Die Bergklinik 10 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert - E-Book

Die Bergklinik 10 – Arztroman E-Book

Hans-Peter Lehnert

4,2

Beschreibung

Die Arztromane der Reihe Die Bergklinik schlagen eine Brücke vom gängigen Arzt- zum Heimatroman und bescheren dem Leser spannende, romantische, oft anrührende Lese-Erlebnisse. Die bestens ausgestattete Bergklinik im Werdenfelser Land ist so etwas wie ein Geheimtipp: sogar aus Garmisch und den Kliniken anderer großer Städte kommen Anfragen, ob dieser oder jener Patient überstellt werden dürfe. Patricia Badner stieg aus ihrem kleinen knallroten Sportwagen, schloß für einen Augenblick die Augen, als sei ihr der Besuch bei Werner Schaussner lästig und sah dann eher gelangweilt auf das wunderschön gelegene Haus, das sie gleich darauf betrat. Werner war der Sohn von Benedikt und Maria Schaussner, und er bewohnte im Haus seiner Eltern die Souterrainwohnung. Sein Vater war Bürgermeister von Pfaffenstein, einem Marktflecken im Werdenfelser Land, und er betrieb außerdem noch ein Wasserwerk, mit dem er gleichzeitig Strom erzeugte, den er ins Netz einspeiste. Werner war vor drei Wochen dreißig Jahre alt geworden, und seit ein paar Wochen hatte er ständig Rückenschmerzen, die auch früher schon mal aufgetreten waren, aber da nur sporadisch. Patricia Badner war Werners Freundin, ebenfalls dreißig Jahre alt, sehr hübsch, aber sie wirkte immer ein wenig reserviert, manche nannten es arrogant. Als sie das Haus betrat, kam ihr Werners Vater entgegen, den sie umarmte und sehr freundlich mit einem Kuß auf beide Wangen begrüßte.

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Inhalt

Ich will, dass Du gesund wirst

Wo ärztliche Kunst nicht helfen kann

Die Bergklinik – 10–

Die Bergklinik

Hans-Peter Lehnert

Ich will, dass Du gesund wirst

Roman von Hans-Peter Lehnert

Patricia Badner stieg aus ihrem kleinen knallroten Sportwagen, schloß für einen Augenblick die Augen, als sei ihr der Besuch bei Werner Schaussner lästig und sah dann eher gelangweilt auf das wunderschön gelegene Haus, das sie gleich darauf betrat.

Werner war der Sohn von Benedikt und Maria Schaussner, und er bewohnte im Haus seiner Eltern die Souterrainwohnung. Sein Vater war Bürgermeister von Pfaffenstein, einem Marktflecken im Werdenfelser Land, und er betrieb außerdem noch ein Wasserwerk, mit dem er gleichzeitig Strom erzeugte, den er ins Netz einspeiste.

Werner war vor drei Wochen dreißig Jahre alt geworden, und seit ein paar Wochen hatte er ständig Rückenschmerzen, die auch früher schon mal aufgetreten waren, aber da nur sporadisch.

Patricia Badner war Werners Freundin, ebenfalls dreißig Jahre alt, sehr hübsch, aber sie wirkte immer ein wenig reserviert, manche nannten es arrogant.

Als sie das Haus betrat, kam ihr Werners Vater entgegen, den sie umarmte und sehr freundlich mit einem Kuß auf beide Wangen begrüßte.

»Werner hat wieder diese Schmerzen«, sagte Benedikt Schaussner. »Vielleicht gelingt es dir ja, ihn davon zu überzeugen, einmal zum Arzt zu gehen.«

»Werner ist eigentlich alt genug«, antwortete Patricia, »außerdem wird es nichts Besonderes sein. Er wird sich verhoben haben, als er unbedingt die Hütte am Sonnenjoch umbauen mußte, oder sonst kneift ihn ein Muskel.«

»Wenn es nur das wäre…!« Benedikt Schaussner war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der ein sehr waches Auge für Geschäfte jeder Art hatte und der den Freundlichen hauptsächlich darstellte.

Im Grunde genommen war er ein knallharter Typ, dem Erfolg über alles ging.

»Wieso sagst du das so?« Patricia sah ihn fragend an. »Vermutest du was anderes?«

»Vermutungen sind nicht das, auf was wir uns stützen sollten«, antwortete Benedikt Schaussner. »Werner muß sich gründlich untersuchen lassen. Und ich bitte dich, deinen Einfluß bei ihm dahingehend geltend zu machen.«

Wie Schaussner das gesagt hatte, vor allem in welchem Tonfall, klang es weniger wie eine Bitte, eher wie eine Aufforderung oder wie ein Befehl.

Patricia bewunderte ihren Schwiegervater in spe sehr. Menschen, die sich durchsetzen konnten, mochte sie, Erfolg war der einzige Maßstab, der für Patricia zählte.

»Ich werde es versuchen«, antwortete sie. »Ich hoffe, daß mein Einfluß bei Werner reicht, um ihn bewegen zu können, sich einer Untersuchung zu unterziehen.«

Schaussner nickte und ging weiter. Das Haus lag auf einem kleinen Hügel, war riesengroß, allein Werners Souterrainwohnung maß weit über hundert Quadratmeter.

»Hallo…!« Patricia hielt Werner die Wange hin. »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«

Werner schüttelte den Kopf und küßte Patricia flüchtig auf beide Wangen. Er war Diplom-Biologe, schrieb gerade seine Doktorarbeit und hatte vor, sich später auf Gewässerschutz zu spezialisieren.

»Wie geht es dir?« fragte Patricia. »Ich meine, wie geht es deinem Rücken?«

Werner wiegelte den Kopf. »So lala. Manchmal zwickt’s mich ganz gehörig.«

»Du solltest unbedingt einen Arzt konsultieren«, erwiderte Patricia. »Mit manchen Dingen spaßt man nicht. Und Rückenschmerzen gehören zu den Dingen, die man ernst nehmen sollte. Es kann wer weiß was sein. Jetzt kann es noch leicht behoben werden, später möglicherweise nicht

mehr.«

Werner nickte. »Du hast ja recht. Ich werde in den nächsten Tagen nach München zu Hans-Ulrich fahren und mich gründlich untersuchen lassen.«

»Zu Hans-Ulrich?« Patricia sah Werner fragend an.

Der nickte. »Hans-Ulrich Lagnow. Du kennst ihn doch. Er ist aus Mittenwald, sein Vater hat dort eine Allgemein-Praxis. Er macht im Münchener Klinikum eine Facharztausbildung als Urologe. Bei ihm bekomme ich ganz rasch einen Termin.«

Patricia nickte. Hans-Ulrich Lagnow kannte sie. Sie hatten mal eine ganz kurze Affäre miteinander gehabt.

»Ich hoffe, daß er dir helfen kann«, sagte sie, dann setzte sie sich auf die Couch und schaltete mit der Fernbedienung die Stereoanlage ein.

»Sollen wir nicht ein bißchen rausgehen?« fragte Werner. Er war großgewachsen, hatte dunkelblonde Haare, ein sehr nettes Äußeres, und seine Freunde sagten, es gäbe keinen zuverlässigeren Menschen als ihn.

Sein Vater hatte rasch begriffen, daß Werner einmal nicht sein Nachfolger sein würde, jedenfalls nicht in jener Art, wie er es sich gewünscht hätte, nämlich als erfolgreicher Geschäftsmann. Dafür war Werner zu sentimental.

Patricia dagegen schien alle Voraussetzungen mitzubringen, die notwendig waren, das Unternehmen Schaussner einmal so weiterzuführen, wie Werners Vater es sich vorstellte, deshalb unterstützte er die Beziehung seines Sohnes zu der erfolgreich arbeitenden Bankkauffrau.

Patricia wußte, daß sie bei Werners Vater einen Stein im Brett hatte, wogegen seine Mutter ihr immer noch reichlich reserviert begegnete. Für Maria Schaussner war Patricia zu berechnend und ihre Art zu unterkühlt. Sie machte sich Gedanken um die Zukunft ihres Sohnes. Sehr viel Liebe, darüber war sich Maria im klaren, würde Werner bei Patricia nicht erfahren.

Patricia saß eine Stunde auf der Couch und blätterte in Magazinen, stand dann auf und ging in den Garten zu Werners Vater, besprach einige banktechnische Dinge mit ihm und sagte dann, sie werde nun nach Hause fahren. Schaussner senior nickte und widmete sich wieder seinem Gartenteich, den man als sein einziges Hobby bezeichnen konnte.

»Ich geh’ dann wieder«, sagte Patricia auch zu Werner, während sie ihre Handtasche nahm.

Der sah einen Augenblick drein, als tue es ihm leid, daß Patricia schon wieder ging, sagte auch, daß er es bedaure, küßte sie auf die hingehaltene Wange und atmete bewußt auf, als er wieder alleine war und sich seiner Promotion widmen konnte.

*

Dr. Hans-Ulrich Lagnow kam mit einem Stapel Röntgenaufnahmen und legte sie auf seinen Schreibtisch, an dem Werner Schaussner bereits Platz genommen hatte. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, hatten zur gleichen Zeit in München studiert und trafen sich auch jetzt noch ab und zu.

»Tja, mein Lieber«, sagte Lagnow, »organisch fehlt dir nichts. Die Röntgenaufnahmen haben nichts ergeben, auch die Aufnahmen mit dem Computer-Tomographen nicht.«

»Und woher kommen dann die Schmerzen?« fragte Werner. »Irgendeine Ursache müssen sie ja haben.«

»So ist es«, antwortete Lagnow. »Zuerst wollen wir mal froh sein, daß deine Nieren frei sind und alle anderen in Frage kommenden Bauch- und Beckenorgane ebenfalls.«

»Und welche Ursache können die Schmerzen haben?«

»Da kommt vieles in Frage. Von der Wirbelsäule können Schmerzen zum Beispiel kommen, oder von spinalen Nerven, oder von der Muskulatur…!«

Werner schüttelte den Kopf. »Ich hab’ immer das Gefühl, als wenn innen drinnen was nicht stimmt. Die Schmerzen sind nicht oberflächlich.«

Dr. Lagnow schüttelte den Kopf. »Da ist nichts. Du wirst allerdings gleich noch in die Orthopädie müssen. Die Röntgenbilder habe ich hier. Es geht nur um die Auswertung.«

»Wenn die nichts feststellen, dann…?«

»Dann kannst du wieder nach Hause«, antwortete Hans-Ulrich Lagnow. »Wie ich dich kenne, ist dir das sowieso am liebsten. Du lebst doch gerne im Werdenfelsischen, oder?«

Werner nickte. »Mir gefällt’s dort gut, ich fühle mich da sehr wohl.«

»Und ich bin froh, daß ich dort weg bin«, erwiderte Lagnow, »allein unserer alten Penne trauere ich ein wenig nach. Die Zeiten kommen leider nicht mehr zurück. Wie geht’s deinen Eltern? Und Patricia? Seid ihr immer noch zusammen?«

»Meinen Eltern geht’s soweit gut«, antwortete Werner, »Vater macht Geschäfte und Mutter sorgt sich um meine Zukunft.«

»Und Patricia…? Ist sie immer noch so cool wie früher?«

Werner wiegelte seinen Kopf. »Irgendwie schon. Das ist halt ihre Art.«

»Und ihre Schwester? Gibt’s die auch noch? Wie heißt sie noch? Anne…?«

Werner nickte. »Sicher gibt’s Anne noch. Wieso fragst du?«

»Ich fand sie immer superfesch. Und sie hatte was, was andere Frauen nicht haben.«

Werner lächelte. »Anne ist keine Frau. Sie ist noch ein Mädchen.«

Hans-Ulrich Lagnow lachte. »Das ist eine interessante Feststellung. Wieso sagst du das so? Anne muß sich doch vor Verehrern nicht retten können. Wie sie aussieht und wie sie sich gibt. Ich hab’ nie ein natürlicheres Mädchen gesehen als sie. Sie hat doch sicher schon einen Freund.«

Werner schüttelte den Kopf. »Anne nicht…!«

Dr. Lagnow fragte dann noch, wie weit Werner mit seiner Doktorarbeit sei und erfuhr, daß er letzte Hand anlegte.

»Wie lange brauchst du noch, bis du alles hinter dir hast?« wollte Lagnow dann wissen.

»Knapp vier Wochen«, antwortete Werner. »Wenn mir meine Gesundheit keinen Strich durch die Rechnung macht.«

Lagnow winkte ab. »Mach dir deswegen keine Sorgen.« Dann nahm er den Telefonhörer, wählte eine Nummer und meldete Werner in der Orthopädie an. »Nimm die Röntgenbilder mit. Die haben zwar auch schon welche, aber es ist besser, wenn sie sich die auch noch ansehen können. Falls was ist, laß es mich wissen. Ansonsten schöne Grüße zu Hause und an Anne Badner.«

Werner ging in die Orthopädie. Eine junge Ärztin ließ ihn Platz nehmen, sah sich die Röntgenbilder in Ruhe an, ließ sich zeigen, wo die Schmerzen am häufigsten auftraten, tastete den Rücken ab und schüttelte zu guter Letzt den Kopf.

»Es tut mir leid, Herr Schaussner«, sagte sie, »aber ich kann Ihnen die Ursache Ihrer Schmerzen nicht sagen. Die Röntgenaufnahmen zeigen weder degenerative Veränderungen noch pathologische. Sie müßten sich eigentlich fühlen wie ein Fisch im Wasser.«

»Wenn der Fisch Rückenschmerzen hat«, murmelte Werner, »dann fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser.«

Die junge Ärztin lächelte. »Falls es nicht besser wird, stellen Sie sich halt noch mal vor.« Dann gab sie Werner die Hand und verabschiedete ihn.

Werner ging zu seinem Wagen und fuhr zurück in Richtung Pfaffenstein. Als er nach Garmisch kam, fuhr er nicht weiter in Richtung Mittenwald, sondern bog in eine kleine Seitenstraße ab und hielt vor einem nicht sehr großen Haus, das an einem Hang lag und eine einmalig schöne Fernsicht bot.

»Hallo…!« Werner betrat den Garten, wo ein ausnehmend hübsches Mädchen Blumen goß.

»Hallo, Werner«, Anne Badner stellte die Gießkanne weg und kam auf ihren Schwager in spe zu. Daß sie sich freute, ihn zu sehen, war unschwer zu erkennen. »Ist dir nicht gut? Du siehst irgendwie nicht besonders aus.« Dabei sah sie ihn so mitfühlend an, daß Werner lächeln mußte.

»Ich komme gerade aus dem Klinikum in München«, sagte er. »Ich hab’ mich wegen meiner ständigen Schmerzen untersuchen lassen.«

»Ja, und…?«

»Nichts, alles ist okay.«

»Und woher kommen dann deine Schmerzen?«

Werner Schaussner zuckte mit den Schultern. »Das weiß man nicht. Die Orthopädin hat gesagt, ich soll mich halt noch mal vorstellen. Die Fahrt hätte ich mir ersparen können.«

Anne musterte Werner eine Weile, dann klopfte sie ihm freundschaftlich auf die Schultern.

»Irgendwie kommt schon alles wieder ins Lot«, sagte sie, »wenn du allerdings darauf nicht warten willst, dann solltest du dich mal in der Bergklinik vorstellen. Ich versteh’ eh nicht, warum du nach München in dieses Klinikum gegangen bist. Die Bergklinik liegt vor der Tür und hat einen ganz ausgezeichneten Ruf.«

»Und Wartezeiten, bis du schwarz bist«, antwortete Werner.

»Du liebe Zeit«, sagte Anne. »Johanna hätte dir doch einen Zwischendurchtermin besorgen können.«

»Johanna…?«

»Johanna ist Röntgenassistentin und seit drei Monaten an der Bergklinik«, antwortete Anne. »Sie schwärmt vom Arbeitsklima dort und sagt, sie hätte nie vermutet, daß alle so unproblematisch miteinander umgingen.«

»Wer ist diese Johanna?« fragte Werner. »Kenne ich sie?«

Anne schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sie hat mit mir Abi gemacht und danach dann die röntgenologische Ausbildung.«

»Was macht eigentlich dein Studium?« fragte Werner.

Anne studierte wie er Biologie. Daß Werner der Hauptgrund dafür war, daß sie Biologie studierte, wußte niemand.

»Das Vordiplom habe ich inzwischen«, antwortete sie. »Irgendwer hat übrigens gesagt, deine Promotionsarbeit sei super. Einer der Profs hat es wohl verlauten lassen.«

Werner lächelte gequält, hielt sich mit einer Hand den Rücken und sagte: »Wenigstens ein Licht im Dunkel…!«

*

Zwei Nächte später hatte Werner Schaussner einen derartig heftigen Schmerzanfall, daß seine Mutter den Notarzt bestellte. Der injizierte ein Schmerzmittel und sagte, man müsse den Ursachen der Schmerzen unbedingt auf die Spur gehen.

»Aber mein Sohn war deswegen doch gerade erst in München«, sagte Maria Schaussner. »Man hat ihn röntgenologisch untersucht und nichts feststellen können.«

»Warum sind Sie nach München und nicht in die Bergklinik gegangen?« fragte der Notarzt. »Das würde ich Ihnen dringend empfehlen. Eine bessere Diagnostik als dort bekommen Sie nirgends. Wenn Sie möchten, mache ich einen Termin für Sie.«

Werner zögerte, doch seine Mutter redete ihm zu. »Tu es, mein Junge. Falls dort auch nichts herausgefunden wird, dann hast du wenigstens Gewißheit.«

Daraufhin stimmte Werner zu, und am gleichen Vormittag rief der Notarzt bei ihm an und sagte, er könne noch in derselben Woche zur Untersuchung kommen. Er solle sich in der Radiologie bei Dr. Olaf Karg melden.

»Was soll der Quatsch?« fragte Patricia, als sie abends in Pfaffenstein auftauchte. »Du warst doch erst im Münchener Klinikum deswegen. Wenn die nichts herausgefunden haben, dann werden die Werdenfelser erst recht nichts finden.«

»Und woher kommen dann Werners Schmerzen?« fragte dessen Mutter.

»Vielleicht ist er ganz einfach empfindlich«, antwortete Patricia, nachdem sie sich eine Zigarette angezündet und den Qualm ins Zimmer geblasen hatte.

Maria Schaussner rümpfte die Nase. Sie mochte Patricia nicht besonders, vor allem, wenn die rücksichtslos war und so tat, als sei Werner ein Mimöschen.

»Es würde dir gut stehen«, sagte sie, »wenn du ein bissel mehr Rücksicht nämst und aufs Rauchen zumindest in Werners Räumen verzichten würdest. Du weißt doch genau, daß Werner Rauchen nicht ab kann.«

»Werner kann vieles nicht ab«, antwortete Patricia, während sie die Zigarette in einem Ascher ausdrückte.

»Wenn du ihm so gleichgültig gegenüber bist«, zeigte sich Maria Schaussner unbeeindruckt, »wieso besuchst du ihn dann immer wieder? Wenn ich jemanden liebe, dann nehme ich auch Rücksicht. Davon ist bei dir nichts zu erkennen. Wenn du so dringend rauchen mußt, kannst du vor die Tür gehen. Die Terrasse ist nur drei Meter entfernt, das ist wohl nicht zu viel verlangt.«

Werner hatte die Unterhaltung nicht mitbekommen, weil er in der Küche was zu trinken gemixt hatte. Als er zurückkam, packte Patricia gerade ihre Tasche. Sie trug eine äußerst reservierte Miene zur Schau und ließ Werner deutlich spüren, daß sie beleidigt war.

»Was ist passiert?« fragte er.

»Deine Mutter wird dir sicher umfassend Auskunft geben«, antwortete Patricia, dann drehte sie sich auf dem Absatz um, und gleich darauf hörte man sie mit ihrem Wagen davonfahren.

Werner ging zur Terrassentür und öffnete sie, so daß der Zigarettenrauch abziehen konnte, und ging dann zu seiner Mutter, die im Wohnzimmer saß und sehr bedrückt wirkte.

»Junge«, sagte sie, »du weißt, daß ich dir nie dreinrede, aber Patricia ist nicht die passende Frau für dich.«

»Bitte nicht schon wieder«, sagte Werner, denn Diskussionen um das Thema hatte es schon öfter gegeben. »Ich weiß ja um deine Bedenken.«

»Du beherzigst sie aber nicht.« Maria Schaussner war noch eine sehr hübsche Frau, sie war Mitte fünfzig und verzichtete noch auf jedes Make-up. »Du brauchst eine warmherzige Frau, Junge. Patricia hat sicher ihre Vorzüge, aber sie ist alles andere als warmherzig. Sie ist das Gegenteil davon. Sie ist wie dein Vater, der auch immer alles berechnen und ausloten muß.«

Werner ging zu seiner Mutter und küßte sie auf die Stirn.

»Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen«, sagte er. »Aber bitte hör jetzt auf davon. Gespräche dieser Art sind mir zuwider, das weißt du.«

»Ich bin schon still.« Maria Schaussner versuchte zu lächeln, was ihr nicht gelang, gleich darauf verließ sie die Wohnung ihres Sohnes.

Werner beschäftigte sich danach mit Unterlagen, die seine Promotionsarbeit betrafen, denn in drei Tagen hatte er die letzte mündliche Prüfung dazu.

Irgendwann läutete das Telefon, und Patricia war am Telefon. Ihre Stimme klang äußerst gereizt.

»Wenn deine Mutter ihre Angriffe gegen mich nicht einstellt«, sagte sie, »dann werde ich die Konsequenzen ziehen, das wollte ich dir nur sagen.«

»Konsequenzen ziehen…?« fragte Werner. »Wie würden diese Konsequenzen denn aussehen?«

»Ich würde mich von dir trennen«, antwortete Patricia.

Werner blieb ganz ruhig. »Ich dachte, die Zeiten der Sippenhaft seien vorbei. Trotzdem danke für deine vor- und fürsorgliche Mitteilung.« Dann legte er den Hörer auf.

*

Dr. Olaf Karg war der erste und bis dahin auch einzige Radiologe der Bergklinik. Wegen eines immer größer werdenden Patientenaufkommens, vor allem im röntgenologisch-diagnostischen Bereich, war es unumgänglich gewesen, einen Radiologen anzustellen.

Olaf Karg kam aus Freiburg, hatte dort auch studiert, und seine Zeugnisse wiesen ihn als ausgesprochen guten Arzt aus.

Er empfing Werner Schaussner am Tag vor dessen letzter mündlicher Doktorprüfung und ließ sich alle Untersuchungsergebnisse aus München vorlegen.

»Wieso kommen Sie noch mal zu uns?« fragte er. »Die Ergebnisse zeigen doch, daß keinerlei organische Veränderungen vorliegen.«

»Meine Schmerzen werden immer unerträglicher«, antwortete Werner, »und irgendeine Ursache müssen sie ja haben. Ich meine auch, daß die Schmerzen tiefer liegen, nicht oberflächlich.«

»Eigentlich müßte, beziehungsweise dürfte ich Sie gar nicht mehr röntgen«, sagte Olaf Karg. »Aber da jeder Mensch, also auch die Kollegen in München, irren können, werde ich die Aufnahmen noch mal erstellen.«

Nach den Computer-Aufnahmen sagte Dr. Karg: »Ich rufe Sie in den nächsten Tagen an, und dann bekommen Sie unseren Bericht. Für die morgige letzte Verteidigung Ihrer Promotionsthesen wünsche ich Ihnen alles Gute.«

»Woher wissen Sie, daß ich morgen meine letzte Prüfung habe?« Werner sah den netten Arzt fragend an.

»Johanna Marcks, eine der Röntgenassistentinnen, hat auch wegen eines Termins für Sie gefragt«, antwortete Dr. Karg. Dann lächelte er. »Sie haben viele Fürsprecher.«

Werner bedankte sich und verließ die Bergklinik mit dem Eindruck, nicht gewußt zu haben, daß es in unmittelbarer Nähe eine derart gute organisierte Klinik gab.

Die mündliche Prüfung am nächsten Tag glich eher einem Gespräch über Werner Schaussners Promotionsarbeit. Zum Schluß gratulierten ihm alle, und sein Doktorvater und der Co-Referent seiner Arbeit bestätigten den hohen wissenschaftlichen Wert der Dissertation.

Seine Mutter empfing ihn mit Blumen, während sein Vater sagte, hoffentlich zahle sich der Titel und die damit verbundene Arbeit für Werner auch aus.

Werner ertappte sich dabei, daß er am liebsten Patricias Besuch abgesagt hätte, denn der stand ihm noch bevor. Seine Mutter hatte recht, Patricia war nicht die richtige Frau für ihn. Sie hatte vieles, was Männer mögen: Sie sah toll aus, hatte ein absolut sicheres Auftreten, sie verstand es, sich blendend zu verkaufen und wo sie auftauchte, stand sie rasch im Mittelpunkt. Doch eines hatte Patricia nicht: Herzlichkeit.

Werner dachte plötzlich an Patricias Schwester Anne, ihre Lebensfreude, ihre Natürlichkeit, ihren umwerfenden Charme und ihre unberechenbare Spontanität. Wenn Anne nicht so jung gewesen wäre, er hätte sich sehr gut vorstellen können, mit ihr verbandelt zu sein.

Patricia erschien dann auch. Sie trug ihre übliche Miene, das heißt, sie wirkte sehr hochmütig. Hielt, als sie Werner gratulierte, die Wange hin und wollte dann wissen, ob er seine Entscheidung, sich zukünftig beruflich für den Gewässerschutz zu engagieren, nicht noch mal überlegen wolle, denn seiner Ausbildung entsprechende Einkommen seien damit nicht zu erzielen.

Werner hatte sich vorgenommen, sich nicht zu ärgern, was ihm nicht recht gelang. Seine Eltern, Patricia und er saßen auf der Terrasse. Dann kam Anne. Mit einem Riesenblumenstrauß. Das war insofern eine Überraschung, weil sie noch nie bei hm zu Hause gewesen war. Sie gratulierte ihm und stellte sich dann auf die Zehenspitzen, um ihn auf die Wangen zu küssen.

»Ich wünsch’ dir alles Gute«, sagte sie. »Vor allem, daß deine Rückenschmerzen bald aufhören.« Dann gab sie Werners Eltern die Hand, lächelte ihre Schwester Patricia an und verabschiedete sich gleich darauf wieder.

»Bleib doch bitte noch.« Werner hielt Anne am Arm. Die nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick fest, schüttelte dann den Kopf und ging.

Patricia schien den kurzen Besuch ihrer kleinen Schwester gar nicht registriert zu haben, sie lag in einem Liegestuhl, hatte eine Sonnenbrille aufsitzen und blätterte in Modemagazinen.

Maria Schaussner sah ihren Sohn forschend an, doch Werner ging bald ins Haus und kam auch nicht mehr zurück.

Zeitig am nächsten Morgen erhielt er einen Anruf aus der Bergklinik. Am Apparat war Dr. Karg.»Sie müßten noch mal herkommen«, sagte er. »Es gibt einige Dinge zu besprechen.«

»Haben Sie gefunden, was die Schmerzen auslöst?« fragte Werner. »Das wär’ ja super.«

»Kommen Sie, dann besprechen wir alles«, antwortete Dr. Karg ausweichend, dann verabredete er einen Termin noch für den selben Nachmittag.

Werner hatte keinerlei Ahnung, was auf ihn zukommen würde, nur, daß offenbar der Auslöser seiner immer unerträglicher werdenden Rückenschmerzen gefunden worden war.

Dr. Karg gratulierte Werner zuerst zur Promotion. Dann schlug er einen Aktendeckel auf und nahm einige Röntgenaufnahmen heraus.

»Ihre linke Niere zeigt erheblihe Veränderungen«, sagte er dann. »Es ist höchstwahrscheinlich ein Tumor. Die Niere muß so rasch wie möglich entfernt werden.«

Werner fühlte sich, als habe ihm jemand einen Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt. Er starrte den jungen Arzt benommen an und fragte: »Was haben Sie da gerade gesagt? Mir muß eine Niere entfernt werden?«

Olaf Karg nickte. »So ist es. Ich habe den radiologischen Befund bereits mit unserem Chefchirurgen besprochen, der ist der gleichen Ansicht.«

»Bei allen guten Geistern, das gibt’s doch gar nicht«, murmelte Werner. »In München schickt man mich vor einer Woche nach Hause, sagt, ich sei organisch gesund, und Sie eröffnen mir, man müsse mir eine Niere entfernen?« Nach kurzem Zögern fügte er noch hinzu: »Sind die Schmerzen mit dem… dem Tumor erklärbar?«

Dr. Karg nickte. »Das sind

sie. Wichtiger ist allerdings die Frage, was mit der zweiten Niere ist.«

»Wieso…?«

»Die Nieren sind paarig angelegt«, sagte Karg, »Sie können also bequem mit einer Niere leben. Unter der Voraussetzung, daß die verbleibende Niere gesund ist.«

»Ist meine zweite Niere nicht gesund?« Werner starrte den jungen Arzt erneut betroffen an.

Der zuckte mit den Schultern. »Radiologische Hinweise, daß etwas nicht stimmt, gibt es nicht. Allerdings lassen Ihre Blutwerte einen anderen Schluß zu.«

»Und welchen?«

»Daß auch die zweite Niere beschädigt sein könnte, um es einmal vorsichtig auszudrücken.«

»Was heißt das?«

Dr. Karg zuckte mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Nach der Operation wissen wir mehr.«

»Was passiert, wenn die zweite Niere krank ist?« wollte Werner daraufhin wissen.

»Dann müßten Sie zuerst an die Dialyse«, antwortete Karg.

»Was ist das?«

»Mit dem Dialyseverfahren wird das Blut von jenen Stoffen befreit, die bei einem Gesunden von den Nieren herausgefiltert werden«, antwortete Karg, »aber soweit sind wir noch nicht. Sie müssen jetzt zuerst mit unserem Chirurgen sprechen. Wegen der Entnahme Ihrer linken Niere. Das sollte sehr rasch geschehen.«

Werner atmete tief durch. »Ihr Chefchirurg ist…?«

»Prof. Clemens Stolzenbach«, antwortete Dr. Karg. »Er dürfte der beste Chirurg weit und breit sein. Einen besseren Operateur können Sie nicht bekommen.«

»Und ich sollte mich rasch entschließen…?«

Dr. Karg nickte. »Das wäre ratsam.«

»Können Sie mir jetzt einen Termin bei dem Professor machen?« fragte Werner, nachdem er kurz nachgedacht hatte.

Olaf Karg zog ganz kurz die Augenbrauen hoch, nahm dann den Telefonhörer und wählte eine Nummer, und als er kurz darauf den Hörer zurück auf die Gabel gelegt hatte, sagte er: »Sie können übermorgen in der Früh kommen. Unter Umständen sind Sie Ihren Tumor noch diese Woche los.«

Werner stand auf und bedankte sich. »Wieso haben die in München den Tumor nicht entdeckt?«

Olaf Karg zuckte mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Allerdings zeigen die Aufnahmen des Computer-Tomographen den Tumor derart deutlich, daß es normalerweise keine andere Diagnose geben kann.«

Werner nickte, gab Dr. Karg die Hand, sagte, er werde am übernächsten Tag gegen acht Uhr da sein und fuhr nach Hause. Seine Mutter sah ihm sofort an, daß die Diagnose anders war als jene in München.

»Was ist?« fragte sie, ihre Stimme klang ängstlich.

»Man wird mir möglicherweise noch in dieser Woche eine Niere entfernen«, antwortete Werner. »Die Münchener Diagnosen waren total falsch. Ich habe einen Nierentumor und momentan kann ich nur hoffen, daß die zweite Niere nicht auch einen Defekt hat.«

Maria Schaussner wurde blaß, hielt sich an einer Stuhllehne fest und setzte sich schließlich.

»Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie dann. »Man kann doch nicht in einer Klinik sagen, es sei alles in Ordnung, und in der nächsten will man dir eine Niere entfernen. Das geht doch nicht.« Maria Schaussner war total geschockt. »Was wirst du denn jetzt tun, mein Junge?«

»Ich werde übermorgen zeitig in der Früh in die Bergklinik fahren und mir von Prof. Stolzenbach die linke Niere entfernen lassen.«

»Mein Gott, Junge…!« Maria drehte sich zur Seite, damit Werner ihre Tränen nicht sah. »Das ist ja schrecklich, gibt es denn keine andere Lösung? Willst du nicht noch eine dritte Diagnose einholen? Bei zwei so unterschiedlichen Aussagen wäre es vielleicht ratsam.«

Werner schüttelte den Kopf. »Der Radiologe in der Bergklinik hat einen ausgezeichneten Eindruck gemacht, und dieser Prof. Stolzenbach ist die Koryphäe am deutschen Chirurgenhimmel, das weißt du sicher.«

»Und er selbst würde dich operieren?«

Werner zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Außerdem ist das nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß er dort Chef ist und man so arbeitet, wie er es möchte.«

»Du scheinst dich bereits mit der Operation abgefunden zu haben?« Maria Schaussner sah ihren Sohn betroffen an.

Der nickte. »So ist es. Und ich bin sicher, in der Bergklinik allerbestens aufgehoben zu sein.«

»Ich werde deinen Vater unterrichten«, sagte Maria, »und… und du wirst es Patricia sagen müssen.« Dann ging sie. Bei der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch mal um. »Die Schwester Patricias… wie heißt sie noch?«

»Anne…!«

»Ja richtig, Anne.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie ist ein ausnehmend nettes Mädchen«, sagte Maria Schaussner. »Man kann gar nicht glauben, daß sie und Patricia Schwestern sind.«

*

Die Nachricht, daß Werner einen Nierentumor hatte und die Niere entfernt werden mußte, löste die unterschiedlichsten Reaktionen aus.

Werners Vater runzelte lediglich die Stirn, zuckte gleich darauf mit den Schultern und sagte: »Was sein muß, muß sein. Soll ich dich in München bei Professor…?«

Werner winkte ab. »Ich werde in die Bergklinik gehen und mich dort operieren lassen.«

Werners Vater sah ein wenig skeptisch drein, dann zuckte er mit den Schultern und widmete sich wieder seinen Geschäften.

Als Patricia am späten Nachmittag kam und erfuhr, was man in der Bergklinik diagnostiziert hatte, taxierte sie Werner einen Augenblick lang sehr aufmerksam, so als wolle sie abschätzen, ob es sich noch lohne, auf ihn zu setzen. Dann ging sie ein paar Schritte weiter und zündete sich eine Zigarette an. Da sie alle auf der Terrasse saßen, störte der Qualm niemanden.

»Traust du der Diagnostik der Bergklinik?« fragte sie schließlich.

Werner nickte. Dann unterhielten sie sich noch ein wenig und noch zeitig am Abend verabschiedete sich Patricia. Sie fuhr entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit nach Garmisch zu ihren Eltern und erzählte denen, sie saßen gerade beim Abendbrot, was sie erfahren hatte.

Anne wäre fast die Tasse aus der Hand gefallen, als sie hörte, was ihre Schwester sagte.