ihres Reiches gegenzusteuern suchten. So entstand 1739 aus Teilen der bisherigen Vizekönigreiche Neuspanien und Peru als neue Verwaltungseinheit das Vizekönigreich Neugranada mit der Hauptstadt Bogotá, wovon sich Spanien einen wirksameren Schutz der Schifffahrtswege in der Karibik erhoffte. 1776 verkleinerte man das Vizekönigreich Peru dann ein zweites Mal, um mit der Gründung eines vierten Vizekönigreichs Río de la Plata den Einfluss der Portugiesen in Brasilien zurückzudrängen. Hand in Hand mit dieser territorialen Neuordnung ging eine Reform der regionalen Verwaltung, in der nach französischem Vorbild unmittelbar vom König ernannte Intendanten entscheidende Befugnisse erhielten. Im Einklang mit diesen Bemühungen um eine effizientere Verwaltung verlor der Indienrat etliche Befugnisse an zwei neu geschaffene Ministerien für die Marine und die Kolonien, während die Casa de Contratación schließlich ganz aufgelöst wurde. Ungeachtet dieser Reformen war das spanische Kolonialreich jedoch den Erschütterungen durch die Napoleonischen Kriege nicht gewachsen und musste bis 1840 die Unabhängigkeit der weitaus meisten seiner Besitzungen in Süd- und Mittelamerika anerkennen.

Voraussetzungen der Missionierung

Die Missionierung der Karibik und Lateinamerikas beruhte in mehrerer Hinsicht auf Voraussetzungen, die sich schon vor der Entdeckung der Neuen Welt aus der Expansion der iberischen Königreiche im Kampf gegen ihre muslimischen Nachbarn ergeben hatten.[2] Eine wesentliche Rolle spielten dabei Vereinbarungen, die der Papst mit den Monarchen der betreffenden Länder getroffen hatte und die bis zur Infragestellung der päpstlichen Autorität im Gefolge der Reformation weithin anerkannt wurden. Schon vor der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts waren portugiesische Seefahrer an der westafrikanischen Küste auf bis dahin unbekannte indigene Völker gestoßen. Als Reaktion darauf erteilte Papst Nikolaus V. dem portugiesischen König im Sommer 1452 in seiner Bulle Dum diversas die Erlaubnis, die betreffenden Länder zu erobern und ihre heidnische oder muslimische Bevölkerung zu versklaven. Kaum drei Jahre später bestätigte Nikolaus V. in seiner Bulle Romanus Pontifex dieses Privileg und verlieh dem portugiesischen König und seinen Nachfolgern das alleinige Anrecht auf neu eroberte Gebiete südlich von Kap Bojador, sofern sie sich im Gegenzug zur Missionierung der betreffenden Gebiete verpflichteten.

Nachdem Kolumbus im Frühjahr 1493 von seiner ersten Entdeckungsreise zurückgekehrt war, attestierte Papst Alexander VI. in seiner Bulle Inter caetera