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Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!
Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!
Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Chefarzt Dr. Holl 1769: Nur ein Augenblick der Unachtsamkeit
Notärztin Andrea Bergen 1248: Verborgene Gefahr
Dr. Stefan Frank 2202: Das Leben ist kein Märchen
Dr. Karsten Fabian 145: Dr. Fabian und eine Kollegin am Abgrund
Der Notarzt 251: Wenn du nicht mehr weiterweißt ...
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 583
Veröffentlichungsjahr: 2019
Katrin Kastell, Edna Schuchardt, Stefan Frank, Ina Ritter, Karin Graf
Die besten Ärzte 4 - Sammelband
Cover
Impressum
Nur ein Augenblick der Unachtsamkeit
Vorschau
Nur ein Augenblick der Unachtsamkeit
Packender Roman um Schuld und Vergebung
Von Katrin Kastell
Hastig öffnet Jasmin Romberg die Autotür und lässt sich hinters Steuer gleiten. Ihre Lippen sind nach den leidenschaftlichen Stunden mit Patrick noch rot und geschwollen, und rasch fährt sie sich mit der Hand durch das Haar, um die zerzausten Locken ein wenig zu glätten. Als sie den Motor anlässt und den Geländewagen auf die stark befahrene Ausfallstraße lenkt, klingelt ihr Handy. Bruno, ihr um vieles älterer Lebensgefährte, ruft an, um zu hören, wo sie denn so lange bleibt.
„Mach dir keine Sorgen, Schatz! Ich bin gleich bei dir!“, versichert Jasmin und räuspert sich, um den von den Liebesstunden noch rauen Ton ihrer Stimme zu vertreiben. Denn nichts soll Brunos Argwohn wecken! Nie darf er erfahren, dass es noch einen anderen Mann in ihrem Leben gibt …
Im nächsten Moment schreit Jasmin gellend auf: Riesige Scheinwerfer rasen wie die kalten Augen eines Ungeheuers auf sie zu, Bremsen kreischen, Blech reißt auf – und um Jasmin wird es Nacht – finsterste Nacht …
„Wann sehen wir uns wieder?“ Patrick stand im Türrahmen und schaute zu, wie Jasmin ihr dunkles Haar am Hinterkopf zusammenband und die Lippen nachzog. Ihre Blicke begegneten sich im Badezimmerspiegel.
Um noch ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen, fuhr sie mit den Fingerkuppen über die Augenbrauen, zupfte ihre Bluse zurecht und atmete noch einmal tief durch, bevor sie sich umwandte.
„Tut mir leid, Patrick, aber wir werden uns nicht mehr treffen. Es geht nicht. Ich fühle mich zu schlecht dabei. Darum muss jetzt Schluss sein.“
„Das ist nicht dein Ernst!“ Mit einer hektischen Geste nahm der Mann seine randlose Brille ab und setzte sie wieder auf. „Lass die Witze!“
Jasmin seufzte hörbar. Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass er das Aus nicht einfach so schlucken würde. Aber ihr Leben sollte wieder in geregelten Bahnen laufen. Darum war es höchste Zeit, sich von ihm zu trennen – bevor Bruno von ihrem Betrug erfuhr.
„Sei doch vernünftig. Wir hatten ein paar schöne Stunden in den letzten Wochen. Aber du hast immer gewusst, dass es einen Mann in meinem Leben gibt, den ich nie verlassen werde.“
Patrick trat einen Schritt vor, legte die Arme um Jasmins Schultern und schüttelte sie leicht.
„Was redest du dir da denn ein? Du liebst ihn doch gar nicht. Das hast du selbst gesagt.“
„Ach Gott, Liebe!“ Jasmin verdrehte die Augen. „Es gibt auch so etwas wie eine Lebensfreundschaft. Und die verbindet mich mit Bruno.“
„Er ist siebenundzwanzig Jahre älter als du.“
„Na und?“
„Er könnte dein Vater sein.“
„Ältere Männer sind für junge Frauen interessant“, klärte Jasmin ihn auf. Allmählich wurde ihr das Gespräch lästig. „Ich will dich nicht verletzen, aber wenn du nicht locker lässt, dann muss ich dir die Wahrheit sagen. Wir hatten Sex, und wir hatten Spaß. Nicht mehr und nicht weniger. Eine feste Beziehung ist ausgeschlossen. Tut mir leid, aber so sieht die Realität aus. Ich wollte dir nicht wehtun, aber wahrscheinlich kommt es bei einer Trennung zwangsläufig dazu. Und der Verlassene hat es immer schwerer als derjenige, der geht. Wir sollten trotzdem unsere Treffen als angenehme Erinnerung bewahren. Warum machst du jetzt so ein Drama daraus?“
„Du bedeutest mir alles!“, rief er aus. „Ich liebe dich.“
Jasmin verzog das Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
„Von Liebe war nie die Rede. Lass mich.“ Sie streifte seine Hände ab und holte ihre Handtasche, die in der Diele auf einem halbhohen Schrank stand. „Ich muss los.“
„So einfach kommst du mir nicht davon!“, rief Patrick. „Wenn man sich mit einem anderen Menschen einlässt, übernimmt man Verantwortung, ob man will oder nicht.“
Jasmin rang sich ein Lächeln ab. Seine Versuche, sie zurückzuhalten, fand sie zunehmend lächerlich. Patrick konnte offenbar nicht akzeptieren, dass sie ihre kurze Liaison nun mal ganz anders sah als er. Aber das war sein und nicht ihr Problem.
„Alles Gute“, sagte sie, die Hand schon auf der Türklinke.
Doch mit ein paar Sätzen war er bei ihr, riss sie herum und drückte sie kraftvoll an sich.
„Du gehörst mir!“, keuchte er. „Mir allein! Ich werde alles tun, um unsere Liebe zu verteidigen.“
Aufgebracht stieß sie ihn zurück. „Aua! Bist du jetzt komplett durchgeknallt? Du tust mir weh. Lass mich sofort los.“
Seine Hände fielen herab, auch die Schultern sackten nach unten. Wenn sie die Verzweiflung in seinem Gesicht richtig deutete, würde er gleich zu schluchzen anfangen. Auch wenn sie sich äußerlich kühl gab, so empfand sie doch etwas Mitleid mit dem Mann, hütete sich aber, das zu zeigen. Es wäre ein völlig falsches Zeichen, er würde es ganz anders verstehen.
Sie schaffte es in den Hausflur, wartete nicht auf den Aufzug, sondern lief so schnell die Treppe hinunter, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Draußen senkte sich schon die Nacht über den Tag, der gar nicht richtig hell gewesen war. Trübes Novemberwetter hüllte die Stadt seit einer Woche ein und lähmte alles Leben. Eine Besserung war nicht in Sicht. Im Gegenteil. Heftiger Sturm und endlose Niederschläge waren angesagt. Sie nahmen von Nordosten her bereits Kurs auf München.
Bis zu ihrem Fahrzeug musste sie noch mehr als hundert Meter laufen. Als es endlich geschafft war, ließ sie sich erleichtert hinters Steuer gleiten. Jetzt nichts wie ab nach Hause. Bruno würde schon ungeduldig sein.
Eigentlich wollten sie zum Essen ins Restaurant gehen, aber Jasmin würde ihn zum Bleiben überreden. Ihr schwebte ein gemütlicher Abend bei einem Glas Rotwein am Kaminfeuer vor.
Sie startete die schwere Geländelimousine, fuhr aus der Parklücke und gab Gas. Nach einigen Kilometern Fahrt dudelte ihr Handy. Bruno war dran. Obwohl sie sich dagegen wehrte, spürte Jasmin ein Schuldbewusstsein in sich aufkeimen.
„Wo bleibst du denn?“, fragte er ungeduldig. Seine Stimme klang kratzig. „Wir haben für heute Abend Opernkarten, schon vergessen?“
Ach du lieber Himmel! Ihr wurde ganz heiß. Daran hatte sie wirklich nicht mehr gedacht.
„Ich hatte noch zu tun“, erklärte sie hastig.
„Im Verlag warst du auch nicht mehr …“
„Mach dir keine Sorgen, Schatz, ich bin gleich zu Hause.“
„Hoffentlich“, brummte er.
Im nächsten Moment schrie Jasmin gellend auf. Wo kam plötzlich der Bus her, der sich vor ihr auf die Fahrbahn einfädelte? Sie hörte ihren eigenen Aufschrei, untermalt von infernalischen Geräuschen. Dann verlor sie das Bewusstsein.
***
„Moment mal! Sie dürfen doch nicht einfach …“
Bevor Dr. Holls Sekretärin den Besucher aufhalten konnte, stürmte der schon durch das Vorzimmer. Ohne Anklopfen stieß er die Tür zum Chefarztbüro auf.
Dr. Stefan Holl hatte soeben ein Telefonat beendet und schaute dem Besucher überrascht entgegen. Es kam nicht oft vor, dass jemand so ungestüm bei ihm eindrang.
Aber er sah sofort, dass es dem Mann nicht gutging. Das dichte graue Haar hing ihm in die Stirn. Und der Lauf hierher hatte ihn, der ohnehin schon lungenkrank war, vollkommen aus der Puste gebracht.
Moni Wolfram erschien auf der Bildfläche.
„Er ließ sich nicht aufhalten“, sagte sie entschuldigend.
Dr. Holl winkte ab. „Ist schon gut, Frau Wolfram. Ich komme zurecht. Machen Sie bitte die Tür hinter sich zu.“ Der Klinikchef führte den unverhofften Besucher zu einem der Sessel, die am Fenster standen und drückte ihn sanft hinein. „Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal, Herr Faber. Und dann sagen Sie mir, was los ist.“
„Mir fehlt nichts“, gab der andere sarkastisch zurück, wobei er das erste Wort überbetonte. „Außer, dass sich meine Gesundheit längst verabschiedet hat, aber das wissen Sie ja selbst. Ich bin wegen meiner Lebensgefährtin hier. Sie ist verunglückt und wurde in Ihre Klinik gebracht. Was ist mit ihr? Sagen Sie mir die Wahrheit, bitte, Dr. Holl, ich muss alles ganz genau wissen.“
Stefan Holl schwante schon, dass es sich um die junge Frau handeln musste, die vor Kurzem eingeliefert worden war, gerade als er sich anschickte, nach Hause zu fahren. Man hatte ihn in die Notaufnahme geholt.
„Sie meinen Frau Romberg“, stellte er fest.
Ein glühendes Augenpaar in dem ausgemergelten Gesicht fixierte den Chefarzt der Berling-Klinik.
„Wie geht es ihr?“
„Bitte beruhigen Sie sich. Sagen wir mal so, es hätte viel schlimmer kommen können. Ihre Verletzungen werden bald wieder ausheilen. Höchstwahrscheinlich ohne Folgen.“
Dr. Holl sah die junge Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht vor sich auf dem Behandlungstisch liegen. Ihre Antworten kamen stockend. Sie sei unaufmerksam gewesen, ja, hatte auch verbotenerweise mit dem Handy ohne Freisprechanlage telefoniert und nahm schon mal von vornherein die ganze Schuld auf sich. Der Buslenker und die Passagiere waren mit dem Schrecken davongekommen.
Nach einer ersten Untersuchung diagnostizierte Dr. Holl einen Schlüsselbeinbruch, wahrscheinlich verursacht durch den Airbag, eine Fraktur des linken Unterarms, am Oberarm einige Weichteilversetzungen und wegen des Bruchs der Frontscheibe eine Platzwunde auf der Stirn, die er sofort genäht hatte.
Bruno Faber rutschte ungeduldig auf seinem Sessel hin und her.
„Ich war schon bei Jasmin, sie ist noch vollkommen geschockt und konnte mir nichts sagen.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Faber. Wir behalten Frau Romberg natürlich bei uns. Noch heute Abend werden alle wichtigen Untersuchungen durchgeführt, Blut, Röntgen, CT und, wenn nötig, auch eine MRT.“
Dr. Holl betrachtete den Mann voller Mitleid. Die graue Farbe der Haut schien sich seit seinem letzten Besuch noch vertieft zu haben. Schwer hingen die Tränensäcke über den eingefallenen Wangen.
Bruno Faber, Inhaber eines gut funktionierenden Verlags, war bereits vom Tode gezeichnet. Er litt an Lungenkrebs. Den Ärzten blieb nur noch, sein Leiden nach allen Regeln der Kunst zu lindern.
„Und keine schlimmen inneren Verletzungen?“
„So wie ich das bis jetzt sehe, nein“, erwiderte der Klinikchef. „Sie war nur kurz bewusstlos, konnte mir aber bei ihrem Eintreffen hier schon sagen, wie es zu dem Unfall kam.“
„Ich glaube, ich bin schuld!“, klagte der Mann und versuchte sich die langen weißen Haare aus der Stirn zu schieben, aber sie fielen wieder zurück. „Ich hätte ihr keine Vorwürfe machen sollen. Ach was, ich hätte sie gar nicht anrufen dürfen. Schließlich weiß ich ja, dass sie immer beim Fahren telefoniert. Sie hat sogar schon Strafmandate deswegen bekommen. Aber Jasmin lässt sich ja nichts sagen …“
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag, wir gehen gemeinsam zu ihr. Und wenn Sie sich überzeugt haben, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht, fahren Sie wieder nach Hause.“
„Ich werde die ganze Nacht nicht schlafen können“, stöhnte Bruno auf.
„Ich verstehe, dass der Unfall Sie erschreckt hat. Vergessen Sie aber auf keinen Fall Ihre Medikamente.“
„Die hat mir Jasmin bis jetzt immer zugeteilt“, erwiderte der Mann und sackte noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Jetzt muss ich mich selbst darum kümmern. Sie ist für mich einfach unersetzlich, Freundin, Mitarbeiterin, Pflegerin … sie ist alles, was ich noch habe auf dieser Welt.“
Hinter Bruno Faber lagen bereits mehrere Chemotherapien, aber der Krebs war schon zu weit fortgeschritten. Das kleinzellige Karzinom in seiner Lunge bewirkte eine besonders rasche und hohe Zellteilungsrate. Darüber hinaus fanden sich schon Metastasen in den Lymphknoten, im Mediastinum und in den Knochen.
Der Patient wusste längst, dass seine Krankheit nicht mehr geheilt, sondern nur noch gelindert werden konnte. Für Dr. Holl und sein Team war es darum wichtig, Nutzen und Nebenwirkungen der in Frage kommenden Medikamente gegeneinander aufzuwiegen. Zurzeit bekam er Bisphosphonate, die stabilisierend in den Knochenstoffwechsel eingriffen, und Schmerzmittel, die er bei Bedarf einnahm.
Dr. Holl wünschte sich, mehr tun zu können, aber auch die moderne Medizin stieß trotz ihrer Erfolge immer wieder an ihre Grenzen. Damit mussten er und seine Mitarbeiter leben.
Bruno begann zu husten.
„Möchten Sie ein Glas Wasser, Herr Faber?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte Dr. Holl eines der Gläser, die zusammen mit einer gefüllten Karaffe auf dem Tisch standen.
Bruno nahm ein paar Schlucke, dann stemmte er sich von seinem Sitz in die Höhe.
„Gehen wir zu ihr“, sagte er.
***
„Ich muss nach Hause“, teilte Jasmin dem Arzt mit, der sich ihr gerade vorgestellt hatte. Dr. Raffael Gruber, stand auf dem kleinen Namensschild, das er in Brusthöhe an seinem Kittel trug.
„Sie müssen erst einmal hierbleiben“, widersprach er in einem so nachsichtigen Ton, als habe er ein unartiges Kind vor sich.
Darüber regte sie sich mächtig auf. „Der Schlüsselbeinbruch kann genau so gut zu Hause verheilen. Deswegen muss ich hier nicht das Bett einem wirklich Kranken wegnehmen.“
Inzwischen hatte man ihr einen Rucksackverband angelegt, der zur Entlastung der Bruchenden die Schultern permanent nach hinten zog. Auf diese Weise wurde eine gerade Rückenhaltung erzwungen und ein verkürztes Zusammenwachsen der Bruchenden verhindert. Natürlich fühlte sie sich auf diese Weise eingeengt, aber an dieser Therapie führte wohl kein Weg vorbei. Sie wollte ja später keinen Buckel haben.
Die Patientin tastete über das große Pflaster auf ihrer Stirn, schaute kurz auf die Frau, die neben dem Arzt stand, und beschloss dann, sich die Argumente für ihren Verbleib erst einmal anzuhören. Widersprechen konnte sie immer noch.
„Es geht nicht um Ihren Schlüsselbeinbruch. Ich bin Kardiologe …“
„Aber am Herzen habe ich nichts, jedenfalls nichts, was zu behandeln wäre.“
Dr. Gruber gab der Pflegerin einen Wink, sich zu entfernen. Ein Signal, das Claudia Kirchner nur sehr unwillig befolgte. Doch da sie es vor der Patientin nicht zu einem Wortwechsel kommen lassen wollte, gehorchte sie schließlich mit zusammengekniffenem Mund.
„Hatten Sie in der letzten Zeit Schmerzen im Brustkorb?“
„Nein“, erwiderte Jasmin Romberg, kaum, dass er seinen Satz beendet hatte.
Ihr Blick streifte das Gesicht des Arztes. Gut sieht er aus, dachte sie. Das schmale Gesicht wurde von Augen dominiert, die sie an das Blau von Tinte erinnerten. Vielleicht sollte sie ihm gegenüber doch ehrlich sein, denn es ging ja um ihre Gesundheit, die wieder hergestellt werden sollte.
„Na ja, manchmal“, gestand sie schließlich ein. „Es fühlte sich an wie Muskelkater an den Rippen. Ist aber schon wieder vorbei.“
„Gab es Infektionen? Grippe? Sonstige Beschwerden?“
„Eine Grippe“, erwiderte sie. „Im Sommer hatte ich Fieber und Gliederschmerzen.“
„Mit Husten und Schnupfen? Waren die Atemwege befallen?“
„Ich weiß es nicht mehr so genau. Nein, ich glaube nicht. Aber warum fragen Sie mich das alles? Spielt das eine Rolle?“
„Weil ich wissen will, wie es Ihnen in der Vergangenheit ergangen ist.“
In Jasmins blassem Gesicht erschien ein Ausdruck von Ratlosigkeit.
„Damit es zu keinen Fehldiagnosen kommt, muss ich als Arzt gewisse Nachforschungen betreiben“, erklärte Dr. Gruber, der die neue Patientin als leicht zickig empfand. „Also lassen Sie mich doch bitte meine Arbeit tun.“
„Na gut.“ Sie seufzte gottergeben. „Fragen Sie weiter.“
„Außer diesen grippeartigen Erscheinungen … hatten Sie da noch weitere Probleme? Zum Beispiel Abgeschlagenheit oder Kurzatmigkeit?“
Es sah so aus, als dächte sie wirklich ernsthaft über seine Frage nach. Dann drehte sie vorsichtig den Kopf von einer Seite zur anderen.
„Ich hatte ziemlich viel Stress im Beruf“, erklärte sie. „Ich bin Geschäftsführerin des Faber-Verlages und … sagen Sie, wie lange muss ich diesen elenden Verband jetzt tragen?“
Ziemlich sprunghaft ist sie auch noch, dachte Raffael.
„Soviel ich weiß, sechs Wochen. Aber das besprechen Sie am besten mit Chefarzt Dr. Holl. Ich bin für das Herz zuständig.“
Diese Aussage war gänzlich ironiefrei, wie Jasmin nach einem kurzen Blick in seine Augen konstatierte.
Dr. Gruber gab ein kurzes Räuspern von sich.
„Kommen wir zu Ihren Blutbefunden. Sie weisen Entzündungswerte und vermehrte Herzenzyme auf. Die sorgen im Normalfall für den Stoffwechsel des Muskels. Aber bei Schädigungen werden sie freigesetzt und dann im Blut nachgewiesen, wo sie nicht hingehören. Diese Enzyme haben wir bei Ihnen gefunden. Deshalb bin ich da.“
„Und was heißt das?“ Jasmin schien nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Der Arzt wollte sich doch nur wichtig machen. „Ich meine, muss ich jetzt sterben?“ Zu ihrem Leidwesen ließ er sich von ihrem Spott nicht aus der Ruhe bringen.
„Ein Anstieg dieser Enzymwerte zeigt an, dass etwas bei Ihnen nicht in Ordnung ist. Das Herz ist in Mitleidenschaft gezogen. Was es ist, müssen wir herausfinden.“
„Dann darf ich mir also aus der Palette der Krankheiten eine besonders hübsche aussuchen?“
Seine Mundwinkel zuckten. „Wie ich sehe, nehmen Sie sich selbst nicht so ernst. Das ist gut. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben wir es mit einer Entzündung des Herzmuskels zu tun. Auch der Herzbeutel kann davon betroffen sein.“
Er zog einen Notizblock und einen Stift auf seiner Kitteltasche, malte mit ein paar schnellen Strichen ein menschliches Herz mit seinen Kammern und den Herzbeutel, der das Pumporgan umgab.
„Dieses Hohlorgan ist extrem wichtig für einen funktionierenden Organismus, das brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen.“ Er strichelte noch ein wenig an seiner Zeichnung herum. „Es kann durch eine Entzündung, eine Borreliose oder eine rheumatische Erkrankung geschädigt werden. Das kann folgenlos ausheilen. Wenn nicht, wird es gefährlich. Dann bleibt die Pumpleistung schwach. Und in manchen Fällen führt eine solche Infektion zu tödlichem Herzversagen.“
„Sie wollen mir Angst machen“, stellte Jasmin fest. Obwohl sie sich Mühe gab, ihre überlegene Haltung nicht aufzugeben, fühlte sie sich jetzt schwach und müde.
„Nein, keinesfalls. Würde ich das tun, wäre ich kein guter Arzt. Aber ich habe mir nun mal in den Kopf gesetzt, den mir anvertrauten Patienten zu helfen. Selbstverständlich können Sie nach Hause gehen, ich werde Sie nicht mit Gewalt festhalten. Aber mein Rat ist: Tun Sie es nicht. Bleiben Sie, bis wir geklärt haben, woher die beunruhigenden Werte kommen. Einverstanden?“
Bevor Jasmin antworten konnte, betrat Dr. Holl den Raum. Sie kannte ihn vom Sehen. Manchmal hatte sie ihren Lebensgefährten in die Klinik begleitet oder abgeholt.
Hinter dem Arzt schob sich Bruno herein. Raffael erhob sich von seinem Platz, auf den sich Bruno mit einem tiefen Seufzer fallen ließ. In Anwesenheit Dr. Holls legte Jasmin ihre Schnoddrigkeit ab. Die beiden Ärzte erklärten ihr, dass für sie jetzt körperliche Schonung im Vordergrund stand. Anderenfalls könnte sich ihr Zustand rasch verschlimmern.
Schließlich war sie mit Bruno allein. Als sie in das graue Gesicht des Mannes sah, mit dem sie zusammenlebte, hätte sie ihn gern getröstet, aber ihr fielen die richtigen Worte nicht ein.
„Ich bin schon froh, dass du noch einigermaßen glimpflich davongekommen bist“, sagte er mit rauer Zärtlichkeit. „Engelchen, sei brav und tu, was die Ärzte von dir verlangen. Ohne dich kann ich doch gar nicht leben.“
„Mach dir keine Sorgen. Ich rufe jetzt Frau Schöller an und sage ihr, dass sie jetzt öfter nach dir schauen soll.“ Marie-Luise Schöller kam schon seit zwei Jahren als private Pflegerin stundenweise in das Haus des Verlegers. Jasmin schob sich ein wenig hoch. „Gib mir mal meine Tasche.“
Sie suchte ihr Mobiltelefon mit der gesunden Hand, fand es aber nicht. Wahrscheinlich lag es irgendwo im Fahrzeug. Es wäre fatal für sie, wenn Bruno es fand und die vielen schlüpfrigen Nachrichten lesen könnte, die sie mit Patrick getauscht hatte. Doch der gebrochene Mann, der an ihrem Bett saß, schien von ihren Ängsten nichts zu merken.
„Engelchen, werd mir bloß bald wieder gesund.“
„Es wird alles gut. Verlass dich drauf.“ Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. „Jetzt solltest du aber nach Hause fahren. Die Klinikluft hier ist nicht gut für dich.“
„Ich komme morgen wieder“, versprach Bruno und beugte sich über sie, um sie zu küssen, was sie mit geschlossenen Augen über sich ergehen ließ.
***
„Eine ziemlich unverschämte Patientin“, schimpfte Claudia, als sie mit Raffael im Schwesternzimmer einen Kaffee trank. „Die weiß wohl alles besser. Warum ist sie dann überhaupt hier? So eine wie die hat uns gerade noch gefehlt.“
„Sei nicht so streng. Sie hat den Unfallschock noch nicht überwunden. Und so schlimm war es nun auch wieder nicht.“
Im Grunde gab Raffael der Pflegerin recht. Darum fragte er sich, warum er Jasmin Romberg überhaupt in Schutz nahm. Verdient hatte sie es wirklich nicht. Auch er hatte ihre Art als überheblich empfunden.
„Sie gefällt dir wohl?“ Claudias spitzer Tonfall nervte ihn. So reagierte sie immer, wenn sie etwas an ihm auszusetzen hatte. Was leider immer öfter vorkam. Dennoch hielt er sich mit Kritik zurück, weil er wusste, dass dann womöglich wieder eine endlos lange Diskussion losgetreten wurde.
Eigentlich hätte er die Beziehung zu ihr längst beenden sollen, aber bis jetzt hatte er es nicht geschafft, seine Bequemlichkeit zu überwinden. Es war einfach angenehm, ein paar Mal in der Woche von ihr bekocht zu werden. Außerdem bügelte sie seine Hemden und wäre sofort bei ihm eingezogen, wenn er nur mit dem Finger gewinkt hätte. Zum Glück war sein Apartment mitten in Schwabing zu klein für ein Leben zu zweit. Claudias eigene Wohnung in Neuperlach bot ebenfalls nicht genügend Platz.
Eine größere Bleibe musste her. Das aber war in München alles andere als einfach. Die Stadt mit den höchsten Mietpreisen machte es jungen Leuten nicht leicht, sich ein gemeinsames Nest zu bauen.
Inzwischen kamen Raffael diese Umstände sogar gelegen, was er aber strikt für sich behielt. Allerdings war ihm schon klar, dass er sich immer tiefer in eine Situation hineinmanövrierte, die ihm bald keinen einfachen Ausweg mehr bot.
Doch immer, wenn sie ein paar gute Tage miteinander hatten, verzogen sich seine Zweifel wieder, und dann konnte er sich ein Leben mit Claudia durchaus vorstellen. Außerdem ergaben sich aufgrund ihrer Arbeit zwangsläufig Gemeinsamkeiten, die sie verbanden.
„Bitte, lass uns nicht schon wieder streiten. Lass uns lieber darüber nachdenken, was wir heute Abend unternehmen. Wir waren schon lange nicht mehr im Kino. Oder wir gehen in unsere Pizzeria.“
„Pizzeria? Nein.“ Claudia seufzte. „Du weißt doch, dass ich gerade eine Diät mache. Da passen Pizza und Pasta nicht hinein.“
Er kam näher und berührte mit seinen Lippen ihre makellose Wange.
„Mach doch heute einfach eine Pause von deiner Diät. Ich lade dich ein.“
Claudia knuffte ihn sanft in die Rippen.
„Verführer!“, schimpfte sie lachend. „Also gut, ich mache eine Ausnahme. Aber nur heute.“
„Wir könnten gleich von hier aus zum Essen gehen“, schlug er vor. „Anschließend gehen wir zu mir. Ich hab morgen frei.“
Claudia seufzte betrübt. „Ich leider nicht. Ich wollte mit Marion tauschen, damit wir was unternehmen können. Ein Wochenende am Starnberger See zum Beispiel, das haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Aber Marion hat am Wochenende ein großes Familienfest. Da muss sie dabei sein.“
„Irgendwann wird es schon klappen“, sagte er tröstend. „Bis nachher. Um sechs unten?“
Claudia schaute ihrem Liebsten nach. Raffael hatte eine sportliche Figur, er war groß, schlank und gut proportioniert. Die Hüften schmal, die Schultern breiter, der Bauch flach. Immer, wenn sie mit ihm irgendwo auftauchte, bemerkte sie natürlich die verstohlenen Blicke der anderen Frauen, was ihr ein wonniges Gefühl von Überlegenheit bescherte.
Schau nur, dieser attraktive Kerl an meiner Seite gehört mir. Mir ganz allein. Anschauen darfst du ihn. Aber wage es ja nicht, deine gierigen Finger nach ihm auszustrecken, sonst bekommst du es mit mir zu tun – was ziemlich unangenehm für dich werden kann. Ich hab ihn, ätsch, du hast ihn nicht.
***
Beim abendlichen Essen im Hause Holl wurde an diesem Abend die Frage des Taschengeldes erörtert. Juju, elf Jahre alt und damit das jüngste der vier Holl-Kinder erhoffte sich eine Erhöhung.
„Ich will nämlich für ein neues Fahrrad sparen, darum brauche ich mehr Kohle“, erklärte sie.
„Du bist ohnehin schon vom Schicksal begünstigt“, ließ sich die zwanzigjährige Dani mit einer Spur Herablassung vernehmen. „Wir hatten damals weniger Taschengeld als du heute – und mussten es noch durch zwei teilen.“
Diese Reaktion schien Juju nicht sonderlich zu beeindrucken.
„Klar, ihr seid ja auch Zwillinge. Die brauchen natürlich weniger als ein Einzelkind wie ich.“
Bevor die Diskussion heftiger wurde, griff Julia Holl ein.
„Jetzt wollen wir erst mal essen. Anschließend beraten wir alle gemeinsam über deinen Wunsch“, schlug sie vor. Stefan blieb stumm, nickte aber beifällig zu den Worten seiner Frau.
„Wegen mir kann sie ruhig mehr haben“, meinte Chris gönnerhaft. Er war im letzten Jahr ein großes Stück gewachsen und mit seinen fünfzehn Jahren schon fast so groß wie sein Papa. Danis Zwillingsbruder Marc überragte den Vater bereits.
„Ich habe längst gelernt, mit Geld umzugehen“, verteidigte sich Juju mit vollem Mund. „Darum werde ich später auch mal eine Bank leiten.“
„Oho, das ist aber kein ungefährlicher Job“, warnte Chris. „Die stehen doch immer mit einem Fuß im Gefängnis. Und viele von denen sitzen schon drin.“
„Also bitte, können wir vielleicht das Thema wechseln?“, verlangte Daniela. „Außerdem mag ich solche Verallgemeinerungen nicht. Es gibt auch nette Banker. Zum Beispiel den von meiner Bank. Er würde mich nie übers Ohr hauen oder mir irgendwelche faulen Papiere andrehen.“
Chris grinste breit. „Ja, der lädt sogar seine Kunden zum Essen ein. Ein echter Samariter.“
„Natürlich tut er das nicht.“ Während sie widersprach, überzog eine sanfte Röte ihr schmales Gesicht. „Aber er übt seinen Beruf mit Verantwortung aus.“
Chris ließ nicht locker. „Und woher willst du das wissen? Hat er es dir gesagt?“
„Weil ich ihn schon ewig kenne“, erwiderte Dani etwas von oben herab. „Er war auf meiner Schule, allerdings sechs Klassen über mir. Ja, und auf der Bank haben wir uns wiedergesehen.“
Juju meldete sich zu Wort. Betont arglos legte sie den Kopf auf die Seite. „Und er hat natürlich keine ernsteren Absichten?“
Die Eltern tauschten einen vielsagenden Blick. „Das werden wir jetzt sicher nicht klären“, sagte Julia. „Wer möchte noch was?“
Chris und Marc nahmen sich noch einen Löffel vom Gemüseauflauf, die beiden Mädchen verzichteten.
Nach dem Essen verhandelte Juju geschickt mit den Eltern und bat um eine Erhöhung von drei Prozent.
„Das ist doch angemessen, oder?“
„Du bist ganz schön geschäftstüchtig für deine Alter“, stellte Stefan mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme fest und schaute dann seine Frau fragend an. „Was meinst du, können wir uns das leisten, ohne dass unser Familienunternehmen zusammenbricht?“
Julia nahm sich Zeit, bevor sie antwortete.
„Ich denke, es wird möglich sein, ab dem nächsten Ersten.“
Juju sprang erfreut auf. Mama bekam zwei Küsschen, der Papa sogar drei. Dann entschwand sie. Um ihrer Freundin von ihrem Erfolg zu berichten.
„Sie wickelt mich um den Finger“, stellte Stefan schmunzelnd fest. „Und das lasse ich mir ausgesprochen gern gefallen.“
Während sich das Ehepaar ein Gläschen Rotwein gönnte, erkundigte sich Julia nach seinem Arbeitstag. Sie hörte ihrem Mann gern zu, wenn er von besonders kritischen oder rätselhaften Fällen berichtete.
Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, wieder dort mitzuarbeiten. Sie selbst war Fachärztin für Pädiatrie, hatte aber wegen der Kinder ihre Berufslaufbahn unterbrochen. Stefan hatte damals die Leitung des Hauses übernommen. Und er machte seine Sache so gut, dass Walter Berling, Schwiegerpapa und Klinikgründer, ihn immer wieder in den höchsten Tönen lobte.
Stefan erzählte vom Verleger Bruno Faber. „Natürlich war er vollkommen geschockt, als er vom Unfall seiner Lebensgefährtin erfuhr. Ich hoffe, ich konnte ihn ein wenig beruhigen. Sie wird bald wieder auf den Beinen sein.“
„Hm.“ Julia griff nach ihrem Wein und betrachtete nachdenklich das tiefe Rot des Weines. „Vor einigen Wochen habe ich die Beiden zusammen bei einer Ausstellung in der Galerie Uhlmann getroffen. Ein ungewöhnliches Paar. Er sieht nicht aus wie ein gesunder Mensch. Sie hingegen sprüht vor Energie und Lebenslust. Ein paar Tage später sah ich sie dann im Englischen Garten.“ Sie machte eine kunstvolle Pause. „Mit einem anderen Mann.“
„Vielleicht war es ein Freund oder ein Bekannter. Sie ist ja Geschäftsführerin im Faber-Verlag und hat viel mit Autoren zu tun …“
„So wie die sich küssten, küssen sich nur Liebende“, stellte Julia trocken fest und trank einen Schluck. „Sie waren ein auffällig schönes Paar.“
***
„Ach, du lieber Himmel, und jetzt?“ Jasmin riss erschreckt die Augen auf.
„Es besteht kein Grund zur Panik, Frau Romberg. Zur Abklärung machen wir morgen noch einen Herzkatheter. Danach legen wir die Therapie fest. Dazu gehören Schonung und Ruhe und die korrekte Einnahme Ihrer Medikamente. Wenn Sie sich daran halten, sind Ihre Chancen auf Ausheilung groß.“
„Ist jetzt der Tod hinter mir her?“
„Aber nein.“ Raffael grinste verschmitzt. „Keine Sorge, wir tricksen ihn aus, ganz sicher.“
Jasmin betrachtete das Gesicht des Arztes. Sie traute ihm zwar großes medizinisches Können zu, fand ihn aber ziemlich überheblich. Er schien sich für einen der sprichwörtlichen Götter in Weiß zu halten. Was sie allerdings nicht verstand, war die Tatsache, dass er diese kleine rundliche Pflegerin, die an seiner Seite den Wachhund gab, ohne Widerspruch duldete.
Wie auch immer, dachte Jasmin. Das ist seine Sache und geht mich nichts an. Sie seufzte etwas übertrieben. „Und das ist wirklich alles notwendig?“
„Die Folge einer unbehandelten Herzmuskelentzündung kann eine hochgradige Herzschwäche sein. Wenn es dazu kommt, kann das Herz seine Funktion nicht mehr erfüllen. Wollen Sie das? In Ihrem Alter?“ Seine Stimme nahm einen düsteren Klang an. „Die Pumpfunktion verschlechtert sich. Das Herz versucht dann, mit den erhöhten Anforderungen fertig zu werden und vergrößert sich. Was wiederum schlecht ist für die Herzklappen, die dann nicht mehr richtig funktionieren können. Es bilden sich Blutgerinnsel. Die Lage wird dann ziemlich rasch kritisch und …“
„Ersparen Sie mir solche Horrorstorys! Können Sie mich nicht leiden, oder warum machen Sie mir solche Angst?“, unterbrach ihn Jasmin anklagend und brach in Tränen aus.
Ihre Empörung überraschte ihn so, dass er sich betroffen auf die Bettkante setze und ihre rechte Hand umfasste. So hart sollen seine Worte nicht bei ihr ankommen. Er wollte die Patientin doch nur zur Vernunft bringen.
„Entschuldigen Sie … und bitte beruhigen Sie sich“, bat er eindringlich. „Damit es nicht so schlimm kommt, müssen wir vorbeugen. Und Sie müssen mitarbeiten. Treten Sie kürzer in Ihrem Beruf, das rate ich Ihnen als Ihr Arzt.“
„Wie stellen Sie sich das vor?“ Sie fasste sich. „Ich bin Geschäftsführerin des Faber-Verlags.“
„Und dort gibt es niemanden, der Sie vertreten kann?“
„Nein“, sagte sie. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Sie war eine der schönsten Frauen, die er jemals in Ausübung seines Berufes behandelt hatte.
„Wirklich nicht?“
„Nun ja, doch“, gestand sie schließlich. „Ich teile mir die Geschäftsführung mit meinem Kollegen Wagner.“
„Na also, dann können Sie doch mal vorübergehend aussteigen.“
„Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.“
Jetzt brachte sie doch tatsächlich so kurz nach ihrem Tränenausbruch ein verführerisches Lächeln zustande. Frauen waren manchmal ein großes Rätsel.
Erst jetzt merkte Raffael, dass er immer noch ihre Hand hielt. Etwas zu hastig ließ er sie los. Sie sollte bloß nicht glauben, dass er …
„Ich hoffe, Sie sind mir nicht mehr böse.“
Wieder schaute sie ihn mit diesem Blick an, der sein Herz ins Stolpern brachte. Wenn sie ihn jetzt um einen Kuss bitten würde, wäre es um ihn geschehen.
Die Patientin öffnete den Mund. „Lieber Dr. Gruber, würden Sie mir einen Gefallen tun?“
Er fühlte sich wie berauscht, als er ihre Frage mit heiserer Stimme bejahte.
„Dann fragen Sie doch bitte bei der Polizei nach, wo meine Sachen aus dem Wagen geblieben sind.“
„Ist das jetzt so wichtig?“ Ihm wurde schlagartig bewusst, dass sie mit ihm spielte. Grausam war sie also auch noch.
„Meine Handtasche wurde mir schon gebracht, aber mein Handy fehlt.“ Sie sprach jetzt leiser, flüsterte fast. „Ich brauche es. Bitte, Sie müssen mir helfen. Es darf auf keinen Fall in falsche Hände kommen.“
Raffael runzelte die Stirn.
„Auf meinem Telefon sind ein paar pikante Nachrichten gespeichert. Ich bin nicht mehr dazu gekommen, sie zu löschen. Wenn es meinem Verlobten in die Hände fällt, könnte ihn das umbringen. Sie wissen ja, wie krank er ist. Es gab da einen … nun, einen Liebhaber. Verstehen Sie?“
Ja, er verstand. Sie brauchte ihn als Komplizen, um ihren Betrug nicht offenkundig werden zu lassen. Sie war durchtrieben, schön und sensibel, eine Mischung, die ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlte.
„Und wie denken Sie, soll ich das anstellen?“
„Fragen sie bei der Polizei nach, wo mein Auto ist. Mein Handy muss noch da drin liegen. Irgendwo, Sie finden es schon.“
Sie verlangte also von ihm, dass er in dem Schrottwagen auf allen Vieren herumkriechen sollte. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Und kein Wort zu Bruno. Es würde ihn umbringen. Das dürfen Sie als Arzt nicht zulassen.“
Jetzt war also such er noch schuld, wenn sich ihr Lebensgefährte so aufregte, dass er Schaden nahm. Unglaublich, diese Frau.
Am liebsten hätte er ihr eine Abfuhr erteilt, aber sein Herz war dagegen. Er ahnte schon, was zurzeit mit ihm passierte. Ohne es zu wollen, verwandelte er sich in eine Marionette, die sich nur danach sehnte, von diesen schlanken Händen bewegt zu werden.
„Sagen Sie, Doktor, was machen Sie eigentlich, wenn Sie krank sind? Gehen Sie dann zu einem Kollegen?“ Jasmin musterte ihn gründlich. „Diese Frage hat mich schon immer interessiert.“
„Bis jetzt konnte ich mich immer selbst behandeln. Und wenn doch mal ein größeres Problem auftaucht, wende ich mich an unseren Chefarzt. Dr. Holl ist einer der Besten. Und immer noch mein großes Vorbild.“
„Darf ich noch fragen, wie lange Sie schon Arzt sind? Sie sehen so jung aus.“
Ein ganz klein wenig drückte er die Brust heraus. „Ich habe mein Studium in der kürzesten Zeit abgeschlossen. Jetzt bin ich Facharzt für Kardiologie und 37 Jahre alt, also kein Neuling. Zufrieden?“
Wieder schenkte sie ihm ein Lächeln. „Gut, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Und denken Sie an meine Bitte.“
Diese Frau macht mich fertig, dachte er, als er draußen auf dem Gang stand und noch zwei Sekunden über das soeben Erlebte nachdachte. Natürlich war es ziemlich dreist von ihr, ihn auf die Suche nach ihrem Handy zu schicken, das ihren Betrug verraten könnte. Aber dieses eine Mal wollte er ihr helfen.
***
Am Nachmittag bekam Jasmin Besuch. Sie hatte ein bisschen geschlafen, und noch bevor sie die Augen öffnete, spürte sie, dass sich jemand im Raum befand. Sie blinzelte vorsichtig. Ach Gott, auch das noch! Patrick saß an ihrem Bett.
Als er die Bewegung hinter ihren Lidern bemerkte, beugte er sich vor und schaute sie durch seine Brille mit dem treuen Hundeblick an, den sie so gut an ihm kannte.
„Liebes!“, rief er aus, beugte sich vor und umfasste ihre Schultern.
Erst ihr Schmerzensschrei ließ ihn zurückweichen.
„Bist du verrückt, du tust mir weh“, klagte sie. „Mein Schlüsselbein ist gebrochen.“
„Oh, das tut mir so leid. Entschuldige, Liebes.“ Gleich würde er zu heulen anfangen. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie geschockt ich war, als ich von deinem Unfall hörte. Die Lektorin im Verlag hat mir davon erzählt, als ich mit ihr telefonierte. Ich bin sofort gekommen.“
Seine Stimme war so belegt, dass er sich mehrmals räuspern musste.
Mit der Fernbedienung stellte Jasmin den Kopfteil höher.
„Patrick, es geht mir gut. Aber du musst jetzt gehen. Bruno kann jeden Moment auftauchen. Und ich weiß nicht, wie ich ihm deine Anwesenheit hier erklären soll.“
„Dann habe ich endlich mal wieder Gelegenheit, meinen Verleger zu begrüßen.“
Jasmin spürte, wie der Zorn in ihr aufbrodelte. „Es ist aus zwischen uns. Aus, hörst du? Vorbei. Finito. Hast du das schon wieder vergessen? Oder geht das einfach nicht in deinen dummen Kopf?“
„Aber unsere Liebe …“
Mit dem unverletzten Arm tätschelte sie seine Wange. „Manchmal hält sich das Glück nicht lange bei einem auf. Damit musst du dich abfinden. Wir hatten doch alles besprochen. Nur weil ich einen kleinen Unfall hatte, beeinflusst das noch lange nicht meine Entscheidung.“
„Ich lass mich von dir nicht einfach fortschicken“, erwiderte er bockig.
„Das wirst du aber akzeptieren müssen. Sonst drücke ich den Alarmknopf, dann schmeißt dich der Pfleger raus. Der ist ein Zwei-Meter-Mann und ständiger Gast im Fitness-Club.“
„Ich wusste gar nicht, wie garstig du sein kannst“, gab Patrick gepresst zurück. Allmählich wandelte sich seine Sorge in Ärger. „Und wie herzlos.“
„Hör zu, mein Lieber, ich muss den Unfall erst mal verarbeiten. Wie ich hörte, ist der Wagen schwer beschädigt. Ob sich überhaupt noch eine Reparatur lohnt, wird sich erst noch zeigen. Du siehst also, ich habe viel um die Ohren.“
Eine Weile blieb es still im Zimmer. Patrick fing als erster wieder an.
„Die Lektorin sagte mir auch, dass ihr mein neuer Roman nicht gefällt. Sie wird mir etliche Änderungen vorschlagen. Dazu sage ich gleich: Nicht mit mir. Ich ändere gar nichts. Und wenn euch das Buch nicht gefällt, kann ich es jederzeit woanders unterbringen.“
Jasmins Reaktion beschränkte sich auf ein unverbindliches Lächeln. Wichtig war jetzt erst einmal, dass er wieder verschwand. Je länger er blieb, um so mehr wuchs die Gefahr, dass er hier von Bruno entdeckt wurde. Natürlich konnte sie jederzeit behaupten, der Autor wäre gekommen, um mit ihr über sein Manuskript zu reden. Da Bruno aber ein Mensch mit sensiblen Antennen war, könnte er schnell misstrauisch werden.
„Darüber reden wir noch. Jetzt musst du gehen.“
„Du willst mich loswerden“, stellte er getroffen fest. „Mit ein paar Worten hast du mein ganzes Leben in Schutt und Asche gelegt.“
„Du dramatisierst mal wieder unnötigerweise. Spar dir das für deine Romane auf, dann lesen sie sich auch spannender.“
Jasmin biss sich auf die Lippen, doch nun stand die unverhohlene Kritik bereits so deutlich im Raum, dass sie sich auch durch eine nachträgliche Beschwichtigung nicht mehr aus der Welt schaffen ließ.
Ja, mit seinem ersten Roman hatte Patrick Bremer einen Bestseller gelandet, der es in den Verlagskassen klingeln ließ. Seine Geschichten spielten in fantastischen Welten, mit Dämonen, Engeln und Geschöpfen aus den Zwischenreichen. Dann wechselte er überraschend das Genre und schrieb einen Liebesroman, eben jenes Manuskript, von dem die Lektorin nicht begeistert war. Jasmin, die ebenfalls ein paar Kapitel gelesen hatte, musste ihr zustimmen.
Wenn es nicht anders ging, musste sie ihn eben nicht nur als Lover, sondern auch als Autor an den Nagel hängen. Manchmal wunderte sie sich selbst über die Kälte, die sie glaubte im Geschäftsleben erworben zu haben. Aber anders ging es nun mal nicht, wenn man einen Verlag am Leben halten wollte. Die Konkurrenz war riesig, und es wurde erbittert gekämpft.
„Du steckst also mit Miriam Kohler unter einer Decke“, befand Patrick mit Leichenbittermiene.
Wenn sie ihn jetzt tröstete oder ihm irgendwelche Zusagen machte, musste er glauben, dass sie ihre Entscheidungen nicht ernst meinte. Also ließ sie es. Sie musste ihn loswerden.
„Wir reden noch darüber.“ Mehr konnte sie ihm nicht versprechen.
Allmählich veränderte Patrick seine Haltung. Hatte er gerade noch zusammengesunken auf dem Stuhl gesessen, gingen nun seine Schultern in die Höhe. Er drückte den Rücken durch. In seinen Augen glommen die ersten Hass-Funken auf. „Glaub bloß nicht, dass du mich aufs Kreuz legen kannst. Das lasse ich nicht mit mir machen.“
„Soll das eine Drohung sein?“, fragte sie spitz.
„Das kannst du verstehen, wie du willst. Ich gebe demnächst ein Interview in einer Tageszeitung. Da könnte ich einiges über dich ausplaudern, was dir bestimmt nicht gefallen wird.“
„Jetzt wirst du albern. Deine Drohung ist geschmacklos. Geh! Oder ich schlage Alarm. Und lass dich hier nie wieder blicken.“
„Wie du willst.“ Patrick folgte der Aufforderung und marschierte zur Tür, wo er sich noch einmal umwandte. „Aber glaub bloß nicht, dass du mich so einfach loswerden kannst. Ich gebe mich nicht geschlagen. Du bist die Liebe meines Lebens. Das solltest du eigentlich wissen.“
Jasmins Erleichterung hielt nach seinem Weggang nicht lange an. Einerseits empfand sie eine riesige Wut auf diesen unverschämten Kerl, andererseits kam sie gegen die Schuldgefühle nicht an, die sich in ihrem Kopf festsetzten.
Sie hatte doch keinem wehtun, sondern nur ein bisschen Spaß haben wollen. Spaß, den es mit Bruno schon lange nicht mehr gab. Der kranken Mann brauchte Fürsorge und Pflege. Sie sollte ständig um ihn sein, aber auch den Verlag so führen, dass er nicht in Schieflage geriet.
Konnte es sein, dass ihr Unfall etwas mehr war als nur Unachtsamkeit? Hatte nicht viel mehr das Unterbewusstsein ihr signalisiert, dass ihr Leben so nicht weiterging? Dass es Zeit war innenzuhalten, sich auf Werte zu besinnen, die ihr irgendwann abhanden gekommen waren?
Sie liebte Bruno längst nicht mehr, aber sie war ihm tief verbunden, nicht nur, weil sie sich für ihn verantwortlich fühlte. Alles, was sie in ihrem Beruf brauchte, hatte sie von ihm gelernt. Vor einigen Jahren machte er sie zur Geschäftsführerin seines Verlages. Sie sollte seine Nachfolgerin werden.
Auf keinen Fall durfte sich sein Zustand wegen ihres Fehlverhaltens verschlechtern. Die Affäre mit Patrick war auch gar nicht wichtig gewesen, sie hatte sich doch nur ein wenig Abwechslung erhofft – und nicht ahnen können, dass der Autor die Sache gleich so ernst nahm.
Dummerweise war sie jetzt an ihr Klinikbett gefesselt und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Aber immerhin gelang es ihr, das aufkeimende Selbstmitleid zu unterdrücken.
***
„Raffael, wo warst du denn? Die Patientin auf Zimmer zwölf hat nach dir verlangt.“
Claudias tadelndes Gesicht ging ihm auf die Nerven. Seit wann musste er sich bei ihr abmelden? „Ich habe mit Frau Romberg über ihre Therapie gesprochen“, erwiderte er mürrisch.
„So lange?“
„Bitte Claudia, was soll das?“ Raffaels Ärger wuchs. „Ich will dir mal was sagen, und schreib dir das bitte hinter die Ohren. Deine Eifersucht ist albern. Ich sehe keinen Grund, mich zu rechtfertigen, warum und wie lange ich mich bei dieser oder jener Patientin aufgehalten habe. Verstanden?“
Wenn Blicke töten könnten, dann wäre es jetzt um ihn geschehen. „Diese hysterische Person behandelt uns doch alle nur wie Personal. Auch Marion hat sich schon beschwert. Müssen wir uns das gefallen lassen?“
„Nein, müsst ihr nicht. Aber wenn es Grund zur Klage gibt, wende dich an die Pflegedienstleiterin. Die ist dafür zuständig, nicht ich. Und komm mir bitte niemals wieder mit Vorschriften. Ich bin Arzt auf dieser Station und einzig und allein für das Wohlergehen meiner Patienten verantwortlich. Wenn dir irgend etwas daran nicht passt, behalte es in Zukunft bitte für dich.“
Claudia sah ein, dass sie es mit ihren Vorhaltungen zu weit getrieben hatte. Weil sie spürte, dass er gefühlsmäßig nicht mehr ganz bei der Sache war, suchte sie nach Mittel und Wegen, wie sie ihn versöhnen konnte.
Vor einem knappen Jahr, als ihre Verliebtheit noch ganz frisch war, hatten sie während des Dienstes manchmal heimlich die Wäschekammer aufgesucht, um sich dort für ein paar Minuten ihrer zügellosen Leidenschaft hinzugeben. So was kam schon lange nicht mehr vor. Das machte sie zugleich zornig und traurig.
Nein, sie würde ihm keine Vorwürfe mehr machen, sondern ab sofort wie eine Löwin um ihn kämpfen. Sie schaute ihn liebevoll lächelnd an.
„Tut mir leid, das war falsch von mir. Ich sehe es ja ein, ich habe überreagiert. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Seinem unverständlichen Grummeln konnte sie nicht entnehmen, ob er ihr verzieh oder weiter nachtragend sein wollte. „Lass uns heute Abend bei mir essen“, schlug sie deshalb vor. Ihre Kochkünste hatten ihn noch immer überzeugt. „Wir haben beide frei und machen uns einen ruhigen Abend. Dazu gibt’s einen sehr guten Rotwein. Und zum Nachtisch mache ich mein bestes Tiramisu. Und es wird keinen einzigen Vorwurf mehr geben, versprochen.“
„Na gut“, meinte er zögernd. Er spürte zwar keine große Lust, nach dieser Auseinandersetzung den Abend mit ihr zu verbringen, andererseits wollte er nicht riskiere, dass sie begann, gegen ihn zu intrigieren. Darin, das hatten schon einige andere erfahren müssen, war sie nämlich Weltmeisterin.
Außerdem verlangte sein Magen statt der ewigen Leberkässemmeln mal wieder eine ordentliche Mahlzeit. Und die bekam er bei Claudia garantiert. Ging Liebe wirklich durch den Magen? Er glaubte es nicht wirklich. Oder doch?
„Sei wieder gut, bitte!“
„Du bist manchmal eine richtige Giftspritze!“, sagte er immer noch ein bisschen knurrend.
Sie nahm es wie ein Kompliment. „Wir sehen uns gegen acht bei mir.“
Rasch drückte sie sich an ihn und wandte sich zum Gehen. Es war Zeit für sie, die Medikamente für die Patienten in kleine Behälter zu verteilen. Einige bekamen zusätzlich noch Injektionen.
***
Als sie gegangen war, ging Raffael in das Arztzimmer, das er sich mit den Kollegen teilte. Wieder las er den Unfallbericht durch, den die Polizei durchgegeben hatte. Auch am Bus waren Schäden entstanden, zum Glück aber keine Passagiere verletzt worden.
Er rief auf dem Revier an und bekam gleich den Beamten zu sprechen, der bei den Unfall aufgenommen und den Abtransport von Jasmins Wagen veranlasst hatte. Von einem Handy wusste der Polizist nichts, aber er gab ihm die Adresse des Schrottplatzes, wo das Fahrzeug aufbewahrt wurde, bis der Gutachter es freigab.
Überpünktlich machte Raffael Schluss und fuhr dann mit seinem Auto zur angegeben Anschrift. Eigentlich wollte der Mann am Empfang ihn nicht zu dem Fahrzeug lassen. „Daran darf nichts verändert werden, sonst gibt es später Probleme mit der Versicherung“, sagte er.
„Ich will doch nur das Handy mit all den gespeicherten Nummern. Sie wissen doch selbst, wie wichtig das ist. Die Besitzerin ist Verlegerin und ohne die Daten vollkommen aufgeschmissen.“
Die diskrete Übergabe eines Zehn-Euro-Scheins bewirkte eine Meinungsänderung des Platzwarts. Bereitwillig zeigte er Raffael, wo sich der Unfallwagen befand und trat dann etwas zurück, um in aller Ruhe eine zu rauchen.
Die Seitenfront des Geländewagen sah fürchterlich aus. Es grenzte fast an ein Wunder, dass Jasmin nicht mehr passiert war. Wenn er sie in seinen Gedanken bei ihrem Namen nannte, überkam ihn ein tiefes Gefühl von Zärtlichkeit, das er so in dieser Form noch nie erlebt hatte.
Gleichzeitig wusste er, dass er sich auf einem Irrweg befand. Diese Frau mit einem so turbulenten Liebesleben war nichts für ihn. Auch die Art, wie sie ihn behandelte, ließ keine positive Bewertung ihres Charakters zu.
Doch was nützten all diese vernünftigen Überlegungen, wenn das Herz sich nicht drum scherte, sondern geradezu störrisch darauf beharrte, trotz allem von dieser Frau fasziniert zu sein?
Die Fahrertür ließ sich mit ein wenig Gewaltanwendung noch öffnen. Und weil er es ihr versprochene hatte, ging er auf Tauchstation und suchte den Boden des Wagens ab. Dabei zog er sich eine Schnittwunde an der linken Hand zu, was ihn zu einem saftigen Fluch veranlasste.
Er richtete sich wieder auf und stieß sich dabei den Kopf am Lenkrad. Jetzt kramte er ein Taschentuch hervor, das er um die stark blutende Wunde wickelte.
Keine Spur von einem Telefon. Erst, als er die hintere Tür öffnete und von dort aus mit artistischen Verrenkungen auch unter den Sitzen nach dem Gesuchten tastete, wurde er fündig. Erleichtert ließ er das Handy in seine Jackentasche gleiten. Morgen würde er heftigen Muskelkater haben.
Er bedankte sich noch mal bei dem Mann am Eingang und verließ fast fluchtartig das Gelände mit den übel zugerichteten Fahrzeugen. Ein jedes stand für eine Katastrophe.
Jasmin wird sich freuen, dachte er, als er sein Auto erreicht hatte und zunächst aus dem Verbandskasten ein ordentliches Pflaster kramte. Es gehörte weiß Gott nicht zu seinen Aufgaben als Arzt, dieser Patientin beim Vertuschen ihres Betrugs zu helfen. Warum tat er das überhaupt?
Mit dem Gefühl, einen harten Kampf gewonnen zu haben, ließ er sich hinters Steuer gleiten. Er kam sich vor wie ein Musketier, der für die Dame seines Herzens einen Kampf gewonnen hatte. Ein jungenhaftes Grinsen kroch in seine Mundwinkel. Ja, er war sogar ein bisschen stolz auf seinen Erfolg. Ob sie es ihm lohnen würde?
Das Pflaster färbte sich rot. Zu Hause musste er einen ordentlichen Verband über den Handrücken legen. Dann konnte er auch darüber nachdenken, wie er Claudia diese Verletzung erklärte. Jedenfalls beabsichtigte er nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie würde es nicht verstehen und ihn stundenlang ausfragen, was er sich dabei gedacht hätte. Ihr Misstrauen war ja ohnehin ständig auf der Lauer. Und wenn sie sich einmal in ein Thema festbiss, kam sie davon so schnell nicht mehr ab.
In seinem Apartment angekommen, rief er in der Klinik an und ließ sich von Schwester Gundula die Nummer des Festnetz-Telefons geben, das neben Jasmins Bett stand. Sie meldete sich sofort.
„Hallo, hier Gruber. Ich habe das Handy gefunden.“
„Oh wirklich? Das ist toll. Dr. Gruber, ich danke Ihnen. Können sie es heute noch vorbeibringen?“
„Ich bin nicht mehr im Dienst …“
„Nur auf einen Sprung“, bat sie mit einer ganz lieben Stimme. Fast erwartete er, dass sie zu schnurren begann. „Sie wissen doch, wie wichtig mir das ist.“
„Ohne mich zu fragen, ob es mir auch passt, machen Sie mich zu Ihrem Mitwisser“, stellte er trocken fest. Da er bei diesen Worten keine echte Empörung empfand, konnte er dieses Gefühl auch nicht vermitteln. Im Grunde hatte er ihr gern geholfen. Er schaute auf die Uhr. „Also gut, in einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.“
Jasmin gab ihm noch ein paar Schmeicheleinheiten mit auf den Weg. „Das ist wirklich super nett von Ihnen“, gurrte sie. „Ich bin Ihnen ja so dankbar. Überhaupt betrachte ich es als glückliche Fügung, Sie als Arzt zu haben.“
„Bis gleich“, sagte er knapp und brach das Gespräch ab. Sollte er Claudia kurz benachrichtigen? Er entschied sich dagegen. Wenn er sich beeilte, müsste es zu schaffen sein, dass er trotz des kurzen Abstechers in die Klinik pünktlich bei ihr ankam.
Erwartungsvoll fuhr er los. Und je näher er der Klinik kam, um so mehr freute er sich darauf, seine Patientin zu sehen.
***
Wieder hatte Bruno Faber darauf bestanden, auch ohne vorherige Terminvereinbarung mit Dr. Holl zu sprechen. Am Nachmittag waren eine Computertomografie mit gleichzeitigem PET-Scan sowie ein Ultraschall durchgeführt worden. Wie auch bei den letzten Untersuchungen ergaben die Befunde keinen Grund zum Optimismus.
„Jetzt will ich ganz genau von Ihnen wissen, wie es mit mir weitergehen soll.“
Dr. Holl wich dem Blick des Patienten nicht aus. Er musste jetzt ehrlich sein. „Alle zur Verfügung stehenden Therapien haben wir zeitgerecht bei Ihnen durchgeführt. Es könnte noch mal eine Chemo …“
„Nein, keine Chemo mehr“, lehnte Bruno strikt ab. „Ich bin wohl das, was ihr Ärzte austherapiert nennt.“
Stefan nahm einen tiefen Atemzug. „So ist es, leider. Oft werden in den Medien neue Erkenntnisse der Medizin übertrieben gefeiert. Und dabei unterschlägt man, dass es auch hier Grenzen gibt, an die wir fast täglich stoßen.“
„Wie viel Zeit geben Sie mir noch?“
„Das kann kein Arzt so genau voraussagen, weil es von mehreren Faktoren abhängt. Außerdem ist die Entwicklung der Krankheit von Patient zu Patient unterschiedlich. Ich kann Ihnen nur die Statistik bieten, aber die sagt über Sie persönlich gar nichts aus. Manchmal kommt das Wachstum der Zellen vorübergehend zum Stillstand, aber verlassen kann man sich darauf nicht.“
„Mit anderen Worten, ich sollte jetzt vorsichtshalber schon mal meine letzten Dinge regeln.“
Dr. Holl betrachtete seinen Patienten nachdenklich. „Manchmal gibt es auch Spontanheilungen. Wie sie zustande kommen, können wir aus medizinischer Sicht nicht erklären.“
„Sie meinen die alternative Medizin? Nun, davon halte ich nichts. Sie etwa?“
„Meine Worte waren nur als Hinweis gemeint“, erwiderte Stefan. „Aber es ist nun mal wissenschaftlich erwiesen, dass das Immunsystem zu großen Leistungen fähig ist. Es kann Krebszellen frühzeitig erkennen und sogar unschädlich machen.“
„Na, in meinem Fall hat die Abwehr wohl geschlafen“, konterte Bruno trocken.
Stefan ließ sich nicht beirren. „Krankheiten kommen sowohl aus dem körperlichen als auch aus dem seelischen Bereich. Noch vor 20 Jahren hat man dem körperlichen Anteil viel mehr Bedeutung beigemessen. Was ich damit sagen will, Schulmedizin und geistiges Heilen können sich sehr gut ergänzen. Es gibt tatsächlich Menschen, die nach den Regeln der herkömmlichen Medizin keine Chance mehr hatten. Und die trotzdem geheilt wurden … von Kräften, die aus uns selbst kommen.“
„Ach, kommen Sie mir doch nicht damit.“ Bruno lachte knarzig auf. „Solche Methoden sind nichts für mich. Da gehe ich lieber mit wehenden Fahnen unter.“
„Ich wollte es nur noch mal ansprechen“, sagte Stefan.
„Nett von Ihnen, danke. Ich werde mich jetzt auf etwas anderes konzentrieren.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich möchte meine Lebensgefährtin heiraten, so lange ich noch in der Lage dazu bin. Nach meinem Ableben soll es keine Unstimmigkeiten geben, schon gar nicht in meinem Verlag.“
„Ihr Vorhaben freut mich. Alles Gute, Herr Faber.“
Bruno stemmte sich mühsam aus seinem Sessel hoch. „Danke, Dr. Holl. Die Gespräche mit Ihnen sind für mich immer äußerst bereichernd, gerade auch, weil wir nicht immer einer Meinung sind. Ein Arzt wie Sie, der sich so viel Zeit für seine Patienten nimmt, ist heutzutage ein seltenes Exemplar. Wie machen Sie das nur?“
Der Chefarzt lächelte. „Man tut, was man kann. Ich habe mich nun mal der Medizin verschrieben. Mein Beruf macht mir Freude. Das ist in meiner Familie wohl ansteckend. Mein ältester Sohn schickt sich schon an, in meine Fußstapfen zu treten.“
„Da hat er eine gute Wahl getroffen.“ Der Verleger reichte dem Chefarzt die Hand. „Darf ich darauf hoffen, Sie und Ihre liebe Frau bei unserer Hochzeit begrüßen zu dürfen? Den Umständen entsprechend wird es nur eine kleine Feier geben.“
Stefan versprach, sich den Termin nach Möglichkeit freizuhalten. „Lassen Sie mich wissen, wann es so weit ist.“
Nach diesem Gespräch ging Bruno zum Schwesternzimmer, wo er Claudia und Marion antraf. Die beiden Pflegerinnen kannten den Patienten, der ihnen immer etwas zusteckte, wenn er in der Klinik ambulant behandelt wurde. Trotz seiner schweren Erkrankung konnte er äußerst charmant sein.
Diesmal äußerte er ein kleines Anliegen, überreichte einer jeden einen 20-Euro-Schein und bat sie, in fünf Minuten das Krankenzimmer seiner Lebensgefährtin zu betreten. Und nicht eher wieder zu gehen, bis er ihnen ein Zeichen gab. Das Ganze werde nur ein paar Augenblicke dauern. Es sei etwas sehr Persönliches, für das er sie als Kronzeugen benötige. Dann ging er.
Marion schaute ihm nach. Die Krankheit hatte ihn schon deutlich gezeichnet. Jeder Schritt schien ihm schwerzufallen. „Sehr mysteriös“, murmelte sie. „Was hat er denn vor?“ Eigentlich erwartete sie keine Antwort auf diese Frage, denn auch die Kollegin konnte ja nichts wissen.
„Das werden wir ja gleich erfahren.“ Claudia behielt die große Wanduhr im Blick, deren Sekundenzeiger unbeeindruckt weiterrückte.
„Aber wir können doch nicht beide weg“, meinte Marion, die zusehends unsicher wurde. „Wenn nun ein Patient läutet …“
„Keine Sorge.“ Claudia grinste siegessicher und wies den Gang hinunter, wo Pflegeschülerin Annika auftauchte. „Sie wird uns vertreten.“
Sie winkte die Ahnungslose in das verglaste Schwesternzimmer und umfasste deren Handgelenk. „Du musst hier die Stellung halten, bis wir wiederkommen“, verlangte sie eindringlich.
„Aber ich habe Pause und …“
„Keine Widerrede. Das ist ein Befehl!“, erklärte die Stationsschwester mit der ihr eigenen Gnadenlosigkeit. „Wir müssen zu einem Notfall. Oder willst du dafür verantwortlich sein, wenn es dem Patienten schlechter geht?“
„Nein, natürlich nicht, aber …“
„Schluss jetzt. Es dauert nicht lang. Und rühr dich nicht vom Fleck. Wenn es ein Problem gibt, wir sind in Zimmer zwölf.“
Sie zog Marion beiseite. „Noch eine Minute“, flüsterte sie mit einem verschwörerischen Lächeln. „Zwanzig Euro für ein paar Sekunden – ist doch ein toller Stundenlohn, oder?“
***
Jasmin hatte ihn nicht erwartet, darum war sie überrascht, ihn zu sehen.
„Warum bleibst du nicht zu Hause?“, schimpfte sie liebevoll und vergaß darüber die Begrüßung. „Du solltest dich pflegen und nicht noch abends unterwegs sein.“
„Ich bin kein kleiner Junge und kann tun und lassen, was ich für richtig halte“, erwiderte Bruno gutmütig. Er mochte es, wenn sie so nett mit ihm schimpfte. „Gerade war ich bei Dr. Holl. Küsschen.“
Jasmin bot ihm die Wange.
„Und? Was haben die neuesten Untersuchungen ergeben?“
„Na ja, ein paar Jährchen bleiben mir noch. Der Tumor hat sich sogar verkleinert“, log er. „Und weil ich ganz sicher sein will, dass ich die mit dir verbringen darf, möchte ich dir eine wichtige Frage stellen.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Spar dir das für zu Hause auf, Schatz. Länger als zwei Tage bleibe ich sowieso nicht mehr hier.“
„Wenn ich heute Nacht einschlafe, will ich aber Gewissheit haben“, sagte er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit. „Darum gehe ich nicht ohne Antwort.“
Wie auf ein geheimes Signal klopfte es. Die Pflegerinnen Claudia und Marion traten ein. Mit der Hand dirigierte er sie zum Fußende des Bettes. Dann wandte er sich wieder seiner Lebensgefährtin zu.
„Das sind meine Zeuginnen“, sagte er zu ihr.
Jasmins Stirn furchte sich. Und zwischen den schwungvollen Brauen erschienen die die zwei steilen Falten, die nichts Gutes verhießen.
Bruno räusperte sich. „Jasmin, Engelchen, willst du meine Frau werden?“
Ihre Gesichtszüge entglitten, auch die Falten verschwanden wie auf Knopfdruck. In ihren Augen lag nur tiefe Fassungslosigkeit.
„Heiraten? Aber davon wolltest du doch nie etwas wissen.“
Aufgeregt stieß Claudia der Kollegin den Ellbogen in sie Seite. So was Spannendes erlebte man schließlich selten im Klinikalltag.