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Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!
Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!
Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Chefarzt Dr. Holl 1793: Sie verschwieg ihr Leiden
Notärztin Andrea Bergen 1272: Floristin mit Herz sucht Liebe fürs Leben
Dr. Stefan Frank 2226: Hochzeit im Regen
Dr. Karsten Fabian 169: Schenk mir dein Herz ein zweites Mal
Der Notarzt 275: Lass sie nicht sterben, lieber Gott ...
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 598
Veröffentlichungsjahr: 2021
Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ulrike Larsen, Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 28
Cover
Impressum
Sie verschwieg ihr Leiden
Vorschau
Sie verschwieg ihr Leiden
Dr. Holl und der Fall Patricia B.
Von Katrin Kastell
Die Ärztin Patricia Bach ist jung, hübsch, erfolgreich und mit dem reichen, gut aussehenden Richard von Feldern verlobt. Als sie in der Berling-Klinik eine Anstellung als Assistenzärztin erhält, ist ihr Glück vollkommen. Mit Feuereifer assistiert sie den erfahrenen Ärzten der Klinik bei Operationen und erntet viel Lob von allen Seiten. Es könnte beruflich und privat kaum besser laufen im Leben der jungen Ärztin.
Doch nach einem feucht-fröhlichen Abend mit einigen Kollegen auf der Bowling-Bahn bricht Patricia am nächsten Tag während einer Operation plötzlich wie aus heiterem Himmel zusammen.
Patricia hat das Gefühl, eine Katastrophe bahnt sich an. Und ihre Ängste sind nur allzu berechtigt, denn sie weiß genau, was den Zusammenbruch ausgelöst hat …
Voller Stolz betrachtete Patricia ihren Verlobungsring. Selbst im gedämpften Licht der Tischlampe funkelte er vielversprechend. Als wolle er ihr bedeuten, dass sie den Weg in eine glückliche Zukunft längst eingeschlagen habe.
Der Mann, mit dem sie ihr weiteres Leben verbringen wollte, hatte sich wahrlich nicht lumpen lassen. Eine Freundin, die sich angeblich in solchen Dingen auskannte, hatte den kunstvoll geschliffenen Smaragd auf fünftausend Euro geschätzt. Mindestens, wie sie mehrmals betonte.
Sicher, für dieses Schmuckstück hatte er einiges hinblättern müssen, das sah auch Patricia, aber den wahren Preis wollte sie gar nicht wissen. Für sie zählte allein, was der Ring ausdrückte: dass Richard sie liebte und zu seiner Frau machen wollte. Nie hätte sie gedacht, wie wunderbar es sich anfühlte, die Auserwählte eines solchen Mannes zu sein.
„Er gefällt dir“, stellte Richard mit einem selbstsicheren Lächeln fest. Er wusste, wie wichtig es war, niemals in Geschmacksfragen danebenzuliegen. Gerade hatte er ein zartes Steak vom Angusrind vertilgt, spülte mit einem Schluck Rotwein nach und lehnte sich dann zufrieden auf seinem gepolsterten Stuhl zurück.
Im Chez Maurice, einem neuen Restaurant in Schwabing, ließen sie es sich gut gehen. Es hatte erst vor Kurzem eröffnet und war noch ein Geheimtipp unter verwöhnten Gourmets.
„Natürlich gefällt er mir. Für mich ist er das Zeichen unserer Liebe.“ Ein wundervoller Moment, der nun für immer in ihrer Erinnerung blieb, den sie jederzeit abrufen und neu erleben konnte.
Richard von Feldern zwinkerte ihr vergnügt zu.
„Das hast du schön gesagt, mein Engel. Genauso sehe ich das auch.“ Er machte seinen Arm lang und griff nach ihrer linken Hand, über der er einen Kuss andeutete. „Jetzt darfst du dich schon mal als meine Verlobte betrachten. Und bald werde ich auch ganz offiziell Ja sagen, zu dir, zu uns, zu unserem gemeinsamen Leben. Darum sollten wir damit beginnen, über einen Termin nachzudenken.“
Es schmeichelte ihr enorm, dass er es mit der Hochzeit so eilig hatte. Andererseits wollte sie aber auch an ihrem Plan festhalten, erst noch ihre bereits angefangene Doktorarbeit zu beenden. Dazu brauchte sie noch ein paar Wochen, vielleicht sogar einige Monate.
Nach der Eheschließung würde sie so bald keine Zeit mehr finden, sich wieder mit dem trockenen Statistik-Thema zu befassen. Zumal dann ja auch der neue Job in der Berling-Klinik einiges von ihr abverlangte.
Außerdem musste sie wegen der Namensänderung einen neuen Personalausweis beantragen. Und da sollte dann gleich ihr kompletter Name stehen: Dr. med. Patricia von Feldern. Ein Name wie Musik, fand sie. Einige Male hatte sie sogar schon ihre neue Unterschrift ausprobiert, was sie aber für sich behielt. Richard würde sie auslachen.
„Ich möchte vorher unbedingt meine Dissertation fertigstellen. Dafür brauche ich noch ein bisschen Zeit.“
Richard betrachtete ausgiebig die Farbe des Weins in seinem Glas. Er war ein gut aussehender Mann, umgeben von der Aura des Erfolgs.
„An welchen Zeitraum denkst du?“
„Das weiß ich noch nicht. Zwei Monate, höchstens drei.“
„Ist dir diese Arbeit wirklich so wichtig?“, hakte er nach, während er sie mit schief gelegtem Kopf aufmerksam betrachtete. „Vielleicht wirst du kaum Gelegenheit haben, als Ärztin zu arbeiten. Was nützt dir dann der Doktortitel?“
Patricia presste kurz die Lippen zusammen, bevor sie ihm ein offenes Lachen schenkte.
„Du kennst mich noch nicht lange genug“, stellte sie fest, ohne ihm wirklich böse zu sein.
Aber jetzt musste sie mal etwas klarstellen, damit er begriff, dass sie nicht nur die Frau an seiner Seite sein wollte, sondern eine Frau an seiner Seite mit einem eigenen Aufgabenbereich.
„Ich habe schon eine Anstellung. Heute kam die Zusage. Ich wollte es dir schon die ganze Zeit erzählen, aber du lässt mich ja nicht zu Wort kommen.“
„Eine Anstellung?“, wiederholte er gedehnt. „Doch nicht in einem Krankenhaus?“
Auch wenn seine Reaktion sie ein wenig befremdete, so ließ sie sich davon nicht irritieren.
„Doch. Und zwar in der Berling-Klinik, einer allerersten Adresse hier in München. Nächste Woche fange ich an. So schnell wie möglich schließe ich dann noch meine Dissertation ab. Und was danach kommt, werden wir sehen.“
Richard nickte zustimmend. Patricia war nicht nur eine attraktive Frau, sondern wusste auch ziemlich genau, was sie wollte. Das imponierte ihm. Darum erschien es ihm jetzt wenig sinnvoll, ihr zu widersprechen und seine Sicht der Dinge darzulegen.
Ihm war wichtig, dass bald das erste Kind kam, danach ein zweites und ein drittes. Mit seinen achtunddreißig Jahren hatte er karrieremäßig schon viel erreicht. Nach diesem erfolgreichen Lebensabschnitt wurde es allmählich Zeit, für Nachwuchs zu sorgen. Lange wollte er damit nicht mehr warten.
Viele seiner Freunde und Bekannten hatten schon eine Familie gegründet. Immer öfter ertappte er sich dabei, dass er so etwas wie Neid empfand, wenn die anderen stolz die Fotos ihrer Sprösslinge präsentierten.
Seine schöne junge Verlobte war mit ihren fünfundzwanzig Jahren im besten gebärfähigen Alter. Und wenn sie erst mal ein Baby in ihren Armen hielt, würde ihr der Job in einer Klinik nicht mehr wichtig sein. Aber das musste nicht unbedingt jetzt erörtert werden.
Aus der Innentasche seines Sakkos zog er ein Stück Papier.
„Das hier ist noch für dich“, sagte er schmunzelnd. „Ich hab das für dich übernommen.“
„Was ist das?“
„Schau nach.“
Patricia entfaltete das Blatt und überflog es. Es handelte sich um einen Vertrag mit einer Fahrschule, ausgestellt auf ihren Namen.
Die junge Frau runzelte die Stirn, was Richard völlig falsch interpretierte.
„Keine Sorge“, sagte er. „Es ist schon alles bezahlt, dreißig Fahrstunden sind inbegriffen. Wenn du mehr brauchst, kein Problem.“
Patricia spürte leisen Groll in sich aufsteigen. Richards Eigenmächtigkeit empfand sie als unliebsamen Übergriff. Wie sollte sie darauf so reagieren, dass er sich weder gekränkt fühlte noch sie für undankbar hielt?
Eigentlich war es ein weiteres grandioses Geschenk, nur leider konnte sie es nicht annehmen.
Als erster Ablehnungsgrund fiel ihr natürlich die mangelnde Zeit ein. Patricia begann diplomatisch.
„Das ist unglaublich großzügig von dir, aber ich glaube nicht, dass ich jetzt auch noch Fahrstunden nehmen kann.“
„Das ist alles halb so wild“, kommentierte Richard. „Du bist doch ein kluges Mädchen und wirst schnell kapieren, worauf es in der Theorie ankommt. Und vielleicht liegt dir das Fahren so sehr, dass du gar keine dreißig Stunden brauchst.“
„Gerade hast du vorgeschlagen, so bald wie möglich zu heiraten. Dazu müssen einige Vorbereitungen getroffen werden. Außerdem muss ich in der Klinik arbeiten. Und, wie gesagt, ist mir auch meine Doktorarbeit wichtig.“
„Na gut, wenn es dir jetzt mit den Fahrstunden nicht passt, kannst du sie auch später nehmen.“
Für diesen Hinweis war sie ihm von Herzen dankbar.
„Im nächsten Frühjahr ginge es viel besser“, erwiderte sie eine Spur zu hastig. „Dann ist auch das Wetter besser.“
„Du sollst aber bei jedem Wetter fahren können“, meinte Richard mit liebevollem Spott. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber andere junge Leute sind doch ganz heiß darauf, endlich hinters Steuer zu dürfen.“
Er beugte sich vor und entließ sie nicht aus seinem festen Blick.
„Sag mir die Wahrheit“, verlangte er augenzwinkernd. „Du fürchtest dich vor dem Autoverkehr.“
Das stimmte nur halb. Tatsächlich gab es einen gewichtigen Grund, nicht selbst zu fahren, aber darüber konnte sie jetzt nicht reden.
Patricia entspannte sich und brachte sogar ein lockeres Lächeln zustande. Nur zu gern berief sie sich auf die Ausrede, die er ihr arglos angeboten hatte.
„Ja, es stimmt. Die endlos langen Blechlawinen machen mir Angst. Und erst recht die engen Parklücken.“
„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel“, meinte Richard mit einem verschmitzten Lächeln. „Du wirst es schaffen. Mit jedem Kilometer, den du fährst, gewinnst du mehr Sicherheit. Und wenn die Fahrprüfung auf Anhieb nicht klappt, versuchst du es eben ein zweites Mal.“
„Warum ist es dir denn so wichtig, dass ich den Führerschein mache?“
Sie nahm einen Schluck von dem wunderbaren Chablis, der in einem Kübel auf Eis stand. Gelegentlich goss der Kellner diskret nach.
„Weil drei Fahrzeuge darauf warten, von uns bewegt zu werden. Und wenn wir in unser Ferienhaus nach Südfrankreich fahren, möchte ich natürlich, dass wir uns ablösen. Es ist eine lange Fahrt für einen allein.“
„Wir könnten doch fliegen“, schlug Patricia vor.
Richard betrachtete sie eingehend. Seine Stirn war leicht gefaltet.
„Also gut“, sagte er seufzend. „Dann rücke ich mit meinem Geständnis gleich heraus. Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast. Der Grund ist, dass ich nicht so gern im Flieger sitze.“
„Ach wirklich? Und warum?“
Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, begriff sie auch schon, was mit ihm los war. Ihr Lächeln wurde breiter.
„Du hast Angst vorm Fliegen“, stellte sie fest, geradezu glücklich darüber, ihren Verlobten bei einer kleinen Schwäche ertappt zu haben.
„Stimmt – ein bisschen. Natürlich fliege ich, wenn es nicht anders geht. Aber wenn es sich umgehen lässt …“
„Danke für deine Ehrlichkeit. Ich liebe dich. Dass du Flugangst hast, finde ich geradezu rührend.“
„Also, wann nimmst du deine erste Fahrstunde?“
Patricia umsegelte seine Forderung mit Eleganz.
„Jetzt sofort geht es aus Zeitgründen wirklich nicht“, erwiderte sie, faltete den Vertrag sorgsam und ließ ihn in ihrer Tasche verschwinden. „Aber nach unserer Hochzeit fange ich gleich damit an. Versprochen.“
Wenn sie erst einmal verheiratet waren, konnte sie von einer sicheren Warte aus ihr Leiden, das eigentlich gar keins war, angemessen erklären. Jetzt war es dazu noch zu früh.
***
Julia Holl ließ ihren Mann nie ungeküsst aus dem Haus. Diesmal fiel der Abschied besonders zärtlich aus. Ein heimlicher Beobachter hätte kaum geglaubt, dass diese beiden schon ewig zusammen und Eltern von erwachsenen Kindern waren.
„Wenn nichts dazwischenkommt, bin ich mittags zurück. Und dann machen wir uns ein schönes und vor allem ruhiges Wochenende. Aber wir unternehmen auch was. Mach dir darüber schon mal Gedanken.“
Julia schenkte ihm noch ein zuversichtliches Lächeln. Jetzt schon detaillierte Pläne zu machen, das hielt sie für verfrüht, denn die Erfahrung lehrte sie, dass meistens doch alles ganz anders kam.
Stefan konnte als Chefarzt und Klinikleiter nun mal nicht pünktlich nach Hause gehen. Das Krankenhaus, das er von Julias Vater Walter Berling übernommen hatte, war längst zu seinem Lebenswerk geworden, in dem er arbeiten würde bis zu seinem Ruhestand. Und der lag noch in weiter Ferne.
Vielleicht würde Sohn Marc dereinst in die Fußstapfen des Vaters treten. Obwohl das der gemeinsame Wunsch von Großvater Walter und Vater Stefan war, setzten sie den Enkel damit nicht unter Druck.
Der zwanzigjährige Marc, der bereits Medizin studierte, sollte sich ganz frei entscheiden können, welchen Lebensweg er gehen wollte. Ob er die Klinik seines Vaters weiterführen wollte, sich lieber als Arzt mit eigener Praxis niederließ oder in die Forschung ging.
Seine Zwillingsschwester Daniela hatte sich bereits für die Biologie entschieden. Nach Abschluss ihres Studiums wollte sie die Weltmeere erforschen. Ein mehrmonatiges Praktikum in Südamerika hatte sie schon absolviert.
„Pass auf dich auf. Bis bald!“
„Wenn es möglich ist, rufe ich dich zwischendurch mal an“, versprach Dr. Holl.
In der Tür stehend, schaute Julia noch zu, wie der geliebte Mann den Wagen aus der Garage fuhr. An trockenen Tagen fuhr Stefan oft mit dem Fahrrad zur Berling-Klinik, doch heute regnete es. Und diese Wetterlage sollte laut Vorhersage auch bis zum Abend bleiben.
Julia ging ins Haus zurück, um sich mit Cäcilie über einen größeren Einkauf zu beraten. Die Wirtschafterin sorgte schon seit ewigen Zeiten für das Wohl der Familie. Und alle waren damit immer zufrieden gewesen.
Juju, das jüngste der vier Holl-Kinder, hielt sich gern bei Cäcilie in der Küche auf, wo es immer etwas zu probieren oder zu naschen gab. Auch übernahm die Elfjährige gern die Aufgaben der Wirtschafterin, wenn es ums Kuchenbacken ging. Als der mittlere Holl-Sohn Chris fünfzehn wurde, hatte sie ihm eine Schokoladentorte gebacken – ganz ohne Hilfe, wie Cäcilie auf Nachfrage mit ernster Miene wiederholt bestätigte.
Nun trug sich Juju mit dem Gedanken, vielleicht Konditorin zu werden. Eine Idee, für die sie in der Familie viel Beifall bekam. Aber da sie schon über ziemlich viele Berufsmöglichkeiten nachgedacht hatte (zehntausend – mindestens, laut Bruder Chris), sah der Rest der Familie in ihrer Entscheidung nichts Endgültiges.
„Mach noch mal so einen Kuchen“, hatte Chris seine kleine Schwester gebeten, nachdem das letzte Stück verputzt war. „Der war echt lecker.“
„Aber du hast erst nächstes Jahr wieder Geburtstag“, hatte Juju erwidert. „Jetzt sind erst mal die anderen dran. Papa ist der Nächste. Der bekommt einen Topfenkuchen.“
Julia musste schmunzeln, als sie sich an diesen Dialog erinnerte. Sie war froh, die beiden noch bemuttern zu können. Die Zwillinge gingen mehr und mehr ihre eigenen Wege. Eines Tages würde sie mit Stefan einen neuen Lebensabschnitt beginnen, einen ohne die Kinder, aber bis dahin war es hoffentlich noch weit.
Cäcilie hatte schon eine Liste angefertigt. Einige Vorräte mussten aufgefüllt und leere Getränkekisten gegen volle ausgetauscht werden. So ein sechsköpfiger Haushalt verbrauchte große Mengen an Lebensmitteln, Milch und Säften.
Sie besprachen noch kurz die Menüfolge der kommenden Woche, dann machte sich Julia mit dem wendigen Kleinwagen auf den Weg. Das Fahrzeug diente ihr zum Einkaufen und zum Transport eines der Kinder.
Meistens war es Juju, die zum Sport oder zum Klavierunterricht gefahren wurde. Julia wollte nicht, dass ihre Jüngste die längeren Strecken allein bewältigte, zumal jetzt die Tage schon wieder kürzer wurden und einige Stunden am frühen Abend stattfanden.
Julia fuhr in die Tiefgarage eines Einkaufszentrums, wo sie Stefans Schwester Beatrix begegnete, die ihr wortreich erzählte, dass sie unbedingt neue Schuhe brauchte, aber bis jetzt noch nichts Passendes gefunden hatte.
„Wir zwei sollten jetzt erst mal einen Kaffee trinken“, schlug sie vor. „Komm, ich lade dich ein.“
Julia ließ sich nur zu gern von der charmanten Schwägerin zu einem Schwätzchen überreden. Die Einkäufe konnten warten. Bei der Gelegenheit erfuhr sie, dass ein Cousin von Trixis Mann Axel demnächst heiraten würde.
„Und stell dir vor, seine zukünftige Frau arbeitet in Stefans Klinik.“
„So genau kenne ich mich in Stefans Personalpolitik nicht aus“, wandte Julia ein und nippte an ihrer Tasse. „Gelegentlich erzählt er mal was über neue Kollegen, aber das ist eher die Ausnahme.“
„Sie heißt Patricia, ihren Nachnamen weiß ich nicht. Aber den Mann, den sie heiraten wird, kennst du auch. Richard von Feldern … bei unserem letzten Gartenfest hat er flammende Reden für Investitionen in neue Windräder rund um München gehalten.“
„Richtig, ich erinnere mich.“ Julia nahm noch einen Schluck Kaffee. „Ehrlich gesagt kam er mir ziemlich überheblich vor.“
„Kann schon sein. Wenn er einmal von etwas überzeugt ist, bügelt er die Meinungen anderer gnadenlos nieder. Ich hab ihn schon einige Male so erlebt.“
„Ja, genauso kam es mir auch vor.“
„Seine Verlobte hat sich mit ihm einen Goldfisch geangelt“, fuhr Beatrix fort. „Seine Eltern sind sehr wohlhabend. Sie haben eine große Villa in Bogenhausen. Die Familie ist Eigentümerin der Feldern-Bank. Da gibt es ordentlich was zu erben. Der Vater hat sich zur Ruhe gesetzt. Der Sohn arbeitet im Investmentgeschäft und hat viel in Frankfurt zu tun.“
„Na ja, vielleicht ist ja auch ein bisschen Liebe im Spiel“, meinte Julia etwas spöttisch und nahm sich vor, Stefan wegen der neuen Mitarbeiterin zu fragen.
***
„Dann fangen Sie also am Montag bei uns an.“ Dr. Holl musterte die junge Ärztin wohlwollend. Sie war eine sehr ansehnliche Person. Das blonde Haar hatte sie zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkte wie eine der Studentinnen, die ein Praktikum in der Klinik ablegten. Aber so viel älter war sie ja auch nicht.
„Sobald Sie sich bei uns ein wenig eingearbeitet haben, dürfen Sie bei ausgewählten Operationen assistieren. Ich gebe Ihnen vorher kurz Bescheid, wann Sie sich zur Verfügung halten müssen.“
Patricia nickte aufgeregt, sodass der Pferdeschwanz wippte.
„Danke, Dr. Holl“, sagte sie, musste sich wegen ihrer trockenen Kehle aber gleich räuspern. „Ich versichere Ihnen, dass ich mein Bestes geben werde. Ich bin sehr glücklich, dass ich hier in Ihrer Klinik meine Erfahrungen sammeln darf.“
„Von allen Mitarbeitern erwarte ich, dass sie während des Dienstes voll einsatzbereit sind. Und wenn Sie gelegentlich Überstunden machen können, so wird das hier gern gesehen.“
Stefan nahm ihre Personalakte in die Hand.
„Ein vorbildlicher Lebenslauf“, sagte er anerkennend. „Und alle Zeugnisse sind komplett vorhanden.“
Noch einmal las er das persönliche Empfehlungsschreiben des Doktorvaters, Professor Erich Kern. Der Mann war ihm persönlich bekannt.
„Wie ich sehe, arbeiten Sie noch an Ihrer Doktorarbeit?“
„Ja, darin will ich die Komplikationen nach Pankreasoperationen statistisch auswerten.“
„Lassen Sie sich nur Zeit. Hier im Haus stehen Ihnen genügend Daten zur Verfügung. Und selbstverständlich können Sie mich auch jederzeit ansprechen, wenn Sie ein Problem oder Fragen haben“, bot Stefan Holl ihr an.
Patricia fühlte sich rundum glücklich. Genauso einen Berufsanfang hatte sie sich immer gewünscht. Hier war sie zweifellos richtig.
„Gesundheitliche Probleme gibt es keine? Allergien gegen Latex oder so was in der Richtung?“
„Nein, ganz und gar nicht“, sagte Patricia schnell. Was auch der Wahrheit entsprach. Wenn sie regelmäßig ihre Medikamente nahm, konnte ihr nichts passieren.
Dr. Holl erhob sich und reichte ihr die Hand.
„Dann auf gute Zusammenarbeit, Frau Bach. Ich freue mich, Sie bei uns zu haben. Am Montag stelle ich Sie den Kollegen vor. Keine Angst, sie sind alle umgänglich und hilfsbereit.“
Wie auf Wolken verließ Patricia wenig später die Berling-Klinik. Richard wartete im Wagen auf sie. Sie riss die Tür auf, schwang sich neben ihn und fiel ihm gleich um den Hals.
„Das Gespräch mit Dr. Holl war super. Er ist so ein sympathischer Mann. Und ich bin glücklich, dass ich bei ihm arbeiten darf.“
Richard hob die Brauen an, aber in seinen Augen lag Zustimmung.
„Muss ich jetzt eifersüchtig werden?“
„Aber nein, er ist ja viel älter als ich. Ich könnte seine Tochter sein …“
Im nächsten Augenblick biss sie sich auf die Lippen. Das war vielleicht keine kluge Bemerkung gewesen. Auch der Altersunterschied von dreizehn Jahren zwischen ihr und Richard war ja beträchtlich.
„Schon gut, mein Engel, ich nehme dir nichts übel.“ Er zwickte sie sanft ins Kinn. „Aber jetzt sollten wir uns beeilen. Meine Eltern warten mit dem Essen auf uns.“
Schwungvoll fuhr der Wagen an, um bei der Ausfahrt rechts abzubiegen. In diesem Moment fuhr ein Radfahrer auf das Fahrzeug zu.
Der Mann streifte kurz den Wagen, schwankte leicht, blieb aber auf dem Sattel sitzen.
„Verdammt!“ Richard riss die Tür auf, die dem Radfahrer unsanft ans Bein schlug.
„He, was fällt Ihnen ein?“, rief der Mann.
Doch der Protest prallte an Richard ab. Er interessierte sich nur dafür, ob sein Wagen womöglich einen Kratzer abbekommen hatte. Das Fahrzeug war jedoch unversehrt.
„Können Sie nicht aufpassen?“, fuhr er den Radfahrer jetzt an.
Der dunkelhaarige Mann auf dem Bike versuchte ruhig zu bleiben, obwohl sich sein Gesicht rötete.
„Sie waren viel zu schnell in der Ausfahrt“, hielt er Richard vor. „Falls es Ihnen entgangen ist, Sie befinden sich immer noch auf dem Parkplatz der Klinik. Hier ist Schritttempo angesagt.“ Mit der Hand deutete er auf das entsprechende Schild, das sich nur wenige Meter entfernt befand. „Oder können Sie nicht lesen?“
Patricia erhob sich ebenfalls von ihrem Sitz, doch als sie feststellte, dass nichts Gravierendes geschehen war, ließ sie sich wieder zurücksinken.
Jetzt bloß keine Auseinandersetzung mit dem Fremden, dachte sie. Ein solch sinnloser Streit würde den ganzen Tag verderben. Sie kannte Richard gut genug, um zu wissen, dass er auch noch in einigen Stunden immer wieder auf diesen Vorfall zurückkommen würde.
„Von Ihnen muss ich mir keine Belehrungen anhören“, empörte sich soeben ihr Verlobter. „Sie waren es doch, der die Kurve geschnitten hat.“
Seufzend stieg Patricia aus und schaute über das Autodach auf die andere Seite.
„Bitte, Richard, lass es gut sein. Wir kommen noch zu spät.“
Der Mann auf dem Rad warf ihr einen abfälligen Blick zu. Dann zog er sein Handy aus der Jackentasche und fotografierte das Fahrzeug und die Autonummer.
„Für alle Fälle“, sagte er. „Vielleicht habe ich ja eine Prellung am Bein. Dann hören Sie von mir.“
Nach diesen Worten trat er wieder in die Pedale und fuhr zum Nebeneingang der Klinik, wo sich die Fahrradständer für die Mitarbeiter befanden.
„Unverschämter Kerl“, knurrte Richard und nahm wieder hinter dem Steuer Platz. „Am liebsten hätte ich dem Schnösel eine Watschen verpasst. Kommt hier reingeschossen und zwingt mich zu bremsen.“
„Reg dich nicht auf. Es ist ja nichts passiert.“
„Es hätte aber was passieren können. Gerade solche Radfahrer benehmen sich im Straßenverkehr wie die Irren. Der gehört auch dazu. Wahrscheinlich ist er einer von diesen wild gewordenen Kurieren.“
Er fuhr wieder an, doch erst, als sie an der dritten Ampel standen, hatte er sich etwas beruhigt.
„So ein Depp“, sagte er mit einem geringschätzigen Lächeln. „Sollte er es wagen, noch Forderungen zu stellen, bekommt er was von mir zu hören.“
„Jetzt lass uns über was anderes reden“, verlangte Patricia. „Hast du schon Blumen für deine Eltern besorgt?“
„O Gott, das habe ich vergessen …“
„An der nächsten Ecke ist ein Blumengeschäft. Halte kurz an.“
„Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Richard erspähte einen Parkplatz, trat auf die Bremse und zog Patricia an sich. „Entschuldige bitte, dass ich so aufgebraust bin, aber dieser Kerl war wirklich im Unrecht.“
„Ich bin ganz deiner Meinung“, versicherte sie ihm. Bevor sie ausstieg, drückte sie seinen Arm. „Bin gleich wieder zurück.“
Als sie dann Minuten später mit einem prächtigen Strauß zurückkehrte, lächelte er versöhnlich. Der dumme Streit mit dem Fremden war hoffentlich vergessen.
***
Sie hatten die Villa in Bogenhausen noch nicht erreicht, als Patricias Handy läutete. Da ihr die Nummer nicht bekannt war, nahm sie das Gespräch entgegen.
„Hallo, du Treulose. Wieso höre ich nichts mehr von dir? Ich habe schon öfter versucht, dich zu erreichen. Leider erfolglos. Wieso gehst du nicht ans Telefon?“
Hanna, auch das noch! Patricia verspürte nicht viel Lust, mit der Freundin jetzt ein längeres Gespräch zu führen.
„Tut mir leid, meine Liebe, aber mein Handy war kaputt, ich musste mir erst ein neues besorgen. Dann wiederum hat die Simkarte nicht gepasst … und überhaupt war ich mitten im Stress wegen meiner Doktorarbeit.“
Eigentlich hatte sie sich dem Zugriff der Freundin entzogen, aber aus gutem Grund kam ihr die Wahrheit jetzt nicht über die Lippen. Sie wusste, dass sie irgendwann Farbe bekennen musste, doch sie schob die Beichte lieber noch ein wenig in die Zukunft. Um von sich selbst abzulenken, erkundigte sie sich nach Hannas Befinden.
„Wie es einer verlassenen Frau eben so geht“, kam es in weinerlichem Ton zurück.
„Bist du immer noch nicht drüber hinweg?“ Patricia warf Richard einen schnellen Blick zu und bedeutete ihm mit dem Zeigefinger auf den Lippen, besser zu schweigen.
„Ich werde ihn immer und noch in hundert Jahren vermissen“, erwiderte Hanna. „So gern würde ich noch mal mit ihm reden, aber er will nicht. Wenn ich doch wenigstens wüsste, warum unsere Beziehung zerbrochen ist.“
„Mach dir nicht so viele Gedanken, Hanna! Menschen trennen sich nun mal, wenn ihnen die Liebe abhandengekommen ist.“
Der tiefe Schluchzer aus dem Telefon versetzte Patricia in Mitleid – wenn auch nur in Maßen. Gerade sie konnte in diesem Fall nichts für ihre Freundin tun.
„Aber ich liebe ihn ja immer noch. Das möchte ich ihm sagen. Er soll wissen, dass er jederzeit zurückkommen kann. Ich warte auf ihn. Er war und ist meine große Liebe.“
Patricia nahm einen tiefen Atemzug.
„Du, Hanna, ich muss jetzt Schluss machen.“
„Ich höre schon, dass du unterwegs bist. Sitzt du im Auto? Du darfst doch gar nicht fahren …“
„Tu ich auch nicht. Ein Bekannter bringt mich gerade nach Hause. Ich melde mich wieder.“
„Vergiss es nicht.“
„Versprochen“, fügte Patricia noch hinzu, bevor sie das Gespräch beendete.
„Wer war das?“, fragte Richard. Sie warf ihm nur einen kurzen Blick zu und sah, dass er Bescheid wusste.
„Hanna. Du hast es aus meinen Worten ja schon gehört.“ Patricia ließ das Handy in ihre Manteltasche gleiten. „Irgendwann wird sie es erfahren. Wir können ihr das nicht ewig verheimlichen.“
„Das hat noch Zeit“, widersprach Richard. „Vorerst solltest du abgetaucht bleiben. Wenn wir erst verheiratet sind, ist immer noch Zeit für ein Geständnis. Von mir erfährt sie jedenfalls nichts. Und ich werde auch nicht mit ihr reden.“
„Wir lieben uns“, sagte Patricia, als müsse sie die Situation noch mal ganz klar gegen alle Zweifel darstellen. „Und der Liebe entkommt man nun mal nicht.“
Das war zwar nicht ganz richtig, aber es hörte sich besser an. Ja, es war Tatsache, sie hatte sich vor sechs Monaten in Hannas Freund Richard verliebt. Tatsache war aber auch, dass sie dann alles tat, um ihn für sich zu gewinnen. Dass Hanna leiden würde, tat ihr zwar leid, aber sie konnte es nun mal nicht ändern.
Sie hatte Erfolg. Richard verließ Hanna. Und seitdem war sie, Patricia, mit ihm glücklich. Manchmal leistete sie im Stillen Abbitte bei Hanna. Das half der Freundin nicht viel, aber sie selbst fühlte sich dann ein wenig besser.
„Bist du sicher, dass sie nichts ahnt?“
„Mach dir keine Sorgen. Seit sie in Prien arbeitet, kriegt sie nicht mehr mit, was in München geschieht. Und wenn sie eines Tages das mit uns erfährt, wird sie dich schon verschmerzt haben.“
„Bist du sicher? Einen wie mich vergisst man nicht“, meinte er mit einem schelmischen Grinsen.
„Hanna ist eine hübsche Person. Sie wird schon Ersatz für dich finden. Vielleicht sogar einen flotten Arzt in der Chiemgau-Klinik? Ich wünsche es ihr jedenfalls“, fügte sie generös hinzu und kam sich gleich wieder etwas großmütiger vor.
Endlich erreichten sie die Villa der von Felderns in Bogenhausen. Der weiße Kies knirschte leise unter den breiten Reifen des Fahrzeugs.
Patricia warf einen Blick auf das Haus. Sie war schon einmal hier gewesen, als Richards Eltern ein großes Gartenfest gaben. Die Eltern waren recht freundlich zu ihr gewesen, allerdings ahnten sie zu dieser Zeit noch nicht, dass ihr Sohn eine Affäre mit der jungen Ärztin hatte. Und nun mussten sie akzeptieren, dass aus dieser Affäre eine Liebesbeziehung geworden war.
Richard drückte sie an sich, bevor sie ausstiegen.
„Lass dich von den beiden nicht verunsichern. Sie wirken manchmal etwas überheblich, obwohl sie es gar nicht sind. Mutter wird dich als Schwiegertochter akzeptieren.“ Er grinste jungenhaft. „Was anderes bleibt ihr auch nicht übrig, denn dich gebe ich nicht mehr her. Du wirst die Mutter meiner Kinder sein.“
Patricia musste schlucken. War es ihm wirklich so wichtig, dass schon so bald Nachwuchs kam? Sie hatte es damit nicht eilig. Mit fünfundzwanzig Jahren blieb ihr noch genug Zeit, sich für ein Kind zu entscheiden. Zurzeit nahm sie die Pille, um eine Schwangerschaft zu verhüten. Richard wusste davon noch nichts. Aber sie hatte vor, es ihm zu sagen.
Jetzt blieb keine Zeit mehr für Diskussionen. Richards Mutter erschien in der großen Eingangstür und hob beide Arme zur Begrüßung.
„Wir sollten aussteigen. Sie wartet nicht gern.“
Obwohl Patricia etwas beklommen zumute war, brachte sie ein gewinnendes Lächeln zustande.
„Willkommen, meine Liebe“, sagte Inga von Feldern und nahm die Besucherin gleich in den Arm. „Schön, dass du da bist. Wir haben uns schon sehr auf dich gefreut.“
Patricia fiel ein so großer Stein vom Herzen, dass sie schon fürchtete, Richards Mutter könnte es hören. Mit so viel Herzlichkeit hatte sie nicht gerechnet, schon gar nicht bei ihrem Antrittsbesuch.
Auch der Hausherr erschien, um Sohn und Freundin zu begrüßen. Bevor sie das Haus betraten, zwinkerte Richard ihr zu. Klappt doch alles bestens, sagte sein Blick. Du hast gewonnen. Sie mögen dich.
***
„Ich hörte, du hast eine neue Mitarbeiterin“, sagte Julia zu ihrem Mann, nachdem sie gemeinsam mit Chris und Juju zu Abend gegessen hatten.
Nun befanden sich die beiden Kinder in ihren Zimmern. Juju musste noch eine „klitzekleine Kleinigkeit“ an Hausaufgaben erledigen, wie sie es ausdrückte, und Chris musste unbedingt sein neues Computerspiel ausprobieren.
Vor einer Stunde hatte Marc aus Nizza angerufen und der Familie vom schönen Wetter vorgeschwärmt. Daniela traf sich gerade in München mit einem jungen Mann, machte vorerst aber noch ein großes Geheimnis darum. Dabei hätte Juju so gern gewusst, was das für einer war, wo er herkam und wie die große Schwester diese Beziehung einschätzte. Doch Dani hielt sich bedeckt. Nur den Namen ließ sie sich entlocken. Er hieß Marcel.
„Oh, dann ist er Franzose“, hatte Juju gejubelt. „Sag bloß, der kommt aus Paris. Dort wollten wir doch schon immer mal hin.“ Doch zu ihrem Leidwesen beließ Dani es bei dieser Auskunft und entschwand mit einem vielsagenden Lächeln.
Nun war Juju keine Spur schlauer, was Danis Liebesleben anbelangte. Leicht maulend hatte die Jüngste ihr Zimmer aufgesucht, während Julia und Stefan es sich im Wintergarten bequem machten. Hier wollten sie den Tag bei einem Glas Rotwein ausklingen lassen.
„Wir haben ja öfter neue Mitarbeiterinnen“, erwiderte Dr. Holl auf die Frage seiner Liebsten. „Meinst du eine ganz bestimmte?“
„Sie heißt Patricia. Trixi hat mir davon erzählt. Sie ist besser auf dem Laufenden als ich.“
Stefan schmunzelte. Er wusste, dass Julias Vorwurf nicht ernst gemeint war.
„Meine Schwester plaudert gern, das weißt du doch. Aber ja, es stimmt. Wir haben eine neue Assistenzärztin. Patricia Bach. Sie ist jung und hübsch, wirkt sehr aufgeschlossen und macht einen sympathischen Eindruck. Ob sie auch gut ist, kann sie in der Probezeit beweisen. Ihre Zeugnisse sind jedenfalls vielversprechend.“
Stefan nippte an seinem Glas, ehe er noch etwas hinzufügte.
„Ich werde sie der Chirurgie zuteilen. In dem Bereich will sie sich spezialisieren und auch ihren Facharzt machen.“
„Sie soll mit Richard von Feldern liiert sein.“
Stefan dachte kurz nach und hob die Schultern an.
„Kenne ich nicht.“
„Dabei hast du ihn schon gesehen. Er war unter den Partygästen deiner Schwester.“
„Trixis Freundes- und Bekanntenkreis ist unermesslich groß“, sagte Stefan mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Da schaffe ich es beim besten Willen nicht, mich an jeden zu erinnern.“
„Laut Trixi soll er ziemlich gut betucht sein.“
„Ich habe nichts dagegen.“ Stefan ließ ein gemütliches Gähnen hören. Mehr als ein Glas trank er nicht. Morgen früh hatte er eine wichtige Besprechung, bei der es um die Anschaffung neuer medizinischer Apparate ging. An erster Stelle auf seiner Wunschliste stand ein neues Bestrahlungsgerät, das im Dienste der Patienten noch genauer, effektiver und schneller arbeitete.
Investitionen in modernste High-Tech-Geräte würden wesentlich zum hohen internationalen Standard seiner Klinik beitragen. Sie boten nicht nur einen Qualitätssprung in der Radio-Onkologie, sondern gleichzeitig auch ein zielgenaueres Verfahren der bildgestützten Radiotherapie im Kampf gegen den Krebs.
„Wo bist du mit deinen Gedanken?“, drang Julias Stimme in seine Überlegungen.
„Beim Geld“, erwiderte Stefan trocken. „Geld, das wir von verschiedenen Seiten für die Klinik brauchen. Aber keine Angst, ich bin gut vorbereitet.“
„Daran zweifele ich keine Sekunde“, sagte Julia. Niemand auf der Welt kannte ihren Mann so gut wie sie. Wenn er sich ein Ziel gesteckt hatte, dann erreichte er es auch. Manchmal auf Umwegen, aber er kam immer an.
Stefan leerte sein Glas.
„Damit ich morgen frisch bin, lege ich mich aufs Ohr.“
„Ich komme gleich nach“, sagte Julia und schaute noch mal in Jujus Zimmer. Das Nesthäkchen der Familie schlief bereits. Die Mutter lächelte zufrieden. Leise schloss sie wieder die Tür.
***
Patricia begann ihren Dienst in der Klinik-Ambulanz unter der Aufsicht des Kollegen Jan Jordan, der die schöne Kollegin nur zu gern unter seine Fittiche nahm. Es war nicht viel los an diesem Oktobertag. Nach einer langen Schlechtwetterperiode sollten nun endlich die goldenen Tage dieses Monats beginnen.
Patricia bekam gerade eine Nachricht von Richard.
„Ich liebe dich“, schrieb er. „Nur mit dir bin ich glücklich.“
Mit einem stillen Lächeln ließ sie das Handy in die Tasche ihrer Tunika zurückgleiten. Der Tag bei seinen Eltern war recht nett gewesen.
Irgendwann, so viel war ihr klar, musste sie Richard natürlich auch ihrer Mutter vorstellen, wollte aber ein Treffen so lange wie möglich hinauszögern. Mama war leider sehr mitteilungsfreudig, was für Patricia zum jetzigen Zeitpunkt unangenehm werden könnte. Sie musste Mama klarmachen, dass sie gewisse Dinge nicht ansprechen durfte, aber das ließ sich mit ihr nur unter vier Augen klären und nicht am Telefon.
Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Er war vor ihrer Geburt gestorben. Zwischen ihr und ihrer Mutter, die nun in Ingolstadt lebte, wo sie als Sekretärin arbeitete, bestand ein ziemlich kompliziertes Verhältnis.
Sie sahen sich ausgesprochen selten, auch wenn zwischen ihnen nur etwas mehr als achtzig Kilometer lagen. Wenn sie sich trafen, ging in der ersten Stunde ihres Zusammenseins alles glatt. Sie erzählten sich, was in den letzten Monaten passiert war, und versuchten, Unangenehmes zu umgehen.
Dann aber fielen die ersten gefährlichen Stichworte, die sofort Spannungen auslösten. Und je größer die Gefahr unüberbrückbarer Differenzen wurde, umso rascher kehrte Patricia wieder nach München zurück. Meistens sogar am selben Tag, obwohl eigentlich geplant war, bei Mama zu übernachten.
Dafür fand Patricia dann auch schnell die passenden Gründe. Früher war es das Studium mit den vielen Prüfungen, später die Doktorarbeit, die sie bald abliefern musste. Und jetzt kam noch der aufreibende Job in der Berling-Klinik hinzu, den sie immer anführen konnte, um das Zusammensein mit Mama zu beenden – oder es gar nicht erst stattfinden zu lassen.
Weil Gisela Bach nach der Geburt ihres Kindes allein für den Lebensunterhalt sorgen musste, wuchs Patricia bei ihrer Großmutter in dem Haus auf, in dem heute ihre Mutter lebte.
Noch heute fehlte ihr Omi Gerlinde, die vor fünf Jahren gestorben war. Diese liebevolle und kluge Frau hatte auf viele Fragen ihrer Enkelin meistens eine plausible Antwort gewusst. Mama kam immer nur mit Geschenken, über die sich Patricia natürlich freute, aber wirklich vertraut wurde sie mit ihrer Mutter nie. Eigentlich bis heute nicht.
Außerdem nahm Patricia ihr noch übel, dass sie nach Omis Tod im Haus so viele Veränderungen vorgenommen hatte. Modernisierungen, wie sie es nannte. Patricia hätte gern alles so gelassen, wie es war.
„Wenn Sie lange genug geträumt haben, dürfte ich Sie dann bitten, Ihre Meinung zu einer Patientin abzugeben?“
Die junge Ärztin zuckte zusammen, als habe man sie gerade bei einer Schandtat erwischt. Und ein bisschen war die Situation ja auch so. Vor lauter Ärger über ihren unpassenden Gedankenausflug rötete sich ihr Gesicht. Dass ihr das passieren musste! Sie war doch nicht hier, um über private Dinge nachzusinnen.
Richard brachte sie noch vollkommen aus dem Gleichgewicht. Sie sollte sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren. Hier in der Ambulanz konnte sie die unterschiedlichsten Erfahrungen mit Patienten machen, die wegen offener Verletzungen, Knochenbrüchen und ausgerenkten Schultern sofort behandelt und wenn nötig den entsprechenden Abteilungen zugewiesen wurden.
„Selbstverständlich, entschuldigen Sie bitte.“
„Keine Ursache“, meinte Dr. Jordan mit der Andeutung eines Lächelns. „Die Patientin hat sich vor ein paar Tagen während der Gartenarbeit am Unterarm verletzt. Dabei entstand eine leichte Schürfwunde. Seit gestern machen ihr Verkrampfungen in Armen und Beinen zu schaffen. Was ist zu tun?“
Es gefiel ihm offensichtlich, sich als Prüfer aufzuspielen.
Patricia nahm ihm das auch nicht übel. Sie spürte, wie ein Ruck durch ihren Körper ging, hoffte aber, dass der Kollege das nicht bemerkte.
„Wann war das?“
„Vor zwei Tagen.“
„Könnte das Bakterium Clostridium tetani sein“, erwiderte Patricia hastig. „Obwohl … Wundstarrkrampf kommt bei uns selten vor.“
„Ist aber nicht ausgeschlossen. Und trotz moderner Intensivmedizin sterben immer noch zwanzig Prozent der Infizierten. Die Patientin ist fünfundsechzig Jahre alt.“
„Und regelmäßig gegen Tetanus geimpft?“
„Sie glaubt ja, weiß aber nicht, wie lange die letzte Impfung zurückliegt“, erwiderte Dr. Jordan mit einer Spur Zufriedenheit im Gesicht.
Was Patricia signalisierte, dass sie die richtigen Antworten gegeben hatte.
„Die Wunde muss gründlich gesäubert werden. Übernehmen Sie das, Frau Kollegin.“
Die Frau lag auf einer Behandlungsliege. Patricia begrüßte die Patientin freundlich und begann mit der Behandlung. Auch sie fragte noch mal nach der letzten Impfung, doch die verletzte Frau erinnerte sich nicht. Trotz der bereits auftretenden Muskelverspannungen wollte sie die Sache auf die leichte Schulter nehmen.
„Wir sollten sofort nachimpfen und Antikörper geben“, sagte Patricia und schaute den älteren Kollegen fragend an.
Falls Giftstoffe durch die Wunde eingedrungen waren, konnte diese Therapie deren Ausbreitung im Körper verhindern. Das Gefährliche bei dieser Infektion war nicht der Erreger selbst, sondern die Toxine, die er produzierte. In fortgeschrittenem Stadium verkrampfte der Körper vollständig, sodass sich die Betroffenen nicht mehr bewegen konnten. Schlimmstenfalls wurde auch die Atemmuskulatur befallen, sodass der Erstickungstod drohte.
„Richtig“, bestätigte Dr. Jordan zu Patricias großer Erleichterung. „Welche Möglichkeiten gibt es noch, bevor wir diese Behandlung beginnen?“
Die junge Ärztin aktivierte ihre grauen Gehirnzellen und erinnerte sich an einen neuen Schnelltest, von dem sie gehört hatte. Mit Hilfe dieses Tests konnte man sofort erkennen, ob bei einem Patienten die Wirkung des Impfstoffes noch anhielt oder nicht.
„Es gibt da ein neues Verfahren …“
Jetzt war Dr. Jordan sehr zufrieden.
„Richtig. Sie bekommen eine Zwei plus. Bevor wir also Antikörper in die Venen injizieren, schauen wir mal, ob das überhaupt nötig ist. Entnehmen Sie einen Tropfen Blut aus der Fingerkuppe. In zehn Minuten wissen wir mehr.“
Der Kollege hielt schon das Päckchen mit den nötigen Test-Utensilien in der Hand und reichte es ihr. Mit einer Mini-Lanzette entnahm sie einen Tropfen Blut und verstrich ihn auf der Testplatine. Ein Verdünnungspuffer kam hinzu. Jetzt mussten sie nur noch warten.
„Erst wenn wir feststellen, dass bereits Toxine durch die Wunde eingedrungen sind, geben wir Antikörper“, erklärte Patricia der Patientin. „Diese Antikörper verhindern einen möglichen Ausbruch der Erkrankung oder schwächen sie zumindest ab.“
„Ist das wirklich alles nötig, Kindchen?“ Die Frau machte einen verunsicherten Eindruck. „Eigentlich wollte ich nur, dass die Wunde desinfiziert und ordnungsgemäß verbunden wird.“
„Eine Tetanus-Infektion kann sehr gefährlich sein. Und genau darum wollen wir alles ganz genau wissen.“
Der Test ergab, dass sich keine Giftstoffe im Körper befanden. Patricia empfand Erleichterung, und auch die Frau freute sich, dass ihr weitere Unannehmlichkeiten erspart blieben.
„Ich glaube kaum, dass in meiner Gartenerde ein so gefährliches Zeug schlummert“, meinte die Patientin jetzt schon viel selbstbewusster. Zufrieden betrachtete sie den Verband, den Patricia fachgerecht anlegte.
„Das ist leider ein Irrtum“, wurde sie umgehend von Dr. Jordan korrigiert. „Tetanus kommt auf der ganzen Welt vor. Und in Ländern, in denen es keinen Impfschutz gibt, sterben die Menschen in viel größerer Zahl als hier. Ich schlage vor, Sie ziehen Ihren Impfpass zurate. Und wenn die Impfung gegen Tetanus mehr als zehn Jahre zurückliegt, gehen Sie gleich zu Ihrem Hausarzt, damit er den Schutz erneuert.“
Die Patientin machte nicht den Eindruck, als ob sie diesen medizinischen Rat befolgen würde. Aber mehr als ihr gut zuzureden, konnte Jan nicht tun.
Am Nachmittag wurden sie von zwei Kollegen abgelöst.
„Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“, erkundigte sich Jan, der sich offensichtlich von der attraktiven Kollegin etwas mehr erhoffte. Aber zunächst wollte er abwarten, wie sie auf seinen Flirtversuch reagierte.
Patricia war einverstanden. Bis zum Treffen mit Richard blieben noch zwei Stunden. Sie gingen in die Cafeteria. Die Getränke musste man an der Theke selbst holen. Mit der Tasse in der Hand deutete er mit dem Kopf auf einen Tisch, an dem schon jemand saß.
„Kommen Sie“, raunte er seiner jungen Kollegin zu. „Ich mache Sie gleich mal mit unserem Oberarzt bekannt.“
Sie folgte ihm arglos, stellte ihre Tasse auf der Tischplatte ab und schaute auf den Mann – und augenblicklich wurden ihr die Knie weich.
„Darf ich bekannt machen. Das ist Frau Bach, unsere neue Kollegin. Sie beginnt gerade, praktische Erfahrungen zu sammeln. Oberarzt Dr. Siebrecht, chirurgische Abteilung.“ Er grinste jungenhaft. „Wenn Sie sich gut mit ihm stellen, dürfen Sie ihm sicher bald mal assistieren.“
Patricia konnte es kaum glauben. Oh nein, dachte sie entsetzt, das darf nicht wahr sein. Vor ihr saß der Radfahrer, über den sich Richard so aufgeregt und den er als Schnösel bezeichnet hatte. Wo war das Mauseloch, in dem sie blitzartig verschwinden konnte?
***
„Wie findest du die Kleine?“ Inga von Feldern zerlegte ihren Teekuchen in kleine Stücke, ohne davon zu essen. Nachdem sie ganze Arbeit geleistet hatte, betrachtete sie eine Weile die Zerstörung auf ihrem Teller. Schließlich schob sie ihn weg.
Sie mochte keinen Teekuchen, schon gar keinen mit Rosinen. Ihre Wirtschafterin wusste das. Warum sie ihn dennoch auftischte, war Inga ein Rätsel. Entweder war Wanda boshaft, oder sie wurde allmählich dement. Das eine wie das andere verhieß nichts Gutes.
Herbert musterte seine Frau erstaunt und suchte dann nach einer Antwort, die seiner Frau gefiel.
„Kleine ist gut“, meinte er. „Sie ist so groß wie unser Sohn. Wenn sie hohe Absätze trägt, sogar noch größer.“
„Kleine bezog sich auch eher auf ihre inneren Werte.“
„Wieso? Kennst du die? Ich fand sie ganz nett. Sie ist Ärztin, das heißt, sie hat Abitur und ein Studium hinter sich. Und ich finde, sie tut unserem Sohn gut.“
„Und wenn sie sich nur wegen seines Geldes an ihn gehängt hat?“
Herbert blies die Backen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen.
„Du lieber Himmel, das vermutest du bei allen Frauen, die er mitbringt. Sei doch nicht so misstrauisch.“
„Bin ich ja gar nicht“, erwiderte Inga schnippisch. „Ich will nur nicht, dass unser Sohn unglücklich wird.“
„Er ist bald vierzig“, erklärte Herbert trocken. „Meinst du nicht auch, dass er selbst herausfinden kann, welche Frau zu ihm passt und welche nicht?“
„Bis jetzt ist ihm das jedenfalls nicht gelungen. Mit Frauen hat er immer Pech gehabt. Auf eine gewisse Weise ist er naiv geblieben, trotz seiner beruflichen Erfolge. Ich weiß das. Niemand kennt ihn so gut wie ich. Ich bin seine Mutter.“
„Willst du sie ihm ausreden? Bitte, nur zu. Tu, was du nicht lassen kannst, aber rechne nicht mit meinem Beistand. Ich für meinen Teil mische mich da nicht ein. Richard muss selbst entscheiden, mit wem er den Rest seines Lebens verbringen will.“
„Er ist unser einziger Sohn!“, rief Inga empört, als sei diese Tatsache etwas vollkommen Neues.
„Ist mir durchaus bekannt“, spottete Herbert, dem es nichts ausmachte, die Nerven seiner Frau noch ein wenig mehr zu strapazieren.
„Dann musst auch du nur das Beste für ihn wollen!“
Herbert liebäugelte mit einem weiteren Stück Kuchen. Doch da Inga ihn dann wieder an seinen Bauchumfang erinnert hätte, verzichtete er.
„Ich wüsste nicht, was an dieser jungen Frau auszusetzen wäre. Warte doch erst mal ab, wie sich die Sache entwickelt.“
„Wie sich die Sache entwickelt?“ Ingas Stimme nahm Sirenenlautstärke an. „Er hat ihr einen teuren Ring gekauft. Sagt das nicht genug?“
Herbert zog die Schultern hoch.
„Es ist sein Geld. Hör auf, ihn zu bevormunden. Er wird es sich ohnehin nicht gefallen lassen. Lass ihm doch diese Frau. Vielleicht bekommen die beiden bald Nachwuchs. Dann kannst du endlich dein heiß ersehntes Enkelkind im Arm halten.“
„Darum geht es mir gar nicht. Mit dir kann man wirklich nicht reden.“ Hastig stand Inga auf und verließ den Raum unter heftigem Türenschlagen.
Herbert nutzte die Gelegenheit, sich endlich das ersehnte Kuchenstück zu angeln. Es dauerte nur Sekunden, dann war es verputzt.
***
Patricia musste sich setzen, bevor ihre Knie endgültig nachgaben. Dr. Leo Siebrecht betrachtete die junge Frau neugierig. Jan Jordan nahm den Platz gegenüber von Patricia ein.
„Mit einem Wiedersehen hätte ich nicht gerechnet“, sagte Leo Siebrecht mit einem süffisanten Grinsen. „Schon gar nicht hier in diesen heiligen Hallen. Trotzdem, herzlich willkommen.“
Er reichte ihr sogar die Hand, die sich angenehm anfühlte.
Patricia wurde etwas ruhiger.
„Entschuldigen Sie das Verhalten meines …“ Sollte sie von ihrem Freund oder doch von ihrem Verlobten sprechen? „… Begleiters“, sagte sie schließlich und atmete tief durch. Auf diese Weise hatte sie das Vorkommnis ein wenig neutralisiert. „Er hat es sicher nicht so gemeint. Manchmal ist er ein wenig aufbrausend.“
Jan verstand natürlich kein Wort und schaute neugierig zwischen den beiden hin und her.
„Was war denn los?“
„Nichts Besonderes“, erwiderte Leo Siebrecht und winkte ab. „Eine kleine Meinungsverschiedenheit wegen der Fahrweise auf dem Klinikparkplatz.“
Während der Oberarzt sprach, fand Patricia Gelegenheit, verstohlen seine sympathischen Gesichtszüge zu betrachten.
„Und? Ist doch hoffentlich nichts passiert?“ Jan wandte sich an Patricia. „Saßen sie am Steuer?“
„Nein, mein …“
„Lassen wir das, ist doch jetzt nicht mehr wichtig“, schnitt Dr. Siebrecht ihr das Wort ab. Offensichtlich wollte er in Jans Anwesenheit nicht mehr darüber reden.
Jan wollte es nicht dabei belassen, doch bevor er zu einer neuen Frage ansetzen konnte, läutete sein Telefon. Seine aktuelle Freundin erkundigte sich leicht gereizt, wie lange sie vor dem Klinikeingang noch auf ihn warten solle.
„Bin schon unterwegs“, sagte er beschwichtigend und verabschiedete sich hastig. Seinen Kaffee hatte er nicht angerührt.
„Der Kollege Jordan hat ein Auge auf Sie geworfen“, stellte Leo Siebrecht trocken fest, nachdem Jan verschwunden war. „Kleiner Rat von mir: Machen Sie sich keine Hoffnungen, der will nur spielen. Er gibt gern den Frauenhelden, meint es aber nicht so ernst, wie es aussieht.“
Patricia kratzte die Reste ihres Selbstbewusstseins zusammen.
„Keine Sorge, ich bin nicht hier, um mir einen Mann zu suchen. Ich will arbeiten und Erfahrungen sammeln. Und was den Kollegen Jordan betrifft, ich denke, dass er ein guter Arzt ist, den man vielleicht nicht nur auf seinen Charme reduzieren sollte.“
Puh, das war ihr nicht leichtgefallen, aber jedes Wort hatte gesessen. Jetzt konnte sie stolz auf sich sein.
„Ganz ohne Frage ist er ein guter Arzt.“
Ein Paar sensible Augen schauten sie prüfend an. Sie glaubte sogar ein wenig Anerkennung in ihnen zu lesen. Dr. Siebrecht schien darüber nachzudenken, ob und wie er auf ihren Widerspruch reagieren sollte.
Schließlich wandte er den Blick ab und betrachtete sinnend die übrig gebliebene Kirschtomate auf seinem Teller. Jetzt schien ihn nur noch die Frage zu bewegen, ob er sie essen oder liegen lassen sollte.
Patricia wartete so gespannt auf seine weitere Reaktion, dass sie fast vergaß zu atmen.
„Nächste Woche könnten Sie mir assistieren. Wenn Sie interessiert sind, gebe ich Ihnen die möglichen Termine durch.“
„Natürlich bin ich interessiert.“ Und wie!, fügte sie in Gedanken hinzu. Dem Himmel sei Dank! Vor lauter Glück wollte sie nach Luft schnappen, doch das verschob sie auf einen späteren Zeitpunkt.
Er wollte sie bei sich im OP. Das hieß, dass er ihr nichts nachtrug und ihr trotz des Vorfalls mit Richard gleich eine Chance gab.
„Ich hätte eine Leberresektion oder eine Cholezystektomie anzubieten, was ist Ihnen lieber?“
„Am liebsten beides“, gestand sie. „Aber wenn ich mich für eine entscheiden muss, nehme ich die Leberresektion.“
„Gut, darüber reden wir dann noch.“ Er zückte sein Mobiltelefon. „Sagen Sie mir Ihre Nummer“, befahl er. „Dann teile ich Ihnen rechtzeitig meine Entscheidung mit.“
Sie gehorchte wie ein braves Kind und nannte ihm der Reihe nach die Ziffern, die er direkt bei sich eingab. Vor lauter Dankbarkeit, dass er sie in seinen OP einlud, hätte sie ihm ihren ganzen bisherigen Lebenslauf erzählt, aber davon wollte er sicher nichts wissen.
Jetzt hatte sie den Fuß auf ihre Karriereleiter gesetzt. Zwar befand sie sich noch auf einer der untersten Stufen, aber nun konnte es nur noch weiter nach oben gehen. Vielleicht durfte sie bald auch Dr. Holl assistieren.
Neben der überschäumenden Freude empfand sie aber auch ein wenig Angst vor ihrer eigenen Courage. Nicht eine Sekunde hatte sie jedoch daran gedacht, sein Angebot abzulehnen. Sie war hier, um eine gute Ärztin zu werden. Und dieses Ziel erreichte man nur, wenn man so früh wie möglich mit dem Sammeln von Erfahrungen begann.
„Sie hören von mir.“ Leo Siebrecht stand auf. Ein sehr dunkles Augenpaar musterte sie. Für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete sie schon, er würde sein Angebot widerrufen, doch das tat er nicht.
Bevor er ging, wandte er sich noch einmal um.
„Und sagen Sie Ihrem Begleiter, dass er sich an die Verkehrsregeln auf unserem Parkplatz zu halten hat, sonst bekommt er eine Anzeige.“
„Das wird bestimmt nicht wieder vorkommen“, versicherte Patricia ihm und schenkte ihm das reizendste Lächeln, das sie in dieser Situation aufbrachte. Doch er entfernte sich schnell und sah es nicht mehr.
***
Auch Dr. Holl bot ihr an, einer OP beizuwohnen. Allerdings nicht als Assistentin, sondern zunächst nur als Zuschauerin. Weitere Angebote kamen vom Chefchirurgen Dr. Falk und seinem engsten Mitarbeiter Dr. Wolfram.
Patricia konnte ihr Glück kaum fassen. Einmal mehr empfand sie die Entscheidung für die Berling-Klinik goldrichtig. Sie hatte das gute Gefühl, dass man hier alles tat, um eine junge Ärztin wie sie bei ihrem Berufseinstieg zu fördern.
Allerdings teilte Richard ihren Enthusiasmus nicht. Und als sie ihm erzählte, dass der Radfahrer von neulich Oberarzt in der Berling-Klinik war, fing er gleich wieder an, sich über den Vorfall zu ereifern.
„Ich fahre so, wie es mir passt. Und meinetwegen kann er mich gern anzeigen. Meine Anwälte werden ihm schon zeigen, wo der Hammer hängt.“
„Sei doch nicht so unversöhnlich, bitte!“
„Ich lasse mir von so jemandem doch nichts anhängen. Auch wenn er einen weißen Kittel trägt, ein Gott ist er deswegen noch lange nicht. Oder siehst du das anders?“
Patricia spürte ihr Herz heftig schlagen. Wenn sie die Lage richtig einschätzte, so stand ihnen jetzt die erste ernsthafte Auseinandersetzung bevor. Sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Es ging um den Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Und dafür hatte sie wahrhaftig viel gebüffelt und geschuftet in den letzten Jahren.
Das durfte sie sich nicht kaputt machen lassen, auch von Richard nicht. Er musste begreifen, wie wichtig ihr der Beruf war. Schon als Jugendliche hatte sie davon geträumt, kranken Menschen zu helfen.
„Bitte, Richard, lass uns nicht streiten. Das ist es doch gar nicht wert. Ich will nicht, dass du mir böse bist.“
Er holte tief Luft. „Okay, du hast ja recht. Sich über Dinge aufzuregen, die schon längst passiert sind, bringt nichts. Tut mir leid, mein Engel, ich wollte uns nicht den Tag verderben.“
Sie saßen in Patricias Ein-Zimmer-Apartment, das nicht viel Platz bot, aber immerhin erschwinglich war. Außerdem lag es nun, da sie den festen Job hatte, in Kliniknähe. Entweder fuhr sie bei schönem Wetter mit dem Rad oder bei Regen drei Stationen mit dem Bus.
„Schon gut.“ Sie schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln. „Hast du Hunger? Soll ich uns eine Kleinigkeit zu essen machen?“
„Den Aufwand solltest du dir sparen“, erwiderte Richard und verzog das Gesicht. „In der nächsten Umgebung gibt es genug gute Restaurants. Lass uns ausgehen.“
Doch so schnell ließ sich Patricia nicht umstimmen. Sie setzte sich auf seinen Schoß und nahm sein Gesicht in beide Hände.
„Der wahre Grund ist doch ein ganz anderer: Du hältst nichts von meinen Kochkünsten.“
Für solche Dinge war ihr während des Studiums wahrhaftig keine Zeit geblieben. Und auch, als sie noch mit ihrer Mutter zusammenlebte, gab es meistens kalte Fertiggerichte. Selbst das Aufwärmen war zu viel Arbeit.
„Na ja, ich würde es etwas diplomatischer ausdrücken: Sie sind noch ausbaufähig“, sagte Richard mit einem breiten Grinsen. „Aber das macht ja nichts. Ich will dich nicht heiraten, weil ich eine gute Köchin brauche. Die werden wir uns schon noch leisten können.“
Klar, im noblen Haushalt der von Felderns gab es für jede Tätigkeit einen dienstbaren Geist. Von der Familie musste niemand einen Finger rühren. Köchin Wanda bereitete schon seit Jahrzehnten die Mahlzeiten für die Familie zu. Und wenn sie es eines Tages nicht mehr konnte, würde man nach einer geeigneten Nachfolgerin suchen.
„Also gut, gehen wir essen“, meinte Patricia seufzend. Eigentlich wäre sie gern zu Hause geblieben, aber sie wusste, dass Richard sich in ihrer kleinen Wohnung nicht wohlfühlte. Was sie ein wenig kränkte, auch wenn sie sich klarmachte, dass er eben größere Räume gewohnt war. Aber gab es nicht die alte Weisheit, dass Glück auch in der kleinsten Hütte möglich war?
„Bevor wir gehen, möchte ich noch etwas mit dir besprechen, mein Engel. Es geht um unser zukünftiges Zusammenleben. Ich wünsche mir sehr, dass du zu mir in die Villa ziehst, und zwar so bald wie möglich. Das hier …“ Er blickte missbilligend um sich. „… ist doch keine Umgebung für dich.“
„Aber Richard!“, rief Patricia, die noch immer auf seinen Knien saß. „Wir wollten uns doch gemeinsam etwas Eigenes suchen, wenn der Hochzeitstermin feststeht.“
„Inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Das Haus ist riesengroß. Die ganze erste Etage steht uns zur Verfügung. Es wäre doch schade, wenn sie unbewohnt bliebe. Wanda würde für uns mitkochen. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Alle Arbeiten werden von anderen erledigt. Gefällt dir das etwa nicht? Andere Frauen würden vor Freude an die Decke springen …“
„Mit deinen Eltern unter einem Dach? Und wenn das nicht gut geht?“
„Wir reden hier nicht von einem engen Reihenhaus, mein Schatz. Die Villa hat insgesamt dreihundert Quadratmeter Wohnfläche. Wenn man niemanden sehen will, geht man sich aus dem Weg. Und selbstverständlich bleiben die Haushalte getrennt.“
Patricia kaute auf ihrer Unterlippe.
„Das sollten wir jetzt nicht entscheiden“, stellte sie dann fest. „Ich war doch erst zwei Mal bei euch zu Hause. Deine Eltern und ich, wir müssen uns erst besser kennenlernen.“
„Das wird kein Problem sein“, sagte Richard mit einem selbstsicheren Lächeln. „Kündige das Zimmer hier und zieh bei mir ein. Dann wirst du genug Gelegenheit haben, mit deinen Schwiegereltern in spe zu reden. Nur so kommt man sich näher. Und ich bin sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet. Sie mögen dich.“
Ihre Zweifel, ob das Zusammenleben mit seinen Eltern in einem Haus klappen würde, blieben, doch sie widersprach nicht mehr. Sie hatte einfach keine Lust auf noch mehr Auseinandersetzungen.
„Dann komm, lass uns gehen.“
Obwohl der restliche Abend harmonisch verlief, spürte Patricia, dass irgendetwas anders war, aber sie hätte diesen neuen Zustand nicht benennen können. War es, weil ihr mehr und mehr klar wurde, dass Richard weitgehend allein ihre gemeinsame Zukunftsgestaltung übernahm? Sie wusste noch nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Mit Abwehr oder Zustimmung?
Das alles musste sie noch bedenken, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Heute Abend wollte sie das Zusammensein mit ihm genießen. Sie aßen Zanderfilet und tranken einen Weißwein dazu.
Als sie schließlich zu ihrer Wohnung zurückgingen, musste sie enttäuscht zur Kenntnis nehmen, dass er nicht über Nacht blieb.
„Es geht einfach nicht, mein Schatz. Morgen früh muss ich nach Frankfurt. Ich werde drei Tage bleiben. Aber selbstverständlich telefonieren wir jeden Tag.“
„Schade, ich hatte mich schon so gefreut …“ Er brachte sie noch bis zu ihrer Wohnungstür im zweiten Stock. „Willst du nicht doch noch ein bisschen bleiben?“
Patricia wollte jetzt nicht allein sein und sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen. Sie streichelte seine Wange und wünschte sich sehr, dass er die Nacht bei ihr verbrachte.
„Es geht wirklich nicht, mein Engel“, erwiderte er bedauernd. „Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich bin ja bald wieder da. Ach, da fällt mir ein, meine Mutter möchte deine Mutter kennenlernen, ich auch natürlich. Darum hat sie eine Einladung zum Tee vorgeschlagen. Wir sollten also einen Termin finden, der allen passt. Kannst du das in der Zwischenzeit schon mal in die Wege leiten?“
Der Schreck fuhr Patricia in die Glieder, und sie musste sich zusammenreißen, um ihn davon nichts merken zu lassen.
„Das ist gerade ein schlechter Zeitpunkt“, erwiderte sie. „Mama ist in Marokko. Dort hat sie eine Freundin, die sie ein paarmal im Jahr besucht.“
„Ach wirklich? Davon hast du mir noch gar nichts erzählt. Überhaupt weiß ich wenig von deiner Vergangenheit.“ Er zwinkerte ihr zu. „Da werde ich im Laufe der Monate wohl noch viel zu entdecken haben.“
„Da muss ich dich enttäuschen, ich bin ein ziemlich unbeschriebenes Blatt.“ Was die Liebe anbelangte, so stimmte diese Aussage fast. Bis auf ein paar Bekanntschaften hatte sie in dieser Hinsicht erst wenige und kaum besonders wichtige Erfahrungen gemacht. Weder war ihr die große Liebe schon mal begegnet, noch hatte sie mit Tragödien oder schmerzhafter Eifersucht kämpfen müssen.