Die besten Ärzte - Sammelband 16 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 16 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1781: Denn niemand weiß, was morgen ist
Notärztin Andrea Bergen 1260: Das Leuchten in deinen Augen...
Dr. Stefan Frank 2214: Talfahrt ins Glück
Dr. Karsten Fabian 157: Kein Mitleid mit dem Herzensbrecher!
Der Notarzt 263: Was so fröhlich begann ...

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 620

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2013/2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © Bastei Verlag/v. Sarosdy ISBN 978-3-7325-9185-5

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ulrike Larsen, Karin Graf

Die besten Ärzte 16 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1781Es ist nicht immer leicht für Katrin Maiwald, mit ihrer Tante Frieda unter einem Dach zu leben, denn die neunundfünfzigjährige Frühpensionärin ist oft unleidlich und nörgelig und macht ihren Mitmenschen das Leben schwer. Ewiger Streitpunkt zwischen Tante und Nichte ist Katrins Freund Ben, den Frieda für wenig vertrauenswürdig hält. Katrin hingegen liebt ihren Freund und zweifelt nicht an der Ehrlichkeit seiner Gefühle. Da wird Tante Frieda schwer krank und muss sich einer äußerst komplizierten Schädel-Operation unterziehen. Weil sie nicht weiß, ob sie den Eingriff überleben wird, ruft sie Katrin an ihr Krankenbett. Jetzt ist die Stunde für ein erschütterndes Geständnis ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1260Mit aufgeregt klopfendem Herzen hält der junge Julian Rodewald Ausschau nach der hübschen Valerie, der Frau, die einst sein Ein und Alles war. Um seiner beruflichen Karriere nicht im Weg zu stehen, hat sie sich von ihm getrennt - doch sie hat nie aufgehört, ihn zu lieben! Seitdem Julian das weiß, hofft er, Valerie zurückgewinnen zu können. Und deshalb ist er heute an die Rheinauen gekommen, um die lange ersehnte Aussprache mit ihr herbeizuführen... Als Valerie auf ihrem Wallach Jonas endlich um die Wegbiegung kommt, springt Julian freudestrahlend auf und winkt mit seiner roten Jacke. Doch das Strahlen auf Valeries Gesicht bleibt aus! Stattdessen huscht ein Ausdruck des Entsetzens über ihre Züge, als ihr Pferd auf die Hinderbeine steigt und sie in hohem Bogen aus dem Sattel wirft! Ein Schmerzensschrei entringt sich ihrer Kehle, als ihr Kopf auf einen Stein am Ufer prallt. Dann bleibt alles still - gespenstisch still...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2214Als die hübsche Ina im Skiurlaub der Liebe begegnete, "Ich hoffe ja, dass wir die drei Männer von der Talstation wieder treffen", sagte Dora mit einem verschwörerischen Lächeln. "Ich nehme den großen Blonden mit den lachenden grünen Augen, und für dich habe ich den gut gebauten Schwarzhaarigen mit dem markanten Gesicht vorgesehen." - "Mein Dorchen ist wie immer auf Männersuche! Es wird wirklich Zeit, dass dir mal der Richtige über den Weg läuft. Was ist denn mit Nummer drei?", fragte Ina belustigt. "Für wen hast du den vorgesehen?" - "Nun, der sieht auch ganz gut aus. Er hat braune lockige Haare, aber darauf stehen wir ja beide nicht so, oder?" Ina muss der Freundin recht geben, und so entscheidet sie sich für den attraktiven Mann mit dem schwarzen Haar - ein fataler Fehler, denn Torsten ist nur auf eins aus: Inas Vermögen!Jetzt lesen
Ulrike LarsenDr. Karsten Fabian - Folge 157Meike Reeder und Roman Thorau sind seit Langem ein Paar, und alle im Dorf rechnen damit, dass in Kürze Hochzeit gefeiert wird. Die beiden passen gut zueinander, und Meike glaubt, sich immer auf Roman verlassen zu können - bis die attraktive Janina in Altenhagen auftaucht und dem jungen Heidebauern den Kopf verdreht. Tief verletzt zieht sich die scheue Meike zurück, als Roman offiziell die Verlobung löst und mit Janina ein neues Leben beginnen will. Als jedoch Romans Vater einen Schlaganfall erleidet und von einem Tag auf den anderen zum Pflegefall wird, zeigt sich Janinas wahres Gesicht ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 263Notarzt Peter Kersten ist alles andere als begeistert, als in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik plötzlich eine Abteilung für Plastische Chirurgie eröffnet werden soll. Maximilian Rainer, der neue Kollege und Leiter dieser Abteilung, hat nämlich von höchster Stelle zugesichert bekommen, dass ihm beim Aufbau seiner Station alle Wünsche erfüllt werden müssen. Scheinbar rücksichtslos macht der Arzt für Plastische Chirurgie von seinem Recht Gebrauch: Ausgerechnet zwei von Peters fähigsten Mitarbeiterinnen in der Notaufnahme fordert er als Unterstützung für seine Station. Dass sowohl Peter als auch die beiden Frauen energisch protestieren, hält ihn nicht davon ab, seinen Willen durchzusetzen. Natürlich spricht sich dieses Verhalten in der Klinik herum, sodass Maximilian von seinen Kollegen konsequent geächtet und ignoriert wird. Niemand ahnt, dass er ein Geheimnis mit sich herumträgt, das sein Verhalten erklären könnte, denn der junge Mann tut alles, damit niemand davon erfährt. Schließlich kommt der große Tag: Mit einem rauschenden Gartenfest im Klinikpark soll die neue Station offiziell eröffnet werden. Anfangs läuft alles nach Plan, die Gäste feiern fröhlich. Aber dann tritt eine Gestalt hinter einem Busch hervor, und plötzlich geht es nicht mehr um Nasenkorrekturen oder Brustvergrößerungen - sondern um Leben und Tod ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Denn niemand weiß, was morgen ist

Vorschau

Denn niemand weiß, was morgen ist

Vor der schweren Operation gibt Katrin ihrer Tante ein Versprechen

Von Katrin Kastell

Es ist nicht immer leicht für Katrin Maiwald, mit ihrer Tante Frieda unter einem Dach zu leben, denn die neunundfünfzigjährige Frühpensionärin ist oft unleidlich und nörgelig und macht ihren Mitmenschen das Leben schwer. Ewiger Streitpunkt zwischen Tante und Nichte ist Katrins Freund Ben, den Frieda für wenig vertrauenswürdig hält. Katrin hingegen liebt ihren Freund und zweifelt nicht an der Ehrlichkeit seiner Gefühle.

Da wird Tante Frieda schwer krank und muss sich einer äußerst komplizierten Schädel-Operation unterziehen. Weil sie nicht weiß, ob sie den Eingriff überleben wird, ruft sie Katrin an ihr Krankenbett. Jetzt ist die Stunde für ein erschütterndes Geständnis …

Wenn ich genug Mut hätte, würde ich sie erwürgen, dachte Katrin und biss sich so fest auf die Lippen, dass es schmerzte. Im nächsten Moment ließ der Zorn schon etwas nach. Noch einmal ganz tief durchatmen und jetzt bloß nichts äußern, was ihr später leid tun könnte.

Es blieb ihr nun mal nichts anderes übrig, als Frieda so zu nehmen, wie sie eben war – weiß Gott keine leichte Prüfung. Aber der Mensch wuchs ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.

„Wie du meinst, Tante Frieda“, sagte sie betont locker. „Wenn du den Kuchen nicht magst, lässt du ihn einfach stehen. In diesem Haus wird niemand gezwungen, etwas zu essen, was ihm nicht schmeckt.“

„Ich habe schon mehrfach erklärt, dass Streuselkuchen ein furchtbar langweiliges Gebäck ist. Und dieser hier …“ Frieda griff nach dem Teller, hielt ihn direkt vors Gesicht und betrachtete ihn mit giftigen Blicken. „… ist auch noch von gestern. Dann schmeckt er erst recht scheußlich.“

„Okay, er ist nicht mehr ganz frisch, lass ihn einfach stehen. Ben wird ihn sicher noch gern verspeisen.“

„Ich möchte aber was Süßes zum Kaffee.“

„Im Schrank sind noch verpackte Kekse“, erklärte Katrin ungerührt. Zum Glück hielt sich ihre Empörung nie lange. So schnell sie aufflammte, so rasch legte sie sich wieder. Im Grunde ihres Herzens war sie nicht nachtragend, auch wenn Frieda sie manchmal in den Zustand der Weißglut trieb.

„Kommt dein Freund etwa heute noch?“, erkundigte sich die Neunundfünfzigjährige mit dem gewissen Lauerton in der Stimme, in den sie immer dann verfiel, wenn sie von Ben sprach.

„Hast du was dagegen?“, konterte Katrin und brachte sogar ein Lächeln zustande.

„Nun, ihr könnt euch natürlich so oft treffen, wie ihr wollt. Ihr seid ja beide erwachsen“, teilte Frieda ungerührt mit, während sie prüfend ihre Fingernägel betrachtete. „Aber ich finde, ein Mädchen sollte sich rar machen. Das sagte meine Mutter auch immer. Ich habe mich stets daran gehalten.“

Und deshalb hast du keinen gefunden und bist heute allein, dachte Katrin.

„Und überhaupt, was findest du nur an diesem Burschen?“ Da Katrin nicht antwortete, gab Frieda gleich noch eine Bewertung ab. „Ihr passt doch gar nicht zusammen.“

„Lieb von dir, dass du dich um meine Herzensangelegenheiten sorgst, aber die nehme ich schon selbst in die Hand.“ Die Ironie in Katrins Kommentar war unüberhörbar, doch ihre Tante überhörte sie einfach, stand auf und verschwand türenschlagend in ihrem Zimmer.

Hoffentlich bleibt sie dort eine Weile, dachte Katrin. Aufseufzend ließ sie sich am Tisch nieder. Das Leben mit der Schwester ihres verstorbenen Vaters war wirklich kein Zuckerschlecken. Ständig hatte Frieda etwas zu kritisieren.

Waren es ausnahmsweise einmal nicht die Eigenschaften ihrer Nichte, schimpfte Frieda auf alles, was ihr gerade so unterkam, auf die Politik, die Nachbarn, die Preise im Supermarkt und schließlich auch auf das Wetter, das nie so war, wie sie es gern gehabt hätte. Alles, was sie im Alltag erlebte und erdulden musste, empfand sie als eine gegen sie persönlich gerichtete Gemeinheit. Selbst die Unpünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel, die sie ohnehin nur höchst selten benutzte, regte sie zu endlosen Schimpfkanonaden an.

Einmal hatte sie wütend erklärt, ab jetzt nur noch schwarz zu fahren.

„Für einen so schlechten Service gebe ich kein Geld mehr aus.“

„Dann lass dich bloß nicht erwischen“, hatte Katrin ihr geraten. „Dann sind nämlich sechzig Euro fällig. Da kommt dich eine gelöste Fahrkarte billiger.“

Liebend gern hätte Katrin die Tante vor die Tür gesetzt, aber das ging leider nicht ohne ihr Einverständnis. Zwar gehörte Katrin das vom Vater geerbte Haus allein, seit ihre Eltern vor neun Jahren bei einem Unfall gemeinsam ums Leben gekommen waren. Gleichwohl befand sich im notariellen Testament ein Passus, der Frieda ein lebenslanges Wohnrecht einräumte. Sie hatte an Katrins Vater praktisch Mutterstelle vertreten, weswegen er auch als Erwachsener Dankbarkeit für sie empfand und über ihr oft unzumutbares Verhalten hinwegsah.

Nach dem Tod der Eltern hatte Katrin daher Papas Schwester am Hals, ein Umstand, mit dem sie nicht immer gut klarkam.

Walter Maiwald war wohl davon ausgegangen, dass dies wegen der Größe des Hauses, in dem zwei Familien bequem leben konnten, kein Problem darstellen würde.

Einerseits war Katrin froh, dass sie in ihrem Elternhaus nicht allein wohnte, andererseits fühlte sie sich von Friedas ständigem Nörgeln mehr als genervt. Jetzt war erst einmal wieder Funkstille. Auch gut.

Ben hatte ihr schon mehrmals vorgeschlagen, doch zu ihm in seine Wohnung zu ziehen. Sollte Frieda doch zusehen, wie sie allein klarkam. Aber das ging wegen des Klaviers nicht, für das Bens Apartment leider zu klein war.

Katrin rief ihren Freund an, um sich bei ihm zum wiederholten Mal über die Tante zu beklagen, doch Ben war zurzeit nicht zu erreichen. Er hatte sein Telefon ausgeschaltet. Einen weiteren Versuch musste sie auf später verschieben, denn es klingelte. Das musste einer ihrer Klavierschüler sein. Sie öffnete.

„Grüß dich, Lukas“, sagte sie, „geh schon mal hinein. Ich komme gleich.“

Vielleicht konnte sie doch noch irgendwann an Friedas Vernunft appellieren und ein klärendes Gespräch mit ihr führen. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben.

Es musste doch möglich sein, dass sie und ihre Tante einvernehmlich miteinander lebten, ohne sich gegenseitig das Leben schwer zu machen! Sie hatten ein Heim, von dem andere nur träumen konnten, sie lebten in Steinhausen, einem der angenehmsten Wohnviertel in München – und finanzielle Sorgen kannten sie nicht.

Katrin verdiente ihren Lebensunterhalt als Lehrerin in einer Musikschule, zusätzlich gab sie noch privat Klavierunterricht. Tante Frieda lebte von ihrer Pension als Grundschullehrerin. Außerdem verfügte sie über ordentliche Ersparnisse, die sich im Laufe der Jahrzehnte angesammelt hatten. Auch besaß sie ein Aktien-Depot, über das sie jedoch strenges Stillschweigen bewahrte.

Mit ihren sechsundzwanzig Jahren konnte und wollte sich Katrin nicht ständig von der Tante bevormunden lassen. Das musste sie ihr klarmachen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

***

„O Gott, eine Operation! Das macht mir Angst.“

Nach dem eingehenden Studium der Befunde hatte Dr. Stefan Holl ein langes Gespräch mit seiner Patientin geführt. Jetzt beugte er sich vor und lächelte sie freundlich an.

„Sie brauchen keine Angst zu haben, Frau Maiwald. Die Gallenblase mitsamt den Steinen kann problemlos durch einen kleinen Schnitt in der Bauchwand entfernt werden. Das ist keine große Sache. Und danach haben Sie wieder Ruhe.“

Frieda wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Ihr Herz klopfte ängstlich. Der Besuch bei Dr. Holl regte sie auf.

„Wir können natürlich noch abwarten, ob die Steine von allein abgehen. Das passiert immer wieder. Manchmal wachsen sie aber auch, dann müssen sie raus.“

„Ich dachte mir schon so was – wegen der Schmerzen im Oberbauch. Wie komme ich dann ohne Gallenblase zurecht?“

„Sie müssen gar nichts weiter tun, als nur ein wenig Ihre Ernährung umstellen. Weniger Fett, weniger cholesterinhaltige Nahrung, dafür mehr Gemüse, Obst und Getreideprodukte.“ Dr. Holl lächelte optimistisch. „Jetzt bringe ich Sie zu meinem Kollegen Dr. Wolfram, der mit Ihnen einen passenden OP-Termin vereinbaren wird.“

Frieda lehnte sich zurück. Dr. Holl war ihr durchaus sympathisch. Sie genoss seine Aufmerksamkeit.

„Ich sollte mich schon längst mal richtig durchchecken lassen. In der letzten Zeit habe ich oft Kopfschmerzen. Und manchmal sehe ich die Dinge doppelt.“

Stefan Holl horchte auf. Diese Symptome hatten allerdings nichts mit der Galle zu tun.

„Das sollten wir unbedingt abklären“, erwiderte er. „Dafür müssen Sie sich einen Extratermin geben lassen.“

„Geht das nicht gleich? Jetzt bin ich schon mal da …“

„Für solche Untersuchungen sind bestimmte Voraussetzungen nötig. Sie müssen nüchtern kommen und am besten einen ganzen Tag einplanen.“

„Werden Sie diese Untersuchung durchführen?“

Dr. Holl legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm.

„Sie werden verstehen, dass ich nicht alles allein machen kann. Aber ich versichere Ihnen, dass wir hier in unserer Klinik ganz hervorragende Ärzte haben. Ohne meine Mitarbeiter wäre ich vollkommen aufgeschmissen.“

Frieda unterdrückte einen kleinen unzufriedenen Seufzer. Sie fand, dass ihr eine Behandlung durch den Chefarzt persönlich durchaus zustand.

Für den heutigen Besuch in der Berling-Klinik hatte sie sich schließlich eigens elegant zurechtgemacht. Sie trug ein schmal geschnittenes Kostüm, schwarze Schuhe mit einem halbhohen Absatz und einen kleinen flotten Hut auf ihren gepflegten grauen Haaren. Ihr Hausarzt hatte sie in die Berling-Klinik überwiesen.

Wenig später stellte sie fest, dass auch Dr. Michael Wolfram ein sehr charmanter Mann war, aber bestimmt verfügte er noch nicht über die Berufserfahrung des Klinikchefs. Ein Termin für die Gallenblasenentfernung wurde festgelegt. Die OP-Belegung war für die nächsten Wochen bereits verplant. Erst in zwei Monaten konnte der Eingriff stattfinden.

„So spät?“, murrte sie, aber eigentlich war sie ganz froh darüber, noch etwas Zeit zu haben.

Nach dem Gespräch mit Dr. Wolfram ließ Frieda sich mit einem Taxi nach Hause bringen. Unterwegs freute sie sich schon auf die Reaktion ihrer Nichte. Natürlich rechnete sie mit Katrins Zerknirschung. Dem Kind blieb nichts anderes übrig, als bei ihr Abbitte zu leisten, denn Probleme mit der Galle wiesen darauf hin, dass die betreffende Person immer wieder großem Ärger ausgesetzt war.

***

„Du musst ein paar Tage weg?“, wiederholte Katrin gedehnt. Wieso kam Ben erst jetzt damit?

„Das hat sich gestern erst ergeben, Liebes. Es handelt sich um eine Probezeit in einem Call-Center. Ich musste sofort zusagen. Und wenn alles klappt, bekomme ich einen neuen Job.“

„In einem Call-Center?“ Katrin verzog das Gesicht. „Und wo soll das sein?“

„Genau weiß ich es noch nicht, aber auf jeden Fall im Norden Deutschlands. Die Auswahl der Bewerber findet morgen in Frankfurt statt.“

„Aber dann musst du ja von München weg.“ Die Vorstellung, von Ben für länger getrennt zu sein, sorgte nicht eben für gute Laune bei ihr. Von einer Fernbeziehung hielt sie überhaupt nichts, auch wenn manche Zeitgenossen behaupteten, dass Distanz der Liebe guttat.

„Noch ist es ja nicht so weit. Außerdem kann ich dann doch jedes Wochenende zu dir kommen.“

Katrin seufzte bekümmert.

„Ich bin jetzt schon ein paar Wochen ohne Job“, fuhr Ben eindringlicher fort. „Darum ist es wichtig für mich, endlich was Neues anzufangen. Und heutzutage muss man nun mal mobil sein, sonst ist man irgendwann völlig abgehängt.“

„Das verstehe ich.“ Ob sie wollte oder nicht, in diesem Punkt musste sie ihm recht geben. Und gleichzeitig fielen ihr Friedas abfällige Bemerkungen über Ben ein, dass er nur deshalb nichts fand, weil er zu bequem war, sich eine passende Arbeit zu suchen.

„Sei nicht traurig, Liebes. Ich rufe dich an, sobald ich Neuigkeiten habe. Allerdings muss das Handy während der Schulung ausgeschaltet bleiben. Telefonieren können wir dann erst abends. Ich melde mich bei dir.“

„Und heute sehen wir uns nicht mehr?“ Sie hatte sich von ihrem Schrecken noch nicht erholt. „Willst du wirklich ohne Abschied fort?“

„Mein Zug geht schon in einer Stunde. Und ich habe noch nicht mal gepackt. Ich hab dich lieb, mein Schatz. Bald bin ich wieder da. Lass dir die Zeit ohne mich nicht lang werden.“

„Ich werde es versuchen“, versprach Katrin. Sie legte auf. Eigentlich hätte sie ihn wenigstens zum Bahnhof begleiten können. Die Klavierstunde heute Vormittag fiel aus. Ihr Schüler hatte kurzfristig wegen Krankheit abgesagt.

Nach ein paar Sekunden des Nachdenkens checkte sie an ihrem Laptop, wann in ungefähr einer Stunde vom Hauptbahnhof ein Zug nach Frankfurt fuhr. Elf Uhr dreißig. Das musste der sein, den Ben meinte.

Sie rief ihn zurück, doch er war nicht mehr erreichbar. Aber sie ließ es sich nicht nehmen, Ben zu überraschen. Und sie freute sich darauf, ihn vor seiner Abfahrt noch mal zu sehen.

Für den Hinweg bestellte sie ein Taxi. Eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges stand sie bereits auf dem Bahnsteig und ließ suchend ihre Blicke schweifen. Noch war Ben nicht da. Wahrscheinlich kam er, wie immer, auf den letzten Drücker.

Der Zug rollte pünktlich in den Bahnhof ein und ebenso pünktlich wieder hinaus – ohne Ben. Sie hatte ihn nicht gesehen.

Verwundert drückte sie erneut auf ihrem Handy seine Nummer, doch er meldete sich nicht. Was war da los? So gern hätte sie sich mit einem heißen Kuss von ihm verabschiedet. Damit er wusste, wie sehr sie ihn liebte. Ihm schien das weniger wichtig zu sein. Warum?

Ziemlich frustriert verließ sie den Bahnhof. Jetzt fing es auch noch an zu regnen. Und sie hatte in der Eile vergessen, einen Schirm mitzunehmen. Also nahm sie wieder ein Taxi und ärgerte sich über die unnötige Geldausgabe.

Als sie im Fond des Wagens saß, spürte sie es warm über ihre Wangen laufen. Verstohlen wischte sie die Tränen weg. Doch das unsichere Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte, ließ sie nicht mehr los. Jetzt konnte sie nur noch darauf hoffen, dass sich bei Bens nächstem Anruf alles klärte.

***

Schon beim Betreten des Hauses hörte Frieda das Klavier. Das konnte nur Katrin sein, denn das Spiel war leicht und klar. Wenn einer ihrer Schüler spielte, verzog Frieda oft das Gesicht, als habe sie Zahnschmerzen. Und wenn es noch ärger wurde, stopfte sie sich Watte in die Ohren, um die Stümperei auf dem armen Instrument nicht ertragen zu müssen.

Eigentlich hatte Katrin es gar nicht nötig, all diesen unmusikalischen Sprösslingen Unterricht zu geben, nur weil das Klavierspiel für viele Eltern zum guten Ton gehörte. Aber Katrin ließ sich nun mal nichts sagen. Und auf Friedas Kritik ging sie schon gar nicht ein, sondern hielt dagegen, dass alle Kinder musikalisch waren. Was Frieda nur zu einem höhnischen Lächeln veranlasste.

Als sie jetzt an die Tür des Musikzimmers klopfte, war sie einigermaßen friedlich gestimmt.

„Hallo, ich bin wieder da!“, rief sie so laut in ein Klavierstück von Schubert hinein, dass Katrin sofort die Hände von den Tasten nahm.

„Bitte, Frieda, wenn ich spiele, möchte ich nicht gestört …“

„Gerade komme ich aus der Berling-Klinik“, erklärte Frieda und setzte sofort eine beeindruckende Leidensmiene auf. „Willst du denn nicht wissen, wie übel das Schicksal mit deiner Tante spielt?“ Sie holte tief Luft. „Ich muss mich auf den OP-Tisch legen. Und die Ärzte werden an mir herumschneiden. Daran führt kein Weg vorbei.“

„Wegen deiner Galle? Ach, mach dir keine Sorgen, Frieda. So was ist heutzutage doch Routine.“

„Was weißt du denn schon davon?“, gab Frieda grollend zurück. „Wenn man selbst nicht betroffen ist, sollte man nicht so leichtfertig daherreden.“

„Entschuldige bitte, so war das doch gar nicht gemeint. Ich wollte dir doch nur Mut machen.“

Katrin klappte den Klavierdeckel zu und ging ihrer Tante entgegen, um sie herzlich in den Arm zu nehmen, was sich Frieda gern gefallen ließ.

„Komm, wir reden ein bisschen“, schlug Katrin vor. Friedas Verletzlichkeit war vielleicht eine gute Ausgangslage für ein Gespräch. „Soll ich uns Kaffee machen?“

„Um Himmels willen!“, fuhr Frieda auf. „Kaffee tut meiner Galle nicht gut. Nur einen Kräutertee.“

Schließlich saßen sie in den schweren Wohnzimmer-Sesseln. Das Aroma von frisch gebrühter Pfefferminze erfüllte den Raum. Frieda genoss die Aufmerksamkeit ihrer Nichte und erzählte in aller Ausführlichkeit von dem Gespräch mit Chefarzt Dr. Holl.

„Dann hat dir dein Hausarzt also einen guten Tipp gegeben.“ Katrin nippte vorsichtig an ihrer Tasse. Das Getränk war noch sehr heiß.

„Dr. Holl hat mir erklärt, was alles schiefgehen kann. Und sollte ich bei dem Eingriff sterben, erbst du alles, was ich habe.“

„Das ist lieb von dir, Tante Frieda, aber ich bin mir ganz sicher, dass du die Operation überleben wirst. Du wirst uns erhalten bleiben.“

„Uns? Wen meinst du denn damit? Dich und Ben? Du weißt, dass ich nichts von ihm halte.“

„Das ist dein gutes Recht. Trotzdem bitte ich dich, mein Privatleben zu respektieren.“

Frieda setzte sich kerzengerade hin.

„Wie meinst du das?“

„Du weißt schon, was ich meine.“ Katrin zwang sich, ruhig zu bleiben. „Ich habe nichts dagegen, wenn du mir gelegentlich einen Rat gibst. Aber ich mag es nicht, wenn du ständig an mir herummäkelst. Ich muss meine eigenen Erfahrungen machen.“

„Mein liebes Kind, ich habe mich um dich gekümmert, als deine Eltern starben. Du warst ja noch nicht volljährig …“

Katrin nickte, doch bevor sie das Wort ergreifen konnte, sprach Frieda schon weiter.

„Mein ganzes Leben habe ich auf dich ausgerichtet. Es sollte dir an nichts fehlen. Und was Ben betrifft, so kannst du ruhig auf meine Menschenkenntnis vertrauen. Er ist nichts für dich.“

„Das kann ich vielleicht viel besser beurteilen.“

Frieda schnaufte vernehmlich.

„Denk doch mal nach. Der Kerl kommt fast jeden Abend hierher zum Essen. Bald wird er hier einziehen …“

„Ich hätte nichts dagegen. Das Haus ist groß genug.“

„Merkst du denn nicht, dass er sich nur ins gemachte Nest setzen will? Er nutzt dich schamlos aus.“

„Er liebt mich.“

„Ha, mein armes leichtgläubiges Madel, das denken alle …“

Katrin presste kurz die Lippen zusammen.

„Lass uns jetzt bitte von was anderem reden“, verlangte sie energisch.

„Wie du willst, aber dein Problem ist, dass du die Wahrheit nicht verträgst. Was hat Ben dir denn schon zu bieten? Hat er überhaupt eine Arbeit? Er ist kein Mann für dich.“

„Er hatte Pech in seinem letzten Job. So was passiert vielen Leuten.“

„Ja, das behauptet er. Kann es nicht sein, dass ihm nur die Anforderungen zu hoch waren? Du bist zu leichtgläubig, mein Kind. Der Mann wird dir auf der Tasche liegen.“

„Er braucht einfach nur ein wenig Zeit“, versuchte Katrin das Gespräch abzukürzen. Auch wenn sie es vor Tante Frieda nie zugeben würde, heimlich gestand sie sich ein, dass er die Dinge gelegentlich etwas schleifen ließ.

Dennoch vertraute Katrin ihm. Sie bezweifelte nicht, dass er bald eine neue Stelle finden würde.

Bis vor ein paar Monaten hatte er als Autoverkäufer gut verdient. Allerdings wusste sie tatsächlich nicht, was in der Firma vorgefallen war. Sie wollte ihn deswegen nicht ausfragen. Sie vertraute ihm. Er würde schon von sich aus auf die Sache zurückkommen.

„Das glaube ich nicht.“ Wenn Frieda sich in ein Thema festbiss, war sie davon nur schwer wieder abzubringen. Diese Erfahrung hatte Katrin schon oft machen müssen. Noch heute taten Katrin die Kinder leid, die Frieda früher unterrichtet hatte. Bis zu ihrer Frühpensionierung war sie Lehrerin gewesen und ganz sicher eine besonders strenge, bei der niemand ungestraft über die Stränge schlagen durfte.

„Ich kann nur hoffen, dass du bald selbst zur Einsicht kommst. Und dass du vor allem keine voreiligen Entscheidungen triffst …“

„Was meinst du damit?“

„Zum Beispiel eine Heirat. Oder eine Schwangerschaft.“

„Daran denke ich zurzeit noch nicht“, erwiderte Katrin genervt und stand auf, um die Tassen in die Küche zu bringen. Wieder einmal hatte sich die Vorstellung, sich mit Tante Frieda einvernehmlich zu einigen, nicht erfüllt.

***

Dr. Martin Gronauer ließ sich von seiner Verlobten in die Berling-Klinik bringen. Sein eigener Wagen stand noch in der Werkstatt. Heute Abend würde er einen Kostenvoranschlag für die Reparatur bekommen und musste sich dann entscheiden, ob er sie machen lassen wollte oder nicht. Eigentlich käme er auch ohne Auto über die Runden. Bei gutem Wetter konnte er mit dem Rad fahren und bei schlechtem mit der Bahn. Das käme auf jeden Fall billiger, als sich jetzt einen neuen Wagen anzuschaffen.

„Was ist los?“, wollte Bettina nach einem kurzen Seitenblick wissen. Seine aparte Freundin trug das schwarze Haar kinnlang, die Ponyfransen endeten kurz über den schmalen Brauen. Ganz besonders mochte er ihr Profil, die kleine gerade Nase, die leicht vorgestülpten Lippen und die beiden Grübchen in den Wangen.

Und da sie die Damenmode-Abteilung einer Kaufhaus-Filiale leitete, kleidete sie sich immer nach dem neuesten Trend.

„Du siehst heute ganz besonders süß aus“, sagte Martin, was seiner Begleiterin ein zufriedenes Lächeln entlockte. „Aber um auf deine Frage zurückzukommen, ich denke über meinen fahrbaren Untersatz nach, bin aber noch zu keinem Entschluss gekommen.“

„Lass ihn verschrotten“, riet Bettina. „Wir können uns meinen Wagen teilen. Das spart Kosten und Energie.“

„Womit du natürlich wie immer recht hast“, meinte Martin. „Ich denke darüber nach.“

Sie näherten sich der Berling-Klinik. Bettina fuhr auf den Parkplatz. Ein schneller Abschiedskuss, dann wendete sie den Wagen und fuhr davon.

Dr. Gronauer betrat das Gebäude über den Seiteneingang. Er verschmähte den Aufzug und nahm die Treppe in den ersten Stock.

Dort wartete schon die erste Patientin auf ihn. Ihr Name war Frieda Maiwald. Sie sollte sich demnächst einer Cholezystektomie unterziehen, einem Eingriff, der allerdings nicht in seinen Fachbereich fiel. Martin Gronauer war Hirnchirurg. Für die anstehenden Tests war bereits alles vorbereitet.

„Wir machen eine Computer-Tomografie“, sagte er. „Davon haben Sie sicher schon mal gehört.“

Erst als er ihre etwas ratlose Miene sah, setzte er zu einer längeren Erklärung an.

„Die CT ist ein spezielles radiologisches Untersuchungsverfahren, bei dem wir ein dreidimensionales Abbild Ihres Gehirns erhalten. So erfahren wir gleich, ob es in Ihrem Schädel größere raumfordernde Prozesse gibt.“

„Sie meinen, ob ich einen Tumor im Kopf habe oder nicht“, lautete Friedas trockener Kommentar.

Martin verzog den Mund.

„Wenn Sie es so ausdrücken wollen, bitte sehr. Je nachdem, wie der Befund ausfällt, werden wir noch weitere Tests durchführen. Auch eine MRT werden wir vornehmen, eine Magnetresonanztomografie. Wenn wir alle Befunde beisammen haben, überlegen wir uns gemeinsam das weitere Vorgehen.“

„Was könnte ich denn dazu beitragen?“ Auf Friedas Gesicht breiteten sich rote Flecken aus, ein Zeichen dafür, dass sie kurz davor war, in Panik zu geraten. „Noch nie in meinem Leben war ich ernsthaft krank.“

„Ich kann Ihnen eine Menge Vorschläge machen und Ihnen die jeweiligen Folgen erläutern. Die Entscheidung aber müssen Sie dann treffen.“

Obwohl Martin Gronauer erst kürzlich sechsunddreißig geworden war, galt er in seinem Fachbereich als sehr erfahren, und das nicht nur unter den Kollegen in der Berling-Klinik. Er hatte bereits in Boston, Zürich und Frankfurt gearbeitet. Chefarzt Dr. Holl war heute noch glücklich über die Zusage des jungen Kollegen, einen Sechs-Jahres-Vertrag für die Berling-Klinik zu unterschreiben.

„Wenn Sie einen Tumor finden, wie können Sie dann beurteilen, ob er gut- oder bösartig ist?“

„Meistens wird die Diagnose mit Hilfe der bildgebenden Techniken gestellt. Nur wenn wir nicht sicher sind, müssen wir eine Probebiopsie vornehmen, die dann histologisch untersucht wird. Aber auch wenn es sich um eine gutartige Geschwulst handelt, ist eine Behandlung notwendig, da der wachsende Tumor einen immer größeren Druck auf das Schädelinnere ausübt und damit auf das Nervensystem. Was natürlich unangenehme Folgen haben kann. Sicherheit gibt es erst mithilfe einer Probeentnahme aus dem betroffenen Gewebe. Aber so weit sind wir noch gar nicht, Frau Maiwald. Jetzt wollen wir erst mal mit den Untersuchungen loslegen. Haben Sie keine Angst, alles ist für Sie völlig schmerzlos.“

„Hoffentlich gibt dann auch meine Galle Ruhe“, meinte Frieda seufzend. Eine Pflegerin brachte sie in die Röntgenabteilung.

Dort wurde sie von David in Empfang genommen, einem ebenso attraktiven wie charmanten jungen Mann, der locker ihr Sohn hätte sein können. Trotz der neuen Sorgen begann sie heftig mit dem jungen Röntgenassistenten zu flirten, das lenkte sie hoffentlich vom Ernst des Lebens ein wenig ab. Wann auch hatte sie sonst schon mal Gelegenheit dazu?

***

Am Nachmittag betrachtete Dr. Gronauer gemeinsam mit dem Chefarzt den Hirnscan der Patientin am Computer. Zwischen der Innenseite des Schädels und der Oberfläche des Gehirns befand sich ein Tumor, der bereits die linke Hirnhälfte verformte.

„Das Ding ist zwar noch nicht groß, aber es wird weiterwachsen. Was hat sie an Symptomen berichtet? Vergesslichkeit? Orientierungslosigkeit? Taubheitsgefühle, Sehstörungen?“ Um eine Therapie zu überlegen, musste Dr.Holl mehr wissen.

„Sie selbst verneint das alles, und ich habe ihr auch nichts angemerkt. Sie ist ziemlich wortgewandt und macht keinen verwirrten Eindruck. Wir sollten vielleicht mit den Angehörigen sprechen.“

„Auf jeden Fall. Wenn ich mich richtig erinnere, war sie mal Lehrerin und ist jetzt in Frühpension. Vor Kurzem war sie erst wegen ihrer Gallenprobleme bei mir“, berichtete Stefan Holl nachdenklich.

„Hat sie Kinder?“, fragte Martin.

„Das weiß ich nicht, aber das lässt sich ja leicht herausfinden.“ Dr.Holl betrachtete sinnend den Bildschirm. „Der Tumor sollte so bald wie möglich entfernt werden. Je länger eine OP hinausgezögert wird, umso größer ist die Gefahr, dass er mit dem Gehirn verwächst. Bei einem zu späten Eingriff könnte eine Ablösung des kranken Gewebes vom Gehirn schlimme Folgen haben. Eine Lähmung der anderen Seite, zum Beispiel. Außerdem ist in der linken Gehirnhälfte die Sprachfähigkeit lokalisiert.“

Martin Gronauer konnte dem Chefarzt nur beipflichten.

„Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Wir müssen schnell handeln. Die Patientin ist neunundfünfzig Jahre alt. Rein statistisch hat sie noch einen langen Lebenszeitraum vor sich.“

„Die Frage ist, was wir als Erstes operieren. Die Gallenblase oder den Hirntumor. Wägen wir also erst einmal die Vor- und Nachteile sowohl der einen als auch der anderen Reihenfolge ab.“

„Da es sich ziemlich sicher um ein langsam wachsendes Meningeom handelt, sollten wir die Cholezystektomie vorziehen. Davon erholt sie sich schnell. Anschließend nehmen wir uns den Schädel vor.“

Martin war sehr zufrieden, dass der Chefarzt seine Meinung teilte.

„Sie müssen bei der OP dabei sein“, sagte er zu dem Älteren.

„Ich bin kein Hirnchirurg“, erwiderte Dr. Holl.

„So einfach kommen Sie mir nicht davon. Ich weiß von den Kollegen, dass Sie ein Allrounder sind und schon mehrfach bei solchen Eingriffen mitgewirkt haben.“

Dr. Holl erklärte sich einverstanden, dem Wunsch seines Mitarbeiters nachzukommen, vorausgesetzt, sie fanden einen Termin, der beiden passte.

Anschließend gingen sie zu Frieda, die in einem Ruheraum schon ungeduldig auf das Ergebnis wartete. Als sie erfuhr, was die Ärzte mit ihr vorhatten, blieb sie erstaunlich ruhig, gerade so, als ob sie damit schon gerechnet hätte.

„Und Sie beide garantieren mir, dass ich nach den Eingriffen die Klinik lebend wieder verlasse? Und dass ich nach der OP auch wieder werde arbeiten können.“

Stefan Holl und Martin Gronauer warfen sich einen schnellen Blick zu.

„Wie stellen Sie sich eine solche Garantie vor?“, fing Dr. Holl den Ball auf. „Wenn tatsächlich das Schlimmste eintreten sollte, können wir Sie auch mit hundert Seiten Garantien nicht wieder lebendig machen.“

„Aber wenn ich noch halbwegs am Leben bin, könnte ich die Klinik auf Schadenersatz verklagen.“

„Das geht nur, wenn Sie uns einen Kunstfehler nachweisen.“ Dr. Holl ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Für andere Zwischenfälle können Sie Ihre behandelnden Ärzte nicht verantwortlich machen. Jeder Mensch reagiert auf die vorgeschlagene Therapie anders. Unvorhergesehenes kann immer passieren. So was lässt sich nicht versichern.“

„Hm.“

Martin räusperte sich. „Darum müssen Sie uns mit Ihrer Unterschrift Ihr Einverständnis bestätigen, sonst kann keine Operation stattfinden.“

„Ihr Ärzte habt wohl immer eine Ausrede“, stellte Frieda augenrollend fest. „Aber gut, ich vertraue Ihnen. Von der Berling-Klinik hört man ja viel Gutes. Und darum hoffe ich, dass Sie alles unterlassen werden, was mich umbringen könnte.“

„Darauf haben Sie mein Wort, Frau Maiwald“, sagte Dr. Holl. „Aber wie gesagt, wir sind nicht Gott, noch nicht mal gottgleich, auch wenn das manche Menschen von uns erwarten.“

„Wie kommen Sie jetzt nach Hause?“, wollte Martin wissen.

„Ich lasse mich von meiner Nichte abholen“, erklärte Frieda. „Wir wohnen zusammen.“

„Das ist gut. Wenn Sie nichts dagegen haben, hätte ich gern auch noch mit Ihrer Nichte gesprochen.“

„Meinetwegen“, gab Frieda leicht schnippisch zurück. „Wollen Sie das hinter meinem Rücken tun, oder kann ich dabei sein? Sie kann Ihnen über meine Probleme auch nur das berichten, was sie von mir selbst weiß.“

***

Katrin wunderte sich, dass sie ihre Tante von der Klinik abholen sollte. Warum nahm Frieda kein Taxi, wie sonst immer? Aber damit heute Abend nicht schon wieder schlechte Stimmung im Haus herrschte, tat sie ihr den Gefallen. Frieda war nicht mehr die Jüngste. Vielleicht hatten ihr die Untersuchungen doch mehr zu schaffen gemacht als gedacht.

Am Empfang der Klinik ließ sie sich den Weg zu Dr. Gronauers Besprechungsraum erklären. Als sie vor der Tür stand, schob sie ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und machte ein paar tiefe Atemzüge, um sich gegen das zu wappnen, was sie zu hören bekam.

Katrin gehörte zu den Menschen, die mit einer naturroten Haarfarbe und einem besonders hellen Teint ausgestattet waren. Was zur Folge hatte, dass man in ihrem schmalen Gesicht mit dem Zählen der Sommersprossen niemals fertig wurde.

Der etwas zu breite Mund lachte oft, hauptsächlich dann, wenn Tante Frieda durch Abwesenheit glänzte. Immer wieder sagte sich Katrin, dass es zwischen zwei erwachsenen Frauen doch möglich sein musste, zu einem verträglichen Miteinander zu finden, doch eine zufriedenstellende Lösung gab es bisher nicht.

Tante Frieda konnte verletzend schroff sein, außerdem überheblich, ja, sogar arrogant, besonders fremden Menschen gegenüber. Umgänglich war sie selten. Dennoch kamen gelegentlich auch die liebenswerten Seiten zum Vorschein, leider viel zu selten. Sie war eine große Tierfreundin, konnte stundenlang die Vögel beobachten und sie exakt bestimmen. Sie betrauerte jede Biene, die sie tot auf der Terrasse fand, und fütterte mit Hingabe herrenlose Katzen, die sich immer wieder im Garten einfanden. Das örtliche Tierheim freute sich über ihre regelmäßigen Geldspenden, und wenn ein Bettler an der Tür klingelte, bekam er immer ein paar Münzen in die Hand gedrückt.

Manchmal hätte Katrin gern gewusst, warum Frieda Zeit ihres Lebens allein geblieben war. Warum hatte sie nie einen Partner gehabt? Aus Katrins Sicht sah es so aus, als sei Frieda ganz in ihrem Beruf als Lehrerin aufgegangen.

Dagegen sprach allerdings, dass Frieda über Kinder ziemlich strenge Ansichten zu äußern pflegte, besonders, wenn sie laut und ihrer Ansicht nach von den Eltern schlecht erzogen waren.

Nun geh endlich rein!, mahnte sie eine Stimme. Wie lange willst du hier noch rumstehen? Katrin gab sich einen Ruck und klopfte an.

„Guten Tag, ich bin wegen Frau Maiwald hier. Sie ist meine Tante.“

Dr. Martin Gronauer stutzte einen Moment, als er die zarte rothaarige Elfe gewahrte. Welch ein gütiges Schicksal schickte ihm denn diese schöne Frau vorbei?

„Kommen Sie näher, ich habe Sie schon erwartet.“

Sie reichten sich die Hand.

„Gibt es Probleme bei meiner Tante?“, erkundigte sich Katrin.

Der Arzt wies stumm auf den freien Stuhl neben seinem Schreibtisch und suchte nach einem passenden Anfang, bis er bemerkte, dass es Katrins Anwesenheit war, die ihn aus der Fassung brachte. Er, der sich sonst so wortgewandt ausdrückte, blieb erst einmal stumm und tippte verlegen auf der Tastatur herum.

„Warum sagen Sie nichts?“ Katrin blinzelte nervös. Der Arzt machte ihr Angst. „Ist es etwas Schlimmes?“

„Gleich haben wir es“, erwiderte er und wagte einen ersten tiefen Blick in diese Augen, die die Leuchtkraft eines Smaragds noch übertrafen.

„Ihre Tante hat auf mein Befragen hin ausdrücklich erlaubt, dass ich Ihnen ein paar Informationen gebe. Sie wollte, dass ich zunächst mit Ihnen allein spreche.“

Katrin spürte Angst in sich aufsteigen.

„So, hier ist der ausführliche Befund.“ Dr. Gronauer räusperte sich, doch auch danach klangen seine Worte noch rau. „Von den Steinen in der Gallenblase wissen Sie ja sicher schon. Jetzt haben wir zusätzlich noch im Schädel der Patientin einen Tumor diagnostiziert. Wir vermuten, dass er zu den gutartigen Geschwülsten gehört, aber hundertprozentig genau wissen wir das erst nach der Operation.“

„Mein Gott, wie kommt man denn an so was?“ Katrin war fassungslos.

„Haben Sie irgendwelche Verhaltensänderungen bei Ihrer Tante bemerkt? Unsicherheit beim Sprechen, Vergesslichkeit … oder sonst etwas Ungewöhnliches?“

„Nein, nichts davon ist mir aufgefallen.“ Dass Frieda nicht besonders umgänglich war, fiel unter die Rubrik „familiäre Angelegenheiten“ und ging den Arzt schließlich nichts an, fand Katrin. „Und was geschieht jetzt?“

„Wir werden so bald wie möglich die Gallenblase entfernen und dann etwas später den Tumor.“

„Warum diese Reihenfolge?“ Katrin lächelte entschuldigend. Dr. Gronauer sollte sie um Himmels willen nicht für besserwisserisch halten. Aber da sie den Tumor für gefährlicher hielt als die Steine in der Gallenblase, würde ihr eine umgekehrte Reihenfolge eher einleuchten.

„Um Frau Maiwald die Schmerzen einer Gallenkolik zu ersparen“, erwiderte Martin Gronauer, der inzwischen wieder in der Realität Fuß gefasst hatte.

Lass dich nicht von einer fremden Frau durcheinanderbringen, ermahnte er sich selbstironisch, auch wenn sie noch so schön ist.

„Außerdem wird sich die Patientin aller Voraussicht nach schnell von der Entfernung der Gallenblase erholen, dafür sind ja nur drei kleine Schnitte im Oberbauch nötig. Die Hirn-Operation dagegen erfordert eine längere Rekonvaleszenz.“

„Weiß sie schon Bescheid?“

„Sie hat den Befund relativ gefasst aufgenommen.“, erwiderte Martin lächelnd. „Ich glaube, Ihre Tante denkt realistisch. Die OP-Termine stehen schon fest. Ich habe sie hier ausgedruckt.“

Ohne draufzuschauen, nahm Katrin das Blatt entgegen, faltete es und steckte es in ihre Handtasche.

„Dann erst mal vielen Dank, Doktor.“

„Keine Ursache.“ Er nestelte ein Kärtchen aus einer Halterung und hielt es ihr hin. „Meine Telefonnummer. Wenn weitere Fragen auftauchen, können Sie mich jederzeit anrufen. Vor dem zweiten Termin werden wir uns noch mal zusammensetzen, um die erforderlichen Vorbereitungen zu besprechen. Dann wird auch die Narkoseärztin dabei sein.“

Katrin schob das Kärtchen zu dem Blatt mit den Terminen.

„Wo finde ich meine Tante?“

„Ich bringe Sie zu ihr.“

Vier Sekunden lang standen sie sich gegenüber und schauten sich tief in die Augen. Dieser Blick beschleunigte Martins Herzschlag, während Katrin sich fragte, ob es dem Arzt eigentlich leichtfiel, seinen Patienten schlechte Diagnosen zu verkünden. Schnell wandte sie sich ab und übersah die Hand, die er ihr zum Abschied reichte.

Ich bin wohl nicht ihr Typ, dachte er und ließ seine Hand sinken.

***

Katrin kannte Tante Frieda und sagte deshalb kein Wort, während sie nach Hause fuhren. Sie würde es schon noch erfahren.

„Du hast ja sicher schon alles gehört“, erklärte Frieda, als sie das Haus betraten und die schwere Eingangstür hinter sich schlossen. „Heute ist mein Todesurteil gefallen.“

Katrin half ihr aus dem Mantel.

„Also, jetzt übertreibst du es wieder einmal. Von einem Todesurteil kann doch gar keine Rede sein“, widersprach sie energisch. „Im Gegenteil. Dr. Gronauer ist der Ansicht, dass es dir nach diesen beiden Operationen wieder gut gehen wird.“

„Klar, was soll er auch sonst sagen? Der muss ja die Werbetrommel für seinen Brötchengeber rühren. Aber wenn ich mir vorstelle, dass er in meinem Gehirn herumschneidet, dann wird mir jetzt schon übel.“

„Beruhige dich, Frieda. Ich mache uns jetzt was zu essen, und dann reden wir in aller Ruhe.“

Frieda murmelte etwas Unverständliches in sich hinein und verschwand im Bad. Inzwischen bereitete Katrin einen kalten Imbiss zu und kochte eine Kanne von Friedas Lieblingstee.

Doch als sie am Tisch saßen, zerkrümelte Frieda den weißen Semmelteig zwischen den Fingern und starrte mit gerunzelter Stirn ins Leere.

„Soll ich dir eine Semmel mit Käse belegen?“

„Nein danke, ich hab keinen Hunger.“

„Du solltest aber bei Kräften bleiben.“

„Ja, ja, schon gut, nett, dass du dich auch mal um mich sorgst, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter.“ Frieda warf einen anklagenden Blick an die Decke. „Warum muss mir so was passieren? Sag mir, warum. Hab ich das verdient?“

Katrin legte das Messer klirrend auf den Teller zurück.

„Bitte, Frieda, hör doch auf, solche Fragen zu stellen. Krankheit ist Schicksal. Und das Schicksal wertet nicht. Den einen trifft’s, den anderen nicht.“

Doch die Tante ließ sich von Katrins Worten nicht beeindrucken.

„Ich werde sterben“, sagte sie dumpf und legte eine Hand über die Augen. „Kannst froh sein. Dann bist du mich endlich los.“

Katrin öffnete den Mund zu einer heftigen Antwort – und schloss ihn wieder. Es war sinnlos, auf diese Bemerkung zu reagieren.

„Niemand wird mir eine Träne nachweinen“, fuhr Frieda mit dunkler Stimme fort. Ihr Kummer hielt sie jedoch nicht davon ab, die Mimik ihrer Nichte durch ihre gespreizten Finger zu beobachten.

Katrin fühlte sich hilflos und nippte an ihrer Tasse, um Zeit zu gewinnen.

„Was du sagst, ist kindisch“, sagte sie schließlich mit einem entschuldigenden Lächeln. „Natürlich wirst du irgendwann sterben, aber nicht jetzt. Dr. Gronauer hat dir erklärt, dass diese Operation nötig ist. Es stimmt, du bist krank und seit heute eine Tumorpatientin. Aber du befindest dich nicht in Lebensgefahr.“

„Woher willst du das wissen? Vielleicht halten die Ärzte ja auch nur die Beweise dafür zurück.“

„Und warum sollten sie das tun? Was hätten die Ärzte davon, wenn sie dich anlügen?“

Energisch schnitt Katrin eine Semmel in zwei Hälften, bestrich sie mit Butter und belegte sie mit Schinken und Käse. Beides gab sie auf Friedas Teller, die sofort nach dem Käsebrötchen griff und ein Stück davon abbiss. Dass sie eigentlich nicht hungrig war, schien sie vergessen zu haben. Katrin beobachtete es mit stiller Genugtuung.

„Wirst du dich um mich kümmern?“

„Selbstverständlich. Wenn nötig, stellen wir nach der Operation jemanden für deine Pflege ein …“

Frieda ließ die angebissene Semmel wie eine heiße Kartoffel fallen.

„Du glaubst also, ich wäre danach nicht mehr in der Lage, selbst für mich zu sorgen.“

„Aber nein!“, rief Katrin aus. „Du drehst mir die Worte im Mund herum. Ich wollte nur sagen, dass wir uns, wenn nötig, Hilfe holen.“

„Du könntest mich doch pflegen.“

„Und was mache ich mit meinem Beruf? Soll ich den etwa aufgeben?“

„Würdest du das denn für mich tun?“

Jetzt hatte auch Katrin keinen Hunger mehr. Seufzend schob sie ihren Teller zur Seite. Frieda hatte es wieder einmal geschafft, das Gespräch mit überdramatischen Bemerkungen zu zerstören.

„Ich glaube, wir sollten jetzt nicht weiterreden. Was ich auch sage, es kommt bei dir immer ganz falsch an. Wir werden darüber schlafen und morgen einen neuen Versuch starten.“

„Du verweigerst mir eine Unterhaltung über meine Krankheit?“

„Im Augenblick ja.“ Sie hatte keine Kraft mehr, das Gespräch in dieser Weise weiterzuführen. Sie empfand Bitterkeit. Wie oft hatten sie schon hier in der Küche gesessen und miteinander gestritten? Frieda liebte es, zu provozieren, indem sie die Bedeutung der Worte so auslegte, wie es ihr gerade passte. Dass sie damit ihre Nichte verletzte, schien sie entweder nicht zu bemerken, oder es war ihr gleichgültig oder, noch viel schlimmer, sogar Absicht.

Katrin verschwand in ihrem Zimmer, warf sich aufs Bett und starrte genervt an die Decke. Schon jetzt ahnte sie, dass eine schlimme Zeit vor ihr lag. Frieda war auch so schon alles andere als ein pflegeleichter Mensch. Und wenn sie jetzt noch gegen eine Krankheit kämpfen musste, würde der Umgang mit ihr gewiss nicht leichter werden.

***

„Die Sofia aus meiner Klasse nimmt jetzt Klavierunterricht“, teilte Juju Holl ihren Eltern mit. Die schlagfertige Elfjährige schaute erwartungsvoll von einem zum anderen. „Ich glaube, das möchte ich auch. Von der Blockflöte habe ich genug.“

„Ach wirklich?“ Stefan Holl tat nicht nur überrascht, er war es wirklich. „Vor einiger Zeit wolltest du noch Gitarre spielen lernen.“

„Ja, mag sein.“ Juju reagierte etwas unwirsch auf den Einwurf ihres heißgeliebten Papas. „Ich hab meine Meinung eben geändert.“

„Was sagst du dazu?“, wandte sich Stefan an seine Frau.

„Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn unsere Kinder ein bisschen herumsuchen, bis sie das Beste für ihr musisches Talent gefunden haben“, erwiderte Julia lächelnd.

Dafür bekam sie ein Küsschen von ihrer Jüngsten, die sich jetzt wie ein verschmustes Kätzchen an Mamas Seite kuschelte. Juju war erst mit ein paar Jahren Verspätung in die Familie gekommen. Die Zwillinge Marc und Dani studierten bereits seit einigen Semestern, und der fünfzehnjährige Chris träumte zurzeit von einer Karriere als Leichtathlet, weswegen er fast seine ganze Freizeit in der Sporthalle verbrachte. So waren die Eltern froh, dass ihnen das Nesthäkchen noch ein Weilchen bleiben würde.

Juju nestelte etwas aus ihrer Hosentasche.

„Hier ist die Telefonnummer von der Klavierlehrerin. Sie wohnt gar nicht so weit weg von uns, ich könnte zu Fuß dorthin gehen oder mit dem Radl fahren.“

„Hm.“ Stefan nahm den handgeschriebenen Zettel entgegen. „Frau Maiwald“, las er und stutzte. „Der Name sagt mir was.“

„Och bitte, Papa, ruf doch gleich mal an und frag, wann ich kommen kann. Von Sofia weiß ich, dass sie noch Schüler annimmt.“

In diesem Moment klingelte es an der Tür.

„Das wird die Hanni sein“, rief die Holl-Tochter und sauste davon, um ihre Freundin hereinzulassen. Anschließend verschwanden die beiden Mädchen kichernd in Jujus Zimmer.

„Was hältst du davon?“, wollte Dr. Holl von seiner Frau wissen.

„Sie soll den Versuch machen. Vielleicht bleibt sie dran. Wenn nicht, kann sie später nicht sagen, wir hätten ihr den Klavierunterricht verwehrt.“

Stefan schaute wieder auf den Zettel.

„Ich habe eine Patientin gleichen Namens, allerdings kann ich mir nicht denken, dass sie die Lehrerin ist.“

„Ruf an!“, schlug Julia vor. „Dann weißt du es.“

Er folgte dem Rat seiner Frau, stellte sich vor und fragte, ob er mit der Klavierlehrerin Maiwald verbunden sei.

„Ja, das sind Sie, Dr. Holl.“ Unverkennbar handelte es sich um die Stimme einer jungen Frau, die allerdings etwas angespannt klang. „Ich bin Katrin Maiwald. Geht es um meine Tante? Wollen Sie mit ihr sprechen?“

„Ach, dann sind Sie die Nichte von Frau Maiwald?“ Stefan beeilte sich, das Missverständnis auszuräumen. „Nein, wegen ihr rufe ich nicht an, sondern wegen meiner Tochter, die bei Ihnen Klavierspielen lernen möchte.“ Nachdem er noch ein paar erklärende Sätze hinzugefügt hatte, hörte er ein Aufatmen am anderen Ende.

„Wenn Sie möchten, kommen Sie doch einfach mit Ihrer Tochter mal vorbei, damit wir uns kennenlernen können. Dann können Sie sich auch über meinen Werdegang informieren. Ich habe Musik studiert und schon etliche Konzerte gegeben. Musikunterricht für Kinder kann ich nur empfehlen. Ich würde mich freuen, Ihre Tochter zu unterrichten. Musikunterricht ist gutes Gehirntraining. Eine Stunde kostet dreißig Euro. Wenn das Kind sehr begabt ist und die Familie sich das eigentlich nicht leisten kann, nehme ich auch weniger.“

„Selbstverständlich werden wir Ihnen den Unterricht angemessen bezahlen, Frau Maiwald“, versicherte der Klinikchef. „Ich bin auch der Meinung, dass frühzeitige Musikförderung für Kinder außerordentlich wichtig ist. Wann würde es Ihnen denn passen?“

Sie verabredeten ein Treffen für den nächsten Donnerstag, siebzehn Uhr. Stefan bedankte sich und beendete das Gespräch.

„Wir können dann ja immer noch entscheiden, wer von uns Juju begleitet.“

„Vielleicht haben wir sogar beide Zeit“, meinte Julia. „Dann sehen wir uns die Frau doch mal an, die unserer Kleinen die richtigen Fingersätze beibringen soll.“

***

„He, was ist los mit dir? Schmeckt es dir nicht?“ Bettina Schwarz betrachtete ihren Freund enttäuscht. „Ich hab mir so viel Mühe gegeben.“

„Doch, deine Pasta ist wirklich sehr gut, aber ich habe schon genug. Irgendwie hab ich heute keinen Hunger.“

„Das nächste Mal lasse ich vom Pizza-Dienst was kommen“, sagte sie gekränkt.

„Bitte, nimm es mir nicht übel, Tina. Du kochst ganz toll, aber ich habe einfach keinen Appetit. Vielleicht ist bei mir eine Erkältung im Anzug.“

Auch wenn er sich einer fadenscheinigen Ausrede bediente, so hoffte er, dass sie ihm glaubte. Ihr jetzt die Wahrheit zu sagen erschien ihm unmöglich. Wie hätte sie auch lauten sollen? Etwa so:

Hör zu, ich habe mich heute in eine andere verliebt. Ich denke nur noch an sie. Deswegen bringe ich jetzt keinen Bissen hinunter. Ja, wie soll ich dir meinen Zustand beschreiben? Sie stand auf der Schwelle meines Büros in der Klinik. In der nächsten Sekunde war es um mich geschehen. Ich konnte Amors Pfeil nicht mehr ausweichen.

Es ist, als würde ein verheißungsvolles Licht mein eintöniges Leben erhellen. Nein, natürlich weiß sie nichts davon. Und erfahren wird sie es von mir auch nicht.

Wie ich mit diesem überraschenden Ereignis zurechtkomme, weiß ich noch nicht. Ich dachte immer, eher vernunftgesteuert als gefühlsbetont zu sein. So kann man sich irren. Aber es ist wohl so, dass man sich selbst am wenigsten kennt, auch wenn die meisten Menschen das Gegenteil behaupten. Liebe auf den ersten Blick – du lieber Himmel, ich dachte immer, das gibt’s nicht. So was wird doch nur im Liebesroman behauptet. Was da passiert ist, tut mir leid, Bettina, bitte, nimm es nicht persönlich …

„Hallo! Ich bin hier!“ Eine schmale Hand wedelte vor seinem Gesicht hin und her.

Martin schrak zusammen. Seine Schultern strafften sich. Er setzte sich aufrecht hin und zwang sich zu einem Lächeln.

„Seit einer Minute starrst du nur noch Löcher in die Luft. Ich will jetzt endlich wissen, was mit dir los ist. Gab’s Ärger in der Klinik?“

Das rettende Stichwort, das sie ihm ungefragt gab, griff er geradezu erleichtert auf.

„Ja, das kann man so sagen. Schlimmer noch, in der Klinik war der Teufel los. Wir hatten in der Tat ein paar sehr ernste Probleme. Sie gehen mir immer noch im Kopf herum.“

„Du kannst doch sonst immer ganz gut abschalten.“

„Das stimmt, aber heute ist es irgendwie anders. Gib mir einfach noch ein bisschen Zeit.“

„Du wolltest auch eine Flasche Wein mitbringen“, erinnerte sie ihn vorwurfsvoll an ein weiteres Versäumnis.

„Tut mir wirklich leid, Liebes.“ Wieso ging ihm diese Anrede immer noch so flüssig über die Lippen? Im Stillen schämte er sich für sein Getue. „Aber als ich beim Weinladen vorbeikam, hatte der schon zu. Bitte, sei nicht böse, Bettina. Wir holen das nach. Ich lade dich zum Essen ein. Und du suchst das Restaurant aus.“

„Du meinst also, in einem Lokal schmeckt das Essen besser als bei mir?“

„Um Himmels willen, nein, so war das doch nicht gemeint. Ich dachte eher an eine Entschädigung für den heutigen Abend. Und die Pasta kann man doch sicher morgen noch mal aufwärmen.“

„Schon gut, schon gut. Komm, wir setzen uns auf das Sofa.“ Bettina schien bereit zu sein, ihm zu verzeihen. Sie stand auf und trug die Teller in die kleine Küche. Jetzt hatte sie wohl auch keinen Appetit mehr.

Als sie aus der Küche kam, hatte sie eine Flasche Rotwein in der Hand.

„Die war noch da“, sagte sie. „Lass uns was trinken.“

Martin machte sich ans Entkorken, holte zwei Gläser und füllte sie, während Bettina spanische Gitarrenmusik auflegte. Sie wusste, was ihm gefiel.

Dann stießen sie miteinander an. Inzwischen hatte sich Martin von seiner Fassungslosigkeit erholt. Und in einem Hinterstübchen seiner Seele hoffte er, dass sich die Verliebtheit in eine andere morgen schon als Irrtum erweisen würde.

Im Grunde genommen wollte er keine Probleme und auch keine Liebesaffäre, schon gar nicht eine solche, die womöglich zahlreiche Dramen provozierte.

Die Beziehung zu Bettina war gut. Okay, die Leidenschaft hatte inzwischen abgenommen, ebenso seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber, aber passierte das nicht allen Paaren? Kein Mensch konnte dauerhaft auf höchstem Niveau verliebt sein oder täglich den Gipfel der Leidenschaft erleben.

„Auf uns!“ Das feine Klirren der Gläser besänftigte seinen inneren Aufruhr ein wenig. Er saß in einem Sessel, sie auf dem Sofa. Sie betrachtete ihn nachdenklich.

„Fühlst du dich überfordert?“, erkundigte sich Bettina nach einer Weile des Schweigens. „Wenn es so ist, solltest du was dagegen tun, bevor es zu einem Burnout kommt. Zum Beispiel eine Pause einlegen.“

„Lass es gut sein. Mit mir ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie. „Nach ein paar Stunden Schlaf wird es mir wieder besser gehen.“

„Willst du etwa schon ins Bett?“ Sie nippte noch mal an ihrem Glas, stellte es auf den Tisch zurück und lächelte ihn erwartungsvoll an.

Sie hatte ihn schon wieder falsch verstanden. Martin nahm einen tiefen Atemzug.

„Es ist besser, wenn ich zu mir nach Hause fahre. Morgen muss ich ganz früh raus und würde dich nur stören.“

„Das macht mir nichts, wirklich nicht. Bleib doch.“

„Ich bin wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen. Morgen ist alles wieder gut.“

Als Bettina merkte, dass er sich nicht überreden ließ, gab sie nach. Martin trank sein Glas aus, dann verabschiedete er sich. Mit einem heißen Kuss versuchte sie noch, ihn zu halten, doch der Funke sprang nicht über.

„Ich ruf dich morgen an“, sagte er und drückte sie kurz an sich.

Da es regnete, war die Fahrt mit dem Rad alles andere als ein Vergnügen, aber auf keinen Fall wollte er zu Bettina zurückkehren. Martin brauchte ein paar Stunden für sich. Er glaubte nicht, dass er in dieser einen Nacht Klarheit gewinnen würde. Aber in seinen eigenen vier Wänden konnte er sich gehen lassen und musste nicht ständig darauf achten, das Gespräch aufrechtzuerhalten und dabei nur ja nichts Falsches oder gar Verletzendes zu sagen.

Irgendwann ging er ins Bett, konnte aber lange nicht einschlafen. Nach einer kurzen Nachtruhe erwachte er gegen sechs. Sein erster Gedanke galt ihr, der Nichte seiner Patientin.

Katrins apartes Gesicht mit den vielen Sommersprossen zog ihn in den Bann, noch bevor er die Lider gehoben hatte. Kaum befand er sich wieder im Wachzustand, tanzten seine Gefühle aus der Reihe. Und er begriff, dass es nicht leicht sein würde, die Kontrolle über sie zurückzugewinnen.

***

Katrin öffnete die Tür. Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen. Beim Anblick ihres Freundes empfand sie große Erleichterung.

„Du hast mir gefehlt“, gestand sie seufzend. „Ich bin so froh, dass du da bist. Wollte dich noch am Bahnhof treffen, aber dort habe ich dich nicht gesehen.“

„Ich hab mich im letzten Moment bei der Mitfahrzentrale gemeldet und auch gleich eine Gelegenheit gefunden. War viel billiger als die Bahnfahrt.“

Eine plausible Erklärung, aber ein paar Zweifel blieben.

„Was ist denn los, Liebes?“ Ben schob sie ein wenig von sich weg und betrachtete sie prüfend. „Macht die Problem-Tante wieder Ärger? Wär ja nichts Neues.“

Sie nickte seufzend.

„Komm rein und geh gleich in die Küche. Ich mach uns einen Kaffee.“

Während Ben der Aufforderung nachkam, überzeugte sich Katrin davon, dass Frieda noch in ihrem Zimmer war. Von drinnen war nichts zu hören.

Vorsichtig drückte Katrin die Klinke herunter und spähte durch den Spalt ins Zimmer. Die Tante schien zu schlafen. Gut so. Sie musste vermeiden, dass die Tante und Ben jetzt aufeinandertrafen, bevor er wusste, was in der Zwischenzeit passiert war.

Als sie in die Küche zurückkam, hatte er schon die Kaffeemaschine in Gang gesetzt. Mit gedämpfter Stimme erzählte Katrin von Friedas Tumorbefund.

„Und das wundert dich?“ Bens respektlose Miene sprach Bände. „Ich hab dir doch immer schon gesagt, dass sie nicht ganz richtig im Kopf ist.“ Zur Bekräftigung seiner Worte tippte er sich noch bedeutungsvoll an die Stirn.

Eine solche Respektlosigkeit passte Katrin nun auch wieder nicht. Natürlich gab sie Ben recht, aber dennoch wollte sie nicht, dass er sich so negativ über Tante Frieda äußerte.

„Sprich nicht so über sie. Ich finde deine Worte herzlos“, widersprach Katrin. „In dieser Situation lasse ich sie nicht allein. Sie ist immerhin meine Tante.“ Sie versuchte zu lächeln. Sie wollte jetzt nicht auch noch Streit mit Ben. „Erzähl mir lieber, ob du den Job bekommen hast.“

„Nein, es hat nicht ganz geklappt. Aber ich werde mich weiter bewerben.“ Er kratzte sich am Kopf und machte ein langes Gesicht. „Na ja, vorerst bekomme ich noch Geld. Aber dummerweise hat der Hauswirt wieder mal die Miete erhöht.“

„Dann zieh doch einfach zu mir“, schlug Katrin spontan vor. Erst nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass Frieda dagegen protestieren würde.

„Und du bist sicher, dass Frieda damit einverstanden ist?“

„Ich bin die Hausherrin.“ Katrin versuchte resolut zu klingen. „Sie hat zwar das Wohnrecht, aber wer sonst noch hier lebt, bestimme ich allein.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, meinte Ben süffisant. „Ich fände es gut, wenn du deiner Tante endlich mal zeigst, wo der Hammer hängt. Du lässt dich viel zu sehr von ihr gängeln. Sie tut ja immer noch so, als wärst du ein dummes kleines Kind. Aber warum reden wir die ganze Zeit über sie? Komm, lass uns irgendwo was essen gehen.“

Katrin zuckte zusammen, als die Küchentür ruckartig geöffnet wurde.

„Ach, sieh an!“, sagte Frieda spöttisch. „Ich hatte Stimmen gehört. Du hast also Besuch.“

„Ich hoffe, ich störe Sie nicht“, sagte Ben mit einem überheblichen Grinsen.

In der Absicht, Frieda von Ben wegzulotsen, stand Katrin auf.

„Dazu äußere ich mich lieber nicht.“ Frieda wandte sich an ihre Nichte und deutete mit dem Kopf auf Ben. „Bleibt er lange?“

Katrin hakte sich bei Papas Schwester unter und zog sie erst mal aus dem Gefahrenbereich.

„Warum bist du immer so unfreundlich zu ihm?“, zischte sie, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte.

„Unfreundlich? Bin ich das? Na, wenn es so ist, werde ich wohl meine Gründe haben.“

„Setz dich!“ Katrin drückte die Ältere auf das Sofa. „Ein für alle Mal, ich will diesen Ärger nicht. Akzeptiere gefälligst, dass Ben mein Freund ist. Und er wird demnächst zu uns ziehen.“ Sie spürte, wie sich rote Flecken rasant auf ihrem Gesicht ausbreiteten. „Finde dich damit ab. Deine Zankerei ist kindisch.“

„Ach du lieber Himmel, auch das noch!“ Frieda ließ sich zurücksinken. „Okay, wenn du keinen guten Rat annehmen willst, bitte tu, was du nicht lassen kannst. Aber es ist deine Entscheidung. Wenn du irgendwann später deinen Fehler erkennst, heule mir um Himmels willen nicht die Ohren voll.“

Katrin warf einen Blick auf die Uhr. Vorhin hatte sie noch Hunger gehabt, jetzt war ihr der Appetit vergangen. Wieder einmal.

„Hör zu, Ben und ich gehen jetzt aus. In der Zwischenzeit kannst du ja mal darüber nachdenken, wie du dich mit der neuen Lage arrangieren willst. Wenn du Ben nicht magst, geh ihm einfach aus dem Weg. Das Haus ist groß genug.“

„Aber er wird dann mit uns am Tisch sitzen.“

„Und?“

„In seiner Gegenwart werde ich keinen Bissen runterbekommen.“

„Tja, liebe Frieda, das ist dann dein Pech.“

Katrin fiel es nicht leicht, so mit Frieda zu reden, aber sie sah keine andere Möglichkeit, sich durchzusetzen. Irgendwann würde die Tante begreifen müssen, dass sie sich mit ihrer ablehnenden Haltung immer mehr in die Isolation begab. Bald würde niemand mehr mit ihr Kontakt haben wollen. Einige von Friedas alten Freundinnen ließen sich schon seit Längerem nicht mehr blicken. Wenn Katrin fragte, wie es ihnen ging, bekam sie von Frieda nur einsilbige oder gar keine Antworten.

„Willst du mich rauswerfen?“ rief Frieda. Nervös nestelte sie an ihrer Bluse herum. „Das wird dir nicht gelingen.“

„Niemand will dich rauswerfen“, gab Katrin grimmig zurück. „Manchmal täte ich es gern, das kannst du mir glauben, Tante Frieda. Bis jetzt habe ich immer noch gehofft, dass wir gut miteinander auskommen. Dazu gehört aber auch, dass du meine Freunde akzeptierst.“

„Ich habe nichts gegen deine Freunde“, erwiderte Frieda, jede Silbe extra betonend. „Nur diesen Ben mag ich nicht. Und dafür habe ich meine Gründe.“

***

Drei Tage später wurde Frieda Maiwald an der Galle operiert. Trotz der schwelenden Spannung im Haus brachte Katrin sie in die Klinik, half ihr bei der Anmeldung und blieb noch bei ihr, bis sie sich in ihrem Zimmer eingerichtet hatte. Für den kurzen Aufenthalt hatte Katrin nur das Nötigste eingepackt, Hygiene-Artikel, Nacht- und Unterwäsche zum Wechseln.

„Nun bin ich also Patientin hier“, stellte Frieda mit einem ergebenen Seufzer fest. „Ob ich wohl meinen sechzigsten Geburtstag noch erleben werde?“

„Bitte, Frieda, hör auf damit!“

„Das Testament befindet sich in meinem Sekretär“, fuhr die Tante unbeirrt fort. „Meine ganzen Ersparnisse gehören selbstverständlich dir. Aber ich verbiete dir ausdrücklich, das Geld mit diesem Ben zu teilen. Das ist auch im Testament vermerkt.“

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Katrin, ohne auf Friedas Forderung einzugehen. Sie wollte am Abend vor dem Eingriff nicht noch eine weitere fruchtlose Diskussion. Alle vorhergehenden waren schon zermürbend genug gewesen. „Wie ich schon mehrmals sagte, du wirst nicht sterben. Man wird dir die Gallenblase samt Steinen entfernen. Danach wirst du dich rasch erholen und dein Leben genießen. Unkraut vergeht nicht, das waren doch immer deine Worte. Du wirst steinalt, glaub mir.“

„Dann wirst du mich aber noch lange ertragen müssen“, meinte Frieda trocken.

Bevor Katrin noch etwas dazu sagen konnte, betrat Dr. Holl das Zimmer. Eigentlich war er schon auf dem Heimweg, aber er wollte die beiden Maiwald-Damen noch begrüßen.

Mit seiner sympathischen Art gelang es ihm, beruhigend auf die Patientin einzuwirken.

„Es wird alles gutgehen, ganz sicher, das verspreche ich Ihnen. Ich selbst werde Sie operieren.“