Die Bergklinik 14 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert - E-Book

Die Bergklinik 14 – Arztroman E-Book

Hans-Peter Lehnert

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Beschreibung

Die Arztromane der Reihe Die Bergklinik schlagen eine Brücke vom gängigen Arzt- zum Heimatroman und bescheren dem Leser spannende, romantische, oft anrührende Lese-Erlebnisse. Die bestens ausgestattete Bergklinik im Werdenfelser Land ist so etwas wie ein Geheimtipp: sogar aus Garmisch und den Kliniken anderer großer Städte kommen Anfragen, ob dieser oder jener Patient überstellt werden dürfe. Dr. Eva-Maria Hübner war eine sehr attraktive Frau. Darüberhinaus war sie als Ärztin sehr erfolgreich, immerhin war sie Chefin der Anästhesie und Leiterin der Intensivstation der Bergklinik, beides Positionen, um die sich auch andere beworben hatten. Allein ihr Privatleben ließ zu wünschen übrig, das heißt, sie lebte in keiner festen Partnerschaft, was sie selbst nicht unbedingt als Manko zu sehen schien, andere dagegen schon. Denn es war in der Bergklinik ein offenes Geheimnis, daß sie eine Beziehung zu ihrem Kollegen Karl Rosenberg unterhielt, der dem der Bergklinik angeschlossenen Sanatorium vorstand. Die Beziehung zu Rosenberg gestaltete sich insofern sehr schwierig, weil dessen Frau als äußerst eifersüchtig galt und es deswegen zwischen den beiden schon zu sehr emotionsgeladenen Auseinandersetzungen gekommen war. Es war ein Wunder, daß Carola Rosenberg bisher keine Kenntnis von der Beziehung ihres Mannes zu seiner Kollegin aus der Anästhesie zu haben schien.

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Inhalt

Um unserer Liebe willen

Besuch für Professor Stolzenbach

Die Bergklinik – 14–

Die Bergklinik

Hans-Peter Lehnert

Um unserer Liebe willen

Roman von Hans-Peter Lehnert

Dr. Eva-Maria Hübner war eine sehr attraktive Frau. Darüberhinaus war sie als Ärztin sehr erfolgreich, immerhin war sie Chefin der Anästhesie und Leiterin der Intensivstation der Bergklinik, beides Positionen, um die sich auch andere beworben hatten.

Allein ihr Privatleben ließ zu wünschen übrig, das heißt, sie lebte in keiner festen Partnerschaft, was sie selbst nicht unbedingt als Manko zu sehen schien, andere dagegen schon.

Denn es war in der Bergklinik ein offenes Geheimnis, daß sie eine Beziehung zu ihrem Kollegen Karl Rosenberg unterhielt, der dem der Bergklinik angeschlossenen Sanatorium vorstand.

Die Beziehung zu Rosenberg gestaltete sich insofern sehr schwierig, weil dessen Frau als äußerst eifersüchtig galt und es deswegen zwischen den beiden schon zu sehr emotionsgeladenen Auseinandersetzungen gekommen war. Es war ein Wunder, daß Carola Rosenberg bisher keine Kenntnis von der Beziehung ihres Mannes zu seiner Kollegin aus der Anästhesie zu haben schien.

»Du bist eine schöne Frau«, sagte Karl Rosenberg zeitig in der Früh zu Eva-Maria. Er lag neben ihr im Bett ihres Apartments. Die beiden hatten, wie schon öfter, die Nacht miteinander verbracht, und Karl Rosenberg, er war ein eher konservativer Mensch, bewunderte wieder einmal nicht nur die Schönheit seiner Kollegin, sondern auch ihre Art, die Dinge zu handhaben.

So hatte Eva-Maria überhaupt keine Probleme damit, wenn sie mit ihm gesehen wurde, auch wenn man sie einmal sozusagen auf frischer Tat ertappt hätte, Eva-Maria hätte darüber gelacht.

»Ich will doch hoffen, daß du mich schön findest«, antwortete sie und lächelte Rosenberg an.

Der streichelte ihren Körper und sah sie verliebt an. »Daß ich mich in dich verliebt habe, weißt du auch…?«

»Auch das hoffe ich«, antwortete die hübsche Anästhesistin, die inzwischen siebenunddreißig Jahre alt war, doch aussah, als sei sie Ende zwanzig.

»Hast du eigentlich viele Männer gehabt?« Karl Rosenberg hatte die Frage schon oft stellen wollen, sich aber nie richtig getraut. Heute hielt er den richtigen Zeitpunkt für gekommen.

»Willst du mich verhören?« Eva-Maria lachte und küßte Rosenberg auf die Nasenspitze, dann biß sie ihm übermütig hinein.

»Waren es viele…?« Rosenberg musterte seine Kollegin aufmerksam.

Die wiegte den Kopf, tat so, als denke sie nach, nahm dann ihre beiden Hände zur Hilfe, und als sie die Finger beider Hände ausgestreckt hatte, tat sie so, als komme sie nicht weiter. Dann sah sie das entsetzte Gesicht Karl Rosenbergs und lachte.

»Du bist köstlich«, sagte sie, »wie ein kleiner Junge. Bist du am Ende eifersüchtig?«

»Ich frage mich oft, was passiert wäre, wenn wir uns früher kennengelernt hätten?«

»Was hätte da passieren sollen?«

»Wäre aus uns ein Paar geworden?«

»Meinst du bürgerlich lebende Eheleute?« Eva-Maria tat sehr ernst.

Rosenberg nickte. »Zum Beispiel…!«

Als die Anästhesistin der Bergklinik den Kopf schüttelte, war sie ernst. »Das wär’ nichts für mich gewesen, für uns beide nicht. Ich finde, wir haben eine wunderbare Art des Zusammenlebens gefunden. Was willst du mehr?«

»Ich denke bei vielen Dingen gründlicher nach«, erwiderte Karl Rosenberg.

»Du denkst nicht nach, du grübelst«, antwortete Eva-Maria.

Karl Rosenberg nickte. »Das kann sein. Früher habe ich das nicht getan, erst seit ich dich kenne.«

»Höre ich da einen Vorwurf heraus?« Eva-Maria rekelte sich unter der Decke und lächelte Karl Rosenberg sehr lieb an.

Der schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube inzwischen, daß ich tatsächlich eifersüchtig bin.«

»Denkst du, weil du von Eifersucht sprichst, auch schon mal an deine Frau, wenn du bei mir bist?«

Karl Rosenbergs Gesichtsausdruck war plötzlich ein anderer als vorher. »Ich versuche, so wenig wie möglich an meine Frau zu denken, wenn ich bei dir bin.«

»Gelingt es dir?«

Rosenberg nickte lächelnd. »Du bist derart leidenschaftlich und temperamentvoll, daß ich an nichts anderes als an dich denke, wenn ich bei dir bin.«

»Schläfst du gerne mit mir?« Eva-Maria Hübner konnte über derartige Dinge ganz locker reden.

»Das Miteinanderschlafen habe ich nie so erlebt wie mit dir«, murmelte Karl Rosenberg, dann vergrub er sein Gesicht an Eva-Marias Hals. »Ich habe auch nie eine Frau gehabt, die so reagiert hat wie du und…!«

»… deshalb interessiert dich, ob ich vorher Männer hatte, bei denen ich ähnliche Reaktionen hervorgerufen habe?« Eva-Maria stützte sich auf den Ellenbogen, nahm Karl Rosenbergs Gesicht in ihre Hände und küßte ihm sehr zärtlich auf beide Mundwinkel. »Es gab in meinem ganzen Leben außer dir nur einen Mann von Bedeutung. Ihn habe ich wirklich geliebt und… na ja, er ist nicht mehr da, dafür bist du jetzt da.«

»Magst du mich denn auch ein wenig?« Karl Rosenberg sah seine Kollegin ängstlich an.

»Du Dummer…!« Eva-Maria nahm die Bettdecke und legte sie ein Stück beiseite. Dann küßte sie Rosenberg auf die Brust. »Hast du vergessen, daß ich dich angemacht habe? Und wie sehr du dich anfangs dagegen gewehrt hast? Meinst du, ich hätte mich derart um dich bemüht, wenn ich nicht verliebt in dich gewesen wäre?«

»Wäre? Bist du es nicht mehr?« Karl Rosenberg zeigte alle Symptome eines Mannes, der meinte, die Frau an seiner Seite nicht zufriedenstellen zu können.

»Aber, Karl…!« Die hübsche Anästhesistin schmiegte sich an ihren Kollegen und küßte ihm sehr lieb auf die Lippen. »Ich wüßte keinen Mann, mit dem ich momentan lieber zusammen wäre. Ich hab’ dich wirklich sehr lieb, du hast alles, was ich brauche, du bist sehr zärtlich, verstehst es, meine Gefühle zu wecken, und mein Körper reagiert wunderbar auf dich.«

»Bestimmt?«

»Aber ja.« Eva-Maria sah auf die Uhr. »Wann beginnt dein Dienst?«

Die beiden waren in Eva-Maria Hübners Apartment in der Bergklinik. Wie viele ihrer Kollegen bewohnte sie dort ein Apartment, um bei den Nachteinsätzen und Bereitschaftsdiensten eine gescheite Möglichkeit zu haben unterzukommen.

»Willst du mich loswerden?« Dr. Rosenberg war an jenem Morgen nicht gerade mit viel Selbstbewußtsein ausgestattet.

Das sagte dann auch Eva-Maria zu ihm. »Lieber Karl, du solltest dich einmal beruflich mit dir selbst befassen. Ich meine, du bist ja Psychologe, und manche Dinge solltest du zuerst einmal bei dir selbst in Ordnung bringen.«

»Ich möchte mit dir schlafen.«

»Jetzt?« Eva-Maria sah ihren Kollegen entgeistert an.

Der nickte. »Ja.«

Gerade als Eva-Maria ablehnen wollte, läutete das Telefon, und sie war froh, zumindest zuerst einmal nicht antworten zu müssen.

Das Telefon stand gleich neben ihrem Bett. Sie nahm den Hörer ab und meldete sich.

»Ja… Hübner…?«

»Hier ist die Pforte«, sagte eine Schwester. »Frau Doktor, hier ist ein junger Mann für Sie.«

»Ein junger Mann für mich«, fragte Eva-Maria, am liebsten hätte sie gesagt, her mit ihm, doch sie sah Karl Rosenbergs aufmerksames Gesicht neben sich und antwortete: »Das muß ein Irrtum sein, ich erwarte keinen jungen Mann.«

»Er will aber ausdrücklich zu Ihnen…!«

»Wie heißt er denn?«

»Ich hab den Namen nicht richtig verstanden.«

»Dann fragen Sie ihn doch.«

»Das geht nimmer«, sagte die Schwester an der Pforte. »Er ist schon auf dem Weg zu Ihnen.«

»Wie bitte?« Eva-Maria atmete tief durch.

»Es könnt’ sein, daß er Bauer geheißen hat«, sagte die Schwester dann.

Im gleichen Moment klingelten bei Dr. Hübner die Alarmglocken.

»Rainer Bauer«, fragte sie, »hat er Rainer Bauer gesagt?«

»Ich glaub’ schon…!«

»Danke.« Eva-Maria legte den Hörer auf und sprang aus dem Bett. »Rasch, Karl«, drängte sie dann, »ich bekomme Besuch. Bei allen Heiligen, er ist schon unterwegs. Mach doch bitte voran. Ich möchte nicht, daß du hier noch im Bett liegst, wenn mein Besuch kommt.«

Karl Rosenberg verstand Eva-Marias Hektik nicht, denn bisher war immer er der Hektiker gewesen.

»Wieso hast du es denn plötzlich so eilig?« fragte er. »Kann dein Besuch denn nicht unten warten, bis wir fertig sind und du hinuntergehst?«

»Jetzt bitte keine Diskussionen.« Plötzlich hatte Eva-Maria Hübners Stimme einen anderen Klang und zwar einen, der keinen Widerspruch zuließ.

Sie kam inzwischen schon aus dem Bad, hatte eine Katzenwäsche hinter sich und drängte Rosenberg, sich bitte sehr rasch anzukleiden.

»Herrschaftszeiten, Karl«, blaffte sie ihn an, »wieso trödelst du denn so?«

»Wer ist denn dieser Rainer Bauer?« fragte Rosenberg, während er in aller Ruhe die Socken anzog.

»Wenn du nicht in einer Minute fertig bist«, erwiderte Eva-Maria, »dann werf ich dich in Unterhosen hinaus.« Ihre Stimme klang dabei so, daß Rosenberg befürchtete, sie würde ernst machen.

»Also dann, bis später«, sagte die hübsche Anästhesistin kurz darauf, dann schob sie Karl Rosenberg aus der Tür ihres Apartments, nachdem sie sich vorher auf dem Gang umgesehen hatte, daß draußen gerade niemand vorüberging.

Als sie die Tür von innen wieder schloß, lehnte sie sich einen Augenblick gegen die Wand und schloß die Augen, dann ging sie ins Bad und versuchte, sich ein wenig herzurichten.

Welch ein Zufall, dachte sie, monatelang hab’ ich nicht an Rainer gedacht, und als Karl mich nach den Männern in meinem Leben fragt, da taucht er auf.

Was sie Karl Rosenberg nicht gesagt hatte: Rainer Bauer war der Mann in Eva-Maria Hübners Leben, der dort den meisten Platz gefunden hatte…!

*

Rainer Bauer war vierzig Jahre alt, wirkte ein wenig müde, sah auch nicht besonders frisch aus, und auf die Schwester an der Pforte machte er den Eindruck eines Mannes, der die ganze Nacht hinter dem Steuer seines Wagens gesessen hatte.

»Sie wollen zu Frau Dr. Hübner?« fragte sie, dann zeigte sie auf die Uhr über der Anmeldung. »Dafür ist es noch ein bisserl früh.«

Bauer war groß und ausgesprochen schlank, ja fast hager. Er hatte schütteres Haar, hohe Wangenknochen und ganz schmalgliedrige Hände. Er sah zur Uhr, deren Zeiger gerade auf halb sieben umsprang, dann sah er wieder die Pfortenschwester an.

»Ist Frau Dr. Hübner noch nicht da?« wollte er wissen, »wann beginnt denn ihr Dienst?« Seine Stimme paßte nicht zur anderen Erscheinung, denn sie ließ eher einen kräftigen Mann erwarten.

»Frau Doktor hat Bereitschaft«, antwortete die Schwester. »Sie ist also im Haus.«

»Dann können Sie sie doch anrufen.«

Doch die Schwester schüttelte sofort den Kopf. »Das geht unter gar keinen Umständen. Ich kann Frau Doktor nicht ohne triftigen Grund wecken.«

»Sie schläft hier?«

»Ja, sie hat ein Apartment hier.«

»Dann rufen Sie doch bei ihr an und sagen Sie, daß ich komme. Mein Name ist Rainer Bauer.«

»So geht das nicht.« Die Schwester an der Pforte wurde nervös, zumal Rainer Bauer sich umdrehte und auf der Tafel mit den Hinweisen nach den Ärzteapartments sah.

Dann drehte er sich wieder zu ihr um.

»Liebe Schwester«, sagte er. »Ich bin ein langjähriger Bekannter von Frau Hübner. Sie würd’ Ihnen nie verzeihen, wenn Sie ihr nicht Bescheid geben würden, daß ich da bin. Die Uhrzeit spielt da keine Rolle, ganz im Gegenteil, je früher sie weiß, daß ich da bin, desto besser.«

Nur zögernd griff die Schwester nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer von Eva-Maria Hübners Apparat. Dann sprach sie mit der Ärztin, und während des Gesprächs merkte sie, daß der so übermüdet aussehende Mann nicht mehr da war, was sie Dr. Hübner sagte.

Die hatte sich noch nicht die Haare glattgestrichen, als es an die Tür des Apartments klopfte, und als sie öffnete, stand Rainer Bauer vor ihr.

Die beiden sahen sich ungewöhnlich lange an, dann zeigte Rainer mit einer Kopfbewegung Richtung Gang.

»Der Typ, der gerade aus dem Apartment verschwunden ist«, fragte er, »ist er deine jetzige Beziehung?« Er hatte also Karl Rosenberg noch gesehen.

Am liebsten hätte Eva-Maria Rainer Bauer sofort wieder weggeschickt und es dauerte auch eine Weile, bis sie die Tür freigab und ihn hereinbat. Dort sah es noch so aus, wie es in einem kleinen Apartment halt aussieht, in dem zwei Menschen die Nacht miteinander verbracht haben.

Ohne näher darauf einzugehen und ohne auf seine Frage nach Karl Rosenberg zu antworten, räumte Eva-Maria ein wenig zusammen und bat dann ihren überraschenden Besuch, Platz zu nehmen.

Noch bevor sie ihn fragte, ob er einen Kaffee wolle, fragte sie: »Was willst du eigentlich hier…?« Mit dieser Frage brachte sie auf den Punkt, was ihr seit der Ankündigung, Rainer Bauer stehe in der Aufnahme der Bergklinik, durch den Kopf ging.

»Ich wollte dich mal besuchen«, antwortete der, »wenn du mich nicht sehen willst, verschwinde ich auf der Stelle wieder. Ich trinke einen Kaffee und bin wieder weg. Dann werde ich endgültig Vergangenheit für dich sein.«

»Bist du nur gekommen,weil du mich sehen wolltest?« Offensichtlich glaubte Eva-Maria Rainer nicht.

Er hatte sie im Laufe ihrer Bekanntschaft und Beziehung immer wieder um Geld angepumpt, und wie er jetzt aussah, konnte das nun wieder der Fall sein. Eva-Maria hatte mal zusammengerechnet, annähernd zwanzigtausend Mark hatte Rainer sich im Lauf der Jahre bei ihr geliehen, das Geld schuldete er ihr heute noch.

»Reicht es nicht, dich sehen zu wollen?« fragte er und lächelte sie dabei amüsiert an.

Die hübsche Anästhesistin kannte ihren ehemaligen Liebhaber gut genug, um zu wissen, daß er sich schämte, was er jedoch niemals zugegeben hätte. Rainer Bauer war immer ein Mann gewesen, der sich stets genommen hatte, was er haben wollte. Um Dinge zu bitten, hatte er nie gelernt.

»Möchtest du Kaffee und ein paar Semmeln?« fragte sie. »Ich mein’, möchtest du mit mir frühstücken?«

Nach kurzem Überlegen nickte Rainer, dann fragte er: »Hätte sonst derjenige mit dir gefrühstückt, der vorhin dein Apartment so überstürzt verlassen hat?«

»Karl?« Eva-Maria nickte. »Ja, wir hätten wahrscheinlich noch zusammen gefrühstückt.«

»Ist er dein… deine jetzige Beziehung?« Rainer Bauer ließ Eva-Maria nicht aus den Augen.

»Hast du ein Recht, das zu fragen?« erwiderte sie.

Es dauerte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf.

»Nein«, sagte er dann, »habe ich nicht…!«

»Dann hol’ ich jetzt das Frühstück«, sagte sie und zeigte auf das Bad. »Wenn du dich ein bisserl frisch machen möchtest, dort kannst du es. Du siehst ziemlich mitgenommen und übermüdet aus. Wenn du möchtest, kannst du dich nachher auch ein wenig hinlegen, nebenan steht eine Couch.«

Als sie zwanzig Minuten später zurückkam, brachte sie auf einem Tablett Frühstück für zwei mit Kaffee, Tee, Semmeln, Honig, den Rainer immer gerne gegessen hatte, reichlich Milch und Frischkäse, den er besonders gemocht hatte.

Als er es bemerkte, wurde er verlegen und sagte: »Du hast es also nicht vergessen?«

Eva-Maria lächelte. »So was kann man nicht vergessen.«

»Und sonst?« fragte er dann. »Hast du sonst was vergessen?«

»Das Unschöne vergißt man rasch«, antwortete Eva-Maria Hübner, »die menschliche Psyche ist so eingerichtet. Wenn sie es nicht wäre, dann würde sie nicht existieren können. In der Erinnerung bleibt meistens nur das Schöne haften.«

»Dann hast du das weitaus meiste aus unserer gemeinsamen Zeit sicher vergessen…!« Rainer Bauers Mundwinkel umspielte ein unsicheres Lächeln.

»Warum bist du damals gegangen?« Diese Frage hatte Eva-Maria sich anfangs hundertmal gestellt, und seit die Pforten-Schwester bei ihr angerufen hatte, um Rainer zu melden, war die Frage wieder präsent gewesen. So, als sei er gerade erst aus ihrem Leben gegangen und nicht vor annähernd fünf Jahren.

Bauer legte seinen angebissenen Semmel beiseite und wischte sich mit einer Serviette die Mundwinkel ab.

»Müssen wir das jetzt besprechen?« fragte er. »Ich… ich werde dir alles erzählen. Aber bitte nicht jetzt. Später kannst du mich fragen, was du willst, und ich werde dir antworten.«

Eva-Maria sah, daß er es ehrlich meinte. Sie kannte seine Mimik immer noch gut, er konnte ihr nichts vormachen.

Eva-Maria nickte. »Wir können später reden«, und sie fügte hinzu: »Wenn ich es dann noch will.«

Bauer lächelte unfroh und murmelte: »Das Risiko muß ich eingehen.«

»Wenn du möchtest«, wechselte die Narkoseärztin das Thema, »dann kannst du für ein paar Tage hier in der Bergklinik unterkommen.«

»Aber nicht hier bei dir?« Bauers Mundwinkel umspielte ein amüsiertes Lächeln.

Eva-Maria ging auf die Bemerkung gar nicht ein, sondern erklärte, daß für Angehörige von Patienten die Möglichkeit bestehe, für ein paar Tage gescheit unterzukommen.

»Man bietet dir die Möglichkeit auch«, sagte sie und sah ihren Besucher fragend an. »Wenn du also möchtest, dann lasse ich dir ein Apartment reservieren.«

Bauer nickte sofort. »Das wäre sehr nett. Ein paar Tage möchte ich schon bleiben, wenn…«, er räusperte sich, »ich mein’, wenn es dir recht ist.«

»Das ist schon okay so«, erwiderte Eva-Maria, »ich hätte es dir ja nicht anbieten müssen.«

*

Karl Rosenberg hatte Rainer Bauer nicht mehr gesehen, als er Eva-Marias Apartment so rasch verlassen hatte. Er war auf Umwegen ins Sanatorium gegangen, hatte sich dort erst mal ordentlich hergerichtet und war erst dann auf der Station erschienen.

Am Vormittag gab es zwei Neuzugänge, die Rosenberg aber nicht selbst aufnahm, was er sonst stets tat, sondern er ließ die Eingangsgespräche von einem Assistenten vornehmen.

Nervös wie selten ging er über die Stationen, hinterließ jedesmal, wo er anschließend zu finden sein würde, um ja präsent zu sein, falls Eva-Maria ihn suchen sollte.

Mittags war er derart rappelig, daß er zuerst im OP-Trakt anrief und Eva-Maria sprechen wollte, und dann, weil sie nicht im OP war, rief er auf der Intensivstation an. Dort erfuhr er von einer Schwester, daß die Chefin sich drei Tage freigenommen habe.

Jetzt war es mit der Ruhe Karl Rosenbergs vollkommen vorbei. Er ließ sich sogar mit Dr. Trautner verbinden und fragte ihn, ob er wisse, warum die Kollegin Hübner drei Tage freigenommen habe.

Aber Dr. Trautner wußte nichts davon, wohl aber, daß es zwischen Rosenberg und Eva-Maria Hübner ein kleines Techtelmechtel zu geben schien, weshalb er nach Carola Rosenberg fragte, wohl in der Hoffnung, den Leiter des Sanatoriums so wieder auf jenen Pfad zurückzuführen, den Trautner als den richtigen ansah.

Am späten Nachmittag war Dr. Rosenberg so gescheit wie am Morgen, als er Eva-Marias Apartment so überhastet verlassen hatte. Er ging in sein Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und begann nachzudenken.

Nach einer guten Weile kam er zu dem Entschluß, nichts mehr zu unternehmen, weil er im Begriff war, sich vollends und für alle sichtbar lächerlich zu machen.

Kaum hatte er dies beschlossen, klingelte das Telefon, und Eva-Maria war am Apparat.

»Ich wollte nur wissen, wo du bist«, sagte sie, »ich komme rasch zu dir, ich hab’ ein paar Dinge mit dir zu besprechen. Bleib bitte, wo du bist.«

Kaum hatte er den Hörer zurück auf die Gabel gelegt, war Karl Rosenberg wieder so rappelig wie vorher und er fragte sich, was Eva-Maria von ihm wolle.

Wenige Minuten später erfuhr er es. Die attraktive Narkoseärztin betrat ohne anzuklopfen sein Ärztezimmer, kam auf ihn zu und sah ihn eindringlich an.

»Du rennst hinter mir her wie ein Huhn ohne Kopf«, sagte sie. »Einerseits macht mich das froh, weil ich deine Anhänglichkeit zu schätzen weiß, doch diesmal hat deine Anhänglichkeit einen unguten Grund, du bist eifersüchtig.«

»Weil du mir Gründe gibst, eifersüchtig zu sein«, erwiderte Rosenberg.

»Welchen Grund, eifersüchtig zu sein, habe ich dir gegeben?« wollte Eva-Maria daraufhin wissen.

»Du hast Besuch bekommen«, antwortete der Leiter des Bergklinik-Sanatoriums, »und zwar von einem jungen Mann. Du warst total überrascht, als man dich angerufen hat, und du hast mich danach mehr oder weniger hinausgeworfen.«

Eva-Maria nickte. Sie wußte nun, daß die Sache nicht mit ein paar Worten aus der Welt zu schaffen war. Ihre Beziehung zu Karl Rosenberg war inzwischen sehr weit fortgeschritten, viel weiter, als sie je vermutet hätte. Das sagte sie zu ihm.

»Wir sind offensichtlich viel enger miteinander verbunden, als ich gedacht habe«, sagte sie.

»Ich weiß schon, wie nah ich an dir bin«, erwiderte Rosenberg.

»Du machst dir was vor, Karl…!«

»Wieso? Weil ich mehr in unsere Beziehung investiert habe als du?«

»Ich könnte mit einer einzigen Frage dein Kartenhaus von Illusionen in sich zusammenfallen lassen.«

Rosenberg räusperte sich. »Du meinst, warum ich mich dann noch nicht von meiner Frau getrennt habe? Das kann ich dir sagen, weil sie krank ist und es nicht verkraften würde.«

Eva-Maria lächelte. »Es ist schon interessant, wie bei dir immer alles zusammenpaßt. Aber das nur nebenher, außerdem möchte ich gar nicht, daß du dich von deiner Frau trennst.«

Daraufhin kam Rosenberg zum Kern der Unterhaltung.

»Wer ist dieser… dieser junge Mann?« fragte er. »Ist es Zufall, daß wir uns heute morgen über ihn unterhalten haben? Ist er einer deiner ehemaligen Liebhaber?«

Eva-Maria wich für einen Moment Rosenbergs eindringlichem Blick aus, dann sah sie ihn wieder an und nickte.

»Ja, ich war einige Zeit mit Rainer zusammen«, sagte sie, »er ist aber nicht irgendein Freund, sondern d e r Freund.«

»Er ist derjenige, den du geliebt hast?« Es sah so aus, als wäre Rosenberg um die Nase herum ein wenig blasser geworden.

Eva-Maria nickte und stand auf. »Ja, derjenige ist er.«

»Und was will er jetzt von dir…?«

»Soweit sind wir in unserer Unterhaltung noch nicht gekommen.«

»Er muß dir doch gesagt haben, was er von dir will.«

»Er hat gesagt, daß er mich besuchen will.«

»Das ist alles?« Rosenberg sah seine Kollegin ungläubig an.

»Mehr kann ich dir nicht sagen«, antwortete diese. Dann lächelte sie Rosenberg sehr lieb an. »Karl, du mußt dir keine Sorgen machen, ganz bestimmt nicht.«

»Heißt das, daß du ihn wegschicken willst?«

»Nein, das heißt es nicht. Er wird ein paar Tage bleiben, und wenn ich den wahren Grund für Rainers Hiersein kenne, werde ich ihn dir mitteilen.«

»Schick ihn weg…!« Karl Rosenberg hatte inzwischen eine Leidensmiene aufgesetzt.

Eva-Maria schüttelte den Kopf. »Nein, das werde ich nicht tun, und wenn du mich kennen würdest, wüßtest du, daß dies das sicherste Zeichen dafür ist, daß ich mich inzwischen gefühlsmäßig weit genug von Rainer entfernt habe.«

Einen Augenblick sahen die beiden sich an, dann wandte Karl Rosenberg den Blick ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schien demonstrieren zu wollen, daß er mit dem, was Eva-Maria gesagt hatte, nicht einverstanden war.

Sie verzog daraufhin ein wenig das Gesicht, es sah für einen winzigen Moment so aus, als habe sie Tränen in den Augen, dann drehte sie sich um und verließ das Ärztezimmer des der Bergklinik angeschlossenen Sanatoriums.

*

»Sie wirken reichlich unkonzentriert, Frau Kollegin.« Professor Clemens Stolzenbach lächelte Eva-Maria Hübner freundlich an. »Sollte es mit dem Besuch jenes jungen Mannes zu tun haben, der seit drei Tagen im Angehörigenteil des Apartmenthauses einquartiert ist?«

Mit einem Blick überprüfte Eva-Maria die Werte des Patienten, dessen Narkose sie vor einer halben Stunde eingeleitet hatte und die sie nun überwachte.

»Es wäre schön, wenn Sie sich auf Ihren Teil der Arbeit beschränken würden, Professor«, konterte die überaus adrette Anästhesistin. »Tun Sie Ihre Arbeit, und mich lassen Sie meine Arbeit tun, damit sind wir bisher recht gut gefahren.«

Clemens Stolzenbach und Eva-Maria Hübner redeten während einer Operation oft in einem solchen Tonfall miteinander, doch was sonst stets zu einer entspannten Atmosphäre führte, schien diesmal eine gewisse Spannung aufzubauen, zumal Stolzenbach nachsetzte.

Gerade als er die letzte Naht des Patienten vernäht hatte, sagte er: »Ich kenne jemand, dem dürfte es gar nicht recht sein, daß Sie Besuch bekommen haben.«

Einen Augenblick war es mucksmäuschenstill im OP, nur das Beatmungsgerät pumpte gleichmäßig Luft in die Lungen des narkotisierten Patienten.

»Und ich kenne einen«, erwiderte Dr. Eva-Maria Hübner mit scharfer Stimme, »der sollte besser nachdenken, bevor er dummes Zeug erzählt.« Dann übergab sie mit wenigen leisen Worten den Patienten einer Assistentin und verließ den OP.

Stolzenbach stand einen Augenblick unschlüssig da, dann sah er seinen persönlichen Assistenten, Dr. Wolfgang Schröder, an. »Meine Bemerkung war wohl absolut unpassend, wie?«

Schröder wollte dem nicht zustimmen, obwohl er schon der Ansicht war, daß die Bemerkung seines Chefs völlig fehl am Platz gewesen war.

»Kommen Sie, Schröder«, forderte Stolzenbach seinen Assistenten auf. »Sie wissen, daß Sie sich bei mir immer eine eigene Meinung leisten konnten. Daran hat sich nichts geändert.«

»Ihre Bemerkung war verletzend«, sagte Dr. Schröder daraufhin.

Clemens Stolzenbach atmete tief durch und nickte. »Danke für Ihre Offenheit.«

Dann verließ er den OP, ließ sich im Vorraum des OPs von einer Schwester aus dem Kittel helfen, legte Mundschutz und Haube ab und ging dann zum Aufwachraum der Intensivstation, wie nach jeder anderen Operation, die er geleitet hatte, auch.

Doch diesmal wollte er nicht nur nach dem Patienten sehen, sondern er suchte Eva-Maria Hübner. Als er sie sah, wirkte sie sehr kühl und abweisend.

»Es tut mir leid«, sagte Stolzenbach, »ich entschuldige mich. Ich habe es so dahergeredet und nicht nachgedacht. Es war eine sehr unschöne Bemerkung.«

Dr. Hübner reagierte zuerst nicht, nach einer Weile huschte dann ein Lächeln um ihre Mundwinkel, dann nickte sie.

»Na ja«, sagte sie schließlich, »ich denke, eine dumme Bemerkung pro Tag steht uns allen zu. Vergessen Sie nur nicht, daß Sie Ihren Bonus für heute aufgebraucht haben.«

Stolzenbach nickte. »Danke für Ihre Absolution.« Nach kurzem Zögern fragte er: »Haben Sie durch Ihren Besuch irgendwelche Probleme?«

»Nicht mehr, als Sie hätten, wenn eine Ihrer Ehemaligen auftaucht, Herr Kollege«, antwortete die hübsche Narkoseärztin.

»Oh…!« Professor Stolzenbach verzog das Gesicht. »In diesem Punkt kann ich Ihnen sehr gut nachfühlen.«

»Das denk’ ich mir«, erwiderte Eva-Maria Hübner, die ihre gewohnte Schlagfertigkeit wiedererlangt hatte. »Monika Gratlinger soll ja dabei sein, in München Fuß zu fassen. Man sieht sie öfter in wechselnder Begleitung.«

Clemens Stolzenbach starrte seine Anästhesie-Kollegin konsterniert an, räusperte sich und fragte, woher sie das wisse.

»Wissen Sie es etwa nicht?« erwiderte Eva-Maria. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. »Aber Sie verfügen doch über allerbeste Kontakte nach München. Was ist los mit Ihnen, Professor? Funktioniert die Nachrichtenübermittlung etwa nicht mehr?«

»Ich hab’ mich bei Ihnen entschuldigt«, sagte Stolzenbach, der annahm, Eva-Marias Reaktion sei eine Retourkutsche auf das von ihm im OP Gesagte.

Seine Kollegin nickte. »Das hab’ ich mitbekommen, aber es reicht oft nicht, sich zu entschuldigen. Wenn erst mal Öl ins Feuer gegossen ist, hilft Wasser hintergießen in manchen Fällen nicht.« Dann drehte sie sich um und ließ ihn stehen.

Natürlich dachte Stolzenbach nun an Monika Gratlinger, mit der er eine Zeitlang sehr eng liiert gewesen war und die inzwischen ihr Studium beendet hatte. Zu aller Überraschung hatte sie nach dem Studium jedoch nicht in der Bergklinik begonnen, sondern war nach Heidelberg ins Krebsforschungszentrum gewechselt. Vor einigen Wochen war dann die Nachricht, Monika sei von ihrem Heidelberger Chef, einem mehrfachen Vater, schwanger, wie eine Bombe eingeschlagen.

Obwohl Clemens Stolzenbach sich inzwischen neu orientiert hatte und längst mit Laura Lorenzen liiert war, weil Monika ganz offensichtlich auch andere Wege gegangen war, hatte sie ihm vor nicht mal zwei Wochen eine Szene gemacht und mehr oder weniger ihm die Verantwortung für ihre Situation übertragen wollen.