Weltgeschichte der Religionen - Bernhard Maier - E-Book

Weltgeschichte der Religionen E-Book

Bernhard Maier

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit Urzeiten erkunden Menschen den Willen der Götter, befolgen deren heilige Ordnung und hoffen auf Erlösung. Bernhard Maier beschreibt anschaulich die Geschichte der Religionen von den frühesten Grabkulten über die Weltbilder des Alten Orients und den Monotheismus bis zu den heutigen Religionskonflikten und der individuellen Suche vieler Menschen nach Heil. Wann sind die Religionen entstanden, und warum gibt es sie (fast) überall auf der Welt? Bernhard Maier erzählt die Geschichte der Religionen von den archäologisch nachweisbaren Anfängen bis heute. Dabei gelingt es ihm meisterhaft, die Eigenheiten großer und kleiner Religionen prägnant zu porträtieren, parallele Entwicklungen in Schlüsselepochen deutlich zu machen und Mythologien, Zeitvorstellungen oder heilige Stätten miteinander zu vergleichen. Wer seinen eindrucksvollen Überblick gelesen hat, wird besser verstehen, warum Religionen auch heute noch so machtvoll sind und selbst eingefleischte Skeptiker zutiefst faszinieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernhard Maier

WELTGESCHICHTE DER RELIGIONEN

Von der Steinzeit bis heute

C.H.BECK

Zum Buch

Wann sind die Religionen entstanden, und warum gibt es sie (fast) überall auf der Welt? Bernhard Maier erzählt die Geschichte der Religionen von den archäologisch nachweisbaren Anfängen bis heute. Dabei gelingt es ihm meisterhaft, die Eigenheiten großer und kleiner Religionen prägnant zu porträtieren, parallele Entwicklungen in Schlüsselepochen deutlich zu machen und Mythologien, Zeitvorstellungen oder heilige Stätten miteinander zu vergleichen. Wer seinen eindrucksvollen Überblick gelesen hat, wird besser verstehen, warum Religionen auch heute noch so machtvoll sind und selbst eingefleischte Skeptiker zutiefst faszinieren.

Über den Autor

Bernhard Maier ist Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. die erfolgreichen Standardwerke «Die Religion der Kelten» (32016) und «Die Religion der Germanen» (2003) sowie zuletzt «Die Bekehrung der Welt. Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit» (2021).

Inhalt

Einleitung

ERSTER  TEIL: Von den Anfängen bis zum Ende der altorientalischen Großreiche

Ur- und Vorgeschichte

Ägypten und Mesopotamien

Altiran und Altkleinasien

Syrien, Palästina und der Mittelmeerraum

1. Bestattungen: Älteste Zeugnisse von Religion?

Vorgeschichtliche Bestattungen und ihre Deutung

Bestattungen als gemeinschaftliches Ritual

Gräber als Ausdruck kollektiver Identität

Totenfürsorge und -abwehr

Frühe Seelenvorstellungen

2. Unfassbar nah und unerreichbar fern: Götter und Göttinnen

Altsteinzeitliche Götterbilder?

Götter und Göttinnen der Jungsteinzeit

Die Götter und die Weltordnung in Ägypten, Mesopotamien und Indien

Wirkungsweisen von Göttern in frühgeschichtlichen Kulturen

Echnatons Monotheismus

3. Zeichendeutung, Opfer und Gebet: Formen der Interaktion

Traumdeutung, Omina, Opferschau und Orakel

Anlässe, Zwecke und Formen des Opfers

Riten zur Tilgung von Sünden

Opfer, Weihung und Bann

Lieder, Gebete, Beschwörungen

4. Heilige Räume und Zeiten: Kultstätten und Tempel, Alltag und Feste

Höhlen als altsteinzeitliche Kultstätten

Die frühesten Heiligtümer Alteuropas

Ägyptische und griechische Tempel

Der Bau eines Tempels im Alten Orient

Zeitrechnung und Kalender

Feste im Alten Orient und in Alteuropa

5. Ausdruck früher Weltbilder: Mythen und ihre Deutung

Die Mythen Homers und ihre Rezeption

Altindische Mythen

Mesopotamische Mythen

Germanische Mythen?

Ansätze einer vergleichenden Mythenforschung

ZWEITER TEIL: Vom Hellenismus bis zum Aufstieg des Islams

Der Mittelmeerraum

Indien

China

6. Das Unheil der Welt: Religionen als Erlösungswege

Der Begriff der Achsenzeit

Daoismus und Konfuzianismus

Die Wiedergeburtslehre der Upanischaden

Der Buddhismus

Der Jinismus

Die Religion Israels und die Entstehung des Judentums

7. Anpassung durch Wandel: Formen wechselseitiger Beeinflussung

Zarathustra und der Zoroastrismus

Das hellenistische Judentum

Religion und Philosophie im Hellenismus

Die Anfänge des Christentums

Gnosis und Manichäismus

Die Anfänge des Islams

8. Fixierung der Offenbarung und Kanonisierung: Heilige Schriften

Der Pali-Kanon und seine Rezeption in Europa

Die Entstehung der Bibel

Apokryphen und Pseudepigraphen

Koran und Hadith

9. Verfolgung, Duldung, Förderung: Religion und Politik

Der Buddhismus in Indien

Die Christianisierung des Römischen Reichs und seiner Nachfolgestaaten

Die frühe Ausbreitung des Islams

10. Differenzierung und Spezialisierung: Lebensformen und Organisation

Das buddhistische Mönchtum

Die Rabbinen und ihre Literatur

Die Entstehung der christlichen Volkskirche

Askese und Mönchtum im Abendland

Die Leitung der Gemeinde im frühen Islam

Parallelen und Analogien

DRITTER TEIL: Europa und Asien im Zeichen der Weltreligionen

Die christlichen Reiche Europas

Das Gebiet des Islams

Die buddhistischen Regionen Asiens

11. Mission und Herrschaftsanspruch: Krieg und Konversion

Die letzten Heiden Europas

Die Ausbreitung des Islams in Asien

Kreuzzüge und Reconquista

Der Buddhismus in Tibet, China, Korea und Japan

12. Zwischen Toleranz und Zwangsbekehrung: Religiöse Minderheiten

Juden und Muslime unter christlicher Herrschaft

Juden und Christen unter muslimischer Herrschaft

Abweichler und Abtrünnige im Christentum und im Islam

Kultureller Austausch

13. Religion im Alltag: Ausdrucksformen der Frömmigkeit

Religion im Tagesablauf und Jahreskreislauf

Versammlungsräume und Gotteshäuser

Funktionen der Wallfahrt

14. Der Einzelne und sein Gott: Formen der Mystik

Die Anfänge der christlichen Mystik

Der islamische Sufismus

Formen jüdischer Mystik

Theistische und nicht-theistische Mystik in Indien

Einheit und Vielfalt mystischer Erfahrungen

15. Bewahrung, Anpassung, Erneuerung: Die Auslegung der Offenbarung

Muslimische Exegeten und Rechtsgelehrte

Jüdische Philologen und Philosophen

Reformbewegungen im Christentum

Die Jesiden

Der Sikhismus

VIERTER TEIL: Von der Entdeckung Amerikas bis zum Ende des Zeitalters der Aufklärung

Europa

Amerika

Afrika

Asien

16. Wege in die Neuzeit: Territorialisierung und Konsolidierung

Reformation und Konfessionalisierung in Europa

Sunniten, Schiiten und Ibaditen

Der Neokonfuzianismus unter den Ming und Qing

Nichiren-Buddhismus und Neokonfuzianismus in Japan

17. Alte Welt, Neue Welt: Missionsbewegungen und Akkulturation

Die christliche Mission in Indien, China und Japan

Die christliche Mission in Amerika

Die Ausbreitung des Islams in Afrika und Indonesien

18. Die letzten ihrer Art: Ethnische Religionen in der Neuzeit

Die Religion der Maya

Die Religion der Azteken

Die Religion der Inka

Die Religion der Irokesen

Afrikanische Religionen

Indigene und antike Religionen und die Suche nach der Urreligion

19. Offenbarung und Vernunft: Philosophen, Kritiker und Reformer

Philosophische Religionskritik

Aufklärungstheologie

Freimaurer, Rosenkreuzer und Illuminaten

20. An der Schwelle zur Moderne: Bewahrer und Neuerer

Die jüdische Haskala und ihr Erbe

Islamische Reformbewegungen

Pietismus und Erweckungsbewegung

FÜNFTER TEIL: Vom Beginn der Industrialisierung bis zur Gegenwart

Großmächte und Weltmächte

Höhepunkt und Niedergang des Kolonialismus

Die Industrielle Revolution und ihre Folgen

21. Religionen im Wandel: Säkularisierung und Dekolonisation

Das Christentum in der Industriegesellschaft

Politischer Islam und Panislamismus

Neohinduismus

Neobuddhismus

22. Rückkehr der Propheten: Die Entstehung neuer Religionen

Die Mormonen

Die Religion der Baha’i

Die Taiping-Bewegung

Der Geistertanz der Prärie-Indianer

Die Ahmadiya-Bewegung

23. Alternativen zur Religion: Philosophen, Ideologen und Visionäre

Humanismus, Atheismus und Agnostizismus

Wunderglaube, Mesmerismus und Spiritismus

Theosophie und Anthroposophie

24. Religion und Gewalt: Konflikte und ihr Kontext

Buddhismus und japanischer Imperialismus

Konflikte zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs

Völkische Ideologien und Neuheidentum

Politische Heilslehren

Antisemitismus und Zionismus

Der Nahostkonflikt und der islamistische Extremismus

25. Digitalisierung und Globalisierung: Religion und Religionen heute

Afroamerikanische Religionen

Neue religiöse Bewegungen

Religionen im Internet

Religionsgeschichte und Religionswissenschaft

Zeittafel

Bildnachweis

Anmerkungen

Einleitung

ERSTER TEIL: Von den Anfängen bis zum Ende der altorientalischen Großreiche

ZWEITER TEIL: Vom Hellenismus bis zum Aufstieg des Islams

DRITTER TEIL: Europa und Asien im Zeichen der Weltreligionen

VIERTER TEIL: Von der Entdeckung Amerikas bis zum Ende des Zeitalters der Aufklärung

FÜNFTER TEIL: Vom Beginn der Industrialisierung bis zur Gegenwart

Literatur

Register

Einleitung

Wer eine geschichtliche Darstellung verfasst, weiß im Allgemeinen nicht, aus welchem speziellen Interesse und mit welcher Motivation der Leser sein Buch zur Hand nimmt. Auch die Vorkenntnisse des Lesers und sein weltanschaulicher Standpunkt sind dem Verfasser in der Regel unbekannt. Was jedoch Leser und Autor in den meisten Fällen miteinander verbinden dürfte, ist die Überzeugung, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit den eigenen geistigen Horizont erweitern und neue Perspektiven auch auf die Gegenwart eröffnen kann. Eine Geschichte der Religionen stellt in diesem Rahmen insofern einen Sonderfall dar, als sich die Darstellung zwangsläufig über viele Epochen und geographische Regionen erstreckt, viele verschiedene Bereiche menschlicher Kultur berührt und aus eben diesen Gründen auf die Ergebnisse einer Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zurückgreifen muss. So erscheint es sinnvoll, diesem Buch einige einleitende Bemerkungen zur Konzeption und ihrer Durchführung voranzustellen.

Es liegt auf der Hand, dass ein Buch von weniger als 600 Seiten angesichts der Fülle des Stoffs und der Komplexität des Themas entweder nur eine erste Einführung in den Gegenstand bieten kann oder aber diese Fülle und Komplexität einem ganz bestimmten Leitgedanken unterordnen muss. Die zuletzt genannte Möglichkeit hat zwar durchaus ihren Reiz und ihre Berechtigung, doch wird ein Buch dieser Art vor allem denen nützen, die bereits mit den Quellen und den unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Deutung vertraut sind und so die Plausibilität der vorliegenden Darstellung im Vergleich zu anderen Entwürfen abschätzen können. Der Verfasser wendet sich demgegenüber in erster Linie an Leserinnen und Leser, die sich dem Gegenstand gleichsam von außen nähern, nicht schon viele andere Bücher zu diesem Thema gelesen haben und von einer einbändigen Darstellung der gesamten Religionsgeschichte nicht so sehr geistreiche Zuspitzung und gewagte Originalität als vielmehr Ausgewogenheit und Zuverlässigkeit erwarten.

Das Buch nimmt seinen Ausgangspunkt bei einem im Alltag weithin üblichen, doch nur selten kritisch reflektierten Sprachgebrauch, demzufolge man von «Religion» (in der Einzahl) und «Religionen» (in der Mehrzahl) reden kann. Dieser Sprachgebrauch beruht auf der zumeist stillschweigend vorausgesetzten Annahme, dass das, was bei uns heute «Religion» heißt, unter anderen Bezeichnungen auch in anderen Zeiten und Räumen zu finden sei, dass man also bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen, Lebensformen, ethische Normen, Kulturschöpfungen sowie individuelle und kollektive Handlungen deshalb «religiös» nennen könne, weil wir es gewohnt sind, vergleichbare – oder besser: uns vergleichbar erscheinende – Phänomene unserer eigenen Kultur so zu bezeichnen. Die Plausibilität oder Tragfähigkeit dieser Auffassung soll hier nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden. Ein wesentliches Anliegen des Buchs besteht gleichwohl darin, diesen landläufigen Sprachgebrauch und die ihm zugrunde liegenden Vorstellungen anhand ausgewählter Beispiele immer wieder zu erörtern, zu präzisieren und mitunter kritisch in Frage zu stellen. Zum einen soll der Leser dadurch eine Vorstellung davon bekommen, welche häufig wiederkehrenden und also mutmaßlich grundlegenden Funktionen «der» Religion (Einzahl) – und das heißt eben in der Regel: der einzelnen von uns so genannten «Religionen» (Mehrzahl) – in Vergangenheit und Gegenwart nachweisbar sind. Zum anderen soll das Buch aber auch deutlich machen, dass «Religion» ganz unterschiedliche Formen annehmen kann, dass also die historisch greifbaren Religionen längst nicht immer und überall viele oder gar sämtliche Züge aufweisen, die dem Leser aus den ihm bereits bekannten Religionen vertraut sind.

Im Unterschied zu vergleichbaren Darstellungen steht in vorliegendem Buch nicht jeweils eine Religion im Mittelpunkt der einzelnen Kapitel. Vielmehr geht es in den 25 Kapiteln jeweils um bestimmte Phänomene und religionsgeschichtliche Entwicklungen, die für die betreffende Epoche charakteristisch sind und die vielfach über ihre eigene Zeit hinaus weitreichende Folgen gehabt haben. Sie werden anhand einiger charakteristischer Beispiele aus verschiedenen Religionen veranschaulicht, wobei immer wieder auch kurze Ausblicke auf die weitere Geschichte dieser Phänomene und Entwicklungen gegeben werden.

Weit verbreitet ist das Interesse an Ähnlichkeiten zwischen räumlich wie zeitlich weit voneinander entfernten Religionen. Solche Übereinstimmungen gelten mitunter als Ausdruck «richtiger» oder doch allgemein menschlicher und darum besonders wertvoller Einsichten. Im Hinblick darauf besteht ein wesentliches Anliegen dieses Buches darin, durch eine möglichst präzise Darstellung der betreffenden Sachverhalte in ihren geschichtlichen Zusammenhängen reale von nur scheinbaren Ähnlichkeiten zu unterscheiden. Wichtig sind dafür zum einen Vorsicht und Zurückhaltung bei der Übertragung vertrauter Begriffe auf fremde oder vergangene Kulturen, zum anderen eine angemessene Berücksichtigung der Eigenbegrifflichkeit fremder Religionen. Letztere konnte im Hinblick auf den geringen Umfang des Buches und den Anspruch der Allgemeinverständlichkeit zwar nicht in jedem Fall dargestellt und erläutert werden, kommt aber zumindest in ausgewählten Beispielen immer wieder zur Sprache.

Die Darstellung der religionsgeschichtlichen Fakten soll in möglichst allen Teilen den gegenwärtigen Stand der Forschung widerspiegeln. Dass ein einzelner Verfasser aber weder alle Quellen noch die wissenschaftliche Literatur auf diesem weiten Feld beherrschen oder auch nur vollständig überblicken kann, wird wohl niemanden überraschen. Immerhin hofft der Verfasser, dass er sich durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit einzelnen Teilgebieten der Religionsgeschichte sowohl die erforderliche Vorsicht im Umgang mit den Quellen und der Sekundärliteratur als auch die Fähigkeit zu einer kritischen Beurteilung der Rezeptions- und Forschungsgeschichte anderer, ihm weniger vertrauter Bereiche erworben hat. Diese – oft faszinierende – Rezeptions- und Forschungsgeschichte wird in diesem Buch zwar nicht um ihrer selbst willen thematisiert, doch kommt sie in ausgewählten Beispielen wenigstens kurz zur Sprache, damit der Leser einen Einblick in die historische Bedingtheit – und das heißt auch: die Relativität und Vorläufigkeit – jedes und damit auch des gegenwärtigen Erkenntnisstandes erhält.

Die wichtigste Grundlage der Darstellung bilden naturgemäß Texte, die wie keine andere Quelle der historischen Erkenntnis den unmittelbaren Zugang zu religiösen Vorstellungen eröffnen. Gleichwohl soll die Darstellung keine «Geschichte der religiösen Ideen» sein, sondern die gesamte Lebenswirklichkeit der Religionen in all ihren kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen im Auge behalten. Dass die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Religion, Politik, Ökonomie, Sozialstruktur, Literatur, Musik und Kunst immer nur in Ausschnitten erfasst werden konnten, liegt auf der Hand, doch sollen wechselnde Schwerpunkte zumindest einen Eindruck von der Bandbreite dieser Verflechtungen vermitteln. In geographischer und chronologischer Hinsicht liegt ein gewisser Schwerpunkt auf der Religionsgeschichte Europas und des Vorderen Orients, ferner auf den mitunter so genannten Hoch- oder Weltreligionen Asiens. Daneben sollten jedoch auch die indigenen Religionen Afrikas, Amerikas und Eurasiens Berücksichtigung finden und über der Betrachtung der noch heute lebendigen Traditionen auch weniger bekannte untergegangene Religionen nicht vergessen werden.

Die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis dienen in erster Linie dazu, wissenschaftlich interessierten Benutzern die Quellen der Darstellung offenzulegen und gleichzeitig Hinweise auf Möglichkeiten einer weiterführenden und vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema bereitzustellen. Dabei bringt es die Weite des Gegenstands mit sich, dass hier nur eine kleine Auswahl aus der Überfülle gedruckter oder online verfügbarer Texte geboten werden kann. Grundsätzlich beschränken sich die Literaturhinweise auf selbständig erschienene Publikationen in deutscher, englischer und französischer Sprache. Bevorzugt angegeben werden – im Hinblick auf den einführenden Charakter des Buches – Handbücher sowie Überblicks- und Gesamtdarstellungen, während Spezialuntersuchungen zu Einzelfragen nur in einer kleinen exemplarischen Auswahl berücksichtigt sind. Um die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis überschaubar zu halten, beziehen sich die Hinweise zumeist auf die jeweils neuesten mir bekannten Monographien, die ihrerseits weiterführende Quellen- und Literaturhinweise bieten. Auf die oft überaus nützlichen Überblicksartikel in den großen religionsgeschichtlichen Nachschlagewerken (Religion in Geschichte und Gegenwart, Reallexikon für Antike und Christentum usw.) sei hier ausdrücklich hingewiesen, auch wenn sie im Folgenden nicht einzeln angeführt sind. Dass mancher Leser auch viele grundlegende und zum Teil klassisch gewordene ältere Darstellungen vermissen wird, liegt vor allem daran, dass man über die Beschäftigung mit der jeweils neuesten Literatur ohnehin auf sie stößt. Da Ausgangspunkt, Inhalt, Umfang, Aufbau und Zielsetzung vieler im Literaturverzeichnis angeführter Werke keineswegs bereits aus dem Titel ersichtlich sind, findet man in den Anmerkungen immer wieder knappe Erläuterungen dazu.

Mit Recht erwartet der Leser von einer Darstellung wie der folgenden, dass der Verfasser alle Religionen in gleicher Weise aus einer neutralen Außenperspektive schildert und Werturteile vermeidet. Dass er seine eigene kulturelle Prägung nicht völlig verleugnen kann, wird gleichwohl niemanden überraschen. Die Selbstverständlichkeit, mit der viele frühe Religionshistoriker die Überlegenheit der eigenen Kultur über alle anderen teils stillschweigend voraussetzten, teils lautstark proklamierten, mag manchen heutigen Leser überraschen, ärgern oder abstoßen. Trotzdem gilt bei allem Streben nach Objektivität und Sachlichkeit aber auch heute noch, dass schon der Entschluss zum Schreiben sowie die Auswahl und Gewichtung des Stoffs eine Vielzahl letztlich subjektiver Entscheidungen nach sich ziehen und völlige Neutralität unmöglich machen. Die Wissenschaftlichkeit der Darstellung muss sich daher in erster Linie daran messen lassen, wie genau sie die heute bekannten, in zahllosen Einzeluntersuchungen ermittelten und immer wieder kritisch reflektierten empirischen Daten der allgemeinen Religionsgeschichte widerspiegelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich eine zusammenfassende Darstellung immer nur auf dem schmalen Grat zwischen unvermeidlicher und unzulässiger Vereinfachung bewegen kann. Über viele Einzelheiten, die hier mit wenigen Sätzen abgehandelt werden, sind ganze Bücher geschrieben worden. Auch hier gilt letzten Endes: Zeichnen heißt weglassen.

Wer für eine Geschichte der Religionen Abbildungen zur Veranschaulichung des Textes sucht, kann auf einen reichen Schatz imposanter Denkmäler und Kunstwerke zurückgreifen. Die Verwendung erlesener Materialien, beeindruckende Kunstfertigkeit und eine oft gewaltige Arbeitsleistung zeugen von der zentralen Bedeutung, die Kult und Religion im Leben der Menschen von der Steinzeit bis heute spielten. Doch die Religionsgeschichte besteht nicht nur aus Leistung, Glanz und Pracht, und daher zeigen die Illustrationen des vorliegenden Buches vor allem die Menschen, die den Gang dieser Geschichte bestimmten. Auf vielen Abbildungen sind historische Persönlichkeiten zu sehen, von denen sich die Nachwelt allerdings oft ein ganz anderes Bild machte, als es der Religionshistoriker zeichnet. Gedacht sei hier aber auch der vielen Namenlosen, die nur im Hintergrund, am Rand oder gar nicht auf solchen Bildern erscheinen, «denn die Zunahme des Guten in der Welt beruht auch auf Handlungen, die nicht zur großen Geschichte gehören, und dass unsere Lage nicht so schlimm ist, wie sie hätte sein können, liegt zu einem guten Teil an denen, die treulich ein verborgenes Leben führten und nun in Gräbern ruhen, die keiner besucht».[1]

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem fachkundigen Lektor des Verlags C. H. Beck, Herrn Dr. Ulrich Nolte, der das Projekt einer Weltgeschichte der Religionen initiiert, über etliche Jahre hinweg geduldig begleitet und mit konstruktiver Kritik und vielfältigen Anregungen wesentlich gefördert hat.

Für die vorliegende Neuausgabe des erstmals 2018 unter dem Titel «Die Ordnung des Himmels» veröffentlichten Buchs wurde der gesamte Text überprüft, an einigen Stellen verbessert und vor allem im letzten Teil aktualisiert. Die Hinweise auf weiterführende Literatur in den Anmerkungen wurden um etliche neuere Arbeiten ergänzt und die entsprechenden Titel im Literaturverzeichnis nachgetragen.

Bernhard Maier

ERSTER  TEIL

Von den Anfängen bis zum Ende der altorientalischen Großreiche

Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand begann die Entwicklung der Gattung Mensch (Homo) in einem Zeitraum zwischen zwei und drei Millionen Jahren vor der Gegenwart. Über das Alter der frühesten Spuren menschlicher Religiosität (des Homo sapiens und des Homo neanderthalensis) gehen die Meinungen der Archäologen und Anthropologen zwar nach wie vor auseinander, doch dürften sie schwerlich weiter als 40.000–80.000 Jahre vor der Gegenwart zurückreichen. Lässt man nun die Stammesgeschichte des Menschen vor 2,5 Millionen Jahren anfangen und veranschaulicht sie in der Form eines Kalenders mit 365 Tagen, so beginnt die Weltgeschichte der Religionen (einschließlich der schriftlosen Frühzeit) erst in den letzten Wochen des Jahres. Beschränken wir uns auf die Religionsgeschichte im eigentlichen Sinn dieses Wortes, also auf den Zeitraum seit dem Einsetzen schriftlicher Quellen, dann setzt sie sogar erst am letzten Tag dieses Menschheitsjahres ein. Betrachtet man die Geschichte der Gattung Mensch gar als bislang letzten Abschnitt in einer sehr viel längeren Geschichte des Lebens auf unserem Planeten und vergegenwärtigt man sich diesen Zeitraum auch wieder im Bild eines einzigen Jahres, so entspricht die Dauer der Weltgeschichte der Religionen innerhalb dieses größeren Rahmens gerade einmal der eines mitternächtlichen Feuerwerks. Was jedoch vordergründig wie eine kurze Episode in der Geschichte des Lebens erscheinen könnte, erweist sich bei näherem Zusehen als äußerst komplex, in vielen Einzelheiten umstritten und keineswegs einfach zu überschauen.

Ur- und Vorgeschichte

In wie viele und welche Epochen kann oder sollte man die Weltgeschichte der Religionen einteilen? Vordergründig könnte es so erscheinen, als böte eine einheitliche Aufteilung des gesamten Zeitraums in gleich lange Abschnitte die beste Gewähr für eine angemessene Darstellung dieser Geschichte. Tatsächlich ist dies aber kaum praktikabel, da unsere Kenntnis der gesamten vorgeschichtlichen Epoche insgesamt so lückenhaft und in vielen Einzelheiten so umstritten ist, dass der Religionshistoriker gerade über diese erste und mit großem Abstand längste Epoche am wenigsten anschaulich erzählen kann. Auch bildet das Einsetzen der schriftlichen Überlieferung im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. für die weitere Geschichte der Religionen keineswegs eine so tiefgreifende Zäsur, dass man damit eine neue Epoche der Religionsgeschichte beginnen lassen müsste, denn obwohl die Erfindung der Schrift langfristig kaum zu überschätzende Auswirkungen auf den Gang der Religionsgeschichte haben sollte, wirkte sich dies doch erst mit einer gewissen Verzögerung aus, so dass man die ältesten erhaltenen Schriftquellen vielfach auch zur Deutung der vorausgehenden vorgeschichtlichen Epoche mit Gewinn heranziehen kann. Vieles spricht dafür, dass sich tiefgreifende strukturelle Veränderungen in der Religionsgeschichte erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung vollzogen, so dass es sich anbietet, den Zeitraum von den mutmaßlich ältesten Spuren menschlicher Religiosität bis zum Ende der altorientalischen Großreiche als eine Einheit zusammenzufassen.[1] Vor einer näheren Betrachtung der religiösen Erscheinungen und Entwicklungen in dieser ersten Epoche der Religionsgeschichte erscheint es jedoch sinnvoll, sich zunächst einige zeitliche und räumliche Differenzierungen zu vergegenwärtigen.[2]

Eine erste, gleichsam provisorische Gliederung der gesamten Frühzeit vor der Entstehung der ältesten Schriftkulturen ermöglicht das im neunzehnten Jahrhundert entwickelte Dreiperiodensystem. Es gliedert die Frühzeit ausgehend von dem jeweils vorherrschenden Werkstoff in die fließend ineinander übergehenden Perioden der Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Die mutmaßlich ältesten Spuren menschlicher Religiosität sind in der späten Altsteinzeit zu finden.[3] Vergleichsweise unspektakulär erscheint innerhalb der ersten Periode der Übergang von der Altsteinzeit (Paläolithikum) zur Mittelsteinzeit (Mesolithikum), den man üblicherweise an der erstmaligen Herstellung und Verwendung komplexer Werkzeuge aus Holz und Feuerstein, den Anfängen der Sesshaftwerdung und dem ersten Auftreten von Keramik festmacht. Viel einschneidender war dagegen die Einführung des Ackerbaus und der Viehzucht, die den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum) bezeichnet. Tatsächlich scheinen sich nicht nur die Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, sondern auch die religiösen Äußerungen der Jungsteinzeit (und späterer Epochen) von jenen der vorausgegangenen Alt- und Mittelsteinzeit so grundlegend unterschieden zu haben, dass man in der Sesshaftwerdung des Menschen den Beginn einer neuen Epoche der Religionsgeschichte sehen könnte – wären die vorausgehenden Jahrtausende nicht so unzureichend bekannt, dass man sie in einer zusammenfassenden Gesamtdarstellung wie der vorliegenden kaum als eigenständige Epoche würdigen kann.[4]

Im Hinblick auf die darauf folgenden Epochen der Bronze- und Eisenzeit empfiehlt es sich, neben der zeitlichen auch eine räumliche Differenzierung vorzunehmen, denn zum einen breiteten sich die technischen Neuerungen der Metallverarbeitung mitsamt den damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Alten Orient viel früher aus als in Europa, und zum anderen besitzen wir gerade für Ägypten, das Zweistromland, Syrien-Palästina und Altkleinasien schon für das dritte und zweite Jahrtausend v. Chr. umfangreiche religiöse Texte, während die schriftlichen Quellen der europäischen Religionsgeschichte mit ganz wenigen Ausnahmen erst in den beiden letzten Dritteln des ersten Jahrtausends v. Chr. (und in manchen Regionen Mittel- und Nordeuropas sogar erst sehr viel später) einsetzen.[5]

Im Vorderen Orient hat die Jungsteinzeit mit dem für sie charakteristischen Übergang von der Wirtschaftsweise der umherschweifenden Jäger und Sammler zur sesshaften Lebensweise der in dörflichen Gemeinschaften organisierten frühen Ackerbauer vielleicht schon im zehnten Jahrtausend v. Chr. begonnen. Eine unmittelbare Folge der neuen, auf Haustier- und Vorratshaltung gegründeten Wirtschaftsweise war eine größere Unabhängigkeit von der natürlichen Umgebung, die zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum und so zur allmählichen Ausbreitung neolithischer Lebens- und Wirtschaftsformen auch nach Europa führte. Hatten im Paläolithikum noch unterschiedliche Formen des Menschen gleichzeitig und teilweise nebeneinander existiert, so erfolgte die Neolithisierung der Alten Welt nach dem Aussterben des Neandertalers um 25.000 v. Chr. ausschließlich durch den Homo sapiens. Im vierten Jahrtausend v. Chr. begünstigten in Ägypten und Mesopotamien besondere geographische Gegebenheiten, nämlich ausgedehnte, landwirtschaftlich ertragreiche und daher dicht besiedelte Flusstäler, die Entstehung der altorientalischen Hochkulturen mit ihrer arbeitsteiligen Gesellschaft, ihrer monumentalen Architektur, ihrer zentralen Verwaltung und – damit verbunden – der Entwicklung eines Kalenders und der frühesten Schriftsysteme.

Ägypten und Mesopotamien

Schon um die Mitte des ersten Jahrtausends bezeichnete der griechische Historiker Herodot Ägypten als ein «Geschenk des Nils» (Historien 2,5), denn der 6700 Kilometer lange Strom war nicht nur die wichtigste Verkehrsader des Landes, sondern ermöglichte durch die Ablagerung großer Mengen des fruchtbaren Nilschlamms im Gefolge der alljährlichen Überschwemmungen überhaupt erst den ertragreichen Anbau von Gerste, Emmer und Weizen in dem schon damals regenarmen Klima. Aus der Vereinigung von regionalen Gruppen Vieh züchtender Nomaden und sesshafter Bauern entwickelte sich so um 3000 v. Chr. ein einheitliches Gemeinwesen mit einer hierarchisch gegliederten, arbeitsteiligen Gesellschaft, dem Schriftsystem der Hieroglyphen und einer für diese Kultur charakteristischen Religion.[6] Die rund zweieinhalbtausend Jahre altägyptischer Geschichte – von den ersten Pharaonen zu Beginn des dritten Jahrtausends bis zur Eroberung durch die Perser um die Mitte des ersten Jahrtausends – gliedert man üblicherweise in die vier großen Epochen des Alten, Mittleren und Neuen Reichs sowie der Spätzeit.

Das Alte Reich, das durch eine monumentale Steinarchitektur, lebensgroße Steinplastiken und die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen gekennzeichnet ist, umfasst fast das gesamte dritte Jahrtausend. An seiner Spitze stand ein gottgleicher König. In den idealisierenden Biographien der königlichen Beamten, die uns auf den Wänden ihrer Grabkammern bis heute erhalten geblieben sind, hören wir von Feldzügen gegen Nubier und Libyer, Steinbruch-Expeditionen in die gebirgige Wüste zwischen Nil und Rotem Meer und einem regen Schiffsverkehr zwischen Ägypten, Syrien und dem Libanon.[7] Als bis heute geläufiges Sinnbild königlicher Macht entstanden um die Mitte des dritten Jahrtausends unter den Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos die großen Pyramiden von Giseh, darunter als höchstes Bauwerk der Antike die aus 2,3 Millionen Kalksteinblöcken erbaute, 146 Meter hohe Cheops-Pyramide.

Auf das Alte Reich folgte eine Zeit des Rückgangs der königlichen Zentralgewalt und wachsenden Autonomie der einzelnen Landesteile, in denen örtliche Machthaber königliche Privilegien beanspruchten und in lokalen Machtzentren eigene Dynastien bildeten. Erst in den letzten Jahrzehnten des dritten Jahrtausends gelang die Wiederherstellung der Einheit des Landes, mit der als zweite große Blütezeit der altägyptischen Kultur die Epoche des Mittleren Reichs begann. In enger Zusammenarbeit mit den nach wie vor mächtigen Lokalherrschern betrieben die Pharaonen nun die Festigung der ägyptischen Grenzen im Nordwesten und Nordosten sowie die wirtschaftliche Ausbeutung Nubiens und des Sinaigebiets. Wesentlich verstärkt wurden die Beziehungen zwischen Ägypten und Vorderasien im siebzehnten Jahrhundert, als westsemitische Einwanderer aus Vorderasien ins Nildelta eindrangen, dort vorübergehend die Herrschaft an sich rissen und so erneut den Niedergang der Zentralgewalt einleiteten. Erst um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wurde Ägypten erneut unter einer einzigen Zentralgewalt vereint und so das Neue Reich begründet. In den rund siebenhundert Jahren seines Bestehens erreichte Ägypten den Höhepunkt seiner Machtentfaltung, indem Pharao Thutmosis III. in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts mit seinem Heer über den Euphrat bis zum Orontes vorstieß und erstmals Syrien unter ägyptische Oberhoheit brachte. In den folgenden Jahrhunderten setzte jedoch trotz einer ausgedehnten internationalen Diplomatie und Heiratspolitik der außenpolitische Niedergang des Neuen Reiches ein, das im zwölften Jahrhundert durch die Angriffe der von den Ägyptern so genannten «Seevölker» auf das Nildelta zusätzlich erschüttert wurde. Nachdem Ägypten schon im siebten Jahrhundert vorübergehend zu einer Provinz des Assyrischen Reiches geworden war, wurde es um 525 v. Chr. von den Persern erobert, deren Könige das Land bis zum Aufstieg Alexanders des Großen in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts beherrschten.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als in Ägypten das Alte Reich entstand, entwickelte sich auch im Zweistromland, in den Flussebenen des Euphrat und des Tigris, die zweite große Schriftkultur der Alten Welt.[8] Als Schöpfer der dort verwendeten Keilschrift gelten die nach einer babylonischen Landschaftsbezeichnung heute so genannten Sumerer, die als Erste in größerem Umfang reine Bildzeichen auch zur Schreibung einzelner Wörter und Silben verwendeten. Von den Sumerern übernahmen diese Erfindung zunächst die ebenfalls im Zweistromland ansässigen Akkader, später auch andere Völker Vorderasiens wie die Hethiter und Hurriter. Anders als in Ägypten gab es in der zweieinhalbtausendjährigen Geschichte Mesopotamiens von den Anfängen bis zur Eroberung des Landes durch Alexander den Großen immer wieder Konflikte zwischen rivalisierenden Gruppierungen. Menschen aus anderen Gegenden wanderten ein, so dass sich unterschiedliche kulturelle Traditionen herausbildeten und sich Machtschwerpunkte häufiger verlagerten.

In die beiden ersten Drittel des dritten Jahrtausends fällt die erste Blütezeit der frühen sumerischen Stadtstaaten, in denen der Tempel eine zentrale Rolle spielte und deren Fürsten politische und religiöse Funktionen in ihrer Person vereinigten. Als erstes Großreich entstand im letzten Drittel des dritten Jahrtausends das Reich von Akkad, das allerdings schon drei Generationen nach dem Tod des Reichsgründers Sargon wieder zerfiel, was zu einem neuerlichen Machtzuwachs einiger sumerisch geprägter Stadtstaaten wie Ur und Isin sowie zu einer Rückbesinnung auf sumerische Kulturtraditionen führte.

Mit dem Beginn des zweiten Jahrtausends gewannen semitischsprachige Bevölkerungsteile zunehmend an Macht und Einfluss, wodurch das Sumerische als gesprochene Sprache schließlich vollständig verdrängt und durch das heute so genannte Akkadische ersetzt wurde. Am oberen Tigris entwickelte sich nun das Reich der Assyrer mit seiner nach dem Reichsgott benannten Hauptstadt Assur, das als Alt-, Mittel- und Neuassyrisches Reich in wechselnder Ausdehnung und Machtfülle bis zum späten sechsten Jahrhundert Bestand haben sollte. Sein südlicher Rivale war das nach seiner Hauptstadt Babylon so genannte Babylonische Reich, das in wechselnden Bündniskonstellationen und mit schwankender territorialer Ausdehnung das Assyrische Reich sogar noch überdauerte und erst 539 v. Chr. mit der Eroberung durch die Perser sein Ende fand.

Zwischen dem oberen Euphrat und Tigris etablierte sich um die Mitte des zweiten Jahrtausends außerdem das Reich der Hurriter. Wie die keilschriftlich überlieferten Eigennamen aus jener Region vermuten lassen, bildeten darin die schon seit dem Ende des dritten Jahrtausends bezeugten Hurriter die Bevölkerungsmehrheit, doch bestand die Führungsschicht allem Anschein nach aus Angehörigen einer später zugewanderten Minderheit, die eine indoeuropäische Sprache verwendete.

Altiran und Altkleinasien

Die Hochebene östlich des Zweistromlands ist für die Religionsgeschichte des Altertums von weitreichender Bedeutung und spielte auch als Brücke zwischen den Hochkulturen Vorderasiens und dem Indischen Subkontinent eine herausragende Rolle.[9] Hier – wenn auch nicht notwendigerweise auf dem Gebiet des modernen Staates Iran – liegt die Heimat des nach Zarathustra (griechisch Zōroástrēs) benannten Zoroastrismus, dessen Anfänge wohl bis ins zweite Jahrtausend zurückreichen, der in vielen Zügen jedoch erst aus viel späterer Zeit bekannt ist. In der modernen Forschung hat man dem Zoroastrismus vor allem wegen seiner möglichen Bedeutung für die Entstehung des Monotheismus und wegen seiner Rolle bei der Entstehung des Judentums im Rahmen des Persischen Reichs viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Schon im frühen dritten Jahrtausend entstand im Südwesten Irans das von seinen akkadischen Nachbarn so genannte Reich Elam, das bis zu seiner Eroberung durch die Assyrer im siebten Jahrhundert Bestand hatte und dessen Landessprache, das mit keiner anderen Sprache erkennbar verwandte Elamische, noch im Perserreich der darauf folgenden Jahrhunderte eine wichtige Rolle spielte.[10] Dagegen erscheinen die Völker, die später von ihren griechischen Nachbarn Meder und Perser genannt wurden und ebenso wie Zarathustra eine altiranische Sprache verwendeten, erstmals in Quellen des frühen ersten Jahrtausends. Die Meder waren maßgeblich an der Vernichtung des Assyrischen Reiches im späten siebten Jahrhundert beteiligt, gingen aber schon bald nach der Mitte des sechsten Jahrhunderts im Perserreich auf, das in der Folge auch das Babylonische und das Ägyptische Reich unterwarf und als das letzte und flächenmäßig bedeutendste altorientalische Großreich erst um 330 v. Chr. mit der Eroberung durch Alexander den Großen sein Ende finden sollte.

Ähnlich wie Iran bildete auch Kleinasien im Nordwesten des Zweistromlands eine Brücke, in diesem Fall zwischen den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und dem Mittelmeerraum.[11] Vermutlich schon in der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. wanderten die ersten Gruppen von Sprechern einer indoeuropäischen Sprache wohl aus Regionen nördlich des Schwarzen Meeres nach Kleinasien ein. Dort verbanden sie sich mit den Hattiern, den Trägern einer bodenständigen bronzezeitlichen Kultur, die dem heute so genannten Reich der Hethiter ihren Namen gaben. Aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrtausends kennt man durch schriftliche Aufzeichnungen und archäologische Ausgrabungen eine Reihe konkurrierender Stadtstaaten, die von planmäßig angelegten ummauerten Zentren aus regiert wurden. Einer der größten und bedeutendsten dieser Staaten war Nesa, das heutige Kültepe, nach dem die Hethiter ihre Sprache, die nur von uns «Hethitisch» genannt wird, als «die von Nesa» bezeichneten. «Die von Hatti» nannten die Hethiter dagegen die nichtindoeuropäische Sprache der alteingesessenen Hattier, deren Eigenbezeichnung man auch in dem Namen des städtischen Zentrums Hattusa, des heutigen Bogazköy nordwestlich von Nesa, wiederfindet. Eine andere indoeuropäische Sprache Altkleinasiens war das mit dem Hethitischen eng verwandte Luwische.

Noch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends wurde das Reich der Hethiter zu einer international gefürchteten Großmacht, die ihren Herrschaftsanspruch zeitweise bis nach Syrien-Palästina und Mesopotamien ausweitete. Warum das Hethitische Großreich bald nach 1200 sein Ende fand, ist bis heute ungeklärt. Soziale Unruhen, Versorgungskrisen und eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Verbindung mit der Zuwanderung neuer Völker im Mittelmeerraum, wie man sie auch in Ägypten nachweisen kann, mögen wesentlich zu seinem politischen Zusammenbruch beigetragen haben. Wenn an einigen Stellen der Hebräischen Bibel vom Land des Volkes der Hittim und von dessen Stammvater Het als einem Sohn des Noah-Enkels Kanaan die Rede ist (vgl. etwa Genesis 10,15 und Josua 1,4), so beziehen sich diese Mitteilungen nicht mehr auf die vom anatolischen Hattusa aus regierte Großmacht des zweiten Jahrtausends v. Chr., sondern auf einige in Nordsyrien gelegene Nachfolgestaaten, die im Laufe des achten Jahrhunderts infolge der Ausdehnung des Neuassyrischen Reichs endgültig untergingen.[12]

Syrien, Palästina und der Mittelmeerraum

Eine religionshistorisch bedeutende Brücke zwischen Ägypten, Mesopotamien und Altkleinasien war auch die Region Syrien-Palästina, also das Kulturland am Ostufer des Mittelmeeres.[13] Hier reichen die ältesten Siedlungsspuren – etwa in Jericho – bis ins zehnte Jahrtausend zurück, doch datieren die ältesten schriftlichen Quellen der Religionsgeschichte erst aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends. Herausragende Bedeutung kommt dabei den Texten in einer westsemitischen Sprache zu, die 1928 in dem um 1200 zerstörten Ugarit, dem heutigen Ras Schamra in Syrien, gefunden wurden. Neben Wirtschaftstexten, Briefen und Verträgen fand man Götterlisten, Texte zur Vorzeichendeutung, Mythen um den Wettergott Baal sowie Epen um die Könige Keret und Aqhat, die wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Nähe zur frühen Religion Israels in der Forschung große Aufmerksamkeit erregt haben.[14] Aus dem ersten Jahrtausend kennt man – vor allem durch archäologische Funde und vergleichsweise wenige Inschriften – die Religionen der Phöniker und Aramäer, die ebenso wie die Bewohner Ugarits eine westsemitische Sprache verwendeten. Von überragender Bedeutung für die Religionsgeschichte Syrien-Palästinas im ersten Jahrtausend ist schließlich die Hebräische Bibel, deren vorliterarische Anfänge noch ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückreichen, deren Redaktion jedoch erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung ihren Abschluss fand.

Im Vergleich zum Alten Orient ist die Quellenlage für die frühe Religionsgeschichte Europas sehr uneinheitlich. Außerhalb des Mittelmeerraums sind wir bis zu den Anfängen der Romanisierung – und außerhalb der Grenzen des Römischen Reichs oftmals noch lange darüber hinaus – fast ausschließlich auf archäologische Funde angewiesen, während schriftliche religiöse Quellen fast vollständig fehlen.[15] Letztere stammen in der Frühzeit vor allem aus dem Kulturraum der frühen Griechen. Hier datieren die ältesten Schriftquellen bereits aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends, und aus den beiden letzten Dritteln des ersten Jahrtausends ist eine Fülle von Informationen über die Kulte, Riten und Mythen jener Zeit erhalten.[16] An erster Stelle stehen dabei die beiden Epen Ilias und Odyssee, die man im Altertum ebenso wie eine Reihe von Götterhymnen (und einige andere Werke) dem Dichter Homer zuschrieb, ferner die als Theogonie bekannte religiöse Dichtung des Epikers Hesiod, von denen schon der Historiker Herodot im fünften Jahrhundert v. Chr. annahm, dass sie auf die religiösen Vorstellungen der Griechen einen überragenden Einfluss ausübten (Historien 2,53).

1. Bestattungen: Älteste Zeugnisse von Religion?

Ein aus zahlreichen Abenteuergeschichten und -filmen bekanntes Motiv ist der «Elefantenfriedhof» – ein Ort, der sterbende Elefanten auf eine geheimnisvolle Weise anzieht und so dem, der ihn findet, durch die Ansammlung gewaltiger Mengen Elfenbein zu unerhörtem Reichtum verhilft. Wie man heute weiß, handelt es sich dabei um einen modernen Mythos, vielleicht verursacht von der Beobachtung, dass altersschwache Elefanten in der Tat bestimmte Orte mit einer für sie besonders geeigneten und leicht erreichbaren Vegetation bevorzugen und dann auch oft dort verenden. Ihren besonderen Reiz erhält die Geschichte dadurch, dass Friedhöfe dem modernen Menschen sonst als primär religiös motiviert und daher als zutiefst menschlich und der Tierwelt völlig fremd erscheinen. Doch sind Bestattungen in gleich welcher Form wirklich die frühesten Zeugnisse von Religion?[17]

Vorgeschichtliche Bestattungen und ihre Deutung

Die ältesten archäologischen Funde, die man mitunter als Überreste von Bestattungen interpretiert, stammen noch aus dem Paläolithikum, genauer gesagt aus dem Zeitraum zwischen 80.000 und 40.000 v. Chr., an dessen Ende der Übergang von den Kulturen des Mittelpaläolithikums zu denen des Jungpaläolithikums und die allmähliche Verdrängung des Neandertalers durch den modernen Menschen steht. Bereits 1886 entdeckten Vorgeschichtsforscher in einer Höhle bei Spy d’Omeau in Belgien die Skelette zweier Neandertaler, aus deren Fundlage man auf eine regelrechte Bestattung und damit auf eine religiöse Motivation der dabei durchgeführten Handlungen schloss. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stieß man auf weitere mutmaßliche Bestattungen von Neandertalern in Frankreich, so etwa unter den Felsschutzdächern von La Chapelle-aux-Saints im Département Corrèze, wo man das gut erhaltene Skelett eines erwachsenen Mannes fand, und von La Ferrassie in der Dordogne, wo die Skelette zweier Erwachsener und mehrerer Kinder zutage kamen. An der Ostgrenze des bis dahin bekannten Verbreitungsgebietes des Neandertalers fanden russische Archäologen 1938 in der usbekischen Teschik-Tasch-Höhle das Skelett eines acht- bis zehnjährigen Kindes im Fundzusammenhang mit sechs Hornpaaren sibirischer Steinböcke, was man ebenfalls als Überreste eines Bestattungsrituals deutete. Hinzu kamen weitere Funde aus jüngerer Zeit, darunter in den Jahren 1957–1961 die archäologische Ausgrabung von zehn Neandertaler-Skeletten in der Shanidar-Höhle im Norden des Irak sowie 1979 die Entdeckung einer Neandertaler-Bestattung mit einigen aus Muscheln gefertigten Perlen als mutmaßlicher Grabbeigabe in der sogenannten Roche à Pierrot bei Saint-Césaire in Südfrankreich.

Mit der allmählichen Verdrängung des Neandertalers durch den Homo sapiens mehren sich auch die Spuren mutmaßlich religiös motivierter Bestattungen. Zu den wohl bedeutendsten jungpaläolithischen Bestattungen in Deutschland zählt ein im Februar 1914 in Bonn-Oberkassel von Steinbrucharbeitern entdecktes Doppelgrab, in dem neben den Überresten eines Hundes und weiterer Tiere auch die Skelette eines vermutlich um 12.000 v. Chr. hier beigesetzten ungefähr fünfzigjährigen Mannes und einer zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alten Frau gefunden wurden. Beträchtliches Aufsehen erregte auch der Fund von 33 menschlichen Schädeln (von vier Männern, zehn Frauen und neunzehn Kindern), die man 1908 in zwei mit Rötel eingefärbten Mulden in der Großen Ofnethöhle bei Nördlingen entdeckte. Dort waren sie – nach Ausweis neuerer Radiokarbondatierungen – im achten Jahrtausend zusammen mit mutmaßlichen Schmuckstücken oder Amuletten wie etwa Schneckengehäusen und Hirschzähnen so in der Höhle deponiert worden, dass sie nach Westen in Richtung des Ausgangs und der untergehenden Sonne blickten. Zu den spektakulärsten Funden der neueren Zeit zählt die 2005 gemachte Entdeckung einer Doppelbestattung zweier Neugeborener auf dem Wachtberg in Krems an der Donau. Die beiden toten Säuglinge wurden um 27.000 v. Chr. mit Rötel bestreut und mit zwei Perlenketten als Grabbeigaben unter dem Schulterblatt eines Mammuts beigesetzt.

Für den Religionshistoriker besteht die erste Schwierigkeit bei der Deutung dieser Funde in der unsicheren Materialgrundlage, da viele vor der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gemachte Entdeckungen nach heutigen Maßstäben so unzureichend dokumentiert sind, dass nicht nur viele Fragen offenbleiben, sondern man auch die Zuverlässigkeit der vorhandenen Angaben in Frage stellen muss. Mitunter ist aber auch bei neueren, besser dokumentierten Grabungen die Deutung der Befunde unsicher oder umstritten, da neue Interpretationsansätze immer wieder zur Revision bestehender Überzeugungen führen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Interpretation des 1968 entdeckten Grabes Nr. 4 von Shanidar. Hier deutete man die erhöhte Konzentration von Blütenstaub im Erdreich zunächst als Hinweis auf Blumen oder Blüten als Grabbeigabe, zog später jedoch auch die Möglichkeit in Betracht, dass diese pflanzlichen Reste auf sehr viel spätere Aktivitäten von Wühlmäusen zurückgehen könnten. Ähnlich ist man sich bei dem oben erwähnten Skelett aus der Teschik-Tasch-Höhle keineswegs sicher, ob die Lage der – teilweise angenagten – Knochen tatsächlich den ursprünglichen Zustand und damit die Vorgänge bei der Bestattung widerspiegelt oder nicht vielmehr eine spätere Störung des Grabes durch Raubtiere. Gerade religiöse Deutungen eröffnen ein breites Spektrum von Interpretationen. Die Entscheidung für eine Deutung hängt in der Regel stark davon ab, wie man sich das Weltbild der Menschen jener Zeit vorstellt – und Vermutungen darüber sind wiederum nur auf der Grundlage sehr viel jüngerer Quellen mit Hilfe von Analogieschlüssen möglich. Mit welchen Unsicherheiten solche Rückschlüsse behaftet sind, wird jeder unschwer feststellen, der einmal in älteren populärwissenschaftlichen Werken nachforscht, wie drastisch sich in den vergangenen hundert Jahren nicht nur Rekonstruktionszeichnungen, sondern auch deren Erläuterungen verändert haben. Im Rückblick – aber eben leider auch erst dann – lassen sie nämlich oft nur allzu deutlich die Handschrift ihrer jeweiligen Entstehungszeit und deren spezifische Sicht auf die Vergangenheit erkennen. Will man nicht selbst in diese Falle tappen, beschränkt man die Deutung vorgeschichtlicher Bestattungsrituale also besser auf einige allgemeine Überlegungen, die durch eine größere Anzahl von Einzelbeispielen gestützt werden.

Abb. 1  Jungsteinzeitliches Hockergrab aus Rössen in Sachsen-Anhalt, fünftes Jahrtausend v. Chr.

Bestattungen als gemeinschaftliches Ritual

Ein geeigneter Ausgangspunkt für die Interpretation vorgeschichtlicher Bestattungen ist die Regelhaftigkeit vieler damit verbundener Handlungen und deren ausgeprägt kollektiver Charakter. In vielen Fällen folgen Bestattungen nämlich einem vorgegebenen Muster, das von der Gemeinschaft über einen längeren Zeitraum hinweg als verbindlich anerkannt und darum mit nur wenigen Ausnahmen befolgt wurde. Besonders augenfällig ist dies bei Gräberfeldern oder Grabanlagen, die von einer größeren Anzahl von Personen über einen längeren Zeitraum genutzt wurden. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die bekannte prähistorische Anlage von Stonehenge in Südwestengland.[18] Schon 1966 hat man dort bei der Anlage eines Besucherparkplatzes drei nur wenige Meter voneinander entfernte Pfostenlöcher entdeckt, die mit Hilfe der Radiokarbon-Methode in das achte Jahrtausend v. Chr. und damit in eine Zeit lange vor der Sesshaftwerdung des Menschen in dieser Region datiert werden konnten. Wie neuere Ausgrabungen im Umfeld der nahegelegenen Quelle von Blick Mead seit 2005 gezeigt haben, könnte diese Region tatsächlich bereits lange vor der Einführung von Ackerbau und Viehzucht für Jäger und Sammler auch aus weit entfernten Regionen eine wichtige Rolle gespielt haben.

Die früheste Phase der heute als Stonehenge bekannten Anlage bezeichnet ein um 3000 v. Chr. angelegter kreisrunder Graben mit einem Wall auf der Innenseite und einer viel niedrigeren Gegenböschung auf der Außenseite. Der Umstand, dass einige der dafür verwendeten Spitzhacken aus Hirschgeweih nach der Aushebung des Grabens nicht einfach weiterverwendet, sondern auf der Sohle des Grabens niedergelegt wurden, lässt ebenso wie Tierknochenfunde unweit des Eingangsbereichs darauf schließen, dass schon diese ersten Arbeiten eine religiöse Bedeutung hatten und von Riten begleitet waren. In einer zweiten Phase der Anlage legte man einen Zugangsweg im Nordosten an und stellte im Inneren der Einfriedung hölzerne Einbauten und Steine auf, die jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben sind. In einer dritten Phase wurden schließlich die teilweise noch heute vorhandenen Steine errichtet. Die Aufstellung der großen Steine des weithin sichtbaren äußeren Kreises wird in die Zeit zwischen 2440 und 2100 v. Chr. datiert, die der im Kreisinneren wie ein Hufeisen angeordneten Steine in die Zeit zwischen 2300 und 1900 v. Chr.

Bemerkenswert ist, dass der Standort für diese Anlage nicht zuletzt deswegen ausgesucht wurde, weil in seiner unmittelbaren Umgebung von der frühen Jungsteinzeit bis in die Bronzezeit auf relativ engem Raum eine Vielzahl von Gräbern und weiteren damit im Zusammenhang stehenden Denkmälern angelegt wurden. So entstand bereits in der ersten Hälfte des vierten Jahrtausends v. Chr. auf einer Anhöhe nur wenige Kilometer nordwestlich von Stonehenge die heute als Robin Hood’s Ball bekannte Wall- und Grabenanlage, die ein Gelände von etwa drei Hektar umschloss. Ähnlich gestaltete Einfriedungen sind Windmill Hill im Norden sowie Whitesheet Hill, Hambledon Hill und Maiden Castle im Südwesten von Stonehenge. In der unmittelbaren Umgebung dieser Einfriedungen fand man zahlreiche 20–80 Meter lange und oftmals von Gräben flankierte längliche Hügelgräber, bevor dann in der späten Jungsteinzeit mehrere runde oder ovale Einfriedungen mit Wall und Graben entstanden. Vom Anfang des zweiten Jahrtausends, also aus der Frühen Bronzezeit, stammen schließlich zahlreiche kreisrunde Hügelgräber, die oft weithin sichtbar auf Höhenzügen und in Gruppen angelegt wurden. Sie fehlen zwar in unmittelbarer Nähe von Stonehenge, sind aber in einem Abstand von 1,5 bis 2,5 Kilometern besonders häufig, um dann mit zunehmendem Abstand zu Stonehenge wieder seltener zu werden. So liegt Stonehenge inmitten einer Landschaft, in der von der Frühen Jungsteinzeit bis zur Bronzezeit eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Grab- und Totenbrauchtum stattfand.

Wie schon ein oberflächlicher Blick in die archäologische Hinterlassenschaft bzw. deren wissenschaftliche Aufbereitung zeigt, findet diese Art von zeitlicher und räumlicher Kontinuität im Bestattungsbrauch zahlreiche Parallelen in vielen vor- und frühgeschichtlichen Kulturen der Alten Welt. So kennt man aus dem ägyptischen Qubbet el-Hawa am Westufer des Nils unweit Assuan, wo im Altertum die Grenze zwischen Oberägypten und Nubien verlief, eine bedeutende, heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählte Nekropole. Dort wurden vom Alten Reich bis zur griechisch-römischen Epoche immer wieder Leichen bestattet. Dabei bildeten die Felsengräber der lokalen Eliten des Alten und Mittleren Reiches, die in den Jahrhunderten um 2000 v. Chr. angelegt wurden, einen glanzvollen Höhepunkt.[19]

Gräber als Ausdruck kollektiver Identität

Das Bemühen, den kollektiv und oft mit großem Aufwand vollzogenen Bestattungen auch sichtbaren Ausdruck zu verleihen, ging oft Hand in Hand mit der Befolgung allgemein verbindlicher Normen und der Beachtung einer die Generationen übergreifenden Kontinuität. Besonders augenfällig ist dies bei den seit dem neunzehnten Jahrhundert so genannten Megalithgräbern der Jungsteinzeit, die aus gewaltigen Steinblöcken gefügt wurden. Sie begegnen vor allem im Mittelmeerraum, an der Süd-, West- und Nordküste der Iberischen Halbinsel, in Westfrankreich sowie in Großbritannien und Irland. Viele von ihnen wurden zwischen 5000 und 2000 v. Chr. errichtet. In das fünfte Jahrtausend v. Chr. datiert man den so genannten Cairn von Barnenez an der Bucht von Morlaix, der vom Neolithikum bis in die frühe Bronzezeit genutzt wurde. Dabei handelt es sich um eine über 70 Meter lange, 25 Meter breite und 6–7 Meter hohe Steinanhäufung, die insgesamt elf Kammergräber aus Schiefer- und Granitplatten überdeckt. Ein weiteres monumentales Kammergrab befindet sich auf der kleinen Insel Gavrinis im Golf von Morbihan unweit Carnac, wo man noch heute über dreitausend aufrecht stehende Steine sehen kann, die in bis zu 15 Kilometer langen Reihen angeordnet sind. Auch in Irland konnten noch in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts über 12.000 Megalithgräber aus dem vierten und dritten Jahrtausend nachgewiesen werden. Zu den bekanntesten Beipielen zählt das vor einigen Jahrzehnten rekonstruierte und seitdem öffentlich zugängliche Hügelgrab von Newgrange im Tal der Boyne, wo alljährlich zur Wintersonnenwende die Strahlen der aufgehenden Sonne durch eine kleine Öffnung über der Eingangstür in den Gang dringen und von dort bis in den Innenraum wandern.[20] Die gleiche Orientierung zeigt auch der Gang des um 2800 v. Chr. erbauten Grabs von Maeshowe auf Orkney. Mit seiner annähernd quadratischen, von einem Kragsteingewölbe überdeckten zentralen Grabkammer und seinem über 7 Meter hohen Grabhügel von 35 Metern Durchmesser gehört es zu den bedeutendsten Anlagen dieser Art.

Verknüpft man den Aspekt der räumlich-zeitlichen Kontinuität der Bestattungssitten mit ihrem ausgeprägt gemeinschaftlichen Charakter und dem Streben nach äußerer und dauerhafter Monumentalität, so liegt die Vermutung nahe, dass sie in vielen Fällen die Solidarität und kollektive Identität innerhalb einer Gesellschaft stärken sollten. Wahrscheinlich sollten weithin sichtbare Grabmonumente einerseits dem Selbstverständnis der Gesellschaft einen für jedes einzelne Mitglied sicht- und nachvollziehbaren Ausdruck verleihen, andererseits aber auch eine Gruppe insgesamt gegenüber ihren Nachbarn abgrenzen. Seit dem Beginn der Jungsteinzeit dürfte dabei der Anspruch auf den Besitz von Land eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Pflege von Gräbern der Vorfahren wäre dann sinnfälliger Ausdruck der Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs. In unterschiedlichen Bestattungssitten konnte aber auch die Arbeitsteiligkeit und hierarchische Gliederung einer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden, was besonders in den Gräbern der Bronze- und Eisenzeit vielfach bezeugt ist. Naheliegende Ausdrucksmittel waren dabei zum einen Unterschiede in der Größe eines Grabmonuments, zum anderen Abstufungen in der Ausstattung der Verstorbenen mit Grabbeigaben. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Bestattung eines fünfunddreißig bis fünfundvierzig Jahre alten Toten, dessen Skelett 2002 bei Amesbury ungefähr 5 Kilometer südöstlich von Stonehenge entdeckt wurde.[21] Hier ergab die Analyse des Zahnschmelzes, dass der Tote nicht in der Region aufgewachsen, sondern vermutlich aus dem Gebiet der Schweiz, aus Österreich oder dem bayerischen Alpenvorland nach Stonehenge gekommen war. Mit rund hundert Objekten enthielt sein Grab fast zehnmal so viele Beigaben wie vergleichbare Bestattungen jener Epoche und ist damit bis heute das am reichsten ausgestattete Grab der Frühen Bronzezeit Englands. Die Vermutung liegt nahe, dass die hier beigesetzte Person zur gesellschaftlichen Oberschicht gehörte, die sich durch die Beherrschung besonderen Wissens im Zusammenhang mit der Metallverarbeitung, vielleicht aber auch durch politische oder religiöse Funktionen auszeichnete.

Wie genau man sich solche Funktionen und die zugrunde liegende Gesellschaftsordnung vorzustellen hat, ist jedoch mangels schriftlicher Quellen kaum auszumachen Dies zeigt etwa das 1968 entdeckte und 1978/79 untersuchte späthallstattzeitliche Grab von Hochdorf bei Ludwigsburg, dessen Ausstattung im Unterschied zu vergleichbaren älteren Funden nicht nur unversehrt, sondern auch ungewöhnlich gut erhalten war. Die durch eine aufwendige Konstruktion gegen Grabräuber geschützte zentrale Holzkammer enthielt das gut erhaltene Skelett eines ungefähr vierzig  Jahre alten Mannes, den man auf einer Liege aus Bronzeblech aufgebahrt hatte. Zahlreiche persönliche Gegenstände, darunter einen Hut aus Birkenrinde, drei Angelhaken und einen Köcher mit Pfeilen, hatte man dem Toten mitgegeben. Darüber hinaus war seine Kleidung für die Bestattung mit eigens dafür angefertigtem Goldschmuck verziert worden. An Grabbeigaben fand man ferner einen vierrädrigen Wagen mit Zaumzeug, ein umfangreiches Speise- und Trinkgeschirr sowie einen aus dem Mittelmeerraum importierten, 500 Liter fassenden Bronzekessel. Über die Rolle, die der Tote zu Lebzeiten in seinem Gemeinwesen spielte, gehen die Meinungen der Prähistoriker jedoch bis heute weit auseinander, da man sie letztlich nur über die Auswahl der Grabbeigaben, den Vergleich mit ähnlichen Gräbern und Analogieschlüsse annäherungsweise ermitteln kann.

Deutlicher sind uns die gesellschaftlichen Verhältnisse und die damit verbundenen religiösen Vorstellungen im frühen Griechenland, wo der Kult halbgöttlicher Heroen eine wichtige Rolle spielte.[22] Er stand in engem Zusammenhang mit den Gräbern, von denen man annahm, dass sie die Gebeine der als Ahnherren der jeweiligen Gemeinschaft verehrten Heroen enthielten. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang heroisierte Städtegründer, deren Gebeine mitunter wie Reliquien verehrt und feierlich von einem Ort an einen anderen verbracht werden konnten. Vordergründig dem Götterkult ähnlich, unterschieden sich die den Heroen dargebrachten Opfer doch in charakteristischer Weise von jenen, die man zu Ehren der großen Götter und Göttinnen vollzog. Das kam nicht zuletzt in unterschiedlichen Bezeichnungen zum Ausdruck. So nannte man den Kultbezirk einer Gottheit témenos, das eingefriedete Heroengrab jedoch sēkós, und während das Götteropfer thysía hieß, wurde das für die Heroen als enágisma bezeichnet.

Abb. 2  Frau mit Schale als Gabe an einen Toten. Attische Vasenmalerei, fünftes Jahrhundert v. Chr.

Die zentrale Rolle der Bestattungsriten, des Opferkults für die Toten und der Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und herausragenden Verstorbenen bei den Griechen brachte es mit sich, dass sie diesen Aspekten auch bei ihren schriftlosen Nachbarvölkern besondere Beachtung schenkten. Angaben dazu bilden seit dem fünften Jahrhundert v. Chr. einen festen Bestandteil der ethnographischen Schilderungen, die Historiker gemäß einer literarischen Konvention ihren Darstellungen der geschichtlichen Abläufe beigaben. Am Anfang steht dabei Herodot mit seiner ausführlichen Beschreibung der Bestattungssitten bei den Skythen (Historien 4,71–72): Ihm zufolge wurden die Leichen der skythischen Könige einbalsamiert, mit Wachs überzogen und auf einem Wagen von einem Stamm zum anderen geführt, um die dem Toten gebührenden Trauerriten zu vollziehen. Anschließend wurde der tote König an einem dafür traditionell genutzten Ort unter einem gewaltigen Grabhügel beigesetzt. Nicht nur eine seiner Frauen, sondern auch verschiedene Bedienstete sowie seine Pferde mussten ihm in den Tod nachfolgen. Menschen- und Tieropfer, so Herodot weiter, kennzeichneten auch die aufwendigen Trauerfeiern, die die Skythen ein Jahr später am Grab des Verstorbenen vollzogen. Es ist charakteristisch für die antike Ethnographie insgesamt, dass Herodot in seiner Schilderung zwar zahlreiche farbige Einzelheiten nennt, sich über den Sinn der Riten jedoch ausschweigt.

Ganz ähnlich hält es Caesar, der im ethnographischen Exkurs seiner Feldzugsberichte zwar von Tier- und Menschenopfern bei den aufwendigen Leichenbegängnissen der Kelten berichtet (Der Gallische Krieg 6,19,4), jedoch keinerlei Zusammenhang mit dem von ihm an anderer Stelle postulierten keltischen Glauben an die Wiedergeburt herstellt. Mitunter geben antike Autoren zwar vor, die genaue Bedeutung eines Rituals zu kennen, doch sind entsprechende Bemerkungen keineswegs immer schlüssig. So etwa berichtet Tacitus von den Germanen, dass sie bei den Bestattungen keinerlei Aufwand treiben, doch jedem seine Waffen und manchen auch das Pferd ins Feuer mitgeben. Hoch aufragende, kunstvolle Denkmäler verschmähten sie, weil das für die Verstorbenen eine Last sei (Germania 27,1). Tatsächlich ist die Darstellung des römischen Historikers jedoch hier – wie auch überall sonst in der Germania – in erster Linie darauf berechnet, die Sitten der vermeintlich urtümlichen Germanen denen der kaiserzeitlichen Römer möglichst effektvoll gegenüberzustellen. Wie die in römischen Grabinschriften gängige Formel Sit tibi terra levis («Möge dir die Erde leicht sein») zeigt, ist denn auch die Vorstellung vom Grab als einer auf den Toten drückenden Last eher römisch als germanisch. Wie schwierig es sein kann, die komplexe Symbolik einer realen germanischen Bestattung zu interpretieren, wenn schriftliche Selbstzeugnisse fehlen, zeigt das Grab des letzten heidnischen Frankenkönigs Childerich, das 1653 am rechten Scheldeufer bei Tournai entdeckte wurde. Die reichhaltige Ausstattung kann zwar bis heute nicht in allen Einzelheiten sicher gedeutet werden, lässt jedoch ebenso weitreichende wie vielschichtige Kulturbeziehungen – unter anderem zur Symbolsprache der römischen Spätantike, aber auch zum Grabbrauchtum osteuropäischer Reitervölker – erkennen.[23]

Totenfürsorge und -abwehr

Im Hinblick auf den Verstorbenen überwog bei vor- und frühgeschichtlichen Bestattungssitten teils der Aspekt der Pflege und Versorgung, teils jener der Abwehr, je nachdem, ob der oder die Tote eher als schutzbedürftig und bedroht oder als eine Bedrohung für die Lebenden angesehen wurde. Vorstellungen von einer potentiellen Gefährlichkeit einzelner Toter lassen sich vor allem in irregulären, das heißt von der üblichen Norm deutlich abweichenden Bestattungen mit ungewöhnlichen Manipulationen des Leichnams erkennen.[24] Mitunter geben dabei besondere Grabbeigaben einen Hinweis darauf, dass die Verstorbenen innerhalb ihrer Gemeinschaft besondere Funktionen ausübten. Krankhafte Veränderungen am Skelett lassen dagegen vermuten, dass auch Menschen mit bestimmten Krankheiten oder Behinderungen nach ihrem Tod als gefährlich gelten konnten. Präzise Aussagen darüber sind jedoch erst für jene Kulturen möglich, in denen schriftliche Selbstzeugnisse vorliegen. So zeigt sich im frühen Mesopotamien die Ambivalenz der Einstellung gegenüber den Toten darin, dass unbestattete Verstorbene als krank machende Totengeister den Lebenden gefährlich werden konnten, die ordentlich Bestatteten dagegen regelmäßig Opfer empfangen mussten. Dafür waren in der Regel die Nachkommen, mitunter aber auch vertraglich dazu verpflichtete Außenstehende zuständig.[25]

Viele Belege für die Vorstellung von einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Toten bietet die altägyptische Kultur, wo man ebenfalls Totenopfer darbrachte. Der Glaube an ein dem Diesseits ähnliches Jenseits brachte schon in der Frühzeit die bekannte Sitte der Mumifizierung des Leichnams mit Hilfe von Natron hervor.[26] Die Vorstellung, Verstorbene könnten im Jenseits zu unwillkommenen Arbeiten aufgerufen werden, führte zu der Sitte, dem Toten besondere Tonfigürchen, Uschebti («Antwortende») genannt, mitzugeben, die an seiner Stelle antworten und diese Arbeiten verrichten sollten.[27] Aus dem gesamten Zeitraum vom Alten Reich bis zur Spätzeit kennt man außerdem sogenannte Totenbriefe. Dabei handelt es sich um Mitteilungen an Verstorbene, die auf Tongefäße oder seltener Papyrus geschrieben wurden, wenn sich der Absender vom Verstorbenen bedroht fühlte oder umgekehrt Hilfe von ihm erhoffte. Dabei handelt es sich um eine besondere Ausprägung der im gesamten Alten Orient bis hin zu den antiken Kulturen des Mittelmeerraums verbreiteten Vorstellung, dass eine Kommunikation mit den Verstorbenen mit Hilfe besonderer Techniken der Totenbeschwörung grundsätzlich möglich ist. In der Hebräischen Bibel findet sie sich in der Erzählung von Sauls Konsultation der Totenbeschwörerin von Endor (1 Samuel 28).[28] Literarisch gestaltet findet man dieses Motiv auch in der Odyssee (10,517–537 und 11,23–50) sowie an zentraler Stelle im sechsten Buch von Vergils Aeneis, wo Aeneas in der Unterwelt einen Blick auf die künftige Größe Roms werfen darf. Dass griechisch-römische Vorstellungen vom Verhältnis der Lebenden zu den Toten auch sonst an altorientalische Vorläufer anknüpfen, zeigt der in griechischen Zaubersprüchen geläufige Begriff des Totendämons (nekydaímōn), der nach einem gewaltsamen vorzeitigen Tod noch eine Zeitlang ruhelos umherirren muss und mitunter versucht, an den Lebenden Rache zu nehmen. Spezifisch neuzeitlich ist demgegenüber das bekannte Motiv vom «Fluch der Mumie», das letztlich auf einer Kombination von Elementen des viktorianischen Schauerromans mit der Ägyptenfaszination des neunzehnten Jahrhunderts beruht.[29]

Lässt man das bisher Gesagte noch einmal Revue passieren, so ist klar, dass man bei der Deutung vorgeschichtlicher Bestattungsriten zwar oft plausible Vermutungen über mögliche religiöse Bezüge anstellen, ohne schriftliche Selbstzeugnisse jedoch nur wenig Konkretes aussagen kann. So legt die Sitte der Brandbestattung die Vermutung nahe, dass die Transformation des Leichnams einen integralen Bestandteil der Bestattung bildete, doch sind natürlich ganz verschiedene Begründungen dafür denkbar.[30] In ähnlicher Weise legt die im Altertum weit verbreitete Sitte eines Banketts im Rahmen der Trauerfeierlichkeiten die Vermutung nahe, dass man damit die Solidarität und das Gemeinschaftsgefühl stärken wollte, doch bleiben weitergehende religiöse Assoziationen dieses Brauchs letztlich im Dunkeln.[31] Im Allgemeinen lassen sich für die vorgeschichtliche Epoche also weder die konkrete Motivation für bestimmte Riten noch die Ursachen für deren Wandel näher bestimmen. So kann man die damaligen Vorstellungen über den Tod, seine Herkunft, seinen Sinn, das Jenseits oder die Möglichkeiten und Bedingungen eines individuellen Weiterlebens nach dem Tod kaum ermitteln. All dies wird für uns erst ab dem dritten Jahrtausend v. Chr. und in vielen Regionen sogar erst viel später mit dem Einsetzen der ältesten Schriftquellen greifbar. Selbst dann stehen wir jedoch vor der Schwierigkeit, dass uns die Begrifflichkeit der Kulturen des Altertums oft fremd ist und die dahinterstehenden Vorstellungen erst mühsam aus den Texten selbst rekonstruiert werden müssen.

Frühe Seelenvorstellungen

Aus der abendländischen Tradition kennt man die Unterscheidung, mitunter auch Gegenüberstellung, von «Leib» (lateinisch corpus, griechisch sōma) und «Seele» (lateinisch anima, griechisch psychē). Der damit verbundene Gegensatz ist für die frühe griechische Kultur relativ leicht nachzuvollziehen, denn die Unterscheidung zwischen dem greifbaren Leib und einer ungreifbaren, schattenhaften Seele, die im Augenblick des Todes den Körper verlässt, ähnelt grundsätzlich der in unserer eigenen Kultur verbreiteten.[32] Gleichwohl finden wir auch in Griechenland eine Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil widersprüchlicher Anschauungen, denn neben der gängigen Vorstellung von einem Abstieg der Seele in eine freudlose und düstere Unterwelt gibt es auch die Vorstellung von einem Aufstieg in himmlische Sphären (parodistisch zitiert bei Aristophanes, Der Friede, 827 ff.), von einem angenehmen Aufenthalt in den Elysischen Gefilden an den Grenzen der Erde (Odyssee 4,563–569) oder von einer Vernichtung der Seele beim Tod des Menschen (mit Nachdruck bestritten von Plato, Phaidros, 245b–c).

Das Menschenbild der alten Ägypter ist dagegen für uns viel schwerer nachzuvollziehen, denn sie verwendeten anstelle eines einzigen Wortes für «Seele» drei verschiedene Begriffe: Ka, Ba und Ach. Ka bezeichnete vielleicht ursprünglich so etwas wie die Lebenskraft, während der auch als Vogel oder Vogel mit menschlichem Kopf dargestellte Ba einerseits die Seele des Verstorbenen, andererseits aber auch die Erscheinungsform eines Gottes bezeichnen kann. Der ebenfalls als Vogel dargestellte Ach nahm in späterer Zeit die Bedeutung «Dämon, Gespenst» an.

Schwer zu fassen und für uns erläuterungsbedürftig ist aber auch das Menschenbild des alten Mesopotamien. Dort gab es mit pagru und zumru zwei verschiedene Wörter für «Leib» – auch wir verwenden ja für den Menschen sowohl «Leib» als auch «Körper», für Tiere aber nur letzteren Begriff. Der Mensch bestand außerdem aus dem «Fleisch» (šīru), dem «Selbst» (ramanu), der auch als Atem im Sinne von Lebenskraft verstandenen «Kehle» (napištu), einem «(Toten)Geist» (eṭemmu), einer «Traumseele» (zaqīqu) und einem «Verstand» oder «Intellekt» (ṭēmu).[33] Dass man die damit verbundenen Vorstellungen nur aus den Verwendungsweisen der betreffenden Begriffe in den uns erhaltenen Texten erheben kann, liegt auf der Hand. Gleichwohl stellt man bei einem Blick in die Forschungsgeschichte ernüchtert fest, dass dies in vielen Fällen leichter gesagt als getan ist. Im Allgemeinen gelingt das Verständnis solcher Texte nämlich nur mit Hilfe einer ganzen Reihe von Vorannahmen, und daher hat jede Zeit auch stets ihren eigenen kulturellen Horizont in die jeweilige Deutung der Texte miteingebracht.[34]

Auch wenn die Anfänge der Totenbestattung und ihr ursprünglicher Zusammenhang mit den ältesten Religionen im Dunkeln liegen, hat sie viele frühe Religionen überdauert und stellt nach wie vor einen integralen Bestandteil wohl aller großen Religionen dar.[35] Selbst der nicht-religiöse Umgang mit den Toten im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert ist maßgeblich von religiösen Vorstellungen der Vergangenheit geprägt und beeinflusst damit auch die kulturellen Normen und Rechtsbestimmungen der Gegenwart.

2. Unfassbar nah und unerreichbar fern: Götter und Göttinnen

Ähnlich wie die religiöse Sinngebung der ältesten Bestattungsriten verlieren sich auch die frühesten Spuren der Gottesvorstellung im Dunkel der Vorgeschichte. Gleichwohl lohnt sich auch hier ein Blick auf die archäologische Hinterlassenschaft der schriftlosen Frühzeit – nicht zuletzt deswegen, weil man in der Vergangenheit aus ihr mitunter allzu leichtfertig Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Gottesvorstellungen gezogen hat.[36]

Altsteinzeitliche Götterbilder?

Zu den bekanntesten vorgeschichtlichen Kunstschöpfungen, die man mit der Verehrung von Göttern und Göttinnen in Verbindung gebracht hat, zählen einige steinerne Frauenstatuetten, die in missverständlicher Weise gelegentlich als Venusfigurinen bezeichnet werden. Die mit großem Abstand ältesten Beispiele sehen einige Forscher in der 250.000–280.000 Jahre alten sogenannten Venus von Berekhat Ram, die 1981 auf den Golanhöhen gefunden wurde, sowie in der 300.000–500.000 Jahre alten Venus von Tan-Tan, die man 1999 in Südmarokko entdeckte. Tatsächlich könnte es sich jedoch in beiden Fällen um Steine handeln, die zufällig so ähnlich geformt sind wie die erst aus viel späterer Zeit bekannten Frauenstatuetten. An den Anfang der Tradition unbekleideter weiblicher Figuren mit möglicherweise religiöser Bedeutung stellen die meisten Prähistoriker daher die erst 2008 entdeckte Venus vom Hohlen Fels auf der Schwäbischen Alb, die vermutlich zwischen 38.000 und 33.000 v. Chr. aus Mammut-Elfenbein geschnitzt wurde, sowie die 1988 gefundene Venus vom Galgenberg bei Stratzing in Niederösterreich, die um 30.000 v. Chr. aus grünem Serpentin gefertigt wurde. Die bekannteste der mittlerweile über zweihundert prähistorischen Figurinen ist die 11 Zentimeter hohe Venus von Willendorf. Sie ist aus Kalkstein gefertigt und wurde schon 1908 bei dem Ort Willendorf in der Wachau gefunden.

Charakteristisch für die meisten dieser jungpaläolithischen Frauenstatuetten sind stark ausgeprägte weibliche Merkmale, eine weitgehende Vernachlässigung des Gesichts sowie die Hervorhebung des Bauches und der Schenkel, wodurch viele von ihnen hochschwanger oder stark übergewichtig wirken. Die Annahme eines Bezugs zur Fruchtbarkeit, vielleicht auch zu Schwangerschaft und Geburt, ist naheliegend, doch fehlen bislang klare Hinweise auf die Funktion dieser Figurinen, deren künstlerische Tradition um 20.000 v. Chr. ihr Ende fand. Die Vermutung, es habe sich dabei um Darstellungen einer Göttin gehandelt, bleibt daher reine Spekulation.

Götter und Göttinnen der Jungsteinzeit