Die besten Ärzte - Sammelband 39 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 39 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1804: Du kämpfst nicht allein!
Notärztin Andrea Bergen 1283: Zum Glück lachst du wieder!
Dr. Stefan Frank 2237: Wenn du mich fragst, sage ich Ja!
Dr. Karsten Fabian 180: Lass doch die Leute reden!
Der Notarzt 286: So viel Zeit, die wir verloren haben

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 599

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014/2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: © wavebreakmedia / Shutterstock ISBN 978-3-7517-2945-1 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Ina Ritter, Alexa Reichel

Die besten Ärzte - Sammelband 39

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1804Nachdem bei seiner Frau eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde, ließ Rainer Bärenz seine Familie im Stich. Seine damals dreizehnjährige Tochter ist durch diesen Vorfall schwer traumatisiert. Und so glaubt Silke auch sechzehn Jahre später noch, dass man keinem Mann wirklich vertrauen kann. Aus Angst, einem "Doppelgänger" ihres Vaters zu begegnen, scheut sie sich, ihr Herz zu verschenken. Doch dann lernt sie den charmanten Musiker Laurent Winter kennen, und es entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft zwischen ihnen. Als Laurent ihr aber seine Liebe gesteht, zieht Silke sich in ihr Schneckenhaus zurück und bricht den Kontakt ab. Zu groß ist die Angst, verlassen zu werden, wenn die Not am größten ist. Wird sie das Trauma ihrer Kindheit niemals überwinden?Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1283Mit hängendem Kopf stapft der kleine Julian hinter seinem Papa her. Keines der Wildtiere, denen er sonst so viel zu erzählen hat, kann ihn heute begeistern. Im Gegenteil, beinahe sieht Julian so aus, als wollte er jeden Moment in Tränen ausbrechen! Berthold, sein Vater, seufzt bekümmert auf. Wenn Julian doch nur endlich wieder lachen würde! Berthold würde alles dafür geben! Als sie den Wildpark verlassen und zu ihrem Auto gehen, überlegt der besorgte Vater, am nächsten Tag einen Arzt zu konsultieren. Aber wer kann ihm weiterhelfen - ein Kinderarzt oder ein Psychologe? Doch schon eine Viertelstunde später wird ihm die Entscheidung auf dramatische Weise abgenommen! Als Bremsen quietschen und ein gellender Kinderschrei ertönt, fürchtet Berthold, seinen geliebten kleinen Jungen verloren zu haben -Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2237Bereits seit zwei Monaten zerbrechen sich die Grünwalder den Kopf darüber, wer der seltsame Mann ist, der in die hübsche Villa in der Gartenstraße 7 gezogen ist. Bei Nacht und Nebel hat er sein neues Heim bezogen, und seitdem hat ihn niemand mehr gesehen. Inzwischen kursieren die abenteuerlichsten Gerüchte über ihn, doch niemand ahnt, was für ein trauriges Schicksal sich wirklich hinter den dicken Mauern verbirgt. Als die hübsche Medizinstudentin Laura Winter eines Tages gebeten wird, in eben jenem mysteriösen Haus nach einem verletzten Hund zu sehen, sagt sie spontan zu. Wie spannend! Nun wird sie das Geheimnis des Fremden lösen, denkt sie. Doch weit gefehlt: Der Besitzer der prunkvollen Villa kommuniziert nur über Zettel mir ihr, nie bekommt sie ihn zu Gesicht - bis es zu einem tragischen Unglück kommt, das ihrer beider Leben von einem Tag auf den anderen völlig verändert ...Jetzt lesen
Ina RitterDr. Karsten Fabian - Folge 180Schon einmal stand Ella Renken im Mittelpunkt des Heidedorfes Altenhagen - als ihr Mann, ein Trinker, starb und sie mit ihren sieben Kindern allein zurückließ. Jetzt aber muss die arme Frau lernen, den Alltag allein zu meistern. Und das ist bei einer großen Familie alles andere als leicht. Zurzeit macht ihr Petra, ihre zweitälteste Tochter, Kummer. Die hat sich nämlich ausgerechnet in einen der reichsten Männer des Nordens verliebt. Und für die Mutter ist es klar, dass dieser Rupert nur ein Spiel mit ihrer unschuldigen Tochter treibt. Und dann wird auch noch der 14-jährige Christoph aus der Kreisstadt nach Hause gebracht - in einem Polizeiauto!Jetzt lesen
Alexa ReichelDer Notarzt - Folge 286Dr. Matthias Dornfeld ist in der Frankfurter Sauerbruch-Klinik äußerst beliebt und hoch angesehen. Der attraktive Kinderarzt hat stets ein offenes Ohr für seine kleinen Patienten, ist freundlich zu seinen Kollegen und noch dazu sehr kompetent. Allerdings weiß so gut wie niemand, dass hinter dem Mediziner eine Vergangenheit liegt, die alles andere als rosig war: Vor knapp zwanzig Jahren bestimmten Drogen und Abhängigkeit seinen Alltag. Es kommt einem Wunder gleich, dass er sich damals selbst aus diesem Sumpf befreit, Medizin studiert und sich ein geregeltes Leben aufgebaut hat. Trotzdem verspürt Matthias Dornfeld oft eine große Einsamkeit und Leere, denn er lebt allein und hat keine Familie. Da führt ein schrecklicher Unfall dazu, dass der Arzt in der Notaufnahme die achtzehnjährige Jessica kennenlernt. Die junge Frau erscheint ihm seltsam vertraut, und doch ahnt Dr. Dornfeld nicht einmal, auf welch schicksalhafte Weise er mit Jessica verbunden ist ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Du kämpfst nicht allein

Vorschau

Du kämpfst nicht allein

So besiegte Silke ihre schwere Krankheit

Von Katrin Kastell

Nachdem bei seiner Frau eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde, ließ Rainer Bärenz seine Familie im Stich. Seine damals dreizehnjährige Tochter ist durch diesen Vorfall schwer traumatisiert.

Und so glaubt Silke auch sechzehn Jahre später noch, dass man keinem Mann wirklich vertrauen kann. Aus Angst, einem „Doppelgänger“ ihres Vaters zu begegnen, scheut sie sich, ihr Herz zu verschenken. Doch dann lernt sie den charmanten Musiker Laurent Winter kennen, und es entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft zwischen ihnen. Als Laurent ihr aber seine Liebe gesteht, zieht Silke sich in ihr Schneckenhaus zurück und bricht den Kontakt ab. Zu groß ist die Angst, verlassen zu werden, wenn die Not am größten ist. Wird sie das Trauma ihrer Kindheit niemals überwinden?

„Waren wir auch so verrückt und haben uns wegen ein paar guter Songs zum Narren gemacht?“, fragte Dr. Stefan Holl seine Frau Julia schmunzelnd, während er es sich mit ihr auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich machte.

„Und ob, mein Liebling! Hast du eine dunkle Erinnerung an das Queen-Konzert damals?“, fragte Julia unschuldig.

„Hmmm!“ Stefan seufzte wohlig und kuschelte sich noch etwas enger an seine Frau. „Aber das war doch etwas ganz anderes. Wir haben Freddy Mercury auf der Bühne erlebt. Dani trommelt uns hier alle im Wohnzimmer zusammen wegen einer Radiosendung. Radio im 21. Jahrhundert? Komm schon!“

„Lass dich einfach überraschen!“, meine Julia gelassen. „Wir haben mit Begeisterung Radio gehört in unserer Jugend, und ich finde es schön, dass Dani und Marc dem Radio auch wieder etwas abgewinnen können. Übrigens höre ich die Nachtsendung auch gern. Wenn du Dienst hast und ich abends noch bügle oder einfach keine Lust habe, zu lesen oder schon ins Bett zu gehen, dann habe ich den Sender meist drin. Die Moderatorin ist witzig, und die Musikauswahl ist abwechslungsreich.“

Stefan und Julia Holl hatten vier Kinder. Chris war fünfzehn, und seine Schwester Juju war mit elf Jahren das Nesthäkchen der Familie. Dani und Marc waren Zwillinge und zwanzig Jahre alt. Sie studierten in München und wohnten noch zu Hause.

Die Zwillinge waren den ganzen Sonntag ungewöhnlich aufgedreht gewesen und hatten allen Familienmitgliedern immer wieder das Versprechen abgenommen, sich um zweiundzwanzig Uhr mit ihnen eine Radiosendung anzuhören. Dann war Marc kurz nach einundzwanzig Uhr klammheimlich verschwunden, und sein Vater fand das befremdlich.

„Hat dein Bruder die Lust an eurer großen Überraschung verloren, oder kommt er rechtzeitig zurück?“, hatte er Dani gefragt. „Was ist das eigentlich für eine Überraschung?“

„Papa, zum Wesen einer guten Überraschung gehört es, dass sie überraschend ist. Ich verrate nichts!“, hatte seine Tochter geheimnisvoll geantwortet und gegrinst. Sie wusste genau, wie ungern er sich überraschen ließ.

Dr. Stefan Holl war Chefarzt und leitete die Berling-Klinik in München. Als Mediziner musste er ständig mit unvorhergesehenen Entwicklungen rechnen. Patienten, denen es gerade noch blendend ging, konnten plötzlich sterben. Symptome tauchten wie aus dem Nichts auf, und andere verschwanden auf unerklärliche Weise.

Beruflich musste er immer auf alles vorbereitet sein und prompt reagieren können, was immer auch geschah. In seinem Privatleben zog er es daher vor, sich auf Veränderungen vorbereiten zu können, und er schätzte unerwartete Ereignisse wenig. Bei vier Kindern und einem vor Leben nur so sprühenden Haus war das natürlich illusorisch, und seine Frau machte sich oft gutmütig über seinen Wunschtraum lustig.

Um zweiundzwanzig Uhr ging Silke Bärenz auf Sendung wie jeden Abend. Sie war die Nachteule des Münchner Lokalsenders, die von zweiundzwanzig Uhr bis sechs Uhr am Morgen das Programm gestaltete. Ihre Beliebtheit beim Publikum war groß, und ihre Sendung wurde nicht nur von jungen Leuten gehört.

„Guten Abend, München! Für alle Nachteulen da draußen: Lasst uns die Nacht genießen! Wer braucht schon Sonnenschein? Wir haben die Ruhe der Nacht, um sie mit den besten Klängen der letzten fünfzig Jahre zu füllen. Ich bin Silke Bärenz und halte Sie wach“, meldete sich die Moderatorin, wie sie es immer tat.

Die Holls kuschelten mit Ausnahme von Marc auf ihren jeweiligen Lieblingsplätzen im Wohnzimmer und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

„Heute Nacht sind alle gefragt, die beruflich eine Familientradition fortsetzen und in die Fußstapfen ihrer Eltern oder Großeltern treten. Wie ist das? Verpflichtung oder Berufung? Ruft an! Mein spezieller Studiogast heute ist Marc Holl“, kündete Silke Bärenz an.

Im Wohnzimmer der Holls wurde geklatscht und gelacht. Das war tatsächlich eine Überraschung.

„Hallo, Marc! Willkommen im Studio!“

„Hallo, Silke! Es ist spannend für mich, hier zu sein“, tönte Marcs vertraute Stimme aus dem Radio.

„Mein Sohn!“, sagte Stefan stolz dazwischen und strahlte.

„Schschsch!“, machte es um ihn herum, weil alle zuhören und kein einziges Wort verpassen wollten.

„Ich meine ja nur!“

„Schschsch!“

„Marc ist zwanzig Jahre alt und studiert Medizin in der dritten Generation. Was es damit auf sich hat, wird er uns gleich erzählen. Aber jetzt hören wir zuerst einen Song von Queen, den Marc sich für seine Eltern gewünscht hat.“

I want it all, sang Freddy Mercury. Stefan und Julia gaben sich einen Kuss und schmiegten sich auf dem Sofa enger aneinander. Das Lied weckte schöne Erinnerungen.

„Meine Mutter und mein Vater sind Ärzte, und mein Großvater hat die Berling-Klinik hier in München gegründet, die jetzt mein Vater leitet“, begann Marc anschließend zu erzählen. „Bei uns am Esstisch wird natürlich häufiger über Gesundheitsthemen gesprochen. Das ergibt sich irgendwie von ganz allein.“

„Dann bist du quasi mit einem Stethoskop um den Hals aufgewachsen, und dir war schon im Kindergarten klar, dass du einmal Arzt werden möchtest?“, wollte die Moderatorin wissen.

„Nein, da wollte ich unbedingt Astronaut werden und ein Held wie Luke Skywalker“, scherzte Marc souverän.

„Das macht er richtig gut!“, lobte seine Mutter beeindruckt. „Wo hat er das nur her? Du bist ein miserabler Redner, Stefan, und ich sehe meine Stärke auch nicht unbedingt im gewandten gesellschaftlichen Auftreten.“

„Schschsch!“

Stefan wechselte die Fronten und bat seine Frau nun gemeinsam mit den Kindern, still zu sein, wofür Julia ihm schmunzelnd spielerisch einen Ellenbogen in die Seite stieß.

„Meine Eltern haben weder mich noch meine Geschwister je gedrängt, ihren Beruf zu ergreifen. Meine Zwillingsschwester Dani studiert zum Beispiel Biologie. Was meine jüngeren Geschwister einmal machen werden, ist offen. Ich studiere nicht Medizin, weil meine Eltern das wünschen, sondern weil ich es möchte.“

„Spielte es für dich bei deiner Entscheidung eine Rolle, dass du eine Familientradition fortsetzt?“

„Keine Ahnung. Unbewusst hat es mich sicher beeinflusst. Es ist eine Herausforderung, in die Fußstapfen meiner Eltern und meines Opas zu treten. Ich möchte ein genauso guter Arzt werden wie sie. Klar! Dafür lege ich mich ins Zeug. Es spornt mich an“, überlegte Marc.

Jetzt hörte die ganze Familie ihm aufmerksam zu.

„Das Interesse an der Medizin und am menschlichen Körper wurde aber eher durch all die Gespräche geweckt, die sich bei uns um die Berling-Klinik, seltene Krankheiten oder neue Therapien drehen. Außerdem geht es in der Medizin darum, Menschen zu helfen. Das ist toll, und meine Familie hat mir vorgelebt, wie anspruchsvoll und erfüllend es ist, als Arzt zu arbeiten!“

„Nach dem nächsten Musikstück geht es weiter“, kündete die Moderatorin an, und da klingelte bei den Holls auch schon das Telefon.

„Marc ist im Radio. Das müsst ihr euch anhören!“, sagte ein Arzt der Berling-Klinik, mit dem Stefan und Julia seit vielen Jahren befreundet waren. „Ihr könnt stolz auf euren Jungen sein.“

„Sind wir!“ Stefan lachte. „Wir sitzen hier alle zusammen vor dem Radio, und Julia drückt ein paar Tränchen weg. Aber du hast doch Dienst …“

„Zu Befehl, Herr Klinikchef!“, scherzte der Arzt. „Ich habe die Nachteule immer im Arztzimmer laufen, wenn ich Pause habe. Bei der Sendung werde ich nicht müde. Sie ist witzig, informativ und bringt meine Musik.“

Der Beitrag mit Marc dauerte noch ein paar Minuten, dann verabschiedete Silke Bärenz ihn herzlich und bedankte sich bei ihm für das Interview. Noch ganz beseelt von seinem Erlebnis im Sender kam er zu Hause an.

„Ich hatte keine Ahnung, wie spannend es ist, beim Radio zu arbeiten. Was da alles für Informationen zusammenlaufen. Irre!“, erzählte Marc fasziniert.

„Sohn, du warst spitze!“, lobte ihn sein Vater und nahm ihn in den Arm.

„Das finde ich auch, Marc!“ Auch Julia ließ es sich nicht nehmen, ihren Jungen zu umarmen.

Die Familie saß noch lange zusammen, ging das Interview gründlich durch und unterhielt sich über Familientraditionen und wo sie Segen sein konnten und auch Fluch. Es war ein rundum schöner Abend im Hause Holl.

„Silke Bärenz ist gerade einmal neun Jahre älter als Dani und ich. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert und parallel bereits beim Radio gearbeitet. Eine tolle Frau“, schwärmte Marc und hatte den Augenausdruck, den seine Zwillingsschwester nur zu gut kannte.

„Hey, neun Jahre sind neun Jahr, Bruderherz, und sie wird sich kaum in einen großen Jungen wie dich verlieben. Lass es besser gleich sein!“, riet sie ihm, als sie später alleine waren.

„Blöde Kuh!“, schimpfte er.

„Nö, ich muss dich nur jedes Mal zusammenflicken, wenn du dich unglücklich verliebst, und in dem Fall steht nichts anderes als Liebeskummer in den Zukunftsprognosen. Also lass es einfach aus und bleibe froh …“

„… wie der Spatz im Haferstroh“, unterbrach sie ihr Bruder. „Was tun nur all die armen Menschen, die keinen Zwilling haben, der ihnen sagt, was ihnen guttut?“

„Keine Ahnung, aber du hast zum Glück mich und musst dir darüber keine Gedanken machen, Bruderherz.“

„Wie beruhigend! Danke!“

Jetzt begannen die Zwillinge beide zu lachen.

***

„Tschüss, Silke! Du warst mal wieder toll heute Nacht. Hätte nicht gedacht, dass sich aus dem Thema so viel herausholen lässt. Schlaf gut!“, wurde Silke von ihrem Chef begrüßt und verabschiedet in einem. Er ließ ihr schon lange absolut freie Hand und war damit immer gut gefahren.

„Danke! Und ihr, tretet euch nicht auf den Füßen herum! Immer schön cool bleiben!“, rief Silke in die Runde.

„Hau bloß ab! Wie kann man am frühen Morgen nur so strahlender Laune sein?“

„Übung. Nichts als Übung! Gute Nacht!“ Lachend winkte Silke ihren Kollegen und ging. Nachts war es im Sender sehr ruhig, und sie war fast allein. Tagsüber herrschte ein reges Treiben, und sie war immer froh, wenn sie gehen konnte. Sie war tatsächlich zu einer waschechten Nachteule geworden und zog die Einsamkeit vor, selbst wenn sie hin und wieder schmerzlich sein konnte.

Wenn sie den Sender am Morgen verließ, war München längst erwacht, und viele strömten zur Arbeit. Die Straßen waren verstopft, und die Autofahrer standen ständig im Stau. Mit dem Auto hätte Silke für die fünf Kilometer zu ihrer Wohnung länger gebraucht als mit dem Fahrrad.

Die Bewegung und die frische Morgenluft taten ihr nach der langen Nacht gut, und so trat sie gerne in die Pedale. Selbst bei Eis, Schnee oder strömendem Regen blieb sie ihrem Rad treu und wurde von ihren Kollegen gerne damit gefoppt.

„Hallo, Maunz!“, begrüßte sie ihren schwarzen Kater, der ihr an der Wohnungstür entgegenkam und um ihre Beine strich. „Hunger?“

Der Kater schnurrte vernehmlich, als sie einträchtig mit ihm in die Küche ging und erst einmal seine Schüsseln füllte.

„Lass es dir schmecken!“

Silke machte sich einen Milchkaffee und setzte sich für ein paar Minuten auf die kleine Terrasse. Es war Anfang Juni, und der Sommer stand in den Startlöchern. In den Gärten der Nachbarn blühten die letzten Tulpen parallel zu Rosen. Das Grün der Bäume war dabei, seine frühlingshafte Frische zu verlieren und den dunkleren Ton des Sommers anzunehmen.

Ganz tief atmete die junge Frau ein und aus und spürte, wie die Anspannung der Arbeit von ihr abfiel und die Müdigkeit sie übermannte. Silke rekelte sich wohlig. Auf sie wartete jetzt erst einmal das Bett, und so müde, wie sie war, hoffte sie, in den Schlaf zu finden.

„Maunz, schläfst du eine Runde mit, oder hast du spannendere Pläne?“, fragte sie ihren Kater, der es sich nach seinem Frühstück auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte und sich zufrieden von ihr kraulen ließ.

Er sprang verärgert herunter, als sie aufstand, und stolzierte beleidigt davon. Silkes Wohnung lag in einem sehr ruhigen und recht grünen Viertel Münchens und direkt an einem kleinen Park. Maunz war ein Freigänger und konnte kommen und gehen, wie es ihm gefiel.

„Pass auf dich auf!“, rief sie ihm nach und ging ins Bett.

Trotz der herrlichen Müdigkeit, die sie auf der Terrasse durchströmt hatte, konnte sie wie gewohnt nicht einschlafen. Sie hatte den Rollladen heruntergelassen, und in ihrem Schlafzimmer herrschte Dunkelheit, aber ihr Körper ließ sich nicht betrügen. Ihre Gedanken fuhren Karussell mit ihr.

Seit fünf Jahren arbeitete sie inzwischen schon nachts, aber es war immer ein Problem für sie geblieben, zumindest ein paar Stunden Schlaf am Tag zu bekommen. Sie fand schwer zur Ruhe und wachte beim geringsten Lärm auf. Zum Glück brauchte Silke wenig Schlaf, um in der Nacht wieder fit und guter Dinge zu sein.

Als Maunz sich nach einer halben Stunde neben sie auf die Bettdecke legte, sich einrollte und umgehend einschlief, beneidete sie ihn zutiefst. Aber mit ihm an der Seite fühlte auch sie sich gleich etwas besser und schlief irgendwann endlich ein.

„Du hast Augenringe wie eine echte Eule, Schatz, und glaub mir, dem Original stehen die eindeutig besser. Hast du wieder nicht geschlafen?“, fragte die Mutter ihre Tochter, als sie um fünfzehn Uhr wie jeden Tag bei ihr im Seniorenheim vorbeischaute.

„Drei Stunden, dann hat der Postbote geklingelt und ein Päckchen für meine Nachbarin bei mir abgegeben. Das war es.“ Silke gähnte.

„Du Arme!“

Nadja Bärenz war erst einundfünfzig Jahre alt, aber sie litt an einer seltenen Muskelschwunderkrankung und konnte nur noch den Kopf bewegen. Mit ihrem Spezialrollstuhl konnte sie sich dennoch unabhängig bewegen. Sie steuere ihn über ihr Kinn und wagte sich damit sogar alleine in die Fußgängerzone. Ihren Freiheitsdrang konnte die Krankheit nicht besiegen.

Silke bewunderte ihre Mutter für den Mut und Frohsinn, mit dem sie sich ihrem schweren Schicksal stellte. Jammern und Klagen waren nicht Nadjas Sache. Sie machte immer aus allem das Beste, und ihre Tochter wünschte, sie hätte mehr von ihr gehabt.

Ihr Vater hatte die Familie verlassen, sobald sich die ersten Symptome der Krankheit bei seiner Frau gezeigt hatten. Er besuchte seine Exfrau nie und hatte seit der Scheidung kein einziges Mal gefragt, wie es ihr ging. Es war ein konsequenter Schnitt aus scheinbar heiterem Himmel gewesen.

Silke hatte ihre Eltern nie streiten hören und sie oft schmusen und lachen sehen bis kurz vor der Trennung. Ihre kleine Familie war heil gewesen, bis zu dem Tag, an dem ihr Vater erklärte, dass er nicht dafür geschaffen sei, mit einer kranken Frau zu leben, und lieber rechtzeitig gehen wolle, bevor es zu spät war.

Seine Tochter konnte ihm das nicht verzeihen und hatte ihrerseits kein Interesse an einem Kontakt zu ihm. Sie war dreizehn gewesen, als er gegangen war. Seitdem hatten sie ihn nur ein paar Mal gesehen, obwohl er mit seiner neuen Familie in München lebte und sie immer einmal wieder einlud.

„Manche Menschen können mit Krankheit und Tod nicht umgehen. Dein Vater musste gehen. Er hätte es nicht ertragen, meinem Verfall hilflos zusehen zu müssen. Glaubst du, es wäre mir eine Hilfe gewesen, sein Grauen und sein Unbehagen immer um mich zu haben? Es war gut so. Sei nicht so streng!“ Ihre Mutter hatte noch nie ein böses oder auch nur kritisches Wort über ihn verloren.

Nadja war seit drei Jahren in dem Heim. Zuvor hatte sich Silke liebevoll um sie gekümmert und die Pflege durch soziale Dienste für sie organisiert. Erst als sich ihr Zustand so weit verschlechtert hatte, dass die häuslichen Dienste Bedenken äußerten und eine Heimpflege vorschlugen, stimmte Silke widerstrebend zu.

Für ihren Vater hatte sie keinerlei Verständnis. Sie war als Jugendliche mit der Sorge um ihre kranke Mutter alleine gewesen. Er hatte nicht nur ihre Mutter im Stich gelassen, sondern auch sie. Mit jedem Jahr hatte die Krankheit sich ein Stück mehr vom Körper ihrer Mutter genommen, und Silke hatte keine Wahl gehabt. Sie hatte zusehen müssen, denn außer ihr war keiner da gewesen.

„Kind, wenn du mich fragst, bist du einsam und brauchst einen Partner. Bist du erst glücklich verliebt und siehst rosarote Wölkchen, dann schläfst du wie ein Engel“, orakelte Nadja, die es zu gerne gesehen hätte, dass ihre Tochter einen Freund fand und irgendwann eine Familie gründete.

„Schlafen Engel? Soweit ich weiß, sind die immer und zu jederzeit überall und äußerst wach“, erwiderte Silke trocken.

„Das war nicht mein Punkt“, beharrte ihre Mutter.

„Mama, kannst du mir sagen, warum ein männliches Wesen die Lösung für meine Schlafprobleme sein sollte?“, fragte Silke. Sie deckte ihre Mutter im Rollstuhl fürsorglich zu, weil sie beschlossen hatten, gemeinsam einen Spaziergang im nahen Englischen Garten zu machen.

Guter Laune zogen Mutter und Tochter los. Nadja beharrte auf ihrem Lieblingsthema, wie sich Silke an den Mann bringen ließe. Ihre Tochter freute sich, mit ihr im strahlenden Sonnenschein unterwegs zu sein, und ließ es ihr durchgehen.

Aus ihrer Sicht gab es nicht den geringsten Grund zur Eile. Ob sie nun irgendwann einen Partner fand oder nicht, schien ihr das geringste Problem in ihrem Leben zu sein. Sie brauchte niemanden. Ihr ging es gut, und sie hatte einen Job, der ihr viel Freude machte.

***

„Die Frage ist, warum du nicht schlafen kannst, Schatz. Das ist wie bei der Prinzessin auf der Erbse. Gäbe es die Erbse nicht, wäre das Bettlein kuschelig warm und weich. Die Erbse muss gefunden und eliminiert werden.“

„Die Erbse muss gefunden und eliminiert werden!“, wiederholte Silke amüsiert. „Mama, du bist genial und ein ganz kleines bisschen beängstigend. Ganz schön brutal, oder?“

„Sag das den Brüdern Grimm!“

„Natürlich. Märchen taugen für alle Lebenslagen, aber es bleibt eben doch ein Deutungsspielraum. Sollte ich mir nicht eher einen Kammerjäger nehmen, der alle Erbsen aufspürt, wohlbehalten in den Zoo bringt und dann schleunigst wieder aus meinem Leben verschwindet?“, schlug Silke vor.

„Ein Kammerjäger? Meinst du etwa einen Therapeuten? Überlegst du vielleicht, eine Psychotherapie zu machen?“, hakte ihre Mutter besorgt nach. Silke gab sich immer taff und selbstbewusst. War das verborgene Leid tiefer, als sie geahnt hatte?

„Deutungsspielräume ohne Ende, wie ich gesagt habe. Nein, in meinen Kopf lasse ich niemanden schauen, außer mich allein und natürlich dich – ein ganz kleines bisschen“, beruhigte Silke ihre Mutter lachend.

„Und was soll dann der blöde Kammerjäger? So ein Unsinn! Mach deine arme, kranke, alte Mutter doch nicht verrückt! Ein Prinz muss her und dann das Königreich! So funktioniert das im Märchenland!“

„Verjagt ein Prinz die Erbse, dann hat die Prinzessin erst recht Probleme an der Backe und kann nie wieder friedlich schlafen. Die Erbse ist sie los, aber wie bringt sie den Prinzen aus ihrer Kammer raus, bevor er ihr ganzes Leben zerstört?“

„Schatz, du bist so etwas von unromantisch. Der Prinz soll in der Kammer bleiben, und die beiden sind glücklich bis ans Ende ihrer Tage. So etwas gibt es! Jawohl!“

„Auf die Statistik solltest du dich da besser nicht berufen. Statistisch gesehen verbrauchen die meisten Prinzessinnen mehr als einen Prinzen und sind am Ende doch allein. Das Problem ist, dass so ein Prinz die Sache ungemein verkompliziert. Plötzlich muss die arme Prinzessin es nicht nur sich selbst recht machen, sondern auch noch ihm. Eine Sache der Unmöglichkeit.“

„Silke, Wunder geschehen!“

„Und ob! Ich bin zum Beispiel ein Wunder, denn ich bin wunderbar zufrieden allein.“

„Und warum kannst du dann nicht schlafen? Pah! So etwas wie ein perfektes Singledasein gibt es nicht. In meinem Leben ist mir noch kein Mensch begegnet, der sich nicht nach Liebe und Zärtlichkeit und glückliche Zweisamkeit gesehnt hat.“

„Siehst du! Alle sehnen sich danach, und warum? Weil keiner sie findet, jedenfalls nicht so, wie er es sich wünscht. Ich habe Maunz, und der ist ein kluger Kater und macht, was ihm Spaß macht, ohne von mir zu erwarten, dass ich dasselbe denke und fühle wie er.“

„Feigling!“

„Ich bin nicht feige, ich bin nur absolut männerlos zufrieden mit meinem Leben“, verteidigte sich Silke.

„Ha! Meine Tochter ist feige und auch noch eine Schwindlerin. Was habe ich nur falsch gemacht?“ Nadja Bärenz verdrehte dramatisch die Augen.

„Mama, du bist heute unmöglich!“, schimpfte Silke.

„Tochter, bin ich das nicht immer?“

Sie lachten.

„Silke, gib der Männerwelt noch eine Chance! Ich wünsche dir so sehr, dass du ein erfülltes und zufriedenes Leben führen darfst. Ich weiß, dein Vater und ich haben dir nicht das beste Beispiel vorgelebt. Aber es gab auch eine Zeit vor meiner Erkrankung. Wir hatten als Familie viel Spaß. Erinnerst du dich? Ich wollte diese Jahre nicht missen. Du wirst bald dreißig und …“

„Er ist gegangen, als du ihn am meisten gebraucht hast, als wir ihn beide am meisten gebraucht haben. Daran erinnere ich mich gut. Was vorher war, wird dadurch bedeutungslos. Wozu braucht man einen Mann, wenn er nicht da ist, wenn es ernst wird?“ Silke hatte dieses Thema ihrer Mutter gegenüber noch nie so klar angesprochen und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan.

„Weil es dich ansonsten nicht geben würde. Du bist unsere Tochter und eine großartige Frau, auf die ich stolz bin und ohne die diese Welt noch ein wenig ärmer wäre. Geschichten gehen manchmal bescheiden aus. So ist das. Aber das Schlimmste, was man tun kann, ist, seine Geschichte nicht mehr zu erzählen“, antwortete Nadja Bärenz.

Sie achtete nicht auf den Einwand, den ihre Tochter gerade vorbringen wollte, sondern sprach einfach weiter: „Ja, vielleicht geht auch bei dir einmal eine Partnerschaft schief, vielleicht entfremdet ihr euch, oder etwas Unüberwindliches tritt zwischen euch. Das passiert. Na und? Lebe jetzt und frage nicht permanent, was morgen sein wird! Heute ist heute, und morgen ist morgen.“

„So einfach ist das für mich nicht“, widersprach Silke nun.

„Nichts ist ganz einfach, mein Kind. Als ich vor zwanzig Jahren meine Diagnose bekam, wusste ich, dass ich irgendwann in diesem Rollstuhl sitzen würde. Ich habe jede Freiheit gefeiert, die ich hatte, und jeden Tag mit Leben gefüllt. Das tue ich auch jetzt noch. Der Augenblick, das Jetzt und Heute – darauf kommt es an. Morgen bist du tot und ärgerst dich gewaltig, wenn du vorher vergessen hast zu leben.“

Silke dachte lange über die Worte ihrer Mutter nach, die sie eigentümlich berührten. In ihrem Leben hatte es immer einmal wieder Männer gegeben, aber emotional hatte sie sich auf keinen von ihnen eingelassen. Maunz war das einzige männliche Wesen, mit dem sie morgens gerne aufwachte. Ansonsten hatte sie immer dafür gesorgt, dass die Männer am Morgen nicht mehr da waren.

Machte sie einen Fehler? Wollte sie ihr Leben wirklich alleine verbringen, oder redete sie sich das ein, um nicht verletzt zu werden? Sie hatte keine Ahnung. Die Sache mit ihrem Vater steckte ihr in den Knochen, das war ihr bewusst. Die Enttäuschung hatte sie geprägt, und sie wollte unter keinen Umständen dasselbe Schicksal erleiden wie ihre Mutter.

Vielleicht war es an der Zeit herauszufinden, was sie wollte, bevor es zu spät dafür war, andere Wege einzuschlagen. Wie aber sollte sie herausfinden, ob sie einen Mann in ihrem Leben wollte? Ihr Verstand war ihr dabei keine Hilfe. Hörte sie in sich hinein, kam da nur ein Störrisches: Wozu denn? Und doch musste sie zugeben, dass es Momente gab, an denen sie für ein wenig Zärtlichkeit alles gegeben hätte.

Es war nett, mit Männern zu schlafen, die man nett und akzeptabel fand. Der Sex machte Spaß, aber er wärmte nicht. Anders konnte Silke es für sich nicht in Worte fassen. Ihr war manchmal kalt, weil es außer ihrer Mutter niemanden in ihrem Leben gab, dem sie Zugang zu sich gewährte. So offen sie nach außen wirkte, lebte sie in Wahrheit hinter einer undurchdringlichen Schutzwand, die sie abschottete.

Gut war das nicht, aber was sollte daran ein Mann ändern? Schenkte sie ihm ihr Vertrauen, wurde alles nur unerträglicher, wenn er sein Bündel packte und ging, sobald sie einmal schwach war und ihn tatsächlich brauchte. Sie konnte förmlich hören, wie ihre Mutter ärgerlich schnaubte und zu einer Standpauke ansetzte.

Natürlich war nicht jeder Mann wie ihr Vater. Sie wusste das. Beruflich kam sie mit zu vielen Menschen und ihren Lebensgeschichten in Kontakt, um ihre Vorurteile pflegen zu können. Das war es nicht, was sie bremste. Aber woher konnte sie wissen, dass sie nicht aus Versehen zu einem Doppelgänger ihres Vaters griff? Das Risiko war ihr einfach zu hoch.

„Wenn du wissen willst, ob es etwas für dich ist, dein Leben mit jemandem zu teilen, dann musst du es probieren. Anders kannst du das nicht herausfinden“, meinte ihre Kollegin Sabine, die nachts oft mit ihr Dienst hatte und für die Technik verantwortlich war.

„Ich hab für so etwas gerade einfach keine Zeit!“, stöhnte Silke. „Außerdem greife ich mir bestimmt den Falschen und habe nichts als Ärger. Das lohnt sich doch nicht!“

„Sei doch nicht so umständlich! Du testest einfach ein paar Typen durch, und beim Besten bleibst du für eine Weile und schaust, was so passiert. Ganz einfach! Ist es nichts für dich, dann setzt du ihn vor die Tür“, meinte Sabine und schüttelte nur den Kopf über sie.

„Wir reden von Menschen und Gefühlen und gebrochenen Herzen und so weiter.“

„Es dauert eine Weile, bis ein Herz bricht, und Liebe ist Glückssache und kommt nicht so oft vor. Wie willst du sie finden, wenn du immer nur auf Nummer sicher gehst? Das Gute an unserer Zeit ist doch, dass wir ausprobieren können ohne Konsequenzen. Du kannst jederzeit weiterziehen, wenn es nicht passt. Niemand zwingt dich zu bleiben.“

„Respekt? Verantwortungsgefühl? Zuneigung?“

„Niemand zwingt dich zu gehen.“

„Was ist eine Beziehung wert, wenn jeder weiterzieht, sobald es schwierig wird?“ Silke fand das alles gefährlich, denn es war ein Spiel mit dem Feuer. Man konnte sich und andere so leicht verletzen.

„Warum nimmst du nicht an einem Speed Dating teil? Das ist der geringste zeitliche Aufwand, um jemanden kennenzulernen und ins Spiel einzusteigen. Ist kein passender Kandidat dabei, hast du nicht viel verloren. Ich habe das einige Male gemacht, bevor ich Manuel begegnet bin. Es ist praktisch, wenn man beruflich zu eingespannt ist, um den großen Aufwand zu betreiben“, schlug Sabine vor und überging diplomatisch Silkes Einwand, der ihr gar zu naiv erschien.

„Speed Dating?“ Silke war verblüfft. Sie hätte nie damit gerechnet, dass ihre lebensfrohe und attraktive Kollegin zu solchen Mitteln hatte greifen müssen, um einen Partner zu finden.

„Ich finde toll, dass es solche Möglichkeiten gibt für uns berufstätige Frauen mit wenig Zeit. Ein Leben so ganz alleine war nichts für mich, und ich war dabei, trübsinnig zu werden. Zeit, um mich ins kleine Schwarze zu pressen und jeden Abend in Singlebars auf die Jagd zu gehen, hatte ich aber auch nicht.“

„Wie läuft so etwas denn ab?“, wollte Silke wissen, deren Neugierde geweckt war.

Noch am selben Abend meldete sie sich per Computer für ein Speed Dating an, gab ihr Profil und einen Spitznamen ein und überwies den Betrag. Zwei Tage danach bekam sie einen Termin mitgeteilt, der an einem Sonntagvormittag lag, was ihr sehr gelegen kam.

„Kind, ich bin begeistert!“, freute sich ihre Mutter, als sie es ihr erzählte. „Sogar wenn keiner dabei ist, der dir gefällt, hast du doch einen ersten Schritt getan.“

„Dann bin ich nicht mehr feige?“, neckte Silke sie.

„Schauen wir mal, ob du einen zweiten Schritt wagst!“

***

Als der Sonntagmorgen herankam, fühlte Silke sich alles andere als wohl. Was machte sie denn da nur? Maunz spürte, dass sie nervös war, und umstrich sie fragend.

„Jetzt habe ich A gesagt und muss auch B sagen. Zum Glück dauert es nicht lange. Ich bin gleich wieder da!“, versprach sie reumütig und wäre zu gerne zu Hause geblieben.

Das Speed Dating fand in einem gemütlichen Café in der Innenstadt statt. Zehn Zweiertische waren gerichtet, auf denen eine Stoppuhr in der Mitte stand. Silke kämpfte gegen einen Lachreiz. Um ein Übermaß an Romantik musste sie sich da keine Sorgen machen. Die Uhren waren ernüchternd, und das gefiel ihr.

Zehn Männer und zehn Frauen waren geladen und würden sich für jeweils sieben Minuten an einem dieser Tische gegenübersitzen. Sieben Minuten – sie wusste aus Erfahrung, wie viel sich in dieser kurzen Zeit über einen anderen Menschen herausfinden ließ. Ob es allerdings genügte, um darüber befinden zu können, ob man den Rest seines Lebens mit ihm verbringen wollte, schien ihr fragwürdig.

Da lag ihr Fehler, überlegte sie. Sie mochte über Romantik spotten, aber trotzdem war sie anscheinend eine Romantikerin. Liebe sollte bei ihr ein Leben lang währen und durch alle Höhen und Tiefen gehen. Sie bewährte sich, wenn sie dem Leben standhielt. Weglaufen konnte jeder.

Fand man einen Partner für so eine Beziehung über die Stoppuhr? Kaum. War sie nicht aus genau diesem Grund gekommen, weil sie sich sicher fühlte? Hier würde sie den Mann nicht finden, der ihr Angst einjagte, weil er sie verletzen könnte. Nein, wenn es einen Ort gab, an dem sie ihn unter keinen Umständen treffen konnte, dann war es an einem dieser Tische.

Das war beruhigend und ein wenig enttäuschend, denn sie musste ihrer Mutter recht geben. Sie war feige und machte sich nur etwas vor. Das war kein ernst gemeinter Versuch, das Unbekannte zu testen, sondern eine Mogelpackung.

Gut, eine Heldin war sie wirklich nicht, wenn es darum ging, offen für eine mögliche Beziehung zu sein. Na und? Sie war eben nicht verzweifelt auf der Suche nach Liebe! Sie war gerne allein! Sie brauchte all das nicht!

Silke wäre sich an diesem Punkt zu gerne ganz sicher gewesen. In nur zwei Stunden würde der Spuk überstanden sein, tröstete sie sich, und dann musste sie noch einmal gründlich nachdenken, ob sie ernsthaft nach einem Mann suchen wollte oder nicht. Halbe Sachen hatten keinen Sinn und passten nicht zu ihr.

Nach und nach kamen alle Gäste zusammen und wurden von einer Frau in mittleren Jahren herzlich mit einem Prosecco empfangen. Der Ablauf wurde noch einmal erklärt, und dann konnte man kurz Fragen dazu stellen, falls man etwas nicht verstanden hatte. Alle nutzten diese Zeit, um sich schon einmal zu beäugen und rein äußerlich zu begutachten.

Die erste und vermutlich entscheidende Auswahl wurde getroffen, noch bevor ein Wort gewechselt worden war. Die abschätzenden Blicke taten Silke fast körperlich weh. Dabei schnitt sie gut ab. Ihr langes blondes Haar, die klassischen Gesichtszüge und der wohlproportionierte Körper mit den vollen Brüsten sicherten ihr jedes männliche Interesse.

Sie erwiderte das Lächeln der Männer, ohne dass auch nur einer Gnade vor ihren Augen fand. Was sagte es aus, wenn ein Mann gut aussah? Ihr Vater war charmant, witzig und attraktiv. Er war ein schöner Mann von außen betrachtet, und doch entsetzte sie nach wie vor, was er ihrer Mutter angetan hatte.

Das Äußere sagte überhaupt nichts aus. Es war nur die verlockende Hülle, unter der alles verborgen liegen konnte. Man kaufte die Katze im Sack, wenn man mit den Augen wählte. Streng genommen kaufte man immer die Katze im Sack, denn ein Mensch konnte viel erzählen. Allein seine Handlungsweise zählte.

„Dann fangen wir jetzt am besten an! Setzen Sie sich! Die Uhr läuft. Ich wünsche Ihnen spannende, angenehme Gespräche und viel Vergnügen!“ Die Veranstaltungsleiterin hatte etwas Mütterliches an sich und war sympathisch. Es war leicht, ihr zu vertrauen.

„Ich bin der Bär“, stellte sich ein zierlicher Mann sichtlich nervös vor, als sich Silke zu ihm an den Tisch setzte. Sie hatte absichtlich gewartet, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten und den verbleibenden Tisch gewählt. Die Uhr war auf sieben Minuten gestellt und begann zu ticken.

„Ich bin dreiunddreißig, und meine Mutter findet, ich sollte endlich an eine Familie denken. Sie ist eine tolle Frau, und Familie ist ihr Leben“, begann er zu erzählen.

Silke hörte geduldig zu und erfuhr noch so einiges über die wunderbarste Frau in seinem Leben. Es tat ihr leid, dass er seine Mutter nicht um ihre Hand bitten konnte. Falls sich eine andere Frau fand, die wagte, sich solch einer Konkurrentin zu stellen, erklärte Silke sie schon im Voraus für verrückt. Da konnte niemand gewinnen.

„Alles Gute für dich und deine Mutter!“, sagte sie, als die Uhr klingelte. Er hatte die Zeit komplett vergessen, immerzu erzählt und ihr keine einzige Frage gestellt, wofür sie ihm sehr dankbar war.

„Du bist eine wunderbare Zuhörerin, und ich würde dich gerne wiedersehen!“, rief er ihr nach, als er seinen Fehler bemerkte.

„Bitte, geben Sie Ihre Bewertungen später im Internet ab!“, mischte sich zu Silkes Glück die Leiterin ein, ohne dass sie antworten musste. „Ich rate Ihnen dringend, sich Tischnummer und Spitznamen Ihres Gesprächspartners zu notieren. Falls er auch daran interessiert sein sollte, Sie wiederzusehen, bekommen Sie von uns umgehend die Kontaktdaten übermittelt.“

Alle nickten ein wenig ungeduldig und warfen dem peinlich berührten und errötenden Bären ungnädige Blicke zu. Am nächsten Tisch wurde Silke von einem Mann empfangen, der sich knapp als Gabriel vorstellte und sie dann mit Fragen geradezu überschüttete, die ihrer Ansicht nach indiskret waren und ihn nichts angingen.

„Du bist eine der Stillen, der man jedes Wort aus der Nase locken muss. Selbstvertrauen ist dein Problem, und du musst da echt noch an dir arbeiten“, erklärte er ihr gönnerhaft.

Offenbar hatte er von ihren nichtssagenden und ausweichenden Antworten genug.

„Ich bin eher der offene Typ und ziemlich dominant“, fuhr er fort. „Ich brauche eine Partnerin, die mit beiden Beinen im Leben steht und mir gewachsen ist, sonst walze ich sie nieder. Sorry! Das mit uns, das wird nichts.“

„Ja, zu schade, aber du hast noch acht Tische vor dir, und an einem sitzt bestimmt eine Domina, die dir deinen Platz zuweist“, antwortete Silke ironisch.

„Oh! Sollte ich mich in dir getäuscht haben?“, fragte er erstaunt.

„Kein bisschen! Ich brauche mindestens sieben Jahre Therapie, bevor ich mit dir einen Kaffee trinken gehen kann.“

Er schluckte und wechselte zu einem harmlosen Thema. Sie hatten noch volle vier Minuten, in denen sie sich höflich über Profifußball unterhielten, von dem sie beide nicht viel verstanden, und sie atmeten auf, als die Uhr klingelte.

Silke sah an der Front der acht Tische entlang, die ihr noch bevorstanden, und fragte sich, was eine Ewigkeit ausmachte. Am liebsten wäre sie gegangen, aber sie hatte schließlich bezahlt.

An den nächsten vier Tischen traf sie auf nette Männer, mit denen sie sich entspannt unterhielt. Es sprang kein Funke über, denn sie hatten nichts gemein, aber sie waren sich auch nicht zuwider. Die Gespräche waren kurzweilig, und die sieben Minuten verflogen.

Dennoch war Silke im Geiste längst zu Hause bei Maunz, als sie brav zum siebten Tisch pilgerte. Sie konnte sich vorstellen, dass sich Paare auf diese Weise fanden, aber für sie war es eindeutig nichts.

***

„Hallo, ich bin Amadeus und habe das Gefühl, du bist für das hier auch nicht so richtig geschaffen!“, stöhnte der Mann. „Meine Kollegen haben mir die Veranstaltung zum Geburtstag geschenkt und mit mir gewettet, dass ich entweder nicht hingehe oder abbreche. Gemeiner Trick, aber er klappt. Ich bin entschlossen, die Zeit abzusitzen. Sie behaupten, ich sei dabei, kauzig zu werden. Unerhört!“, nahm er sich selbst auf die Schippe.

„Hallo, Herr Kauz! Ich bin Kunigunde Spatzenschreck und auf der Suche nach dem Mann meines Herzens. Du hättest es vielleicht sein können, aber nach dieser Eröffnung … Pech! Pech! Pech!“

„Ja, da entgeht dir etwas“, stimmte er ihr schmunzelnd zu. „Jemanden wie mich findest du nicht so bald wieder, aber gib nicht auf!“

„Nie und nimmer! Ich bin im Jagdfieber und voller Adrenalin und Hoffnung.“ Silke hatte das erste Mal an diesem Morgen Spaß.

„Adrenalin sieht bei dir so aus? Bewundernswert! Kaum jemand gähnt einmal pro Minute, wenn er unter Stress steht, und dann diese Begierde in deinen Augen beim Blick zum Ausgang. Wie man sich doch täuschen kann, aber ich hatte wirklich den Eindruck, du wärst ein wenig gelangweilt.“

„Gelangweilt? Ich? Hast du mich etwa beobachtet? Wie unhöflich! Was war mit den Damen an deinem Tisch? Ihnen hätte deine volle Aufmerksamkeit gelten müssen!“, tadelte sie in gespielter Streng.

„Augen schweifen. Dagegen ist man machtlos. Passendes zieht sich an, und Unpassendes stößt sich ab. Die Damen bisher waren liebenswert und voller Sehnsucht und sehr, sehr einsam. Mein Mitgefühl ist ihnen sicher, aber es hilft alles nichts. Ich bin nicht liebenswürdig, habe kein Talent zum Trostpflaster, vermisse nichts und bin gerne allein. Das hätte nicht gepasst. Wie steht es mit dir, Kunigunde?“

„Das gilt es herauszufinden. Ich nehme dir doch nicht die ganze Arbeit ab! Wie langweilig wäre das denn?“, flirtete sie heiter. „Wenn dir nichts fehlt und du mit deinem Leben zufrieden bist, warum hast du das Geschenk angenommen? Wittere ich da einen Hauch Selbstbetrug?“

„Könnte durchaus sein“, gab er freimütig zu und zuckte die Achseln. „Wer kennt sich schon selbst? Zu zweit macht vieles mehr Spaß, und ich hätte nichts dagegen, mein Leben mit jemandem zu teilen. Es wäre schön, und sollte es so kommen, freue ich mich.“

„Klar, aber wenn es nicht so bald geschieht, dann ist das keine Katastrophe. Du magst dein Leben, wie es ist, fühlst dich zufrieden und froh und harrst gelassen der Dinge, die da kommen mögen“, beendete Silke seinen Gedankengang etwas triumphierend, weil noch jemand dachte wie sie.

„Besser hätte ich es nicht sagen können“, stimmte er zu. „Hallo, Gesinnungsgenossin! Tut gut, dir zu begegnen, weil du mein Beweis dafür bist, dass ich vielleicht kauzige Ansichten habe, aber immerhin nicht alleine damit stehe.“

„Das geht mir auch so“, räumte sie ein.

„Kunigunde Spatzenschreck – das ist nicht der Spitzname, unter dem du dich angemeldet hast, oder?“, wollte er wissen.

„Warum? Willst du mich etwa wiedersehen? Na! Na! Na! Werde dir nicht untreu, Amadeus!“, spottete sie. „Du bist doch am Ende nicht doch auch sehr, sehr einsam und weißt, was Sehnsucht ist.“

„Die Ohrfeige habe ich verdient, aber ich habe es nicht halb so arrogant oder abwertend gemeint, wie es geklungen haben muss. Solche Gefühle kennen wir doch alle. Sie gehören zum Leben dazu. Die Frage ist, welchen Stellenwert sie einnehmen, finde ich“, ließ er sich etwas in die Enge treiben und wurde ernst.

„Das und wovor wir uns mehr fürchten – vor dem Alleinsein oder davor, unseren Schutzraum preiszugehen und ungeschützt dazustehen. Es gehört Mut dazu, Gefühle zuzulassen. Sie sind nicht kontrollierbar, und man kann nie wissen, was daraus wird.“

Er sah sie nachdenklich an, dann nickte er.

„Uns rennt die Zeit davon. Diese sieben Minuten vergehen viel zu schnell, und ich möchte dich gerne kennenlernen. Könntest du dir vorstellen, einen Kaffee mit mir trinken zu gehen?“, fragte er direkt, weil ihnen nur noch ungefähr zwei Minuten blieben.

Silke dachte kurz darüber nach, aber dann entschied sie sich dagegen.

„Es geht mir zu schnell. Entschuldige!“

„Schade!“, nahm er die Zurückweisung gelassen auf. „Man sieht sich im Leben immer zweimal. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal mit einem Kaffee.“

„Wer weiß.“

Beide zuckten zusammen, als die Stoppuhr anschlug, und Silke wäre für den Rest der Zeit gerne bei ihm sitzen geblieben. Hätte sie dem Kaffee zustimmen sollen? Sie war hin- und hergerissen, während sie die wenigen Schritte zum nächsten Tisch pilgerte.

Der Mann dort verbrachte offensichtlich einen guten Teil seines Lebens in einem Fitnessstudio und erinnerte an Arnold Schwarzenegger. In seinem Gesicht stand ein siegessicheres Lächeln, und Silke hatte das Gefühl, er fletschte die Zähne wie ein Raubtier vor der entscheidenden Attacke.

Das war eindeutig zu viel für ihren Geschmack. Genug war genug. Nach dem schönen Gespräch eben hatte sie keine Lust, sich die gute Stimmung verderben zu lassen. Sie wendete im Schritt und ging stattdessen zu der Leiterin, um sich zu verabschieden.

„Es tut mir leid, wenn bisher niemand dabei war, der Ihr Interesse wecken konnte, aber Sie haben noch drei Chancen auf einen Treffer und …“

„Im Gegenteil, ich bin angetan und zufrieden, aber mehr Auswahl an einem Vormittag verkrafte ich nicht. Ist es schlimm, wenn es eine Frau zu wenig ist?“

„Nein, eben ist auch einer der Herren still und heimlich gegangen. Alles Gute für Sie! Glück in der Liebe!“

„Glück in der Liebe!“, sagte auch Silke zum Abschied und fühlte sich wie ein Gladiator, der in die Arena entlassen wurde. Sie atmete dankbar auf, als sie vor dem Café in der prallen Mittagssonne stand.

„Auch geflüchtet?“, fragte eine vertraute Stimme. Amadeus hatte sein Rad vom Fahrradständer befreit, wo es brav neben ihrem Rad gestanden hatte, und schob es mit einem breiten Grinsen auf sie zu.

„Sieht so aus. Zum Glück habe ich keine Wette laufen und kann hoch erhobenen Hauptes kapitulieren, ohne es jemandem beichten zu müssen“, neckte sie ihn.

„Ich habe die Charaktergröße, mit einer Niederlage zu leben“, meinte er fröhlich. „Dafür habe ich einen herrlichen, freien Sommertag vor mir und diesen Vormittag entgegen meiner Erwartungen mit einem schönen Eindruck abgeschlossen. Besser geht nicht.“

„Stimmt! Heldentum zahlt sich nicht immer aus. Manchmal gewinnt man ungemein, wenn man verliert“, stimmte sie ihm zu.

Sie lachten sich an und merkten beide, wie erstaunlich ihre Begegnung war. Vor ein paar Minuten hatten sie sich noch nicht gekannt, und dennoch schienen sie einander vertraut wie alte Freunde. Das war schön und passierte nicht allzu oft im Leben.

„Die Einladung zum Kaffee steht noch, und weil ich großzügig und in feierlicher Laune bin, lege ich sogar noch ein Eis als Lockmittel obendrauf. Wie sieht es aus? Kann ich dich erweichen?“

„Warum hast du das mit dem Eis nicht gleich gesagt? Einem Eis kann ich nicht widerstehen“, nahm Silke spontan an. „Ich wurde gerade entlassen mit einem schmetternden: Glück in der Liebe!“ Silke schüttelte sich.

„Du bist stark. Du schaffst das!“, neckte er sie.

„Danke!“ Sie reichte ihm die Hand. „Silke.“

„Laurent“, stellte auch er sich vor. „Zwei Antihelden, die mit dem Rad unterwegs sind – ich fürchte, wir sind Seelenverwandte“, bemerkte er, als sie rasch ihr Rad holte.

„Netter Versuch, aber du wirst mich nicht in die Flucht schlagen, bis ich mein Eis genüsslich gelöffelt habe.“

„Das habe ich auch gar nicht vor.“

Angeregt plaudernd zogen sie durch die Fußgängerzone, bis sie zu einem Straßencafé kamen, auf das sie unabhängig voneinander zugesteuert waren, ohne sich absprechen zu müssen. Es hatte mit Abstand das beste Eis.

„Langsam wird es mir schon etwas unheimlich“, gestand Silke, als sie sich einen Tisch am Rande und in der Sonne gesucht hatten. „Ich sitze gerne und oft hier und schau den Passanten zu.“

„Ich auch. Ist es nicht seltsam, dass wir uns nie getroffen haben? Vielleicht saßen wir nur einen Tisch entfernt voneinander, jeder in seine eigenen Gedanken versunken und haben einander nicht wahrgenommen.“

„Vielleicht gibt es eine Vorsehung, und wir sollten uns genau da treffen, wo wir uns getroffen haben, damit wir uns gegenseitig retten können“, überlegte Silke.

„Sei es, wie es will! Danke, meine Retterin!“

„Danke, mein Retter!“

***

„Kein Glück in der Liebe, aber dafür ein leckeres Eis auf dem Tisch vor sich, die Sonne im Gesicht und gute Laune. Ich wollte mit niemandem tauschen!“, seufzte Silke zufrieden, als die Kellnerin ihnen ihre Bestellung gebracht hatte.

„Ich auch nicht!“, stimmte Laurent zu und streckte zufrieden seine langen Beine von sich. Ihr Tisch stand neben einer Hecke, und ausnahmsweise hatte er einmal Platz, um es sich bequem zu machen. In der Regel musste er ständig auf seine Beine achten und sich immer entschuldigen, weil sie immer jemandem im Weg waren.

„Du bist riesig“, stellte sie fest. „Als wir eben nebeneinanderher gegangen sind, kam ich mir wie eine Zwergin vor, und dabei bin ich selber über einen Meter siebzig und für eine Frau nicht klein.“

„Beachtlich!“, spottete er zwinkernd. „Aber mit meinen zwei Metern und drei Zentimetern kannst du nicht mithalten. Ich wünschte mir, ich könnte mich jeweils umgebungsgerecht schrumpfen. Türrahmen sind eine wahre Prüfung, und mein Kopf ist beulenerprobt“, klagte er und rieb sich zur Demonstration die Stirn.

„Scheint ja einige Probleme mit sich zu bringen, ein Riese zu sein“, meinte Silke.

„Ja, einfach ist das nicht. Häuser mit niedrigen Decken verursachen mir Platzangst. Ständig stehe ich Auge in Auge mit Lampen, die eigentlich über mir leuchten sollten. Flugzeuge sind eine Strafe, Busse, die meisten Stühle, Betten … Um in mein Auto zu steigen, muss ich mich zusammenfalten wie eine Serviette.“

„Klingt echt nervig.“

„Das ist es! Ich brauche immer teure Sonderanfertigungen, ob es sich um Schuhe, Kleidung oder Bettwäsche handelt. Ständig ist alles zu kurz. Ich passe nie so wirklich in die Welt, die mich umgibt. In der ersten Klasse war ich so groß wie meine Lehrerin und der Kindertisch war Folter.“

„Das hatte doch bestimmt auch Vorteile? Die anderen Kinder haben gemacht, was du wolltest, oder?“

„Weit gefehlt! Leider war ich dazu auch noch äußerst schüchtern und stotterte. Mach dich einmal unsichtbar, wenn du alle überragst! Es geht, aber es gehört einiges an Übung dazu, mit den Wänden zu verschmelzen“, erzählte er. „Als ich aus der Schule kam, war ich darin Profi.“

„Das mit der Schüchternheit hast du gut überwunden“, scherzte sie.

„Alles Tarnung. Du solltest mich mal kurz vor einem wichtigen Auftritt erleben! Meine Altbauwohnung hat drei Meter hohe Decken. Das ist eine feine Sache. Als ich eingezogen bin, habe ich den Spiegelschrank im Bad angebracht, ohne mir etwas dabei zu denken, und dabei den Spieß unbewusst umgedreht.“ Er schmunzelte bei der Erinnerung.

„Den Spieß umgedreht?“, hakte Silke nach.

„Ja, meine Kollegen und Freunde kamen zu meiner Einweihungsparty, und irgendwann drängten sie sich alle auf Zehenspitzen ums Badezimmerwaschbecken. Als ich irritiert dazukam, war es ein einziges Gelächter. Kein Einziger von ihnen konnte sich im Spiegel sehen. Sie wollten mich unbedingt dazu bewegen, ihn umzuhängen, aber das habe ich bis heute nicht getan. Es tut gut, einen Ort zu haben, wo ich das Maß der Dinge bin.“

Silke lachte und hörte ihm entspannt zu. Es war so leicht, sich mit ihm wohlzufühlen, und schön, Zeit mit ihm zu verbringen. Nach ihrem gemeinsamen Erlebnis war das Eis gebrochen, und da jeder vom anderen wusste, dass er es mit der großen Liebe nicht so eilig hatte, fühlten sie sich sicher.

„Allerdings ist meine Größe für meinen besten Kumpel ein Geschenk“, fuhr Laurent fort. „Mein Kontrabass fühlt sich wohl in meinen Armen und wirkt erstaunlich zierlich, wenn ich ihn spiele. Auf der Bühne sieht das ziemlich witzig aus. Für mich hat es den Vorteil, dass ich keine Schwierigkeiten habe, ihn durch die Gegend zu hieven.“

„Du bist Kontrabassist?“, fragte Silke sofort fasziniert. Sie mochte dieses Instrument ganz besonders. Auf eine warme, ruhige Weise gab es immer den Ton an. Es verwurzelte die Musik und war so bedeutsam wie das Schlagzeug, wenn es um Tempo und Rhythmus ging.

„Kontrabass, E-Bass, Klavier, Orgel, Saxophone und Klarinette – das sind meine Instrumente, aber beruflich verdiene ich hauptsächlich mit den Bässen mein Geld. Ich bin Berufsmusiker, und sowohl Kontrabassisten als auch E-Bassisten sind oft Mangelware. Eigentlich habe ich immer mehr Angebote, als ich annehmen kann.“

„Verrückt, dann spielst du quer durch alle Musikrichtungen?“ Silke war tief beeindruckt.

„Klassik und Jazz sind mir am liebsten, aber als E-Bassist werde ich oft engagiert, wenn es ins Aufnahmestudio geht und Rock, Pop, Soul wechseln. Wie viele meiner Kollegen mag ich den bunten Mix. Das ist nicht ungewöhnlich“, antwortete er bescheiden. „Was machst du beruflich?“

„Ich bin dankbar, dass es so viel wunderbare Musik gibt, und lege sie nachts bei Radio München auf“, antwortete Silke.

„Das fasse ich nicht! Du bist Silke Bärenz! Deine Stimme kam mir schon die ganze Zeit bekannt vor, aber ich dachte, ich irre mich. Du bist die Nachteule. Lasst uns die Nacht genießen! Wer braucht schon Sonnenschein! Ich bin Silke Bärenz und halte Sie wach“, imitierte er ihre abendliche Begrüßung und strahlte.

Silke freute sich, dass er ihre Sendung kannte.

„Deine Sendung ist oft meine letzte Rettung“, schwärmte Laurent. „Sie ist spitze und …“ Er stockte und sah sie verlegen an. „Ich leide an Schlafstörungen, und wenn ich nachts um zwei Uhr von einem Konzert komme, ist es Hölle, sich im Bett von einer Seite auf die andere zu wälzen. Am anderen Morgen habe ich meist wieder Probe und muss raus“, führte er entschuldigend aus.

In Silkes Augen funkelte es belustigt, denn sie ahnte, warum er so herumdruckste.

„Du hörst dir meine Sendung an, um besser einzuschlafen?“, half sie ihm aus der Patsche und zog ein böses Gesicht.

„Ja“, gestand er. „Schlimm?“

„Schlimmer! Du benutzt mich als Schlaftablette. Schäme dich!“, schimpfte sie, musste aber lachen. „Solange du nicht am Steuer sitzt oder wach bleiben müsstest, verzeihe ich dir!“, meinte sie dann verschmitzt.

„Das ist lieb von dir! Nett!“

„Immer wieder gerne! Ich habe übrigens auch Schlafstörungen und bringe es selten auf mehr als drei Stunden. Irgendwie kann ich mich nicht daran gewöhnen, am Tag zu schlafen.“

„Dann weißt du, wie das ist!“, seufzte er. „Schlaf ist etwas Wunderbares! Ich kenne jeden Trick, wie man besser einschlafen kann. Jeden!“

„Neben dem Trick, meine Sendung zu hören?“

Er zuckte nur die Achseln.

„Verrätst du mir einen, der funktioniert?“, bat Silke. „Ich kann Tausende von Schäfchen zählen und so viel Milch mit Honig trinken, bis ich mich allein beim Gedanken daran übergebe, aber zum Einschlafen bringt es mich nicht.“

„Das kenne ich!“, stöhnte er. „Ich habe einen schalldichten Proberaum, damit ich zu Hause üben kann, und manchmal schnappe ich mir morgens um fünf Uhr meinen Kontrabass und lasse die tiefsten Töne schwingen, bis mein ganzer Körper vibriert. Das kann Wunder wirken – hin und wieder.“

„Meine Geheimwaffe ist Tanzen. Ich tanze durch die ganze Wohnung, bis ich durchgeschwitzt bin, dann eine heiße Dusche und dann ins Bett. Herrlich. Zumindest hin und wieder. Eigentlich schade, dass ich meine eigene Sendung nicht hören kann …“

„Das wirst du mir unter die Nase reiben, bis an unser seliges Ende, oder?“

„Da kannst du dir sicher sein! So etwas lass ich mir doch nicht entgehen.“

Sie lachten, und beiden war klar, dass sie gerade ganz nebenbei beschlossen hatten, in Kontakt zu bleiben.

Nach dem Eis schlenderten sie durch die Fußgängerzone und machten es sich auf einer Parkbank in einem kleinen Park gemütlich. Kinder tollten um einen Springbrunnen, und die Eltern standen dabei und unterhielten sich.

Der Sonntag gehörte bei vielen der Familie, und an diesem warmen und schönen Tag hielt es niemanden zu Hause. Kinder in Kinderwagen, auf Fahrrädern und Rollern strebten mit ihren Müttern und Vätern an ihnen vorbei. Ganz in der Nähe gab es ein Freibad, und weiter vorne im Park lag ein Spielplatz.

„Viele der Mütter sind jünger als ich“, überlegte Silke laut. „Das ist der Grund, warum meine Mutter keine Ruhe gibt und möchte, dass ich offen bin für eine Beziehung. Sie ist überzeugt, dass mir in ein paar Jahren, wenn ich keine Kinder mehr bekommen kann, etwas fehlen wird.“

„Glaubst du das auch?“

„Das lässt sich schwer sagen. Ich mag Kinder und könnte mir vorstellen, ein oder zwei zu haben. Und du?“

„Ich weiß es nicht. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Das Leben ist wie ein dickes, unergründliches Buch, und mit jeder Seite, die man aufschlägt, ergeben sich neue Möglichkeiten. Kinder mögen mich, und es macht Spaß, mit ihnen zu spielen.“

„So könnte ich es auch gern sehen, aber meine Mutter hat schon recht. Meine biologische Uhr tickt und …“

„Du bist neunundzwanzig, Silke, und keine vierzig“, erinnerte er sie. „Die Dinge kommen, wenn wir bereit und offen dafür sind. Es lässt sich nichts erzwingen.“

„Wer hätte gedacht, dass eine Stoppuhr mich zu einem Philosophen führen kann?“ Silke stellte fest, dass sie ihn von Minute zu Minute mehr schätzte. Die Ängste ihrer Mutter waren verständlich, denn Nadja blieb nicht mehr viel Zeit, aber sie durfte diese Ängste nicht zu ihren eigenen machen.

„Niemand! Ein Beweis mehr, dass man nicht wissen kann, was auf der nächsten Seite steht. Umblättern und lesen! Einfach leben!“

„So einfach! Danke, du Erleuchteter!“

„Gern geschehen!“ Er deutete im Sitzen eine leichte Verbeugung an. „Sollen wir eine Runde schwimmen gehen?“

Silke sah auf ihre Armbanduhr und erschrak. Es ging auf sechzehn Uhr zu. Sie hatte in Laurents Gesellschaft vollkommen die Zeit vergessen. Ihre Mutter wartete ungeduldig auf ihren Besuch. Sie hatte gelobt, ihr ganz genau zu berichten, wie das Speed Dating gelaufen war.

„Das geht leider nicht. Ich muss zu meiner Mutter, aber lass uns das nachholen!“, schlug sie vor.

Sie tauschten ihre Kontaktdaten aus, bevor sie sich mit einer freundschaftlichen Umarmung verabschiedeten und in entgegengesetzte Richtungen radelten.

Nadja Bärenz lachte bei der ausführlichen Schilderung ihrer Tochter immer wieder laut auf. Tisch eins bis Tisch sechs boten jede Menge Stoff zum heiteren Übertreiben, und Silke ließ nichts aus. Sie liebte es, wenn ihre Mutter ausgelassen war.

„Tisch acht bis zehn habe ich mir geschenkt und stattdessen den Tag genossen, aber für den Anfang war ich ganz schön tapfer, finde ich“, beendete sie ihre Schilderung.

„Tisch Nummer sieben, mein Schatz?“ Nadja war eine sehr gute Zuhörerin. Ihr entging nicht so leicht etwas.

„Tisch Nummer sieben ist über zwei Meter groß, spielt Kontrabass und ist wirklich nett. Ich könnte mir vorstellen, dass wir Freunde werden. Das wird sich zeigen“, antwortete Silke, ohne ihrer Mutter zu erzählen, dass sie den Mittag mit Laurent verbracht hatte. Sie wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen.

Nadja hörte an ihrer Stimme, dass da mehr war, aber sie lächelte nur und sagte nichts. Erlebte man die sprühende, taffe Silke in ihrer Sendung, konnte man sich nicht vorstellen, wie sensibel und scheu sie im Privatleben war. Jedes falsche Wort konnte im Moment verheerende Folgen haben.

Nach dem Besuch bei ihrer Mutter fuhr Silke gleich zum Sender, weil sie für die Nacht noch einiges vorbereiten und recherchieren musste. Konzentriert machte sie sich ans Werk, aber ihre Gedanken schweiften dennoch öfter zu Laurent ab.

Ob er ihre Sendung in dieser Nacht hörte und sich von ihrer Stimme in den Schlaf wiegen ließ? Die Vorstellung hatte etwas Schönes und machte ihr, zu ihrem eigenen Erstaunen, keine Angst.

***

Laurent und Silke trafen sich in diesem Sommer und Herbst noch oft. Sie verbrachten viel Zeit miteinander und unternahmen schöne Dinge. Für Silke war es neu, einen guten Freund zu haben, mit dem sie lachen und ernste Diskussionen führen konnte. Sie genoss es in vollen Zügen.

An den heißesten Tagen fuhren sie zusammen an Baggerseen der Gegend und ließen sich von der Sonne bräunen. Sie hatten Spaß zusammen, scherzten und lachten viel, entspannten sich, erzählten sich aber auch, was sie gerade beruflich beschäftigte. Es war für Silke einer der schönsten Sommer, an die sie sich erinnern konnte.

Laurent öffnete sich ihr vertrauensvoll. Er erzählte ihr manchmal humorvoll, manchmal melancholisch von seiner Kindheit und seinen Eltern, die nicht mehr am Leben waren. Sie erfuhr viel über seine innersten Gedanken und Gefühle, wusste, dass er noch immer mit Lampenfieber zu kämpfen hatte, bevor er auf die Bühne ging.

Silke fand es schön, ihn mit jeder Begegnung etwas besser kennenzulernen, aber es gelang ihr nicht, ihm ihrerseits die Türen zu ihrem inneren Leben zu öffnen. Laurent fragte diskret und respektierte ihre Ausweichmanöver. Vertrauen war ein kostbares Geschenk, das nur freiwillig gegeben werden konnte.

Er wartete und hoffte, dass sie ihm irgendwann ihr Vertrauen schenkte, denn er spürte, dass etwas auf ihr lastete. Mit der Zeit entwickelte er ein feines Gespür dafür, ob sie gerade einen guten Tag hatte. Er lernte aus geringsten Äußerungen zu erschließen, was sie brauchte, und versuchte, es ihr zu geben.

Silke hatte ihm erzählt, dass sie jeden Tag kurz bei ihrer Mutter vorbeischaute, aber sie erzählte ihm nichts von der Krankheit ihrer Mutter und dass sie ins Pflegeheim fuhr, um sie zu besuchen. Er wusste, dass sie keinen Kontakt zu ihrem Vater hatte, aber nicht, warum das so war.

Der Lückentext bestand fast nur aus Lücken. Laurent bedauerte das, aber er wusste, dass sie ihn sehr gernhatte. Sie war die erste Frau seit sehr langer Zeit, mit der er sich mehr hätte vorstellen können, aber das lag bei ihr.

An einem regnerischen und bereits herbstlich kühlen Tag Ende September besuchte das Paar zusammen die Glyptothek und bestaunte die Schönheit der griechischen und römischen Marmorstatuen, die dort untergebracht waren.