Die besten Ärzte - Sammelband 19 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 19 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1784: Am Hochzeitstag sah sie ihn wieder
Notärztin Andrea Bergen 1263: Was das neue Jahr wohl bringen mag...
Dr. Stefan Frank 2217: Fahr mit mir in die Stadt der Liebe
Dr. Karsten Fabian 160: Falsches Spiel auf dem Reiterhof
Der Notarzt 266: Zu beschäftigt, um zu helfen


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 588

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2013/2014/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © wavebreakmedia/Shutterstock ISBN 978-3-7325-9188-6 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Liz Klessinger, Stefan Frank, Ina Ritter, Karin Graf

Die besten Ärzte 19 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1784In ihrem bezaubernden Brautkleid schreitet Maria Amburg zum Altar, um Ralph Schreiber das Jawort zu geben. Doch dann bleibt sie plötzlich wie angewurzelt stehen, und ihr Mund öffnet sich zu einem stummen Schrei. In einer der Bankreihen hat sie Thomas Severin entdeckt - die Liebe ihres Lebens, den Mann, der sie vor einigen Jahren ohne Abschiedswort verlassen und sich nie wieder gemeldet hat. Wie in Trance geht Maria auf Thomas zu, und als dieser die Kirche überstürzt verlässt, läuft sie hinter ihm her. Und dann geschieht das Unfassbare! Maria stolpert über die Schleppe ihres Brautkleides und stürzt die harten Steinstufen, die zum Kirchenportal führen, kopfüber hinunter. Am Fuß der Treppe bleibt sie bewusstlos liegen, und der Schleier färbt sich rasch rot. Ein Rettungswagen bringt die Braut auf schnellstem Wege in die Berling-Klinik. Sie hat sich bei dem Sturz mehrere Schädelbrüche zugezogen. Chefarzt Dr. Holl, der mit Marias Eltern befreundet ist, wird sofort alarmiert. Der Zustand der Braut ist äußerst ernst, und niemand kann sagen, ob sie ihren Hochzeitstag überleben wird ...Jetzt lesen
Liz KlessingerNotärztin Andrea Bergen - Folge 1263Fassungslos starrt die hübsche Ruth Freiberger ihren Neurologen an, und nur mühsam gelingt es ihr, das Unfassbare zu begreifen: Sie leidet an Multipler Sklerose, und einzig eine sofortige Kortison- und Beta-Interferon-Therapie kann das Fortschreiten der Krankheit aufhalten! Die Nebenwirkungen, die Dr. Späher ihr schildert, klingen geradezu albtraumhaft, und siedend heiß erkennt Ruth, dass nun auch ihr größter Traum zerbricht: Sie wird die Weltreise, die sie im nächsten Monat mit ihrem geliebten Tom antreten wollte, absagen müssen! Doch es kommt noch schlimmer, viel schlimmer: Tom eröffnet ihr, mit einer so kranken Frau nicht leben zu können. Gerade erst hat er seine Mutter bis zu deren Tod gepflegt - und nun will er einfach nur noch aus dem Vollen schöpfen und sorglos sein! Als er sich von ihr abwendet, zieht sich Ruth von aller Welt zurück - und droht zu verzweifeln ...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2217Doch rettet die Reise wirklich Lisas Ehe? Die hübsche Restauratorin Lisa Sommerburg versteht die Welt nicht mehr. Was ist nur los mit ihrem Mann? Früher haben sie und Adrian sich immer alles erzählt, sie haben gelacht und viel miteinander unternommen, sind gemeinsam um die halbe Welt gereist. Doch seit einigen Monaten distanziert sich Adrian mehr und mehr von ihr. Er arbeitet lang, spricht wenig und geht ihr aus dem Weg, wo er nur kann. Lisa hat keine Ahnung, warum Adrian das tut, aber eins weiß sie nach wie vor ganz sicher: Sie liebt ihren Mann! Wie sehr wünscht sie sich, dass alles wieder wie früher wird, dass sie einander wieder nah sind, dass sie wieder gemeinsam reisen - am liebsten nach Paris, in die Stadt der Liebe...Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 160Die Reitlehrerin Irene Oldehoff findet nach ihrer Ausbildung keinen Arbeitsplatz. Die Chefs wollen Männer, weil sie mit Reitlehrerinnen in der Vergangenheit angeblich häufig Ärger gehabt haben. Auch der Altenhagener "Rittmeister" Eckehart von Harting bevorzugt männliche Mitarbeiter in seinem Stall. Also bewirbt sich Irene bei ihm mit den Papieren ihres Zwillingsbruders Peter und stellt sich Eckehart als Mann vor. Tatsächlich bekommt Irene den Job, aber damit fangen ihre Probleme erst an. Denn gleich am ersten Tag verliebt sich eine bildhübsche Schülerin in den sensiblen jungen "Lehrer" ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 266Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, ist stolz auf seine fähigen und engagierten Mitarbeiter. Die Abteilung genießt einen hervorragenden Ruf. Die neue Assistenzärztin Lena passt ausgezeichnet in dieses eingespielte Team. Sie ist nicht nur hochintelligent, motiviert, wissbegierig, lernfähig und unglaublich talentiert; sie verfügt auch über eine gewaltige Portion dessen, was einen wirklich guten Notarzt ausmacht: Instinkt und Bauchgefühl. Umso entsetzter reagiert Peter Kersten, als er von "höchster Stelle" dazu angewiesen wird, die noch in der Probezeit befindliche Lena fristlos zu entlassen. Ihre Stelle soll mit einer anderen jungen Frau besetzt werden: Corinna Schmitz. Machtlos muss sich der Notarzt dieser Anordnung fügen. Auch der Assistenzarzt Elmar Rösner ist wie vor den Kopf geschlagen. Er ist heimlich in Lena verliebt und hat es noch nicht geschafft, ihr seine Gefühle zu gestehen. Nun, wo sie weg ist, scheint es dafür zu spät zu sein. Da kommt es zu einem verhängnisvollen Zwischenfall: Eines Abends klingelt in der Notaufnahme das Telefon. Ein kleines, verzweifeltes Mädchen ist am anderen Ende der Leitung. Corinna nimmt den Anruf entgegen, doch sie hat eigentlich gerade anderes zu tun. Außerdem kann man dieses wirre Gestammel doch sowieso nicht ernst nehmen. Oder ...?Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Am Hochzeitstag sah sie ihn wieder

Vorschau

Am Hochzeitstag sah sie ihn wieder

Im Brautkleid brachte man sie in die Berling-Klinik

Von Katrin Kastell

In ihrem bezaubernden Brautkleid schreitet Maria Amburg zum Altar, um Ralph Schreiber das Jawort zu geben. Doch dann bleibt sie plötzlich wie angewurzelt stehen, und ihr Mund öffnet sich zu einem stummen Schrei. In einer der Bankreihen hat sie Thomas Severin entdeckt – die Liebe ihres Lebens, den Mann, der sie vor einigen Jahren ohne Abschiedswort verlassen und sich nie wieder gemeldet hat.

Wie in Trance geht Maria auf Thomas zu, und als dieser die Kirche überstürzt verlässt, läuft sie hinter ihm her. Und dann geschieht das Unfassbare! Maria stolpert über die Schleppe ihres Brautkleides und stürzt die harten Steinstufen, die zum Kirchenportal führen, kopfüber hinunter. Am Fuß der Treppe bleibt sie bewusstlos liegen, und der Schleier färbt sich rasch rot.

Ein Rettungswagen bringt die Braut auf schnellstem Wege in die Berling-Klinik. Sie hat sich bei dem Sturz mehrere Schädelbrüche zugezogen. Chefarzt Dr. Holl, der mit Marias Eltern befreundet ist, wird sofort alarmiert. Der Zustand der Braut ist äußerst ernst, und niemand kann sagen, ob sie ihren Hochzeitstag überleben wird …

„Maria, heute ist also dein großer Tag! Bist du aufgeregt?“, fragte Stationsschwester Carmen und beantwortete sich ihre Frage gleich selbst, als sie sah, wie sich Maria Amburgs Wangen röteten. „Und ob! Ein klares Ja!“

„Ich bin so nervös, dass ich das Gefühl habe, in einem Ameisenhaufen festzustecken. Überall kribbelt es. Lampenfieber – ich hasse das!“, gestand die junge Kinderkrankenschwester mit einem schrägen Lächeln.

Die Krankenschwestern auf der Kinderstation der Berling-Klinik gönnten sich eine kurze Kaffeepause. Es war früher Nachmittag. Die kleineren Kinder schliefen, viele hatten Besuch von ihren Eltern, und im Augenblick waren keine Behandlungen angesetzt.

Auf der Station war es in aller Munde, dass Schwester Maria am Abend an einem Vorsingen für eine Stelle als Sängerin einer Band teilnehmen wollte. Eine Kollegin, der sie sich unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte, war mit dem Siegel äußerst großzügig verfahren. Maria war die allgemeine Aufregung ein wenig peinlich, aber irgendwie freute es sie auch, wie groß die Anteilnahme bei allen war.

Nighthope, eine in München angesagte Rockband, war auf der Suche nach einer frischen, außergewöhnlichen Stimme. Die Band hatte angekündigt, am Abend in einer Bar zu spielen und jeder Sängerin eine Chance zu geben, die sich meldete. Als Maria den Aushang gesehen hatte, war sie sofort entschlossen gewesen, es einfach einmal zu versuchen. Sie sang für ihr Leben gerne, hatte aber keine Banderfahrung und rechnete sich keine wirklichen Chancen aus.

Die Menschen, die sie mochten und schätzten, sahen das vollkommen anders. Groß und Klein auf der Kinderstation waren in Marias Stimme verliebt und konnten sich nicht vorstellen, dass eine andere Bewerberin auch nur die geringste Chance hatte.

„Es ist so lieb, dass ihr alle mit mir fiebert. Ihr seid toll! Schau mal, was die Kinder für mich gemalt haben!“

Maria reichte Carmen einen Stapel Bilder, die sie im Verlauf des Vormittages von den Kindern bekommen hatte. Sie sollten ihr Glück bringen.

„Süß!“ Carmen betrachtete die farbenfrohen Kunstwerke schmunzelnd. „Das bist eindeutig du, und noch dazu in voller Fahrt!“, scherzte sie und zeigte auf ein Strichmännchen, das in wilden Zuckungen zu liegen schien und einen beachtlichen Wust gelber Haare auf dem Kopf hatte, die nach allen Richtungen abstanden.

„Danke! Ich sehe also aus wie ein Schrubberbesen und bewege mich wie nach einem Totalauseinanderfall. Aufbauend! Ausgesprochen aufbauend! Könnte es sein, dass du mich ungern gehen lassen möchtest?“, spöttelte Maria. Wie immer bei der Arbeit hatte sie ihr langes blondes Haar zu einem Zopf zurückgebunden. Trug sie es offen, gab es durchaus Tage, an denen sie die dicke Mähne kaum bändigen konnte.

„Ertappt!“, gab Carmen fröhlich zu. „Ohne dich würde etwas hier bei uns fehlen. Aber denkst du denn tatsächlich daran, ganz auf die Musik umzusteigen und die Berling-Klinik zu verlassen?“

Auf den Gedanken war Carmen bisher nicht gekommen. Er gefiel ihr ganz und gar nicht. Maria war eine ihrer zuverlässigsten und besten Schwestern. Sie hatte eine besondere Gabe, mit der es ihr gelang, selbst zu den schwierigsten Kindern durchzudringen. Ihr Gesang öffnete die Kinderherzen mit magischer Macht. Mit Maria redeten sie, ihr vertrauten sie sich an. Sollte sie gehen, bedeutete das einen großen Verlust für die Station.

„Keine Bange!“, wehrte Maria lachend ab. „Ich bleibe euch erhalten. Selbst falls sie mich nehmen sollten, ist es keine Band, bei der ich meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Bis auf den Bandleiter, der Berufsmusiker ist und für viele prominente Bands Lieder schreibt oder als Gitarrist einspringt, wenn Not am Mann ist, gehen die restlichen Mitglieder von Nighthope parallel einem bürgerlichen Beruf nach.“

„Sehr beruhigend! Jetzt hast du mir aber kurz einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“

„Vermutlich lassen die mich erst gar nicht ans Mikro, wenn ich ihnen erzähle, dass meine einzigen Erfahrungen der Kirchenchor meiner Gemeinde und ein Gospelchor sind. Die suchen bestimmt jemanden mit mehr Bühnenerfahrung. Es ist ganz schön vermessen von jemandem wie mir, es überhaupt zu versuchen.“

„Mädchen, so gewinnt man keinen Blumentopf! Du musst an deinem Selbstvertrauen arbeiten!“, kommentierte Carmen. „Außerdem würden sie kein öffentliches Wettsingen veranstalten, wenn sie nur Profis wollten.“

„Meinst du? Es könnte ihnen um Werbung gehen. Heute Abend wird die Bar aus allen Nähten platzen, in der sie auftreten. Vielleicht nutzen sie diesen Trubel einfach nur, um ihre neue Sängerin einzuführen, und haben sich in Wahrheit längst für eine entschieden.“

„Unsinn! Solche Spielchen haben sie nicht nötig. Wenn sie in München oder in der Umgebung irgendwo auftreten, ist es immer voll. Ich habe sie öfter gehört und mich immer gewundert, warum ihnen der große Durchbruch nicht gelingt. Tolle Lieder, tolle Texte und eine spitzen Bühnenshow. Die Jungs sind klasse.“

„Hey, ich hatte ja keine Ahnung, dass du ein Fan bist. Ich höre sie auch gerne, wobei ich die Idee einer weiblichen Stimme genial finde. Vielleicht katapultiert dieser Wechsel sie endlich nach vorne. Wobei viele gute Bands es nicht schaffen. Der Markt ist knallhart“, meinte Maria.

„Hoffen wir, sie schaffen es noch, obwohl es dann eng für uns auf der Kinderstation wird. Natürlich ist es auch schön, dich im Radio und im Fernsehen zu bewundern, aber am schönsten wird es immer sein, wenn du hier für uns singst. Da bin ich egoistisch, und die kleinen Menschen stimmen mir mit Sicherheit ohne Ausnahme zu.“

„Das wird doch sowieso nichts!“, sagte Maria lachend.

„Und ob das etwas wird! Du bist verdammt gut, und die können froh sein, dass du bei ihnen einsteigen möchtest. So musst du heute Abend auf die Bühne gehen! Du bist ein Geschenk der Götter für diese Jungs.“

„Ja, aber …“

„Kein Aber! Glaube an dich und vertraue uns! Du hast eine Stimme, die alles zum Schmelzen bringt und einfach unglaublich ist. Du bist spitze, und du schaffst das, wenn du es wirklich schaffen willst. Die Leute im Publikum werden toben, wenn sie dich hören.“

„Danke!“ Marias Augen wurden feucht. Der Zuspruch tat ihr gut.

„Unsinn! Das musste einmal gesagt werden“, meinte Carmen resolut und nahm ihre Kollegin spontan in den Arm.

Als Stationsschwester war sie geliebt und gefürchtet, weil sie kein Blatt vor den Mund nahm, wenn etwas nicht in ihrem Sinn lief. Dafür verstand sie es aber auch, ihre Leute zu loben und aufzubauen.

„Wer wird dich denn heute Abend anfeuern?“, wollte sie noch wissen, bevor die Arbeit wieder rief.

„Niemand, und das ist mir auch am liebsten so. Wenn ich kläglich versage, möchte ich mich heimlich, still und leise davonschleichen können und mir eine Runde Selbstmitleid gönnen.“

„Optimistin!“ Carmen verdrehte seufzend die Augen. „Hast du auch einen Plan für den Fall, dass sie dich wollen?“

„Das findet sich dann schon“, erwiderte Maria mit einem heiteren Grinsen.

„Viel Glück!“, wünschte ihr Carmen noch einmal, dann kehrten sie zu ihrer Arbeit zurück.

***

„Du mieser Idiot! Wie kannst du nur so mit mir umgehen? Ich bin das Beste, was ihr kriegen könnt, und ich war dir schließlich gut genug, um mit mir ins Bett zu gehen“, empörte sich eine Frau und versuchte mit beiden Fäusten auf einen Mann einzuschlagen, der sie sich nicht sonderlich beeindruckt mit beiden Händen auf Abstand hielt.

Maria näherte sich dem Hintereingang der Bar, an der sich die Sängerinnen melden sollten. Sie hatte zuhause lange gebraucht, sich für ein passendes Outfit zu entscheiden. Auf der Bühne musste es etwas hermachen und ihre weiblichen Reize hervorheben, aber sie wollte auch nicht billig oder leicht zu haben aussehen.

Aus diesem Grunde hatte sie ihren halben Kleiderschrank durchprobiert, um am Ende dann doch die hautenge schwarze Jeans und ein ebenfalls schwarzes, leicht transparentes und ungewöhnlich geschnittenes Oberteil zu wählen, die sie gleich zu Beginn ausgesucht hatte. Dazu trug sie Schuhe mit geradezu verboten hohen Absätzen.

Nachdem sie sich geschminkt und ihre Mähne gerichtet hatte, erkannte sie sich kaum selbst im Spiegel wieder. Wer war die heiße Braut, die ihr da entgegensah? Das verunsicherte sie so sehr, dass sie noch zwei Tassen Kaffee trinken musste, bevor sie den Mut fand, sich auf den Weg zur Bar zu machen.

Das Vorsingen hatte längst begonnen, das war ihr klar, aber keiner hatte gesagt, dass man als Bewerberin von Anfang an dabei sein musste. Ganz wohl war ihr dennoch nicht wegen der Verspätung, als sie schließlich vor der Bar ankam und Zeugin der wütenden Szene wurde.

In einigem Abstand von den Streitenden blieb sie stehen, denn das Paar blockierte die Tür. Der Mann war Thomas Severin, der Gründer der Band, der für Musik und Texte verantwortlich war und bisher auch als Sänger fungierte. Maria bewunderte ihn schon lange für seine Kunst, aber irgendwie hatte sie sich den Künstler vollkommen anders vorgestellt – sensibel und weise wie die Texte seiner Songs.

Im Original wirkte er gelangweilt und genervt von den verbalen Attacken der Frau, als ob es für ihn zum Alltag gehörte, wutschnaubende, enttäuschte Liebhaberinnen abzuservieren. Er war Maria zutiefst unsympathisch, und sie solidarisierte sich automatisch mit ihrer Geschlechtsgenossin.

„Hey, wenn du geglaubt hast, dass es dir einen Vorteil verschafft, mit mir zu schlafen, dann war das dein Fehler. Ich schlafe gerne mit schönen Frauen, aber um für meine Band zu singen, braucht man in erster Linie eine gute Stimme. Tut mir leid! Was du eben geboten hast, tat in den Ohren weh. Du triffst die Töne nicht, kannst den Rhythmus nicht halten und bewegst dich auf der Bühne steif wie ein Stock.“

„Ja, ja, bilde dir das nur ein! Die Leute haben geklatscht, oder etwa nicht? Du hast doch nur Angst davor, dich auf eine Beziehung einzulassen und unsere Liebe zu leben und …“

„Mädchen, wir haben einmal miteinander geschlafen. Du kommst regelmäßig zu unseren Gigs, und das ist schön, aber da gibt es keine Beziehung zwischen uns, und die wird es auch nicht geben. Schlag dir das aus dem Kopf!“, stellte Thomas richtig, als er Maria bemerkte.

„Willst du vorsingen?“, rief er zu ihr herüber.

„Bin ich zu spät?“

„Du bist da.“ Er winkte sie heran. „Keine falsche Scheu!“, fügte er an, als sie noch immer zögerte. „Hier geht es zur Bühne. Komm am besten gleich mit! Hast du schon einmal bei einer Band gesungen?“, fragte er Maria und ignorierte die andere Frau komplett. Für ihn war der Streit beendet, und er hatte jedes Interesse an ihr verloren.

Maria kam langsam näher, denn sie spürte die enormen Spannungen. Im Gegensatz zu ihm war die aufgebrachte Frau noch lange nicht fertig. Sie baute sich zwischen ihm und Maria auf. Wütend funkelte sie ihn an und zeigte ihm die geballte Faust.

„Niemand behandelt mich so! Niemand! Das wirst du bereuen! Ich mache dich fertig!“, drohte sie.

Thomas Severin schob sie ohne große Umstände zur Seite.

„Gut, dann stelle dich hinten an! Den Spruch höre ich immer wieder. Erst rennt ihr mir nach und tut alles, damit ich mit euch schlafe, und dann seid ihr sauer, dass ihr genau das bekommt, was ihr wolltet: Sex. Ich begreife Frauen nicht.“

„So toll bist du auch wieder nicht! Du leitest eine zweitklassige Band, die es nicht ins richtige Rampenlicht schafft, und es gibt attraktivere Männer“, fauchte die Frau.

„Stimmt! Meine Rede! Dann kannst du doch froh sein, dass du nicht mit dieser zweitklassigen Band auf die Bühne gehen musst und mich nicht mehr zu sehen brauchst. Mach es gut! Man sieht sich!“

„Ich hasse dich!“ Schluchzend rannte sie davon.

„Hast du es dir anders überlegt, oder willst du noch mit uns auf die Bühne?“, fragte Thomas Severin etwas gereizt, weil Maria nicht gleich kam.

„Solange ich dafür nicht mit dir ins Bett muss, singe ich gerne“, konterte sie giftig. Wie konnte ein Mann so unbeschreiblich schöne Lieder schreiben und so ein kaltschnäuziger Egoist sein? Maria war enttäuscht. Sie hatte sich darauf gefreut, Thomas Severin kennenzulernen, und mehr von ihm erwartet. Er war auch nur ein ganz normaler Mann und noch dazu anscheinend ein herzloser und eitler. Schade!

„Autsch! Bist du immer so charmant?“ Er lachte erheitert. Direktheit gefiel ihm, und nachdem, was sie gerade beobachtet hatte, verstand er ihre Zurückweisung. Überhaupt war das die erste Kandidatin, die zumindest vom Äußeren her durchaus in Frage kam.

„Immer, wenn es darauf ankommt. Welches Lied soll ich denn mit euch singen?“, fragte Maria und wurde seltsamerweise etwas ruhiger. Thomas Severin jagte ihr keine Angst mehr ein. Ihm musste sie nichts beweisen, weil er so viel Bedeutsamkeit nicht verdiente.

„Hast du denn kein bestimmtes Lied vorbereitet?“, fragte er sie erstaunt.

„Nein, hätte ich das tun sollen? Tut mir leid, ich habe noch nie an so etwas teilgenommen. Ich dachte, ihr werdet mir schon sagen, was ich singen soll …“ Jetzt wurde sie doch wieder nervös.

„Ist schon in Ordnung!“, sagte Thomas und winkte beruhigend ab. „Drei hatten wir bisher auf der Bühne. Sie haben alle dasselbe Lied vorbereitet und kannten ansonsten keine Texte. Das Publikum ist hart im Nehmen, aber du bist eine willkommene Abwechslung. Gott sei Dank! Es war übrigens noch nichts Passendes dabei. Ich hoffe, du hast mehr zu bieten als deine Konkurrenz.“

„Weniger kann mehr sein. Schauen wir mal. Was soll ich singen?“, reagierte Maria selbstbewusster, als sie sich fühlte. Etwas an diesem Mann provozierte sie und brachte sie dazu, sich forscher zu geben, als sie eigentlich war.

„Was kannst du?“

„Ich kenne alle eure Lieder und die Texte auswendig. Mir ist ziemlich egal, mit was ich loslege.“

„Gut, dann wähle ich für dich. Komm!“, sagte Thomas und nickte anerkennend.

Maria rechnete damit, dass er sie erst der Band vorstellte und den anderen Sängerinnen, die noch auf ihren Auftritt warteten, aber stattdessen ging er ihr voran, führte sie direkt auf die Bühne und reichte ihr ein Mikro.

„Das ist eine Wildkatze, die uns vielleicht alle überraschen wird“, stellte er sie den Zuschauern vor. „Sie ist heiß und wild darauf loszulegen. Da wollen wir sie doch nicht zurückhalten! Und ihr wisst, wenn ihr der Meinung seid, dass sie das neue Gesicht und die neue Stimme von Nighthope sein soll, dann lasst es uns hören!“

Die Bar war brechend voll, und das Publikum war gut gelaunt. Es klatschte und johlte ermutigend.

„Maria! Maria! Maria!“, kam es lautstark von links außen, und tatsächlich stand dort die halbe Kinderstation zusammen und winkte ihr ausgelassen.

„Zumindest ihr habt euren Spaß“, dachte Maria, freute sich aber trotz allem und lächelte Carmen dankbar zu. Es war gut, sich auf dieser Bühne nicht nur von Feinden umgeben zu fühlen, sondern zu wissen, dass dort unten Freunde waren, die ihr nur das Beste wünschten.

„Du hast deinen Fanclub mitgebracht. Nicht übel! Allmählich bin ich wirklich gespannt, was du kannst. Lass uns loslegen! Viel Glück!“, raunte Thomas ihr zu und kam ihr dabei so nahe, dass sie unangenehm berührt instinktiv einen Schritt von ihm weg machte.

„Habt ihr das gesehen?“, fragte er lachend ins Publikum. „Eine kluge Frau, die mich nicht mag. Sie gefällt mir immer besser. Jetzt muss sie nur noch singen können, dann hat sie den Job.“

Maria hätte ihn lynchen können, aber sie gönnte dem Publikum den Lacher. Thomas kündete den nächsten Song an, und schon setzte die Band ein. Maria blieb keine Zeit, aufgeregt zu sein. Es war eines ihrer Lieblingslieder, und als ihr Einsatz kam, setzte sie ein.

***

Maria hatte keine Zeit, nachzudenken und Angst zu haben. Thomas hatte sie ins kalte Wasser geworfen, und sie schwamm. Das Lied begann mit einer ruhigen Passage, die den vollen, warmen Klang ihrer Stimme zeigte und ihr und der Band ermöglichte, ein Gefühl füreinander zu entwickeln.

Während die drei Sängerinnen davor von den Musikern erwartet hatten, sich nach ihnen zu richten, kam Maria vom Chorgesang her und hatte immer die Gesamtheit im Ohr. Sie hörte auf die Band und verschmolz mit ihr problemlos zu einer musikalischen Einheit. Ihre Stimme und ihre Interpretation fügten sich ein, als ob sie schon immer dazugehört hätte.

Die Musiker warfen sich anerkennende Blicke zu. Die warme Altstimme war genial. Sie war nicht nur tonsicher, sondern verfügte offensichtlich auch über ein beträchtliches Volumen und eine unglaubliche Fülle und Ausdruckskraft. Die Frau war einfach unglaublich. Sie passte perfekt. Irgendwo musste es einen Haken geben. So ein Glück konnten sie nicht haben!

Jetzt kam es darauf an, ob sie den Wechsel zu den leidenschaftlichen und wilden Passagen schaffte und wie sich ihre Bühnenpräsenz entwickelte. Das Publikum hatte sie schon in der Tasche. Schaffte sie es, alle Hemmungen zu überwinden und ganz und gar in dem Song und auf der Bühne aufzugehen. Das konnten die wenigsten, aber genau so jemanden brauchten sie als Band.

Maria sang, und Hemmungen kannte sie nicht, wenn es um Musik ging. Ganz natürlich begann sie, mit dem Publikum in Verbindung zu treten. Sie sang nicht einfach, sie erweckte das wundervolle Lied zum Leben und teilte Kummer und Leid, Hoffnung und Angst mit jedem Einzelnen, der ihr zuhörte. Wie ein Derwisch jagte sie dabei über die Bühne, und brachte das Publikum zum Toben.

„Wo, um Himmels willen, versteckt sie dieses Temperament im Alltag? Das ist unsere ruhige, ausgeglichene Maria!“, raunte Carmen ungläubig einer Kollegin zu.

„Und ob sie das ist!“, flüsterte diese stolz zurück.

Als die letzten Klänge verklungen waren, fühlte Maria sich berauscht und zugleich eigentümlich leer. Sie wollte weitersingen. Es war eine schreckliche Vorstellung, gleich das Mikro zurückgeben zu müssen, aber es kam anders. Thomas nannte den nächsten Song, und schon ging es weiter.

Wie Maria war auch die Band durch ihren Auftritt in eine ganz bestimmte Stimmung versetzt worden, die sie ein Lied nach dem anderen spielen ließ. Sieben Lieder sang Maria, bevor sie eine Pause machten. Das Publikum applaudierte und stampfte mit den Füßen.

„Maria! Maria!“, riefen am Ende alle und wollten damit klarmachen, dass sie ihre Wahl getroffen hatten.

„MARIA!“, rief Thomas strahlend ins Mikro. „Das ist die eine und sonst keine! Wir sehen das genau wie ihr. Sorry, sollte unter euch noch eine Dame sein, die es gerne versucht hätte: zu spät!“

Der Applaus ging weiter, auch als die Band sich nach hinten zurückgezogen hatte.

„Das gilt allein dir. Willkommen im Team! Darf ich vorstellen? Meine Wenigkeit kennst du schon und hast schon erkannt, dass ich ein böser Bube bin. Das ist Paul, unser Schlagzeuger. Er ist unser unschuldiges, liebes Lamm, dem man blind vertrauen kann“, begann Thomas, ihr seine Leute vorzustellen.

Paul war Mitte zwanzig wie Maria und hatte ein rundes, freundliches Gesicht. Wenn man ihn so sah, hätte man nie geglaubt, was für einen bezwingenden Rhythmuszauber er aus seinem Schlagzeug herausholen konnte. Maria wusste, dass er Postbote war in seinem anderen Leben.

„Du mich auch!“, brummte Paul gutmütig und knuffte Thomas freundschaftlich in die Seite. „Da hast du deine Meisterin gefunden. So, mein Guter, sollten deine Lieder klingen. Verlege dich lieber aufs Komponieren!“

„Danke für die Blumen, und genau das habe ich vor!“, stimmte Thomas ihm zu.

Paul reichte derweil Maria die Hand.

„Der da mag keine üblen Lieder schreiben, aber ganz ehrlich, ich habe das Gefühl, ich habe diese Lieder heute das erste Mal wirklich gehört. Maria, du bist genau die Frau, die wir brauchen!“, begrüßte er sie herzlich.

„Danke!“ Maria war noch ganz aufgeregt und voller Freude. Am liebsten wäre sie auf der Stelle wieder hinaus auf die Bühne gegangen. „Macht das Spaß! Danach könnte ich süchtig werden!“

„Wir sind süchtig danach, und da du jetzt mit im Boot bist, halte dich nicht zurück!“, meldete sich der Keyboarder zu Wort und schüttelte Maria fest die Hand. „Tolle Leistung eben! Du hast die Bar gerockt. Ganz sicher, dass das dein erster Auftritt war?“

„Hundertprozentig sicher!“

Sie lachten sich an und mochten sich auf Anhieb.

„Übrigens, bevor Thomas so liebenswürdig ist und es mir abnimmt: Ich bin Manfred, sprich Manne und der Opa im Team mit stolzen sechsunddreißig Jahren. Dafür habe ich zwei wundervolle Kinder und eine tolle Frau und bin in meinem normalen Leben ein braver, unscheinbarer Gymnasiallehrer. Habe ich etwas vergessen, Thomas, woran du deine spitze Zunge noch wetzen könntest?“

„Nein. Spielverderber!“, beschwerte sich Thomas, und Manne grinste nur.

„Ronald“, stellte sich der Bassgitarrist vor. „Meines Zeichens Elektriker und gar kein übler. Sollte bei dir mal was kaputtgehen: Nicht verzagen, Ronald fragen! Das machen alle.“

„Ich werde es mir merken!“, versprach Maria.

„Unser feines Gehör draußen am Mischpult ist Noah. Er ist frisch verliebt, sonst wäre er bestimmt schon hier, um dich zu fragen, ob du noch zu haben bist. Aufgepasst bei ihm! Seine Geschwindigkeit beim Verlieben ist legendär, und nur das Entlieben geht noch schneller bei ihm“, warnte Thomas fröhlich.

„Oh, kann er tatsächlich mit dir mithalten, wenn es darum geht?“, spöttelte Maria. „Kommen sich zwei Casanovas in einer Band nicht früher oder später ins Gehege? Wie teilt ihr euch die Beute auf?“

„Wir passen auf und überlassen es den Damen, zwischen uns zu wählen, aber danke für die Sorge!“

„Gern geschehen!“

„Thomas, da ist dir eine gewachsen. Du Armer! Du wirst dich ins Zeug legen müssen, wenn du die Oberhand behalten willst“, meinte Manne gutmütig, der dem kurzen Dialog schmunzelnd gefolgt war.

„Von dieser Stimme lasse ich mich freiwillig unterbuttern, solange sie nur meine Lieder interpretiert und bei der Stange bleibt. Ich fürchte, ich bin verloren und werde nur noch zu allem Ja und Amen sagen“, meinte Thomas in sein Schicksal ergeben.

Die Männer lachten schallend und zogen sich weiter gegenseitig auf. Es war spürbar, dass sie einander sehr vertraut waren und sich als Freunde betrachteten.

„Wir müssen da jetzt wieder raus, und du musst nicht, aber …“, begann Thomas.

„Versuche, mich aufzuhalten!“, meinte Maria.

Sie brachten den Abend gemeinsam auf der Bühne zu Ende. In einer der nächsten Pausen ließ sich Maria von ihren Kolleginnen an der Bar feiern. Dort wurde sie mit einem großen Hallo, Umarmungen, Küssen rechts und links und Gratulationen empfangen.

„Ob die Kinder dich in diesem Outfit erkennen würden?“, meinte Carmen und ließ einen anerkennenden Blick über Maria gleiten. „Ich wusste immer, dass du eine ausnehmend schöne junge Frau bist, aber heute Abend übertriffst du alles.“

„Das ist, weil ich glücklich bin. Die Jungs sind in Ordnung. Ich denke, wir werden uns gut verstehen, und da sie bis auf Thomas auch alle einem Beruf nachgehen, kann ich problemlos an den Proben teilnehmen. Es überschneidet sich nichts mit meinem Dienstplan. Das haben wir vorhin gleich überprüft“, erzählte Maria, die am liebsten die ganze Welt umarmt hätte vor Glück. „Sie sind dabei, ein neues Album zusammenzustellen, und proben im Moment viel, bevor sie ins Tonstudio gehen, um es einzuspielen. Ich bin so neugierig auf die neuen Lieder. Ach, eigentlich bin ich auf alles gespannt, was da auf mich zukommt. Das war immer schon ein Traum von mir, aber ich hätte nie gedacht, dass er einmal wahr werden könnte.“

Für Band und Publikum gehörte Maria nach diesem Abend bereits voll und ganz dazu. Sie hatte sich ihren Platz ersungen. Gegen zwei Uhr nachts machte sich die Band ans Abbauen. Maria war mit dem Wegfallen des Adrenalins zum Umfallen müde. Der Abend war so anders verlaufen, als sie erwartet hatte, und das musste sie alles erst noch in Ruhe verarbeiten.

Ganz hatte sie noch nicht erfasst, dass dies alles tatsächlich ihr passierte. Sie hatte das Gefühl, im Traum einer anderen zu leben, und war darauf gefasst, irgendwann abrupt aus der Träumerei gerissen zu werden und allein in ihrem Bett aufzuwachen.

„Kann ich euch helfen?“, bot sie an, weil sie nicht einfach weggehen wollte. Der Auf- und Abbau gehörte schließlich dazu, wenn es sich dabei auch eindeutig nicht um die schönsten Seiten eines Auftritts handelte.

„Ja, du kannst beim Raustragen helfen. Nimm die leichteren Sachen! Noah ist draußen auf dem Transporter und räumt die Sachen richtig ein. Du musst sie ihm nur auf die Klappe stellen“, sagte Thomas, der die Hilfe gerne annahm.

Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr er sich darüber freute. Maria hatte Teamgeist. Das war wichtig für ein problemloses, gutes Miteinander. Sie war keine Diva, und ihr Erfolg war ihr nicht zu Kopf gestiegen. Seltsam, aber für ihn gehörte sie schon zur Band-Familie – es war, als ob sie schon immer zu ihnen gehört hätte.

„Dann bis heute Abend im Probenraum! Acht Uhr!“, verabschiedeten sich die Musiker voneinander. Noah fuhr mit dem Transporter und der Ausrüstung davon. Soweit Maria verstanden hatte, lag der Probenraum der Band im Keller seines Hauses. Die anderen gingen zu ihren Autos, winkten und fuhren davon.

***

Maria wollte sich auf den Weg zur U-Bahnstation machen, als sie angesprochen wurde und erschrocken herumfuhr. Sie hatte nicht bemerkt, dass Thomas noch in der Bar gewesen war, um mit dem Wirt abzurechnen.

„Du warst vorhin zu Fuß unterwegs. Bist du mit der U-Bahn gekommen?“, wollte er wissen.

„Ja. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so spät wird. Egal, es wird schon bald eine Bahn fahren, und zur Not warte ich eben und träume vor mich hin! Stoff genug zum Träumen habe ich ja“, meinte Maria leichthin.

Nach Mitternacht fuhren die Bahnen in Stundenabständen. Sie hätte besser mit dem Auto kommen sollen. Für die Zukunft wusste sie Bescheid.

„Ich bring dich heim!“, bestimmte Thomas. „Jetzt auf dem Bahnsteig zu warten, das ist viel zu gefährlich für eine Frau.“

„Das musst du nicht! Ich kann gut auf mich aufpassen und …“

„Maria, du bist jetzt unser kostbarstes Kapital, und ich passe nur auf die goldene Stimme auf, von der ich mir bares Gold verspreche. Ich werde dich nicht mit meinem unwiderstehlichen Charme verführen und in mein Bett schleppen. Nach einem Auftritt wie heute Abend bin ich platt und freue mich ohnehin auf ein Bett für mich allein. Keine Gefahr!“, spottete Thomas.

„Und wie kommst du darauf, dass du die geringste Chance bei mir haben könntest? Könnte ich nicht gegen deinen Charme immun sein?“ Maria sah ihn provozierend an. Immer, wenn sie anfing, ihn gar nicht mehr so schlimm zu finden, musste er etwas sagen, was sie wieder gegen ihn aufbrachte.

„Sag doch nicht so etwas Grausames!“, beschwerte er sich im Scherz. „Im Ernst, ich habe noch niemanden meine Lieder so singen hören wie dich. Wir sprechen dieselbe Sprache, meine Liebe, aber da wir in derselben Band sind, kommt eine Affäre ohnehin für mich nicht in Frage. An diesem Punkt bin ich konsequent. Du kannst aufatmen!“

„Da bin ich aber froh!“ Maria sagte es und war überrascht, als sie einen Stich der Enttäuschung dabei verspürte. Thomas betrachtete sie als tabu, weil sie zusammen Musik machten. Sie hätte sich in der Tat freuen sollen, denn sie wollte nichts von ihm. Warum war da noch ein ganz anderes Gefühl als Erleichterung?

Das konnte nicht sein! Er war ein Primitivling, der Frauen benutzte und wegwarf, ohne sich um ihre Gefühle zu scheren. Es musste an der Uhrzeit liegen und an diesem Wahnsinnstag. Ihre Gefühle waren durcheinander. Anders konnte sie sich das nicht erklären. Wenn sie erst ausgeschlafen hatte, würde sie darüber lachen.

„Steig ein!“ Er hielt ihr die Beifahrertür auf.

Maria sträubte sich nicht länger und stieg in seinen Wagen ein. Eine Stunde auf einem nächtlichen Bahnsteig zu stehen, das reizte sie wirklich nicht sonderlich. Es wäre einfach nur dumm gewesen, auf ihre Unabhängigkeit zu pochen und solch ein Risiko einzugehen, obwohl es sich vermeiden ließ.

„Die Frau vorhin, warum hast du sie so behandelt? Das war gemein und unnötig.“

Maria hatte die Frage kaum gestellt, als sie sich selbst für verrückt erklärte. Sie kannte den Mann doch kaum, und auch wenn sie nun zusammen musizierten, machte sie das nicht automatisch zu Freunden. Ihre Frage war indiskret und unangebracht.

„Entschuldige! Es steht mir nicht zu, dich so etwas zu fragen. Ich bin müde, und da ist meine Zunge schneller als mein Verstand“, beeilte sie sich, einen Rückzieher zu machen.

„Schon in Ordnung! Man sollte grob wissen, mit wem man auf der Bühne steht. Ich fand sie attraktiv und ziemlich nett. Es war schön mit ihr, und als sie mich nach ihrem Auftritt förmlich erpressen wollte, war ich enttäuscht. Peinlich, aber ich dachte, es ginge ihr nicht nur um Vorteile.“

Maria betrachtete ihn ungläubig von der Seite. Drehte er da nicht einfach den Spieß um? Wer hatte wen benutzt? Ehrlich gestand sie sich ein, dass sie das unmöglich beurteilen konnte.

„Du wirst das selber noch merken. Es ändert sich einiges, wenn man auf der Bühne steht. Frauen laufen mir nach und himmeln mich an, aber sie meinen nicht mich. Mit der Zeit lernt man, damit umzugehen, aber hin und wieder fällt man eben doch wieder rein. Maria, auch wenn ich mit dem Image spiele, gehe ich nicht mit jeder gleich ins Bett“, erklärte Thomas ungewöhnlich ernst. „Bis vor sechs Monaten war ich in einer festen Beziehung und das fünf Jahre lang. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ganz schön spießig, oder?“, nahm er sich selbst auf die Schippe.

„Warum hast du es nicht getan?“, hakte Maria nach, die sich allmählich fragte, ob sie ihm nicht doch Unrecht tat mit ihrer Einschätzung.

„Tja, woher willst du wissen, ob ich es nicht versucht habe? Genug von mir geredet! Du bist also Kinderkrankenschwester. Das stelle ich mir im Alltag sehr anstrengend vor. Ich meine, wenn eines der Kinder stirbt oder leidet und man nichts tun kann – das ist nicht leicht. Krankheit und Tod sind immer schrecklich, aber wenn es um Kinder geht, lässt es sich kaum ertragen.“

Maria war überrascht, wie einfühlsam er war. Dann musste sie wieder an die Liedtexte denken und wunderte sich nicht mehr. Thomas Severin war ein äußerst widersprüchlicher Mensch, und man wurde ihm nicht gerecht, wenn man ihn auf eine Seite seines Wesens festlegte.

„Es ist nicht leicht, aber man wird dabei jeden Tag beschenkt. Kinder sehen das Leben und auch Krankheit, Sterben und Tod auf ihre ganz eigene Weise. Oft machen sie ihren Eltern noch Mut und lachen für sie. Wenn man mit diesen mutigen und großherzigen kleinen Menschen zu tun hat, dann ist das eine Bereicherung.“ Maria übte ihren Beruf mit großer Liebe zu den Kindern und mit großem Respekt vor ihnen aus.

Thomas hörte ihr aufmerksam zu.

„Ich kann manchmal nicht begreifen, wie es sein kann, dass die Erwachsenen sich so gar nicht mehr daran erinnern, wie es war, die Welt und das Leben mit offenen Augen anzuschauen und sich zu freuen. Es fällt schwer zu verstehen, dass diese Erwachsenen auch einmal Kinder waren. Wenn ich traurig werde, dann mache ich mir das immer wieder klar. Nichts geht verloren. Jeder kann sich erinnern, wenn er es nur wirklich will.“

Thomas’ Augen bekamen einen eigentümlichen Ausdruck. Da war eine Tiefe und Schönheit in ihr, die ihn überwältigte. Er hatte einiges erlebt, was ihn dazu gebracht hatte, Frauen mit einer großen Portion Zynismus zu begegnen. Maria bewies ihm, dass es auch ganz andere Frauen gab.

Sie war auf eine Weise unschuldig, die ihn rührte. Fast bedauerte er, dass sie durch die Auftritte und das Verhalten der Fans mit Dingen konfrontiert werden würde, auf die sie kaum vorbereitet war. Er schwor sich, gut auf sie aufzupassen, damit sie sich ihre Besonderheit bewahren konnte.

„Ist alles okay mit dir?“ Maria merkte, dass da etwas zwischen ihnen passierte, konnte es aber nicht zuordnen.

„Natürlich! Mich zieht es nur heim. Ich glaube, ich hatte gerade die Idee zu einem neuen Lied, und das muss noch fertig werden, bevor ich mich hinlege.“ Er bremste den Wagen ab und kam direkt vor dem Hochhaus zum Stehen, in dem Marias kleine Wohnung lang.

„Da wären wir! Wir sehen uns heute Abend um acht Uhr schon wieder. Soll ich dich eigentlich abholen und mitnehmen? Noahs Reich liegt am Stadtrand und ist schwierig zu finden. Das Tolle ist, dass wir niemanden mit unseren Proben dort stören, aber es ist schon eine ziemliche Strecke. Ich habe gerne Gesellschaft beim Fahren und dich abzuholen, ist kein nennenswerter Umweg für mich. Darf ich?“, bat er.

„Gerne!“, nahm Maria spontan an und freute sich, nicht selbst fahren zu müssen. Sie hatte ihr Misstrauen Thomas gegenüber weitgehend aufgegeben und wollte ihn gerne besser kennenlernen. „Dann bis später!“, verabschiedete sie sich.

„Um halb acht an dieser Stelle! Schlaf gut und träume von mir!“, neckte er sie übermütig.

„Ich werde mich hüten!“ Sie streckte ihm die Zunge heraus, und sie begannen beide zu lachen.

Später lag Maria noch lange wach im Bett, obwohl sie sehr müde war. Was für ein Tag! Was für spannende Entwicklungen! Sie konnte es kaum erwarten, wieder mit der Band zu proben, und ein wenig konnte sie es auch kaum erwarten, Thomas wiederzusehen.

Er hatte etwas in ihr berührt, und sie wollte am liebsten alles über ihn wissen. Warum hatte er nicht geheiratet? Seine Miene war sehr traurig und bitter geworden, als er an dieser Stelle das Thema gewechselt hatte. Was mochte ihm geschehen sein? War die Frau, die er liebte und mit der er fünf Jahre zusammen gewesen war, vielleicht gestorben? Trauerte er um sie und benahm sich anderen Frauen gegenüber deshalb so gemein, weil keine an sie herankam?

Marias Herz war voller Mitgefühl, bis sie sich daran erinnerte, dass sie keine Ahnung hatte, was geschehen war. Sie musste endlich schlafen! Wieder sah sie Thomas vor Augen, und es gelang ihr nicht, sein Gesicht zu vertreiben, als sie in den Schlaf hinüberdämmerte. Ein verträumtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Jetzt träumte sie doch von ihm. Er musste es ja nie erfahren!

***

Am Samstagabend auf der Fahrt zum Probenraum war Thomas sehr still. Er wirkte übernächtigt und hatte tiefe Schatten unter den Augen. Dennoch schien er keine schlechte Laune zu haben, sondern sogar äußerst zufrieden mit sich zu sein – erschöpft, aber froh.

Maria grüßte ihn, als sie einstieg, und ließ ihn dann ganz in Ruhe. Sollte er reden wollen, musste es von ihm ausgehen. Wie er aussah, konnte er jeden Moment der Ruhe brauchen.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er nach einer Weile in die Stille hinein.

„Tief und traumlos“, log sie etwas zu schnell.

Er schmunzelte, sagte aber nichts dazu. Auch er hatte sie nicht aus dem Kopf bekommen. Unter Umständen kam da ein Problem auf sie beide zu, denn es gab einen Grund für die Regel, dass Bandmitglieder untereinander keine Affäre haben sollten. Beziehungsdramen hatten auf der Bühne nichts verloren.

Eigentlich wollte Thomas diese Regel unter keinen Umständen brechen, aber Maria übte eine geradezu magische Anziehung auf ihn aus. Er hoffte, dass sich das noch legte. Alltag war ein wahres Wundermittel gegen verliebte Gefühle. Darauf baute er, denn es war kein Honigschlecken, mit der Band parallel zu einem vollen Berufsalltag unterwegs zu sein.

Maria würde noch ächzen und stöhnen, wenn es von Gig zu Gig, zu Proben und ins Tonstudio ging und kaum Zeit zum Schlafen blieb. Das steckte niemand leicht weg, und die Jungs und er genossen es immer, sich auch einmal nicht zu sehen, so gerne sie sich auch hatten. Was da zwischen Maria und ihm war, würde sich legen durch den Stress.

„Hast du dein Lied noch aufschreiben können?“, wollte sie wissen, da er sich anscheinend doch unterhalten wollte.

„Ja, die Melodie hatte ich gleich, aber der Text hat länger gedauert. So ist es leider meist bei mir. Irgendwie habe ich es am Ende gar nicht mehr ins Bett geschafft. Meiner Meinung nach hat es sich gelohnt. Mal sehen, was ihr so dazu sagt, wenn wir es nachher proben.“

„Dann willst du es heute schon einstudieren?“, fragte sie aufgeregt. Sie war das erste Mal dabei, als ein Lied sozusagen geboren wurde.

„Klar, ich habe die Idee und liefere eine Grobfassung, aber dann machen die Jungs unser Lied daraus, indem jeder von ihnen sich einbringt. Es wird eine Weile dauern, bis wir das Lied vor Publikum spielen können. Das muss reifen.“

Sie verließen München auf einer schmalen Landstraße, die eher an einen betonierten Feldweg erinnerte, der aus einem der noblen Villenviertel hinausführte. Die Lichter der Stadt verloren sich im Rückspiegel, und dann begann es zu holpern. Der Weg war nicht mehr asphaltiert, sondern nur noch geschottert.

„Sind wir noch richtig?“, fragte Maria ungläubig.

„Noah liebt es einsam. Lass dich überraschen!“ Sie fuhren ein paar Kilometer an einem Waldrand entlang, und Thomas fuhr im Schritttempo. „In der Dämmerung kommen hier oft Rehe aus dem Wald, und die möchte ich ungern auf der Kühlerhaube haben“, erklärte er.

Maria wunderte sich in der Tat darüber, dass er so langsam fuhr.

„Es gibt natürlich auch einen Weg über die Autobahn raus aus der Stadt und dann von der anderen Seite her. Man kann schneller fahren, und im Winter geht es gar nicht anders, weil die kleinen Straßen hier nicht geräumt werden. Aber in der Regel bin ich über diese Schleichwege gute zwanzig Minuten schneller bei Noah“, fügte Thomas hinzu.

„Die Strecke ist wild romantisch. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell man am Ende der Welt ist, wenn man München erst einmal den Rücken gekehrt hat“, sagte Maria.

„Da wären wir. Und? Was meinst du?“ Thomas zeigte auf ein baufälliges Gehöft inmitten von Wiesen und Weiden. Malerisch, oder?“

Maria nickte. Der Probenort war anders, als sie erwartet hatte, aber praktisch für eine Rockband. Noah schien in erster Linie ein Naturbursche zu sein, und sie konnte im Dämmerlicht ein paar Kühe und Pferde auf den Wiesen entdecken.

„Eure Fans?“, neckte sie ihn.

„Zumindest beklagen sie sich nie und laufen nicht weg, wenn wir kommen.“

„Das ist doch etwas! An diesem Ort sagen sich Fuchs und Hase wirklich gute Nacht. Ihr habt den idealen Probenort gefunden.“

„Ja, und auf dem Hof ist mehr als genug Platz für uns alle. Wir fahren nach einer anstrengenden Probe oft nicht mehr zurück in die Stadt, sondern übernachten gleich hier und proben am anderen Tag weiter. Manne bleibt selten wegen der Kinder und nimmt dich mit zurück, falls du möchtest.“

Maria war froh, dass zu hören, denn es war ihr doch noch etwas unheimlich, gleich über Nacht zu bleiben. Sie hoffte, dass Noahs große Liebe auch auf dem Hof lebte, damit sie als Frau nicht ganz allein war.

„Du bist also das Wunder. Hallo, Wunder, ich bin Mechthild, Mannes bessere Hälfte“, wurde sie gleich von einer anderen Frau empfangen, noch bevor sie auch nur aus dem Wagen steigen konnte.

„Maria.“

Die Frauen umarmten sich.

„Meine Eltern sind über das Wochenende bei uns und hüten unsere Zwerge. Das muss ich nutzen, um einmal wieder zu einer Probe mitkommen zu können. Früher war ich jedes Wochenende von Freitag bis Sonntagabend mit der Band unterwegs, aber mit Kindern geht das leider nicht mehr“, erzählte Mechthild und zog Maria mit sich in die Küche des Hofes, wo sie dabei war, Kaffee zu kochen.

„Lass die Männer ruhig die schwere Schlepperei übernehmen! Dafür haben sie die Muskeln“, meinte sie nur, als Maria überlegte, ob sie nicht beim Ausladen des Transporters helfen sollte.

„Manne hat den ganzen Tag nur von deiner Stimme geschwärmt. Wenn du halb so gut bist, wie er sagt, dann wird sich einiges ändern. Die Jungs träumen schon so lange von ihrem großen Durchbruch, aber ich fürchte, bis auf Thomas ist keiner von ihnen reif dafür.“

„Wie meinst du das?“, fragte Maria erstaunt, denn sie hörte deutlich heraus, dass Mechthild diesen großen Durchbruch keinesfalls so positiv sah.

„Ach, ich bin nur eine alte Unke, aber jeder von ihnen hat sich ein Leben geschaffen, mit dem er ganz zufrieden ist. Die Band ist wie eine große Familie. Die drei, vier Gigs im Monat, die Proben, das macht Freude, aber es ist eben trotz allem ein Hobby. Was passiert, wenn da plötzlich Tourneen anstehen und ein ganz anderer Zeitaufwand Entscheidungen erforderlich macht? Ich hoffe, die kleine Familie zerbricht nicht daran.“

Maria schluckte. „Dann wünschst du mich bestimmt zum Teufel.“

„Was denkst du denn da für einen Unsinn? Hey, ich bin heute nur wegen dir hier. Ansonsten wäre ich vor Neugierde geplatzt. Das Leben besteht aus Veränderung, und die Jungs brauchen ihren Traum. Ob sie der Umsetzung gewachsen sind oder nicht, das wird sich zeigen.“

Mechthild hatte zwei große Bleche mit Kuchen mitgebracht.

„Komm, lass uns in Ruhe einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen! Wenn die Männer loslegen, dann ist gleich nichts mehr da.“ Sie lachte, als sie Marias zweifelnden Blick bemerkte. „Du wirst schon sehen. Sie inhalieren Kuchen.“

„Kuchen!“ Ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahren stieß zu ihnen und bediente sich großzügig, ohne lange zu fragen. „Ich bin Nina. Du singst nicht übel, aber Noah gehört mir. Komm mir da nicht in die Quere!“

„Ich gelobe feierlich, dass ich die Finger von ihm lasse!“, versprach Maria und musste sich das Lachen verkneifen.

„Ich bleibe bei Manne!“, fügte Mechthild trocken an und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Du bist ohnehin zu alt“, meinte die Kleine schonungslos ehrlich und nahm sich noch ein riesiges Stück Kuchen, bevor sie wieder nach draußen ging und Noah mit einem spektakulären Kuss von der Arbeit abhielt.

„Ups!“ Maria grinste. „So viel dazu. Die Besitzansprüche wären geklärt.“

„Vorerst. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Noah wählt auch jedes Mal denselben Frauentyp.“ Mechthild verdrehte die Augen.

„Und auf welchen Frauentyp steht Thomas?“, fragte Maria scheinbar nebenbei.

„Keine Ahnung. Bis vor einem halben Jahr war er mit Michaela zusammen. Sie war in Ordnung, aber na ja, nicht jede Frau kann damit umgehen, wenn die Musik im Leben ihres Mannes an erster Stelle steht. Sie wollte den ersten Platz in seinem Leben und war nicht auf Dauer bereit, Nighthope und die Musik als Konkurrenten zu akzeptieren“, erzählte Mechthild bereitwillig und genoss es, endlich eine Frau zum Tratschen zu haben.

„Nach der Trennung von ihr hat er nie eine andere mit hier raus gebracht. Wenn es um seine Liebeleien geht, ist er sehr diskret. Er leckt noch seine Wunden und hält gerade eher wenig von der Frauenwelt, aber mit der Zeit wird sich das schon wieder legen. Es hilft nichts, er muss lernen, Michaela loszulassen.“

„Aber wenn sie fünf Jahre zusammen waren, dann muss ihr doch klar gewesen sein, dass er Vollblutmusiker ist. Man kann einem Menschen doch nicht seine Seele nehmen! Was bleibt denn dann noch übrig von ihm? Thomas ohne Musik – das geht doch gar nicht!“ Maria war zutiefst betroffen und voller Mitgefühl. Nun verstand sie Thomas besser.

„Michaela hielt die Band für eine harmlose Spielerei, die er aufgeben würde, sobald er einmal erwachsen wäre. Sie wollte eine Familie und ein ganz normales Familienleben. Langweilig bis ins Mark, wenn du mich fragst, aber wo die Liebe hinfällt. Thomas hätte so ziemlich alles für sie getan, aber die Musik konnte er nicht für sie aufgeben.“ Mechthild nippte an ihrer Kaffeetasse und warf einen nachdenklichen Blick hinaus.

Die Männer waren fast fertig damit, die Anlage im Probenraum wieder aufzubauen. Bald würden sie in die Küche einfallen und eine Pause machen. Später wären sie für den Rest der Nacht nicht mehr ansprechbar und würden in ihre Musik abtauchen. Mechthild hatte ein gutes Buch und ihren Schlafsack dabei.

Sie musste an ihre dreijährige Tochter und an ihren fünfjährigen Sohn denken, die gerade von Oma und Opa verwöhnt wurden. Den Kindern ging es prächtig, daran zweifelte sie nicht, aber sie fragte sich, ob sie selbst nicht zu alt für diese Probenwochenenden wurde.

Früher hatte es nichts Tolleres für sie gegeben, aber jetzt hätte sie nichts dagegen einzuwenden gehabt, nach dem Kaffee wieder nach Hause fahren zu können. Sie hatte sich verändert und hoffte, dass diese Veränderung nie zu Problemen zwischen Manne und ihr führen würde.

„Es ist nicht immer leicht, mit einem Musiker zu leben“, gestand sie aus diesen Gedanken heraus. „Man ist mit vielem allein. Ich kann Michaela schon irgendwie verstehen, obwohl ich nie erwarten würde, was sie erwartet hat.“

„Was wollte sie denn von Thomas?“

„Ihrer Familie gehört der große Musikladen in der Fußgängerzone gleich neben dem Spielzeugmuseum. Thomas hätte jederzeit dort anfangen können als Juniorchef. Seine Zukunft wäre gemacht gewesen. Gutes Einkommen, Karriere und Frau und Kinder – sie war sicher, dass er früher oder später nachgeben würde.“

„Und er wollte den Juniorchef da nicht geben?“, fragte Maria.

„Nein. Thomas hatte Michaela sehr gerne und wollte sie heiraten, aber diesen Preis konnte er nicht zahlen.“ Traurig schüttelte Mechthild den Kopf. „Sie hat das nicht verstanden. Für sie war es eine Sache der Liebe. Liebte er sie, dann sollte er ihr zuliebe sein Leben ändern. Alles andere konnte sie nicht akzeptieren, und Thomas blieb nur die Trennung, aber ich fürchte, er liebt sie immer noch. Er ist ziemlich romantisch, auch wenn man das nicht immer aus seinem Gerede schließen kann. Harte Schale, weicher Kern.“

„Das ist eine traurige Geschichte. Ich finde, wenn man einen Mann liebhat, dann muss man ihn annehmen, wie er ist, und darf ihn nicht ändern wollen“, überlegte Maria, die noch nie eine längere Beziehung gehabt hatte. Bisher war ihr das einfach nicht so wichtig gewesen, und ihr Schwerpunkt hatte auf ihrem Beruf und dem Singen gelegen.

„So! So! Hört! Hört!“ Mechthild legte den Kopf spöttisch leicht schräg. „Hast du diese hehre Theorie einmal in der Praxis getestet? Ich liebe meinen Manne, aber manchmal muss ich ihn stutzen wie einen alten Baum, sonst verwächst er sich und verliert aus den Augen, was ihm wichtig ist. Er liebt unsere Zwerge und mich. Würde ich ihn einfach machen lassen, dann wäre das Ergebnis kaum in seinem Sinn.“

„Wie stutzt man jemanden?“ Maria sah sie mit großen Augen an.

Mechthild lachte. „Indem es manchmal so richtig kracht im Karton und Vorstellungen und Gewohnheiten abgeglichen werden. Meist bin ich es, die explodiert, aber das muss nicht sein. Wenn Manne etwas nicht an mir gefällt, dann gibt er auch keine Ruhe, bis es knallt. Beziehungsleben – so nenne ich das.“

Die Frauen konnten ihr Gespräch nicht fortsetzen, denn plötzlich war die Küche voll. Innerhalb von zehn Minuten waren die zwei Kuchenbleche leer, und dann begann die Probe.

***

Als Maria am Montagmorgen um sechs Uhr ihren Dienst auf der Kinderstation antrat und die Normalität sie umfing, konnte sie kaum noch glauben, dieses Wochenende erlebt zu haben. Es war ein bezaubernder Traum, der rasch verblasste und von den Sorgen und Nöten der Kinder und ihrer Eltern überdeckt wurde.

So sollte es sein. Sie wehrte sich nicht dagegen, sondern tauchte gerne in ihre gewohnte Welt ein. Für kranke Kinder da zu sein, das schenkte ihr nicht weniger Erfüllung als ihr Gesang. Allerdings musste sie immer wieder an Thomas’ Lied denken, das sie tief berührt hatte.

Es war eine Liebeserklärung an die Kindheit und an das Kind in jedem Menschen. Mechthild hatte geweint, als sie es das erste Mal hörte. Maria war es heiß und kalt über den Rücken gelaufen, denn was Thomas da musikalisch zum Ausdruck gebracht hatte, waren ihre eigenen Gedanken und Gefühle.

Es war ihr fast ein wenig unheimlich gewesen. Sie hatten sich doch eben erst kennengelernt. Woher kam diese Vertrautheit? Wie war es möglich, dass er nach einem einzigen Gespräch über ihre Arbeit auf der Kinderstation so ein Lied schreiben konnte, das ihr aus der Seele sprach?

„Dazu hast du mich inspiriert“, hatte Thomas schlicht gesagt und sich bei ihr bedankt.

Maria hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte, denn eigentlich war sie es, die sich hätte bei ihm bedanken müssen. Das war der Moment gewesen, an dem sie begriff, dass sie sich würde anstrengen müssen, wenn sie sich nicht in diesen Mann verlieben wollte. Die Anziehungskraft war enorm.

Sie hatten fast die ganze Samstagnacht durch geprobt, sich dann für ein paar Stunden bei Noah hingelegt, und am Sonntagmittag war die Probe weitergegangen bis sechs Uhr abends. Dann hatten Mechthild und Manne Maria mit in die Stadt zurückgenommen.

„Ist es jedes Wochenende so?“, hatte Maria gähnend beim Aussteigen gefragt. Es war Sonntagabend und noch nicht einmal acht Uhr gewesen, und alles, wovon sie noch träumte, waren eine heiße Badewanne und ihr Bett. Sie war absolut erledigt.

„Mehr oder weniger“, hatte Manne geantwortet. „Nächste Woche haben wir am Freitag und am Samstag Auftritte, und Thomas ist am Sonntag bei einer anderen Band als Gitarrist eingeplant. Da fallen die Proben aus, und der Sonntag ist zum Ausruhen da. Oft ist das aber nicht der Fall. Du gewöhnst dich schon daran! Wir sehen uns am Freitag!“ Müde winkend waren Manne und Mechthild heim zu ihren Kindern gefahren.

Maria hatte durchgeschlafen, bis am Montagmorgen ihr Wecker sie um fünf Uhr aus den Federn riss. Sie begann zu ahnen, dass das Doppelleben, das sie von nun an führen wollte, recht anstrengend werden würde, aber das machte ihr keine Angst.

„Wie fühlt man sich, wenn man es geschafft hat?“, fragte eine Kollegin, noch bevor Maria ihr einen guten Morgen wünschen konnte. „Bald wirst du mit uns Normalos nichts mehr zu tun haben wollen und uns nicht mehr kennen, wenn wir dir zufällig in der Stadt begegnen“, prophezeite sie und konnte ihren Neid nicht verbergen.

„Ich hoffe, mein Gedächtnis bleibt mir noch lange treu, und da wir fast jeden Tag auf der Kinderstation zusammenarbeiten …“

„… wenn du erst richtig Karriere machst, dann ist es mit der Kinderstation vorbei. Ich war am Freitag bei deinem Auftritt, Maria, das werde ich nie vergessen. Du warst grandios, und Nighthope ist für dich vermutlich nur eine Durchgangsstation. Es sind an dem Abend einige auf dich aufmerksam geworden. Du bist keine Unbekannte mehr“, unterbrach ihre Kollegin sie.

Maria hörte es sich an und schwieg. Als aber fast jede Kollegin etwas Ähnliches sagte, merkte sie, wie sie allmählich ärgerlich wurde. Ein einziges Wochenende konnte doch nicht schon zur Folge haben, dass sie plötzlich ausgegrenzt wurde und nicht mehr zum Team gehörte. Das war nicht fair!

„Machst du das heute? Wer weiß, wie lange du noch da bist!“, drückte eine Kollegin eine der weniger angenehmen Aufgaben an sie ab.

„Ich mache es gern, und ich werde noch sehr lange da sein, wenn es nach mir geht!“, antwortete Maria gereizt.

„Das muss dich doch jetzt alles schrecklich langweilen!“, meinte wenig später eine Schwesternhelferin zu ihr und brachte das Fass zum Überlaufen.

„Nein, das tut es ganz und gar nicht! Das ist meine Arbeit, und ich mache sie verdammt gerne“, fauchte Maria.

„Entschuldige! Ich dachte doch nur, wo du jetzt doch bald ein Star sein wirst und so …“

In der Pause lagen Marias Nerven blank, und sie beschloss, in die Offensive zu gehen und eine Grundsatzerklärung abzugeben, um all diesen Spekulationen ein Ende zu bereiten. Sie wollte ihrer Arbeit wieder in Ruhe nachgehen und sich auf die Kinder konzentrieren dürfen.

„Mich zieht es hier nicht weg. Ich bin gerne Kinderkrankenschwester und betrachte meinen Beruf nicht als etwas, was ich unbedingt hinter mir lassen möchte. Was habt ihr nur alle mit dieser großen Karriere? Ich möchte gar keine besondere Karriere machen, sondern einfach nur Freude haben an der Musik. Das ist mir genug“, erklärte sie im Schwesternzimmer, als alle sich gesetzt hatten.

„Das freut mich zu hören!“, kam es von der Tür her.

Erschrocken fuhr Maria herum. Sie hatte sich nicht getäuscht und die Stimme erkannt. Dr. Stefan Holl, der Klinikleiter der Berling-Klinik, stand im Raum. Maria kannte ihn von Jugend an, weil sie mit ihren Eltern ganz in der Nähe der Holls gewohnt hatte. Ihre Eltern und Stefan und Julia Holl waren noch immer befreundet und kamen zwei-, dreimal im Jahr zusammen.

„Schwester Maria, ich habe von Ihrem großen Auftritt gehört. Meine zwei Großen waren in der Bar und waren absolut begeistert von Ihnen.“ Stefan Holl hatte vier Kinder, und die ältesten Zwillinge studierten inzwischen in München.

„Die Berling-Klinik hat in den Augen meiner Kinder einen enormen Aufschwung erlebt, weil es einen bunten Vogel wie Sie unter der Belegschaft gibt“, scherzte er. „Ich wollte Ihnen nur kurz zu Ihrem Erfolg gratulieren.“

Maria freute sich sehr über sein Interesse und strahlte. Als er gegangen war, bemerkte sie, dass die Stimmung im Schwesternzimmer etwas unterkühlt war.

„Die Holls waren früher unsere Nachbarn und sind mit meinen Eltern befreundet“, erklärte sie hilflos und wünschte, der Klinikleiter hätte ihr unbemerkt auf dem Gang gratuliert. Das war alles etwas zu viel, um keinen Neid zu schüren.

„Das auch noch! Hey, jetzt reicht es aber!“, beschwerte sich eine der Schwestern. „Du bunter Vogel, lass uns auch noch ein paar Schmuckfedern übrig!“

„Ich kann doch nichts dazu!“, entschuldigte Maria sich kleinlaut, und ihre Verlegenheit brachte es zum Kippen.

„Wir vergeben dir!“ Einen Moment war es mucksmäuschenstill im Raum, dann lachten die Krankenschwestern los, und die ganze Anspannung verpuffte im befreienden Gelächter.

Maria atmete auf, denn sie wusste, dass nun alles für eine Weile wieder in Ordnung war. Erleichtert kehrte sie an die Arbeit zurück. Für den Rest der Schicht dachte sie nicht mehr an Thomas und Nighthope, aber als sie am Nachmittag nach Hause fuhr, waren die Gedanken an die Band und die Bandmitglieder umgehend wieder da.

Wie es ihm wohl ging? Dachte er auch an sie? Schon am Freitag würden sie sich wiedersehen und zusammen auf der Bühne stehen. Sie freute sich darauf.

***

In den kommenden Monaten änderte sich Marias Leben grundlegend. Thomas und die anderen wurden zu ihrer Familie, mit der sie so ziemlich jede freie Minute verbrachte. Sie gewöhnte sich daran, jedes Wochenende auf der Bühne zu stehen. Neben dem Singen und ihrer Arbeit blieb ihr für nichts mehr Zeit.

Und nicht nur ihr Leben wurde gründlich auf den Kopf gestellt. Nighthope mauserte sich von einer lokal beliebten Münchner Band zu einer Band, die zu großen Events in halb Deutschland als Vorgruppe eingeladen wurde. Der Bekanntheitsgrad vergrößerte sich in rasanter Geschwindigkeit, und es war nicht leicht für die Band, bei der Veränderung mitzuhalten.

Ein Auftritt jagte den anderen und öfter auch unterhalb der Woche. Es wurde immer schwerer, Beruf und Hobby zu koordinieren. Sie kamen kaum noch zum Proben, und die ruhigen Zeiten, die sie in Noahs Reich plaudernd bei einem Bier verbracht hatten, fehlten allen. Sie wurden professioneller, aber die Behaglichkeit ging dabei verloren.

Das Einspielen der neuen Lieder stand an, aber sie fanden keine Zeit dafür. Früher waren immer die Kosten für das Tonstudio ihr Problem gewesen, und nun hätten sie das Geld gehabt und wussten nicht, wann sie das Studio buchen sollten.

Und es waren nicht nur die aufregenden Auftritte vor Tausenden von Zuschauern, die neu waren, und ein Fanrummel, der alles bekannte weit überstieg. Radio und Fernsehen begannen, sich für Nighthope zu interessieren, und sie wurden zu Sendungen und Shows eingeladen, was ihre Bekanntheit noch steigerte.