Die besten Ärzte - Sammelband 22 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 22 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1787: Es war ihr erster Nachtdienst
Notärztin Andrea Bergen 1266: Komm zu mir zurück!
Dr. Stefan Frank 2220: Ab heute gehört uns die Welt!
Dr. Karsten Fabian 163: Der Mann, der unsere Ehe bedroht
Der Notarzt 269: Schlaf dich gesund, Amelie

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 604

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © phovoir/Shutterstock ISBN 978-3-7517-0800-5 ww.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ina Ritter, Alexa Reichel

Die besten Ärzte 22 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1787Als Therese Buchmann eines Nachts als Notfall in die Berling-Klinik eingeliefert wird, ist es eine Sekunden-Entscheidung, die die junge Ärztin Dr. Paulina Mehring treffen muss, um das Leben der älteren Dame zu retten. Alles deutet darauf hin, dass Frau Buchmann an einer Meningitis-Infektion leidet - und so verabreicht Paulina ein hochdosiertes Antibiotikum. In der Aufregung versäumt sie eine vorherige Liquor-Entnahme - ein fataler Anfänger-Fehler! Die Patientin fällt ins Koma und ringt mit dem Tod! Walter Buchmann, der Mann der Kranken, ist in seiner Verzweiflung fest entschlossen, gegen Paulina Mehring gerichtlich vorzugehen! Und in der Angst um seine Frau will er bald nur noch eins: Paulinas Karriere und ihr Lebensglück zerstören! In dieser schweren Zeit hält nur noch einer zu Paulina: Chefarzt Dr. Holl. Doch ob er sie vor dem Schlimmsten bewahren kann, scheint fraglich zu sein ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1266Seufzend stapft Helen neben ihrem Liebsten durch den tief verschneiten Wald. Wenn der Spaziergang doch nur schon zu Ende wäre! Aber die Freude, mit der Max ihr jeden Baum und jeden Strauch erklärt, ist auch rührend und irgendwie bezaubernd! Hals über Kopf hat Helen sich in den Landschaftsökologen Max Hollweg verliebt, als sie auf spiegelglatten Stufen ausgerutscht und geradewegs in seinen Armen gelandet ist. Und doch kommen ihr nun mehr und mehr Zweifel, ob sie, ein Stadtmensch durch und durch, mit diesem Naturburschen glücklich werden kann. Werden ihre Gefühle stark genug sein, die Kluft, die zwischen ihnen liegt, zu überwinden? Als Max sie nun zärtlich an sich zieht und stürmisch küsst, da weiß Helen plötzlich die Antwort: Ja, sie will es wagen und sich ganz auf Max einlassen! Zu diesem Zeitpunkt ahnt Helen noch nicht, dass ihre Liebe schon bald einer schweren Prüfung unterzogen werden wird. Und da muss Helen fürchten, das Liebste, was sie auf Erden hat, zu verlieren ...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2220Dr. Frank und zwei junge Patienten auf der Suche nach dem Glück Direkt an seinem achtzehnten Geburtstag hat Ben Reuttenthal sein Elternhaus verlassen, weil es dort nicht auszuhalten war. Zu seiner Familie hat er keinen Kontakt mehr, lediglich seine kleine Schwester Lea trifft er hin und wieder heimlich. Als sie ihm eines Tages schreibt, er soll sofort nach Hause kommen, ahnt er deshalb, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Und in der Tat: Sein Bruder Alexander hat sich betrunken hinters Steuer gesetzt und einen Autounfall verursacht, der eine junge Frau namens Nina beinah das Leben gekostet hätte! Alexander bereut nichts, doch Ben schämt sich - wieder einmal - für seine Familie. Also macht er sich auf den Weg ins Krankenhaus, um Nina zu besuchen. Was er nicht ahnt: Diese Begegnung wird sein gesamtes Leben verändern...Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 163Anna Dressler hat ein schönes Leben: einen Beruf, der sie ausfüllt, einen Mann, der sie bewundert und liebt, ein gemütliches Zuhause, und irgendwann möchten die beiden auch Kinder haben. Aber seit Neuestem hat Anna einen ganz hartnäckigen Verehrer, einen sehr reichen Amerikaner, der ihr den Himmel auf Erden verspricht, wenn sie sich scheiden lässt und mit ihm die Welt bereist. Und plötzlich hat es tatsächlich den Anschein, als wolle Anna dem Werben dieses Mannes nachgeben ...Jetzt lesen
Alexa ReichelDer Notarzt - Folge 269"Mädchen, sechs Jahre alt, Schussverletzung." Bei Dr. Peter Kersten schrillen innerlich alle Alarmglocken, als der Notruf bei ihm eingeht. Er hat in seinem Beruf oft mit sehr schweren Fällen zu tun, und als Notarzt wirft ihn so schnell nichts um. Aber Kinder sind seine Schwachstelle, und was der kleinen Amelie zugestoßen ist, lässt auch den erfahrenen Arzt alles andere als kalt. Dem Mädchen steckt ein Pfeil im Hinterkopf, als es in die Notaufnahme der Sauerbruch-Klinik eingeliefert wird. Gemeinsam mit einer kompetenten Neurochirurgin kämpft Peter Kersten in einer stundenlangen, dramatischen Operation um das Leben des Kindes. Am Ende weiß niemand, wie es mit Amelie weitergehen wird. Wird sie jemals wieder aufwachen? Ist ihr Gehirn durch die Schusswunde so beeinträchtigt, dass sich ihr Leben für immer verändern wird? Dies sind zunächst die drängendsten Fragen, doch noch andere Unklarheiten beschäftigen den Notarzt: Wie konnte es überhaupt zu dem Unfall kommen? Die Eltern des Mädchens sind sich sicher, dass der Sohn der verhassten Nachbarn absichtlich auf ihre Tochter geschossen hat. Der Junge hat die Tat ja sogar gestanden! Doch Dr. Kersten zweifelt an dieser Theorie. Wird es ihm gelingen, nicht nur die Schwerverletzte zu retten, sondern auch die Wahrheit ans Licht zu bringen?Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Es war ihr erster Nachtdienst

Vorschau

Es war ihr erster Nachtdienst

Wird Dr. Holl seiner Kollegin helfen können?

Von Katrin Kastell

Als Therese Buchmann eines Nachts als Notfall in die Berling-Klinik eingeliefert wird, ist es eine Sekunden-Entscheidung, die die junge Ärztin Dr. Paulina Mehring treffen muss, um das Leben der älteren Dame zu retten. Alles deutet darauf hin, dass Frau Buchmann an einer Meningitis-Infektion leidet – und so verabreicht Paulina ein hochdosiertes Antibiotikum. In der Aufregung versäumt sie eine vorherige Liquor-Entnahme – ein fataler Anfänger-Fehler! Die Patientin fällt ins Koma und ringt mit dem Tod!

Walter Buchmann, der Mann der Kranken, ist in seiner Verzweiflung fest entschlossen, gegen Paulina Mehring gerichtlich vorzugehen! Und in der Angst um seine Frau will er bald nur noch eins: Paulinas Karriere und ihr Lebensglück zerstören!

In dieser schweren Zeit hält nur noch einer zu Paulina: Chefarzt Dr. Holl. Doch ob er sie vor dem Schlimmsten bewahren kann, scheint fraglich zu sein …

Auch wenn es in der Notaufnahme ruhig blieb, kam bei Paulina Mehring kein Gefühl der Erleichterung auf. Im Gegenteil, die Anspannung stieg. Beklommen fragte sie sich, ob sie den Anforderungen im ärztlichen Nachtdienst überhaupt gewachsen war.

Es konnte so viel passieren. Lange Stunden lagen noch vor ihr. Und naturgemäß befanden sich zu dieser Zeit nur wenige Kollegen auf den Stationen, die sie im Bedarfsfall fragen konnte.

Nach einer Weile des Nachdenkens tröstete sie sich damit, dass alle, die hier in der Berling-Klinik arbeiteten, einmal ganz klein und unerfahren angefangen hatten – genau wie sie heute.

Nach drei ärztlichen Prüfungen – die letzte hatte nach dem praktischen Jahr stattgefunden – war sie überglücklich gewesen, als man ihr die Approbation erteilt hatte. Schon während des Studiums hatte sie ihre Doktorarbeit begonnen, nach Studienende auch noch die entsprechende Prüfung dafür abgelegt – und in all den Jahren weitgehend auf ein Privatleben verzichtet.

Studium, praktisches Jahr, Doktorarbeit – all das hatte sie in den vorgesehenen Zeiträumen absolviert. Nun war sie ausgebildete Ärztin und verspürte dennoch in dieser Sommernacht keine Genugtuung. Etwas Wesentliches fehlte ihr noch, nämlich viel, viel Praxis und Berufserfahrung für die vor ihr liegende Nacht.

Leichter Regen schlug gegen die Fensterscheiben, aber mehr als ein paar Schauer sollten es nicht werden. Der Sommer ließe sich davon nicht beeindrucken, behaupteten jedenfalls die Meteorologen. Schon morgen Mittag würde es mit dem sonnigen Wetter weitergehen. Paulina wünschte sich, es wäre schon Morgen und die Abteilungen füllten sich wieder mit der Tagesschicht.

Sie dachte an Dr. Holls kluge Worte, die er ihr bei ihrem Eintritt in die Klinik ans Herz gelegt hatte: „Ein Arzt muss sich in die Befindlichkeiten seiner Patienten einfühlen können. Das ist ein wesentliches Element der ärztlichen Kunst.“

Darüber hatte Paulina viel nachgedacht, und sie hoffte, dass sie bald durch den Umgang mit den Kranken zu dieser Qualifikation gelangen würde. Aber sie litt auch unter Selbstzweifeln, gegen die sie in Nächten wie dieser energisch ankämpften musste.

Alles blieb ruhig. Sie schaute auf die Uhr. Mitternacht war schon vorbei, aber der heraufkommende Tag traute sich noch nicht aus seinem Versteck. Ihr Magen knurrte leise. Sie griff nach der Bäckertüte mit den Donuts, die nicht mehr ganz frisch waren. Doch sie legte sie wieder weg und beschloss, sich erst am Automaten einen Kaffee zu holen.

Die Flügeltüren, die direkt in den Klinikbereich führten, öffneten sich automatisch.

„Hallo, Frau Doktor!“, rief der Kollege Keller und balancierte mit angestrengter Miene zwei Pappbecher herein. „Schnell, nehmen Sie einen, der ist für Sie! Oje, verflixt heiß!“

Paulina sprang auf und nahm ihm mit spitzen Fingern den Kaffee ab.

„Sehr aufmerksam“, meinte sie. „Danke. Ich wollte mir gerade einen holen.“

„Ich dachte mir, ihre Lebensgeister könnten so was gebrauchen.“ Er lächelte verschmitzt. Offensichtlich freute er sich über die gelungene Überraschung.

Im Gegensatz zu ihr war Dr. Jakob Keller, obwohl einige Jahre älter als sie, noch Arzt im praktischen Jahr. Vor dem Studium hatte er sich erst noch in der Welt umgeschaut, und von seinen Reiseabenteuern erzählte er noch heute jedem, der es hören wollte. Er schien es zu mögen, sich mit der Aura eines welterfahrenen Weitgereisten zu umgeben.

Manche hielten ihn deshalb für einen Aufschneider, aber Paulina mochte ihn trotzdem. Er konnte witzig und humorvoll sein. Und wenn ihr sein Reden zu lästig wurde, brach sie ihrerseits das Gespräch ab, was er ihr nicht übelnahm.

Der Kaffee schmeckte bitter, doch Hauptsache, er hielt die Müdigkeit fern.

„Hier bitte, bedienen Sie sich!“ Bereitwillig überließ sie ihm einen der Donuts.

„Hm, lecker“, schwärmte er nach dem ersten Bissen.

„Wieso sind sie eigentlich nicht auf der Station?“, fragte Paulina.

„Dort ist alles ruhig. Ich dachte, ich vertrete mir mal ein bisschen die Beine und bringe Ihnen was zu trinken. Schwester Marion weiß Bescheid. Sie piepst mich an, wenn was ist.“

Im Stillen bewunderte sie seine Lässigkeit. Auch wenn die Innere Abteilung gleich hinter der Notaufnahme begann – sie hätte nicht den Mut, sich auch nur einen Schritt von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen. Vielleicht sollte sie die Dinge in Zukunft etwas lockerer sehen.

Wenn sie erst einmal ihren ersten Nachtdienst hinter sich gebracht hatte, würde sie nach und nach aufhören, an sich selbst zu zweifeln. Das hoffte sie jedenfalls.

Der Kaffee war schon deutlich abgekühlt, als sie den letzten Schluck trank. Das Gebäck war auch verspeist. Sie fühlte sich schon etwas besser.

„Da wir so nett zusammensitzen, möchte ich Sie etwas fragen, liebe Kollegin.“

Paulina zerknüllte geräuschvoll die Bäckertüte und warf sie mitsamt dem Becher in den Abfall. Dann schaute sie ihn fragend an.

„Wollen wir uns nicht duzen?“, fuhr Dr. Keller fort. „Wir sind ja beide neu hier. Darum sollten wir zusammenhalten.“

„Warum nicht? Ich heiße Paulina.“

„Weiß ich schon.“ Er zwinkerte bedeutungsvoll zu. „Ich bin der Jakob.“

Die junge Ärztin fand, dass ihr Kollege jetzt, da die kleine Kaffeepause beendet war, auf die Station zurückkehren sollte. Aber darauf musste er schon selbst kommen. Sie war ja nicht seine Aufpasserin.

„Vielleicht können wir mal zusammen essen gehen?“, schlug er betont arglos vor. „Gerade, weil wir hier unser Bestes geben, muss uns doch auch mal hin und wieder ein Vergnügen vergönnt sein. Ist jedenfalls meine Meinung.“

„Ich esse meistens zu Hause“, sagte Paulina.

„Und wenn ich dich einlade?“

Während sie noch eine Antwort überlegte, die zwar nicht zustimmend, aber doch halbwegs freundlich klingen sollte, wurde es vor dem Eingang der Notaufnahme unruhig. Augenblicke später stand ein Sanitäter im Raum.

„Wir haben eine Frau, Therese Buchmann, fünfundsechzig Jahre alt“, berichtete er. „Die Symptome sind Übelkeit, Fieber, Bewusstseinstrübung.“

Die Frau wurde auf der fahrbaren Trage hereingeschoben. Paulina beugte sich über die Patientin, doch sie war nicht ansprechbar. Ihr Kopf rollte hin und her, gelegentlich stöhnte sie. „Frau Buchmann, wo haben Sie Schmerzen?“

Jetzt stürmte ein Mann herein.

„Meine Frau!“, rief er. „Bitte tun Sie was! Sie ist plötzlich ohnmächtig geworden.“

„Bleiben Sie bitte ruhig!“, bat Paulina. „Schildern Sie mir, was geschehen ist! Jedes Detail ist wichtig.“

„Wir lagen schon im Bett, als sie sich plötzlich unruhig hin- und herwarf. Sie bewegte sich wie in einem Krampfanfall und war nicht mehr ansprechbar. Dann wurde sie bewusstlos. Ich habe sofort den Notarzt gerufen. Könnte es ein Herzinfarkt sein? So helfen Sie ihr doch!“

Paulina horchte die Brust ab, maß den Blutdruck, der niedrig war. Die Patientin schlug die Augen auf und murmelte ein Wort, das sich wie „Kopfschmerzen“ anhörte.

„Jede Kopfbewegung tut ihr weh“, fügte der Mann hinzu. „Sie kann den Kopf nicht mehr richtig beugen.“

Nackensteifigkeit? Wenn dazu noch Fieber und Kopfschmerzen auftraten, konnten das die Kardinalsymptome einer beginnenden Meningitis sein. Verdammt, sie wusste es nicht genau! Paulina versuchte, den Kopf der Patientin zu bewegen, brach dieses Unterfangen jedoch sofort ab, als sie sah, wie schmerzempfindlich die Frau darauf reagierte.

Für die vermutete Infektion kamen verschiedene Erreger in Betracht. Sowohl Viren als auch Bakterien und sogar Pilze oder Parasiten konnten die Krankheit ausgelöst haben. Womöglich handelte es sich um die sogenannte FSME, die Frühsommer-Meningoenzephalitis. In diesem Fall wären Zeckenbisse, die von vielen Menschen gar nicht bemerkt wurden, dafür verantwortlich.

Paulina erinnerte sich an Schätzungen, nach denen Dreiviertel solcher Infektionen ohne Beschwerden blieben. Diese Patientin jedoch hatte bereits neurologische Symptome entwickelt. Symptome, von denen sich ein Großteil der Betroffenen wieder vollständig erholte, aber einige litten über einen lange Zeitraum unter Lähmungserscheinungen. Sogar Schwerhörigkeit und depressive Verstimmungen konnten auftreten.

Was musste sie tun? Als Erstes kamen labordiagnostische Maßnahmen infrage, die vor allem auch zur Abgrenzung gegenüber anderen Infektionen mit ähnlichen Beschwerden dienten.

„Ist Ihre Frau gegen FSME geimpft?“, erkundigte sich Paulina.

„Gegen was?“ Der Mann starrte sie mit zusammengezogenen Brauen an.

„Frühsommersommer-Meningoenzephalitis“, sagte die junge Ärztin langsam. „Das ist eine Hirnhautentzündung, die sowohl in Deutschland als auch in Österreich und der Schweiz von einem Zeckenbiss verursacht werden kann. Wissen Sie, ob Ihre Frau von einer Zecke gebissen wurde?“

„Davon ist mir nichts bekannt“, lautete seine Antwort.

„Dann gab es wohl auch keine Impfung?“

„So tun Sie doch endlich was!“, fuhr er sie an. „Sie sehen doch, wie schlecht es ihr geht. Sie braucht Hilfe. Stattdessen fragen Sie mir Löcher in den Bauch.“

***

Dr. Stefan Holl stand an einem überdimensionalen Rednerpult und erklärte den versammelten Zuhörern die Auswirkungen von Zuckerkonsum auf das Schlafwandeln, doch irgendjemand störte seine Rede mit einem kräftigen Schnarren.

Zucker löst Somnambulismus aus? Was für ein Schwachsinn!, zuckte es noch durch seinen Kopf, bevor er hochfuhr. Der Traum verschwand abrupt.

Dafür gab sein Handy weiterhin die charakteristischen Töne von sich.

Er griff danach und schwang gleichzeitig die Beine aus dem Bett, während seine Frau neben ihm nur „fünf Uhr dreißig“ sagte. Dahinter stand ein nicht ausgesprochenes, aber vorwurfsvolles Ausrufezeichen.

„Was ist los?“, fragte Dr. Holl in das Gerät. Er war sofort hellwach.

„Hier Paulina Mehring. Dr. Holl, ich brauche dringend Ihren Rat. Heute Nacht ist eine Frau eingeliefert worden mit Symptomen, die auf eine FSME hindeuten. Soeben trifft vom Labor das Ergebnis ein. Es sind keine FSME-Antikörper im Blut vorhanden. Doch die Nackensteifigkeit hat sich noch verstärkt. Der Verdacht auf eine Meningitis bleibt. Ich habe ein Antibiotikum direkt in die Venen gespritzt. Was muss ich noch tun?“

Dr. Holl hielt die Luft an. Der Einsatz eines Antibiotikums hing immer davon ab, welche Bakterien die Hirnhautinfektion ausgelöst hatten. Die waren aber noch gar nicht bekannt.

„Warten Sie mit weiteren Maßnahmen, bis ich da bin!“, sagte er gepresst. „In zwanzig Minuten.“ Als er in der Berling-Klinik ankam, fand er seine junge Mitarbeiterin in heller Aufregung vor.

„Vor der Antibiotikagabe hätte eine Lumbalpunktion erfolgen müssen“, sagte sie mit besorgter Stimme. „Das weiß ich inzwischen. Dr. Wolfram hat mich darauf hingewiesen. Er war im Nachtdienst auf der Chirurgie. Ich hätte ihn gleich um Hilfe bitten sollen.“

„Beruhigen Sie sich!“ Der Klinikchef untersuchte die Frau und ließ sich noch einmal genau schildern, in welchem Zustand sie eingeliefert worden war. Der Blutdruck war zu tief, das bedeutete erweiterte Gefäße. Währenddessen schlug das Herz schneller, um den Blutdruck weiter aufrechtzuerhalten.

Dr. Holl fiel sofort der punktförmige Hautausschlag auf. Seine Alarmglocken begannen zu schrillen.

„Wir müssen die Beschwerden lindern“, ordnete er an und schrieb die nötigen Medikamente auf. „Besorgen Sie das zur Fiebersenkung und Schmerzstillung.“

Paulina war froh, dass sie jetzt nur noch die Anordnungen des Chefarztes auszuführen hatte. Sie beeilte sich mit der Besorgung. Und schon bald konnten die Arzneien über den zentralen Venenkatheter, den sie schon gelegt hatte, ebenfalls auf diesem Weg gegeben werden. Inzwischen hatten sich Schwester Marion und Pfleger Rudi eingefunden.

„Ist der Ehemann da?“, wollte Dr. Holl wissen.

„Er wartet draußen“, bestätigte Paulina.

„Holen Sie ihn herein, ich will ihn sprechen.“

Der Mann machte einen verzweifelten Eindruck. Stefan stellte sich vor und ließ sich schildern, wie sich die ersten Symptome bemerkbar gemacht hatten, die im Laufe weniger Stunden stärker geworden waren bis hin zu Krämpfen, Verwirrung und Bewusstseinsverlust.

„Dabei hatten wir uns am Abend noch so gut unterhalten“, sagte Walter Buchmann. Ständig wischte er sich mit einem Taschentuch über die Stirn. „Sie war ja erst kürzlich mit ehemaligen Schulfreundinnen in Marokko und hatte so viel zu erzählen …“

„Marokko?“, wiederholte Dr. Holl. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Die Frauen haben dort eine Rundreise gemacht und …“

„Gegen was war Ihre Frau geimpft?“

Der Mann schüttelte ratlos den Kopf. „Keine Ahnung.“

„Moment, ich muss telefonieren“, sagte Dr. Holl, schnappte sich sein Telefon und zog sich in den Raum zurück.

Mit gedämpfter Stimme sprach er mit einem Kollegen vom Tropen-Institut und informierte sich über das Vorkommen gewisser Krankheitserreger.

Wenig später hatte er Gewissheit, dass in einigen nordafrikanischen Gebieten Meningokokken der Gruppen A, B und C vorkamen. Gefährliche Bakterien, die zunächst den Nasen-Rachen-Raum besiedelten. Manche Menschen erkrankten nicht daran. In schlimmen Fällen aber konnten sie eine schwere Meningitis auslösen, die dann durch Herz-Kreislauf-Versagen innerhalb weniger Stunden zum Tode führte.

„Um Gewissheit zu bekommen, müssen wir eine Lumbalpunktion durchführen“, klärte Dr. Holl dem Ehemann auf und gab Pfleger Rudi den Auftrag, sofort alles für diesen Eingriff vorzubereiten.

Es war keine Zeit zu verlieren.

***

Paulina schickte unzählige Stoßgebete zum Himmel, dass die Patientin überlebte. Auf Dr. Holls Anweisung entnahm sie erneut Venenblut zur Überprüfung der Blutgerinnung und der Blutplättchenzahl.

Um die Punktion zu erleichtern, wurde die Patientin seitlich gelagert und fixiert. Um die Wirbel auseinanderzudehnen, musste der Rücken weitgehend gekrümmt sein. Bis auf die Einstichstelle deckte Paulina den Körper mit einem sterilen Tuch ab, bevor sie den Bereich zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel desinfizierte.

Während Stefan Holl Handschuhe überzog, legte Schwester Marion ihm den Mundschutz an. Dann reichte sie ihm die Hohlnadel, die Dr. Holl in den Rückenmarkkanal einführte.

Das Rückenmark, von Gehirnflüssigkeit umspült, ließ sich auf diese Weise gut anzapfen. Um Schäden zu vermeiden, war es wichtig, die Nadel an einem tiefen Punkt des Kanals einzustechen. Zwischen den unteren Lendenwirbeln befand sich kein Rückenmark mehr, das verletzt werden konnte, sondern nur der Liquor. Und auf den kam es an.

Als Dr. Holl auf Widerstand stieß, hatte er sein Ziel erreicht. Nun zog er die innere Nadel heraus, und aus der verbleibenden Hohlnadel tropfte die so gewonnene Flüssigkeit. Sie war klar wie Wasser. Schwester Marion fing sie geschickt in einem Röhrchen auf.

„Sofort ins Labor!“, ordnete Dr. Holl an. „Und die Patientin muss für vierundzwanzig Stunden flach liegen. Bringen Sie sie auf die Intensivstation! Bei Komplikationen bekomme ich sofort Nachricht.“

Nachdem die Patientin weggebracht worden war, wurde sich Paulina ihrer Situation bewusst.

„Ich hätte vor der Lumbalpunktion keine Antibiotika geben dürfen, da sie das Ergebnis beeinflussen. Wird die Patientin überleben?“

„Das lässt sich noch nicht abschätzen, aber ich hoffe es“, erwiderte Dr. Holl. „Wieso waren Sie eigentlich allein in der Notaufnahme?“ Er ging zum Einsatzplan, der an der Wand hing. „Dr. Hansen hätte doch auch Dienst gehabt.“

„Er hat sich krankgemeldet“, erwiderte Paulina mit kläglicher Stimme. „Grippe.“

„Dann hätte jemand von der Bereitschaft einspringen müssen. Wieso haben Sie nicht Alarm geschlagen?“

„Ich dachte, ich schaffe es allein …“ Sie brach ab und lief hinaus. Der Stress der letzten Stunde war ihr so auf den Magen geschlagen, dass ihr übel wurde und sie erbrechen musste.

Als sie nach einer Weile zurückkam, bedachte Dr. Holl sie mit prüfenden Blicken, in denen auch Verständnis lag.

„Die Tagesschicht ist gleich da“, sagte er. „Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus! Wie lange geht Ihr Nachtdienst noch?“

„Bis Freitag.“

„Und? Wollen Sie sich beurlauben lassen – oder schaffen Sie das?“

Jetzt musste sie Farbe bekennen. Sie liebte ihren Beruf, in dem sie gerade erst Fuß fasste. Sie wollte sich ihren Idealismus nicht jetzt schon zerstören lassen, sondern mit vollem Einsatz den Menschen helfen.

Sie nickte erst zögernd, dann immer heftiger. „Natürlich mache ich weiter“, sagte sie. Niemals aufgeben!, hatte ihr Großvater ihr immer gesagt.

„Gut so“, erwiderte der Chefarzt und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

***

Als Manuel an diesem Sommermorgen erwachte, war irgendetwas anders im Haus. Er lauschte und hörte – nichts.

Sonst drangen um diese Zeit aus der Küche die Geräusche, die bei der Zubereitung des Frühstücks entstanden. Kaffeearoma zog durch die Türritzen in sein Zimmer. Und meistens erklang von fern ein Nachrichtensprecher, da sein Schwiegervater als erste Handlung nach dem Aufstehen das Radio einschaltete.

Heute schwieg das Haus. Verwundert schlug er die Bettdecke zurück und verließ das Schlafzimmer im Pyjama.

„Walter? Therese?“

Keine Antwort. Auf nackten Füßen tapste er ins Wohnzimmer. Dort standen benutzte Gläser auf dem Tisch, eine halb volle Wasserkaraffe, eine Fernsehzeitschrift lag aufgeblättert auf dem Fußboden, aber von den Schwiegereltern keine Spur. Das war ungewöhnlich. Bevor sie zu Bett gingen, machte Therese immer Ordnung und räumte alles an seinen Platz zurück.

Beunruhigt trug Manuel die Gläser in die Küche und warf einen Blick auf die Wanduhr. Dann ging er durch das ganze Haus. Niemand zu Hause.

Auch die gartenseitige Terrasse war bis auf die Nachbarskatze verwaist. Die Schwarzweiße hatte auf der gepolsterten Liege geschlafen. Bei seinem Auftauchen reckte und streckte sie sich ausgiebig, maunzte freundlich, als wollte sie sich für die bequeme Unterlage bedanken, und marschierte unternehmungslustig davon.

Obwohl ihm längst klar war, dass weder Walter noch Therese sich irgendwo hinter den Beerensträuchern versteckt hielten, rief er noch mal ihre Namen in den Garten hinein.

Schließlich eilte er ratlos ins Haus zurück, holte sein Telefon und gab Walters Handynummer ein. Doch zu seiner Überraschung hörte er das typische Klingeln aus dem Schlafzimmer der Schwiegereltern.

Hier stimmte etwas nicht. Wieso hatte Walter sein Telefon nicht mitgenommen? Waren die beiden etwa entführt worden? Doch bevor er solche Horrorszenarien zulassen konnte, schloss jemand die Haustür auf.

Walter kam mit kleinen Schritten auf ihn zu. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch stattdessen kamen die Tränen, und sein rundlicher Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt.

Manuel ging zu ihm und drückte ihn auf die Couch.

„Was ist denn passiert, um Himmels willen? So rede doch!“

Walter Buchmann brauchte lange, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er das Unsägliche aussprechen konnte.

„Therese … ein schwerer Anfall … ein Hirnschaden … man weiß nichts Genaues … vielleicht aus Marokko …“

Manuel nahm neben ihm Platz und legte einen Arm um seine Schultern. Nach und nach erfuhr er dann, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hatte. Therese war mit Besorgnis erregenden Symptome in die Berling-Klinik gebracht worden. Eine genaue Diagnose stand noch nicht fest.

„Du musst dich darum kümmern!“, verlangte Walter voller Panik von seinem Schwiegersohn. „Ich habe das Gefühl, da ist irgendwas schiefgelaufen. Es war nur eine junge Ärztin in der Notaufnahme. Die sah eher aus wie eine Studentin …“

„Nun beruhige dich erst mal, wir werden das schon herausfinden. Jetzt mache ich uns einen Kaffee. In der Zwischenzeit versuchst du, dich an alles zu erinnern, was die Ärzte gesagt haben.“

Walter verzog das Gesicht. „Der ganze Nacken tat ihr weh. Sie hat vor Schmerzen nur noch gestöhnt. Es war so furchtbar. Und ich stand dabei und konnte ihr nicht helfen.“

Damit er hörte, was sein Schwiegervater sagte, ließ Manuel die Tür zur Küche offen, füllte den Kaffeeautomaten und drückte auf Start. Währenddessen versuchte er, sich an das Programm des heutigen Tages zu erinnern. Aber für die Terminverwaltung war Claudia, seine Helferin, verantwortlich.

„Lass uns gleich in die Klinik fahren“, schlug Walter vor, als Manuel mit einem Tablett zurückkam.

„Aber du weißt doch, dass die Patienten auf mich warten“, erwiderte der Zahnarzt. „Wenn ich die Termine alle platzen lasse, gehen die Leute woanders hin.“ Das konnte er sich nicht leisten.

„Aber Therese braucht uns jetzt …“

„Hör zu, wir trinken jetzt unseren Kaffee, dann fahre ich los. Du gehst wieder in die Klinik. Mittags werde ich ebenfalls kommen. Dann erfahren wir sicher schon von den Ärzten, welche Therapie man durchführt.“

Walter nippte nachdenklich an seiner Tasse. Sein zusammengefallener Oberkörper richtete sich auf und bedachte seinen Schwiegersohn mit einem strengen Blick.

„Du bist uns zu Dank verpflichtet, vergiss das nicht! Wir haben viel Geld in deine Praxiseinrichtung gesteckt. Und nach Elisabeths Tod war es Therese, die dich wieder aufgerichtet hat.“

Schon wieder diese Leier! Manuel nahm einen tiefen Atemzug, bevor er sprach.

„Ich weiß, was ihr für mich getan habt. Und gerade darum möchte ich die Schulden ja so schnell wie möglich begleichen. Das geht aber nicht, wenn mir die Patienten weglaufen, weil ihr Zahnarzt die Termine nicht einhält.“

„Also gut.“ Walter seufzte resigniert. „Aber mittags erwarte ich dich. Bei dem Arztgespräch musst du unbedingt dabei sein.“

„Ich werd’s einrichten“, sagte Manuel, froh darüber, dass diesmal keine Auseinandersetzung stattfand. Vielleicht war Walter nur zu müde, um sich mit ihm zu streiten.

Aber die beiden hatten sich längst zur Gewohnheit gemacht, ihn immer wieder und immer öfter nicht nur an seine finanziellen, sondern auch an seine moralischen Verpflichtungen zu erinnern.

Manchmal verspürte er das große Bedürfnis, einen Rucksack mit persönlichen Dingen vollzustopfen und einfach ohne Ziel wegzugehen. Aber das waren natürlich kindische Vorstellungen, die eines dreiunddreißigjährigen Mannes einfach nicht würdig waren. Also verbot er sich selbst alle diesbezüglichen Gedanken.

„Und wann kommst du?“

„Ich weiß es noch nicht. So gegen eins.“

Anschießend verschwand Manuel im Bad, erledigte seine Toilette und fuhr später mit dem Fahrrad nach Schwabing, wo sich seine Praxis befand.

„Hallo und guten Morgen!“, empfing ihn Claudia, seine ebenso schöne wie tüchtige Helferin. „Ich hoffe, du hast viel Elan mitgebracht. Denn heute steht uns ein mörderischer Arbeitstag bevor. Im Wartezimmer sitzen schon sechs Leute – alle ohne Termin.“

Manuel gestattete sich einen tiefen Seufzer. „Dann wollen wir mal loslegen. Schick mir den ersten Patienten rein!“

***

Paulina legte sich gleich ins Bett, aber schlafen konnte sie nicht. Von nebenan drang leise Musik in ihr Zimmer. Normalerweise störte sie das nicht, aber nach dieser Nacht fand sie keine Ruhe. Keine Liegeposition erschien ihr richtig. Auch die Augenmaske half nichts. Nach einer guten Stunde setzte sie sich wieder auf und ging im kurzen Nachthemd in die Küche.

Alissa saß mit angezogenen Beinen auf einem Stuhl und tippte fleißig auf ihr Handy. Bei Paulinas Erscheinen blickte sie nur kurz auf. „Wieso schläfst du nicht?“

„Ich kann nicht.“

„He, was ist los? Stört dich die Musik? Dann drehe ich sie ab.“

„Das wird auch nichts nutzen. In der Klinik gab es einen Notfall. Mein erster Nachtdienst hatte es in sich, kann ich dir sagen.“

Paulina ging zum Kühlschrank und holte eine angebrochene Tüte Milch heraus.

„So schlimm?“

Die junge Ärztin goss ein Glas halb voll, setzte sich zu Alissa und erzählte ein wenig von dem, was sich vergangene Nacht ereignet hatte. Die beiden Frauen teilten sich eine Wohnung im Stadtteil Haidhausen. Für eine allein wäre sie zu teuer gewesen. Aber so kamen sie gut über die Runden.

Allerdings wünschte sich Paulina im Stillen, dass Alissa ein klein wenig ordentlicher wäre. Auch jetzt zog wieder ein unangenehmer Geruch in ihre Nase. In einer Ecke der Küche stapelten sich noch die Pizza-Kartons von letzter Woche.

Und auch dem Mülleimer, dessen Deckel nicht mehr ganz zuging, entströmte ein wenig angenehmes Aroma, das an Zersetzung und Fäulnis erinnerte.

„Meine Güte, wann bringst du endlich das Zeug in die Tonne?“, erkundigte sich Paulina, die sich selbst nicht erklären konnte, woher plötzlich ihre Aggression kam. Und schon tat ihr der kleine Ausbruch leid. „Entschuldige, aber ich …“

„Schon gut, ich habe verstanden.“ Alissa legte ihr Handy weg, stand auf, griff nach den leeren Kartons und hob den Müllbeutel aus dem Eimer.

Paulina spürte Tränen in ihren Augen. „So war das nicht gemeint. Alissa, sei nicht böse!“

Die junge Frau mit dem herzförmigen Gesicht zwinkerte ihrer Mitbewohnerin zu. „Ich hätte das schon lange erledigen sollen. Aber immer kam irgendwas dazwischen.“

Da Alissa nun beide Hände voll hatte, stand Paulina auf und öffnete ihr die Tür.

Allein in der Wohnung, schämte sie sich. Warum ließ sie ihren Frust ausgerechnet an der Freundin aus? Eine bessere Mitbewohnerin konnte sie sich gar nicht wünschen. Alissa war gutmütig, immer zu einem Scherz aufgelegt und jederzeit zu einem Kompromiss bereit.

Als die Freundin zurückkam, nahm Paulina sie kurz in den Arm. „Es war nicht so gemeint“, sagte sie leise. „Entschuldige. Die Nacht war ein Albtraum.“

„Mach dir deswegen keinen Kopf! Aber natürlich solltest du dich fragen, ob so ein aufreibender Nachtdienst das Richtige für dich ist. Kannst du den nicht ablehnen?“

„Natürlich nicht. Der Nachtdienst wird reihum absolviert. Und wenn nichts Schlimmes passiert, könnte er ja auch ganz geruhsam sein.“ Paulina griff nach einem trockenen Stück Brot, das auf einem Teller lag, und knabberte daran.

Eigentlich wollte sie die Einstellung zu ihrem Beruf noch etwas näher erläutern, doch irgendwo in ihrem Zimmer klingelte ihr Handy.

„Hast du schon geschlafen?“, erkundigte sich Jakob.

„Es klappt nicht.“

„Bei mir auch nicht. Darum schlage ich vor, wir machen einen Spaziergang. Treffpunkt Englischer Garten, am Eisbach.“

„Hm.“

„Anschließend lade ich dich zu einem Eisbecher ein. Na, wie klingt das?“

Paulina zögerte immer noch. Der Kollege schien es ja ziemlich eilig zu haben, das lockere Band zwischen ihnen fester zu knüpfen.

„Einverstanden, aber erst am Nachmittag. So gegen drei? Bis dahin kann ich vielleicht doch noch ein paar Stunden schlafen.“

„Ich wünsche dir süße Träume“, sagte er in einem Ton, der ihr anzüglich vorkam, doch sie wies ihn nicht zurecht. Irgendwie fand sie seine Annäherungsversuche ja auch ganz sympathisch.

„Ein Verehrer?“ Alissa gab sich erst gar keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen.

„Nur ein Kollege. Wie ich ist auch er neu an der Klinik. Ich lege mich jetzt noch mal hin. Vielleicht klappt’s ja doch noch mit ein paar Stunden Schlaf.“

„Ich werde ganz still sein“, versprach Alissa und schaltete das Radio aus. „Und mittags treffe ich mich mit meiner Mutter, da hast du die Wohnung für dich allein.“

***

„Bitte nehmen Sie Platz“, sagte Dr. Holl zu den beiden Männern. Einer von ihnen war Walter Buchmann.

„Das ist Herr Ulmer, mein Schwiegersohn“, stellte der Ehemann der Patientin seinen Begleiter vor. „Wie steht es um meine Frau?“

„Wir geben Ihrer Frau verschiedene hochdosierte Antibiotika. Außerdem gleichen wir den Wasser- und Elektrolythaushalt aus. Aber es wird einige Zeit dauern, bis sie sich von dieser Infektion erholt. Die Laborergebnisse liegen noch nicht vor. Ich erwarte sie stündlich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben wir es mit einer Hirnhautentzündung zu tun. Ein typisches Zeichen dafür ist die Nackensteifigkeit. Diese bewirkt dann das, was wir ‚Kissenbohren‘ nennen. Es kommt zu einem überstreckten Hohlkreuz, und der Kopf drückt sich fest in das Kissen.“

„Wird meine Schwiegermutter wieder gesund?“, schaltete sich Manuel ein.

Stefan schaute von einem zum anderen. „Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Fest steht, dass die Erkrankung schwer ist. Wenn zu den jetzigen Symptomen noch eine Sepsis dazu kommt, kann es zu lebensgefährlichen Zuständen kommen. Auch Spätfolgen sind nicht ausgeschlossen. Sobald ich den Nachweis habe, dass es sich um Meningokokken handelt, verabreichen wir Cephalosporin, ein hochwirksames Medikament, das gleichzeitig auch weitere bakterielle Meningitiserreger erfasst.

Ganz wichtig ist aber jetzt, dass auch Sie als Familienangehörige sich mit Antibiotika behandeln lassen. Denn Meningokokken können durch Tröpfcheninfektion übertragen werden.“

Die beiden Männer warfen sich einen entsetzten Blick zu.

„Ist das wirklich nötig?“, fragte Manuel. „Ein Antibiotikum nimmt man ja nicht einfach so zur Vorbeugung.“

„In diesem Fall schon. Bitte, befolgen Sie meinen Rat. Es ist nur zu Ihrem Besten. Anderenfalls gefährden Sie möglicherweise auch Ihre eigene Gesundheit. Ich gebe Ihnen die Rezepte gleich mit. Eine Hirnhautentzündung ist immer eine gefährliche Krankheit. Allerdings erkranken nicht alle an den Bakterien. Viele tragen sie im Nasen-Rachenraum, ohne krank zu werden. Da man das aber vorher nicht weiß, ist eine Antibiotika-Therapie unumgänglich.“

Manuel nahm die Rezepte sichtlich widerwillig entgegen.

„Also gut, dann befolgen wir Ihren Rat.“

„Was meinten Sie vorhin eigentlich mit Spätfolgen?“, wollte Walter wissen, als er die Türklinke schon in der Hand hielt.

„Die Hirnhautentzündung kann zu Hörverlust und Lähmungen führen. Auch verschiedene Krampfleiden sind möglich.“

„Und Sie sind sich ganz sicher, dass meine Frau von Anfang an richtig behandelt wurde?“

„Selbstverständlich haben wir alles Notwendige in die Wege geleitet“, erwiderte Dr. Holl. „Aber vergessen Sie bitte nicht, dass die Spurensuche manchmal sehr aufwendig und kompliziert ist.“

„Diese junge Ärztin war ganz allein in der Notaufnahme.“ Manuel Ulmer sprach mit einem provozierenden Unterton. „Und sie schien nicht sehr erfahren zu sein, sagte mein Schwiegervater. Ist es bei Ihnen üblich, die Notaufnahme mit einer Anfängerin zu besetzen?“

„Frau Dr. Mehring ist ausgebildete Ärztin“, verteidigte Dr. Holl seine Mitarbeiterin. Aber angesichts der finsteren Miene des Schwiegersohnes ahnte er schon, dass wegen dieser Angelegenheit noch Unangenehmes auf die Klinik zukommen könnte.

***

„Du siehst toll aus“, stellte Jakob Keller fest und betrachtete Paulina wie einen Leckerbissen. „Vom aufreibenden Nachtdienst hast du dich schnell erholt, jedenfalls sieht man dir nichts mehr an.“

Paulina verzog das Gesicht. „Trotzdem, die letzte Nacht steckt mir immer noch in den Knochen“, erwiderte sie. „Aber mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen. Bleibt mir ja auch nichts anderes übrig, wenn ich eine gute Ärztin werden will.“

An diesem Sommertag trug sie einen leichten Rock, der locker um ihre Beine fiel, und ein ärmelloses Oberteil. Die blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und schwangen bei jedem Schritt hin und her. Das tiefe Blau der Augen wurde von einer überdimensionalen Sonnenbrille verdeckt.

Obwohl Paulina ziemlich groß war, wurde sie von Jakob noch um einen Kopf überragt. Ohne es zu wissen, gaben sie ein höchst ansehnliches Paar ab.

Jakob war mehrmals versucht, ihre Hand zu nehmen, doch immer wieder versagte er sich diese Geste. Um sie nicht zu verschrecken, wollte er die Dinge langsam angehen lassen.

„Erzähl mir was von dir!“, bat er. „Bist du schon viel rumgekommen?“

„Überhaupt nicht. Nach der Schule habe ich gleich einen Studienplatz bekommen.“

„Hast du Geschwister?“

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Nein. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zwölf war. Mein Vater ist schon gestorben. Er war wesentlich älter als meine Mutter. Sie lebt mit ihrem neuen Mann in Wien. Manchmal besuche ich sie, doch die Stimmung ist dann nie besonders gut. Vielleicht liegt es an mir, keine Ahnung.“

„Wie kommst du darauf?“

„Sie ist sehr eifersüchtig. Im Gegensatz zu meinem Vater ist ihr jetziger Mann fünfzehn Jahre jünger als sie. Darum steht er ständig unter Aufsicht. Vielleicht sieht sie auch in mir eine Rivalin.“

„Ja, Eltern sind komplizierte Wesen“, pflichtete Jakob seiner schönen Kollegin bei. Wie zufällig berührten sich ihre Unterarme, was bei ihm sofort ein Feuer entfachte. „Meine Eltern wohnen in Nürnberg. Sie haben genug Geld, um mich immer noch zu unterstützen. Mit meinem Verdienst im praktischen Jahr komme ich kaum über die Runden.“

„Dann habt ihr also ein gutes Verhältnis“, meinte Paulina.

„Eigentlich nicht. Ich bin froh, wenn ich sie nicht sehen muss. Wenn die monatliche Überweisung pünktlich eintrifft, bin ich zufrieden. Und ich glaube, sie haben auch keine große Sehnsucht nach mir.“

„Aber das ist doch traurig, oder?“

Jakob zog die Schultern hoch. „Ich habe mich an die Situation gewöhnt. Meine Mutter ist eine kühle Frau, die nie viele Emotionen zeigte. Und Papa ist ein Weichei. Er tut alles, was sie von ihm verlangt.“

Ein paar Schritte gingen sie schweigend nebeneinander her. Paulina wusste nicht so recht, ob sie zu seinen Worten Mitleid äußern sollte. Aber dieser Mann strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Ihm kam es sicher nicht auf ihr Mitleid an. Also versagte sie sich einen Kommentar.

„Hast du einen Freund?“, fragte er unvermittelt.

„Nein. Um ganz ehrlich zu sein, mein Privatleben lag bisher ziemlich brach. Das Studium hat mich aufgefressen.“

Und sie berichtete, wie wichtig es für sie gewesen war, so bald wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen.

„Mein Vater hat mir Geld vererbt, das ich aber erst zu Beginn meines Studiums angreifen durfte. Das war sehr vorausschauend von ihm. So konnte ich problemlos studieren und musste nicht nebenbei noch für meinen Unterhalt arbeiten. So wie meine Freundin Alissa. Sie jobbt in einer Bar. Meiner Meinung nach kommt das Studium dabei zu kurz.“

Jakob lächelte zufrieden. Für ihn war nur wichtig, dass es keinen Mann in Paulinas Leben gab. Er musste sie also nicht erst einem anderen ausspannen, sondern konnte sich ganz darauf konzentrieren, sie für sich zu gewinnen. Und er hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ihm dieser Erfolg beschieden war, wenn er strategisch klug vorging. Zumal sie sich nicht leicht erobern ließ, wie er aus ihrem Verhalten schloss.

Nach dem Eisbach spazierten sie eine Weile am Schwabinger Bach entlang, und schlugen dann den Querweg zum Chinesischen Turm ein. Eine angenehme Brise spielte mit Paulinas Haaren und zog immer wieder mal eine Strähne aus dem Zopf heraus, was Jakob ganz entzückend fand.

Unter einem Sonnenschirm fanden sie einen freien Tisch. Paulina schlüpfte erleichtert in den Schatten. Allzu große Hitze vertrug sie nicht. Mit der Dessertkarte fächelte sie sich etwas kühlere Luft zu.

Jakob schlug ihr einen großen Eisbecher mit Früchten und Sahne vor, doch Paulina beließ es lieber bei drei Kugeln. Jakob nahm das Gleiche, bestellte jedoch noch ungefragt zwei Gläser Champagner.

„Alkohol bei der Hitze?“ Paulina blickte ihn skeptisch an.

„Perlender Champagner ist jetzt genau das Richtige. Bitte, mach mir die Freude.“

Es war wirklich sehr angenehm, hier zu sitzen und die Leute ringsum zu betrachten. Paulina genoss diesen Ausflug, auch wenn sie schon wieder an den bevorstehenden Nachtdienst dachte.

Zum Glück war es heute der letzte. Bis sie wieder an der Reihe war, dürfte eine gewisse Zeit vergehen. Sie freute sich schon auf die Tagesschicht. Zunächst war sie Dr. Holl zugeteilt, das hieß, dass sie bei jeder Visite dabei sein durfte.

Das Eis war eine Wohltat. Der Champagner auch, wie sie sich eingestand. Augenblicklich wurde sie etwas lockerer und fand Jakobs sehnsüchtige Blicke amüsant, auch wenn sie sich bemühte, nicht direkt darauf einzugehen.

„Für eine Ärztin bist du viel zu schön“, sagte er jetzt und zückte sein Handy. „Darf ich?“ Und schon hatte er das erste Foto von ihr gemacht.

***

Paulina wusste nicht so recht, was sie von Jakob halten sollte. Aber vielleicht sollte sie sich mit der Beantwortung dieser Frage einfach nur Zeit lassen. Wenn sie ihn etwas näher kannte, würde ihr ein Urteil leichter fallen.

Auch wenn ihr seine Gesellschaft nicht unangenehm war, wusste sie nicht, ob sie ihn außerhalb der Klinik öfter sehen wollte. Er war ihr eine Spur zu aufdringlich, aber vielleicht tat sie ihm unrecht und dieser Eindruck beruhte nur auf ihrem mangelnden Umgang mit Männern.

Wie sollte sie damit umgehen, wenn er sich in sie verliebt hatte? Die Dinge einfach geschehen lassen – oder von vornherein klare Grenzen abstecken?

Denn eins war klar, eine wie auch immer geartete Beziehung wollte sie jetzt nicht eingehen. Nach den ersten Höhenflügen stellten sich doch bald die ersten Probleme ein, das konnte sie jetzt nicht gebrauchen.

Inzwischen war sie wieder zu Hause. Bevor sie sich mit dem Fahrrad auf den Weg zur Arbeit in der Klinik machte, aß sie noch eine Kleinigkeit und zog sich um.

In der Klinik angekommen, konnte sie dem Wunsch nicht widerstehen, nach der Meningitis-Patientin zu schauen.

Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass die Krankheit tatsächlich durch Meningokokken der Gruppe B hervorgerufen worden war. Therese Buchmann hatte sich wohl in Marokko damit angesteckt. Von den mitreisenden Freundinnen war jedoch keine erkrankt. Die Familienangehörigen der Patientin machten inzwischen eine Medikamenten-Therapie. Das wusste Paulina von Dr. Holl. Gestern hatte er es ihr berichtet.

„Wie geht es ihr?“, wollte sie von Schwester Elke wissen.

Die Pflegerin hob nur kurz die Schultern. „Keine wesentliche Änderung“, erwiderte sie. „Noch ist sie nicht über den Berg.“

Paulina nickte schuldbewusst. Ihr war klar, dass sie am kritischen Zustand der Frau mit Verantwortung trug.

Am Bett der Kranken stand bereits ein Mann von plus/minus dreißig Jahren. Vielleicht ihr Sohn? „Guten Abend“, sagte Paulina. „Ich bin Dr. Mehring.“

Ein Paar sensible Augen betrachteten sie eingehend. „Dachte ich mir.“

Sein dunkler Bariton klang abweisend. Und seinen Namen nannte er nicht. Nach zwei weiteren stummen Minuten ging er grußlos.

Paulina erkundigte sich bei Schwester Elke nach der Medikamenten-Dosierung, dann verließ sie die Intensivstation, um zur Notaufnahme hinüberzugehen.

„Einen Moment!“

Paulina fuhr herum. Na so was, er hatte darauf gewartet, sie abzufangen.

„Wenn ich richtig unterrichtet bin, waren Sie für die Erstversorgung meiner Schwiegermutter zuständig. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“

In ihrer Brust machte sich ein nervöses Herzstolpern bemerkbar. „Wenn es um die Behandlung geht, müssen Sie mit Dr. Holl sprechen.“

„Ich möchte aber von Ihnen hören, was passiert ist.“

„Tut mir leid, ich muss zum Dienst.“

„Ich bestehe darauf, mit Ihnen zu reden. Es wäre auch wichtig für Sie. Wann haben Sie Zeit?“

Dummerweise konnte sie sich gegen die Dominanz dieses Mannes nicht wappnen. Er schüchterte sie so ein, dass sie sich einverstanden erklärte. „Morgen“, schlug sie vor. „Mittags?“

Sie einigten sich auf ein Bistro in Schwabing, dann wandte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort einfach davon.

Ein merkwürdiger Mensch, dachte Paulina. Und sie ärgerte sich jetzt, dass sie sofort zugestimmt hatte. Wie kam er dazu, ihr ein Gespräch aufzuzwingen? Sollte sie Dr. Holl davon unterrichten?

In der Notaufnahme wartete schon Dr. Jordan auf sie. Er begrüßte sie mit einem anerkennenden Lächeln. Sie hatte schon einiges über ihn gehört. Angeblich führte er einen lockeren Lebenswandel mit häufig wechselnden Beziehungen, als Kollege sollte er aber äußerst zuverlässig sein. Immerhin.

Jan Jordan brachte sie einige Male zum Lachen. Ansonsten verlief der Nachtdienst ruhig. Dennoch war sie froh, als er zu Ende ging,

Zu Hause schlief sie vier Stunden am Stück. Es blieb ihr noch Zeit genug zum Treffen mit diesem Mann, von dem sie noch nicht einmal wusste, wie er hieß.

Bevor sie sich auf den Weg machte, dachte sie kurz daran, Dr. Holl anzurufen und ihm von ihrer Verabredung zu erzählen, doch sie ließ es. Der Chefarzt könnte sich von ihr belästigt fühlen.

Im Restaurant waren noch einige Tische frei, als sie dort eintraf. Sie nahm in der Nähe des großen Panoramafensters Platz. So konnte sie ihn kommen sehen.

Wenige Minuten nach ihr traf er ein und begrüßte sie mit einem knappen Hallo. Beide bestellten einen Kaffee. Essen wollte Paulina in der Gesellschaft des Fremden nichts.

„Sie können sich ja sicher denken, weswegen ich mit Ihnen sprechen will.“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie sich namentlich vorgestellt hätten.“ Insgeheim war Paulina stolz auf ihre Antwort.

Er zog seine Brieftasche hervor und entnahm ihr eine Visitenkarte. Dabei fiel ein Foto heraus. Es zeigte eine dunkelhaarige Frau, die strahlend in die Kamera lächelte. Mit einer hastigen Bewegung steckte er es wieder ein.

„Mein Name ist Manuel Ulmer, wie Sie hier lesen können.“

Mit dem Zeigefinger schob er ihr das Kärtchen zu. „Ich bin der Schwiegersohn von Frau Buchmann. Ihr Mann und ich müssen als die nächsten Angehörigen vorsorglich ebenfalls Medikamente nehmen. Wegen der Ansteckungsgefahr.“

„Das tut mir leid, aber ein paar Pillen sind immerhin leichter zu verkraften als der Ausbruch einer so schweren Krankheit“, erwiderte sie und hoffte, dass ihre Worte nicht allzu belehrend klangen.

Zurückgelehnt, schaute er sie eindringlich an. Seine Blicke hatten etwas Hypnotisches. Was wollte er von ihr? Etwa ein Schuldbekenntnis? Und wieso gehörte seine Frau nicht zu den gefährdeten Personen?

„Sie nehmen die Dinge ja ziemlich leicht“, stellte er schließlich fest. „Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir uns das nicht gefallen lassen. Hier ist ein Kunstfehler passiert. Dafür müssen Sie geradestehen.“

Sie spürte, wie ihre Gesichtszüge entgleisten. „Was reden Sie denn da? Uns war nicht bekannt, dass Ihre Schwiegermutter in Marokko war …“

„Dann hätten Sie die Diagnose auch nicht schneller gestellt“, fiel er ihr ins Wort. „Wir glauben, das Sie ziemlich hilflos agiert haben.“

„Das ist eine unverschämte Unterstellung von Ihnen.“ Nur mühsam kamen ihr diese Worte über die Lippen, und sie musste sich eingestehen, dass sie vor diesem Mann Angst hatte. Dieser vernichtende Blick, seine abfällige Miene und die zusammengepressten Lippen flößten ihr Angst ein. Sie fühlte sich ihm ausgeliefert.

„Um eine Untersuchung werden Sie nicht herumkommen, das versichere ich Ihnen.“

Paulina bekam Panik. Würde es diesem Mann gelingen, ihren Zugang zum geliebten Beruf zu verhindern? Sie hätte gar nicht erst herkommen sollen.

„Ich habe alles getan, was ich tun konnte, und nichts unterlassen. Ihr Schwiegervater hat meine Fragen kaum beantwortet. Ich bin Ärztin und keine Hellseherin. Gerade in so unklaren Fällen ist die Anamnese aber entscheidend wichtig.“

Er betrachtete sie mit nachdenklichem Zweifel und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir werden klären lassen, ob ein Fehlverhalten am jetzigen Zustand meiner Schwiegermutter schuld ist. Und wenn Sie sich nichts vorzuwerfen haben, müssen Sie solche Ermittlungen ja auch nicht fürchten.“

Paulina schnappte nach Luft. Sie griff nach ihrer Tasse wie nach einem Rettungsring, doch die war schon leer. Enttäuscht stellte sie sie wieder zurück.

Er sah es und bestellte durch Zuruf eine große Flasche Mineralwasser und zwei Gläser.

Wie er mit ihr sprach! Als hätte er das Recht, sie zu verhören. Paulina wollte sich dagegen wehren, doch einen deutlichen Widerspruch zu formulieren, schaffte sie nicht. In ihrem Kopf herrschte nur noch ein chaotisches Durcheinander. Sie stand auf, wollte gehen, doch ihre Knie gaben nach, und sie sank wieder auf ihren Stuhl zurück.

„Das wollte ich Ihnen nur sagen“, fuhr er fort, nachdem die Flasche auf dem Tisch stand und die Gläser gefüllt waren. „Damit Sie sich schon mal darauf einstellen können.“

„Warum wenden Sie sich nicht an Dr. Holl? Er ist der Klinikchef …“

„Sie können sich nicht hinter ihm verstecken. Tatsache ist, dass Sie die verantwortliche Ärztin in dieser Nacht waren.“

Paulina fühlte sich wie betäubt. Sie trank ihr Glas halb leer, dann versuchte sie ein zweites Mal aufzustehen. Diesmal gelang es ihr.

„Das Gespräch ist beendet“, erklärte sie mit brüchiger Stimme. „Stellen Sie mir keine Fragen mehr! Ich werde sie nicht beantworten.“

„Sie wollen sich also davonstehlen?“

Er erhob sich ebenfalls. Sie stand so dicht vor ihm, dass sie den Sandelholzduft seines Rasierwassers wahrnahm. Ich muss ihm verbieten, so mit mir zu reden, dachte sie, doch bevor auch nur eine Silbe über ihre Lippen kam, verdrehte sie die Augen und sackte in sich zusammen.

***

„Wie geht es Ihnen, Frau Buchmann? Sagen Sie mir, wo’s wehtut!“

Die Frau bewegte die Lippen, aber sie hatte offensichtlich Schwierigkeiten, Wörter zu formulieren.

„Lassen Sie sich Zeit!“ Der Chefarzt nahm am Krankenlager Platz. „Ich habe genug Zeit. Möchten Sie einen Schluck trinken?“

Als sie nickte, hielt Stefan ihr die Schnabeltasse an den Mund.

„Bin so müde“, murmelte die Patientin. „Mein Mann … wo ist er?“

„Er ist sicher schon unterwegs hierher“, versuchte Stefan, die Patientin zu beruhigen. Sie machte immer noch einen verwirrten Eindruck. Mit den Medikamenten, die sie per Infusion bekam, sollte sich ihr Zustand kontinuierlich bessern, trotz des Anfangsfehlers seiner jungen Mitarbeiterin, die vor der wichtigen Liquor-Entnahme diverse Antibiotikadosen gegeben hatte. Die umgekehrte Reihenfolge wäre schneller zielführend gewesen.

Aber trotz der leichten Verfälschung der Laborwerte konnte die richtige Therapie mit dem Antibiotikum der Wahl, dem Cephalosporin der jüngsten Generation, unverzüglich eingeleitet werden. Aber Stefan wusste auch, dass trotz der Behandlung Spätfolgen wie Hörverlust, Blindheit, Lähmungen oder Krampfleiden auftreten konnten.

Da ihm bekannt war, dass die Familie der Patientin einen Kunstfehler witterte, würde sie solche Komplikationen natürlich auf mögliche Behandlungsfehler zurückführen, obwohl sie niemals zu vermeiden waren. Unter Umständen konnte es zu aufreibenden Ermittlungen und unerfreulichen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gutachtern kommen – und zu einer schlechten Presse für die Berling-Klinik.

Das wünschte der Chefarzt seinem Haus natürlich nicht. Darum würde er alles tun, um solche Schlagzeilen zu vermeiden.

Die Patientin dämmerte wieder weg. Dr. Holl besprach mit der Stationsschwester die Dosierungen für den nächsten Tag und kehrte in sein Büro zurück.

Moni Wolfram, seine Sekretärin, wollte ihn mit einem Kaffee erfrischen, doch er lehnte ab. „Frau Dr. Mehring soll zu mir kommen.“

Wenige Minuten später klopfte es schon an die Tür. Paulina trat ein. Sie sah etwas blass aus, wirkte aber gefasst.

Dr. Holl referierte die wichtigsten Punkte aus der vorliegenden Krankenakte.

„Falls es wirklich zu Ermittlungen kommt, müssen Sie die Wahrheit sagen. Gehen Sie die Sache offen an! Ich hoffe, Sie haben sich entsprechende Notizen zu diesem Vorfall gemacht. Wenn nicht, holen Sie das bitte gleich nach! Es könnte wichtig werden. Und vermerken Sie auf jeden Fall, dass von Seiten der Angehörigen die Reise nach Marokko nicht erwähnt wurde. Um den Ausbruch von Infektionen angemessen zu bewerten, sind solche Informationen unerlässlich.“

„Wollen Sie, dass ich unbezahlten Urlaub nehme?“

Stefans Blick wanderte vom Bildschirm zu seiner jungen Mitarbeiterin.

„Aber nein, wie kommen Sie denn darauf? Wir stehen das zusammen durch.“

Paulina gestattete sich einen erleichterten Seufzer. Allein Dr. Holls freundliche Miene half ihr, die Dinge nicht allzu schwarzzusehen.

„Und glauben Sie nur nicht, dass es das erste Mal wäre, dass Patienten wegen falscher Behandlungen Vorwürfe erheben. So etwas gehört zu unserem Berufsalltag. Damit müssen wir als Ärzte leben. Gewöhnen Sie sich daran! Und vor allem, lassen Sie sich davon die Freude am Beruf nicht verderben!“

„Der Schwiegersohn der Patientin hat schon mit mir gesprochen. Ich glaube, die Familie wird Anzeige erstatten.“

„Sie hätten ein Treffen ablehnen sollen. Bitte beherzigen Sie das für die Zukunft!“

Paulina nickte brav. An der Berechtigung von Dr. Holls Ratschlägen zweifelte sie nicht. Sie empfand tiefe Dankbarkeit für seine Solidarität. Nach dem Treffen mit Manuel Ulmer war ihr längst schon der Gedanke gekommen, dass sie das besser abgesagt hätte, doch nun war es zu spät.

Schon bald nach ihrem kurzen Kreislaufkollaps hatte sie die Augen wieder geöffnet, als jemand ihr die Wangen tätschelte. „Hallo, was war das denn? Sie sind einfach umgekippt. Ich hoffe, das lag nicht an mir.“ Seine Stimme klang sogar nach einer gewissen Anteilnahme.

Man hatte sie in ein kleines Zimmer hinter dem Gastraum gebracht, wo er ihr ein Glas Wasser an den Mund hielt. Sie trank durstig, spürte ihre Kräfte zurückkehren und fand dann, dass es höchste Zeit sei, sich endlich von diesem Mann zu lösen.

Sie schämte sich immer noch über ihre plötzlich aufgetretene Schwäche – und das Ganze dann noch in seiner Gegenwart! Ob er deswegen Schadenfreude empfunden hatte? Und warum ging ihr die Erinnerung daran nicht mehr aus dem Kopf?

„In Zukunft wird niemand mehr den Nachtdienst allein übernehmen“, fuhr Dr. Holl fort. „Und wenn sich jemand kurzfristig krankmeldet, muss die Verwaltung anderweitig für sofortigen Ersatz sorgen.“

Paulina war auf ihrem Stuhl etwas zusammengesunken. Als es ihr bewusst wurde, richtete sie sich auf. Sie wollte hier kein Häufchen Elend abgeben.

„Wie geht es Frau Buchmann?“

Da sie immer noch auf der Intensivstation lag, hatte Paulina keinen Kontakt zu ihr. Ob die Patientin sich überhaupt an die Geschehnisse in jener Nacht erinnerte?

„Den Umständen entsprechend. Sie spricht auf die Therapie an. Die Frage ist allerdings, ob und wann die komplette Heilung eintritt. Ich selbst habe Meningitisfälle erlebt, bei denn die Patienten viele Wochen, ja sogar Monate oder Jahre brauchten, bis sie wieder ihren Alltag bewältigen konnten. Und jetzt dürfen Sie zurück an Ihre Arbeit gehen.“

Paulina erhob sich. „Danke für Ihr Vertrauen, Herr Doktor!“ Es war ihr ein Bedürfnis, diese Worte auszusprechen. Dr. Holl unterstützte sie. Diese Erkenntnis half ihr, die Zukunft weniger schwarzzusehen.

Kaum war sie zurück auf der Station, kam ein Anruf, dass unten am Empfang Blumen für sie abgegeben worden seien. Neugierig, aber auch leicht beunruhigt meldete sie sich für zwei Minuten ab. Auch wenn sie ihr Gehirn noch so sehr strapazierte, es gab wirklich niemanden, der so etwas veranlassen könnte.

Sie nahm den Strauß entgegen, versagte sich aber, gleich nach dem weißen Umschlag zu greifen, der angeheftet an der Folie hing. Erst oben im Aufenthaltsraum für das medizinische Personal schaute sie nach.

Absender: Dr. Manuel Ulmer, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Darunter standen noch einmal die Kontaktdaten.

Paulina konnte es gar nicht glauben. Was sollte das?

Gute Besserung! M. U. Auch wenn er kein Mann der überflüssigen Worte zu sein schien, wollte er wohl auf die blumige Weise seine Anteilnahme äußern. Nett von ihm.

Wie sollte sie darauf reagieren? Einfach nur schweigen? Wäre das nicht etwas zu unhöflich? Da seine E-Mail-Adresse angegeben war, entschloss sie sich spontan, ihm auf diese Weise zu antworten.

Danke, wär aber nicht nötig gewesen. P: M., tippte sie in ihr Handy.

Und als sie auf Senden drückte, stahl sich ein kleines spöttisches Lächeln in ihre Mundwinkel. Wenn es darauf ankam, konnte auch sie kurz angebunden sein.

Anschließend suchte sie noch ein passendes Gefäß für den Strauß, füllte es mit Wasser und stellte ihn hinein. Nicht eine Sekunde dachte sie daran, ihn mit nach Hause zu nehmen. Hier in der Klinik hatten alle was davon.

***

Auf dem Nachhauseweg kaufte sie noch etwas Obst, Brot und Käse ein. Wenn Alissa noch da war, könnten sie zusammen eine Kleinigkeit essen. Paulina hängte ihre Tasche an die Lenkstange ihres Fahrrades und machte sich auf den Heimweg.

Zwar war noch längst nicht geklärt, wie die Angelegenheit mit der Patientin Buchmann weiterging, aber das Gespräch mit Dr. Holl hatte sie doch so sehr erleichtert, dass sie heute Nacht wohl endlich wieder besser schlafen würde.

„Hallo, Alissa!“, rief sie, als sie die Wohnungstür öffnete. Es kam keine Antwort.

Stattdessen schob sich eine männliche Gestalt in die Diele. „Überraschung!“, rief Jakob fröhlich. „Alissa ist schon weg. Aber sie hat mir erlaubt, hier auf dich zu warten.“

Paulina brauchte ein paar Sekunden, bis sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatte. „Was machst du denn hier?“

Der Kollege gab sich völlig unbekümmert. „Du hast eine wirklich nette Mitbewohnerin. Sie hat mir schon einiges über dich erzählt. Also, ich dachte, wir machen eine kleine Feier. Du und ich. Alles, was wir dazu brauchen, habe ich schon mitgebracht.“

Er führte sie in die Küche, als wäre er hier zu Hause. Im Kühlschrank standen eine Flasche Champagner, diverse Salate und eine kleine Dose Kaviar.

„Bist du verrückt geworden?“, entfuhr es ihr.

Er ließ sich von ihren Worten nicht irritieren, sondern suchte im Wandschrank über der Spüle nach passenden Gläsern. Da er keine flötenförmigen fand, nahm er notgedrungen zwei von den billigen aus Pressglas. Andere gab es in diesem Haushalt nicht.

Paulina zog ihn am Arm. „He, du hast mir auf meine Frage noch nicht geantwortet.“

„Setz dich einfach irgendwohin, während ich alles zubereite! Statt zu rebellieren, kannst du dich doch freuen, dass sich jemand um dich kümmert. Nimm meinen Service einfach an! Kostet dich ja nichts.“ Damit er seine Vorbereitungen ungestört fortführen konnte, schob er sie mit beiden Händen ein Stück zur Seite.

Seine Argumentation machte sie sprachlos. Was bildete er sich ein? Ohne ihr Wissen drang er in ihre Wohnung ein, bereitete ein Essen vor und verlangte dann auch noch, dass sie sich höllisch darüber freute. Auch wenn er so tat, als wären sie die besten Freunde, so kannten sie sich in Wahrheit doch kaum.

Paulina wusste nicht so recht, was sie von ihm halten sollte.

„Ich habe ebenfalls eingekauft“, sagte sie. „Für Alissa und mich.“

„Leg die Sachen einstweilen in den Kühlschrank!“, sagte er, ohne überhaupt nachzusehen, was sie mitgebracht hatte.

Jakobs Selbstverständlichkeit machte sie aggressiv. Sie stand kurz vor einer Explosion. Eigentlich sollte sie ihn rauswerfen, aber sie wusste schon jetzt, dass ihr das nicht gelingen würde.

Im Gegensatz zu ihr gelang es Jakob offensichtlich viel besser, seinen Willen durchzusetzen. Und das tat er auch noch auf Art, die ebenso charmant wie unverschämt war.

Damit ihr Ärger etwas verrauchte, ging sie ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins erhitzte Gesicht. Dann löste sie ihr Haar. Während sie es mit einer Bürste bearbeitete, überlegte sie fieberhaft, was sie ihm sagen sollte. Und zwar so, dass alle Missverständnisse ausgeräumt wurden. Er schien zu den Menschen zu gehören, die nur auf eine harte, klare Sprache reagierten.

Oder sollte sie gute Miene zum bösen Spiel machen und seinen Auftritt als einmaliges Ereignis verbuchen? Paulina ging in ihr Zimmer, um sich ein anderes Oberteil überzustreifen. Nach einer Weile klopfte es an die Tür.

„Es ist angerichtet“, rief Jakob, trat ungebeten ein und warf einen geradezu begehrlichen Blick auf sie. „Das steht dir aber gut“, stellte er fest.

„Hör zu, ich möchte gleich mal klarstellen, dass ich solche Überfälle nicht mag und sie mir verbitte“, teilte sie ihm mit, als sie am Küchentisch saßen.

„Wenn du einen Schluck getrunken und einen Löffel Kaviar probiert hast, wirst du deine Meinung ändern.“

Die junge Ärztin atmete tief durch. War ihm wirklich so nicht beizukommen? Sie nippte an ihrem Glas, probierte vom Kaviar und fand ihn nicht besonders gut.

Jakob beobachtete sie. „Schmeckt’s dir nicht?“

„Nicht besonders.“

„Dann probier doch von diesen Salaten. Sie sind vom besten Feinkostladen der Stadt …“

„Warum gibst du dir eigentlich solche Mühe?“, unterbrach sie ihn.

Für ein paar Sekunden schlug er die Augen nieder und spielte den Ertappten. „Ehrliche Antwort?“, fragte er leise.

„Ich will es wissen.“

„Weil ich dich mag. Na ja, ‚mögen‘ ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Darum möchte ich dir helfen.“

„Ich habe dich nicht darum gebeten.“

„Aber ich habe erstens Menschenkenntnis, zweitens Augen im Kopf. Und drittens bedeutest du mir viel. Du bist für mich mehr als nur eine Kollegin.“

„Was genau?“ Sie spießte ein Stück Hühnerfleisch auf die Gabel und schob es in den Mund. Das schmeckte schon besser.

„Ich habe mich in dich verliebt. Das war so zwar nicht geplant, aber nun ist es eben passiert. Ich hoffe, es stört dich nicht.“

Nun nahm er ihr schon wieder den Wind aus den Segeln. Was sollte sie dazu sagen? Es stand ihr schließlich nicht zu, seine Gefühle zu kommentieren.

„Und wie ist es mit dir?“, fuhr er erwartungsvoll lächelnd fort. „Ich meine, wir zwei passen doch gut zusammen. Ich bin ein Mann mit einer starken Schulter, an den sich eine Frau wie du immer anlehnen kann, wenn ihr danach ist.“

Paulina presste kurz die Lippen zusammen. „Hör zu, Jakob! Auch ich will dir gegenüber ehrlich sein. Es ist so … Zurzeit will ich keine Beziehung. Ich hab zu viele andere Dinge um die Ohren. Verstehst du das?“

„Ich verlange doch gar keine Entscheidung von dir. Du hast alle Zeit der Welt. Ich kann warten. Es reicht mir schon, wenn wir wie jetzt so nett zusammensitzen.“

Glaubte er wirklich, die fehlenden Gefühle für ihn würden sich im Laufe der kommenden Tage schon einstellen? Oder gehörte er eher zu denen, die einfach die Augen zuklappten, um eine unangenehme Tatsache nicht wahrnehmen zu müssen?

Eine Weile aßen sie schweigend, das heißt, Paulina probierte nur winzige Portionen aus den Salatschälchen. Die verrückte Situation in ihrer eigenen Wohnung hatte ihr die Freude am Essen genommen.

Jakob hingegen schien hungrig zu sein. Sein Appetit war grenzenlos. Wo steckte der schlanke Mann das alles nur hin?

Anschließend mimte er noch die ordentliche Hausfrau, räumte den Tisch ab und stellte Teller und Besteck neben das Waschbecken. „Hier fehlt ein Geschirrspüler“, tat er kund.

„Dafür haben wir momentan kein Geld. Der Abwasch, der bei uns abfällt, lässt sich mühelos von Hand erledigen.“

„War ja nur ein Hinweis von mir, wie man sich das Leben angenehmer machen kann“, erwiderte er locker.

„Danke, Jakob, aber wir kommen schon klar – auch ohne deine Hilfe.“

In Paulinas Stimme schwang jetzt ein scharfer Ton mit. Sie war das Wortgeplänkel leid und verspürte den Wunsch, endlich allein zu sein.

Er trocknete sich die Hände ab. „Möchtest du wirklich, dass ich gehe?“, erkundigte er sich mit schief gelegtem Kopf, so, als könnte er ein Ja nicht glauben.

„Ja. Ich hab noch einiges zu tun. Darum ist es jetzt besser, wenn du … ach ja, trotzdem danke für das Essen.“

Er zog bedauernd die Schultern hoch.

„Ich wär noch gern geblieben, aber natürlich dränge ich mich nicht auf. Von den Resten könnt ihr auch morgen noch essen. Grüß deine Mitbewohnerin von mir!“

Paulina ging noch mit ihm zur Tür. Dort wandte er sich um, zog sie an sich und küsste sie auf den Mund. Als sie begriff, was da gerade passierte, war es schon geschehen. Wütend stieß sie ihn zurück.

„Mach das nie wieder!“, verlangte sie.

„Du willst es doch auch“, sagte er, bevor er sich umwandte und ging.

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