Die besten Ärzte - Sammelband 20 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 20 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1785: Drei Minuten ohne Aufsicht
Notärztin Andrea Bergen 1264: Paulas erster Schnee
Dr. Stefan Frank 2218: Ich wünsche mir rosarote Rosen
Dr. Karsten Fabian 161: Ein Traum wird wahr zur Heideblüte
Der Notarzt 267: Schau mir in die Augen, Katja

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 694

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2013/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © kurhan/Shutterstock ISBN 978-3-7325-9189-3 ww.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ulrike Larsen, Karin Graf

Die besten Ärzte 20 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1785Die achtzehn Monate alte Anna ist ein fröhlicher Wirbelwind! Keinen Moment kann man das süße Mädchen aus den Augen lassen, seit es auf eigenen Füßen dabei ist, die Welt zu entdecken. Zum Glück wird die alleinerziehende Cora bei der Betreuung der Kleinen von ihrer Mutter unterstützt, sodass sie ihrem Job als OP-Schwester in der Berling-Klinik nachgehen kann. Auch wenn es oft anstrengend ist, Beruf und Mutterrolle miteinander zu vereinbaren, mit der richtigen Organisation klappt es prima. Der Einzige, der ihr wegen ihrer Berufstätigkeit immer wieder Vorwürfe macht, ist Paul, ihr Exmann. Er hat sogar schon angedroht, ihr das Sorgerecht zu entziehen, weil sie Anna angeblich vernachlässigt! So ein Unsinn! Cora lässt sich nicht verunsichern - bis eines Tages während der Dienstzeit ihr Handy klingelt. Der hilflose Schrei ihrer Mutter geht ihr durch Mark und Bein. "Es ist etwas Schreckliches passiert!", schluchzt sie. "Anna hat - Gift getrunken!"Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1264Eine leise Melodie erklingt im Zimmer der kleinen Paula, und noch ehe sie eintritt, weiß Dr. Andrea Bergen, dass sich immer noch nichts an dem besorgniserregenden Zustand des zweieinhalbjährigen Mädchens geändert hat. Die herzkranke Paula aus der Karibik, die in diesen Tagen am Elisabeth-Krankenhaus einer Herzklappen-Operation unterzogen werden sollte, hat sich in Deutschland mit einer lebensgefährlichen Streptokokken-Endokarditis angesteckt und ringt nun mit dem Tod! Einzig die winterliche Musik aus Paulas heiß geliebter Schneekugel scheint sie noch mit den Lebenden zu verbinden ... Auf leisen Sohlen nähert sich Andrea Bergen dem Krankenbett, doch als ihr Blick auf das reglose, bläulich angelaufene Gesichtchen des Kindes fällt, erschrickt sie bis ins Mark: Wird sich Paulas größer Wunsch, ein einziges Mal echten Schnee zu sehen, nun niemals erfüllen? Ist das Schlimmste bereits eingetreten?Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2218Mit unsicheren Schritten nähert sich die siebenjährige Maja Feldmann der Praxis von Dr. Frank. Vor der Tür bleibt sie noch einen Moment stehen und schnuppert. "Vorsicht, mein Schatz!", warnt der Grünwalder Arzt, als Maja ihre Hand nach einem blühenden Rosenbusch ausstreckt. "Das sind Rosen, die haben Dornen, an denen du dich stechen könntest." "Oh!" Hastig zieht das blinde Mädchen die Hand wieder zurück. "Die duften so gut. Welche Farbe haben die?" "Rosarot." "Wenn ich sie doch nur sehen könnte!" "Sie sehen genauso aus wie die Rosenblüten auf deinem Kleid", erklärt ihr Dr. Frank. "Ich habe aber vergessen, wie mein Kleid aussieht", flüstert Maja. "Ich habe sogar vergessen, wie 'rosarot' aussieht. Und bald werde ich auch vergessen haben, wie du aussiehst."Jetzt lesen
Ulrike LarsenDr. Karsten Fabian - Folge 161Vor sieben Jahren galten Birthe und Robert im Heidedorf als Traumpaar. Dann verließ Birthe ihn und ihre Heimat Hals über Kopf, und keiner kannte den Grund. Zurück blieb ein junger Mann mit gebrochenem Herzen, der keinen Sinn mehr im Leben sah und ungezählte Nächte darüber grübelte, warum sie ohne Abschied gegangen war. Jahre später lernte Robert die liebenswerte Beate kennen, die ihm neue Kraft und neuen Mut gab und mit der er endlich wieder begann, Zukunftspläne zu schmieden. Jetzt scheinen Roberts Wunden verheilt - bis plötzlich, kurz vor seiner Hochzeit, Birthe wieder in Altenhagen auftaucht und ihn mit Tränen in den Augen um Verzeihung bittet ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 267Als Dr. Peter Kersten in der Notaufnahme auf den bewusstlosen Schauspieler Jonas Sander blickt, ist er entsetzt: Der blutüberströmte Mann ist nach einem schweren Motorradunfall fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Obwohl die Überlebenschancen des Verunglückten gegen Null tendieren, kämpfen der Notarzt und seine Kollegen die ganze Nacht über in einer dramatischen Operation um das Leben des Patienten. Als der neue Tag anbricht, scheint das Unmögliche geschafft zu sein - Jonas Sander lebt. Doch vorerst weiß niemand, wie es mit dem ehemals so attraktiven Mann weitergehen wird und welche Schäden er dauerhaft davongetragen hat. Die Hoffnung der Ärzte richtet sich auch auf Katja Sander, die bildschöne Ehefrau des Unfallopfers. Sie sind zuversichtlich, dass die Unterstützung einer so engen Vertrauensperson zu einer besseren Genesung beitragen kann. Doch als Jonas endlich wieder die Augen aufschlägt, erkennt er gleich, dass sich die Gefühle seiner Frau verändert haben. Katja weicht seinen Blicken aus und scheint vor ihm zurückzuschrecken. Auch wenn sie es leugnen will - es ist ihr nur allzu deutlich anzumerken, dass sie ihren Mann so nicht mehr lieben kann ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Drei Minuten ohne Aufsicht

Vorschau

Drei Minuten ohne Aufsicht

Dr. Holls Kampf um ein Kinderleben

Von Katrin Kastell

Die achtzehn Monate Anna ist ein fröhlicher Wirbelwind! Keinen Moment kann man das süße Mädchen aus den Augen lassen, seit es auf eigenen Füßen dabei ist, die Welt zu entdecken.

Zum Glück wird die alleinerziehende Cora bei der Betreuung der Kleinen von ihrer Mutter unterstützt, sodass sie ihrem Job als OP-Schwester in der Berling-Klinik nachgehen kann. Auch wenn es oft anstrengend ist, Beruf und Mutterrolle miteinander zu vereinbaren, mit der richtigen Organisation klappt es prima. Der Einzige, der ihr wegen ihrer Berufstätigkeit immer wieder Vorwürfe macht, ist Paul, ihr Exmann. Er hat sogar schon angedroht, ihr das Sorgerecht zu entziehen, weil sie Anna angeblich vernachlässigt!

So ein Unsinn! Cora lässt sich nicht verunsichern – bis eines Tages während der Dienstzeit ihr Handy klingelt. Der hilflose Schrei ihrer Mutter geht ihr durch Mark und Bein. „Es ist etwas Schreckliches passiert!“, schluchzt sie. „Anna hat … Gift getrunken!“

„Schwester Cora?“ Leise, aber doch bestimmt mahnte Dr. Holl die Aufmerksamkeit seiner Mitarbeiterin an. Die Angesprochene zuckte leicht zusammen, aber schon in der nächsten Sekunde fand sie sich in der Wirklichkeit wieder und reagierte sofort.

„Entschuldigung“, presste sie hastig unter ihrem Mundschutz hervor und ließ sogleich mit der üblichen Routine das geforderte Einmal-Skalpell in die ausgestreckte Hand des Arztes gleiten. Ein schneller Seitenblick aus blankpolierten Haselnuss-Augen bat zusätzlich um Verzeihung für die kurze geistige Abwesenheit.

Dabei hatte sie die Instrumente für diese OP exakt zusammengestellt, sowohl diejenigen, die bei allen Eingriffen gebraucht wurden, als auch die speziellen für diese Laparoskopie.

Hier im OP durfte sie sich keinen Fehler erlauben. Auch von ihr hing es ab, wie schnell diese Patientin nach dem Eingriff wieder auf die Beine kam. Jegliche Schluderei konnte fatale Folgen nach sich ziehen.

Und das alles nur, weil ihr Pauls Bemerkung nicht mehr aus dem Kopf ging.

Anna fühlt sich ausgesprochen wohl bei uns, hatte er gesagt. Und sie weinte, als ich sie wieder ins Auto setzte.

Ihre kleine Tochter sollte in Tränen ausbrechen, wenn es zurück nach Hause ging? Kompletter Schwachsinn. Anna war ein glückliches Kind, erst recht, wenn ihre Mama um sie war.

„Schon gut“, sagte Chefarzt Dr. Holl. „Ist ja nichts passiert.“

Er legte einen kleinen Schnitt im Bereich des Nabels. An dieser Stelle war die Haut besonders dünn.

Cora reichte ihm einen Trokar, ein Instrument, mit dem er den Schnitt so weit dehnte, dass er eine Insufflationskanüle einführen konnte. Er schob sie nur so weit ein, bis sie frei im Bauchraum hing, verband sie mit der Gaspumpe und ließ gerade so viel Kohlendioxid hineinströmen, bis sich die Bauchdecke hob und so ein ausreichender Untersuchungsraum entstand.

Nun legte er rechts und links vom Nabel zwei weitere kurze Schnitte, die mit dem ersten ein Dreieck bildeten. Damit das Gas aus den neuen Schlüsselloch-Öffnungen nicht wieder entströmte, verankerte Dr. Holl verschließbare Hülsen in den Schnitten, durch die dann die chirurgischen Spezialinstrumente in den Intraabdominalraum eingeführt werden konnten, die ihm ausreichende Sicht auf das innere Operationsfeld ermöglichten.

In der Gebärmutter dieser Patientin befand sich eine große Muskelgeschwulst, die ihr Blutungen und Schmerzen verursachte. Da die Familienplanung bereits abgeschlossen war, hatte sich die Vierzigjährige nach einer intensiven Beratung mit Dr. Holl entschlossen, den Uterus mitsamt dem Myom entfernen zu lassen.

Bei diesem Gespräch waren sie übereingekommen, dass Dr. Holl eine laparoskopisch assistierte suprazervikale Hysterektomie durchführen würde. Dieses neue Verfahren war weitaus schonender als ein großer Bauchschnitt, erforderte aber die ganze Kunstfertigkeit des Chirurgen. Nach erfolgreicher Operation wären alle Beschwerden der Patientin behoben und der Gebärmutterhals blieb erhalten.

Über den Bauchnabelzugang führte der Arzt das Laparoskop mit der Kamera ein, danach über die beiden Seiteneingänge eine Zange und eine Schere. Ruhig und konzentriert arbeitete er sich an den Uterus heran. Das Myom war ziemlich groß, aber wenn er es geduldig zerkleinerte, konnte er es in kleinen Gewebestücken durch die Körperöffnungen in der Bauchdecke herausholen.

Im OP zwei erklang leise Musik. Dr. Holl hatte sich mit seinem Team abgesprochen. Reihum durfte sich jemand bestimmte Stücke aussuchen. Heute war er an der Reihe gewesen.

Es erklang Beethovens sechste Sinfonie, die „Pastorale“, für den Klinikchef die unvergleichlich wunderbarste Naturschilderung in der Musik. Wenn alles gut lief, sang er auch schon mal mit … Nur wenn es knifflig wurde, blieben die Lippen zusammengepresst.

Diesmal ging alles gut. Dr. Michael Wolfram assistierte ihm auf der anderen Seite des OP-Tisches, Dr. Andrea Kellberg, die Anästhesistin, beobachtete den Herzmonitor. Weil bei dieser Operation Kohlendioxid in die Bauchhöhle geleitet wurde, erfolgte sie in Vollnarkose, um sofort eingreifen zu können, falls eine Behinderung der Atmung auftrat.

OP-Schwester Cora bediente die beiden Chirurgen jetzt fehlerlos, während Pfleger Rolf die gebrauchten Instrumente einsammelte und die Petrischale für das entnommene Gewebe bereithielt.

Erst nach zwei anstrengenden Stunden verkündete Dr. Holl das Ende des Eingriffs. Dr. Wolfram versorgte die kleinen Wunden.

„Sie wird sich schnell erholen“, meinte Dr. Holl optimistisch. „Von den Schnitten wird man bald kaum noch etwas sehen. Beckenboden und Gebärmutterbänder bleiben erhalten. Wenn keine Komplikationen auftreten, kann sie nach fünf, sechs Tagen nach Hause gehen.“ Zufrieden schaute er in die Runde. „Danke, liebes Team. Es hat mal wieder alles bestens geklappt.“

Pfleger Rolf brachte die Patientin in den Aufwachraum.

Die OP-Schwester hielt ihren Blick abgewandt. Sie wusste nicht so recht, ob sie auch gemeint war. Eifrig räumte sie die Instrumente in verschieden große Metallsiebe, auch diejenigen, die nicht benutzt worden waren. Sie brachte sie gleich selbst in die Sterilisationsabteilung.

Ob Dr. Holl ihr etwas nachtrug? Wenn ja, könnte das bedeuten, dass er sie bei weiteren Eingriffen nicht in sein Team einplante, und das käme für Cora einer Bestrafung gleich. Sie liebte ihren Beruf über alles. Aber im Augenblick fühlte sie sich immer häufiger vom Leben mit all seinen Problemen überfordert.

Sie übte eine verantwortungsvolle Tätigkeit aus, war gleichzeitig alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, die gerade anfing, auf ihren kurzen Beinchen die Welt zu erkunden. Darüber hinaus musste sie sich noch um die eigene Mutter kümmern, die sich leider manchmal wie eine Spätpubertierende verhielt.

Und auch Exmann Paul ging ihr mit seinen Sprüchen mehr und mehr auf die Nerven. Nach Annas Geburt hatte er sich kaum um sein Kind gekümmert. Jetzt plötzlich schien er die Verantwortung für sich allein gepachtet zu haben und nahm sich sogar heraus, ihr Vorschriften zu machen, die er allerdings in gute Ratschläge verpackte.

„Frau Kastner, haben Sie noch einen Moment?“

Cora zuckte zusammen. Schon wieder war sie bei ihrem Gang zum Dienstzimmer völlig in Gedanken versunken. Sie hatte Dr. Holl nicht kommen hören.

„Ja, selbstverständlich. Ich möchte mich noch mal in aller Form für meine Unachtsamkeit entschul …“

„Reden wir nicht mehr davon, Sie sind eine gute Mitarbeiterin. Und ich möchte, dass Sie es auch bleiben. Wenn Sie ein Problem haben, bei dem ich helfen kann, sprechen Sie mich ruhig an. Das ist alles, was ich Ihnen sagen wollte.“

„Danke, Dr. Holl.“ Bei so freundlichen Worten erschien ihr die Welt gleich ein wenig heller.

„Sie haben ein kleines Mädchen, nicht wahr?“

„Ja, Anna ist achtzehn Monate alt“, erwiderte die junge Mutter mit einem weichen Lächeln.

„Oh, das ist eine Phase, in der man ständig hinter ihnen her sein muss“, stellte Stefan Holl fest.

Er wusste, dass Frau Kastner von ihrem Mann geschieden war. Seine Sekretärin Moni hatte es ihm erzählt und auch gleich erwähnt, dass die Eltern sich das Sorgerecht teilten, was Stefan wiederum sehr gut fand. Nichts war in seinen Augen schlimmer, als wenn sich Mutter und Vater um ihren Nachwuchs stritten und sich gegenseitig das Leben schwer machten.

„Sie haben drei Kinder?“, fragte Cora.

„Vier“, korrigierte Dr. Holl die Pflegerin. „Die Zwillinge sind die ältesten und schon erwachsen. Aber sie leben gern zu Hause. Und wir sind natürlich froh, wenn sie noch ein Weilchen bei uns bleiben wollen. Chris, der mittlere, ist fünfzehn und unsere Jüngste elf.“

Cora mochte sich gar nicht vorstellen, wie sie das Leben mit vier Kindern auf die Reihe kriegen sollte.

„Haben Sie eine Betreuungsmöglichkeit für Ihre Kleine?“, erkundigte sich Stefan Holl.

„Ja, ich wohne mit meiner Mutter zusammen.“ Cora überlegte kurz, ob sie weitersprechen sollte. Dr. Holl sollte sie nicht für aufdringlich halten, andererseits hatte er ja selbst mit diesem Thema angefangen. „Anna ist natürlich auch regelmäßig bei ihrem Vater“, fügte sie hinzu.

„Na, dann ist ja alles gut organisiert“, stellte Stefan fest. Der Pager in seiner Tasche piepte. Er musste sich bei der Zentrale melden und das Gespräch mit seiner Mitarbeiterin beenden.

Cora war erleichtert. Er trug ihr also nichts nach.

***

Um achtzehn Uhr hatte sie dienstfrei. Sie hielt noch einen kleinen Schwatz mit der Kollegin Marion, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Da sie heute das Auto hatte, musste sie zuvor noch einkaufen. Mama hatte ihr eine Liste mit all den Dingen mitgegeben, die angeblich fehlten. Sie überflog den Zettel kurz und strich in Gedanken die Posten weg, die sie für unnötig hielt. Sie brauchten keinen Rotwein, keinen Vorrat an Eiscreme und auch keine neuen Handtücher.

Ihre Mutter tat immer so, als stünde ihnen Geld in Hülle und Fülle zur Verfügung. Dabei lebten sie alle drei von Coras Gehalt und vom Unterhalt, den Paul für seine Tochter zahlte, immer pünktlich und sogar mehr, als er musste. In diesem Punkt hatte sie ihm nichts vorzuwerfen. Er war ein vorbildlicher Vater. Und Anna freute sich riesig, wenn ihr Papa sie abholte.

Dennoch waren Sonderwünsche und größere Anschaffungen nicht möglich. Aber immerhin lebten sie mietfrei in Johanneskirchen in dem Haus, das Paul gehörte. Generös hatte er es seiner Exfrau überlassen, solange sie das Kind betreute. Nur die monatlichen Kosten für Strom, Telefon und Internet musste sie selbst tragen.

Paul und seine neue Lebensgefährtin Judith lebten in Oberföhring. Dort hatte er ein neues Haus gefunden, größer und luxuriöser als das vorherige. Cora war noch nie dort gewesen. Sie wollte auch gar nicht sehen, wie er jetzt lebte. Sie fürchtete sich vor den seelischen Schmerzen.

So konnte es gehen mit der großen Liebe. Man schwebte im siebten Himmel, glaubte, den Menschen fürs Leben gefunden zu haben – und dann zerbrach das Glück. Paul lernte eine andere kennen, stellte seine Frau vor vollendete Tatsachen und zog wenig später aus. Da Cora keine halben Sachen mochte, verlangte sie die Scheidung, in die er auch sofort einwilligte. Nur drei Jahre waren sie verheiratet gewesen.

Cora schloss den Wagen auf und warf ihre Handtasche auf den Beifahrersitz. Es war ein heißer Tag Anfang Juli. Wegen der aufgestauten Hitze im Fahrzeug senkte sie die Scheiben hinunter. Die Klimaanlage war defekt. Der Einbau einer neuen würde über siebenhundert Euro kosten, das konnten sie sich nicht leisten. Und bei dem betagten Fahrzeug lohnte sich diese Ausgabe auch nicht. Sie fuhr los, erledigte die Einkäufe und kam eine gute Stunde später zu Hause an.

Die süße Wolke, die ihr beim Öffnen der Tür entgegenkam, machte sie wütend. Wie oft schon hatte sie ihre Mutter aufgefordert, das Rauchen von Marihuana zu unterlassen. Immerhin befand sich ein Kleinkind im Haus.

Auf ihre Vorhaltungen pflegte Katrin nur zu erwidern, dass man ein Pfeifchen in Ehren niemandem verwehren könne. Noch heute gab ihre flippige Mutter gern den Alt-Hippie, was die Tochter nur peinlich fand. Cora schämte sich manchmal für sie.

Vor der Geburt ihrer einzigen Tochter hatte Katrin in Indien und in Marokko gelebt. Noch heute schwärmte sie von ihrem Aussteiger-Dasein. Wenn sie könnte, würde sie sofort an diese Orte zurückkehren, um wieder frei und unabhängig zu leben. Jetzt aber müsse sie ihren Verpflichtungen als Großmutter nachkommen, sagte sie in solchen Augenblicken. Und in ihren Worten klang immer ein leichtes Bedauern mit.

Wer ihr Vater war, das wusste Cora nicht. Mutter Katrin wusste es angeblich auch nicht.

Ach, Kind, wir haben freie Liebe praktiziert und hatten nicht nur Sex mit einem einzigen Menschen, verstehst du? Das waren ganz andere Zeiten damals, einfach wunderbar … Und dann folgte regelmäßig ein träumerischer Seufzer.

„Hallo, ich bin da!“, rief Cora und warf die Tür hinter sich zu. Nach einer Weile kam ihre Mutter aus dem Wohnzimmer. Sie trug einen langen bunten Kaftan und mehrere Reihen von Glasperlenbändern, die leise klimperten. Um den Kopf hatte sie kunstvoll einen Turban gebunden.

„Du hast wieder Hasch geraucht!“, schimpfte die Tochter. „Bitte, lass das!“

„Reg dich nicht auf, mein Schatz. Ich brauche manchmal was zur Entspannung. Was ist schon dabei?“

Cora erwiderte nichts darauf. Nur mit Müh und Not hatte sie letztes Jahr diese Frau mit ihren fünfundfünfzig Jahren davon abgebracht, Hanfpflanzen im Garten hinterm Haus zu züchten. Katrin tat immer noch so, als sei sie eine unbekümmerte Jugendliche, die sich einfach alles erlauben durfte.

„Damit machst du dich strafbar!“, hatte Cora gedroht. „Und sobald ein Pflänzchen keimt, werde ich es wieder ausreißen.“

„Spaßbremse“, war die einzige Antwort ihrer Mutter gewesen. Andererseits war Cora über Mutters Unterstützung bei der Kinderbetreuung froh. Das bedeutete eine ungeheure Erleichterung für sie.

„Mama, du lernst es wohl nie, dich deinem Alter anzupassen …“

„Sag nicht Mama zu mir. Ich bin die Katrin, auch für dich.“

Weil Cora wusste, dass dieses Thema in eine ellenlange Diskussion ausarten konnte, reagierte sie darauf nicht, sondern fragte stattdessen, ob Anna schon da sei. Paul hatte seine beiden freien Tage mit seiner Tochter verbringen wollen. Cora war einverstanden gewesen, doch eigentlich sollten sie jetzt schon zurück sein.

„Mach dir keine Sorgen. Er wird sich verspätet haben“, meinte Katrin leichthin. Sie glaubte immer noch, dass es für Cora besser gewesen wäre, trotz seiner Untreue an der Ehe festzuhalten. Die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen, das war typisch Katrin, die immer wieder bedauerte, dass ihre eigene Tochter in dieser Hinsicht so ganz anders war als sie.

„Das ist aber gegen die Abmachung“, murrte Cora und begann mit dem Auspacken der Einkäufe.

„Nun sei doch nicht immer so streng“, mahnte Katrin, machte aber keine Anstalten, ihrer Tochter beim Einräumen zu helfen. „Vielleicht steht er im Stau, oder sonst was hat ihn zurückgehalten. Er wird schon kommen. Anna geht es doch gut bei ihm.“

„Trotzdem ist es wichtig, dass er pünktlich ist. Wenn er Anna abholt, ist ja auch schon alles fertig, und sie können gleich los.“

Cora überlegte zehn Sekunden, ob sie das, was sich in ihrem Kopf sammelte, aussprechen sollte, denn sie wollte endlich mal etwas klarstellen.

„Hör zu, ich finde es ziemlich unverschämt von dir, dass du Paul immer noch in Schutz nimmst. Er hatte schon eine andere, während ich noch schwanger war.“

„Männer sind halt ein bisschen anders gestrickt als Frauen …“

„Das sagst ausgerechnet du, die immer von der freien Liebe faselt? Also noch einmal, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du endlich mal deutlich machen würdest, auf welcher Seite du stehst.“

„Auf deiner, mein Schätzchen“, erwiderte Katrin rasch. Sie machte einen Schritt auf ihre Tochter zu, um sie zu umarmen, doch die wich zurück. Cora wollte jetzt keinen körperlichen Kontakt.

In diesem Moment klingelte es. Draußen stand Paul mit einem schuldbewussten Lächeln im Gesicht.

„Tut mir leid“, sagte er. „Hat ein bisschen länger gedauert.“

Cora ersparte sich jeglichen Kommentar, breitete die Arme aus und nahm ihr schläfriges Kind entgegen.

„Sie hat schon gegessen“, teilte Paul noch mit. „Kann ich einen Moment reinkommen?“

„Natürlich kannst du das, mein lieber Schwiegersohn!“, tönte Katrins helle Stimme aus dem Hintergrund. „Ich mache dir auch einen Kaffee, wenn du …“

„Vielen Dank, sehr nett von dir, aber so viel Zeit habe ich auch wieder nicht“, winkte er ab.

Mit nur schlecht unterdrücktem Ärger übergab Cora ihrer Mutter das Kind, ging voraus ins Wohnzimmer und schloss hinter Paul die Tür, damit Katrin nicht mithören konnte. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und schaute ihn auffordernd an.

„Was gibt’s denn so Wichtiges?“

„Ich fahre Ende des Monats mit Judith für eine Woche nach Österreich. Dort gibt es ein kinderfreundliches Hotel mit Streichelzoo. Anna möchten wir gern mitnehmen. Ich glaube, eine Luftveränderung würde ihr guttun, besonders nach ihrer letzten Erkältung.“

Cora verstand nicht ganz. „Aber der vereinbarte Urlaub ist erst im September. Willst du davon die Woche abziehen?“

„Nein, ich möchte sie zusätzlich“, sagte er ruhig. „Und für dich wäre es doch auch eine Entlastung, dann kannst du dich mal ganz um dich selbst kümmern. Du weißt doch, dass sie bei uns gut aufgehoben ist.“

Ihre Miene drückte aus, dass ihr der Vorschlag nur wenig gefiel. Warum sollte sie ihm das Kind über die getroffenen Abmachungen hinaus überlassen?

„Darüber muss ich noch nachdenken.“

„Tu das, und gib mir bitte bald Bescheid, damit ich alles in die Wege leiten kann. Judith würde sich auch sehr freuen. Du weißt doch, sie liebt Kinder. Anna fühlt sich wohl bei ihr.“

Die schmerzhaften Stiche, die Cora bei diesen Worten verspürte, musste sie wohl oder übel aushalten.

„Warum schafft ihr euch kein eigenes an?“, fragte sie spitz.

„Es klappt halt nicht immer so, wie man sich das wünscht“, erwiderte Paul.

„Dann solltet ihr euch für die Kinderwunsch-Sprechstunde bei Dr. Holl einen Termin geben lassen. Er kann euch sicher weiterhelfen“, sagte Cora und atmete tief ein.

„Danke für den Tipp.“ Paul nickte zustimmend. „Daran habe ich auch schon gedacht. Ich werde mit Judith darüber reden. Und du sagst mir morgen, wie du dich wegen der außerplanmäßigen Urlaubswoche entschieden hast. Die Klimaveränderung wird Anna guttun. Ach übrigens, nächsten Samstag lade ich euch alle drei zu meiner Geburtstagsparty ein. Sie findet im Haus am See statt.“

„Hm.“ Noch eine Entscheidung. „Wann?“

„Wann ihr wollt. Wir fangen mittags an. Es gibt auch ein spezielles Programm für Kinder mit Entertainer, sodass sich die Eltern nicht viel um ihren Nachwuchs kümmern müssen.“

***

Dr. Holl lagen die Ergebnisse der Untersuchungen schon vor. Ein Ultraschall zeigte, dass Zysten am Eierstock der Frau ausgeschlossen werden konnten. Er begrüßte das Paar, das sich wegen seines unerfüllten Kinderwunsches behandeln lassen wollte.

„Herr Kastner, Ihr Name kommt mir bekannt vor.“

„Meine Exfrau arbeitet bei Ihnen“, erwiderte Paul. „Sie hat uns empfohlen, hier bei Ihnen Rat zu suchen.“

„Ach ja, richtig, unsere Frau Kastner“, pflichtete Stefan dem Mann bei. „Sie ist eine sehr tüchtige Pflegerin und OP-Schwester.“

Noch ein kurzer Blickkontakt zu der dunkelhaarigen Frau, dann wandte er sich den Befunden zu.

„Bei Ihnen beiden sind alle Voraussetzungen für eine Behandlung gegeben“, stellte er fest. „Das Alter stimmt. Bei Ihnen, Frau …“

„Judith Breuer“, half sie sofort aus.

„Der HIV-Test war negativ, Rötelnschutz besteht. Ihre Gebärmutter und die beiden Eierstöcke sind funktionstüchtig, und Sie bekommen Ihre Menstruation ziemlich regelmäßig. Aber vielleicht müssen wir die drei noch etwas aufpäppeln.“ Dr. Holl wandte sich dem Mann zu. „Bei Ihnen stimmt die Spermienqualität.“

„Ich habe ja auch schon eine Tochter“, erklärte der attraktive Mann selbstbewusst. Seine Begleiterin rutschte etwas nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

„Wir werden zunächst versuchen, die Hormonproduktion zu steigern, Frau Breuer. Ich verschreibe Ihnen ein Medikament, das die Eizellreifung stimuliert. Sie können es sich selbst unter die Bauchdecke spritzen. Das ist ganz einfach. Am 11. Zyklustag werden wir die Wirkung sowohl im Blut als auch mit einem weiteren Ultraschall kontrollieren. Zu diesem Zeitpunkt ist meistens schon absehbar, wann die Eizellreifung abgeschlossen sein wird. Dann lösen wir den Eisprung medikamentös aus, und die Insemination kann stattfinden. Sie müssen dann vor Ort sein und sofort in die Klinik kommen können.“

Judith nickte nervös. Hoffentlich konnte sie sich alles merken, was Dr. Holl anordnete.

„Draußen bekommen Sie noch eine schriftliche Anleitung.“ Dr. Holl schien ihre Sorge zu bemerken. „So können Sie zu Hause jederzeit nachschauen, was Sie tun müssen. Und wenn Sie trotzdem noch unsicher sind, rufen Sie einfach an. Hier bekommen Sie jederzeit Hilfe und Ratschläge.“

Die Patientin lächelte erleichtert. Ihr Vertrauen zu Dr. Holl wuchs.

„Sollten wir nach einigen Versuchen mit dieser Methode nicht weiterkommen, können wir eine Befruchtung von Eizelle und Spermium außerhalb des Körpers versuchen und dann das befruchtete Ei direkt in die Gebärmutter einsetzen.“

„Eine In-vitro-Befruchtung also“, ergriff Paul das Wort. Er wirkte nachdenklich. „Das erscheint mir eigentlich die beste Behandlung zu sein, kann man das nicht gleich machen?“

„Diese Methode ist weitaus aufwendiger und für die Frau belastender. Außerdem entstehen deutlich höhere Kosten.“

„Kosten würden keine Rolle spielen“, stellte Paul Kastner richtig. Seine Worte klangen etwas großspurig, doch ihm selbst schien das nicht aufzufallen.

„Ich schlage trotzdem vor, es erst einmal mit der schonenderen Art zu versuchen.“ Stefan nickte den beiden aufmunternd zu. „Sie sind beide noch jung genug, stehen also nicht unter Zeitdruck.“

Die beiden tauschten einen Blick miteinander, dann stimmten sie Dr. Holls Vorschlag zu.

„Vielleicht klappt es ja gleich bei den ersten Versuchen“, meinte Paul hoffnungsvoll. „Die In-vitro-Befruchtung läuft uns ja nicht davon.“

Dr. Holl schrieb das Medikament auf und legte mit der Patientin fest, wann sie mit der Einnahme beginnen sollte. Ein weiterer Termin wurde vereinbart. Stefan verabschiedete die beiden, die nun doch einigermaßen zufrieden wirkten. Er wünschte ihnen viel Erfolg und versprach, alles in seiner Macht stehende zu tun.

Es war ihm ein ernstes Anliegen, solchen Paaren zu helfen. Auch wenn bei der Frau und beim Mann organisch alles in Ordnung war, bedeutete das noch keine Garantie für das Eintreten einer Schwangerschaft. Manchmal funktionierte es trotz guter Voraussetzungen nicht. Es wurde zwar viel über die möglichen Ursachen diskutiert, aber den genauen Grund wusste man bis heute nicht.

Er kannte genug Paare, die Probleme mit dem Kinderkriegen hatten und auch nach unzähligen Versuchen ohne Nachwuchs blieben. Die In-vitro-Befruchtung bedeutete auch viele enttäuschte Hoffnungen. Ihre Erfolgsaussichten konnte niemand ernsthaft voraussagen, da es auch hier auf viele unterschiedliche Faktoren ankam. Jedenfalls lag die tatsächliche Erfolgsquote in der Regel nicht höher als 20 bis 30 Prozent.

Deshalb hielt sich Stefan Holl mit Versprechungen immer zurück und schürte keine übertriebenen Erwartungen. Er freute sich selbst natürlich immer, wenn er einem Paar helfen konnte. Aber er machte auch deutlich, dass man den Kinderwunsch nicht erzwingen konnte. Ihm selbst und seiner Frau waren solche Überlegungen erspart geblieben. Die vier Kinder kamen in gewollten Abständen von einigen Jahren, die Zwillinge zuerst, dann Chris und Juju. So war das Haus ständig von Leben erfüllt. Und so sollte es auch noch lange bleiben.

***

Cora fand, dass ihre Mutter mal wieder unmöglich gekleidet war. Katrin vergaß anscheinend jeden Tag aufs Neue, dass sie bereits auf die sechzig zuging und ein wenig mehr Eleganz ungleich besser zu ihr passen würde als diese knallbunten, schlabbrigen Fetzen, in denen sie sich wie fünfzehn zu fühlen schien. Aber die Tochter versagte sich jegliche Kritik. Sie hatte keine Lust auf Streit.

Cora entschied sich für eine fesche Jeans und eine flotte Dirndlbluse – für eine Feier im Garten gerade richtig. Natürlich würde sie sich von Paul fernhalten und nicht seine Nähe suchen. Sie ging ja auch nur hin, damit er Anna an seinem Geburtstag bei sich haben konnte. Anna trug ein süßes Trägerkleidchen.

Bei ihrem Eintreffen hatten sich schon viele Gäste versammelt. Katrin marschierte mit Anna im Buggy auf den Gastgeber zu, umarmte ihn und wünschte ihm alles Gute für das neue Lebensjahr. Paul hob seine Tochter aus dem Wagen und setzte sie auf seine Schultern, was Anna mit lauten Freudenrufen quittierte. Cora beschränkte sich vorerst darauf, ihrem Exmann freundlich zuzuwinken. Wenn sich später eine Gelegenheit ergab, würde sie ihm gratulieren.

Auf dem Weg zur Getränkebar traf sie auf zwei Freundinnen, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Natürlich wussten die beiden, dass Coras Ehe mit Paul geschieden war. Flüsternd wollten sie wissen, wie sie nun zu ihrem Ex stehe, der jetzt mit Anna auf den Schultern und Judith im Schlepptau neu ankommende Gäste begrüßte.

Nachdem er sie eine Weile herumgetragen hatte, brachte er Anna zu den anderen Kindern, die auf einem eigens für sie angelegten Platz mit Rutschen, Trampolinen und einem Sandkasten spielen konnten. Oma Katrin kümmerte sich mit anderen Frauen um die jüngsten Partygäste. Wenn Streit auszubrechen drohte, griffen sie ein.

„Unsere Liebe ist vorbei“, sagte Cora schulterzuckend zu Birgit und Johanna. „Plötzlich ist sie weg. So ist das nun mal. Anfangs ist man fest davon überzeugt, dass die schönen Gefühle ewig halten, aber dann wird man eines Besseren belehrt. Trotzdem ist uns bewusst, dass wir als Eltern eine gemeinsame Verantwortung für unser Kind haben, die wir auch ausüben. Wir wollen nicht, dass unser Kind unter der Scheidung leidet.“

„Bist du nicht wütend auf Judith?“, wollte Birgit nach einem raschen Blick auf die Rivalin flüsternd wissen. „Sie hat sich an Paul rangemacht, als ihr noch verheiratet wart. Dass sie eine Ehe zerstört, war ihr wohl egal.“

Cora zog die Schultern hoch. „Und wenn ich wütend wäre und wie eine Furie tobte, was würde es ändern?“

„Du siehst das richtig cool“, stellte Johanna bewundernd fest. „Geradezu beneidenswert. Ich könnte das nicht.“

„Man gewöhnt sich an alles“, erwiderte Cora tapfer. In Wirklichkeit war sie keineswegs so gelassen, wie sie sich gab. Zwar empfand sie keine Eifersucht auf Judith, ihre Gefühle für Paul waren ja ziemlich erkaltet. Aber dass eine große Liebe einfach so zerbrechen konnte, bereitete ihr heute noch endlose Grübeleien. Was war schiefgegangen? Hatte sie was falsch gemacht – und wenn ja, was? Hätte sie nicht erkennen müssen, dass etwas nicht stimmte?

„Ihr habt ja gar nichts zu trinken.“ Ein Tablett mit verschieden gefüllten Gläsern schob sich zwischen die drei Freundinnen. Hinter dem Tablett stand ein ziemlich attraktiver Mann. „Hier habe ich Sekt mit und ohne Orangensaft, frisch gepressten Orangensaft, Bier, Wasser, ein paar Smoothies. Warme Getränke wie Tee und Kaffee gibt’s auf der Terrasse.“ Die Frauen bedankten sich und griffen beherzt zu. Cora entschied sich für Sekt.

„Mein Name ist übrigens Matteo. Ich bin ein Freund von Paul und habe mich bereit erklärt, heute an seinem Ehrentag den Kellner zu spielen. Und wer seid ihr?“

Kaum hatten Birgit und Johanna ihre Namen genannt, wurden sie von einer weiteren Frau begrüßt, die Cora nicht kannte. Jetzt verfielen die drei in eine angeregte Unterhaltung. Und für Cora ergab sich die Gelegenheit, ein paar Worte mit dem gut aussehenden Kellner zu wechseln.

„Ich heiße Cora“, sagte sie, während sie ihn neugierig betrachtete.

„Cora?“, wiederholte er. „Bist du etwa die Exfrau von Paul?“

„Ja, genau. Unsere Tochter sollte unbedingt bei der Geburtstagsparty ihres Papas dabei sein.“

„Ich finde es gut, wie ihr das macht. Auch wenn sich ein Paar trennt, so braucht das Kind weiterhin beide Elternteile.“

Cora brauchte jetzt unbedingt etwas, um lockerer zu werden, und trank ihr Glas fast aus. Sofort servierte Matteo ihr ein neues.

„Woher kennst du Paul?“, fragte sie nun deutlich mutiger geworden. Den Namen Matteo hatte sie noch nie von ihrem Exmann gehört, aber sie waren ja auch schon lange nicht mehr zusammen.

„Ich arbeite gelegentlich für seine Vermessungsfirma“, drückte er sich etwas nebulös aus, doch das fiel Cora nicht weiter auf. Sie fand seine Art charmant, und sein Äußeres gefiel ihr auch. Vor ihr stand ein ansehnlicher Mann.

Du lieber Himmel, wie lange hatte sie schon nicht mehr geflirtet? Ehekrise, Scheidung, dazu ein Kleinkind, da war nun wirklich keine Zeit für so was geblieben. Ganz abgesehen davon, hatte ihr auch der Sinn nicht danach gestanden. Dass heute ein großer Teil dieser unschönen Zeit vorbei sein sollte, erstaunte sie selbst, aber machten solche Lebenskatastrophen einen nicht auch reifer und selbstsicherer?

„Und was machst du?“, fragte er.

Sein Lächeln brachte sie ein wenig aus dem Konzept.

„Ich? Du meinst, was ich arbeite? Ich bin OP-Pflegerin in der Berling-Klinik. Falls es dich interessiert, die korrekte Berufsbezeichnung lautet Operationstechnische Assistentin, abgekürzt OTA.“

„Wirklich? Davon musst du mir mehr erzählen.“

Cora bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass dieser Mann wirklich Näheres über ihre Tätigkeit hören wollte.

„Ich arbeite mit den Chirurgen bei Operationen, aber auch in der Ambulanz und in der Zentralsterilisation.“ Endlich gelang es ihr, sein Lächeln zu erwidern. „Aber eigentlich habe ich jetzt keine Lust, über meine Arbeit zu sprechen. Ich bin ja froh, mal freizuhaben.“

Jetzt lachte er und ließ seine gepflegten Zähne sehen.

„Entschuldige, ich will dir natürlich nicht lästig fallen. Warte, ich hole uns noch ein Glas.“

Wenig später kam er mit zwei gefüllten Sektkelchen zurück.

„Setzen wir uns doch unter den Baum“, schlug er vor und deutete in die hinterste Ecke des großen Gartens. „Dort sind wir ungestört.“

„Und wer macht jetzt den Kellner?“, erkundigte sie sich mit schief gelegtem Kopf.

„Soll jemand anders übernehmen“, erwiderte er vergnügt. „Ich habe heute schon genug getan. Jetzt brauche ich eine Pause.“

„Kennst du Paul schon lange?“, wollte Cora wissen, nachdem sie ihr Glas schon wieder halb geleert hatte. Die leise Stimme in ihr, die sie vergeblich vom schnellen Trinken abhalten wollte, verstummte ganz.

„Wir sind alte Freunde“, gab Matteo zurück.

„Ach wirklich? Deinen Namen habe ich aber nie gehört.“

„Ich war lange im Ausland. Erst seit ein paar Monaten sind wir wieder in Kontakt.“

Mit dieser Antwort gab sich Cora zufrieden. Eigentlich war es ihr auch egal, woher die beiden sich kannten. Jetzt genoss sie einfach die Gesellschaft eines attraktiven Mannes. Ihr entging nicht, dass Matteo sie ständig anschaute, als wolle er ihr Bild verinnerlichen. Das, was er sah, schien ihm zu gefallen. Er umwarb sie auf dezente Weise mit Blicken, mit Worten, mit Gesten.

Als sich wie zufällig ihre Unterarme berührten, empfand sie ein wohltuendes Prickeln auf der Haut. Erinnerungen an vergangene Jahre lebten auf. Fühlte sich so der Beginn einer neuen Verliebtheit an? Ach, Cora, sei doch vernünftig, so etwas kannst du dir doch gar nicht leisten. Du hast einen aufreibenden Beruf, ein Kleinkind und eine anstrengende Mutter. In deinem Leben ist kein Platz für einen Liebhaber.

***

Inzwischen war Mutter Katrin von ihrer Aufsichtspflicht erlöst worden. Mit einer Bekannten saß sie rauchend mitten auf der Wiese und gönnte sich noch ein Glas Rotwein dazu.

An ihrer Stelle betreute jetzt Judith die Kinder, die friedlich miteinander spielten. Paul trat zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. Alle sollten sehen, dass sie ein Paar waren, das sich innig liebte.

„Na, wie macht sich unser Schatz?“

„Anna ist goldig“, erwiderte Judith mit glänzenden Augen. „Schau doch nur, wie selbstvergessen sie spielt. Sie sieht dir so unglaublich ähnlich. Ich freue mich schon auf unseren Urlaub in Österreich. Hat Cora schon Ja gesagt?“

„Noch nicht, aber ich werde mir ihre Zusage heute noch holen. Sie muss zustimmen, sonst mache ich Terror.“ Paul drückte seiner Lebensgefährtin einen Kuss auf die Wange.

„Sie sitzt drüben mit Matteo. Die zwei stecken schon die ganze Zeit die Köpfe zusammen.“

„Das ist auch gut so. Matteo soll mit ihr anbandeln, damit ich mehr Informationen bekomme.“

„Er ist dein Spion, nicht wahr?“, fragte Judith kichernd.

„So was Ähnliches. Und was macht Katrin?“

„Die sitzt drüben auf dem Rasen und raucht.“

„Hoffentlich kein Hasch.“

„Sie hat nur eine Filterzigarette aus der Packung genommen“, erwiderte Judith. „Ich hab’s genau gesehen.“

Paul seufzte. „Hoffentlich wird sie sich hier gut benehmen. Allerdings möchte ich nicht wissen, was sie zu Hause treibt, wenn Cora in der Klinik ist. Schon früher hat Katrin in Gegenwart des Kindes geraucht, ob Zigarette oder Gras, war ihr egal. Wenn ich sie dabei erwischt hab, hab ich’s ihr natürlich verboten, aber jetzt ist sie ja weitgehend unbeobachtet.“

„Arme kleine Anna. Mit ihrer Oma hat sie wahrhaftig nicht das große Los gezogen. Was können wir denn da nur tun?“

„Sorge dich nicht und lass mich nur machen, Liebes. Ich weiß schon, wie ich vorgehen muss.“

Judith lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sie war so glücklich, diesen Mann für sich gewonnen zu haben. Nie wieder würde sie ihn hergeben. Und sollte ihm eine Rivalin mal allzu nahekommen, bekäme sie es mit ihr zu tun. Bis zum letzten Atemzug würde sie um Paul kämpfen. Und sie wäre glücklich, wenn es ihm gelänge, Anna mehr und mehr in ihre gemeinsame Obhut zu bringen. Sein Kind war auch ihres.

Anna kletterte aus dem Sandkasten und trippelte, so schnell sie konnte, auf die beiden Erwachsenen zu. Judith lief ihr entgegen und fing das Kind gerade rechtzeitig auf, als es strauchelte.

„Hups, das ist aber noch mal gut gegangen“, rief sie aus, nahm Anna auf den Arm und küsste sie.

„Mama“, sagte die Kleine und legte vertrauensvoll ihre Ärmchen um Judiths Hals.

„Aber ich bin doch gar nicht …“

„Lass nur“, fiel Paul ihr leise ins Wort. „Sie ist ja noch viel zu klein, um das zu verstehen.“

Schon nach wenigen Minuten begann Anna zu strampeln. Sie wollte wieder zu den anderen Kindern zurück. Judith setzte sie ab. Mit gerührten Blicken schaute sie dem Kind nach.

„Nächste Woche ist der Termin bei Dr. Holl“, sagte Paul. „Ich wünsche mir so sehr ein Kind mit dir. Hoffentlich müssen wir darauf nicht zu lange warten.“

Damit alle sahen, wie sehr sie ihn liebte, gab sie ihm einen Kuss auf den Mund.

„Es wird klappen, ganz bestimmt. Nach dem letzten Ultraschall-Termin dürfte dann das Eibläschen gereift sein. Genug Hormone hab ich ja gespritzt. Außerdem haben wir noch weitere Versuche. Ich vertraue Dr. Holl. Er wird uns zu unserem Wunschkind verhelfen. Auf diesem Gebiet ist er ein erfahrener Arzt.“

„Wenn Anna ein Geschwisterchen bekommt, sind wir eine richtige Familie“, raunte Paul dicht an Judiths Ohr.

Judith schaute ihm tief in die Augen. Genau das wünschte sie sich auch. Ein Kind würde ihre Liebe krönen und ihren Bund fürs Leben besiegeln. Zwar hatte er behauptet, nach seiner gescheiterten Ehe nicht wieder heiraten zu wollen, aber wenn sie erst mal schwanger war, musste er ihr einen Antrag machen. Daran führte dann kein Weg mehr vorbei.

***

Der Termin war für den Vormittag neun Uhr angesetzt. Paul war nervöser als Judith. Um nicht zeitraubend nach einem Parkplatz suchen zu müssen, nahmen sie sich ein Taxi. Die Samenspende sollte frisch und darum nicht länger als dreißig Minuten unterwegs sein. Da man nie wusste, ob und wie lange man in einem Stau stand, hatte Paul sich entschieden, die Spermien-Gewinnung direkt in der Klinik vorzunehmen.

Sie meldeten sich an. Paul bekam einen Becher in die Hand gedrückt. Er zwinkerte Judith noch einmal zu und verschwand in einem Raum.

Kurz darauf nahm Schwester Marion den gefüllten Behälter in Empfang und brachte ihn ins Labor. Dort wurden die Spermien für die Insemination aufbereitet. Nur die gut beweglichen durften versuchen, zur Eizelle zu gelangen. Wer am schnellsten die Eizelle erreichte, war Sieger. Die anderen hatten das Nachsehen.

Da die Prozedur im Labor eine Zeit in Anspruch nahm, hielten sich Paul und Judith im Klinikbereich auf. Sie spazierten durch die Gartenanlagen und tranken etwas in der Cafeteria. Judith hätte gern einen starken Kaffee getrunken, aber sie nahm nur einen Kräutertee.

„Ich habe mal irgendwo gelesen, dass eine Frau auf Kaffee verzichten soll, wenn sie schwanger werden will“, erklärte sie ihren Verzicht.

„Das glaube ich nicht, Dummerchen. Es gibt so viele alberne Ratschläge in diesem Bereich. Aber ganz wie du willst.“

„Ich bin kein Dummerchen“, widersprach Judith eine Spur zu heftig. „Ich tu nur alles, um das Einnisten des Eis nicht zu gefährden.“

Paul ersparte sich weitere Bemerkungen zu diesem Thema. Nach knapp zwei Stunden kam endlich der Anruf. Die Spermien waren vorbereitet. Judith sollte sich jetzt ins Behandlungszimmer begeben, wo man schon auf sie wartete. Paul begleitete sie. Vor der Tür umarmte sie ihren Liebsten. Sie wollte aber nicht, dass er bei der Prozedur anwesend war.

„Ich drücke dir ganz fest die Daumen!“, sagte er und gab ihr noch einen Kuss mit auf den Weg.

Dr. Holl begrüßte seine Patientin. „Die Spermienqualität Ihres Partners ist gut“, stellte er fest. „Aber das wissen Sie ja schon. Dann wollen wir mal loslegen. Bitte gehen Sie nach nebenan. Schwester Marion hilft Ihnen, die richtige Position einzunehmen.“

Nach einer kurzen Säuberung des Schambereiches nahm Dr. Holl vor der Patientin Platz. Vorsichtig spreizte er die Zervix mit einem Spekulum. Dann schob er einen kleinen Katheter in die Gebärmutter und spülte mit leichtem Druck auf den Kolben die aufbereiteten Spermien ein.

„Auf diese Weise gelangen sie direkt in den Eileiter, wo kurze Zeit später das Zusammentreffen mit der Eizelle stattfinden kann“, erklärte Dr. Holl gut gelaunt. „Das Ei ist nun befruchtet und setzt seinen Weg fort. Medizinisch heißt es nun Zygote. Diese Zygote wandert langsam durch den Eileiter und teilt sich schon mehrfach auf dieser Reise, die ungefähr vier Tage dauert. Wenn sie ihr Ziel erreicht hat, sucht sie sich ein passendes Plätzchen in der muskulösen Gebärmutterwand und beginnt mit der Einnistung. Gelingt ihr das, nimmt die Schwangerschaft ihren Lauf. Ein neues Leben kann beginnen.“ Stefan Holl erhob sich. „So, das war’s. Jetzt ist Ihr Körper an der Reihe. Bleiben Sie noch ein wenig liegen. Dann können Sie sich wieder ankleiden.“

Judith genoss die Situation mit geschlossenen Augen. Als sie die Lider öffnete, lächelte sie glücklich. Sie hatte vom Befruchtungsvorgang kaum etwas gespürt. Als sie eine halbe Stunde später das Behandlungszimmer verließ, tigerte Paul schon ungeduldig auf dem Gang davor auf und ab. Sie rief seinen Namen. Er fuhr herum, machte drei Schritte auf sie zu und nahm sie in die Arme.

„Wie war’s?“, presste er ungeduldig heraus.

„Eigentlich ganz unspektakulär. Nicht viel anders als eine Routineuntersuchung beim Frauenarzt“, berichtete sie. „Weißt du was? Jetzt habe ich Hunger.“

„Dann gehen wir etwas essen.“

Sie verließen die Klinik. Gerade stand unten kein Taxi. Paul zückte sein Handy und bestellte eins. Während sie darauf warteten, kam Cora auf sie zu.

„Hallo“, sagte sie und zögerte noch, den beiden die Hand zu reichen.

Doch Judith konnte nicht mehr an sich halten. Sie musste gleich loswerden, weswegen sie den Vormittag in der Klinik verbracht hatten.

„Dann wünsche ich viel Erfolg.“ Cora vermied es, ihren Exmann anzuschauen. Es gelang ihr auch nicht, Judiths Freude zu teilen. Diese Frau war in ihre Ehe eingebrochen. Im Grunde hatten sie sich nichts zu sagen. Sie wollte die Begegnung auch abkürzen, weil sie Pauls Frage fürchtete. Doch da sprach er sie auch schon aus.

„Und? Hast du über meine Bitte nachgedacht? Ich wollte dich das schon auf der Party fragen, aber da hat sich dummerweise keine Gelegenheit ergeben.“

Cora nahm einen tiefen Atemzug. Die Nacht nach der Geburtstagsparty hatte sie fast nicht geschlafen vor lauter Grübelei. Ihre Gedanken waren einfach nicht zur Ruhe gekommen. Sollte sie ja sagen? Oder war es doch besser, auf die vereinbarten Regeln zu verweisen?

„Ich bin einverstanden“, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. Anna liebte ihren Papa heiß und innig. Warum sollte sie ihrem Kind die Freude nicht gönnen? Außerdem winkte ihr selbst dann eine freie Woche ohne Verpflichtungen. Vielleicht konnte sie Matteo wiedersehen. Er schickte fast täglich eine SMS und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Cora antwortete nur mit Stichworten.

„Das ist ganz super von dir“, erwiderte Paul erfreut. In diesem Augenblick kam das Taxi. „Über die Einzelheiten reden wir noch. Ich rufe dich an.“

„Tu das“, sagte sie und verschwand fast fluchtartig im Inneren des Gebäudes.

***

Als Dr. Holl an diesem Abend nach Hause kam, wurde er von seiner Frau mit einem zärtlichen Kuss in Empfang genommen.

„Heute gibt’s einen Sommerabend auf der Terrasse“, verkündete sie. „Der Tisch ist schon gedeckt. Juju und Cäcilie haben ein kleines Büffet gezaubert. Chris hat die Musik nach draußen gelegt. Wenn wir wollen, können wir sogar tanzen.“

Stefan schaute seine Frau so erstaunt an, als habe sie eine Stippvisite zum Mars vorgeschlagen.

„Tanzen?“, wiederholte er gedehnt. „Ich bin sicher, dass ich das gar nicht mehr kann.“

„Dann bringe ich es dir wieder bei“, scholl es aus Jujus entzückendem Kindermund. Die jüngste Holl-Tochter hatte die letzten Worte des Vaters gehört, als sie gerade die letzte Schüssel heraustrug und auf den Tisch stellte.

„Nudelsalat“, erklärte sie. „Hab ich gemacht.“

„Ganz allein?“, erkundigte sich Julia schmunzelnd.

Juju dachte kurz nach, bevor sie sich zur Wahrheit entschloss. Mit ihren elf Jahren fand sie manchmal, dass man den Eltern nicht immer unbedingt die volle Wahrheit sagen musste. Besonders dann nicht, wenn abzusehen war, dass Mama und Papa sorgenvoll dreinschauen und die Stirn in Falten legen würden. Aber jetzt beschloss sie, doch ehrlich zu sein – und nicht zu behaupten, selbst all die Köstlichkeiten kreiert zu haben. Juju schlenkerte mit den Armen.

„Ein bisschen hat Cäcilie schon geholfen“, erklärte sie schließlich. „Bei den Zutaten weiß sie einfach besser Bescheid. Aber das Vermischen habe ich selbst gemacht. Und die Dekoration auch.“

Die langjährige Wirtschafterin der Familie war für das Kind so etwas wie eine zweite Großmutter, neben Omi Nessy natürlich, die heute Abend zusammen mit Opi Walter ebenfalls zum Essen eingeladen war. Auch Stefans Schwester Beatrix mit Mann und Kindern würde nicht fehlen.

Stefan warf einen verlangenden Blick auf die große Schüssel. Obenauf lagen Scheiben von gekochten Eiern, kunstvoll mit Mayonnaise-Herzen verziert. Dazwischen in Zickzackform geschnittene Radieschen, dunkelblaue Veilchenblüten und ganz viel frische Petersilie.

„Macht überhaupt nicht dick“, erklärte die Tochter ihrem Vater.

„Na, ich weiß nicht.“ Dr. Holl kräuselte die Stirn. „Das bunte Zeug obendrauf sicher nicht, dafür aber alles, was darunter ist.“

„Einen Löffel kannst du dir schon erlauben, Papa, du bist ja noch ziemlich schlank“, stellte das Kind gönnerhaft fest.

Stefan lachte. „Danke für das Kompliment.“

„Und es gibt ja auch noch andere Dinge. Eingelegtes Gemüse, Schinkenbrötchen, Käsekräcker, Auberginen im Teigmantel und …“ Juju wandte sich um und schaute auf die schon üppig gefüllte Tafel, an der zehn Personen locker Platz fanden. „… und Käse-Maniok-Brötchen. Das Rezept ist brasilianisch.“

„Dann erleben wir heute Abend also internationale Esskultur.“ Stefan legte einen Arm um Julia. „Wie ich das so sehe, habt ihr heute den ganzen Tag in der Küche verbracht.“

„So schlimm war’s nun auch wieder nicht“, versicherte die Hausherrin. „Es hat sogar ganz großen Spaß gemacht. Und jetzt freuen wir uns alle auf einen schönen Familienabend.“

Juju pflanzte sich vor ihrem Vater auf.

„Jetzt weiß ich, womit ich später mal mein Geld verdienen will.“

Julia und Stefan tauschten einen Blick. Fast wöchentlich überraschte Juju die Familie mit einer neuen Berufswahl.

„Ich werde Starköchin. Mit einer eigenen Fernsehshow.“

„Wolltest du nicht in unsere Klinik eintreten?“

„Ich hab’s mir anders überlegt. Als Starköchin wird man berühmt. Als Ärztin eher nicht.“

„Schade.“ Stefan tat bekümmert. „Ich hatte schon so fest mit dir gerechnet.“

„Soll ich euch einen Drink servieren?“, fragte die kleine Gastgeberin. „Sekt vielleicht? Oder Wein?“

„Für mich erst mal nur einen Saft“, erwiderte Stefan.

Bevor die ersten Gäste kamen, zog er sich noch für ein paar Minuten mit seiner Frau auf die schöne, alte Holzbank im Garten zurück, die er letzten Sommer eigenhändig restauriert hatte. Es war eine gute Arbeit gewesen. Er war stolz darauf.

„Heute habe ich eine Insemination durchgeführt“, berichtete er seiner Liebsten. „Das Paar bemüht sich schon eine Weile vergebens um ein Wunschkind. Jetzt soll es auf diese Weise zustande kommen. Es klappt zwar nicht immer, aber mit ein bisschen Glück können sie bald Eltern werden.“

Mit einem forschenden Seitenblick streifte Julia das Profil ihres Mannes. Sie wusste, dass er sich über solche Erfolge ganz besonders freute. Neuem Leben auf die Welt zu helfen war für ihn das Sahnehäubchen seiner ärztlichen Tätigkeit.

Juju brachte den Eltern die Getränke und verschwand dann wieder in der Küche.

„Unsere kleine Starköchin“, meinte Julia sinnend. „Immer den Kopf voll mit verrückten Ideen.“

„Wir werden ja sehen, in welchem Beruf sie schließlich landet.“

Viel Zeit für eine kleine Unterhaltung blieb ihnen nicht mehr. Sie hatten die Gläser noch nicht geleert, als Julias Vater Walter Berling mit seiner Frau Nessy auftauchte und mit großem Hallo von allen vier Holl-Kindern begrüßt wurde. Auch Marc, Daniela und Chris hatten sich inzwischen eingefunden.

Dr. Walter Berling, Gründer der Klinik, die seinen Namen trug, liebte es, seinen Enkeln heimlich Scheine zuzustecken. Was allerdings dennoch niemandem verborgen blieb. Jubel und Freudenschreie, Opa bekam viele kleine Küsschen, und man sah ihm an, wie gut es ihm in der Schar seiner Enkelkinder gefiel.

Julia mahnte ihren Vater immer wieder mal, die Kinder nicht zu sehr zu verwöhnen, aber solche Ratschläge hielten Walter nicht davon ab, die Jugend der Familie zu beschenken. Und so waren alle zufrieden.

***

Ich möchte dich gern wiedersehen. Hast du Lust und Zeit?

Immer wieder betrachtete Cora mit einem kleinen Lächeln die Nachricht auf ihrem Handy. Sie hatte erwartet, dass er sich irgendwann nach jener Geburtstagsparty bei ihr meldete. Das Zusammensein mit ihm war angenehm gewesen. Ein Mann, der mitten im Leben stand, frei und offen redete und sie immer wieder zum Lachen brachte. Außerdem ließ er keinen Zweifel daran, dass er gern mehr von ihr wollte, wobei er natürlich nicht detailliert kundtat, was und wie er sich das vorstellte.

Das war ja auch nicht nötig. Die Zukunft würde dann schon zeigen, ob es bei der gegenseitigen Sympathie blieb – oder ob mehr daraus werden konnte. Allerdings hätte Cora nicht damit gerechnet, dass er sich so lange Zeit lassen würde, bis er wieder auf sie zukam. Während sie noch überlegte, wann sie ihm antworten sollte, fingen ihre Finger schon an zu tippen.

Morgen ab achtzehn Uhr. Und der Daumen tippte auf „Senden“.

Nun hatte sie ihre Zusage gegeben. Sie ließ sich nur noch mit einer Ausrede zurücknehmen, doch an diese Möglichkeit dachte sie gar nicht. Sie wollte ihn ja wiedersehen. Unbedingt.

Das Telefon piepte wieder.

19 Uhr Biergarten am Chinesischen Turm?

Einverstanden.

Freu mich! M.

Cora ließ das Handy in die Tasche ihrer grünen Tunika gleiten. Sie saß bei einem Kaffee und einer Käsesemmel in der Cafeteria. Erst jetzt fand sie Zeit für eine kleine Mahlzeit. Auch das Frühstück war schon ausgefallen.

Den ganzen Vormittag hatte sie im OP gestanden. Eine Leistenhernie und zwei Gallen-OPs lagen hinter ihr. Nach der Pause musste sie Instrumente sterilisieren. Um zwei Uhr begann ihr Bereitschaftsdienst in der Notaufnahme. Wenn alles gut ging, war ihr Dienst um siebzehn Uhr zu Ende. Heute oder morgen musste sie unbedingt zu ihrem Friseur. Ihr Haar brauchte dringend einen neuen Schnitt. Vielleicht sollte sie es generell etwas kürzer schneiden lassen. Darüber musste sie noch nachdenken …

„Aufwachen, schöne Frau. Du träumst mit offenen Augen“, stellte Pfleger Rolf fest und nahm ihr gegenüber Platz. Er hatte ein großes Stück Pizza, einen Tomatensalat und eine Schüssel mit einer hellen Creme und Früchten auf sein Tablett geladen.

Cora schenkte ihm ein Lächeln. Sie mochte den rothaarigen Kollegen, der immer ein paar flotte Bemerkungen auf der Zunge hatte. Und lustig war er auch. Aber manchmal empfand sie ihn auch als aufdringlich. Schon seit Längerem versuchte er, mit ihr anzubandeln. Sie hatte sich jedoch geschworen, keine Affären am Arbeitsplatz. So was brachte meistens nur Ärger.

„Ich träume nicht, ich habe nachgedacht“, wies sie ihn zurecht.

Rolf säbelte ein Stück von seiner Pizza ab.

„Sag mal, hast du schon den neuen Film mit George Clooney gesehen?“

„Nein“, gab sie zurück.

„Er soll gut sein.“

„Der Film oder Clooney?“

„Sowohl als auch“, meinte Rolf. Die Gabel mit dem aufgespießten Pizzastück schwebte immer noch in der Luft. „Alle Frauen schwärmen doch für den Kerl.“

„Wirklich?“ Cora lehnte sich zurück und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf. „Weißt du, ich bin aus dem Alter raus, in dem ich mir Schwärmereien für einen Hollywoodstar erlauben könnte. Als alleinerziehende und berufstätige Mutter habe ich für so was keine Zeit.“

„Schade.“ Jetzt gönnte er sich den ersten Bissen und schlang ihn ziemlich schnell hinunter. „Könntest du dir trotzdem vorstellen, dir den Film mit mir anzusehen? Natürlich lade ich dich ein. Und auf ein Essen danach ebenfalls.“

„Ach, Rolf.“ Cora seufzte demonstrativ. „Du gibst wohl nie auf, was?“

„Sag doch einfach ja. Himmel noch mal, ich will doch nur mit dir ins Kino – und nicht ins Bett.“

Die letzten Worte überhörte sie.

„Nein, das geht nicht. Tut mir leid. Sei so gut und frag mich in Zukunft nicht mehr.“

Eine Weile kämpfte er noch mit seiner Niederlage.

„Ich hab’s halt mal versucht“, sagte er dann mit einem schiefen Lächeln. „Aber wenn du nein sagst, muss ich mich halt damit abfinden.“

Cora ließ sich von seiner Enttäuschung nicht beeindrucken.

„Besser, du fragst mich nicht mehr“, riet sie ihm. „Denn die Antwort wird immer die gleiche sein.“

„Okay, hab verstanden.“ Nun widmete er sich energisch dem Rest seiner Pizza, dann dem Salat. Bevor er mit dem Nachtisch weitermachte, stand Cora auf.

„Ich muss zurück an die Arbeit. Mach’s gut.“

Mit sehnsüchtigem Blick schaute Rolf der schlanken Frau nach. Aber er hatte ja noch die Süßspeise als Kompensation für die erteilte Abfuhr.

***

Cora schloss die Tür auf. Ohne Anna war es im Haus ungewöhnlich still. Seit gestern war ihre Tochter mit Paul und Judith in den Tiroler Bergen. Sie hatten versprochen, täglich eine SMS zu schicken. An dieses Versprechen hielten sie sich auch. Immerhin.

Mutter Katrin lag im Liegestuhl auf der Terrasse und hörte so laut ihren Schmuse-Pop, dass sie die Ankunft ihrer Tochter nicht wahrnahm. Cora ging von hinten auf sie zu und tippte ihr auf die Schulter.

„Hallo, Mama!“

„Wie kannst du mich nur so erschrecken!“, schimpfte Katrin und fuhr hoch.

„Wie soll ich mich denn sonst bemerkbar machen? Stell einfach die Musik leiser. Die Nachbarn würden auch froh sein.“

„Das ist unser Haus und unser Grundstück. Hier können wir machen, was wir wollen.“

Das stimmte so zwar nicht, aber Cora verspürte jetzt keine Lust auf eine Diskussion. Sie regelte die Lautstärke herunter und setzte sich auf das Fußende der Liege.

„Was ist los?“, fragte Katrin.

„Fällt dir nichts auf?“

Katrin betrachtete das ausdrucksvolle Gesicht ihrer Tochter, doch sie fand nichts Außergewöhnliches darin.

„Nein“, musste sie dann zugeben.

Cora seufzte. War ihre Mutter wieder benebelt, oder merkte sie wirklich nichts?

„Ich hab mir die Haare schneiden lassen“, sagte sie.

„Seh ich jetzt auch. Warum lässt du sie nicht lang? Das steht dir viel besser.“

Katrin mäkelte an allem herum. Man konnte ihr nichts recht machen. Hätte Cora die Haare lang gelassen, wäre Katrins Ratschlag ganz bestimmt gewesen, sie endlich mal wieder schneiden zu lassen.

„Heute Abend gibt’s Spaghetti mit Tomatensauce und Käse.“

„Nicht für mich.“ Cora stand auf. „Ich bin verabredet.“

„Ach, wirklich?“ Jetzt richtete sich auch Katrin interessiert auf. „Mit wem denn?“

„Mit einem Mann.“

„Wer ist es?“

„Sag ich nicht.“

„Du benimmst dich wieder mal wie ein ungezogenes Kind“, klagte Katrin.

„Hör mal zu, in meinem Alter muss ich wohl keine Rechenschaft mehr ablegen, mit wem ich mich treffe.“

„Ich bin deine Mutter!“

„Mach dich nicht lächerlich.“ Cora ging ins Haus zurück. Höchste Zeit, sich zurückzuziehen. Sie hatte noch eine Stunde Zeit, um sich für das Treffen mit Matteo zurechtzumachen.

In ihrem Schlafzimmer öffnete sie die Türen des Kleiderschrankes. Was sollte sie anziehen? Das Dirndl, das sie zum letzten Oktoberfest mit Paul vor dem Ende ihrer Ehe getragen hatte? Ausgeschlossen, eigentlich sollte sie es dem Second-Hand-Shop überlassen, denn anziehen würde sie es sicher nicht mehr.

Dann vielleicht die Designer-Jeans mit den Löchern? Sie nahm die Hose aus dem Schrank und betrachtete sie. Nein, das gefiel ihr auch nicht, war irgendwie zu schrill. Oder die rot gestreifte Capri-Hose zu einer weißen Bluse? Dazu Ballerinas … oder doch Highheels? Meine Güte, du gehst in einen Biergarten, ermahnte sie sich. Da sind hohe Absätze völlig unangebracht.

Sie probierte die Hose an. Sie saß gut, vielleicht sogar eine Spur zu locker, weil sie in den letzten Wochen etwas abgenommen hatte. Jetzt ging sie ihre Blusen durch und wählte schließlich die mit dem Blümchenmuster. Aber Blümchen und Streifen? Das ging schon gar nicht.

Auf diese Weise war sie so beschäftigt, dass sie kaum merkte, wie die Zeit verstrich. Beim nächsten Blick auf die Uhr erschrak sie. Wenn sie Matteo nicht allzu lange warten lassen wollte, musste sie jetzt los. Dabei hatte sie sich noch gar nicht um ihr Make-up gekümmert. Im Bad puderte sie sich die Nase, tuschte die Wimpern, damit sie etwas länger wirkten, und trug einen zartroten Lippenstift auf. Das musste genügen. Vielleicht noch die modischen Ohrhänger? Sie legte sie an und fand, dass sie ihr zusammen mit der neuen Frisur gut standen. Mehr Schmuck war nicht nötig.

Da sie fürchtete, mit der Bahn zu lange unterwegs zu sein, bestellte sie ein Taxi. Von der Küche aus beobachtete sie die Straße, um den Wagen rechtzeitig zu sehen.

„Holt er dich ab?“, fragte Katrin neugierig, die in der Diele stand.

„Ich warte auf das Taxi“, erklärte Cora.

„Ach, wirklich? Du leistest dir solche Ausgaben? Aber meine Einkaufsliste streichst du zusammen.“

„Wer das Geld verdient, bestimmt, wofür es ausgegeben wird.“

„Solche forschen Sprüche solltest du dir sparen. Immerhin leiste ich hier im Haus die Arbeit einer Putzfrau, einer Köchin und einer Erzieherin.“

„Schon gut, Mama, weiß ich doch. Hab nur Spaß gemacht.“

Der Wagen kam. Endlich. Erleichtert schnappte sich Cora ihre Schultertasche, drückte Mama noch einen Kuss auf die Wange und eilte hinaus.

Katrin kehrte auf die Terrasse zurück. Sie genoss das Alleinsein. Und jetzt, da auch Cora wieder weg war, gönnte sie sich ein gut gefülltes Hasch-Pfeifchen und stellte die Musik wieder lauter. So ließ sich das Leben ganz gut aushalten.

***

Judith litt selbst unter ihrer Ungeduld. Eigentlich sollte sie doch die schönen Tage in den Tiroler Bergen mit Paul und Töchterchen Anna genießen. Stattdessen konnte sie kaum den Zeitpunkt erwarten, an dem sie endlich erfuhr, ob der erste Befruchtungsversuch schon erfolgreich gewesen war. Wenn heute oder morgen keine Monatsblutung eintrat, konnte sie schon einen Schwangerschaftstest machen. Dr. Holl hatte ihr gesagt, dass ein Testergebnis ab dem zweiten Tag nach dem Ausbleiben der Periode als gesichert gelten konnte.

„He, was ist los mit dir?“, fragte Paul. Er beobachtete sie schon die ganze Zeit. Wieder einmal war sie mit ihren Gedanken ganz woanders. Er konnte sich schon denken, was sie so bewegte.

Sie saßen auf der Terrasse ihres Hotelzimmers. Paul genehmigte sich ein Bier, während Judith auf jegliche Form von Alkohol verzichtete. Sie trank eine Bionade und aß Weintrauben. Die Tür zur dahinterliegenden Suite stand offen, damit sie hören konnten, wenn Anna aufwachte. Das Kind machte gerade seinen Mittagsschlaf.

„Wenn es diesmal nicht klappt, dann beim nächsten Mal“, versuchte Paul sie zu trösten. „Mach dich nicht verrückt. Du musst keinem Leistungsanspruch gerecht werden. Was kommt, das kommt, und was nicht, eben nicht.“

Sie fand es lieb und anteilnehmend von ihm, dass er sie auf diese Weise trösten wollte. Und sicher hatte er auch recht, dass es nicht gut war, so übertrieben an das zu denken, was in ihrem Körper vor sich ging. Sie hatte so oder so keinen Einfluss auf das Geschehen. Also konnte sie genauso gut die unbeschwerten Tage bei diesem wundervollen Wetter genießen.

„Anna fühlt sich wohl bei uns“, wechselte Paul bewusst das Thema. „Ich glaube, sie vermisst ihre Mutter überhaupt nicht. Jedenfalls fragt sie nicht nach ihrer Mama. Sie ist ein wunderbares kleines Mädchen. Na ja, kein Wunder bei dem Papa!“

Endlich konnte Judith befreit lachen.

„Und wenn es jetzt eine widerspenstige Nervensäge wäre? Wärst du dann auch so stolz auf sie?“

Paul antwortete nicht, sondern nahm ein paar tiefe Züge direkt aus der Flasche. Wie damals, als er noch Student war und die meisten Nächte des Semesters in den angesagtesten Clubs der Stadt verbrachte. Zu jener Zeit zog man noch gewisse Grenzen zwischen sich und den Etablierten. Heute gehörte er selbst zu dieser Gruppe, aber im Urlaub genoss er es, alle fünf mal gerade sein zu lassen.

„Meine Tochter hat schon eine sehr starke Bindung an dich. Ich glaube, wir sind mehr ihre Familie als Cora und Katrin.“

Judith dachte eine Weile über Pauls Worte nach. Sie wusste natürlich, was er damit andeuten wollte, aber sie hielt seine Vorstellung nicht für realistisch.

„Trotz allem, Cora ist eine gute Mutter. Anna hängt an ihr.“

„Aber sie ist den ganzen Tag außer Haus. Manchmal sogar am Wochenende, wenn sie Bereitschaftsdienst hat. Und dann wird Anna von meiner verrückten Ex-Schwiegermutter betreut. Das ist für mich nicht akzeptabel. Ich habe meiner Ex ja sogar Geld angeboten, damit sie zu Hause bleiben und sich mehr um Anna kümmern kann. Aber das wollte sie nicht. Wenn sie zu lange im Beruf pausiert, käme sie angeblich schlecht wieder rein, sagte sie.“ Er seufzte unzufrieden. „Sie will immer alles allein bewerkstelligen. Das funktioniert halt nicht. Sie hat sich zu viel aufgeladen, und Hilfe will sie keine annehmen.“