Die besten Ärzte - Sammelband 32 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 32 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1797: Ich verlasse dich nicht!
Notärztin Andrea Bergen 1276: Eine Mama für Patrizia
Dr. Stefan Frank 2230: Lass uns nach Venedig fahren!
Dr. Karsten Fabian 173: Geschieden heißt noch nicht vorbei
Der Notarzt 279: Wenn du mich verlässt, will ich nicht mehr leben

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 595

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © wavebreakmedia/Shutterstock ISBN 978-3-7517-1738-0 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ina Ritter, Alexa Reichel

Die besten Ärzte - Sammelband 32

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1797"Ich werde Oliver verlassen", sagt Dr. Johanna Bader und schmiegt sich in Christians Arme. Der junge Neurologe hat Johannas Herz erobert, und eine Trennung von ihrem Verlobten ist nun unausweichlich. Schweren Herzens macht sie sich auf den Weg zu Oliver Singer. Johanna nimmt sich fest vor, offen darüber zu reden, wie es um ihr Herz bestellt ist. Aber dann fallen ihr Veränderungen an Oliver auf. Er wirkt kraftlos, torkelt mehr, als dass er geht, und manchmal spricht er so langsam, als könne er nicht mehr klar formulieren. Die junge Ärztin schiebt das klärende Gespräch auf. Oliver soll ich erst untersuchen lassen. Die Diagnose ist erschütternd. Oliver leidet an ALS, einer Nervenkrankheit, die unheilbar ist und die ihn das Leben kosten wird. Aber vorher will er unbedingt noch seine große Liebe Johanna heiraten ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1276Missmutig trottet die kleine Patrizia hinter den anderen Kindern her. So sehr hat sie sich auf den Zoobesuch heute gefreut - und nun mault die Heimleiterin nur herum! Nie dürfen sie an einem Käfig stehen bleiben! Immer heißt es: "Weiter, weiter!" Zornig kickt die Kleine einen Kiesel weg, als ihr Blick auf eine junge Frau fällt, die im Strom der Zoobesucher zu verschwinden droht. Mami! Da ist sie ja! Endlich! In diesem Moment hat die Fünfjährige vergessen, dass ihre Eltern nicht mehr leben. Sie hat nur noch den einen Wunsch: zu ihrer Mama zu laufen und mit ihr nach Hause zu gehen, wo es schön ist, bunt und lustig! So schnell ihre Beinchen sie tragen, läuft sie der Frau nach, durch den Ausgang und in die nächste Straßenbahn ... Auch noch Tage später fehlt von Patrizia jede Spur. Dr. Werner Bergen, der behandelnde Arzt des Mädchens, und seine Frau Andrea rechnen mit dem Schlimmsten und beginnen eine verzweifelte Suchaktion. Doch sie suchen nach der Nadel im Heuhaufen ...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2230Der junge Lehrer Benjamin Sindermann schwebt auf Wolke sieben. Seit er die liebenswerte Physiotherapeutin Flora Elias kennengelernt hat, weiß er: Auf diese Frau hat er sein Leben lang gewartet. Umso härter trifft es ihn, als ihm seine Freundin nur wenige Wochen später eröffnet, dass sie einen Hirntumor hat - und Benjamin nie wiedersehen will. Doch Benjamin denkt gar nicht daran, seine Liebste in ihrer Not alleinzulassen. Stattdessen schmiedet er Pläne, wie er ihr dabei helfen kann, sich zu der riskanten, aber notwendigen Operation durchzuringen, die sie von ihrem Tumor befreien soll. Und mit einem Mal hat er eine Idee: Erst kürzlich hat ihm Flora anvertraut, dass sie schon immer nach Venedig reisen wollte, es aber bisher noch nicht geschafft hat. Wie wäre es also, wenn er vor ihrer Operation mit ihr dorthin fährt - und ihr in der Lagunenstadt einen Heiratsantrag macht?Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 173Dr. Fabian ist entsetzt, als er erfährt, dass Nina Wehrenberg Geld und Karriere wichtiger sind als ihre kleine Tochter, die sie so sehr braucht. Wie kann man nur sein Kind im Stich lassen? Gerade jetzt, nach der Scheidung! Doch Nina scheint es nicht zu kümmern, dass aus ihrem fröhlichen Töchterchen ein Kind wird, das nicht mehr lachen kann. Aber die kleine Heidi jammert nicht, sie weint auch nicht. Nicht einmal, als sie nach einem Unfall in die Landarztpraxis gebracht wird. Den gebrochenen Arm kann Dr. Fabian heilen - aber was ist mit der Seele des Kindes?Jetzt lesen
Alexa ReichelDer Notarzt - Folge 279Seit fast fünf Jahren sind die Lehramtsstudentin Anouk und der Medizinstudent Leo ein Paar, und Anouk kann sich nicht vorstellen, jemals einen anderen Mann so sehr zu lieben, wie sie ihren Freund liebt. Trotzdem nagen manchmal Zweifel an ihr. Sie selbst kommt aus ärmlichen Verhältnissen, während sich Leo dank seiner wohlhabenden Familie um Geld keine Gedanken machen muss. Eigentlich ist sie doch gar nicht gut genug für den Sohn reicher Fabrikanten, oder? Er könnte doch ganz andere Frauen haben! Dann kommt der Tag, an dem sich Anouks schlimmster Albtraum zu bewahrheiten scheint: Sie ertappt ihren Freund dabei, wie er sie belügt und offenbar auch betrügt. Während er angeblich in der Klinik arbeiten muss, verbringt er seine Zeit in Wahrheit in einer Weinbar - und zwar nicht allein, sondern in trauter Zweisamkeit mit einer anderen Frau! Anouk erträgt den Anblick nicht, es fühlt sich an, als würde ihr das Herz brechen. Die Studentin bekommt keine Luft mehr, sie fasst sich an die Brust und krümmt sich vor Schmerzen. Nur ein Krankenwagen und der engagierte Notarzt Dr. Kersten können ihr jetzt vielleicht noch helfen ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Ich verlasse dich nicht!

Vorschau

Ich verlasse dich nicht!

Berührender Roman um das Versprechen einer Ärztin

Von Katrin Kastell

„Ich werde Oliver verlassen“, sagt Dr. Johanna Bader und schmiegt sich in Christians Arme. Der junge Neurologe hat Johannas Herz erobert, und eine Trennung von ihrem Verlobten ist nun unausweichlich. Schweren Herzens macht sie sich auf den Weg zu Oliver Singer.

Johanna nimmt sich fest vor, offen darüber zu reden, wie es um ihr Herz bestellt ist. Aber dann fallen ihr Veränderungen an Oliver auf. Er wirkt kraftlos, torkelt mehr, als dass er geht, und manchmal spricht er so langsam, als könne er nicht mehr klar formulieren.

Die junge Ärztin schiebt das klärende Gespräch auf. Oliver soll sich erst untersuchen lassen.

Die Diagnose ist erschütternd. Oliver leidet an ALS, einer Nervenkrankheit, die unheilbar ist und die ihn das Leben kosten wird. Aber vorher will er unbedingt noch seine große Liebe Johanna heiraten …

Nur widerwillig löste sich Johanna aus der Umarmung. An seiner Brust konnte sie die Welt vergessen, wenigstens vorübergehend. Doch nun wurde es Zeit, in das Leben zurückzukehren, das ihr bisher als richtig erschienen war, sich aber nun als falsch erwiesen hatte.

„Bleib doch noch“, murmelte er schläfrig. Seine Hand versuchte, ihren Arm zu erhaschen, doch Johanna entzog sich ihm.

„Es hilft nichts. Bis Garmisch brauche ich mindestens eine Stunde, bei dem Wetter sogar noch mehr.“ Wie zur Bestätigung ihrer Worte prasselte starker Regen gegen die Fensterscheiben.

„Entschuldige dich mit einer Wagenpanne.“

„Ja, das könnte ich natürlich. Doch was sage ich morgen? Oder übermorgen? So viele Ausreden, wie ich bräuchte, gibt’s gar nicht.“

„Dann hilft nur noch die Wahrheit.“ Christian drehte sich auf den Rücken und öffnete seine Arme so weit, dass sie gar nicht anders konnte, als sich erneut hineinfallen zu lassen. Bei ihm war sie zu Hause. Er war die Liebe ihres Lebens. Er löste ein Gefühl in ihr aus, das sie so noch nicht gekannt hatte.

„Ja, du hast recht, aber nicht heute. Wir hatten doch vereinbart, uns noch ein wenig Zeit zu geben“, erinnerte sie ihn an seine eigenen Worte.

Er streichelte ihren Rücken und küsste sie auf die Schulter.

„Du meinst, du willst erst noch prüfen, ob ich deiner Liebe würdig bin?“

„Ich glaube an unsere Liebe. Aber sie muss noch etwas wachsen und sich festigen. Findest du nicht?“

Während des Sprechens bedeckte sie sein schmales Gesicht mit kleinen Küssen. Auf dem kräftigen Kinn und wohlgeformten Nasenspitze verweilten ihre Lippen länger.

Dann bog sie den Kopf ein wenig zurück, um die Farbe seiner Augen zu erforschen. Je nach Gemütslage waren sie leuchtend blau oder changierten in ein dunkles Violett.

Jetzt war sein Blick ernst, aber klar.

„Die Beziehung zu deinem Verlobten ist unehrlich geworden. Da stimmt doch nichts mehr. Das hast du selbst schon oft genug gesagt.“

„Du hast recht, ich weiß. Das Dumme ist nur, dass sich für ihn ja nichts geändert hat. Er hat nicht die leiseste Ahnung, dass meine Gefühle einem anderen gelten und mein Herz plötzlich auf einer anderen Hochzeit tanzt.“ Johanna seufzte schuldbewusst. „Manchmal komme ich mir ziemlich mies vor.“

„Hochzeit!“ Christian reagierte sofort auf dieses Stichwort. „Das höre ich gern. Wann darf ich dir einen Antrag machen?“

„Untersteh dich!“ Liebevoll zupfte sie an seinen Ohrläppchen. „So weit sind wir noch lange nicht. Erst muss die Verlobung in aller Form gelöst werden. Ein harter Brocken.“

„Ich kann sehr geduldig sein“, erwiderte Christian. Im Dämmerlicht des Zimmers konnte sie erkennen, dass seine markanten Züge unendlich viel Zärtlichkeit ausdrückten. „Du gehörst zu mir. Daran ändert auch dein Verlobungsring nichts.“

Johanna saß jetzt auf der Bettkante, streifte sich den weichen Pulli über den Klopf, fuhr mit den Händen durch das lange Haar und befestigte es dann lässig mit einem breiten Band am Hinterkopf. Ein Ruck ging durch ihren schlanken Körper. „Wir sehen uns am Montagmorgen in der Klinik.“

„Noch einen Kuss!“, bettelte Christian.

Seine Bitte wurde ihm gewährt. Dann raffte Johanna ihre Tasche an sich, kramte den Autoschlüssel heraus und ging zur Tür.

Christian schlüpfte in seinen Morgenmantel und folgte ihr. „Sei vorsichtig!“, bat er. „Du bist das Kostbarste, was ich habe. Ich liebe dich. Vergiss mich nicht.“

Mit tiefem Bedauern im Herzen verließ Johanna Christians Haus, das für sie beide zu einem ebenso verträumten wie verschwiegenen Liebesnest geworden war. In drei schnellen Sätzen erreichte sie den Wagen. Der Regen hatte etwas nachgelassen.

Sie warf einen kurzen Blick in den Spiegel und strich sich eine nasse Haarsträhne hinter das Ohr. Kaum hatte sie sich von Christian getrennt, sehnte sie sich schon wieder nach ihm.

Während der Fahrt nach Garmisch-Partenkirchen hatte sie Zeit genug, wieder einmal über alles nachzudenken. Ihr größter Wunsch war eine einvernehmliche Trennung von Oliver. Sie wünschte ihm alles nur erdenklich Gute und wollte ihn auf keinen Fall verletzen. Aber Johanna wusste auch nicht, wie sie das verhindern sollte.

Oliver Singer, dem ehemaligen Skispringer mit den höchsten Auszeichnungen, standen alle Chancen im Leben offen, auch wenn seine Verlobte sich von ihm trennte.

Johanna konnte nur hoffen, dass er recht schnell über die Trennung hinwegkam, die er seinem Naturell entsprechend als Niederlage empfinden musste. Aber aus Mitleid bei ihm zu bleiben, kam für sie auch nicht infrage.

Eigentlich war es ihr lästig, bei dem strömenden Regen noch nach Garmisch zu fahren, wo er mit seinen Eltern das Sporthotel Singer bewirtschaftete. Doch sie hatte nun mal versprochen, am Samstagabend zu kommen und über das Wochenende zu bleiben.

Christian beklagte sich ohnehin immer öfter darüber, dass ihre Arbeit als Internistin in der Berling-Klinik zu viel Zeit einnahm. Einmal hatte er sogar schon gefragt, ob sie nicht nur halbtags arbeiten könnte. Schließlich sei er ein wohlhabender Mann, dessen Frau es gar nicht nötig habe, einen aufreibenden Beruf auszuüben.

Johannas Hinweis, dass sie großen Wert auf Unabhängigkeit und ein eigenes Einkommen lege, hatte er nur belächelt. „Warte nur ab, bis wir verheiratet sind. Dann kannst du aus dem Vollen schöpfen. Und ich weiß schon jetzt, dass es dir gefallen wird.“

***

Chefarzt Dr. Holl verbrachte das Wochenende mit den Seinen im Ferienhaus der Familie am Tegernsee. Auch hier regnete es – wie in ganz Bayern – in Strömen, sodass sich alle nur drinnen aufhalten konnten.

Doch da Juju, die jüngste Tochter, sich zwei Freundinnen mitgebracht hatte, kam bei den Kindern keine Langeweile auf. Sie tobten mit lautem Geschrei durchs Haus.

Die Zwillinge Daniela und Marc sowie der mittlere Sohn Chris waren zu Hause geblieben. Alle drei hatten für die Schule, beziehungsweise fürs Studium zu arbeiten.

Am Sonntagabend wurden die Kinder ins Auto gepackt, dann ging es zurück nach München.

„Das Wochenende war viel anstrengender, als ich dachte“, meinte Julia seufzend, als sie wieder zu Hause waren. „Drei kleine Mädchen bei Regen im Haus zu hüten, ist schon eine von den schwierigeren Aufgaben.“

„Jetzt belohnen wir uns mit einem guten Abendessen“, schlug Stefan vor. Julia entdeckte im Kühlschrank noch diverse Salate, die Wirtschafterin Cäcilie auf Vorrat zubereitet hatte.

Als alle gesättigt waren und sich die größeren wie kleineren Holl-Kinder in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, sah Stefan noch einmal nach Juju.

„Ich habe ihr erlaubt, noch eine Viertelstunde zu lesen“, hatte Julia gesagt. „Aber sicher wartet sie darauf, dass du ihr noch gute Nacht sagst.“

Doch das erübrigte sich, wie Stefan bald feststellte. Seine Jüngste schlief schon tief und fest, und dass sie etwas Schönes träumte, verriet ihr Lächeln. Er nahm ihr das Buch aus der Hand, löschte das Licht und kehrte zu seiner Frau zurück.

Morgen begann eine neue Woche für ihn, voll gespickt mit Terminen, die meisten davon im Operationssaal. Die Klinik, die er von seinem Schwiegervater Professor Walter Berling übernommen hatte, war fast immer voll belegt. Zu wirtschaftlichen Klagen bestand kein Anlass.

„Wie macht sich denn der neue Kollege Gruber?“, erkundigte sich Julia, als sie ins Wohnzimmer hinübergingen.

„Ich bin sehr zufrieden, dass wir jetzt über einen Neurologen verfügen“, gab Stefan zurück. „Der Mann hat tadellose Referenzen und macht einen kompetenten Eindruck. Ihn könnte ich mir gut als Oberarzt vorstellen. Aber natürlich muss ich auch die Interessen der anderen berücksichtigen.“

„Morgen früh um sechs – wie immer?“, erkundigte sich Julia nur der Form halber, als sie ins Bett gingen.

„Wenn ich es schaffe, werde ich noch eine kleine Runde joggen“, meinte Stefan. „In der letzten Zeit hatte ich zu wenig Bewegung.“

„Wenn ich es schaffe, mache ich mit“, versprach Julia. „Was nämlich die mangelnde Bewegung betrifft, da geht es mir genau wie dir.“

***

„Was ist los mit dir?“ Johanna Bader betrachtete ihren Verlobten besorgt. „Kannst du die Schmerzen näher erklären?“

„Nein.“ Oliver Singer versuchte, ein Aufstöhnen zu unterdrücken, aber das gelang ihm nicht. „Sie sind nicht zu beschreiben. Ich fühle mich matt und klapprig wie ein alter Gaul.“

„Du wirst dir einen Virus eingefangen haben und solltest dich schonen. Keinen Sport die nächsten Tage. Versprich mir das!“

„Aber Johanna, ich muss in Form bleiben“, widersprach Oliver kläglich. Schon seit einer geraumen Weile fühlte er seine Kräfte schwinden und fand keine Erklärung dafür.

„Das bleibst du auch, wenn du eine Weile pausierst. Mit einem Virus im Körper ist nicht zu spaßen. Hier ist Schonung angesagt – oder es manifestieren sich Schäden, die man dann nicht so leicht wieder beheben kann.“

„Frau Doktor, ich liebe dich“, sagte Oliver. „Und ich finde deine Vorschriften ganz rührend …“ Es klopfte an die Tür. „Ja, bitte?“, rief er ungehalten.

Haushälterin Helga schaute durch den Türspalt.

„Ihre Eltern bitten zu Tisch“, sagte sie entschuldigend. „Sie warten schon seit zehn Minuten.“

„Schon gut.“ Oliver, der in der elterlichen Villa in Garmisch ein eigenes Apartment bewohnte, rappelte sich hoch. „Wir kommen.“

„Es wird dir guttun, etwas zu essen“, meinte Johanna hoffnungsvoll.

Sie war froh, dass er mitkam, denn mit seinen Eltern allein fühlte sie sich nicht wohl. Vater Alfreds konservative Ansichten konnte sie nicht teilen, und Olivers Mutter war oftmals schwer erträglich.

Beide Eltern waren vernarrt in ihren einzigen Sohn. Maria Singer glaubte außerdem, dass ihr Kronprinz etwas Besseres verdient hätte als eine kleine Assistenzärztin, doch sie fügte sich seinem Willen und unterließ abfällige Bemerkungen über die Wahl seiner Zukünftigen.

„Da sind ja endlich unsere Turteltauben!“, sagte Maria, als das junge Paar das großzügig angelegte Esszimmer betrat.

Man saß an einem langen ovalen Tisch, an dem maximal sechzehn Personen Platz fanden. Da man aber wie jetzt zu viert aß, kam man sich an der großen Tafel ziemlich verloren vor. Jedenfalls ging es Johanna so.

„Was ist mit dir, Bub?“, erkundigte sich Maria jetzt nach einem kritischen Blick auf ihren Sohn. „Du bist ja ganz bleich. Siehst du das denn nicht, Johanna?“

„Ich fühle mich nicht besonders“, erklärte Oliver und hustete demonstrativ hinter seiner Serviette. „Da ist wohl eine Erkältung im Anmarsch.“

„Fieber hat er jedenfalls keins“, sagte Johanna, ohne auf Marias Bemerkung einzugehen.

Alfred Singer saß am Kopfende des Tisches, eingerahmt von Frau und Sohn. Johanna fiel nur ein Randplatz neben Oliver zu, ein Grund mehr, sich ausgeschlossen zu fühlen.

„Du solltest besser auf ihn aufpassen“, beharrte Maria auf ihren Vorwürfen und reichte dabei die Salatschüssel herum.

„Bitte, Mutter!“, sagte Oliver matt. „Heute Abend mal keine Gardinenpredigten. Es wird ein Virus sein. Wie soll man sich dagegen schützen? Die schwirren durch die Luft und suchen sich ihre Opfer, wo immer sie welche finden.“

Er gab die Schüssel an Johanna weiter, ohne sich selbst daraus zu bedienen. Johanna legte sich zwei Salatblätter auf. Appetit verspürte sie keinen. Sie war innerlich zu erregt.

Der gestrige Tag mit Christian wirkte noch nach. Sie betrachtete die drei anderen am Tisch mit verstohlenen Blicken. Wie würden die Singers reagieren, wenn sie erfuhren, dass sie Oliver, ihren Verlobten, schon seit geraumer Zeit betrog?

Nein, als Ehebrecherin fühlte sie sich nicht, sie war ja noch nicht verheiratet, trotzdem musste sie schon bald reinen Tisch machen – im Interesse aller Beteiligten. Denn auch Christian wollte eine Entscheidung. Außerdem machten Johanna die ständigen Lügen und Ausreden zu schaffen, mit denen sie ihre immer häufiger werdenden Abwesenheiten erklärte.

„Was ist mir dir, Liebes, warum isst du denn nichts?“ Olivers Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

„Aber ich esse doch“, gab sie zurück, griff nach einer Semmel und bediente sich vom Käseteller.

Wieder wandte sich Maria an Johanna. „Bleibst du heute noch hier?“

„Nein, ich fahre gleich nach München zurück. Morgen muss ich früh raus. Um acht Uhr stehe ich im OP.“

„Wie lange soll dieses Hin und Her eigentlich noch gehen?“

Maria betrachtete ihren Sohn und die zukünftige Schwiegertochter. „Bleibt es bei der Hochzeit im September?“

„Wie bitte?“ Johanna fiel die Semmelhälfte aus der Hand. „Wieso September?“

Jetzt sah sich Oliver zu einer Erklärung genötigt. „Mutter und ich haben neulich darüber gesprochen. Sagte ich das nicht?“

Johanna schüttelte den Kopf. „Jedenfalls weiß ich nichts davon.“

„Dann habe ich wohl vergessen, das zu erwähnen. Tut mir leid, Liebes. Aber September würde bestens in meine Pläne passen. Anschließend machen wir eine kleine Weltreise.“

„Wir lassen das Dachgeschoss der Villa neu ausbauen“, meldete sich jetzt Vater Alfred zu Worte. „Dann habt ihr zwei Stockwerke zur Verfügung. Der Architekt war schon da und wird bald einen Plan vorlegen.“

„Ich möchte auch gefragt werden“, sagte Johanna leicht gereizt.

„Dass ihr heiratet, ist doch schon geklärt“, teilte Maria betont gleichmütig mit. „Wozu hättet ihr euch sonst verlobt? Jetzt geht es doch nur noch um einen günstigen Termin. Das ist doch auch in deinem Interesse.“

Johanna kämpfte gegen das Schwindelgefühl, das sie erfasste – und gegen die Kälte, die sie umgab. Sie holte tief Luft – und schwieg.

Sie war überhaupt nicht darauf vorbereitet, jetzt Klartext zu reden. Außerdem wollte sie über das Ende ihrer Beziehung mit Oliver allein sprechen. Seine Eltern störten da nur. Sie erfuhren es ohnehin noch früh genug. Und dann war in dieser Familie ohnehin die Hölle los.

Oliver wollte seiner Verlobten Wein einschenken, doch sie zog das Glas außerhalb seiner Reichweite. „Nicht! Ich muss ja noch fahren.“

„Du könntest doch morgen früh …“

„Nein. Und was den Hochzeitstermin angeht, darüber sprechen wir noch.“

Maria bedachte ihren Sohn mit dem mein-armer-Bub-Blick, den Johanna so hasste. Jede andere junge Frau hätte gejubelt, wenn ein Mann wie Oliver sie heiraten wollte, doch Johanna Bader schien sich ihres Glücks gar nicht bewusst zu sein. Ein berühmter Ski-Sportler, der mit seinen Preisgeldern und Werbeeinnahmen ein Vermögen angehäuft hatte, außerdem noch ein Hotel besaß, hatte doch wirklich etwas mehr Aufmerksamkeit von seiner Verlobten verdient.

„Wir erwarten von dir, dass du nach der Hochzeit entsprechend weniger arbeitest.“ Maria ließ nicht locker. „Dann wirst du hier wohnen und nicht täglich zwei Stunden im Auto verbringen. Mir persönlich wäre es lieber, wenn du deine Stelle in der Berling-Klinik überhaupt ganz aufgibst. Hier gibt es viel zu tun. Und Oliver braucht eine Frau, die immer an seiner Seite ist.“

„Dieses Thema hatten wir schon“, stellte Johanna nur mühsam beherrscht fest. „Ich wollte schon als kleines Mädchen Ärztin werden. Nun habe ich mein Ziel erreicht. Warum sollte ich es jetzt aufgeben? Ich liebe meinen Beruf.“

„Es werden Kinder kommen. Und die brauchen nun mal ihre Mutter“, versetzte Maria mit einer Miene, die keine Kritik mehr duldete.

Johanna schaute in die Runde und erhob sich. „Ich mache mich jetzt auf den Weg.“

„Warte, ich komme mit“, sagte Oliver und stand ebenfalls auf.

Johanna gab Maria und Alfred die Hand, wünschte ihnen noch einen angenehmen Abend und verließ das Esszimmer, gefolgt von ihrem Verlobten.

„Sei mir nicht böse!“ Er nahm sie versöhnlich lächelnd in den Arm. „Der Septembertermin für die Hochzeit war Mutters Idee. Ich wollte mit dir darüber reden, habe es aber vergessen. Bitte glaub nicht, dass ich hinter deinem Rücken etwas aushecken will. Du weißt doch, dass Mutter mir auch auf die Nerven geht mit ihrer ständigen Einmischung.“

„Das wird sie weiterhin tun. Erst recht, wenn wir mit deinen Eltern in einem Haus leben.“ Johanna biss sich auf die Lippen. Warum hatte sie das gesagt? Es würde doch niemals so weit kommen.

„Ich werde dich nicht drängen, versprochen.“

„Schon gut, Oliver.“

„Verzeihst du mir?“

„Ja.“ Sie strich ihm kurz über die Wange. Wie sollte sie ihm, der immer loyal und lieb zu ihr war, ihre veränderten Gefühle erklären?

„Wir reden noch über alles. Und denk daran, was ich dir als Ärztin gesagt habe, keine übermäßige Anstrengung in der nächsten Zeit.“

„Nächste Woche habe ich Werbeaufnahmen in München.“ Er lächelte spitzbübisch. „Großer Autokonzern. Marke wird noch nicht verraten.“

„Ich kann’s mir schon denken“, erwiderte sie und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

„Bei der Gelegenheit bleibe ich ein paar Tage bei dir. Wir machen unsere Pläne und lassen uns von niemandem dreinreden.“

Johanna schluckte. Erst, als sie endlich hinterm Steuer saß, gestattete sie sich ein hörbares Aufatmen. Sie sah Oliver im Rückspiegel winken. Das Herz hing ihr wie ein Kilo Blei in der Brust. Sie war eine Verräterin. Oder wie sonst sollte man solche Menschen nennen?

***

Christian sah Johannas Wagen auf dem Klinik-Parkplatz stehen und rief sie gleich an, während er auf das Gebäude zuging.

„Guten Morgen, Johanna. Du bist also schon da. Wie ist es gelaufen?“

„Wie immer. Ich fühlte mich wie im falschen Film.“

„Hast du schon was verlauten lassen?“

„Nein. Oliver war nicht gut drauf. Grippe oder so was. Ich hatte einfach nicht das Herz, ihn jetzt auch noch mit Beziehungsproblemen zu konfrontieren. Sei mir nicht böse.“

„Treffen wir uns mittags zum Essen?“

„Das müsste klappen. Wir telefonieren aber noch.“

Während des ganzen Vormittags begegneten sie sich nicht einmal auf den Gängen des Klinikgebäudes. Als er sie dann endlich wieder am Eingang der Cafeteria leibhaftig vor sich sah, hätte er sie gern vor aller Augen in die Arme geschlossen und zärtlich geküsst.

Doch um Gerüchte zu meiden, sah er von dieser Begrüßung ab, sondern beschränkte sich auf ein leises „Hallo, meine Liebste. Schön, dich zu sehen.“

Geduld fiel ihm keineswegs so leicht, wie er vorgab. Im Gegenteil, manchmal hätte er sie am liebsten vor die sofortige Wahl gestellt: Er oder ich. Immer, wenn er in eine solche Gefühlslage geriet, musste er alle inneren Kräfte aufbieten, um diese Entscheidung nicht von ihr zu verlangen, denn er wusste ja, dass er damit ihre Gewissenskonflikte nur noch vergrößerte.

All das aber wollte er nicht. Er liebte sie. Sie war die Frau seines Lebens und so anders als alle, die er bis jetzt kennengelernt hatte. Er brauchte nur an Amira, seine Exfreundin zu denken, die ihn mit ihren ständigen Tränenausbrüchen in den Wahnsinn getrieben hatte.

Johanna war das Wichtigste in seinem Leben. Mit ihr wollte er zusammenbleiben, für immer. Und er war bereit, alles für ihr gemeinsames Glück zu tun.

Endlich saßen sie an einem freien Tisch. „Erzähl mal!“, bat er sie.

„Ich hab dir doch schon alles gesagt. Oliver fühlte sich nicht wohl.“

„Johanna, ich bitte dich! Du musst aufhören, auf solche Dinge Rücksicht zu nehmen. Sie halten dich nur von der Wahrheit ab. Es geht doch nicht nur um ihn, sondern auch um dich.“

„Das sehe ich ja auch so.“

Johanna stocherte lustlos in ihren Gnocchi herum. „Aber für ihn wird es schwer sein. Er ist derjenige, der zurückbleibt. Oder verlassen wird, ganz wie man will. Während ich mit dir ein neues Leben anfange …“

„Schluss jetzt!“, forderte Christian mit liebevoller Strenge. „Mach Schluss mit den Schuldgefühlen. Du tust nichts Unrechtes!“

„Ich habe ihm Liebe und Treue versprochen.“

„Das tun Millionen Menschen täglich auf dieser Welt. Und wie viele davon können ihre Schwüre nicht halten? Eure Beziehung war gar nicht so eng, wie du dachtest. Sonst hättest du mich gar nicht beachtet.“

Endlich erschien wieder dieses verträumte Lächeln auf ihrem Gesicht, das er so liebte. „Bei mir war es wirklich Liebe auf den ersten Blick“, sagte sie in schwärmerischem Ton. „In einer Sekunde war alles entschieden. Du hast mich angeschaut, und ich hab mich sofort in dich verliebt. Ich konnte gar nichts dagegen tun.“

„Die Liebe ist eine Himmelsmacht“, stellte Christian genüsslich fest. „Und ich bin glücklich, dass es mich getroffen hat.“

Johanna schob sich einen Bissen in den Mund. Die Nähe zu Christian nahm ihr wieder alle Ängste, die sie von Garmisch mitgebracht hatte. Ja, sie würden es gemeinsam schaffen, komme, was da wolle.

Hatte sie Oliver jemals geliebt? Es erschien ihr müßig, nach einer Antwort zu suchen. Tatsache war, dass sie nun nur noch eine gewisse freundschaftliche Zuneigung für ihn empfand. Und das war für ein Zusammenleben nicht genug.

Sie legte die Gabel neben ihren Teller. „Beim nächsten Mal werde ich mit ihm reden und ihm alles sagen. Das verspreche ich dir, Christian.“

„Das ist eine wunderbare Idee.“

Sein Pager in der Kitteltasche begann aufdringlich zu piepsen. „Ich muss los. Wann sehen wir uns? Kommst du heute Abend zu mir?“

Sie nickte ihm zu. „So gegen sieben.“

„Ich freu mich wahnsinnig“, raunte er ihr noch zu, bevor er die Cafeteria verließ.

***

„Wir warten auf euren Nachwuchs“, erklärte Maria Singer ihrem Sohn ganz unverhohlen. „Wir haben dir das Hotel nur unter der Auflage überschrieben, dass du es fortführst und später an deinen Sohn weitergibst.“

Sie unterbrach sich kurz und fuhr dann gönnerhaft fort: „Es kann auch eine Tochter sein. Wir sind ja gar nicht so.“

„Beruhig dich, Mutter. Die Kinder werden sich schon einstellen, aber erst nach der Hochzeit.“

„Der Meinung sind wir auch, dein Vater und ich. Darum sollte sie noch in diesem Jahr stattfinden. Hast du etwas dagegen, wenn ich schon mit den Vorbereitungen beginne? Es wird ja doch alles an mir hängen bleiben, denn deine zukünftige Frau hat dafür sicher keine Zeit.“

„Mach nur. Mir wäre es sogar ganz lieb, wenn du das alles in die Hand nimmst. Du hast Erfahrung damit.“

Maria lächelte geschmeichelt. Sie mochte es, wenn ihr Sohn sie lobte. Von Ehemann Alfred hörte sie solche Worte nie. Der lebte nur auf, wenn er mit seinen honorigen Freunden auf die Jagd gehen konnte. Alles andere interessierte ihn nicht mehr.

Oliver war zufrieden, dass Mutter seinen Vorschlag annahm. Damit war sie auf Wochen und Monate hinaus beschäftigt, und ihr blieb nur wenig Zeit, sich ständig in seine Beziehung zu Johanna einzumischen.

„Natürlich muss auch die Frage des Hochzeitskleides geklärt werden.“ Maria war schon ganz erfüllt von ihrer neuen Aufgabe. „Du bist ein berühmter Sportler. Alle werden auf deine Hochzeit schauen. Darum dulde ich es nicht, dass Johanna in irgendeinem Fummel von der Stange auftritt. Das Kleid muss schon etwas ganz Besonderes sein.“

Oliver empfand schon wieder dieses verdammte Gefühl der Schwäche, das er aber zu überspielen versuchte. „Das macht mal unter euch aus.“

„Das werden wir auch. Du darfst das Kleid ja gar nicht sehen, weil das Unglück bringt. Aber du könntest deiner Verlobten gut zureden, damit sie wenigstens in dieser Frage auf mich hört.“

„Morgen fahre ich nach München und werde alles mit ihr besprechen“, erwiderte Oliver.

„Bleibst du länger dort?“

„Einige Tage. Wir wollen bei der Gelegenheit in München ausgehen, mal ins Museum oder ins Kino. Vor allem aber in die Oper. Die Karten habe ich schon bestellt. Johanna weiß noch gar nichts davon. Es soll eine Überraschung werden. Zum Wochenende kommen wir dann beide zurück hierher nach Garmisch.“

Diese Aussicht schien Maria zu gefallen. „Gut, dann können wir gemeinsam darüber reden. Deine Johanna soll schließlich mit meinen Planungen einverstanden sein. Ich will mir später keine Vorwürfe anhören müssen.“

„Bitte, Mutter, sei nett zu ihr. Johanna ist die Frau, die ich liebe. Und sie wird die Mutter meiner Kinder sein. Sie ist schön, attraktiv und klug, also die ideale Partnerin für mich.“

„Ich glaube oft, sie will sich nur in ein gemachtes Nest setzen.“

Oliver lachte auf. „Und? Was ist so schlimm daran? Jeder Mann möchte es seiner Angebeteten so fein und luxuriös wie möglich machen. Ich bilde da keine Ausnahme. Dabei ist sie gar nicht auf meinen Reichtum aus. Sie verdient ihr eigenes Geld und braucht keinen Versorger. Stell dir vor, sie heiratet mich aus Liebe. Etwas Besseres kann ich mir gar nicht wünschen.“

„Wie du meinst.“

Maria seufzte in einem Anflug von Unmut, sah aber davon ab, mit ihrem Sohn noch weiter über dieses Thema zu diskutieren. Sie war sich ganz sicher, dass Johanna genau wusste, was sie wollte. Dass sie so tat, als sei sie gar nicht an Olivers Geld interessiert, war doch nur eine Masche.

Am Nachmittag traf sich Oliver mit seinem Freund Ben zum Tennis. Nach den Regengüssen der letzten Tage war die Luft etwas abgekühlt, genau richtig für ein sportliches Match. Zu seinem Ärger spürte er immer noch die Schwäche, die er auf einen grippalen Infekt schob.

„Tut mir leid, Kumpel, aber heute ist nicht mein Tag“, japste Oliver. „Irgendwie bin ich nicht in Form. Ein Krampf, nichts weiter.“

„Okay“, erwiderte der Freund grinsend. „Dann trinken wir im Clublokal ein Bier. Das wirst du doch wohl schaffen.“

Als sie an der Bar saßen, bemerkte Oliver das Zittern in seinen Beinen, ein Symptom, das ihm in den letzten Monaten bereits öfter aufgefallen war. Aber er maß dem keine große Bedeutung bei. Das ging wieder vorüber. Er musste nur endlich anfangen, wieder intensiv zu trainieren. Dann käme auch die Muskelkraft wieder zurück.

Nach dem Besuch auf dem Tennisplatz rief er Johanna an. Sie war noch in der Klinik.

„Wie geht’s dir?“, fragte sie.

„Blendend, alles in Ordnung. Wenn ich komme, machen wir uns ein paar schöne Tage in München. Ich freu mich schon. Und eine Überraschung für dich habe ich auch, das heißt, eigentlich sogar zwei …“

Oliver plauderte munter drauf los, als könnte er auf diese Weise seine körperliche Verfassung vergessen. Johanna kam kaum dazu, auch etwas zu sagen. Dass sie ganz froh darüber war, konnte er nicht wissen. „Bis morgen also, Küsschen, Liebes.“

„Fahr vorsichtig“, ermahnte sie ihn noch, bevor das Gespräch beendet wurde.

***

In der Ärzterunde am Nachmittag wurden die neuesten Befunde besprochen. Gruber berichtete heute als Letzter.

„Bei der Patientin Schaller handelt es dich um die idiopathische Epilepsie, das heißt, es liegen keine krankhaften Veränderungen im Gehirn zugrunde. Wir haben ein Elektroenzephalogramm, eine CT sowie eine MRT durchgeführt. Entsprechende Blutuntersuchungen rundeten das Bild ab.“

Die Kollegen lauschten aufmerksam – mit Ausnahme von Dr. Jordan, der intensiv mit seinem Handy beschäftigt war.

„Vor zirka vier Monaten trat der erste Anfall auf. Der Hausarzt hat sie zu uns überwiesen. Als Behandlung kommt der Vorbeugung eine Hauptrolle zu, das heißt Medikamente, die weitere Anfälle unterdrücken. Ich denke, dass wir das mit regelmäßigen Kontrollen gut in den Griff kriegen. Die Patientin ist gerade mal zwanzig Jahre alt und zeigte sich der Therapie gegenüber sehr aufgeschlossen, jedenfalls mehr als die Eltern, die mit den Nerven am Ende waren.“

„Sind Komplikationen zu befürchten?“, erkundigte sich Dr. Holl. „Ich denke da an den Status epilepticus.“

„Das lässt sich natürlich nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine gefürchtete Komplikation“, erklärte er den Kollegen, die in anderen Fachbereichen tätig waren.

„Ein solcher Anfall dauert übermäßig lange und kann lebensbedrohlich werden“, fuhr Dr. Gruber fort. „Aber das kommt eher selten vor. Die Betroffenen müssen mit ihrer Gehirnstörung leben, sich aber vor allem gut darauf einstellen. Entzündungen oder Missbildungen liegen bei ihr nicht vor. Ellen ist eine bemerkenswerte junge Dame und studiert im Übrigen Archäologie.“

„Gut.“ Mit einem Nicken signalisierte Stefan Holl dem Neurologen seine Zustimmung. „Also weiter in der Tagesordnung.“

„Wir sind fertig, Chef“, erklärte der Chirurg Michael Wolfram, die rechte Hand von Chefarzt Dr. Falk, der heute wegen Krankheit fehlte.

„Dann will ich Sie nicht länger aufhalten.“

Stefan Holls Mundwinkel zogen sich in die Breite. „Das gilt auch für Sie, lieber Kollege Jordan.“

Jan Jordan fühlte sich überhaupt nicht ertappt, sondern ließ wie immer seinen Charme spielen. „Ich habe ein paar medizinische Informationen auf mein Handy geladen“, schwindelte er schamlos. Tatsächlich hatte er Liebesgrüße per SMS verschickt – und empfangen. „Alles im grünen Bereich.“

„Ein Glück, dass wir Sie haben“, konterte Stefan Holl und zwinkerte den anderen zu.

Früher hätte man Jan Jordan einen Playboy genannt, weil er seine Freizeit mit Partys und immer neuen Frauengeschichten füllte. Aber da er in seinem Beruf äußerst zuverlässig war, nahm ihm das niemand übel – außer den betroffenen Damen, von denen einige schon für aufregende Szenen in der Klinik gesorgt hatten.

Die Kollegen zerstreuten sich. Dr. Holl schob seine Unterlagen zusammen und verließ als Letzter den Konferenzraum. Der Zufall wollte es, dass er genau zu dem Zeitpunkt auf den Gang trat, als Johanna und Christian sich anschauten und dabei verstohlen an den Händen berührten.

Interessant, dachte Dr. Holl, verkniff sich aber ein Schmunzeln. Bandelten die zwei da miteinander an? Hatten sie sogar schon eine Affäre? Und war Dr. Johanna Bader nicht schon mit einem anderen verlobt, einem Hotelier, wenn er nicht irrte?

Egal. Stefan ging in die andere Richtung in sein Büro. Das Privatleben seiner Mitarbeiter ging ihn schließlich nichts an. Immer wieder kam es in seiner Klinik natürlich auch zu Liebesgeschichten, das ließ sich nicht verhindern. Hauptsache, die Arbeit litt nicht darunter.

***

Auf dem Nachhauseweg war Johanna ziemlich nervös. Heute kam Oliver. Vielleicht war er sogar schon da.

Damit er nicht auf der Straße warten musste, hatte er einen Schlüssel zu ihrer Wohnung. Den würde sie von ihm zurückverlangen. Aber erst einmal musste sie ihm so klar und deutlich ihre Entscheidung mitteilen, dass für ihn nicht der geringste Zweifel übrig blieb. Ihre Formulierungen durften sich nicht im Ungefähren verlieren.

Oliver, mit uns ist es aus. Ich liebe dich nicht mehr. Wir sind ab sofort getrennte Leute.

Wie furchtbar das klang, wie roh und herzlos! Aber es musste sein. Auch Oliver tat sie keinen Gefallen, wenn sie ihm weiterhin die Wahrheit vorenthielt.

Ihre Gefühle galten nicht mehr ihm, sondern Christian, dem wunderbarsten Mann der Welt, ohne den Johanna sich ein Leben nicht mehr vorstellen konnte und wollte. Hätte sie ihn doch schon früher kennengelernt, bevor sie Oliver begegnete!

Aber solche Wünsche waren müßig. Die Geschehnisse in der Vergangenheit ließen sich nicht mehr ändern.

Oliver kam nur wenige Minuten nach ihr an. Als sie ihn begrüßte, sah sie sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

„Ich muss mich erst mal setzen“, sagte er und ließ sich in einen der beiden Sessel fallen.

„Ist was passiert?“, erkundigte sich Johanna und nahm ihm gegenüber Platz. Seine Beine zitterten und zuckten unkontrolliert.

„Während der Fahrt hatte ich Probleme mit den Beinen. Ich dachte, es wären Krämpfe. Ich habe eine längere Pause gemacht. Danach war es weg, doch als ich jetzt in die Tiefgarage fuhr, war es wieder da.“

Der durchtrainierte Kraftbolzen Oliver, dessen geradezu phänomenale Kraftreserven Johanna oft bewundert hatte, saß vor ihr wie ein Häufchen Elend.

„Johanna, was ist nur los mit mir? Ist das immer noch dieser verdammte Virus?“

„Keine Ahnung. Du solltest dich einmal gründlich untersuchen lassen“, schlug Johanna vor. „Warum nicht gleich morgen bei uns in der Klinik? Dann wissen wir endlich, was mit dir los ist und können mit einer gezielten Behandlung anfangen.“

„Muss es unbedingt in der Klinik sein? Du könntest das doch übernehmen, abhorchen, Blutdruck messen und so weiter.“

„Glaub mir, es ist besser so. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Eine Computer-Tomografie wäre womöglich sinnvoll. Ebenso diverse Laboruntersuchungen.“

Oliver gab sich geschlagen. Er fühlte sich einfach zu schwach, um gegen Johannes Anordnungen aufzubegehren. Gleichzeitig tröstete er sich damit, dass sie schon wusste, was sie tat. Er verließ sich auf sie.

Auch in den Armen machten sich schon Veränderungen bemerkbar. Erst hatte er an Muskelkater gedacht, doch eigentlich glichen die Störungen eher Lähmungen. Das Steuern des Fahrzeugs war ihm heute schwergefallen. Doch das erwähnte er jetzt lieber nicht, um Johanna nicht in unnötige Ängste zu stürzen.

Abends beim Essen stellten sich auch noch Schluckstörungen ein. Als Kind hatte er oft mit Angina und Halsschmerzen zu tun gehabt. Also wahrscheinlich doch so etwas wie ein Grippevirus, dachte Johanna, worauf auch die Gliederschmerzen hinwiesen.

Während des Essens fielen ihm mehrmals klirrend Messer und Gabel aus der Hand. „Tut mir leid, Johanna, es ist wohl besser, wenn ich jetzt ins Bett gehe. Ich brauche viel Schlaf. Danach wird alles wieder in Ordnung sein. Dann brauchen wir auch nicht in die Klinik zu fahren.“

„Wir werden sehen“, erwiderte Johanna, deckte ihn zu wie ein kleines Kind und blieb noch auf der Bettkante sitzen.

Sollte sie jetzt die Gelegenheit wahrnehmen und ihm die Trennung mitteilen? Es war ruhig im Zimmer. Von draußen drang nur spärlich der Verkehrslärm herauf.

„Schön, dass ich bei dir bin“, murmelte Oliver. Er war so müde, dass es ihm schwerfiel, die Augen offen zu halten. Im nächsten Moment sank sein Kopf auf die Seite. Er war eingeschlafen.

Johanna löschte das Licht der Nachttischlampe und ging ins Wohnzimmer zurück. Eine Weile saß sie ruhig auf dem Sofa. Schließlich griff sie nach dem Handy und rief Christian an.

„Hast du es ihm gesagt?“, lautete seine atemlose Frage.

„Nein. Es ging nicht. Er kam völlig fertig hier an und ist nach dem Essen gleich ins Bett gegangen. Nun habe ich auch nicht mehr den Mut, ihn zu wecken. Im Übrigen erscheint er mir nicht gesund.“

Johanna schilderte die Symptome, über die sich Oliver beklagte. „Ich werde morgen mit ihm in die Klinik kommen. Mit ihm stimmt etwas nicht. Zuerst dachte ich an eine verschleppte Grippe, aber das glaube ich inzwischen nicht mehr.“

„Muskelschwäche und Kraftlosigkeit, das kann natürlich viel bedeuten“, sagte Christian. Es kostete ihn Mühe, seine Verärgerung über die verpatzte Gelegenheit nicht deutlich werden zu lassen.

„Manchmal spricht er auch so merkwürdig. Gerade so, als könne er nicht mehr klar formulieren. Und heute ist mir aufgefallen, dass er auf den Beinen unsicher ist. Er wirkt wie betrunken.“

„Kann das sein?“

„Völlig ausgeschlossen“, widersprach Johanna. „Oliver trinkt so gut wie nie Alkohol.“

„Also gut“, meinte Christian mit einem enttäuschten Seufzer. „Dann stell ihn mal den Kollegen vor. Aber anschließend sprichst du mit ihm. Versprich es mir!“

„Ich verspreche es“, flüsterte Johanna. „Mir ist doch auch an einer Klärung gelegen. Ich halte dich auf dem Laufenden.“

„Morgen habe ich einen freien Tag. Können wir uns sehen?“

„Ich weiß es noch nicht“, entgegnete Johanna.

„Wenn du ihn in der Klinik ablieferst, kannst du doch auf einen Sprung zu mir kommen. Ich muss dich unbedingt sehen.“

„Ich dich auch, du Lieber. Du fehlst mir so schrecklich. Ich rufe dich morgen wieder an. Schlaf gut. Ich liebe dich und werde die ganze Nacht von dir träumen.“

Nach dem Gespräch setzte sich Johanna mit einem Buch unter die Leselampe. Einmal glaubte sie, einen Laut von nebenan zu hören, doch danach blieb es wieder still.

Als sie müde wurde, holte sie sich eine Wolldecke aus dem Schrank und machte sich auf dem Sofa lang. Um nichts in der Welt wollte sie sich jetzt neben Oliver legen.

***

Auf Johannas Bitten hin untersuchte Dr. Holl Oliver Singer selbst. Zunächst ließ er sich in aller Ausführlichkeit die Krankheitsgeschichte berichten. Oliver Singer, noch vor wenigen Jahren ein gefeierter Skispringer, war dem Arzt natürlich ein Begriff. Eine Pflegerin nahm Oliver Blut ab.

Die alltäglichen Verrichtungen machten Oliver immer größere Schwierigkeiten. Das ließ den Arzt stutzig werden. So hatte er lange gebraucht, einen Reißverschluss zu schließen. Und auch das Rasieren bereitete ihm mehr und mehr Schwierigkeiten.

Stefan Holl ließ sich die Zunge zeigen, horchte die Brust ab und beklopfte die einzelnen Körperpartien mit dem Reflexhammer, wobei seine Miene nicht verriet, dass sich sein Anfangsverdacht erhärtete.

„Johanna weiß davon noch nichts“, erklärte der Patient leise.

Stefan fiel die unsaubere Sprechweise auf. „Ich habe ihr nicht alles gesagt, weil ich sie nicht beunruhigen wollte. Außerdem dachte ich, dass die Probleme von selbst wieder weggehen, wenn ich Stress abbaue und mir mal eine richtige Erholung gönne.“

Unkontrollierte Muskelzuckungen, Muskelkontraktionen der Zunge, Steifheit der Gliedmaßen. Unklare Aussprache. Dauer der Symptome seit einigen Wochen mit zunehmender Häufigkeit. Neurologische Tests!, gab Dr. Holl in den Computer ein.

„Ich kann jetzt noch nichts sagen“, meinte er freundlich. „Aber es ist das Beste, wenn Sie gleich hierbleiben, damit wir mit einer umfangreichen Untersuchung fortfahren können.“

„Ist das wirklich nötig, Doktor Holl?“

„Ja“, beschied Stefan Holl den Patienten. „Ich rufe jetzt Schwester Birgit. Sie wird Sie in Ihr Zimmer bringen.“

Sobald Oliver dort untergebracht war, versuchte er Johanna zu erreichen, um sie vorzuwarnen. Sie hatte einen freien Tag und wollte ein paar Einkäufe erledigen, während er in der Klinik untersucht wurde.

Doch sie meldete sich nicht. Oliver wehrte sich gegen die Panik, die sich in ihm ausbreitete. Es ist nichts, redete er sich ein. Nur eine vorübergehende Schwäche, nichts weiter. Ich habe mich übernommen. Mit dreißig ist man nicht mehr zwanzig. Ich muss einen besseren Rhythmus finden.

Wenig später kam eine Frau mittleren Alters, stellte sich als Schwester Irmgard vor und legte ihm ein weißes Hemd auf das Bett. „Können Sie sich allein auskleiden oder brauchen Sie Hilfe?“

„Keine Sorge, das geht schon.“

Er versuchte, so charmant wie möglich zu sein. Doch als Oliver allein war, dauerte es ewig, bis er sich seiner Sachen entledigt hatte. Es gelang ihm noch, in das Hemd zu schlüpfen, aber nicht, es am Hals zuzubinden.

***

Johanna und Christian saßen in einem Gartenlokal bei einem Kaffee. Sie hatte ihren Bericht kaum beendet, als Christians Handy läutete. Er schaute auf das Display.

„Nanu, Doktor Holl“, stellte er verwundert fest und nahm den Anruf entgegen.

Dann lauschte er lange und konzentriert.

„Ich soll nach Möglichkeit heute in die Klinik kommen und meinen freien Tag später nehmen“, sagte er, als er das Gerät wieder einsteckte. „Doktor Holl hat den Patienten untersucht und einen Verdacht geäußert. Es könnte sich um ALS handeln. Wie gesagt, vorerst ist es nur ein Verdacht. Und wie er richtig sagt, kann die Diagnose nur von einem Neurologen gestellt werden. Der Neurologe bin ich.“

„ALS? Amyotrophe Lateralsklerose?“ Johannas Augen weiteten sich entsetzt. „Sprichst du von Oliver?“

Christian nickte und gab ein kleines bitteres Lachen von sich. „Ist schon verrückt, dass ausgerechnet ich mich jetzt um deinen Verlobten kümmern soll. Aber das lässt sich jetzt leider nicht umgehen.“

„Ich komme natürlich mit.“

Nervös strich sich Johanna eine Haarsträhne hinters Ohr. „Das darf nicht wahr sein!“, rief sie leise. „Das gibt’s doch nicht! Oliver war immer Leistungssportler.“

„Gegen dieses Leiden ist niemand gefeit, egal ob Sportler oder nicht.“

„Und wenn es tatsächlich ALS ist? Was kann man dagegen tun?“

„Es gibt eine Menge Therapiemöglichkeiten, auch medikamentös. Aber …“

„Aber?“

„Es ist eine tödliche Krankheit. Man kann eine Weile mit ihr leben. Aber wie lange, das lässt sich nicht voraussagen.“

„Oh mein Gott, ich will nicht, dass er stirbt.“

Christian hob die Hand und winkte der Kellnerin. „Jetzt warten wir erst einmal ab“, sagte er zu Johanna. „Noch ist die Diagnose ja gar nicht gesichert. Zunächst müssen ähnliche Erkrankungen ausgeschlossen werden.“

Als sie nebeneinander im Wagen saßen, legte Johanna aufstöhnend den Kopf auf Christians Schulter. Dunkle Vorahnungen befielen sie. Was würde jetzt alles auf sie zukommen?

Christian spürte ihre Ängste und nahm sie in den Arm. „Was auch immer passiert, ich liebe dich. Und ich stehe dir bei. Immer.“

Ein wunderbares Versprechen, fand Johanna. Aber so richtig froh werden konnte sie trotzdem nicht.

***

Eine Woche später stand die Diagnose fest. Dr. Holls erster Verdacht hatte sich leider bestätigt. Eine durchgeführte Elektromyographie schloss andere neuromuskuläre Störungen aus. Laboruntersuchungen von Blut und Nervenwasser erhärteten das Ergebnis.

Und der abschließende Befund ergab leider auch, dass sich die Krankheit nicht in einem Frühstadium befand, sondern schon weiter fortgeschritten war. „Sie tötet die Nerven, die die Muskeln steuern“, sagte Dr. Holl traurig zu sich selbst, als er den Befund las.

Oliver verlangt, alles zu wissen. Sowohl Dr. Holl, als auch Dr. Gruber versuchten mit viel Einfühlungsvermögen, dem Patienten trotz allem Mut zu machen. Johanna saß bei ihrem Verlobten und hielt ihm die Hand.

„Es werden noch ganz viele Fragen auftauchen“, sagte Christian. „Sprechen Sie alles an, was Ihnen durch den Kopf geht. Sie werden Medikamente mit einer nervenschützenden Wirkung bekommen. Damit könnte die Krankheit verlangsamt werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit der Physiotherapie oder Ergotherapie, beide zielen auf die Verbesserung der Lebensqualität ab.“

Wahrscheinlich würde Oliver Singer bald auch auf die Maskenbeatmung zurückgreifen müssen, aber das erwähnte Christian in dieser ersten Besprechung noch nicht.

Oliver ließ den Arzt nicht aus den Augen. „Wie lange habe ich noch?“

Christian tauschte einen schnellen Blick mit Dr. Holl, der nun das Wort übernahm.

„Wir wollen uns nicht aus der Affäre ziehen, aber diese Frage lässt sich nicht beantworten“, sagte Stefan Holl. „Die mittlere Überlebensdauer beträgt drei Jahre. Aber es gibt auch Patienten, die nach Diagnosestellung zehn, ja sogar zwanzig Jahre gelebt haben.“

„Ich werde mich nie mehr so bewegen können wie zur Zeit meiner sportlichen Höhepunkte“, stellte Oliver fast gleichmütig fest. „Dafür immer mehr auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein. Ist so ein Leben denn noch lebenswert?“

„Ja, das ist es!“, mischte sich jetzt Johanna ein. „Auch mit gewissen Einschränkungen macht das Leben Freude.“

Oliver zog sie etwas ungeschickt an sich. „Ich bin so froh, dass es dich gibt“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Christian hörte es auch. Seine Lippen wurden schmal, sein Herz zog sich schmerzlich zusammen.

„Die Krankheit wird sich mehr und mehr in den Vordergrund drängen, nicht wahr?“ Oliver sah von einem Arzt zum anderen. „Und ich werde machtlos dagegen sein.“

Christian nickte. Stefan Holl seufzte und zog bedauernd die Schultern hoch.

„Muss ich länger hier in der Klinik bleiben?“

„Nein. Sie können bald nach Hause gehen. Dann nehmen Sie Ihre Medikamente und überlegen sich, welche Therapien Sie machen wollen.“

„Aber nichts davon bringt die Krankheit zum Stillstand.“

„Nein, nichts.“ Dr. Holl stand auf. „Wir lassen Sie jetzt allein, damit Sie in Ruhe über alles reden können. Herr Singer, mein Kollege Gruber und ich sind jederzeit für Sie zu sprechen.“

„Danke“, sagte Oliver.

Johanna fühlte sich wie betäubt. Noch konnte sie das alles nicht begreifen. Noch wusste sie nicht, wie es nun weitergehen sollte, was Oliver tun konnte, um sein Leben mit der Krankheit zu bewältigen.

„Das wird ein Schlag für meine Eltern sein“, sagte Oliver plötzlich. Dann fing er an zu weinen.

Johanna nahm ihn in den Arm und hielt ihn fest. Sie zerfloss vor Mitleid. Warum Oliver?

***

Oliver brauchte lange, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Bald wurde er müde. Sie musste ihm versprechen, noch heute die Werbeaufnahmen abzusagen. Er selbst fühlte sich zu schwach dazu.

Johanna blieb bei ihm, bis er eingeschlafen war. Anschließend erledigte sie das Telefonat, dann ging sie mit weichen Knien zu Christian, der an seinem Computer saß.

„Er schläft jetzt“, sagte sie. „Jetzt will ich alles von dir über ALS wissen“, verlangte sie. „Alles, hörst du?“

„Wie lange jemand damit lebt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es gibt Patienten, die erkranken im Jugendalter und haben eine hohe Lebenserwartung. Aber auch bei jungen Leuten ist es möglich, dass der Tod schon nach wenigen Wochen eintritt.“

Christian sprach eine halbe Stunde, ohne dass Johanna ihn ein einziges Mal unterbrach. Jedes Wort, das er sagte, grub sich in ihr Gedächtnis ein.

„Und wie soll es nun weitergehen?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens.

„Keine Ahnung. Ich muss mich mit der neuen Situation vertraut machen. Das bricht alles so plötzlich über mich herein.“

„Und was ist mit der Trennung von ihm?“

„Ich kann ihn jetzt nicht auch noch damit belasten.“

„Du willst ihn schonen“, stellte Christian fest.

„Was würdest du denn an meiner Stelle tun?“

Sie sprach laut. In ihren Augen lag die blanke Verzweiflung. „Soll ich ihm in seinem jetzigen Zustand den Laufpass geben? Ach Christian, diese Neuigkeiten sind alle noch viel zu frisch. Ich habe einfach noch keine Antwort darauf. Ich weiß nur, dass ich dich liebe. Und dass ich für Oliver tiefes Mitleid empfinde. So was hat er nicht verdient. Ich möchte ihm helfen.“

Christian wollte aufbegehren, sie anflehen, ihrem Verlobten trotz der tödlichen Diagnose die Wahrheit zu sagen, doch er brachte dieses Ansinnen nicht über die Lippen.

Johanna musste ihn für kaltherzig und egoistisch halten. Außerdem war es wichtig, dass sie von sich aus eine Entscheidung traf, mit der sie auch in Zukunft leben konnte.

„Ich muss mit seinen Eltern reden. Sie darauf vorbereiten, was auf sie zukommt. Es wird sie umbringen. Am besten nehme ich mir ein paar Tage Urlaub. Wird er bald einen Rollstuhl brauchen?“

„Ja, ganz sicher. Er braucht irgendwann auch ausgebildetes Pflegepersonal. In einem späteren Stadium sogar rund um die Uhr.“

Johanna fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. „Ich werde mich um ihn kümmern.“

„Das wirst du nicht leisten können“, stellte Christian fest. „Du bist Ärztin, aber keine ausgebildete Pflegefachkraft. Willst du … willst du etwa deinen Beruf aufgeben?“

„Nein. Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht. In meinem Kopf herrscht ein großes Chaos.“

Christian stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Er zog die geliebte Frau hoch und drückte sie an seine Brust.

„Meine Liebste“, flüsterte er. „Wenn ich dir doch helfen könnte!“

„Mach ihn wieder gesund!“, schluchzte sie auf. „Vielleicht wird ja bald ein rettendes Medikament erfunden. Dann brauchte Oliver nicht zu sterben.“

„Ich kenne den Forschungsstand“, sagte Christian beruhigend. „Ein solches Medikament ist leider nicht in Sicht. Wir stehen vor der Tatsache, dass es für diese schwere Krankheit weder eine langfristige Besserung, noch eine Verlangsamung des Verlaufs gibt.“

„Und die Stammzelltherapie? Es gibt Behandlungserfolge. Darüber habe ich doch schon gelesen …“

„Solche Berichte sind nicht als seriös einzustufen.“

Christian strich ihr über das schulterlange Haar. „Die auftretenden Beschwerden können durch eine Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen gelindert werden.“

Er holte tief Luft. „Mehr nicht.“

Die Nähe zu Christian löste die inneren Spannungen ein wenig. Nun begann auch Johanna zu weinen. Der Arzt ließ sie gewähren. Er streichelte und drückte sie, sagte nichts.

„Ich werde jetzt nach Garmisch fahren“, sagte Johanna nach einem Blick auf die Uhr. „Seine Eltern müssen Bescheid wissen. Seine Mutter wird hysterisch reagieren. Mein Gott, wie bringe ich ihnen das nur bei?“

In diesem Augenblick wuchs Christian über sich hinaus. „Wenn es dir hilft, begleite ich dich.“

Johanna wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.

„Würdest du das tun?“

„Für dich tu ich alles“, erwiderte er.

***

Am Abend erzählte Stefan seiner Frau Julia, einer approbierten Kinderärztin, vom ALS-Patienten. Marc schnappte den Namen auf, als er den Wohnraum betrat. „Oliver Singer?“

Stefans Miene verschloss sich. „Hör zu, mein Junge, das wirst du für dich behalten, verstanden? Du weißt ja, was es mit der ärztlichen Schweigepflicht auf sich hat. Das beinhaltet auch die Verschwiegenheit über den Aufenthalt eines Patienten.“

„Keine Sorge, Papa, von mir erfährt niemand etwas. Aber den hab ich bewundert. Ein Supertyp, hat die Vierschanzentournee gewonnen. Kannst du dich nicht mehr an das Poster in meinem Zimmer erinnern? Es hat viele Jahre dort gehangen.“

Marc schaute seinen Vater unschlüssig an. „Aber ein Autogramm hätte ich schon ganz gern von ihm.“

„Im Augenblick geht das nicht“, wies Stefan den Wunsch seines Sohnes zurück. „Versteh das bitte!“

„Okay“, winkte Marc ab. „Ist schon erledigt. Vielleicht begegne ich ihm selbst irgendwo, dann kann ich ihn immer noch fragen. Wann gibt’s was zu essen? Ich habe heute Tennis gespielt und einen Mordshunger.“

„Cäcilie ist noch nicht so weit. Eine halbe Stunde wird’s noch dauern. Wirst du es bis dahin aushalten, mein Junge?“

„Ich kann’s versuchen“, gab der junge Medizinstudent zurück. „Aber versprechen kann ich es nicht.“

Mit diesen Worten zog er sich zurück.

Stefan aber stand auf und machte eine Wanderung durch den Raum. „Die Medizin macht ständig große Fortschritte“, stellte er grimmig fest. „Aber gegen eine Schädigung der motorischen Nervenzellen sind wir nach wie vor machtlos. Ich würde diesem jungen Mann so gern helfen. Er ist gerade mal dreißig Jahre alt.“

„Vieles ist möglich, aber nicht alles“, versuchte Julia ihren Mann zu besänftigen. „Irgendwann wird man auch etwas gegen die amyotrophe Lateralsklerose finden.“

„Ja, vielleicht ist die Forschung eines Tages so weit. Aber dann wird es für Oliver Singer zu spät sein. Er, der so viele Fans mit seinen sportlichen Leistungen begeistert hat, wird eines gar nicht mehr fernen Tages im Rollstuhl sitzen. Und wenn die Krankheit noch weiter fortgeschritten ist, wird er Schluck- und Atembeschwerden bekommen.“

Stefan ging noch einmal hin und her, dann setzte er sich neben seine Frau und legte einen Arm um sie.

Julia griff nach seiner Hand. „Hör auf, dir solche Gedanken zu machen. Du bist ein wunderbarer Arzt, die Patienten lieben dich und deine Mitarbeiter auch. Nicht zu vergessen deine Familie.“

Sie warf ihm einen liebevollen Seitenblick zu und stellte mit großer Zufriedenheit fest, wie seine Stirn sich glättete.

„Du hast ja recht, Schatz. Wir haben so viel erreicht, ganz besonders in der Neonatologie.“

Da konnte Julia ihm nur beipflichten. Die Berling-Klinik besaß in der Frühgeborenen-Betreuung einen guten Ruf. Und Stefan war immer überglücklich, wenn eines dieser unreifen Babys nach einer Zeit der intensiven Pflege ein normales Leben ohne Behinderung führen konnte.

„Trotzdem würde ich Oliver Singer so gern helfen. Er ist der Verlobte von Frau Doktor Bader und ein äußerst sympathischer Mann. Sie hat ihn selbst in die Klinik gebracht. Aber bei der Anamnese ergab sich, dass er schon länger Probleme hat. Er hielt sie für bedeutungslos.“

„In welchem Stadium befindet er sich?“

„Ich habe das eingehend mit unserem Neurologen Gruber besprochen. Er hat den Patienten lange untersucht und akribisch die Befundergebnisse zusammengetragen. Nach Doktor Gruber ist das untere Motoneuron so geschädigt, dass es zu einem kompletten Ausfall der Muskulatur bei Rumpf und Gliedmaßen und ebenso der Reflexe kommen wird. Die Frage ist nur, wann.“

„Da kann man nur für den Patienten hoffen, dass er Hilfe von seiner Familie und den Freunden bekommt“, meinte Julia.

„Ich wünsche es ihm von ganzem Herzen“, pflichtete Stefan seiner Frau bei.

***

Während der Fahrt sprachen sie kaum. Christian saß am Steuer. Beide waren viel zu sehr in ihren Gedanken gefangen.

Johanna fürchtete sich vor dem Zusammentreffen mit Olivers Eltern. Und Christian dachte voller Sorgen an die Zukunft. Konnte er Johanna jetzt noch zu einer Entscheidung drängen? Und wie würde die ausfallen?

„Gleich kommt das Sporthotel Singer“, erklärte Johanna, als sie schon den Stadtrand von Garmisch erreicht hatten. Und nach weiteren Kilometern: „Dort vorn, das ist es.“

„Mhm, sehr beeindruckend“, stellte Christian fest, als der Wagen langsam an dem mächtigen Gebäude vorbeirollte. „Und dort arbeitet er also.“

„Gelegentlich. Das Management erledigt ein sehr tüchtiger Geschäftsführer, weil Oliver ja nicht immer da ist. Seine Eltern haben sich schon gänzlich aus dem Geschäft zurückgezogen. Jetzt nach links. Der große Klinkerbau ist die Villa.“

Christian verlangsamte die Fahrt und bremste in unmittelbarer Nähe vor dem Haus ab.

„Lass mich zuerst reden“, bat Johanna. „Erst, wenn ich dir ein Zeichen gebe, erklärst du ihnen die Krankheit. Aber bitte so, dass sie nicht gleich in Ohnmacht fallen.“

Christian folgte Johanna mit gemischten Gefühlen. Sie benutzte nicht ihren Schlüssel, sondern klingelte. Helga, die Haushälterin, öffnete und schaute erstaunt von einem zum anderen.

„Nanu, Frau Doktor, mit Ihnen habe ich gar nicht gerechnet. Die Herrschaften sitzen beim Nachmittagstee.“

„Danke, Helga“, sagte Johanna. „Ich kenne den Weg. Bitte sorgen Sie dafür, dass wir die nächste Stunde nicht gestört werden. Ich habe mit den beiden etwas Wichtiges zu besprechen.“

Zielstrebig ging sie zur breiten Flügeltür, klopfte kurz und trat ein.

Maria saß in dem großzügig verglasten Erker, Alfred saß in der gegenüberliegenden Ecke des großen Raumes und las in der Zeitung, hinter der blaue Wolken aus seiner Pfeife in die Höhe stiegen.

„Nanu, Johanna, was machst du denn hier?“, fragte Maria. Und nach einem misstrauischen Blick auf den fremden Mann. „Und wo ist Oliver?“

Auch Alfred ließ jetzt die Zeitung sinken und schaute kritisch herüber.

„Wir sollten uns setzen“, sagte Johanna.

Alfred stemmte sich ächzend aus seinem Ohrensessel, in dem schon sein Großvater die Zeitung gelesen hatte, und kam mit gebeugtem Kopf näher. Mit den Jahren wurde er immer krummer. Erst jetzt fiel Johanna erstmals auf, wie alt Alfred schon war.

Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe eine traurige Mitteilung für euch. Oliver befindet sich zurzeit in der Berling-Klinik. Nach seiner Ankunft in München klagte er über Schmerzen und Muskelkrämpfe. Da habe ich ihn einfach in die Klinik gebracht, wo er eingehend untersucht wurde.“

Sie holte tief Luft. „Er leidet an ALS. Das ist die Abkürzung für amyotrophe Lateralsklerose. Die Diagnose steht fest. Trotzdem besteht kein Grund …“

„Um Himmels willen!“, rief Maria aus und fuhr sich mit beiden Händen durch das graue Haar. „Das hat der Mann einer Freundin auch gehabt … um Gottes willen! Doch nicht mein Bub! Oliver ist doch erst dreißig …“

Johanna rückte etwas näher zu der Frau, deren Blicke verzweifelt durch den Raum irrten. „Ich weiß, es ist schrecklich.“ Sie legte einen Arm um Maria. „Aber damit müssen wir uns jetzt alle abfinden.“

„Wo ist Oliver? Ich will ihn sehen. Ich muss ihn trösten. Was wird er jetzt wohl durchmachen? Wieso bist du jetzt nicht an seiner Seite?“

Die Stimme wurde schrill, dann kippte sie und Maria brach in lautes Weinen aus.

„Ich bin hier, weil ich euch persönlich berichten wollte, was passiert ist. Ich habe unseren Neurologen Doktor Gruber mitgebracht. Er ist Olivers Arzt und kann euch alle Fragen beantworten.“

Sie blickte Christian auffordernd an.

Er musste schlucken. Johannas Wortwahl irritierte ihn. Olivers Arzt! Gleichzeitig nahm er sie wieder stumm in Schutz. Sie konnte ihn den geschockten Eltern ja nicht als ihren Geliebten vorstellen.

Christian räusperte sich. „Sie haben also schon von dieser Krankheit gehört“, wandte er sich an Maria Singer.

„Es wird doch wohl Behandlungsmöglichkeiten geben“, ließ sich jetzt Alfred vernehmen. „Die Pharmaindustrie hat für jedes Wehwehchen eine Pille.“

„Ja, es gibt ein Medikament“, bestätigte Dr. Gruber. „Es gibt einen Wirkstoff, der den Untergang der Nervenzellen hemmt.“

„Für immer?“ Marias Gesicht war voll roter Flecken.

„Nein“, erwiderte Christian ruhig. „Die Krankheit kann damit nicht gestoppt werden.“

„Gott im Himmel, warum tust du mir das an!“, schrie Maria mit nach oben gerichtetem Blick. „Was habe ich getan, dass du mich so bestrafst?“

Johanna und Christian schauten sich betreten an.

„Maria, ich weiß, wie schwer es für dich sein muss, aber wir sollten jetzt alles tun, um Oliver das Leben weitgehend zu erleichtern.“

„Wird er denn nie mehr Skilaufen können?“ Nur wimmernd brachte die verzweifelte Mutter die Worte hervor. „Er liebt seinen Sport doch so sehr.“

„Er kann keinen Sport mehr machen. Bewegungstherapie ja, aber die Muskeln werden sich jeder Art von Sport verweigern.“

Das Gespräch zog sich viel länger als eine Stunde hin. Als es Abend wurde, wollte Johanna aufbrechen, doch Maria versuchte sie daran zu hindern. „Warum bleibst du nicht hier? Du kannst uns doch jetzt nach diesem Schock nicht allein lassen!“

„Aber ich muss mich doch um Oliver kümmern. Er wartet auf mich. Er wird euch später noch anrufen. Ihr könnt ihn morgen besuchen, wenn ihr wollt. Ein paar Tage wird er noch in der Klinik bleiben, bevor er nach Hause zurückkommt.“

„Ich werde ab jetzt nur noch für meinen Sohn da sein!“ Maria schien sich ein wenig gefangen zu haben. „Mein Leben würde ich für ihn geben, wenn ich könnte!“

Alfred erhob sich und drückte Christian die Hand. „Bitte tun Sie alles für ihn, was in Ihrer Macht steht. Oliver ist unser einziger Sohn. Die Lücke, die er hinterlassen würde, ließe sich nicht mehr füllen.“

Dr. Gruber nickte nur.

„Ich halte euch selbstverständlich auf dem Laufenden. Aber ihr könnt auch jederzeit mit Oliver reden.“ Johanna drückte Alfreds Schulter. „Setz dich nur wieder hin. Wir finden allein hinaus. Wiedersehen. Bis bald.“

***

Christian setzte sich wieder ans Steuer und startete den Wagen. „Haben sie so reagiert, wie du dachtest?“, fragte er.

„Marias schrille Art war mir unangenehm“, sagte Johanna. „Aber so ist sie nun mal. Im Grunde möchte sie sich selbst immer in den Mittelpunkt stellen. Sie ist die Leidende, diejenige, die ein schweres Bündel tragen muss. Ich mag sie nicht besonders. Die Vorstellung, mit ihr in einem Haus zu leben, war mir immer schon unangenehm.“