Die besten Ärzte - Sammelband 41 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 41 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1806: Dein Vater wird dich niemals sehen
Notärztin Andrea Bergen 1285: In meinen Träumen bist du noch bei mir
Dr. Stefan Frank 2239: Wo die Liebe den Tisch deckt ...
Dr. Karsten Fabian 182: Liebeskummer lohnt sich doch ...
Der Notarzt 288: Lauf, Josefine, lauf!


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 595

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Katrin Kastell Daniela Sandow Stefan Frank Ina Ritter Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 41

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Jack Frog / Shutterstock

ISBN 978-3-7517-2947-5

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 41

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1806

Dein Vater wird dich niemals sehen

Die Notärztin 1285

In meinen Träumen bist du noch bei mir

Dr. Stefan Frank 2239

Wo die Liebe den Tisch deckt …

Dr. Karsten Fabian - Folge 182

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Liebeskummer lohnt sich doch …

Der Notarzt 288

Lauf, Josefine, lauf!

Guide

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Contents

Dein Vater wird dich niemals sehen

Ein Anruf zerstört alle Zukunftsträume

Von Katrin Kastell

Nach mehreren Jahren im Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen“ in verschiedenen Krisengebieten der Welt kehren Cornelie und Alexander Götzenberger endgültig an die Berling-Klinik zurück. Dr. Stefan Holl und seine Frau Julia freuen sich sehr über die Rückkehr ihrer Freunde, die sich schnell wieder in München einleben. Gefährliche Auslandseinsätze sollen nun der Vergangenheit angehören.

Als Cornelie bald darauf schwanger wird, ist ihr Glück vollkommen. Doch eines Tages ruft Dr. Mertens an und bekniet Alexander, noch einmal einzuspringen und als Arzt in den Südsudan zu gehen. Nach langem Zögern stimmt er schließlich zu.

„Es ist nur für vier Monate“, beruhigt er seine Frau beim Abschied. Doch nach drei Monaten wird die mobile Klinik überfallen und niedergebrannt, und von Alexander fehlt jede Spur. Als Cornelie die Schreckensbotschaft erhält, bricht sie zusammen und verliert beinahe ihr Baby …

„Alex und Cornelie sind spitze! Die tun etwas, damit die Welt zu einem besseren Ort wird, und reden nicht nur darüber. Wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe und Arzt bin, möchte ich auch für eine Weile für ‚Ärzte ohne Grenzen‘ arbeiten“, erklärte Marc Holl am Sonntagmorgen am Frühstückstisch.

Marc Holl studierte im ersten Jahr Medizin und trat damit in die Fußstapfen seiner Familie. Sein Großvater, Dr. Walter Berling, hatte die Berling-Klinik in München gegründet. Marcs Vater, Dr. Stefan Holl, leitete sie inzwischen, und auch seine Mutter, Dr. Julia Holl, war Kinderärztin, wenn sie es auch vorgezogen hatte, ihren Beruf zugunsten ihrer eigenen vier Kinder nicht mehr auszuüben.

„Ich habe nach meiner Assistenzarztzeit selbst mit dem Gedanken gespielt, für ein halbes Jahr mit ‚Ärzte ohne Grenzen‘ rauszugehen“, erzählte Julia Holl, die sich über die idealistische Einstellung ihres Sohnes freute.

„Du?“, kam es fassungslos von ihren Kindern und ihrem Mann.

„Ja! Ich! Was ist daran so verwunderlich?“, fragte Julia leicht gekränkt zurück.

„Das passt gar nicht zu dir, Mama“, meine Dani Holl, Marcs Zwillingsschwester, die sich für ein Biologiestudium entschieden hatte und damit dem Interesse ihrer Familie am Leben und wie es funktionierte treu blieb.

„Tatsächlich? Weil ich eine Frau bin oder weil ich viel zu brav und langweilig und angepasst bin, um auch einmal etwas zu riskieren?“ Was für ein Bild hatten ihre Kinder da von ihr? Julia war entrüstet. Gut, sie war Mutter aus Leidenschaft und mochte ihr Leben, aber das bedeutete doch nicht, dass sie nie andere Pläne gehabt hatte.

„Mama, so habe ich es nicht gemeint!“, beteuerte Dani sofort.

„Doch! Hat sie!“, stichelte der fünfzehnjährige Chris. Sonst war immer er es, der in alle Fettnäpfchen trat, und er fand es witzig, dass es diesmal Dani war, die sich wand und nach einem Ausweg suchte.

„Woher willst du das wissen? Steckst du in meinem Kopf?“, fauchte Dani ihren Bruder an. „Du bist einfach immer so vernünftig und zielorientiert, Mama. Ich hätte nicht gedacht, dass du in Kauf nehmen wolltest, ein halbes Jahr zu verlieren. Es ist schließlich eine Zeitfrage, ob du als Ärztin in einem Krisengebiet arbeitest oder gleich deine Facharztausbildung in Angriff nimmst. Das passt nicht zu dir“, versuchte Dani, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen.

„Ich finde nicht, dass man als Arzt Zeit verliert, wenn man in den schlimmsten Krisengebieten dieser Welt alles tut, um die Not zu lindern. Dafür ist man in erster Linie Arzt geworden“, stellte Julia richtig, war aber versöhnt. Für zielorientiert durften ihre Kinder sie gerne halten. Daran war nichts auszusetzen.

„Alexander wollte damals eigentlich auch nur für ein halbes Jahr oder ein Jahr raus, aber jetzt sind es schon fünf Jahre, die Cornelie und er in immer anderen Krisengebieten arbeiten. Wenn man all die Not gesehen hat, ist es nicht leicht, wieder als normaler Arzt in Deutschland zu arbeiten“, meinte Stefan Holl.

Alexander und Cornelie Götzenberger waren eben erst von einem Einsatz in einem afrikanischen Bürgerkriegsland zurück. Es hatte Tradition, dass sie während ihrer mehr oder weniger kurzen Aufenthalte in Deutschland bei den Holls einen Sonntag verbrachten. Die ganze Familie freute sich schon auf ihren Besuch zum Mittagessen an diesem Sonntag.

„Glaubst du, dass sie es diesmal schaffen, sesshaft zu werden und zu bleiben? Cornelie ist Mitte dreißig. Sie möchte unbedingt Kinder, und allmählich wird es eng“, wandte sich Julia an ihren Mann.

„Keine Ahnung. Sie planen es immer wieder, aber dann kommt die nächste dringliche Anfrage, und schon sind sie wieder weg. Freuen würde ich mich, wenn sie blieben. Ich könnte die beiden gerade zurzeit gut in der Berling-Klinik brauchen“, antwortete Stefan.

„Was bringt Tante Cornelie mir wohl diesmal mit?“, überlegte Juju, mit elf Jahren das Nesthäkchen der Familie. „Das letzte Mal hat sie mir einen Ohrenreiniger aus Eisen mitgebracht. Ich hab ihn auf meinem Nachttisch liegen, aber die Ohren würde ich mir damit ganz bestimmt nicht putzen wollen. Gruselig.“

„Juju, unsere Pragmatikerin!“, spottete Marc.

„Ich bin keine Prag … Prag … – was immer das auch ist. Ich bin das nicht, und du bist blöd!“, griff Juju ihn empört an, die instinktiv ahnte, dass es nichts Nettes sein konnte.

„Hey, eine Pragmatikerin ist nichts Schlimmes, du Urmel. Es bedeutet nur, dass du an die angenehmen Sachen des Lebens denkst wie zum Beispiel Geschenke und gut für dich sorgst“, erklärte ihr Bruder rasch.

„Ach so!“ Juju beruhigte sich. „Sag das doch gleich!“

Stefan und Julia Holl warfen sich einen amüsierten Blick zu, dann ging Julia in die Küche. Sie wollte zu Ehren ihrer Gäste ein typisch bayrisches Essen zubereiten. Es sollte Semmelknödel und einen klassischen Schweinekrustenbraten geben, und da hatte sie einige Arbeit vor sich, bevor alles auf dem Tisch stand. Mit Freude machte sie sich ans Kochen.

Als Alexander und Cornelie Götzenberger gegen zwölf Uhr eintrafen, war der Tisch gedeckt, und die ganze Familie Holl stand zum Empfang bereit. Es war ein herzliches Umarmen und Lachen.

„Ist das schön, dass ihr da seid – sicher und gesund!“ Julia konnte Cornelie kaum loslassen, so sehr freute sie sich, die Freundin wiederzusehen. Aus einem Telefonat wusste sie, dass das Paar bei diesem Einsatz in ernster Gefahr gewesen war. Ihre Behelfsklinik war von Rebellen angegriffen worden.

„Du wirst uns noch überbekommen!“, warnte Cornelie sie verschmitzt und warf ihrem Mann einen zärtlichen Blick zu. „Wir haben vor, Stefans Angebot anzunehmen und in der Berling-Klinik anzufangen. Einmal muss Schluss sein“, verriet sie.

„Das ist ja wunderbar!“, freute sich Stefan Holl. „Wie fest ist euer Entschluss?“, fügte er dann aber an und sah Cornelie und Alexander abwechselnd an.

„Felsenfest!“, sagte Alexander mit Entschiedenheit. „Diesmal sind wir dem Tod zu knapp von der Schippe gesprungen. Ich hatte die Waffe eines Rebellen am Kopf, während ich seinen Anführer operierte. Es ist genug. Mehr an Warnung brauche ich nicht.“

Die vier Kinder der Holls hingen neugierig an seinen Lippen. Eine Waffe am Kopf – das war aufregend und spannend, fast wie in einem Actionfilm. Warum erzählte er nicht weiter?

„Was ist passiert?“, fragte Chris schließlich atemlos, als Alexander beharrlich schwieg.

„Ich hatte Glück. Der Anführer überlebte die Operation, ansonsten wäre ich tot. So etwas gibt einem zu denken. Man fragt sich, ob man schon bereit ist, aus dem Leben zu gehen, oder ob es noch etwas gibt, was man unter keinen Umständen verpassen möchte“, erklärte Alexander, dem der Schock noch aus den Augen sprach.

„Und da gibt es so einiges, was wir unbedingt erleben wollen. Sonntagmorgens im Bett schmusen und als einzig drängendes Problem darum streiten, wer zuerst ins Bad muss und Brötchen holt. Wir wollen ein ganz normales, zufriedenes Leben, und, na ja, irgendwann soll es da noch ein oder zwei kleine Persönlichkeiten geben, die uns auf Trab halten“, sprach seine Frau für ihn weiter.

„Wird euch das nicht ganz schnell langweilig werden? Da passiert doch nichts, und ihr seid ein aufregendes Leben gewohnt“, fragte Marc spontan, ohne nachzudenken.

Alexander sah ihn ernst an und schüttelte ruhig den Kopf. Er verstand den Jungen. Früher hatte er gar nicht so anders gedacht und empfunden.

„Mit unzureichender Ausrüstung, kaum Medikamenten und weitgehend ungeschützt in einer Behelfsklinik zu arbeiten und Tag für Tag einem schier unfassbaren Leid zu begegnen, das hat nichts Abenteuerliches, Marc. Man lernt genau das zu schätzen, was dir so langweilig erscheint. Ein Leben in relativer Sicherheit und all dem Luxus, den wir hier in Deutschland haben, ist etwas Kostbares“, erklärte er.

Marc verstand und nickte beschämt. Er fühlte sich oberflächlich und dumm. Natürlich ging es nicht um das Abenteuer, aber das Abenteuerliche daran faszinierte ihn dennoch.

Während des Essens erzählten die Götzenbergers noch einiges über ihren Einsatz und sprachen von ihren Plänen für ihr neues Leben. Sie wollten sich in einem Randviertel von München ein schönes, kleines Haus suchen, und schon am Montag machten sie einen Termin mit Dr. Stefan Holl aus, um ihre Verträge näher zu besprechen.

„Ihr kommt so etwas von richtig!“, freute sich der Klinikleiter. „Ich suche händeringend Ärzte, die etwas von ihrem Fach verstehen, und bei euch kann ich mir da sicher sein.“

Alexander hatte seine Ausbildung zum Allgemeinchirurgen in der Berling-Klinik absolviert und mehrere Jahre in der Klinik gearbeitet. Er war für seine Einsätze bei „Ärzte ohne Grenzen“ freigestellt worden und hatte im Prinzip noch seine Stelle.

Cornelie und er waren seit drei Jahren ein Paar. Sie hatten sich bei einem Einsatz in einem Flüchtlingslager kennengelernt. Als sie sich bei ihrem nächsten Einsatz zufällig wieder begegneten, erklärten sie es für Schicksal, und einige Monate danach hatten sie geheiratet.

Cornelie war Spezialistin für Infektionskrankheiten und Intensivmedizin. Für Stefan Holl war sie ein besonderer Glücksgriff, denn er brauchte dringend jemanden für die Intensivstation.

„Dann werden wir uns in Zukunft öfter sehen“, sagte Julia Holl zum Abschied zu Cornelie und hielt lange ihre Hand. „Ich freue mich so, euch von nun an hier zu haben. In letzter Zeit wurden zu viele Kliniken bombardiert, und Ärzte und Krankenschwestern sind gestorben. Ich hatte Angst um euch“, gestand sie.

„Ich kann es noch nicht ganz glauben, dass unser Leben ruhiger und planbarer werden wird. Keine Angst mehr zum Frühstück – das wird eine Umstellung“, seufzte Cornelie glücklich. „Normalität – allein das Wort hat für mich einen Wohlklang, der mir die Augen feucht werden lässt.“

„Na, hoffentlich ist das noch so, wenn unser Baby dich nachts wachhält und ich ständig Überstunden schieben muss“, spöttelte Alexander, und alle lachten.

Marc war heimlich ein wenig enttäuscht, hütete sich aber, einen Ton darüber zu verlieren. Alexander und Cornelie waren seine Helden gewesen, und es befremdete ihn, dass seine Helden einfach nur wollten, was für ihn selbstverständlich schien.

***

Dankbar und voller Freude tauchten Cornelie und Alexander Götzenberger in ihr neues Leben ein. Es erwies sich als schwierig, ein passendes und vor allem bezahlbares Haus in München zu finden. Die Preise waren spektakulär, und es waren so wenige Häuser auf dem Markt, dass sie meist im Handumdrehen verkauft waren trotz der überhöhten Preise.

Zum Glück bestand kein Grund zu übertriebener Eile. Alexander war in München geboren und aufgewachsen. Seine Mutter lebte noch in München und nahm das Paar liebend gerne bei sich in ihrer Dreizimmerwohnung auf. Es war etwas eng, aber Alexander und Cornelie waren Schlimmeres gewohnt.

Einen Monat gönnte sich das Paar Urlaub, bevor es seine Stelle in der Berling-Klinik antrat. Es tat gut, alles erst einmal etwas langsamer anzugehen, denn das Leben in Deutschland war ihnen fremd geworden. Vieles befremdete sie, weil es allen so selbstverständlich schien.

Sie schlenderten öfter Arm in Arm durch die Münchner Fußgängerzone, beobachteten die Passanten und versuchten, ihren Platz in all dem Getriebe zu finden. Immer wieder sprachen sie über ihre Erfahrungen und Gefühle und bemühten sich, das Vergangene tatsächlich hinter sich zu lassen und einen völligen Neuanfang zu wagen.

„Wie reich die Menschen hier sind, und kaum einer sieht froh und zufrieden aus. Seltsam!“, überlegte Cornelie immer wieder verstört.

„Wenn man den Hunger oder die Ungewissheit des Flüchtlingslebens nicht erfahren hat, erwartet man vom Leben, dass es einem alles gibt, was man sich so wünscht. Man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, ständig um das reine Überleben kämpfen zu müssen. Du kannst den Menschen hier nicht vorwerfen, dass sie mehr haben, als sie brauchen“, meinte Alexander.

Er kam mit der Umstellung besser zurecht als seine Frau.

„So sieht das Himmelreich aus!“, seufzte er am Abend nach seinem ersten Arbeitstag zufrieden. „Ein steriler Operationssaal, eine Unmenge an guten Instrumenten und Medikamenten und ein echtes Operationsteam, bei dem jeder weiß, was er zu tun hat. Gott, ist das schön! Wie war es bei dir?“

„Eigentümlich“, gestand Cornelie, die sich noch etwas benommen fühlte von all dem Überfluss. „Die Intensivstation hat hauptsächlich Zweibettzimmer. Kannst du dir das vorstellen? Jedes Bett hat Monitorüberwachung. Der Tod ist keine öffentliche Angelegenheit, die zwanzig, dreißig Patienten und mehr mitbekommen. Im Medikamentenraum findest du einfach alles und kannst wählen, was für diesen Patienten wohl das Beste ist. Du hast die Wahl!“

„Und warum bist du nicht begeistert, sondern klingst fast ein wenig verärgert?“, fragte ihr Mann verständnislos.

„Ich weiß nicht“, brummte sie. „Vielleicht ist es mir zu viel, oder der Unterschied ist mir zu krass. Ich musste heute immer wieder gegen meine Wut ankämpfen. Ist das nicht verrückt? Ich hätte am liebsten jedem erklärt, wie ungerecht das ist. Geht es dir denn kein bisschen so?“

„Nein. Ich bin einfach nur froh, wieder unter optimalen Bedingungen operieren zu dürfen. Es ist unglaublich, einen Assistenten am Tisch zu haben, ausgebildete Operationsschwestern oder einen erfahrenen Anästhesisten. Wie viele Leben mehr hätte ich retten können, wenn ich das draußen gehabt hätte! Weißt du noch, wie oft ich völlig allein operiert habe und niemanden hatte?“

„Wie könnte ich das vergessen! Menschen sterben, weil sie eben keine optimale Versorgung bekommen. Ist ihr Leben weniger wert? Genau das treibt mich um!“, rief Cornelie und wieder leuchtete Wut aus ihren Augen.

„Komm her!“ Er breitete die Arme aus, und sie kuschelte sich an ihn.

„Gar nicht so leicht heimzukommen“, murmelte sie an seiner Schulter. „Ich weiß, wie dumm das ist, was ich fühle, aber ich komme nicht dagegen an. Ich habe ein schlechtes Gewissen, hier in diesem Luxus zu sein, während das Leid draußen ständig zunimmt, anstatt weniger zu werden“, fügte sie sehr leise an.

„Ich weiß, Schatz. Ich auch. Aber wir haben in den vergangenen Jahren alles getan, was uns möglich war, um das Elend etwas zu lindern. Es ist immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und wenn wir jetzt nicht aufhören und zurückfinden, wird es uns auffressen. Ich liebe dich, und ich möchte unser Leben genießen.“

Er küsste sie zärtlich und schaute sie liebevoll an.

„Gib uns eine Chance, Cornelie! Es mag nicht fair sein, sondern ein absoluter Luxus, den viel zu viele Menschen auf dieser Erde nicht teilen können, weil sie im Elend gefangen sind. Das ist ungerecht. Aber ich liebe dich, und ich bin dankbar, dass wir zu den Privilegierten gehören, die so ein Leben führen dürfen. Ich bin dankbar, dass unsere Kinder einmal gute Schulen besuchen können und nie hungern werden.“

„Ich auch, Alex, und ich bin heilfroh, dass wir uns gefunden haben und Seite an Seite durch diese Veränderung gehen. Alleine würde ich es kaum schaffen, aber mit dir habe ich keine Angst. Ich brauche nur etwas Zeit, um die Bilder aus dem Kopf zu bekommen.“

Sie küssten sich innig, und aus der tröstenden Zärtlichkeit erwuchs Leidenschaft. Bald lagen sie nackt auf dem Schlafsofa und küssten und streichelten sich selbstvergessen.

„Das Essen ist fertig. Kommt ihr?“ Alexanders Mutter kam einfach herein, ohne anzuklopfen. „Gott, ist mir das peinlich! Entschuldigt!“, rief sie verlegen, als sie das Paar beim Liebesspiel überraschte, und huschte wieder hinaus.

Sosehr sie sich freute, ihren Sohn und seine Frau bei sich zu haben, viel es ihr schwer, sich in manchem umzustellen. Ganz verstand sie nicht, dass ihr Wohnzimmer nun das Schlafzimmer des Paares war und dass die beiden etwas Intimsphäre verdienten.

Alexander und Cornelie lachten leise.

„Das war vorprogrammiert und musste passieren“, sagte Alexander ohne sonderliches Mitgefühl.

„Sei nicht so hart, Schatz! Es ist wunderbar von ihr, dass sie uns bei sich wohnen lässt. Deine Mutter ist jetzt auch schon sechsundsiebzig Jahre alt. Wir müssen alle drei Rücksicht nehmen, wenn es noch eine Weile reibungslos klappen soll“, mahnte Cornelie.

„Vielleicht sollten wir uns besser mit der Haussuche beeilen, sonst bekommt sie noch irgendwann einen Herzinfarkt vor Schreck. Ich habe auf jeden Fall nicht vor, meine Gattin von ihren ehelichen Pflichten loszusprechen, nur um ein guter Mitbewohner zu sein. Dafür ist meine Gattin viel zu begehrenswert“, flüsterte Alexander ihr ins Ohr und biss zärtlich in ihr Ohrläppchen.

„Ist sie das?“

„Hmmmmm! Und ob!“ Er knabberte verführerisch an ihrem Hals.

„Sollen wir nicht doch lieber zu ihr gehen und sie beruhigen!“

„Hinterher!“, weigerte sich ihr Mann und zog Cornelie wieder an sich.

***

Sie arbeiteten zwei Monate in der Klinik, als sie endlich das passende Haus für ihre Bedürfnisse fanden. Es war ein schlichtes Reiheneckhaus mit Garten in einer relativ grünen und kinderfreundlichen Siedlung, die über Kindergarten und Grundschule verfügte.

„Julia, der Makler hat uns das Haus reserviert. Bitte, schau es dir einmal mit mir an!“, bat Cornelie, die sich zuerst nicht ganz sicher war. „Was meinst du?“, wollte sie wissen, als Julia Holl und sie durch das Haus gegangen waren.

„Mir gefällt es. Ich glaube, man kann es urgemütlich einrichten. Oben die zwei kleinen Zimmer bieten sich als Kinderzimmer förmlich an. Glaub mir, es ist ein Segen, wenn die Bagage irgendwann ein eigenes Stockwerk hat. Du hast vom Bäcker über den Metzger alles in unmittelbarer Nähe. Das ist geschickt. Was stört dich daran?“, fragte Julia im Gegenzug.

„Nichts“, kam es zögernd.

„Cornelie, ich kann dein ABER förmlich riechen. Was behagt dir nicht?“, ließ Julia nicht locker.

„Alexander ist begeistert und richtet die Zimmer im Geiste schon ein“, kam es stockend.

„Aha, und das stört dich?“

„Nein, es ist süß. Früher war immer ich es, die über Kinder sprach, und er konnte sich so ein Leben nicht vorstellen. Jetzt fügt er sich problemlos ein, und ich habe Schwierigkeiten. Das ist doch verrückt, oder?“

„Er hatte eine Waffe an seinem Kopf. So etwas verändert einen Menschen.“

„Julia, das war nicht das erste Mal, und glaub mir, danebenzustehen und nichts tun zu können, das ist genauso schlimm. Ich will ein friedliches und normales Leben mit Alex führen und glücklich sein, aber ich habe Angst. Ist dieses beschauliche Haus in einer beschaulichen Gegend wirklich unsere Zukunft? Ist es nur ein Traum? Ich würde es nicht ertragen, doch noch alles zu verlieren“, brach es aus Cornelie hervor, und sie konnte die Tränen nicht zurückhalten.

Julia nahm sie in den Arm und ließ sie weinen. Sie wollte gar nicht wissen, was Cornelie alles an Not und Elend gesehen hatte. Mit all diesen Bildern im Kopf war es schwierig, dem Leben zu vertrauen und Zuversicht zu haben.

„Entschuldige, ich konnte die ganze Zeit über nicht weinen und habe die Tränen hinter den Lidern gespürt. Das musste raus“, schluchzte Cornelie, als sie sich allmählich etwas beruhigte.

„Glaube an euer Glück!“, riet Julia ihr. „Ihr habt es verdient.“

„Menschen bekommen nicht, was sie verdienen. Wenn ich etwas in den vergangenen Jahren gelernt habe, dann das“, widersprach Cornelie. „Aber ich bin bereit, alles, was in meiner Macht liegt, dafür zu tun, dass Alex und ich ein erfülltes und schönes Leben haben werden.“

Nachdem sie sich endlich in Julia Holls Armen ausgeweint hatte, kam auch Cornelie in ihrem neuen Leben an und hörte auf, zu vergleichen oder sich mit unsinnigen Gewissenskonflikten zu quälen.

Sie fügte sich gut in das Team auf der Intensivstation ein. Besonders bei Infektionskrankheiten zogen ihre Kollegen sie bald zurate, denn keiner von ihnen hatte so viel Erfahrung wie sie.

Cornelie und Alexander kauften das Haus und machten es sich gemütlich. Sie waren an ihren freien Tagen voll und ganz damit beschäftigt, Tapeten und Bodenbeläge auszusuchen und sich mit Möbeln auszustatten, die ihnen gefielen. Es machte Spaß, durch Baumärkte und Möbelhäuser zu streunen und an die Zukunft zu glauben.

***

Ein halbes Jahr war seit ihrer Heimkehr verstrichen, als sie Julia und Stefan Holl zu sich in ihr frisch bezogenes Reich zu einem Grillabend einluden. Zuerst führten sie die beiden natürlich stolz herum und ernteten großes Lob für ihr Werk.

„Schön habt ihr es euch gemacht!“, sagte Julia mehr als einmal. „Was für eine tolle Idee! Die Tapete passt wunderbar. Wie gemütlich!“

Über eines der Kinderzimmer, in dem bereits eine Wiege stand, verlor sie allerdings keinen Ton. Um ihre Lippen spielte nur ein freudiges Lächeln. Sie ahnte, dass die Einladung mehr als nur einen Grund hatte.

„Bisher haben wir es noch niemandem gesagt, und es ist auch noch etwas früh“, begann Alex dann auch nach dem Essen und strahlte vor Glück. „Unser größter Wunsch hat sich erfüllt. Cornelie ist schwanger“, verriet er.

Julia und Stefan gratulierten von Herzen. Sie wussten noch ganz genau, wie selig sie damals gewesen waren, als Julia zum ersten Mal schwanger gewesen war. Bei ihnen hatte der Klapperstorch gleich Zwillinge gebracht, und da war ihnen schon etwas bange geworden im Vorfeld. Aber die Freude hatte immer überwogen.

Marc und Dani hatten sie manche Nacht wachgehalten, aber dennoch war es eine wunderschöne Zeit gewesen, an die sie gerne dachten. Kinder änderten alles und bereicherten das ganze Leben. Sie waren ein Geschenk, und weder Stefan noch Julia verstanden, wenn Menschen aufzählten, welche Nachteile es mit sich brachte, Eltern zu sein. Hielt man sein Kind im Arm, dann war da nur Freude und Dankbarkeit. Alles andere zählte nicht.

„Stefan, ich bin etwa in der vierten Woche, schätze ich. Ist es für dich in Ordnung, wenn ich dich zum Gynäkologen möchte, der mich durch die Schwangerschaft begleitet?“, fragte Cornelie fast ein wenig schüchtern.

„Ich freue mich über dein Vertrauen, und es ist mir eine Ehre“, antwortete Stefan Holl und umarmte sie herzlich. „Am besten machen wir gleich für kommende Woche einen Termin, damit ich dich einmal gründlich auf den Kopf stellen kann.“

Es wurde ein heiterer Abend, der von Vorfreude und Glück bestimmt war. Cornelie und Alexander schmiedeten Pläne und malten sich aus, wie es wohl sein würde mit einem Baby. Sie waren voll und ganz in Deutschland angekommen und konnten es kaum erwarten, Eltern zu werden.

„Ich habe selten zwei Menschen gesehen, die sich so auf ihr Kind freuen“, sagte Julia auf der Heimfahrt. „Das Kind wird es gut in dieser Welt haben, so wie es jetzt schon geliebt und erwartet wird.“

Stefan nickte mit einem warmen Lächeln. Er hatte das Paar sehr gerne und freute sich, auch wenn ihm nun bald wieder ein Arzt auf der Intensivstation fehlen würde.

***

Cornelie war in der sechsten Woche, als der Anruf am frühen Abend kam. Alexander und sie saßen bei einem Tee auf der Terrasse und plauderten über ihren Tag, als sein Smartphone klingelte. Er nahm das Gespräch an.

„Es ist Holger. Ich soll dich von ihm grüßen“, sagte er zu Cornelie, als sich der Anrufer gemeldet hatte.

„Grüße zurück, und sag ihm, dass wir diesmal hart bleiben! Deutschland hat uns wieder! Er soll Jüngere fragen! Wir sind ein für alle Mal aus dem Spiel.“

Alexander lachte und gab es wortwörtlich weiter. Genau wie Cornelie war ihm klar, was der Anruf zu bedeuten hatte. In einem Krisengebiet fehlten Ärzte. Bisher hatten sie immer nachgegeben und sich für einen weiteren Einsatz gemeldet, aber selbst wenn Cornelie nicht schwanger gewesen wäre, lagen die Dinge nun anders.

Alexanders Leben war mehr als einmal bedroht gewesen, und er hatte es als Teil des Risikos akzeptiert und relativ gut verarbeitet. Beim letzten Mal aber war der Tod durch ihn hindurchgeglitten wie ein eisiger Hauch. Es war eine deutliche Warnung gewesen, dass es nun an der Zeit war, sein Leben zu ändern.

Die Wahrscheinlichkeit, dass er den Rebellenanführer retten konnte, war äußerst gering gewesen. Vermutlich war der Mann kurz darauf dann auch gestorben. Die Operation aber hatte er wie durch ein Wunder überstanden. Alexander wollte so etwas nie wieder erleben. Manchmal wachte er nachts in Schweiß gebadet auf. Cornelie hielt ihn dann und streichelte ihn wortlos.

„Ja, Cornelie und ich waren bereits zweimal im Sudan, und ich kenne die mobile Klinik gut. Natürlich weiß ich über die verheerenden Zustände im Moment Bescheid, aber … Holger, ich schließe nicht die Augen vor dem Leid der Welt, nur weil ich …“ Alexander verstummte und hörte zu.

Cornelie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Es war etwas in seiner Stimme, eine Anspannung, die sie nur zu gut kannte. Seine Miene wurde ernst.

„Nein, Holger, es tut mir leid, Cornelie und ich haben hier in München Fuß gefasst und …“ Wieder verstummte er und hörte zu.

„Holger, das geht nicht! Ich kann nicht. Cornelie ist schwanger, und ich möchte auf jeden Fall bei der Geburt unseres Kindes bei ihr sein. Du musst nach jemand anderem suchen. Ich kann nicht einspringen. Bitte!“

Cornelie wurde bleich, und ein leichtes Schwindelgefühl stieg in ihr hoch. Würde Alexander bei seinem Nein bleiben? Sie wusste genau, wie gut Dr. Holger Mertens darin war, jemanden umzustimmen. Bei ihr war es ihm immer gelungen. Sie betete lautlos.

„Holger, ich bin überzeugt, du findet jemand anderen. Ja, ich weiß, dass ich erfahren bin, aber die Jungen können nur lernen, indem sie es tun und Erfahrungen sammeln.“

Das Gespräch zog sich noch eine Weile hin, und Alexanders Widerstand wurde zusehends schwächer.

„Du kannst dich noch einmal melden, falls du niemanden findest, der den Einsatz leiten kann, aber bitte, gib dir Mühe, mich da aus dem Spiel zu lassen! Ich werde Vater, Holger, und ich bin langsam zu alt dafür. Bitte!“ Alexander legte das Smartphone auf den Tisch zurück.

„Er wird in drei oder vier Tagen wieder anrufen, und du wirst Ja sagen.“ Cornelie war wütend. „Du hast mir versprochen, dass wir hart bleiben. Wie sollen wir es Stefan beibringen? Für die Berling-Klinik ist schon meine Schwangerschaft ein ziemlicher Schlag, und jetzt fällst du auch noch aus. Alex, ich …“

„Du kannst nicht mit!“, unterbrach er sie und sah ihr dabei fest in die Augen.

„Was?“ Cornelie verschlug es die Sprache. Das konnte nicht sein Ernst sein.

„Du bist schwanger, und es wäre viel zu gefährlich für dich und das Kind. Nele, ich hoffe, Holger findet eine andere Lösung, aber sie haben für den Einsatz im Sudan nur einen Anfänger, der noch keine Ahnung hat, wie es draußen läuft. Wenn niemand mitgeht und ihn einweist, ist das gefährlich für das ganze Team. Du weißt, wie es ist“, erklärte er innerlich hin- und hergerissen, was er tun und verantworten konnte.

Natürlich wollte er nicht, dass ein junger Kollege bei dem Einsatz unter Umständen sein Leben verlor, weil er die Risiken nicht einschätzen konnte. Aber er wollte Cornelie auch nicht alleine zurücklassen. Sie hatten einander geschworen, sich nie allein zu lassen.

„Falls ich mich bereit erkläre, bleibe ich genau sechs Monate und bin rechtzeitig zur Geburt zurück. Ich …“

„Du hast mir geschworen, dass wir nur noch zusammen Einsätze machen und immer zusammenbleiben. Du hast mir versprochen, dass wir eine Familie sind und …“, erinnerte sie ihn fassungslos.

„Ich weiß, aber …“

„Da gibt es kein Aber. Wenn du gehst, dann gehe auch ich! Ich werde hier nicht sitzen und vor Sorge um dich halb verrückt werden. Gemeinsam oder keiner von uns – das war unsere Regel.“

„Nele, du bist schwanger. Das ändert alles.“

„Schwanger, aber kerngesund. Glaubst du, es geht mir besser, wenn ich hier auf dich warte und nicht weiß, wie es dir geht? Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie das ist, in diesem schönen, für die Zukunft gerichteten Leben gefangen zu sitzen und seine Zukunft schwinden zu sehen? Nein!“

„Du kannst nicht unter solchen primitiven Umständen leben und arbeiten in deinem Zustand. Was ist, wenn du Komplikationen bekommst? Was ist, wenn das Baby früher kommt? Dort seid ihr nicht gut versorgt. Das musst du einsehen. Bis wir zurückkämen, wärst du im achten Monat. Nele, in dir wächst das Kostbarste heran auf dieser Welt – unser Baby. Du kannst nicht mit!“, beschwor er sie.

„Frauen bekommen dort jeden Tag ihre Kinder, und zur Not schaffe ich das auch. Ich habe mir immer Kinder gewünscht, Alex, aber ich wollte sie nie alleine großziehen, sondern gemeinsam mit dir. Ich bleibe nicht zurück und sterbe tausend Tode, während du mit der mobilen Klinik in den Sudan fährst“, schrie Cornelie außer sich.

„Wir werden in der Regel in einem der großen Flüchtlingslager in Uganda arbeiten und nur für einige Wochen ins Landesinnere fahren. Tausende von Menschen sind im Sudan zu Fuß unterwegs auf der Flucht. Sie tragen ihr Hab und Gut bei sich und verstecken sich im Busch. Der Hunger ist entsetzlich. Ich …“

„Untersteh dich, mir so zu kommen! Wage es nicht! Ich weiß genau, was dich dort erwartet, und ich weiß, wie wichtig die Arbeit ist, die du tust. Ich habe sie selbst getan, Alex. Das ist gerade einmal ein halbes Jahr her. Hättest du mir gesagt, dass du dein Wort nicht hältst, dann wäre ich nicht schwanger geworden. Ich habe dir vertraut.“

Er zuckte unter ihren Vorwürfen zusammen, als ob sie ihn schlagen würde, rechtfertigte sich aber nicht, was sie noch wütender machte.

„Dieses Haus, unsere Pläne und Träume von einem normalen Leben – bedeutet dir das denn gar nichts? Kannst du es einfach über Bord werfen, weil du deinem Helferkomplex frönen musst? Dein Kind wird deine Liebe brauchen. Es braucht seinen Papa. Zählt das nichts?“, tobte sie weiter.

„Ich will nicht gehen, sondern bei dir bleiben und unsere Pläne umsetzen. Das ist es, was ich mir wünsche und nichts anderes“, versicherte er ihr.

„Dann tu es! Lehne diesen Einsatz ab!“, forderte sie.

„Ich will dich nicht enttäuschen, Nele. Holger findet jemand anderen. Er muss jemand anderen finden!“

***

Dr. Holger Mertens fand keinen anderen Arzt für den Einsatz im Südsudan. Es gab so viele Krisengebiete auf der Welt, und überall wurden Ärzte und Krankenschwestern gebraucht. Sie waren eine gesuchte Mangelware.

Der Einsatz im Sudan stand unmittelbar bevor, und der ursprünglich eingeplante Kollege, war selbst schwer erkrankt. Das Flüchtlingslager in Uganda ohne medizinische Versorgung zu lassen, das kam nicht infrage. Jemand musste sich finden.

Alexander war erfahren und hatte alle erforderlichen Impfungen. Er kannte die Region, die Menschen und die Gefahren besser als sonst jemand. Es gab keinen Besseren als ihn. Holger Mertens wusste genau, was er Alexander und vor allem Cornelie damit abverlangte.

Er war selbst dreimal geschieden. Keine seiner Partnerinnen hatte mit seinem Beruf umgehen können, als er selbst noch Einsätze übernommen hatte. Inzwischen war er dafür zu alt und gesundheitlich zu angeschlagen, ansonsten wäre er selbst in das Flüchtlingslager in Uganda gegangen.

Alexander und Cornelie waren, seit sie sich getroffen hatte, immer gemeinsam im Einsatz gewesen. Sie waren alte Hasen, und wenn Cornelie ihren Mann gehen ließ, dann wusste sie, was ihm bevorstand. Holger Mertens hoffte, dass sie dennoch zustimmte. Er brauchte Alexander dringend.

Das Paar war fünf Jahre von Einsatzort zu Einsatzort gezogen und hatte hervorragende Arbeit geleistet. Die beiden hatten es mehr als verdient, nun zur Ruhe zu kommen. Holger Mertens bedauerte es wirklich, ihnen das antun zu müssen, und doch zögerte er keinen Moment.

„Alexander, Dr. Krug wird in vier Monaten frei und ist einverstanden, dich dann abzulösen. Du wärst nur vier Monate draußen. Cornelie wäre erst im siebten Monat ihrer Schwangerschaft, wenn du zurückkommst, und du könntest während der besonders anstrengenden Phase der Schwangerschaft bei ihr sein“, machte Mertens einen Kompromissvorschlag.

„Netter Versuch! Kannst du das Cornelie schmackhaft machen?“, stöhnte Alexander. „Ich habe so gehofft, nichts mehr von dir zu hören. Du warst auf unserer Hochzeit, Holger, und gerade bist du dabei, dir einen Platz in der ersten Reihe für unsere Scheidung zu verdienen.“

„Sag nicht so etwas! Ihr beide gehört zusammen. Cornelie wird dich vielleicht für eine Weile hassen, aber sie wird dich nie verlassen. Sie liebt dich“, tröstete Mertens ihn, der wusste, dass er gewonnen hatte.

„Vier Monate und keinen Tag länger, Holger! Sollte Krug nicht auftauchen, steige ich trotzdem ins nächste Flugzeug, lasse alles stehen und liegen und fliege heim zu meiner schwangeren Frau“, drohte Alexander und gab nach.

„Versprochen! Keinen Tag länger als vier Monate!“, gelobte Mertens erleichtert. „Der junge Arzt, mit dem du zusammenarbeiten wirst, hat Potenzial. Er hat seine Assistenzarztzeit in Berlin gemacht und ist voller Enthusiasmus. Bremse ihn aus und bringe ihm bei, was du kannst!“

„Ich werde mein Bestes geben. Holger, das ist das letzte Mal. Was immer auch kommt, rufe nie wieder bei uns an wegen eines Einsatzes! Du kannst zur Taufe unseres Kindes kommen. Dazu bist du jetzt schon herzlich eingeladen. Aber das ist alles. Irgendwann müssen Cornelie und ich den Absprung schaffen. Respektiere das bitte!“

„Ich werde euch aus der Liste streichen!“, versprach Mertens, und er meinte es ernst.

„Gut! Dann drück mir die Daumen, dass Cornelie mir verzeiht!“

Die Männer besprachen noch die Details des Einsatzplans.

„Ich kann euch zwei Flugtickets schicken, falls Cornelie doch mit möchte. Es wäre verrückt, aber ich könnte sie verstehen“, meinte Mertens zum Abschied.

„Nur ein Ticket für mich, Holger. So wütend Cornelie auch auf mich ist, weil ich mein Wort breche, wird sie mir irgendwann vergeben, wenn ich gesund zurück bin. Verlieren wir das Kind, weil sie in ihrem Zustand wegen mir im Sudan war, ist unsere Ehe kaputt“, lehnte Alexander ab.

„Nele, Holger hat jemanden gefunden, der in vier Monaten übernimmt. Ich bin nur vier Monate weg, und wir können über Satellit jeden Tag telefonieren. Wir können …“, begann Alexander am Abend, als Cornelie und er zusammen aßen.

„Du hast dich demnach entschieden zu gehen, ohne erst noch einmal lange mit mir darüber zu reden. Nett. Warum auch – ich bin schließlich nur deine Frau und bekomme dein Kind. Warum solltest du mich da in deine Entscheidungen einbeziehen, wenn es um die Rettung der Welt geht“, höhnte sie giftig.

„Es sind nur vier Monate, und Holger hat mir versprochen, sich danach nie wieder bei uns zu melden. Vier Monate vergehen wie im Flug und …“

„Du erwartest tatsächlich von mir, dass ich dich allein gehen lasse? Alex, das kann ich nicht. Wir sind ein Team. Du gehst. Gut, dann gehe ich auch. Ich rufe gleich morgen bei Holger an, dass er zwei zum Preis für einen bekommt“, entschied sie.

„Das wirst du nicht tun, und selbst wenn du es tust, habe ich ihm gesagt, dass er es ignorieren soll“, erwiderte er bestimmt.

„Mein Herr und Meister – das bist du also jetzt? So haben wir unsere Beziehung nicht aufgebaut, und dafür bin ich auch die Falsche. Du entscheidest ohne mich, und ich entscheide in diesem Fall ohne dich. Ich komme mit!“, fuhr sie ihn an.

„Sei vernünftig für unser Baby! Nele! Wir überstehen diese vier Monate getrennt, und dann wird uns nie wieder etwas trennen. Ich freue mich auf unsere Familie und auf dieses Leben hier. Es sind nur vier Monate. Lass uns nicht alles aufs Spiel setzen, was wir uns wünschen!“

„Wer ist es, der hier alles aufs Spiel setzt? Ich?“, schnaubte sie, stand auf, ging ins Schlafzimmer und schlug die Tür krachend hinter sich ins Schloss.

Alexander ließ ihr etwas Zeit, damit sie sich beruhigen konnte. Als er ihr dann folgen wollte, um das Gespräch fortzusetzen und sich mit ihr zu versöhnen, war die Tür verschlossen, und auf seine Rufe reagierte sie nicht. Er musste die Nacht auf dem Sofa im Wohnzimmer verbringen.

Am anderen Morgen verließ sie grußlos das Haus und fuhr ohne ihn zur Arbeit. Alexander hatte seine Frau noch nie so wütend erlebt. Das erste Mal fürchtete er um ihre Beziehung, daher rief er bei Julia Holl an und erzählte ihr alles.

***

„Bist du als Botschafterin meines Mannes hier, Julia? Falls dem so ist, sei mir nicht böse, aber dann kannst du gleich wieder gehen!“, begrüßte Cornelie ihre Freundin, als Julia Holl um die Mittagszeit unerwartet auf der Intensivstation auftauchte, um sie zu einem gemeinsamen Essen im Ärztecasino abzuholen.

„Dein Mann hätte das gerne, Cornelie, aber ich bin hier, weil ich mir vorstellen kann, wie du dich fühlst. Wenn du willst, dann zerreißen wir ihn beim Mittagessen gleich in tausend Fetzen“, bot Julia an.

Sie hatte Alexander in der Tat die Meinung gesagt und fand es unmöglich, dass er seine schwangere Frau einer solchen Situation aussetze. Dafür hatte Julia keinerlei Verständnis. Cornelie brauchte Fürsorge und Liebe und Raum, um die Schwangerschaft genießen zu können. Angst um ihren Mann war das Letzte, was ihr und dem Kind guttat.

„Danke!“, seufzte Cornelie. „Wir müssen aufpassen, dass wir ihn am Ende wieder richtig zusammensetzen.“

„Das schaffen wir!“, meinte Julia trocken.

Sie lachten, und Cornelie sah noch kurz nach einem Patienten, dann machten sie zusammen Pause.

„Ich verstehe ihn doch. Mein Gott, ich weiß genau, wie es ist. Nein zu sagen ist höllisch schwer, aber er hat es mir versprochen. Das ist es, was ich ihm übel nehme, und die Tatsache, dass er recht hat. Es wäre fahrlässig, wenn ich ihn begleite“, sagte sie auf dem Weg zum Casino.

Die Frauen setzten sich an einen Tisch. Cornelie aß kaum einen Bissen. Ihre Wut war an diesem Morgen verflogen, und was blieb, war Angst.

„Seit wir uns kennen, waren wir zu zweit draußen und haben uns den Rücken gedeckt. Wir haben aufeinander aufgepasst, haben dafür gesorgt, dass der andere sich ausreichend Pausen gönnt und keinen Unfug baut. Alex ist manchmal unbedacht. Er bringt sich in Gefahr. Wer hält ihn zurück, wenn ich hier festsitze?“

Cornelie gestand ihrer Freundin, dass sie entsetzliche Angst hatte.

„Wenn wir zusammen raus sind, hatte ich nie Angst, Julia. Seltsam, oder? Ich wusste, wir sind zusammen, und wenn etwas passiert, dann trifft es uns beide. Als ob das einen Unterschied machen würde, aber es hat mir die Angst genommen. Und jetzt habe ich einfach nur Angst um ihn und keine Ahnung, wie ich die vier Monate überstehen soll.“

„Stefan und ich werden da sein und versuchen, dich abzulenken“, versprach Julia. „Außerdem ist das die Zeit, in der du anfangen wirst, das Nest für euer Kleines zu bauen. Bei mir war das jedes Mal so. Man fängt an, Strampelanzüge zu sammeln und sich über Windelsysteme zu informieren. Die Welt dreht sich zunehmend um das kleine Wesen, das da in einem wächst.“

„Genau das wollte ich mit Alex teilen. Ich wollte unser Kind gemeinsam mit ihm begrüßen. Wir hatten nie ein Zuhause oder sonderlich viel Zeit für Geborgenheit und die schönen Kleinigkeiten des Lebens. Wir haben immer gearbeitet und ums Überleben gekämpft.“

Cornelie versuchte Julia Holl genau zu erklären, was sie empfand.

„Das Haus einzurichten und über so etwas wie Möbel nachzudenken, das war großartig für uns. Wir haben in unserer ersten Nacht unter unserem eigenen Dach eine Kissenschlacht gemacht und wie Kinder getobt und gelacht. Du hast einmal zu mir gesagt, dass ich mit Zuversicht an unser Glück glauben soll. Das habe ich getan, und es ist, als ob ich dafür nun bestraft werde.“

„Das ist doch Unsinn! Ihr seid in einer Umstellungsphase. Die Weichen für euer neues Leben sind gestellt, aber das Ankommen dauert seine Zeit. Alexander hat mir gesagt, dass er ganz klar gesagt hat, dass er das letzte Mal einspringt. Nach diesen vier Monaten seid ihr wieder einen Schritt weiter, und wenn euer Kind geboren ist, dann ändert sich noch einmal alles“, tröstete Julia sie.

„Und wenn ihm etwas passiert? Mit der mobilen Klinik in den Sudan zu fahren, das ist nicht ungefährlich. Was ist, wenn er nicht wiederkommt? Ich …“

„Cornelie, daran darfst du nicht denken! Er wird nach vier Monaten zurückkommen, und alles wird gut!“

Zur selben Zeit saß Alexander im Büro von Stefan Holl, um ihm zu sagen, dass er ein letztes Mal eine Freistellung brauchte.

„Stefan, es tut mir leid, aber nach diesen vier Monaten ist es endgültig vorbei, und du kannst dich auf mich verlassen. Ich würde nicht gehen, schon wegen Nele, aber wir waren zweimal im Sudan, und im Moment gibt es keinen Arzt, der so erfahren ist wie ich. Die Lage dort ist kritisch. Ich möchte meinen jungen Kollegen einarbeiten, dann kann ich mit gutem Gewissen gehen.“

„Selbstverständlich stelle ich dich frei!“, reagierte Stefan Holl mit Verständnis, obwohl es ihm ungelegen kam.

„Danke! Heute ist die ganze Familie Holl für mich im Einsatz. Ich habe Julia gebeten, nach Nele zu sehen“, erzählte Alexander.

„Mut hast du, das muss ich dir lassen, Alex. Wie ich meine Frau kenne, hat sie dir ordentlich die Leviten gelesen.“

„Und ob! Ich konnte nur demütig zuhören und ihr in allen Punkten zustimmen. Glaub mir, ich würde alles tun, um Cornelie nicht ausgerechnet jetzt allein zu lassen – nicht nur wegen ihr. Ich habe mich auf diese Monate gefreut, in denen wir uns zusammen darauf einstellen, Eltern zu werden. Wenn das Baby erst einmal da ist, werden wir kaum noch Zeit zu zweit haben. Ich möchte die Zeit jetzt mit meiner Frau verbringen.“

Stefan nickte und musterte ihn nachdenklich.

„Was immer sie dir auch versprechen, Alex, Anrufe wie dieser werden noch für eine geraume Weile kommen, und es wird immer einen guten Grund geben, um zu gehen. Letztendlich kannst nur du einen Schlussstrich setzen. Solange du dich umstimmen lässt, hört es nicht auf“, warnte er.

„Mache ich einen Fehler?“, fragte Alexander, der sich plötzlich seiner eigenen Motive nicht mehr sicher war.

„Das kannst nur du wissen. Gehst du nur, weil dein Gewissen dich dazu treibt, oder läufst du vor etwas davon?“, hakte Stefan nach.

Alexander sah ihn verdattert an. Das hatte er sich nicht gefragt. Lief er vor etwas davon? Machte ihm die Lebensumstellung mehr zu schaffen, als er bewusst mitbekam? Floh er zurück ins Gewohnte? Möglich war das.

„Ich mag unser Leben, wie es gerade ist. Ich mag es, Zeit zu haben, um mit Nele zu lachen, und ich freue mich auf unser Kind“, sagte er, nachdem er gründlich in sich hineingehört hatte.

„Dann ist es gut! Wann geht es los?“

„Nächste Woche.“

„Komm gesund wieder!“

Die Männer verabschiedeten sich mit einem festen Handschlag. Stefan hatte Alexander und Cornelie aus den Dienstplänen für diese Woche genommen und ihnen freigegeben, damit sie sich in Ruhe voneinander verabschieden konnten und noch etwas Zeit für sich hatten.

„Du bist ein guter Chef und ein sehr guter Freund“, bedankte sich Alexander.

„Pass auf dich auf! Julia und ich sehen nach Cornelie, das ist doch klar.“

Als Alexander am Abend heimkam, duftete das ganze Haus nach leckerem Essen. Cornelie hatte gekocht. Sie war extra früher gegangen, um noch rasch einzukaufen und alles für die Versöhnung zu richten.

„Die Idee, mir Julia auf die Pelle zu schicken, war grandios, du Eidbrecher“, begrüßte sie ihn.

„Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ehrlich gesagt, war ich mir nicht ganz sicher, ob sie dich nicht auf der Stelle zu einem Scheidungsanwalt schleppen würde. Sie war echt sauer.“

„Das bin ich auch – immer noch. Aber ich weiß auch, warum du gehst. Alex, einmal lasse ich dir das durchgehen und beiße die Zähne zusammen. Es ist für keinen von uns leicht, mit der Umstellung zurechtzukommen.“ Es war eine Warnung.

„Es wird sich nicht wiederholen, Nele!“, gelobte er.

„Und wenn dir etwas passiert, dann werde ich fuchsteufelswild. Verstanden? Du bist vorsichtig und denkst an unser Kind und mich! Du kommst gesund heim! Wage es bloß nicht, auch nur einen Tag länger als vier Monate weg zu sein!“

„Keine Stunde länger, als ich muss, Nele!“ Er zog sie an sich, und sie küssten sich zärtlich. „Danke!“, murmelte er an ihren Lippen.

„Ich liebe dich.“

***

„Geh nicht!“, flehte Nele stumm, als sie Alexander eine Woche später zum Flughafen fuhr. Sie umarmte ihn am Gate und konnte ihn nicht loslassen. Starr vor Angst klammerte sie sich an ihn und ließ einfach nicht los.

In ihrem Kopf jagten sich dunkle Bilder und Gefühle. Schlimme Ahnungen quälten sie, seit sie von dem Einsatz wusste. Sie erklärte sich das mit der Hormonumstellung durch die Schwangerschaft, aber das machte es nicht besser. Sie fürchtete, Alexander nie wiederzusehen, wenn sie ihn gehen ließ, und doch wusste sie, dass sie ihn nicht halten durfte.

„Es sind nur vier Monate, und mir kommt es wie eine Ewigkeit vor“, klagte er und presste sie an sich. „Weißt du eigentlich, dass wir noch keine Nacht und keinen Tag getrennt waren, seit wir uns kennen?“

„Wem sagst du das? Wenn du wieder da bist, möchte ich, dass wir keine Nacht und keinen Tag mehr getrennt sind bis ans Ende unserer Tage!“

„Das ist ein guter Plan.“ Alexander musste sich zwingen, sich sanft von ihr zu lösen. Die Zeit wurde knapp. Wenn er das Flugzeug nicht verpassen wollte, musste er durch das Gate und an Bord gehen, aber alles in ihm sträubte sich dagegen.

Geh nicht! Bleib bei mir! , schrie es in Cornelie.

„Komm gesund zu uns nach Hause!“, sagte sie stattdessen beherrscht und ließ ihn los. Sie winkte ihm, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte, und erst dann erlaubte sie sich zu weinen.

Alexander nahm seinen Platz im Flugzeug ein und hatte plötzlich den Impuls aufzuspringen und zu Cornelie zurückzurennen. Wie hatte er nur so ein Idiot sein können? Stefan hatte recht. Es würde immer gute Gründe dafür geben, einen Einsatz anzunehmen.

Er war es gewohnt, sich nicht vor der Verantwortung zu drücken. Aber bei all diesen guten Gründen waren es allein Cornelie und ihr Kind, die zählten. Ihnen galt nun seine Verantwortung. Er machte einen schweren Fehler. Sein Platz war bei seiner Familie.

Genau in dem Moment, als ihm klar wurde, dass er bleiben musste, hob das Flugzeug ab und brachte ihn nach Uganda. Die Würfel waren gefallen, und er konnte nicht mehr zurück. Er schwor sich, die vier Monate schnell hinter sich zu bringen und dann für immer zu seiner Frau heimzukehren.

In der Hauptstadt Kampala erwartete ihn bereits sein junger Kollege, Dr. Schwarz, am Gate. Mit der Maschine aus München kamen dringend gebrauchte Medikamente und Vorräte aller Art, die sie erst einmal sicher durch den Zoll und auf den Weg bringen mussten.

Der Alltag im Außeneinsatz begann, und Alexander war in seinem Element. Er hatte alle Hände voll zu tun und ließ Deutschland und seine Zweifel hinter sich. Es lief erstaunlich gut, und schon am anderen Tag konnte der Weitertransport ins Flüchtlingslager an der Grenze zum Sudan starten.

Als sie dort eintrafen, rannte ihnen eine kleine Heerschar von Kindern aufgeregt entgegen und lachte und winkte. So war es jedes Mal, wenn sie in ein Lager kamen, und Alexander hatte zwei Taschen mit Süßigkeiten parat, die er verteilte. Die Kinder lachten vor Freude. Als er noch drei Bälle in die Gruppe warf, war ihr Glück perfekt, und sie begannen umgehend, damit zu spielen.

Dr. Schwarz beobachtete diese Freude und den Jubel mit Verwunderung. Man sah den Kindern an, dass sie den Hunger kannten und Schlimmes hinter sich hatten, aber ihre Heiterkeit war überwältigend. Lebensfreude schlug ihm an diesem Ort entgegen trotz der trostlosen Umstände im Lager. Damit hatte er am wenigsten gerechnet.

Dr. Patrick Schwarz ahnte, dass er sich auf etwas eingelassen hatte, was ihn an seine Grenzen bringen würde. Es war nicht nur sein erster Einsatz als Arzt für „Ärzte ohne Grenzen“, sondern auch sein erster Besuch in Afrika. In der Theorie war ihm klar gewesen, dass dort alles etwas anders funktionierte, aber wirklich vorbereitet war er nicht.

„Wir kommen, um zu helfen, und sind die Guten. Warum machen sie uns solche Schwierigkeiten mit den Medikamenten? Sie müssten doch dankbar sein“, hatte er Alexander überrascht gefragt, als er das umständliche Prozedere am Zoll beobachtete.

„Wir sind hier nicht die Helden und auch nicht die Guten. Wir machen unsere Arbeit. Rechnen Sie mit allen Widerständen, die Ihnen einfallen! Wenn Sie das verdoppeln, was Sie sich vorstellen können, kommen Sie grob dem nahe, was Sie erwartet“, hatte Alexander geantwortet.

Er bemühte sich von Anfang an redlich, Dr. Schwarz alles beizubringen, was er mit den Jahren gelernt hatte. Manchmal fragte er sich, ob er vor fünf Jahren selbst auch so naiv zur Rettung der Welt losgezogen war. Es schien ihm viele Leben zurückzuliegen, und er wusste es einfach nicht mehr.

Nach den ersten vier Wochen verstanden die zwei Ärzte sich auf einer oberflächlichen Ebene recht gut, aber Alexander musste an alles denken. Eine große Hilfe war Patrick Schwarz ihm nicht. Der tat brav, was man ihm sagte, ohne ganz zu begreifen, dass das an solch einem Ort nicht genügte. Es würde bei ihm vermutlich bei diesem einen Einsatz bleiben.

Auf die wenigen Minuten, in denen Alexander abends mit Cornelie sprach, falls sich eine Verbindung herstellen ließ, freute er sich den ganzen Tag über. Er hatte entsetzliches Heimweh und zählte die Tage, bis Dr. Krug ihn ablösen sollte.

„Du fehlst mir hier“, sagte er oft. „Vieles war so einfach zwischen uns. Wir waren ein eingespieltes Team und haben uns perfekt ergänzt. Ich bin es nicht gewohnt, mit einem Kollegen zu arbeiten, dem ich alles sagen muss.“

„Gib Dr. Schwarz Zeit und sei geduldig! Wir waren auch nicht besser“, riet Cornelie weise.

„Bist du dir sicher?“

„Ganz sicher, Alex. Geduld!“

„Ich versuche es“, seufzte er. „Hab ich dir schon gesagt, dass du mir fehlst?“

„Ein oder zweimal, aber ich höre es immer wieder gerne. Du fehlst mir überhaupt nicht“, neckte sie ihn. „Werdende Mütter sind sehr beschäftigt und kennen keine schlaflosen Nächte aus Sehnsucht nach dem Geliebten. Nö! Nö! Da wird geschlafen – tief und selig.“

„Du bist grausam!“, beklagte er sich.

„Strafe muss sein. Ich habe mir heute eine Hebamme gesucht, bei der ich dann auch zusammen mit Julia den Geburtskurs mache. Normalerweise sind es die Väter, die daran teilnehmen, aber da du die Welt unsicher machst …“

„Giftspritze!“

„Keine Bange, das Wichtigste entgeht dir nicht, und Julia und ich zeigen dir, auf was du bei der Geburt achten musst! Wenn es ernst wird, dann möchte ich nur dich an meiner Seite haben.“

„Das beruhigt mich. Ich dachte schon, du tauschst mich aus und trittst der reinen Frauenliga bei. Julia ist eine starke Konkurrenz.“

„Das wäre sie, aber ihr Herz gehört Stefan. Was soll ich machen. Am Ende bleibst nur du für mich übrig.“

„Sehr gut!“

Sie plauderten und scherzten meist bei diesen Gesprächen und mieden es, über das zu sprechen, was Alexander erlebte. Als er übernächtigt, aber gesund von seinem ersten Einsatz mit der mobilen Klinik zurückkam, atmete Cornelie erleichtert auf. Sie fragte nichts und wollte nicht wissen, wie es gewesen war. Auch ohne das hatte sie schon Angst genug.

Sie war froh, dass sie ganz normal weiter auf der Intensivstation arbeiten konnte. Bisher verlief ihre Schwangerschaft vorbildlich, und Stefan Holl war sehr zufrieden mit ihr. Als sie bei einem Ultraschall das erste Mal den Herzschlag ihres Kindes hörte, musste sie weinen, weil Alexander nicht dabei war.

„Das war so wunderschön!“, schwärmte sie am Abend, als sie mit ihm sprach. „Bei unserem nächsten Kind musst du es auch hören! Irgendwie konnte ich mir vorher nie ganz vorstellen, dass da ein neues Leben in mir wächst. Es war Theorie. Wenn du den Herzschlag hörst, dann wird es real. Alex, wir werden Papa und Mama!“, jubelte sie.

„Ich hätte das so gerne mit dir geteilt!“, sagte er traurig.

Immerhin konnte Cornelie ihm das Ultraschallbild abfotografieren und schicken.

„Unser Baby! Es ist so schön! Ich glaube, es hat deine Nase“, meinte er gerührt und voller Vaterstolz.

„Danke! Seine Nase sieht ganz schön stattlich aus auf dem Bild. Bist du dir sicher, dass es nicht vielleicht doch eher deine Nase ist?“

„Unsere Nase“, einigten sie sich am Ende glücklich und lachten.

Drei Monate verstrichen ohne besondere Vorkommnisse. Alexander freute sich bereits auf seine Heimreise und war im Endspurt. Cornelie war im sechsten Monat schwanger, und ihr Baby versetzte ihr die ersten spürbaren Tritte und wurde mehr und mehr zu einer realen Person, die sich im Alltag durchaus bemerkbar machte.

„Jetzt tritt das Kleine wieder!“, sagte sie heiter. „Fußballspieler oder Startänzerin – auf jeden Fall wird unser Kind ein gutes Durchsetzungsvermögen haben“, prophezeite sie.

„Nur noch vier Wochen, dann kann ich endlich die Hand auf deinen Bauch legen und das Kleine spüren! Ich kann es kaum erwarten. Vier Wochen, die vergehen auch noch!“

„Musst du wirklich noch einmal raus mit der mobilen Klinik? Patrick hat dich beim letzten Mal begleitet. Er könnte diesmal fahren, und du bleibst im Lager“, bat Cornelie.

„Er ist noch nicht so weit. Wir haben vor ein paar Tagen länger geredet. Patrick möchte einfach nur nach Hause und wird sich auf keinen Fall noch einmal freiwillig für einen Einsatz verpflichten. Er ist körperlich und seelisch erschöpft nach der Halbzeit. Ich glaube, wenn er könnte, würde er davonlaufen.“

„Er soll sich unterstehen! Du gehst, er bleibt!“

„So ist es!“, beruhigte Alexander sie. „Aber mit der mobilen Klinik losschicken, kann ich den Jungen nicht. In fünf Tagen bin ich zurück, und spätestens dann hörst du wieder von mir.“

***

Für die Tour mit der mobilen Klinik im Südsudan gab es drei Standorte, die unter den Flüchtlingen und den kämpfenden Gruppierungen bekannt waren. Behandelt wurde jeder, der medizinische Versorgung brauchte. So war die Regel, und bisher war es zu keinen Übergriffen gekommen.

Der Südsudan hatte sich erst vor wenigen Jahren vom Sudan getrennt und für unabhängig erklärt. Die ethnischen Gruppierungen, die noch zusammen für die Unabhängigkeit gekämpft hatten, rangen nun um die politische Vorherrschaft im Land. Hin und wieder schien der Konflikt zur Ruhe zu kommen, aber dann brandete er immer wieder auf und wurde blutig ausgetragen.

Nach seinem letzten Einsatz hatte Alexander die Hoffnung gehegt, das vom Bürgerkrieg gebeutelte Land könnte sich endlich erholen und aufbauen. Nun stand er wieder mit der Klinik bereit, um den Opfern des Konfliktes zu helfen und Kranke und Verletzte zu versorgen. Es schien, als ob das Elend nie ein Ende nehmen wolle.

Kaum war das Klinikzelt errichtet, kamen die ersten Patienten, und von da an strömten sie von allen Seiten heran. Die Menschen verließen sich darauf, dass die Ärzte in regelmäßigen Abständen kamen und halfen. Manche Mütter trugen ihre kranken Kinder über viele Kilometer her und warteten geduldig, bis der Bus mit dem roten Kreuz an der Seite angefahren kam.

In dem ausgebluteten Land war alles knapp. Die meisten Kinder waren unterernährt. Alexander tat, was ihm möglich war, aber nur der Friede und geordnete Verhältnisse konnten diesen Menschen wirklich helfen.

Alexander arbeitete durch und legte sich nur für vier Stunden hin, als er vor Erschöpfung nicht mehr konnte. Der Strom der Kranken versiegte nicht, aber dafür nahm sein Medikamentenvorrat spürbar ab. Er wünschte, er hätte mehr tun können.

Es geschah gegen Ende des vierten Tags des Einsatzes, als die Helfer das Zelt gerade abbauten und alles für die Rückfahrt ins Flüchtlingslager nach Uganda richteten. Fünf Geländefahrzeuge, auf deren Ladeflächen bewaffnete Männer standen, kamen angefahren und blockierten alle möglichen Fluchtwege.

Die Männer sprangen von den Ladeflächen, fuchtelten mit ihren Maschinengewehren herum und verbreiteten Angst und Schrecken. Die verbliebenen Patienten rafften ihre Sachen zusammen und rannten davon, wenn sie konnten.

„Gott, bitte, lass es gut gehen und mich sicher heimkommen zu Cornelie!“, sandte Alexander ein Stoßgebet Richtung Himmel, atmete innerlich tief durch und trat vor, damit alle ihn sehen konnten.

Die Finger am Abzug saßen bei diesen Männern locker. Sie mordeten schon zu lange, um noch große Hemmungen zu haben. Er musste versuchen, die Situation zu entschärfen und herauszubekommen, was sie wollten.

„Hier wird jedem geholfen, der Hilfe braucht“, rief er laut, um die wütenden Befehle und das Kreischen der Verängstigten zu übertönen.

„Bist du der Arzt?“, fuhr ihn ein Hüne an, der die Befehlsgewalt zu haben schien.

„Ja, ich …“, weiter kam Alexander nicht.

Wieder wurden Befehle gebellt. Gewehrfeuer peitschte um ihn her. Der Hüne kam auf ihn zu und hob die Hand. Alexander sah noch, wie das Zelt in Flammen aufging, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Cornelie hatte sich gerade ein Fußbad gemacht und die Beine hochgelegt, die in den letzten Tagen öfter geschwollen waren. Allmählich spürte ihr Körper die enorme Belastung der Schwangerschaft doch und zwang sie, alles etwas gemächlicher anzugehen.

„Wir müssen deinen Blutdruck gut im Auge behalten. Er schwankt mir etwas zu sehr. Du kennst die Symptome einer beginnenden Präeklampsie so gut wie ich, Cornelie. Sobald dir etwas auffällt, musst du auf der Stelle zu mir kommen. Aber bisher ist alles im normalen Bereich“, hatte Stefan ihr vor ein paar Tagen nach einer Routineuntersuchung erklärt.

Darüber war Cornelie natürlich sehr froh.

„Gönne dir mehr Ruhepausen und gehe gut mit dir um! Dein Körper leistet gerade Enormes, und da braucht er deine Unterstützung“, riet Stefan ihr.

„Ich möchte mir schon Ruhe gönnen, aber wenn ich zur Ruhe komme, denke ich an Alex, und dann ist es mit der Ruhe vorbei“, gestand sie ihm verlegen. „Es wird Zeit, dass er wiederkommt. Es reicht.“

„Das verstehe ich. Zum Glück habt ihr es bald geschafft. Wie geht es ihm?“, wollte Stefan wissen.

„Er hat jede Menge Arbeit und kommt kaum zum Luft holen, aber wenigstens vermisst er mich genauso wie ich ihn und leidet ein wenig. So soll es sein! Das hält ihn beim nächsten Mal vielleicht davon ab, ohne mich rauszugehen.“

„Ich glaube, wenn er erst wieder zu Hause ist, dann ist er für immer kuriert“, sagte Stefan schmunzelnd voraus.

„Hoffen wir es!“

Alexander hatte sich seit drei Tagen nicht gemeldet. Das war nicht ungewöhnlich, da er mit der mobilen Klinik unterwegs war, aber es beunruhigte Cornelie doch. Sie hoffte, dass er sich an diesem Abend melden würde, aber dafür war es noch zu früh.

Es waren nur noch gut drei Wochen. Noch dreiundzwanzig Tage, dann konnte sie ihn endlich an sich drücken. Sie sehnte sich schmerzlich nach ihm und musste beim Gedanken daran schmunzeln, dass er mindestens so sehnsuchtskrank war wie sie.

„Dein Papa ist bald wieder da!“, flüsterte sie ihrem Kleinen zu, als es sie fast liebevoll trat. Manchmal kam es ihr so vor, als ob das Kind sie daran erinnern wollte, dass sie nicht alleine war. Sie lauschte in sich hinein und verband sich mit dem kleinen Wesen in ihr. Da klingelte das Telefon.

Cornelie erstarrte. Sie wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie wusste es, obwohl sie noch nicht sah, wer der Anrufer war. Ihre Hände zitterten, als sie das Gespräch annahm.

„Cornelie, ich …“ Es war Holger Mertens, und der Ton seiner Stimme sagte alles. Ihn brachte nicht schnell etwas aus der Ruhe. Dafür hatte er schon zu viel erlebt und gesehen.

„Nein! Bitte! Gib mir einen Augenblick!“, bat sie und atmete tief durch.

Ihr Herz schien ihre Brust zersprengen zu wollen, und das Kind bewegte sich unruhig.

„Was ist passiert? Wie geht es ihm?“, fragte sie, als sie so weit war.

„Cornelie, es tut mir so leid! Ich …“

„Holger, sag mir, was los ist!“, forderte sie hart. Seine Gewissensbisse und sein Bedauern waren ihr egal.

„Man hat die mobile Klinik komplett niedergebrannt. Es wurden mehrere verkohlte Leichen gefunden, und vermutlich haben sie die Medikamente mitgenommen. Keiner weiß, ob es regierungstreue Gruppen, Rebellen oder eine der anderen ethnischen Gruppierungen waren. Es ist völlig undurchsichtig.“

Holger erklärte ihr genau, was passiert war.

„Ich hätte euch nie belästigen dürfen und werde mir das nicht verzeihen. Cornelie, ich …“

„Sag es!“, forderte sie, denn sie wusste, dass sie es nicht begreifen oder gar glauben konnte, bevor er es nicht klar und deutlich aussprach. „Sag es!“, schrie sie ihn an.

„Noch wissen wir nichts Genaues, aber wir müssen vom Schlimmsten ausgehen.“

Cornelie legte auf. Vom Schlimmsten ausgehen – was bedeutete das? Sie fühlte nichts. In ihr war gähnende Leere und Schwärze, aber sie wusste, dass das nicht so bleiben würde. Irgendwann würden Schmerz und Verzweiflung durch die Mauer aus Eis dringen, die sie um sich und ihr Kind errichtet hatte.

Vom Schlimmsten ausgehen. Alexander war tot. Sie würde ihn nie wiedersehen. Unwillkürlich legte sie ihre Hände auf ihren Leib. Ihr Kind würde seinen Vater nie sehen. Es würde nie erfahren, was für ein wunderbarer, liebevoller Mann er gewesen war und wie sehr er sich darauf gefreut hatte, sein Vater sein zu dürfen. Alexander war tot.