Die Bergklinik 13 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert - E-Book

Die Bergklinik 13 – Arztroman E-Book

Hans-Peter Lehnert

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Beschreibung

Die Arztromane der Reihe Die Bergklinik schlagen eine Brücke vom gängigen Arzt- zum Heimatroman und bescheren dem Leser spannende, romantische, oft anrührende Lese-Erlebnisse. Die bestens ausgestattete Bergklinik im Werdenfelser Land ist so etwas wie ein Geheimtipp: sogar aus Garmisch und den Kliniken anderer großer Städte kommen Anfragen, ob dieser oder jener Patient überstellt werden dürfe. Sonja Kramer hatte sich wie immer sehr sorgfältig hergerichtet, sah sich dann noch ein paarmal im Spiegel an, besserte hier und da noch mal was aus, und als sie schließlich zufrieden war, nahm sie die Wagenschlüssel und verließ ihre Wohnung in Garmisch. Sonja hatte jahrelang als eines der hübschesten Mädchen der Gegend gegolten, sie hatte an mehreren Miß-Wahlen teilgenommen und einmal sogar gewonnen, aber eine Karriere zum Beispiel als Modell war niemals in Frage gekommen, obwohl Sonja ganz still und heimlich darauf gehofft hatte. Inzwischen war sie einunddreißig und hatte den Traum einer Karriere endgültig ad acta gelegt. Sie mußte heute länger vor dem Spiegel stehen als noch vor drei Jahren, und die Zeit, als sie ganz ohne Make-up ausgekommen war, war längst vorüber. Vor anderthalb Wochen hatte sich ihr Freund Stefan einen komplizierten Beinbruch zugezogen, der vom chirurgischen Oberarzt der Bergklinik Dr. Magnus Kelterer in einer mehrstündigen Operation gerichtet worden war. Stefan lag nun auf der chirurgischen Station und wartete darauf, daß sich der Zustand seines Beines soweit gebessert haben würde, daß er die Klinik verlassen konnte. Sonja besuchte ihn einen um den anderen Tag, und als sie an diesem wunderschönen Herbsttag das Klinikgelände betrat, spürte sie, daß man sich auch diesmal wieder nach ihr umsah. Früher war es ihr eher lästig gewesen, heute freute sie sich über jeden bewundernden Blick.

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Inhalt

Ich schäme mich

Ich mag dich nicht weinen sehen

Die Bergklinik – 13–

Die Bergklinik

Hans-Peter Lehnert

Ich schäme mich

Roman von Hans-Peter Lehnert

Sonja Kramer hatte sich wie immer sehr sorgfältig hergerichtet, sah sich dann noch ein paarmal im Spiegel an, besserte hier und da noch mal was aus, und als sie schließlich zufrieden war, nahm sie die Wagenschlüssel und verließ ihre Wohnung in Garmisch.

Sonja hatte jahrelang als eines der hübschesten Mädchen der Gegend gegolten, sie hatte an mehreren Miß-Wahlen teilgenommen und einmal sogar gewonnen, aber eine Karriere zum Beispiel als Modell war niemals in Frage gekommen, obwohl Sonja ganz still und heimlich darauf gehofft hatte.

Inzwischen war sie einunddreißig und hatte den Traum einer Karriere endgültig ad acta gelegt. Sie mußte heute länger vor dem Spiegel stehen als noch vor drei Jahren, und die Zeit, als sie ganz ohne Make-up ausgekommen war, war längst vorüber.

Vor anderthalb Wochen hatte sich ihr Freund Stefan einen komplizierten Beinbruch zugezogen, der vom chirurgischen Oberarzt der Bergklinik Dr. Magnus Kelterer in einer mehrstündigen Operation gerichtet worden war. Stefan lag nun auf der chirurgischen Station und wartete darauf, daß sich der Zustand seines Beines soweit gebessert haben würde, daß er die Klinik verlassen konnte.

Sonja besuchte ihn einen um den anderen Tag, und als sie an diesem wunderschönen Herbsttag das Klinikgelände betrat, spürte sie, daß man sich auch diesmal wieder nach ihr umsah. Früher war es ihr eher lästig gewesen, heute freute sie sich über jeden bewundernden Blick.

Die Schwester an der Pforte nickte freundlich, ebenso zwei andere Schwestern, und als Sonja die chirurgische Station betrat, kam ihr ein junger Assistenzarzt entgegen, dem sie seine begehrlichen Blicke deutlich ansah.

Sonja lächelte auch ihn freundlich an, wünschte einen guten Tag und klopfte dann an die Tür jenes Zimmers, in dem auch Stefan Tauber lag.

Der atmete tief durch, als sie hereinkam, denn er freute sich jedesmal, Sonja zu sehen, auch wenn ihm bewußt war, daß sie bei vielen anderen begehrliche Gedanken weckte.

»Servus, Spatzerl«, begrüßte er sie, und als Sonja sich über ihn beugte, küßte er sie kurz auf den Mund.

»Hallo«, erwiderte das hübsche Mädchen, dann packte sie einige Zeitungen aus, die sie immer mitbrachte. »Wie geht’s deinem Bein?« wollte sie dann wissen.

Stefan zuckte mit den Schultern. »Ich hab’ keine Schmerzen, und man ist mit dem Heilungsprozeß zufrieden. Trotzdem, wenn ich dran denk’, daß ich unter Umständen noch ein paar Wochen derart hier liegen muß, dann wird mir ganz anders.«

»Geduld mußt halt haben«, sagte Sonja, dann ging sie zum Fenster und sah hinaus.

»Ein Filmteam will da in der Bergklinik drehen«, sagte Stefan, während er in einer der Zeitungen blätterte. Er lag in einem Zweibettzimmer, der Patient des anderen Bettes saß bei schönem Wetter im Park, er würde bald entlassen werden.

»Ein Filmteam?« Sonja drehte sich um. »Was drehen S’ denn für einen Film? Eine der Krankenhausserien für das Vorabendprogramm?«

Stefan, er blätterte immer noch in der Zeitung, schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ein bekanntes Team ist es. Es geht um eine Kinoproduktion.«

»Ein bekanntes Team?« fragte Sonja. Am liebsten hätte sie sich eine Zigarette angezündet, aber das war hier nicht erlaubt.

»Ja, irgendwer hat gesagt, es wär’ ein bekanntes Team«, brummte Stefan, den eher die Sportseiten der Zeitungen interessierten als ein Filmteam.

Die Unterhaltung plätscherte so dahin, die große Spannung schien die Beziehung der beiden nicht mehr zu bieten, denn sie beschäftigten sich mehr oder weniger mit sich selbst, wenn auch in Gegenwart des anderen.

»Wenn ich schon da bin«, sagte Sonja irgendwann, »dann könntest du deine Zeitung weglegen. Sonst brauch ich ja überhaupt nicht herzukommen. Nur um dir beim Lesen zuzusehen, ist mir die Zeit zu schad’.«

Stefan ließ die Zeitung augenblicklich fallen und streckte seine Arme aus.

»Entschuldige bitte, Spatzerl«, sagte er, »aber ich bin irgendwie völlig von der Rolle. Ich bin da fest ans Bett gefesselt, möglicherweise noch für Wochen, jedenfalls solange dieses Ding da in meinem Bein drinnen ist.« Er zeigte nach unten, wo eine metallerne Apparatur sein Bein hoch und gestreckt hielt.

»Lang hab’ ich heut’ eh keine Zeit«, erwiderte Sonja, die gerade beschlossen hatte, auf dem Heimweg auf einen Sprung bei einer Freundin vorbeizufahren.

»Wie geht’s zu Haus’ bei deinen Eltern?« fragte Stefan pflichtbewußt, während er abwechselnd Sonjas rechte und linke Hand hielt und dabei mit ihren Fingern spielte.

Die nickte. »Danke der Nachfrage. Der Vater hat gesagt, daß er dich auch mal besuchen will.«

»Sag ihm, es würd’ mich freuen, er müßt’ es aber net«, erwiderte Stefan, »dein Vater hat genug mit sich selbst zu tun.«

Sonja nickte. »Ich werd’s ihm ausrichten.« Dann stand sie auf und sagte, sie werde wieder gehen.

Im gleichen Moment wurde die Tür geöffnet, und eine Schwester steckte den Kopf herein.

»Servus, Sonja«, sagte sie, »hast du schon gehört, wer im Haus ist?«

Beate Kurz war Schwester an der Bergklinik und mit Sonja früher eng, heute locker befreundet. Die beiden hatten früher einmal den gleichen Traum geträumt, nämlich den einer Karriere als Modell.

»Der Stefan hat gesagt, ein Filmteam wollt’ da bei euch drehen«, antwortete Sonja, »meinst du das?«

Beate kam ins Zimmer. »Genau das mein’ ich.«

»Wieso schaust du denn so aufgeregt? Ist es so was Besonderes, wenn ein Filmteam da ist?«

»Das will ich meinen«, erwiderte Beate. »Weißt du, wer den Film dreht?«

Sonja zuckte mit den Schultern. »Der Stefan hat’s nicht gewußt. Wer ist es denn?«

»Reginald Mang ist der Produzent, und Charly Wagner der Kameramann…«

»Da schau her.« Sonja schien beeindruckt. »Wie kommen die denn gerade darauf, in der Bergklinik drehen zu wollen?«

»Keine Ahnung«, erwiderte die adrette Schwester, »ich vermut’ mal, daß die malerische Umgebung eine Rolle spielt.«

Sonja nickte, küßte Stefan ganz rasch auf die Wange, wünschte ihm gute Besserung und verließ dann mit Beate das Zimmer. Draußen atmete sie auf und meinte, irgendwie sei aus ihrer Beziehung zu Stefan die Luft raus.

»Alles ist nur noch Staffage«, sagte sie, »selbst das Herkommen und Beieinandersitzen.«

Beate lachte. »Ich weiß schon, warum ich keine feste Beziehung eingegangen bin. Wen du da erwischst, ist dabei völlig wurscht, irgendwann ist alles nur noch Routine.«

Sonja schüttelte den Kopf. »Wenn das schon alles im Leben gewesen sein soll, dann war’s nicht besonders viel.«

Schwester Beate lachte. »Na ja, zu kurz gekommen bist du früher doch auch nicht, oder…?«

Sonja zog für einen Augenblick die Augenbrauen hoch, und ein rückerinnerndes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, dann zuckte sie mit den Schultern.

»Das ist vorbei«, sagte sie, »aus und Ende. Wenn ich allein dran denk’, wie lang’ ich heut’ vor dem Spiegel stehen muß, um alles zu kaschieren, was kaschiert gehört, dann graust mir vor der Zeit, die ich in zehn Jahren dafür benötige.«

»Jetzt hör aber auf«, erwiderte Beate. »Du schaust blendend aus. Du hast deine Topfigur behalten. Schau mich an, da ein Polster, da noch eines und von dem da gar nicht zu reden.« Dabei zeigte sie auf Hüften und Oberschenkel.

»Vielleicht haben wir uns all die Jahre nur was vorgemacht«, entgegnete Sonja. »Vielleicht ist das auch alles gar nicht so wichtig. Vielleicht zählen andere Sachen im Leben viel mehr.«

»Jetzt mach mal halblang«, sagte Beate. »Willst du vielleicht ausschauen wie eine von den Matronen? Die zwar erst so alt sind wie wir, aber nur noch ihre Kinder im Sinn haben und deren Körper immer mehr auseinandergeht?«

Sie waren inzwischen im Eingangsbereich angekommen, und Sonja gab Beate die Hand.

»Also dann, servus.« Sonja zeigte auf eine der Wangen der hübschen Schwester. »Da mußt du mal ein bisserl was dran tun, sonst kannst du die Krähenfüße bald nimmer verdecken.«

»Mal den Teufel nicht an die Wand«, erwiderte die und hatte schon einen Taschenspiegel in der Hand.

»Es war doch nur Spaß«, sagte Sonja, dann verabschiedete sie sich von Beate.

»Ich halt’ dich wegen der Filmleute auf dem Laufenden«, rief die hinter ihrer Freundin her, »vielleicht wartet ja die große Chance erst auf uns.«

Sonja lachte und schüttelte den Kopf, gleich darauf hatte sie die Bergklinik verlassen.

*

Auf Dr. Trautners Stirn tummelten sich mehr Falten als sonst, nachdem er das Konzept der Filmgesellschaft für den Film durchgelesen hatte. Vor wenigen Tagen hatte ein Herr der Omega-Filmgesellschaft gefragt, ob man in der Bergklinik sowie in deren unmittelbarer Umgebung drehen dürfe.

Dr. Trautner hatte zuerst sofort absagen wollen, dann jedoch ein Konzept des Filmes verlangt. Das war ihm am vergangenen Tag übergeben worden. Jetzt gab er das doppelbögige Schreiben seinem Chefchirurgen und meinte: »Ob das für uns in Frage kommt?«

Professor Clemens Stolzenbach lächelte, bevor er sich dem kurzen Schreiben der Filmgesellschaft widmete, denn er kannte Dr. Trautners Zurückhaltung, wenn es um die Bergklinik ging. Nur nicht auffallen und nur nicht in die Schlagzeilen kommen, war stets dessen Hauptdevise gewesen.

»Was haben S’ denn dagegen, Chef?« fragte er. »Das liest sich doch ganz nett.«

»Es hat aber was mit Öffentlichkeit zu tun«, antwortete Vinzenz Trautner.

»Ich versteh’ ja Ihre Bedenken«, erwiderte Clemens Stolzenbach, »aber nicht in jedem Fall ist Öffentlichkeit etwas Verwerfliches.«

Dr. Trautner sah auf die Uhr. »Die Herren müßten schon seit einer Viertelstunde hier sein. Wenn sie unter Zusammenarbeit verstehen, daß sie uns die Zeit stehlen wollen, dann…!«

Im gleichen Moment klopfte es an die Tür, und Dr. Trautners Sekretärin meldete die Herren Mang und Wagner.

Reginald Mang war Produzent und für den technischen reibungslosen Ablauf der Aufnahmen zuständig, das heißt, er besorgte unter anderem auch die Drehorte, die ihm Regisseur und Kameramann vorgaben.

Mang war etwas über fünfzig, nicht sehr groß, hatte etwas abstehende Ohren, was seinem Aussehen etwas Lustiges beigab. Charly Wagner dagegen war groß und hager, seine markanten Gesichtszüge waren den meisten Menschen ebenso bekannt wie seine ausschweifende Lebensart, die ihn schon öfter in die Schlagzeilen der Tages- und Boulevardpresse gebracht hatte.

Vinzenz Trautner musterte dann auch zuerst ausführlich Charly Wagner, und sein Chefchirurg sah deutlich, was Trautner dachte, nämlich daß es für die Bergklinik nicht von Vorteil sein konnte, wenn ein Mann wie Charly Wagner zumindest vorübergehend in der Bergklinik sein Quartier aufschlagen würde.

Die Sekretärin brachte auf Dr. Trautners Bitte Tee, den Charly Wagner angewidert ansah.

»Kann man bei Ihnen nicht etwas anderes bekommen, Doktor?« fragte er mit baßtiefer und sehr rauh klingender Stimme. »Einen Cognac vielleicht? Ich muß erst ein wenig in Schwung kommen. Außerdem bin ich nicht krank, und Tee ist doch nur was für Kranke.«

»Der Professor und ich sind auch nicht krank«, antwortete Vinzenz Trautner, »und wir trinken trotzdem Tee. Und wenn Sie alkoholische Getränke benötigen, um in Schwung zu kommen, sollten Sie mal Ihren Hausarzt aufsuchen.«

Clemens Stolzenbach schmunzelte. »Dr. Trautner möchte sagen, daß…!«

»Lassen Sie mal, Professor«, Charly Wagner winkte ab, »ich hab’ schon verstanden, was der Doktor mir zu sagen versuchte.«

»Wenn wir uns jetzt über die geplanten Aufnahmen in der Bergklinik unterhalten könnten«, beteiligte sich Reginald Mang zum ersten Mal an der Unterhaltung, »meine Zeit ist sehr begrenzt, und ich muß…«

»Gut, daß Sie es anschneiden, Herr Mang«, unterbrach Stolzenbach den Produzenten, »unsere Zeit ist ebenfalls sehr begrenzt, schließlich haben wir für eine Klinik mit weit über zweihundert Patienten zu sorgen. Wenn wir eine Zeit vereinbaren, dann sollten Sie in Zukunft darauf achten, pünktlich zu erscheinen. Es könnte sonst sein, daß wir zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für Sie zu sprechen sind. Sie kennen das ja, Sachzwänge gehen in einer Klinik immer vor.«

Während Charly Wagner am Tee schnupperte, bekam Reginald Mang einen roten Kopf.

»Zeitabweichungen sind bei uns an der Tagesordnung, Professor«, antwortete er. »Bei uns kann immer etwas dazwischenkommen.«

»Wir werden in Zukunft ja nicht so oft miteinander reden«, versuchte Stolzenbach einzulenken, »daß wir Pünktlichkeit zum zentralen Thema machen sollten. Wir möchten, falls wir überhaupt Ihren Vorschlägen folgen, exakt fixierte Absprachen mit Ihnen treffen, die Ihre Arbeiten in der Bergklinik möglichst präzise beschreiben.«

»Was heißt das?« fragte Mang.

»Daß vor allem unser Klinikbetrieb reibungslos weiterzugehen hat«, antwortete Clemens Stolzenbach, »und daß die Einschränkungen für das Personal sehr gering gehalten werden. Daß es für die Patienten keinerlei Einschränkungen geben darf, versteht sich von selbst.«

Reginald Mang war gewohnt, daß sich ihm und seiner Filmgesellschaft überall die Türen öffneten. Daß jeder froh war, die Gesellschaft zu Aufnahmen da zu haben, und daß man nicht versuchte, ihm Bedingungen zu stellen.

»Üblich ist, daß wir die Bedingungen vorgeben«, unternahm er den Versuch, dies auch jetzt durchzusetzen. »Immerhin erhält Ihre Klinik durch die Filmgesellschaft eine erhebliche Nutzungsentschädigung und darüberhinaus auch einen nicht zu unterschätzenden Werbeeffekt.«

Wenn Mang gemeint hatte, seine beiden Gesprächspartner damit zu beeindrucken, wurde er gleich darauf eines Besseren belehrt.

»Werbung hat unser Haus nicht nötig«, sagte Dr. Trautner, »ganz im Gegenteil, ich schätze es gar nicht, wenn über die Bergklinik in der Regenbogenpresse berichtet wird. Und unser Geld, verehrter Herr Mang, verdienen wir mit der Behandlung von Patienten, nicht mit Geldern irgendwelcher Filmgesellschaften.«

»Dann sind wir vielleicht nicht die richtigen Partner für Sie«, erwiderte Mang, der nicht damit gerechnet hatte, auf derartige Vorbehalte zu stoßen.

Der Chef der Bergklinik nickte sofort. »Das könnte durchaus der Fall sein. Wenn der Professor sich nicht für Sie eingesetzt hätte, würde ich Ihrem Ersuchen, bei uns Aufnahmen machen zu dürfen, eh nicht zugestimmt haben. Aber wie gesagt, Herr Stolzenbach war der Ansicht, es sei nichts dagegen einzuwenden.«

Dann war es einen Augenblick still in Dr. Trautners Zimmer. Charly Wagner hatte inzwischen seinen Tee getrunken, beugte sich jetzt zu seinem Produzenten und flüsterte ihm was ins Ohr. Mang sah unwirsch drein und schüttelte den Kopf, woraufhin Wagner noch mal leise auf ihn einredete.

Der Produzent räusperte sich. »Wir haben auch noch andere Kliniken in Betracht gezogen… Kliniken, die kooperativer zu sein scheinen.«

Daraufhin stand Clemens Stolzenbach auf. »Schön für Sie, meine Herren, daß Sie sich anderweitig umsehen wollen, mich entschuldigen Sie bitte, ich habe zu tun.«

Charly Wagner reagierte als Erster. Ihm war bewußt, daß sie mit Dr. Trautner alleine niemals klarkommen würden, deshalb hielt er Stolzenbach zurück.

»Jetzt rennen Sie doch nicht gleich weg, Professor«, sagte er. »Wir wollen hier bei Ihnen drehen, weil wir diese einmaligen äußeren Bedingungen sonst nirgends haben. Deswegen akzeptieren wir auch Ihre Vorstellungen.«

Wieder war es einen Augenblick still im Chefzimmer der Bergklinik. Dann räusperte sich Reginald Mang. Daß es ihm nicht recht war, sah man ihm an, aber schließlich nickte auch er.

»Wir akzeptieren Ihre Wünsche selbstverständlich«, sagte er. »Die finanzielle Entschädigung betreffend…«

»Wir stellen uns vor«, unterbrach Stolzenbach ihn wieder, »daß Sie noch vor Beginn der Aufnahmen einen Betrag von einhunderttausend Mark auf ein gemeinnütziges Konto überweisen. Welches Konto es sein wird, wird Dr. Trautner Ihnen schon mitteilen. Die Klinik selbst möchte aus den Aufnahmen keinen Profit ziehen.«

Reginald Mang schluckte. »Der Betrag übertrifft bei weitem das, was dafür vorgesehen war.«

»Dann müssen Sie halt das Budget aufstocken!« Stolzenbach lächelte betont freundlich, um sich dann endgültig zu verabschieden.

Als die beiden Filmleute kurz darauf ebenfalls gegangen waren, rief Dr. Trautner auf der chirurgischen Station an und ließ sich mit Stolzenbach verbinden.

»Wie sind Sie denn auf die Idee mit den hunderttausend Mark und dem gemeinnützigen Konto gekommen?« fragte er.

»Ein wenig positive Werbung für Ihre Klinik, Doktor«, antwortete Stolzenbach, »darf wohl herausspringen. Stellen Sie sich vor, wenn Sie das Geld zum Beispiel der Kinderkrebshilfe spenden… das hat sicher keinen negativen Werbeeffekt für die Bergklinik.«

*

Als Sonja Kramer auf dem Heimweg von der Bergklinik bei ihrer Freundin Anne Schwartz vorbeifuhr, war die superchic hergerichtet.

»Wie schaust du denn aus?« fragte Sonja. »Wieso hast du dich denn so in Form gebracht?«

»Du weißt also noch nichts…!«

»Was weiß ich nicht?«

»Daß ein Filmteam in Mittenwald abgestiegen ist. Der Produzent Reginald Mang, Charly Wagner und ein paar andere sind im ›Blauen Hirschen‹ gesehen worden.«

»Ich weiß, sie wollen in der Bergklinik drehen…!«

»Aha, das wußte ich nicht.« Anne sah sich im Handspiegel an. »Aber ich weiß, daß sie noch einheimische Nebendarsteller suchen. Wir beide werden uns vorstellen. Ich hätt’ niemals gedacht, daß wir noch einmal die Chance bekommen.«

Sonja Kramer war immer noch nicht von jener Euphorie ergriffen wie jetzt Anne oder vorher in der Klinik Beate. Doch als sie jetzt ihre Freundin sah, huschte ein Lächeln über ihr hübsches Gesicht. »Du meinst wirklich, wir hätten eine Chance, bei dem Film mitzutun?« fragte sie. »Du weißt doch noch gar nicht, um was es da geht…?«

»Das ist mir auch vollkommen wurscht«, erwiderte Anne. »Ich will lediglich die letzte sich mir bietende Chance nutzen. Dafür tu ich alles…!«

Jetzt wurde Sonja von Annes Euphorie doch ein wenig mitgerissen. Sie zündete sich eine Zigarette an und ging im Zimmer ihrer Freundin auf und ab. Das wär noch was, in einem Film unterzukommen. Ein lang gehegter Traum würde dann doch noch wahr. Wenn sie an die Realität ihres Lebens dachte, dann war es wirklich nicht schlecht, sich noch mal ein wenig in Form zu bringen.

»Woher weißt du, daß die Filmtypen im ›Blauen Hirschen‹ abgestiegen sind?«

»Ich hab’ sie gesehen«, antwortete Anne. »Als sich herumgesprochen hatte, daß eine Filmgesellschaft da ist, hockte die Lobby des Hotels plötzlich voller junger Dinger.«

»Du meinst…?«

»Logisch. Jedes Madel meint, beim Film unterkommen zu können. Du weißt doch, wie wir früher waren. Aber diesmal ist der Zufall auf unserer Seite.«

»Wieso? Wenn ein paar Zwanzigjährige auftauchen, haben wir keine Chance. Ich hätt’ heut’ jedenfalls keine Chance gegen mich als Zwanzigjährige.«

Anne lachte. »Mal langsam. Sie suchen keine Zwanzigjährige, sie suchen einige Dreißigjährige. Das hat der Mang ganz deutlich zum Ausdruck gebracht. In der Hotelhalle hat er es den jungen Hüpfern gesteckt.«

Jetzt wurde Sonja auch nervös. »Seit wann ist die Filmgesellschaft denn da?«

»Seit einer Woche…!«

»Und wieso weiß ich da nix von?«

»Weil du pausenlos in die Bergklinik zum Stefan fährst. Wie geht’s dem eigentlich?«

Sonja nickte. »Gut soweit.« Nachdem sie sich eine neue Zigarette angezündet hatte, sah sie ihre Freundin an. »Und wie soll’s jetzt weitergehen?«

»Wir fahren zum ›Blauen Hirschen‹.«

»Meinst du das im Ernst?«

»Logisch. Die Filmtypen kommen nicht hierher zu uns. Ich sage dir, der Charly Wagner ist eine Wucht. Er schaut noch besser aus als auf den Fotos.«

»Und du willst jetzt sofort zum ›Blauen Hirschen‹? Da müßt’ ich mich vorher noch mal umziehen und auch ein bisserl das Make-up auffrischen.«

Anne Schwarz lachte. »Jetzt hör aber auf. Wenn ich ausschauen würd’ wie du, dann käm’ mir noch gar kein Make-up ins Gesicht, und wenn ich deine Figur hätt’, Herrschaftszeiten, du bist wirklich allerbestens ausgestattet.«

Gleich darauf verließen sie Annes Wohnung und gingen zu Sonjas Wagen. Als sie beim ›Blauen Hirschen‹ ankamen, war dort deutlich mehr los als üblich.

»Schau dir die publicitynarrischen Weiber an«, sagte Anne, »wie kann man sich nur so anbiedern?«

»Du bist vielleicht gut«, erwiderte Sonja, »wir sind doch nicht besser.«

»Red keinen Schmarrn«, murmelte Anne, »fahr den Wagen in die Taubergasse hinter das Hotel. Da fällst du net auf, und einen Parkplatz bekommst auch.«

Als der Wagen geparkt war, stieg Anne aus, und als Sonja zögerte, beugte sie sich zu ihr in den Wagen.

»Wenn du willst«, sagte sie, »dann wart’ ruhig hier. Ich schau’ mal, was los ist. Ich komm’ gleich wieder zurück.«

Sonja nickte. Obwohl sie inzwischen auch von Annes Stimmung angesteckt war, überwog bei ihr doch noch die Skepsis.

Wenige Minuten später kam Anne zurück, setzte sich in den Wagen und grinste. »Da drinnen ist die Hölle los. Jeder will die Filmleut’ sehen, ein paar wollen auch zu ihnen. Jetzt haben s’ den Hoteleingang geschlossen. Keiner kommt mehr herein.«

»Dann können wir ja nach Hause fahren«, Sonja wirkte fast erleichtert.

»Nix da.« Anne schüttelte den Kopf. »Ich habe den Martin abgepaßt, der öffnet uns genau in«, sie sah auf die Uhr, »zehn Minuten die hintere Eingangstür. Na? Ist das ein Timing?«

*

Petra Klein hatte vor einer Woche in der Bergklinik als MTA begonnen und sie fühlte sich dort ausgesprochen wohl. Petra war vierundzwanzig Jahre alt und ein sehr hübsches Mädchen. Sie hatte wunderschöne braune Haare, die sie im Dienst meistens hochgesteckt trug, was ihr ausgezeichnet stand. Sie hatte ganz dunkle Augen, die schon manchen Burschen narrisch gemacht hatten, und wenn sie lächelte, was sie oft tat, dann blitzten ihre weißen Zähne. Eines stand fest, Petra sah aus wie Milch und Honig und sie erfreute sich schon nach wenigen Tagen in der Bergklinik der Wertschätzung ihrer Kollegen und der Patienten.

Es gehörte zu ihren Aufgaben, Patienten nach einem Plan Blut abzunehmen, um es dann im klinikeigenen Labor zu untersuchen. An jenem Spätnachmittag, als Anne Schwartz und Sonja Kramer darauf warteten, durch den Hintereingang ins Hotel ›Blauer Hirsch‹ eingelassen zu werden, klopfte sie an die Zimmertür Stefan Taubers und trat zum ersten Mal an dessen Bett.

»Grüß Gott«, sagte sie, »ich komm’ zum Blutabnehmen. Sie sind doch Stefan Tauber?«

Der blätterte immer noch in den Zeitschriften, die Sonja ihm am Nachmittag mitgebracht hatte, und nickte, ohne genau hinzusehen, wer heute gekommen war, um ihn zu pieksen. Sein Klinikaufenthalt war inzwischen Routine für ihn geworden, er hatte eine gewisse Zeit abzuliegen, wenn die vorüber war, konnte er die Klinik erst wieder verlassen. Er hatte sich also in Geduld zu fassen.

»Stefan…?« Petra sah den jungen Burschen plötzlich erstaunt an. »Bist du droben am Scheidnerkogl zu Haus’?«

Stefan nickte. »Ja, bin ich… und wer bist du?«

Jetzt lachte Petra, und sie sagte: »Das mußt du raten. Bei allem, was recht ist, wo hast du dir denn diesen Bruch geholt?« Dabei zeigte sie auf Stefans Bein.

»Mal der Reihe nach«, murmelte Stefan, »also den Haxn hab’ ich mir beim Holzrücken gebrochen. Das war einfach zu beantworten. Aber wer du bist, das weiß ich net. Wenn ich dich je gesehen hätt’, also ein so fesches Madel wie dich würd’ ich ganz sicher nicht vergessen haben. Und da ich nicht weiß, wer du bist, kenn’ ich dich nicht.«

»Petra heiß ich mit Vornamen«, sagte die hübsche MTA. »Und begegnet sind wir uns früher oft.«

»Zapperlot noch einmal…!« Stefan Tauber schüttelte den Kopf. »Nix weiß ich.« Dann

schien ihm was eingefallen zu sein. »Einen Moment. Petra heißt du, hast gesagt?«

Die nette MTA nickte.

Stefan sah sie sehr genau an. »Also bei uns in der Nachbarschaft hat’s früher mal eine Familie gegeben, die dann nach München umgezogen ist. Die Familie hat Klein geheißen und die Tochter Petra. In einem erinnerst du mich total an diese Petra.«

»Aha… und was ist’s, das dich an diese Petra erinnert?«

»Die Petra war ausgesprochen hübsch, so hübsch wie du.«

Die nette MTA starrte Stefan daraufhin erstaunt an. »Dir ist damals aufgefallen, daß ich

hübsch bin? Das ist doch schon neun Jahr’ her. Damals, als wir nach München gezogen sind, bin ich mal grad’ fünfzehn gewesen.«

»Aber du warst damals schon ein total hübsches Madel.« Stefan lachte. »Du bist also die Klein-Petra.«

Die nickte. »Ja, die bin ich. Warum hast du mir denn damals nie gesagt, daß du mich hübsch findest?«

»Du bist aber gut«, erwiderte Stefan lachend. »Du warst damals grad fünfzehn, und ich dreiundzwanzig. Was meinst du, was dein Vater mir gesagt hätt’, wenn ich zu euch auf den Hof gekommen wär’, um dir zu sagen, daß ich dich hübsch find’? Der hätt’ mich beim Wickel gepackt und hochkant über die Stiegen gejagt.«

Petra lächelte. »Das kann schon sein. Inzwischen ist der Vater schon verstorben. Ganz plötzlich hat’s ihn hergenommen. Sieben Jahr’ ist es jetzt her. Er hat nimmer gar so viel vom Leben in der Stadt gehabt, das er sich immer so gewünscht hat. Die Mutter ist inzwischen auch wieder verheiratet, und ich bin zurück ins Werdenfelsische gekommen, weil ich all die Jahre Heimweh gehabt hab’.«

Stefan konnte den Blick gar nicht von dem hübschen Mädchen nehmen. Er sah sie schon die ganze Zeit an, bis sie plötzlich auf die Uhr sah und sagte, daß sie ganz dringend weiter müsse. Sie komme später noch mal zu ihm. Gleich darauf war sie verschwunden. Aber es dauerte nicht lange, da betrat sie erneut Stefans Zimmer und entschuldigte sich.

»Ich bin ja zum Blutabnehmen gekommen«, sagte sie, »und übers Reden hab’ ich’s ganz vergessen.«

Dann nahm sie Stefans Arm, wischte innen in der Ellenbogenbeuge den Arm mit Alkohol ab, nahm eine Spritze und stach die Nadel in die blau durch die Haut schimmernde Vene. Als der Spritzenzylinder voll Blut war, zog sie die Nadel aus der Vene, legte einen Wattebausch auf die Einstichstelle und beugte den Arm.

»So hältst ihn jetzt noch ein bisserl«, sagte Petra. »Bis später einmal. Ich komm’ auf jeden Fall heut’ noch einmal vorbei.«

Stefan sah ihr hinterher, und als die Tür hinter Petra ins Schloß fiel, wunderte er sich, daß er sich zum ersten Mal in seinem Leben nicht vor dem Einstich einer Injektionsnadel gefürchtet hatte.

Stefan wartete den ganzen Abend auf Petras erneuten Besuch, aber sie kam nicht. Als es schon fast zehn Uhr war, gab er das Warten auf, und er nahm vom Nachttisch den kleinen Tropfenbecher mit der Einschlafhilfe, denn seit er mit seinem operierten Bein in der Apparatur hing, konnte er ohne die nicht mehr einschlafen.

Er dachte an Petra und dämmerte nicht viel später weg. Kurz darauf betrat sie das Zimmer und war enttäuscht, ihn schon schlafen zu sehen.

»Er hat bis eben grad’ auf Sie gewartet«, sagte der Patient im anderen Bett. »Sein Haxen zwickt ihn immer noch ziemlich, deshalb hat er auch was eingenommen und ist vor ein paar Minuten eingeschlafen. Vielleicht kommen S’ ja morgen noch mal.«

»Morgen und über Sonntag hab ich frei«, flüsterte Petra, »aber ich komm’ in der nächsten Woch’ ganz sicher wieder zu ihm. Grüßen S’ den Stefan bis dahin bitte von mir.«

Dessen Zimmernachbar nickte, und gleich darauf löschte auch er das Licht im Zimmer.

*

Sonja Kramer und Anne Schwartz hatten das Hotel »Blauer Hirsch« durch den Hintereingang betreten. Sie freuten sich diebisch, als sie die Hotel-Lobby betraten, und standen einen Augenblick total betroffen da. Dort hockte nämlich jede Menge Mädchen und Frauen mehr oder weniger gelangweilt herum, die genau das taten, was sie selbst auch tun wollten, nämlich auf einen der Filmleute warten.

»Laß uns wieder gehen«, sagte Sonja, als sie die vielen Konkurrentinnen sah, »das ist hier ja wie eine Anbieter-Show für Liegengebliebene.«

»Jetzt hör das Spinnen auf«, sagte Anne. »So ist das Geschäft nun mal. Entweder du stellst dich der Konkurrenz oder aber du bist weg vom Fenster.«

»Dann lieber weg vom Fenster«, murmelte Sonja.

»Sag mal, spinnst du?« Anne tippte sich gegen die Stirn. »Wenn ich dein Aussehen und deine Figur hätt’, ich wär’ eh längst irgendwo unter Vertrag. Und wenn ich es nicht wär’, dann würd’ ich an deiner Stelle die da«, sie zeigte auf die anderen nicht mehr ganz so jungen Mädchen, »auf gar keinen Fall fürchten. Und außerdem brauch’ ich dich.«

»Wieso brauchst denn du mich?« Sonja sah ihre Freundin Anne fragend an.