Die besten Ärzte - Sammelband 43 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 43 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1808: Geständnis in der Narkose
Notärztin Andrea Bergen 1287: Meine kleine Schneeprinzessin
Dr. Stefan Frank 2241: Aber mein Herz bleibt bei dir
Dr. Karsten Fabian 184: Kleiner Mann mit großen Plänen
Der Notarzt 290: Endlich ein gemeinsames Zuhause!

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 575

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Katrin Kastell Daniela Sandow Stefan Frank Ina Ritter Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 43

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Alliance Images / Shutterstock

ISBN 978-3-7517-2949-9

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 43

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1808

Geständnis in der Narkose

Die Notärztin 1287

Meine kleine Schneeprinzessin

Dr. Stefan Frank 2241

Aber mein Herz bleibt bei dir

Dr. Karsten Fabian - Folge 184

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Kleiner Mann mit großen Plänen

Der Notarzt 290

Endlich ein gemeinsames Zuhause!

Guide

Start Reading

Contents

Geständnis in der Narkose

Dr. Holl und sein Team sind tief erschüttert

Von Katrin Kastell

Voller Freude erzählt Anja Hildebrandt ihrem Geliebten, dem renommierten Scheidungsanwalt Dr. Klaus Weber, dass sie schwanger ist, doch der serviert sie eiskalt ab. Er beendet die Affäre, wirft sie aus seiner Kanzlei und lässt seine Beziehungen spielen, damit Anja in keiner anderen Kanzlei in München einen neuen Job bekommt.

Soeben noch himmelhoch jauchzend, gleicht ihr Leben plötzlich einem Scherbenhaufen. Anja beginnt, das Baby zu hassen, das sie immerzu an diesen gemeinen Verrat erinnert. Und dabei wünscht sie sich so sehr, das kleine, unschuldige Wesen, das in ihr heranwächst, vorbehaltlos zu lieben! Dieser Konflikt stürzt sie in eine tiefe Krise. Als es zu schweren Komplikationen in der Schwangerschaft kommt, droht Anja in dem Abgrund zu versinken, der sich vor ihr auftut …

Nach einem prüfenden Blick durch den Raum lächelte Anja Hildebrandt zufrieden. Der Tisch war romantisch für zwei Personen gedeckt. Ein Kerzenständer mit drei weißen Kerzen prangte in der Mitte und war von hingestreuten roten Rosenblüten umgeben. Das edle Geschirr, die hochstieligen Weingläser und edle Stoffservietten – es war eine Freude für die Augen.

Nun musste sie nur noch dafür sorgen, dass sie mit dem Tisch und dem Gourmetessen, das sie hatte kommen lassen, mithalten konnte, wenn Klaus kam. Anja war noch nie so glücklich gewesen. In ihr sang und summte es die ganze Zeit, und ihre Hand legte sich unwillkürlich immer wieder auf ihren Leib. Sie hatte das Gefühl, ihr Leben würde nun endlich beginnen, und all ihre Wünsche würden auf einen Schlag wahr.

Sie ließ sich viel Zeit vor dem Badezimmerspiegel, bis sie der Meinung war, dass ihr Haar perfekt saß und sie sich nicht verführerischer schminken konnte. Unter dem eng anliegenden schwarzen Kleid trug sie exklusive Reizwäsche, die sie nur für diesen Abend gekauft hatte. Alles sollte perfekt sein und wunderschön, unvergesslich. Denn was sie Klaus zu sagen hatte, war das schönste Geschenk, das zwei Menschen, die sich liebten, vom Leben bekommen konnten: Sie war schwanger.

Seit fünf Jahren waren Klaus und sie nun schon zusammen. Jeden Mittwoch- und Freitagabend und an mindestens einem Wochenende im Monat gehörte er ganz ihr. Anja hasste es jedes Mal, wenn er wieder zurück zu seiner Frau und seinen drei Kindern ging, aber sie wusste, dass es nicht so bleiben würde. Er liebte sie und hatte ihr versprochen, sich so bald wie möglich scheiden zu lassen, und sie vertraute ihm.

Dr. Klaus Weber war ein respektabler Scheidungsanwalt und hatte in München den Ruf, dass man sich für den Fall der Fälle keinen besseren Anwalt nehmen könne. Seine Kanzlei konnte die Arbeit kaum bewältigen. Anja hatte direkt nach ihrem zweiten juristischen Staatsexamen bei ihm angefangen und sich vom ersten Tag an in ihren Chef verliebt.

Sie schmunzelte bei der Erinnerung an die ersten Wochen in der Kanzlei. Klaus hatte es sich nicht nehmen lassen, sie als Neuling selbst einzulernen, und hatte ganze Tage mit ihr verbracht. Dabei hatte er mit Komplimenten und kleinen, nur so hingeworfenen doppeldeutigen Bemerkungen um sie geworben.

Sie war zu jener Zeit sehr scheu gewesen und rot geworden, sobald sich auch nur ihre Hände flüchtig berührten. Als er sie das erste Mal an sich gezogen und geküsst hatte, war sie fast ohnmächtig geworden. Gegen diese Liebe waren sie beide machtlos gewesen. Klaus’ Ehe war ein tragischer Irrtum des Schicksals, denn sie gehörten zusammen, und bald schon würden sie auch zusammen sein.

Es war zehn Minuten nach acht. Klaus kam zu spät wie meistens. Anja huschte durch ihre Wohnung und zupfte da noch rasch ein Kissen in Form oder stellte ein Buch gerade ins Regal. Klaus war ein Ordnungsfanatiker und entsetzlich penibel. Er konnte ausrasten, wenn etwas seinem Sinn für Ordnung widersprach, und verstand in diesem Punkt keinen Spaß.

Eigentlich mochte Anja es gemütlich und fand ihre Wohnung behaglicher, wenn überall eine Kleinigkeit von ihr herumlag, aber bevor er kam, räumte sie regelmäßig in aller Eile auf, und am Morgen davor kam die Putzfrau und reinigte alles einmal durch. Er sollte sich schließlich zu Hause bei ihr fühlen. Anja hätte alles für ihn getan.

Um halb neun bedauerte sie, dass sie die Vorspeise und den Hauptgang bereits erwärmt und auf den Tellern angerichtet hatte. Das Essen sah kaum noch verlockend aus. Anja hatte dem Kochen nie etwas abgewinnen können, und als Anwältin, die zum Teil sechzig Stunden in der Woche arbeitete und mehr, blieb ihr dafür auch keine Zeit.

Sie fand es großartig, dass man inzwischen problemlos Menüs von hervorragenden Köchen nach Hause kommen lassen konnte. Hatte man die Speisen aber einmal erwärmt, ging es einem wie jeder guten Köchin, und man konnte nur noch zusehen, wie sie mit jeder Minute, die verstrich, weniger appetitlich aussahen. Ihre strahlende Laune verdüsterte sich.

Da Klaus kaltes Essen nicht mochte, schob sie die Teller kurzerhand in den Ofen, um sie warm zu halten. Musste Claudia Weber ihren Mann immer mit Beschlag belegen? Es war Freitag! Manchmal vermutete Anja, dass ihre Konkurrentin ahnte, wohin ihr Mann unterwegs war, und ihm deshalb Steine in den Weg legte. Sollte sie es nur versuchen, sie hatte keine Chance. Klaus gehörte Anja und würde sich durch nichts abhalten lassen.

Sie wurde allmählich wütend. Das alles musste sich bald ändern. Wenn Klaus und sie erst eine Familie waren, dann würde sie dafür sorgen, dass Claudia Webers Einfluss schwand. Gut, da waren drei Kinder, denen Anja natürlich nicht den Vater nehmen wollte, aber dafür würden sich Lösungen finden.

Anja war nicht uneinsichtig, aber sie fand, dass sie lange genug gewartet und die zweite Geige gespielt hatte. Nun wurden die Karten neu gemischt, und sie kam zum Zug. Verträumt malte sie sich das gemeinsame Leben aus, auf das sie sich seit Jahren freute, und wieder fuhr sie unbewusst zärtlich über ihren Leib.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Klaus endlich auftauchte.

„Entschuldige! Immer dasselbe! Theo hat Schwierigkeiten in der Schule und ist faul. Ich begreife nicht, warum Claudia das nicht auf die Reihe bekommt. Ich meine, ich habe mit der Kanzlei nun wirklich ausreichend zu tun. Da wird sie doch mit den Kindern und dem Haushalt klarkommen, ohne mich ständig damit zu belästigen. Sie ist einfach unorganisiert und schwach und …“

Klaus drückte Anja zur Begrüßung nur einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und legte seine Hand kurz besitzergreifend auf ihren Po, dann stürmte er an ihr vorbei und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Zuerst musste er sich den Frust von der Seele reden.

„Mein Gott, Theo ist dreizehn und steckt mitten in der Pubertät! Was soll ich da machen? Ich kann ihm die Hormone, die da verrücktspielen, auch nicht aus dem Kopf saugen. Mit Lisa war es leichter. Sie war zickig und eitel und gefühlsduselig – das ist sie auch mit ihren siebzehn Jahren noch“, sprudelte es aus Klaus heraus.

Seine Frau hatte ihm schwere Vorwürfe gemacht, dass er sie und die Kinder vernachlässigen würde, und das fand er empörend. Wem verdankte die Familie denn ihren extrem hohen Lebensstandard? Allein ihm! Wo blieb die gebührende Dankbarkeit?

„Lisa ist nicht die Klügste, aber sie wird sich im Leben durchsetzen und weiß, was sie will. Und Theo kriegt sich auch irgendwann wieder ein. Ich begreife nicht, warum Claudia sich von mir im Stich gelassen fühlt. Kannst du mir sagen, was das soll? Sie ist für die Erziehung zuständig und ich für das Geld. Ich sollte ihr Vorhaltungen machen und nicht umgekehrt!“

Klaus hatte weder den romantisch gedeckten Tisch bemerkt, noch fiel ihm auf, dass Anja sind besonders viel Mühe gegeben hatte, unwiderstehlich auszusehen. Er zog sie auf seinen Schoß, nahm ihre Brust in seine Hand und begann sie spielerisch zu massieren.

„Hm, das fühlt sich gut an! Soll meine Frau doch denken und tun, was sie will! Jetzt bin ich bei dir, mein Schatz“, sagte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen, während seine zweite Hand tiefer wanderte.

„Klaus, hast du denn keinen Hunger? Ich habe uns …“, sagte Anja und versuchte, sich ihm sanft zu entziehen, aber er ließ sie nicht los und wusste genau, was er tun musste, um sie in Erregung zu versetzen und ihre Begierde zu wecken.

„Ich habe zu Hause gegessen, Schatz. Hunger habe ich nur auf dich.“

Sie hatten Sex, aber hinterher fühlte sich Anja nicht so frei und ungezwungen wie üblich. Der Abend lief vollkommen anders, als sie geplant und erwartet hatte. Klaus zog sich wieder an und ließ sich doch noch dazu bewegen, einen Happen zu essen, aber er redete fast die ganze Zeit über seine Frau und dass sie ihn verrückt machte.

„Es muss ihr doch möglich sein, unsere Kinder einigermaßen unter Kontrolle zu halten, ohne mir ständig damit in den Ohren zu liegen. Sogar Nina mit ihren zehn Jahren tanzt ihr schon auf der Nase herum. Erst will sie Geige lernen, dann ist es ihr zu schwer. Jetzt will sie ins Ballett, und die Geige liegt in der Ecke. So geht das nicht! Ich finde, auch Kinder müssen sich an gewisse Regeln halten und …“

Anja beobachtete ihn, während er sich ereiferte und über seine Erziehungsvorstellungen dozierte. War er ein guter Vater? Das erste Mal empfand sie fast so etwas wie Mitgefühl für ihre Konkurrentin. Anscheinend sah Claudia Weber die Dinge gar nicht so anders wie Anja.

Kinder konnte und durfte man nicht dressieren. Man war dafür da, ihnen dabei zu helfen, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten, und wenn es eben nicht die Geige war, dann war es vielleicht das Ballett, oder auch nicht. Man war zu ihrer Unterstützung da.

„Das siehst du doch genau wie ich, Anja!“, riss er sie aus ihren Gedanken, und sie merkte, dass sie seinen Ausführungen nicht mehr gefolgt war, und nickte unsicher, weil sie keine Ahnung hatte, was sie da genau abnickte.

„Das wusste ich! Du bist auch eine intelligente, selbstbewusste Frau, die erfolgreich im Beruf steht. Du …“

„Klaus, ich bin schwanger“, hörte sie sich da zu ihrer eigenen Überraschung sagen. Bald war Mitternacht, und dann würde er wie jede Woche aufspringen und es eilig haben zu gehen. Irgendwann musste sie zu Wort kommen, aber ihre große Überraschung hatte sie sich vollkommen anders vorgestellt.

Schlagartig war es still im Raum. Fassungslos starrte er sie an.

„Aber du nimmst doch die Pille. Wie konnte das passieren? Hast du sie einfach abgesetzt, um mich unter Druck zu setzen und zu erpressen? Das funktioniert so nicht!“, drohte er aggressiv und ohne die geringste Freude.

Anja kämpfte mit den Tränen. Begriff er denn nicht, was sie ihm da sagte?

„Wir bekommen ein Baby, Klaus – du und ich. Wir werden Eltern und …“

„Halt, meine Liebe! Du und ich verstehen uns wunderbar im Bett und haben Spaß miteinander. Das ist es auch schon. So etwas nennt man eine lockere, unverbindliche Affäre zwischen erwachsenen Menschen, und Kinder standen dabei nie auf dem Plan. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Woher soll ich überhaupt wissen, ob du von mir schwanger bist? Du willst mir doch nicht einreden, dass es da keine anderen Männer gibt, mit denen du dich vergnügst! Ich …“

Sie versuchte zu begreifen, was er da sagte, aber es ging nicht. Es tat zu weh. Seit fünf Jahren war er das Zentrum ihres Lebens. Sie hatte ihn durch alle beruflichen und familiären Höhen und Tiefen begleitet, war Seelentrösterin und Vertraute gewesen. Sie war seine Gefährtin gewesen, die immer zu ihm stand, und er hatte ihr tausend Mal seine Liebe beteuert.

„Anja, sei es, wie es will. Falls du von mir schwanger bist, ist dir hoffentlich klar, dass das nicht geht. Du kannst das Kind nicht bekommen“, sagte er gebieterisch.

„Bitte geh!“, murmelte sie.

„Nein, das muss geklärt sein! Von mir siehst du keinen Cent, und ich habe nicht vor, mich von dir in eine Vaterrolle zwingen zu lassen. Wenn du das Kind gegen meinen Willen bekommst, dann sieh, wie du alleine damit klarkommst!“

„Geh!“, schrie sie ihn an, und etwas in ihr zerriss. Sie schlug mit geballten Fäusten auf ihn ein. „Raus hier! Hau ab! Raus!“

„Gut! Gut, ich gehe! Wir regeln das am Montag in der Kanzlei. Ich trage um acht Uhr einen Termin für eine Besprechung mit dir ein. Bis dahin hast du dich hoffentlich wieder im Griff. Ich schätze solche Ausbrüche gar nicht“, tadelte er sie verärgert.

„Raus!“

***

Schluchzend warf sich Anja auf ihr Bett, aber dann wurde ihr klar, dass sie vor ein paar Minuten noch mit Klaus darin geschlafen hatte. Angewidert stand sie wieder auf. In ihrem Zorn und Schmerz überzog sie das Bett frisch und warf die alte Bettwäsche in den Müll. Ihr ganzes Leben, all ihre Träume – alles gehörte in den Müll.

War das der Mann, den sie innig liebte? Klaus und sie hatten gemeinsame Träume und Pläne gehabt. Privat und in der Kanzlei hatten sie sich eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollen. Auch wenn das für ihn nur leere Sprüche gewesen sein mochten, sie hatte daran geglaubt.

Und Kinder waren in diesen Zukunftsvisionen immer vorgekommen. Anja liebte Kinder, und Klaus hatte gesagt, dass er sich Kinder mit ihr wünschte, die so schön waren wie sie und so klug wie sie beide zusammen. Leeres Gerede – wie hatte sie nur so blind sein können?

Für ihn war sie einfach nur seine Geliebte gewesen und noch dazu eine Geliebte, die nichts kostete – eine preisgünstige Geliebte. Sie fühlte sich billig und benutzt. Vor dem Bett und dem Schlafzimmer ekelte sie sich noch immer. Eigentlich flößte ihr die ganze Wohnung Abscheu ein.

Sie hatte sie zusammen mit Klaus ausgesucht und eingerichtet. Ein Liebesnest für nette, unverbindliche Stunden und Spaß im Bett. Das war es für ihn gewesen und für sie ihr gemeinsames Zuhause. Anja musste duschen. All der Dreck, all die Lügen klebten an ihr, und sie wollte sie abwaschen.

Sie seifte sich immer und immer wieder ein und duschte viel zu heiß, sodass ihre Haut krebsrot war und wehtat. Nach einer guten Stunde gab sie es auf. Dieser Dreck ließ sich nicht abwaschen. Klaus hatte sie gnadenlos benutzt, und sie war furchtbar naiv und dumm gewesen in ihrer Verliebtheit.

In zwei Monaten wurde sie fünfunddreißig. Hätte diese unbeabsichtigte Schwangerschaft sie nicht unsanft aus ihrem Wolkenkuckuckstraum gerissen, wäre sie bei Klaus geblieben. Sie hätte sich von Jahr zu Jahr vertrösten lassen, bis ihre biologische Uhr Fakten geschaffen hätte. Und nun war sie schwanger – von ihm.

Völlig erschöpft schaffte Anja es schließlich doch, sich im Bett zu verkriechen. Da blieb sie dann auch für den Samstag und Sonntag. Das Telefon klingelte mehrmals, aber sie nahm nicht ab und hörte sich auch die Nachrichten auf der Mailbox nicht an.

Meist starrte sie ins Leere oder weinte, aber sie dachte auch darüber nach, wie ihr Leben nun weitergehen sollte. Sie war in der achten Woche, und eine Abtreibung wäre noch möglich gewesen. Wollte sie das? Es war Klaus’ Kind, das da in ihr heranwuchs. Wollte sie ein Kind von diesem Mann großziehen?

In ihr kämpften zwei Stimmen um Gehör und keiften sich gegenseitig an. Klaus war ein charakterloser Lügner. Was war, wenn sein Kind ihm einmal gleichen würde? Genetisch war das Baby auf jeden Fall vorbelastet.

Am liebsten wollte Anja nie wieder etwas mit diesem Mann zu tun haben, und einen Teil von ihm Tag für Tag um sich zu haben war ein entsetzlicher Gedanke. Wie sollte sie mit alldem abschließen und neu anfangen, wenn sie das Vergangene immerzu vor Augen hatte?

Die Tatsachen waren einfach. Mit fünfunddreißig stand sie mit gebrochenem Herzen da, und sie war schwanger. Bekam sie das Kind nicht, konnte es ihre letzte Gelegenheit gewesen sein, Mutter zu werden. Im Moment war es ihr unvorstellbar, jemals wieder einem Mann zu vertrauen. Sie traute sich selbst nicht mehr und wollte nicht noch einmal derart enttäuscht werden.

Brach sie die Schwangerschaft ab, blieb sie unter Umständen kinderlos. Was wog schwerer? Gut, Klaus war der genetische Vater, aber sie war die Mutter. Sie würde das kleine Menschenwesen erziehen und ihm all ihre Liebe schenken. Sie war seine Mutter, und sie wollte Mutter sein.

„Du bist mein Baby!“, raunte sie dem Kleinen zu. „Du bist mein Baby, und ich liebe dich. Dein Erzeuger hat meinen Stolz verletzt und mir sehr wehgetan, aber dich darf er mir nicht auch noch nehmen. Ich bin deine Mami, und ich will dich!“ Die Entscheidung war getroffen.

Erst am Montagmorgen quälte Anja sich auf die Beine, um zur Kanzlei zu fahren. Schließlich hatte sie um acht Uhr einen Termin mit ihrem Chef. Klaus hatte sie bitterlich enttäuscht, und sie wusste nicht, wie sie weiterhin tagtäglich in derselben Kanzlei mit ihm arbeiten sollte, aber es musste irgendwie gehen. Ihr Kind sollte gut versorgt sein, und dafür brauchte sie ihre Arbeit.

Anja erwartete nichts mehr von Klaus. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, ihn rechtlich zur Vaterschaft zu zwingen und finanziell zu verpflichten. Als renommierte Anwältin verdiente sie selbst sehr gut und brauchte sein Geld nicht, solange sie nur arbeiten konnte. Die Büroräume der Kanzlei waren groß. Man musste sich nicht immerzu über den Weg laufen, wenn man das nicht wünschte.

Sie wollte ihr Kind behalten und es zur Welt bringen. Es war ganz allein ihr Baby, ihr Kind. Klaus würde nichts mit ihm zu tun haben. Das wollte sie ihm an diesem Morgen sagen und die Affäre mit Würde beenden. Er hatte ihr etwas vorgemacht, aber den Triumph, sie schwach und weinend zu sehen, wollte sie ihm nie wieder gönnen.

An diesem Morgen brauchte sie noch länger vor dem Badezimmerspiegel, um alle Tränenspuren und alle Zeichen des Kummers zu übermalen. Sicher und geborgen hinter der Maske einer erfolgreichen Anwältin betrat sie zehn Minuten vor acht die Kanzlei.

Etwas war anders als gewohnt. Ihre Kollegen erwiderten ihren Gruß verlegen und wichen ihrem Blick aus. Als sie die Büroküche betrat, um sich noch rasch eine Tasse Kaffee zu holen, wie sie es immer tat, eilten zwei Kollegen davon, als ob sie unter einer ansteckenden Krankheit leiden würde.

Das Ganze war eigentümlich, aber Anja dachte sich nicht viel dabei. Lässig mit der Kaffeetasse in der Hand betrat sie auf die Minute pünktlich Klaus’ Büro. Sie blieb an der Tür stehen und lächelte ihn geschäftlich kühl an.

„Guten Morgen! Wegen der Angelegenheit vom Freitag gibt es im Prinzip nichts mehr zu besprechen. Privat gehen wir von nun an getrennte Wege, das versteht sich von selbst“, begann sie das Gespräch souverän, um ihm von Anfang an nicht das Ruder zu überlassen.

„Das sehe ich genauso. Setz dich!“, befahl er und musterte sie abschätzend. Falls sie heimlich gehofft haben sollte, dass sein Gewissen über das Wochenende zu ihm durchgedrungen war, erwies sich das als Irrtum. Kalte Wut und Berechnung gingen von ihm aus.

„Ich habe viel zu tun und …“

„Du hast in meiner Kanzlei nichts mehr zu tun, Anja. Ich habe deine Fälle und Klienten bereits an Kollegen übertragen und möchte, dass du nach diesem Gespräch dein Büro räumst und gehst. Bisher begründe ich das Ende unserer Zusammenarbeit mit persönlichen Unstimmigkeiten, stelle dir aber ein hervorragendes Zeugnis aus.“

„Bisher?“, fragte sie ungläubig. Sie war seine beste Mitarbeiterin und unter den Anwälten der Stadt als kompetente Gegnerin vor Gericht gefürchtet.

„Solltest du Schwierigkeiten machen, werde ich dir berufliche Ungereimtheiten unterstellen und deinen Ruf komplett ruinieren. Glaub mir, wenn ich mit dir fertig bin, will dich keine andere Kanzlei mehr haben, und die Anwaltskammer wird dich gründlich unter die Lupe nehmen. Du weißt, wie das ist. Auch wenn sie am Ende nichts gegen dich finden, wirst du erledigt sein. Du hast die Wahl.“

Er war eiskalt und servierte sie auf eine Weise ab, die alles überstieg, was Anja sich vorstellen konnte. Hatte er je etwas für sie empfunden? Vermutlich nicht. Wie konnte er sie auf die Straße setzen, obwohl er wusste, dass sie schwanger war und ihre Arbeit brauchte? Das war herzlos und gemein, aber sie brachte es nicht über sich, um ihre Stelle zu bitten.

„Klaus, ich habe nicht vor, dir in irgendeiner Form Probleme zu machen. Als Vater meines Kindes könnte ich dich nie akzeptieren. Du bist kein Mann, den sich mein Kind zum Vorbild nehmen soll. Ich …“

„Falls du je versuchst, meine Vaterschaft über einen Vaterschaftstest zu beweisen und meine Ehe und mein Leben zu schädigen, wirst du mich kennenlernen. Ich kann dich nicht zu einer Abtreibung zwingen, aber solltest du dieses Kind bekommen, möchte ich nichts mit ihm zu tun haben.“

Ihr wurde übel, aber sie beherrschte sich und atmete rhythmisch, um sich nicht in seinem Büro zu übergeben. Diese Blöße wollte sie sich nicht geben. In ihrem Kopf überlagerten sich die Bilder. Es war ein wildes Karussell der Erinnerungen.

Der verliebte Mann, der sie mit Zärtlichkeiten und kleinen Aufmerksamkeiten verwöhnte und ihr seine Liebe beteuerte, und der eiskalte Mann, der sie ohne jedes Gefühl ansah – beide Männer schienen nichts miteinander zu tun zu haben. Wo war der Mann, den sie liebte? Wo war ihr Klaus?

„Was wir hatten, war perfekt und schön. Warum musstest du das kaputt machen? Konntest du nicht alles lassen, wie es war?“, warf er ihr vor und wirkte plötzlich selbstmitleidig und verletzt.

Anja begriff, dass sie eine Weile geschwiegen und sich stumm angesehen hatten. Offensichtlich hatte auch er sich an das Schöne erinnert und fand es ungerecht von ihr, ihm das perfekte Liebesnest einfach so wegzunehmen.

„Das tut mir sehr leid für dich, Klaus, aber ich bin sicher, du kannst mich leicht ersetzen“, erwiderte sie ironisch.

„Natürlich kann ich dich ersetzen, aber ich fand unser Arrangement äußerst befriedigend. Ich dachte, wir würden uns verstehen. Anscheinend hast du dir vollkommen falsche Vorstellungen gemacht. Claudia und die Kinder sind meine Familie, und über meine Familie lasse ich nichts kommen.“

Anja lachte bitter, blieb aber stumm. Da gab es nichts zu sagen. Er war erbärmlich, und sie war erbärmlich, weil sie fünf Jahre gebraucht hatte, um zu erkennen, was für ein Mensch er tatsächlich war.

„Kann ich jetzt gehen?“, wollte sie wissen und stand auf.

„Alles Gute!“, rief er ihr nach, als sie schon an der Tür war.

„Du mich auch!“, antwortete sie und verließ sein Büro, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Klaus empfand wenig mehr als ein gewisses Bedauern. Frühere Affären hatte er nach zwei, höchstens drei Jahren von sich aus beendet, um keine zu große Anhänglichkeit aufkommen zu lassen. Bei Anja war er ungewöhnlich lange geblieben, weil sie durchaus etwas Besonderes für ihn gewesen war und sich von ihren Vorgängerinnen abhob.

Claudia lebte in ihrer eigenen Welt und war in erster Linie Mutter. Von der Welt vor und hinter den Kulissen des Gerichtes wusste sie kaum etwas, und es interessierte sie auch nicht. Im Grunde hatten sich Klaus und sie kaum etwas zu sagen.

Sie war die Mutter seiner Kinder und seine Ehefrau, die an seiner Seite repräsentierte, wenn es in der Öffentlichkeit erforderlich war. Viel mehr wusste er nicht über sie, ohne daran etwas ändern zu wollen. Genau dafür hatte er sie als junge Frau aus gutem Hause ausgewählt und geheiratet.

Es war nett gewesen, mit Anja zu schlafen und anschließend einen Fall diskutieren zu können. Dennoch beschloss er, sich diesmal wieder eine Geliebte zu suchen, die nicht so intelligent war wie Anja. Er hatte da auch schon eine junge Frau im Auge, die ihm rein äußerlich gefiel.

Natürlich würde es wieder teuer werden, weil er ihr eine passende Wohnung mieten und sie aushalten musste, aber dafür war sie dann auch von ihm abhängig. Vor Anja hatte er solche Arrangements bevorzugt und hielt sie im Nachhinein für geschickter trotz der Kosten.

***

„Frau Hildebrandt, wir fühlen uns geehrt, dass Sie sich eine Zusammenarbeit mit unserer Kanzlei vorstellen könnten. Sie sind eine der Besten in München und für jede Kanzlei ein Gewinn …“

Anja zog innerlich die Schultern ein und gab sich nach außen noch etwas selbstbewusster. Sie hörte das Aber, das gleich folgen würde. Es war die zweite Kanzlei, bei der sie sich bewarb, und das Gespräch lief nahezu identisch ab. Beweihräucherung, Honig um den Mund und dann eine taktvolle Absage unter einem fadenscheinigen Vorwand – sie begriff nicht, wie das sein konnte.

Auf Grund ihres hervorragenden Rufes und ihrer hohen Gewinnstatistik vor Gericht war sie überzeugt gewesen, problemlos wieder in einer guten Kanzlei unterzukommen. Normalerweise rissen Kanzleien sich um Anwältinnen wie sie. Warum wollte es bei ihr nicht gelingen?

„Für den Moment haben wir leider kein freies Büro und auch keinen Bedarf an einer weiteren Anwältin“, fuhr der Kanzleiinhaber fort, der in den vergangenen Jahren mehrmals versucht hatte, Anja von Klaus abzuwerben. An guten Anwälten hatte eine Kanzlei immer Bedarf. Da stimmte etwas nicht, und Anja kam ein ungeheuerlicher Verdacht.

„Dr. Schmidthuber, lassen Sie uns offen sprechen!“, bat sie ruhig und beobachtete ihn dabei aufmerksam.

Er blieb still und sah sie nur abwartend an. Offensichtlich wollte er herausfinden, wie viel sie wusste. Das war es, was ihren Verdacht bestätigte. Sobald sie einmal erkannt hatte, dass Klaus seine Hände im Spiel hatte, war es einfach. Schließlich kannte sie seine Vorgehensweisen. Er hatte sich oft genug damit vor ihr gebrüstet.

„Spielen Sie nicht im selben Golfclub wie Dr. Weber? Golf ist so ein schöner Sport. Die Ruhe, mit der man von Loch zu Loch zieht in der frischen Luft, und die angenehme Zeit, um sich auszutauschen. Was für ein wunderbarer Sport!“, begann sie harmlos.

„Ja, ein Sport für Menschen, die ansonsten vor allem hinter ihren Schreibtischen sitzen und versauern“, stimmte er ihr zu. Es zuckte dabei amüsiert um seine Lippen, denn er wusste genau, auf was sie hinauswollte.

„Auf dem Golfplatz tauscht man sich aus, nicht wahr?“, fuhr Anja unschuldig fort.

Er nickte.

„Ich habe sehr gerne für Dr. Weber gearbeitet, und ich denke, meine Erfolge vor Gericht sprechen für sich und belegen die Qualität meiner Arbeit. Aber wenn die Chemie zwischen zwei Menschen nicht stimmt, dann ist es besser, man trennt sich. Dr. Weber wird Ihnen doch sicherlich gesagt haben, dass ich stets zu seiner höchsten Zufriedenheit gearbeitet habe“, tastete sich Anja voran.

„Er hat Sie in den höchsten Tönen gelobt, Frau Hildebrandt“, versicherte Dr. Schmidthuber umgehend. „In seinen Augen sind Sie eine Anwältin, von der man noch einiges hören wird, wenn auch vielleicht nicht ausgerechnet in München. In München gibt es einfach schon zu viele Scheidungsanwälte“, ließ er die Katze diplomatisch aus dem Sack.

Anja verstand. Klaus wollte, dass sie die Stadt verließ, um einen größeren Abstand zwischen sich und ein Kind zu bringen, von dem er sich anscheinend noch immer bedroht fühlte. Er ließ seine Kontakte spielen, um zu verhindern, dass sie bei der Konkurrenz unterkam.

„München ist meine Heimatstadt. Ich bin hier geboren, habe hier studiert und lebe gerne in der Stadt. Ein Umzug kommt für mich nicht infrage. Wenn eine gute Kanzlei sich meine Mitarbeit sichert, dann hat sie eine beachtliche Gegnerin vor Gericht weniger. Ich werde München auf keinen Fall verlassen“, erklärte sie kämpferisch.

Dr. Schmidthuber nickte ein paar Mal nachdenklich, dann räusperte er sich.

„Was ich jetzt sage, werde ich nie gesagt haben, und es bleibt zwischen uns in diesen vier Wänden“, begann er. „Sie wissen, wie sehr ich Sie als Kollegin schätze, Frau Hildebrandt, und dass ich immer an einer Zusammenarbeit mit Ihnen interessiert war.“

„Das habe ich nicht vergessen, und umso mehr wundert es mich, dass Sie die Chance nun nicht ergreifen“, stimmte Anja ihm zu.

„Ich kann Golf nicht ausstehen. Ich fahre lieber mit meiner Frau Fahrrad oder gehe in die Berge. Golf ist nicht mein Sport, aber ich bin jede Woche am selben Tag auf dem Golfplatz und wissen Sie, warum?“, fragte er.

„Informationen.“

„Genau! Wir spielen zusammen und plaudern, und ganz nebenbei werden Vergleiche ausgehandelt und Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Der Golfplatz ist inoffiziell und besser als jeder Konferenzraum. Dort tauschen wir Anwälte uns offen aus, treffen uns mit – nennen wir es einmal – unangemessenen Klienten und verdienen unser Geld. Welche Kanzlei an der Spitze der Stadt fungiert, wird nicht vor Gericht, sondern auf dem Platz entschieden. Sie kennen das Spiel.“

Anja nickte.

„Weber ist einflussreich, und wer leichte Arbeitsbedingungen in der Stadt haben möchte, sollte sich besser nicht mit ihm anlegen. Er will, dass Sie die Stadt verlassen, und wenn Sie mich fragen, werden Sie keine größere Kanzlei finden, die das Risiko eingeht, sich mit ihm schlecht zu stellen. Er hat unmissverständlich klargemacht, wie viel ihm daran liegt, dass Sie aus München verschwinden“, rückte Schmidthuber mit dem eigentlichen Grund für seine Ablehnung heraus.

In Anja brodelte es. Hatte Klaus denn keinen Funken Anstand in sich? Sie war schwanger und musste beruflich bald wieder unterkommen. Ein Neuanfang in einer fremden Stadt, in der man sie nicht kannte und ihr guter Ruf ihr nicht helfen konnte, erforderte Zeit, die sie in ihrem Zustand nicht hatte. Wer stellte eine Schwangere ein, sosehr sie auch versichern mochte, selbst mit Kind weiterzuarbeiten?

„Womit haben Sie Weber derart auf die Palme gebracht? Ich habe ihn noch nie so vehement daran arbeiten sehen, einen Kollegen beruflich ins Aus zu manövrieren“, wollte Schmidthuber neugierig wissen. Er ging auf die sechzig zu, liebte teure Zigarren und hatte an der Spitze der Münchner Scheidungsanwälte gestanden, bis Klaus ihn verdrängt hatte.

Anja überlegte kurz. Gab sie Schmidthuber etwas gegen Klaus in die Hand, würde das vermutlich seine Meinung ändern. Ob eine gescheiterte Affäre und ein uneheliches Kind dafür allerdings ausreichten, wagte sie zu bezweifeln. Außerdem war ihr dieses Spiel zu schmutzig. Trotz allem war Klaus der Vater ihres Kindes, und sie hatte ihn geliebt. So tief wollte sie nicht sinken, egal wie übel er ihr mitgespielt hatte und mitspielte.

„Ich habe keine Ahnung!“, wies sie das unausgesprochene Angebot des Kanzleichefs zurück.

Er zuckte ein wenig enttäuscht die Achseln. In seinen Augen war Klaus Weber ein arroganter Aufsteiger und als Anwalt nicht halb so gut, wie er dachte. Es hätte Schmidthuber durchaus Vergnügen bereitet, Weber ein paar dicke Prügel in den Weg zu werfen, aber wenn die Hildebrandt nicht wollte, dann war das ihre Sache.

„Es tut mir leid! So gerne ich Sie in meiner Kanzlei hätte, ist mir der Preis zu hoch. Dafür haben unsere Kanzleien zu oft mit denselben Fällen zu tun, und eine gute Verhandlungsbasis ist entscheidend. Ich kann Sie nicht einstellen“, beendete er das Gespräch und signalisierte, dass Anja gehen konnte.

Frustriert verließ sie sein Büro. Es gab im Prinzip nur noch eine Kanzlei, die für eine Anwältin ihres Schlages infrage kam. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort dort anders ausfallen würde, war gering. Klaus drohte ihre ganze Existenz zu zerstören.

„Sie sind im selben Golfclub wie Dr. Weber, nehme ich an“, bemerkte sie denn auch eine Woche später resigniert, als sie mit dem letzten Kanzleichef gesprochen hatte.

„Jede Woche ziehen wir unsere Runden über den Platz und füllen unsere Lungen mit Sauerstoff“, stimmte er zu und lächelte breit. „Wie gesagt, ich hätte Sie gerne im Team, aber leider, leider …“

„Ich weiß. Ich hätte rechtzeitig dem Golfclub beitreten sollen.“

„Das hätten Sie, aber es ist ein äußerst exklusiver Club“, erwiderte er.

„Danke für Ihre Zeit!“ Anja ging, ohne ihm ihre Faust ins selbstzufriedene Gesicht zu schlagen, und war von sich selbst tief beeindruckt. Auch wenn ihre Welt ein einziger Scherbenhaufen war, so verfügte sie zum Glück zumindest über Selbstdisziplin.

Verzweiflung und Panik ließen sich kaum noch unterdrücken. Wie sollte es weitergehen? Ohne Arbeit konnte sie sich und ein Kind nicht durchbringen. Für einen Neuanfang in einer anderen Stadt war es viel zu spät, und sie hatte kaum Rücklagen gebildet, obwohl sie gut verdient hatte.

Die Miete für ihre Wohnung war horrend, aber sie hatte doch gewollt, dass Klaus sich zu Hause fühlte. Dazu kamen viel zu kostspielige Weine, Menüs, Dessous und Ähnliches. Bezahlt hatte meist sie, denn schließlich hatten sie sich weitgehend bei ihr aufgehalten und waren so gut wie nie vor die Tür gegangen. Auf den Gedanken, Klaus auch einmal zur Kasse zu bitten, war sie nie gekommen. Für sie waren sie ein Paar gewesen, und da rechnete man nicht auf.

Nun musste sie schleunigst eine kleinere und billigere Wohnung finden und umziehen. Sie brauchte einen Notfallplan, wie sie die kommenden Monate bis zur Geburt und die ersten sechs Monate danach überstehen wollte. Vorher würde sie kaum Arbeit finden. Ihre Rücklagen reichten nicht, um sich für ein Jahr oder länger zu finanzieren.

Was Klaus ihr antat, war unverzeihlich. Sie war bestürzt über so viel Grausamkeit und Egoismus. Sein rücksichtsloses Verhalten warf ein völlig neues Licht auf die letzten Jahre und ließ sie an allem zweifeln, auch an ihren beruflichen Prioritäten, die sie von ihm übernommen hatte.

***

„Frau Hildebrandt, dann habe ich mich doch nicht getäuscht, als ich Sie ins Büro des großen Chefs gehen sah“, wurde sie von einer vertrauten Männerstimme angesprochen, als sie die Kanzlei verließ und düster vor sich hin grübelte.

„Stifter, scheren Sie sich zum Teufel!“, knurrte sie, ohne sich nach ihm umzudrehen.

„Dann war es eine Absage mehr. Alles andere hätte mich auch gewundert. Charakter ist nicht unbedingt eine Eigenschaft, die einen an die Spitze bringt, schätze ich, und Sie stehen zurzeit auf einer roten Liste. Es gehört einiges an Charakter dazu, Sie einzustellen. Falls es Sie tröstet, ich würde Sie mit Kusshand nehmen. Sie sind gut“, plauderte er weiter, als ob sie ihn freundschaftlich begrüßt hätte.

„Das tröstet mich ganz und gar nicht, aber herzlichen Dank!“, knurrte sie. Stifter praktizierte ohne Partner und hatte mit Sicherheit nicht die Kapazität, einen Anwalt zu beschäftigen.

„Bitte! Bitte! Gern geschehen!“ Er grinste sie an, und als sie weiterging, ging er neben ihr her. „Die großen Kanzleien sind Sie durch, soweit ich das beurteilen kann. Sie Arme! Im Augenblick wird hinter vorgehaltener Hand viel über Sie gemunkelt. Was hat den mächtigen Weber dazu veranlasst, sein bestes Pferd hinauszuwerfen und es auch gleich noch aus der Stadt zu jagen? Verraten Sie es mir?“

„Nein!“, blaffte sie.

Er lachte.

„Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir den letzten Nerv zu rauben? Im Augenblick ist es, fürchte ich, nicht eben schlau, sich mit mir sehen zu lassen. Unglück färbt ab“, warnte sie giftig.

„Mir macht so etwas nichts aus, Frau Hildebrandt. Sie kennen mich doch! Außenseiter mit geringen Chancen sind meine Spezialität“, meinte er heiter. „Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“

„Nein!“

„Dann vielleicht ein Tee?“ Nach einem Blick in ihr Gesicht, wartete er erst gar keine Antwort ab. „Aber einen gemütlichen Plausch auf einer Parkbank? Das können Sie mir nicht verwehren. Da vorne kommt gleich der Englische Garten und …“

„Nein! Um Himmels willen, was wollen Sie eigentlich von mir, Stifter? Ich bin am Ende. Von Ihnen hätte ich am allerwenigsten erwartet, dass Sie den Triumph auskosten müssen“, verlor Anja die Fassung.

„Dann lassen Sie sich von den Golfclub-Paschas den Schneid abkaufen? Von Ihnen hätte ich mehr erwartet“, kam es spöttisch zurück.

„Halten Sie den Mund!“ Wütend blieb Anja stehen und stemmte die Hände in die Seiten. „Mir kauft keiner den Schneid ab, und auf Ihren Spott kann ich verzichten!“

Dr. Peter Stifter war in der Münchner Anwaltswelt ein Unikum. Anja hatte oft mit Klaus über ihn gelacht. Dabei war Stifter ein brillanter Anwalt. Er arbeitete allein, vertrat meist die hoffnungslosen Fälle und schlug mit Bravour das Beste für sie heraus.

Zu seinen Klientinnen gehörten Frauen, die ins Frauenhaus hatten fliehen müssen und alle, die bei einer Scheidung über den Tisch gezogen werden sollten. Mit viel Fantasie und Beredsamkeit versuchte er, ihnen Recht zu verschaffen.

Anja hatte gegen ihn gewonnen und auch gegen ihn verloren. Als Anwalt schätzte sie ihn, als Mensch fand sie ihn penetrant. Seine hohen moralischen Grundsätze in Bezug auf seinen Beruf waren nach allem, was sie sagen konnte, tatsächlich echt. Das machte ihn im Haifischbecken der erfolgreichen und vor allem ungeheuer reichen Scheidungsanwälte zum Clownfisch in seinen Anzügen von der Stange.

Soweit Anja wusste, arbeitete er häufig ohne Honorar, und zum Gericht fuhr er in der Regel mit dem Fahrrad. Er war Ende dreißig, auf eigenwillige Weise attraktiv, und er wirkte in einem Anzug immer ein wenig wie ein Hochstapler.

Trotz seines Doktortitels und seiner Siege vor Gericht behandelten ihn seine Kollegen mit einer gewissen Herablassung, die ihn nicht wirklich zu stören schien. Im Gegenteil, er schien stolz darauf zu sein, nicht dazuzugehören.

Stifter legte sich mit allen Autoritäten an, wenn es für das Wohl seiner Klienten erforderlich war, und hielt sich an keine ungeschriebenen Gesetze der Zunft. Dadurch grenzte er sich selbst immer mehr aus. Und seine spitze Zunge machte das nicht besser.

Viele seiner humoristisch treffenden Kommentare vor Gericht fanden sich in der Presse wieder. Journalisten liebten ihn dafür, Richter verwarnten ihn dafür, und Kollegen wünschten ihm regelmäßig die Pest an den Leib, weil er sie öffentlich bloßstellte. Anja hatte auch schon einige verbale Ohrfeigen von ihm einstecken müssen und konnte ihn nicht ausstehen.

„Lassen Sie mich zusammenfassen! Sie sind brillant, aber solange Weber auf dem Kriegspfad ist, haben Sie in München schlechte Karten. Ich habe Ihnen keine nennenswerte Alternative zu bieten, aber ich habe mehr Fälle, als ich bewältigen kann, und könnte jemanden brauchen. Ich meine …“

„Bieten Sie mir etwa eine Stelle an?“ Sie war sprachlos.

„Nein, ich habe nicht vor, Sie einzustellen. Das könnte ich mir nicht leisten. Aber ich habe in meiner Kanzlei mehr Platz, als ich brauche. Sie könnten sich ein Büro bei mir einrichten und loslegen. Wir teilen uns die Miete und die Kosten für die Sekretärin. Damit ist uns beiden gedient. Bei Ihrem Ruf werden Sie schnell wieder eigene Klienten haben. Und bis es so weit ist, habe ich genug für uns beide. Was meinen Sie?“

„Ist das Ihr Ernst?“ Anja hatte keine Ahnung, wie sie auf das unerwartete Angebot reagieren sollte. War sie schon so verzweifelt, dass sie ernsthaft mit dem Gedanken spielte, es anzunehmen? Sie spürte in sich hinein. Und ob sie verzweifelt genug war! Er hielt ihr einen Strohhalm hin, und sie hatte gerade das Gefühl zu ertrinken. Wie sollte sie da widerstehen?

„Ich bin schwanger“, sagte sie in einem angriffslustigen Ton, denn ihr graute davor, dass er sein Angebot zurückziehen würde.

„Das freut mich für Sie! Kinder sind etwas Wunderbares“, reagierte er herzlich und verbarg seine Überraschung. Soweit er wusste, war sie Single und hatte keinen Gefährten. Aber so etwas konnte sich schnell ändern. Zudem ging es ihn nichts an.

„Ja. Und?“ Anja wusste nicht, was sie mit dieser Antwort anfangen sollte.

„Und was?“, fragte er verdutzt.

„Verdammt! Ich möchte wissen, ob Sie mich trotzdem noch wollen, oder nicht“, schrie sie fast.

„Selbstverständlich! An meinem Angebot ändert das nichts. Solange Sie die Hälfte von Miete und Sekretärin übernehmen, geht mich Ihr Privatleben nichts an. Frau Hildebrandt, wir wären einfach nur Kollegen, die sich ein Büro teilen und dadurch Kosten sparen. Das ist alles.“

Anja zögerte. Er bot ihr eine Perspektive. War ihr Kind erst einmal älter, konnte sie immer noch andere Wege einschlagen, aber vorerst war sein Angebot die Rettung.

„Ich möchte gerne einmal darüber schlafen“, sagte sie dennoch nicht gleich zu, weil sie nicht gierig erscheinen wollte. Allerdings war ihr klar, dass es etwas zu spät war, um den Schein noch wahren zu können.

„Nehmen Sie sich Zeit! Wollen Sie sich das Büro einmal anschauen? Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, ich habe heute keine Termine mehr und könnte Ihnen alles zeigen.“

***

Die Kanzlei lag in keinem sonderlich guten Viertel Münchens. Das Haus, in dem sie im Erdgeschoss untergebracht war, war ein Altbau und kaum saniert. Die drei Meter hohen Räume und der alte, knarzende Dielenboden hatten Charme, aber einem Vergleich mit Klaus’ moderner und luxuriöser Kanzlei hielt das bei Weitem nicht stand.

„Die Zeitung für postmoderne Innenarchitektur wird eher keinen Artikel über uns bringen, aber man kann hier gut arbeiten“, verteidigte Stifter sein Reich, noch bevor Anja etwas Negatives sagen konnte.

„Für eine entsprechende Klientel ist das Ambiente hier unvereinbar“, meinte sie nur zurückhaltend. Der Mietpreis, den er ihr genannt hatte, lag für sie genau im Rahmen, und von daher konnte sie nicht mehr erwarten.

„Wie wahr! Wie wahr! Millionäre gehen hier eher selten aus und ein. Aber für diese Klientel gibt es in München die Webers, Schmidthubers und mehr. Glauben Sie mir, geschieden wird in allen Gesellschaftsklassen, und rechtlichen Beistand brauchen viele Menschen, auch wenn es dabei nicht um Millionen geht, die verteilt werden müssen“, meinte er ironisch.

„Ja, da haben Sie recht.“

„Aber glauben Sie nicht, dass es deswegen weniger zur Sache geht. Für einige Menschen sind ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine Grund, sich an die Kehle zu gehen, weil es existenzielle Ängste auslöst, die Dinge zu verlieren. Das Leben ist vielschichtig und kompliziert“, fuhr er fort.

„Sie sind ein Philosoph. Erfrischend. In unserem Beruf muss man wohl zynisch werden“, stellte Anja fest. „Wer kann noch an die große Liebe und Wolke Rosa glauben, wenn er immerzu sieht, wie Menschen miteinander umgehen, sobald die Liebe erloschen ist.“

Sie war in Gedanken bei Klaus. Noch vor einer guten Woche war sie überzeugt gewesen, keinen Menschen besser zu kennen als ihn. Nun wusste sie so gut wie nichts mehr über diesen Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken, alles daransetzte, ihre Existenz zu zerstören.

Stifter sah sie versonnen an und blieb still. Sie war schwanger, und sie war eindeutig verbittert. Allmählich setzte er das Puzzel zusammen und ahnte, warum Weber derart gegen sie hetzte. Warum mussten intelligente und sensible Frauen wie Anja Hildebrandt nur immer wieder auf stupide Machtmenschen wie diesen Weber hereinfallen? Sie tat ihm leid, aber er ließ sich nichts anmerken.

„Sehen Sie das anders?“, hakte sie nach und hatte plötzlich das Gefühl, zu viel von sich preisgegeben zu haben. Warum hatte sie bei diesem Menschen nur ständig das Gefühl, dass er hinter die Masken sah und geradezu Gedanken lesen konnte? Er ging ihr schon jetzt auf die Nerven, aber sie würde sich an ihn gewöhnen müssen.

„Wunden heilen, und dann kommen die Träume und Illusionen von ganz alleine zurück. Wir wollen doch alle nur ein wenig glücklich sein und jemanden haben, der uns sagt, wie toll wir sind. Ich sehe viel, aber ich glaube an die Liebe, denn es gibt keine Alternative zu ihr“, antwortete er ruhig.

Das Telefon in seinem Büro klingelte, bevor Anja antworten konnte, und sie war dankbar dafür. Er verwirrte sie und war vollkommen anders, als sie gedacht hatte.

„Peter mag streunende Katzen und schleppt sie alle hier an“, sprach die Sekretärin sie an, die bei der Vorstellung mehr als reserviert geblieben war. Stifter duzte sich mit ihr, und sie war offensichtlich mehr eine Freundin als eine Angestellte für ihn.

Mechthild Bäumler war Anfang fünfzig, kleidete sich aber wie Mitte zwanzig, und ihre verlängerten Fingernägel wirkten wie Krallen, vor denen man sich besser hüten sollte. Anja hatte sofort gespürt, dass die Frau ihr Kommen kritisch sah und sie lieber nicht in der Kanzlei haben wollte, und nun wusste sie auch, warum.

„Er hätschelt sie, füttert sie und baut sie auf, bis es ihnen wieder gut geht. Wenn sie ihn dann beißen und kratzen, bevor sie gehen, ist er jedes Mal wieder überrascht. Gute Menschen sind so. Sie geben nie auf, und sie lernen nichts aus ihren Fehlern“, fuhr die Sekretärin im Plauderton fort.

„Und Sie sind kein guter Mensch und möchten die Streuner gerne für Ihren Chef verjagen, bevor er blutige Schrammen davonträgt“, brachte Anja es auf den Punkt.

Mechthild Bäumler hob anerkennend eine Augenbraue und nickte.

„Richtig erkannt.“

„Das verstehe ich, und ich kann Sie beruhigen. Ich bin keine streunende Katze, die es auf das Mitgefühl Ihres Chefs abgesehen hat. Ich werde für ein, höchstens zwei Jahre das Büro mieten und mich an Ihrem Gehalt beteiligen, und dann bin ich wieder weg“, versprach Anja.

„Wunderbar! Sie sind ein Paradebeispiel für eine streunende Katze und glauben, nur weil Sie es vorher ankündigen, ist es besser. Wenn Sie Peter wehtun, wird Ihnen das leidtun. Er ist ein wirklich guter Mann, und von denen kenne ich nicht viele.“

„Ich werde ihm nicht wehtun!“

„Dann ist es gut!“

Die Frauen maßen sich noch mit Blicken, als Peter Stifter aus seinem Büro kam und zu ihnen trat.

„Frau Hildebrandt, geben Sie mir einfach in den nächsten Tagen Bescheid, wie Sie sich entscheiden! Ich muss noch schnell zu einer Klientin. Falls Sie hier einsteigen, freue ich mich.“ Mit diesen Worten ging er davon und ließ sie einfach in seiner Kanzlei stehen.

Verwundert sah Anja ihm nach. Sie hatte damit gerechnet, dass sie sich zumindest noch über die konkreten Bedingungen unterhielten.

„Notfall“, erläuterte Mechthild knapp.

„Ein guter Mensch“, kommentierte Anja.

„Ein gutmütiger Idiot“, brummte die Sekretärin und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

Anja ging alleine noch einmal in den Raum, den Stifter ihr als Büro angeboten hatte. Durch die hohen, großen Fenster fiel das Licht warm herein. Der Dielenboden glänzte, und es roch nach sauberem Holz und Büchern. Der Raum stand voller Bücher, und bisher nutzte Stifter ihn zur Recherche.

Anja überlegte sich, wohin sie ihren Schreibtisch stellen wollte. Für längere Besprechungen plante sie eine gemütliche Sitzgruppe mit Ledermöbeln, und natürlich brauchte sie ein paar große Grünpflanzen. Es würde ein gemütliches Büro werden, und vor allem würde es ihr erstes eigenes Büro sein.

So etwas wie Aufregung und Vorfreude stiegen in ihr hoch. Sich als Anwalt selbständig zu machen und nicht für eine der großen Kanzleien zu arbeiten erforderte Mut. Bisher war sie nicht auf diesen Gedanken gekommen, aber nun, wo es gar nicht mehr anders ging, merkte sie, dass die Herausforderung sie reizte.

Nach einem letzten gründlichen Blick, den sie durch den Raum gleiten ließ, hatte sie ihre Entscheidung getroffen. Ihre erste eigene Kanzlei mochte nicht in der ersten Gegend der Stadt liegen und auch nicht für die oberen Zehntausend geeignet sein, aber dafür bestimmte sie die Regeln ihrer Arbeitsweise.

Sie freute sich darauf, mit der Arbeit loszulegen, und irgendwie freute sie sich auch auf die Zusammenarbeit mit Peter Stifter. Klaus hatte sie gelehrt, eine gewitzte Anwältin zu sein, die immer ihr Eigeninteresse im Blick hatte. Sie ahnte, dass Peter Stifter mit seinem ganz anderen Herangehen an seinen Beruf ihre Ausbildung abrundete.

Hinterher konnte sie für sich entscheiden, was für eine Anwältin sie sein wollte. Klaus war zu dominant gewesen, und anstatt sich als Anwältin zu entfalten, war sie sein Schatten geworden und hatte im Grunde seinen Stil und seine Denkweise übernommen. Nun war es an der Zeit herauszufinden, was für eine Anwältin wirklich in ihr steckte.

***

Arbeit war ein Segen, und Anja tauchte tief in diesen Segen ein. Am Tag, nachdem sie sich ihr neues Büro angesehen hatte, ging sie in ein exklusives Büromöbelhaus und stellte die Einrichtung zusammen. Wollte man gewinnen, musste man etwas riskieren. Sie setzte einen beträchtlichen Teil ihrer Rücklagen ein, aber sie war sicher, das Richtige zu tun.

„Die Ledergarnitur können wir in vier Wochen liefern und die Schreibtischkombination steht …“, begann der Verkäufer, der selten erlebte, dass eine Kundin so zielsicher auf die Stücke deutete, die sie kaufen wollte.

„Da liegt ein Missverständnis vor“, stoppte sie seinen Redefluss. „Schauen Sie auf die Liste, die ich Ihnen eben diktiert habe. Das ist ein mittleres Vermögen, und ich bin gewillt, es zu investieren, aber nur, wenn Sie morgen liefern.“

„Morgen? Das ist vollkommen ausgeschlossen, Sie …“

„Schade, dann haben wir beide Zeit vergeudet. Vielen Dank!“ Anja schickte sich an zu gehen.

Die Möbel wurden am anderen Tag geliefert, und die Möbelpacker waren gegen einen Aufpreis gerne bereit, Stifters Regale und Bücher, die noch im Raum standen, für ihn zu verpacken und die Kisten und Bretter auf dem Flur zu stapeln.

Als er aus dem Gericht kam, deutete Mechthild Bäumler nur in stummem Protest auf die Kartons. Sie fand Anjas Vorgehen rücksichtslos und unverschämt. Konnte sie nicht warten, bis Peter die Zeit fand, seine Sachen herauszuräumen?

„Das ist dein Problem, Peter. Ich mache pünktlich Feierabend. Wenn du dir so jemanden ins Boot holst, ohne mich zu fragen, dann musst du auch die Konsequenzen tragen“, knurrte sie.

„Gib ihr eine Chance, Hildchen!“, bat er. „Sie weiß, was sie will, und sie ist nicht zu bremsen, wenn sie einmal loslegt. Kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor?“

„Pah! Ich habe mit dem Erfolgsweibchen rein überhaupt nichts gemeinsam. Komm mir bloß nicht mit der Tour!“

Stifter lachte und ging in Anjas Büro, um ihr zu ihrer außerordentlichen Tatkraft zu gratulieren, obwohl sie ihn damit in die Bredouille brachte.

„Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“, schimpfte er los, sobald er die Tür geöffnet hatte. „Sie sind schwanger, und das ist viel zu schwer für Sie. Warum sagen Sie nichts, wenn Sie Hilfe brauchen!“

Der schwere Schreibtisch stand nicht ganz so, wie Anja wollte, und so versuchte sie gerade, ihn herumzudrehen. Stifter eilte ihr zu Hilfe, und plötzlich stand auch Mechthild im Raum, schob Anja wortlos weg und packte mit an. Anja Hildebrandt war in ihren Augen eine dieser egoistischen Aufsteigerinnen, die ohne Rücksicht auf Verluste loslegten, aber die Tatsache, dass sie schwanger war, änderte alles.

„Wir sind hier ein Team und helfen uns gegenseitig. Gewöhnen Sie sich daran!“, brummte sie noch immer feindselig, aber etwas an ihrem Ton hatte sich verändert.

Stifter hatte nicht zu viel versprochen und deckte Anja vom ersten Tag an mit Klienten ein. Schon nach einem Monat kamen die ersten Klienten in die Kanzlei, die nicht auf Anjas rechtlichen Beistand verzichten wollten und dafür auch die Kanzlei wechselten. Ihr guter Ruf trug Früchte.

„Wenn ich dir auch nur in einem Fall nachweisen kann, dass du Klienten abwirbst, dann mache ich dich fertig!“, zischte Klaus ihr zu, als sie ihm am Gericht auf dem Flur in die Arme lief.

„Die Leute haben das Recht, zu mir zu wechseln, wenn sie das wollen. Ich betreibe keinerlei Werbung“, antwortete Anja sachlich und ließ ihn stehen.

Obwohl sie es nicht bemerken wollte, sah sie, dass es ihm nicht sonderlich gut ging. Er wirkte gehetzt, und seine Haut war fahl und grau. Ob seine Magengeschwüre wieder aufgebrochen waren? Empört wies sie die Frage von sich, sobald sie ihr in den Sinn gekommen war. Sein Gesundheitszustand war ganz allein sein Problem und ging sie nun wirklich nichts mehr an.

Anja arbeitete mit Eifer und hatte alles, was mit Klaus zu tun hatte, innerlich weit von sich geschoben. Es war ihr gelungen, ganz in der Nähe der Kanzle eine kleine, nette Altbauwohnung zu mieten. In München gab es keine günstigen Mieten, aber im Verhältnis zu ihrer bisherigen Miete zahlte sie weniger als ein Drittel.

In jeder freien Minute trieb sie den Umzug voran. Sie machte es sich schön, aber ein Raum blieb seltsam freudlos und leer – das Kinderzimmer. Zu diesem Zimmer fiel ihr nichts ein. Sie war inzwischen im sechsten Monat, und ihr Leib hatte begonnen, sich zu runden. Das Baby versetzte ihr die ersten Tritte, und sie empfand nichts dabei.

Sosehr wie sie sich auf dieses Kind gefreut hatte, so kalt und gleichgültig war es nun in ihr. Sie wollte ihr Baby lieben und sich darauf freuen, Mutter zu werden, aber es ging nicht. Spürte sie das Kleine in sich, war ihr, als ob Klaus sich mit Gewalt wieder in ihr Leben drängen wolle.

Ganz langsam, mit jeder Woche ein wenig mehr, erkannte sie, was in diesen fünf Jahren mit ihr geschehen war. Es entsetzte sie, dass sie sich für die Liebe dieses Mannes nahezu völlig aufgegeben hatte. Während der Arbeit vergaß sie alles, zu Hause fiel es jeden Abend über sie her. Um sich davor zu schützen, nahm sie Arbeit mit nach Hause und renovierte und packte Kisten im Akkord, ohne sich zu schonen.

Anja wollte vergessen und ganz neu anfangen, aber das ging nicht. In ihr wuchs ein Kind von Klaus heran. Er würde bis zu ihrem Tod Anteil an ihrem Leben haben durch dieses Kind. Sie wollte das ungeborene Leben in sich nicht ablehnen, aber sie tat es. Je weiter die Schwangerschaft voranschritt, umso stärker wuchsen Ablehnung und Furcht.

Auch wenn es ihr kein Herzensbedürfnis war, nahm Anja alle Kontrolluntersuchungen bei ihrem Frauenarzt redlich wahr. Sie war Juristin und verfügte über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Ursprünglich hatte sie aus genau diesem Grund das Jurastudium für sich gewählt. Auch wenn sie dieses Kind nicht mehr wollte, verfügte es über Rechte.

Bisher war ihr Frauenarzt immer hochzufrieden gewesen, und ihre Schwangerschaft war problemlos verlaufen. Nicht einmal in den ersten drei Monaten hatte sie zu Übelkeit geneigt, und falls sie hormonellen Veränderungen unterworfen war, fiel es ihr zumindest nicht auf.

Sah sie die anderen Schwangeren im Sprechzimmer ihres Arztes, fühlte sie sich meist fremd. Etwas an diesen Frauen strahlte von innen heraus. Je weiter sie in der Schwangerschaft waren, umso beseligter schien ihr Lächeln. Sie schienen immerzu liebevoll in sich hineinzulauschen und ganz in Liebe verschmolzen mit ihrem Kind.

Anja beobachtete es und hatte ein schlechtes Gewissen ihrem Kind gegenüber, das von alldem nichts bekam. In ihr leuchtete und strahlte nichts, und sie war froh, wann immer sie verdrängen konnte, dass sie schwanger war. Auf den Gedanken, sich zu schonen, kam sie nicht. Peter Stifter konnte sie damit in den Wahnsinn treiben.

„Hören Sie endlich auf, körperlich schwer zu heben und sich zu überanstrengen! Sie gehen fahrlässig mit Ihrer eigenen Gesundheit und der Gesundheit Ihres Kindes um. Wie kann man so intelligent sein wie Sie und zugleich so dumm!“ Das hielt er ihr immer wieder vor und unterstützte sie, wo immer er konnte.

Er ließ es sich nicht nehmen, ihr auch beim Umzug zur Hand zu gehen, und wurde fuchsteufelswild, wenn er mitbekam, dass sie selbst Kisten trug. Anja wusste nicht genau, ob sie seine Hilfsbereitschaft nervend oder rührend fand.

Unter anderen Umständen hätte sie ihn gemocht, aber Klaus hatte sie gelehrt, Männern nicht zu trauen. Daher hielt sie Peter Stifter auf Distanz. Er drängte sich nicht auf und stellte keine persönlichen Fragen. Irgendwann hoffte er, würde Anja sich von alleine öffnen und erzählen, was sie derart aus der Bahn geworfen hatte. Vorerst war er ihr dankbar, dass sie ihm immerhin erlaubte zu helfen. Das war ein Anfang.

„Ihr Kind entwickelt sich sehr gut und ist gesund. Wollen Sie das Bild vom Ultraschall?“, hatte Anjas Frauenarzt ihr bei der letzten Untersuchung angeboten.

„Nein danke! Damit fange ich nichts an“, hatte sie abgelehnt, ohne sich das Bild überhaupt anzusehen. Die Miene des Arztes sprach Bände. Das hatte er noch nicht oft erlebt.

„Frau Hildebrandt, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten“, hatte er nach der Untersuchung das Gespräch mit ihr gesucht. „Als Sie das erste Mal zu mir kamen, waren Sie vor Freude über Ihre Schwangerschaft ganz außer sich. Von dieser Freude auf Ihr Kind spüre ich nichts mehr.“

„Mein Lebensgefährte hat sich von mir und dem Baby distanziert, und ich muss hart arbeiten, um gute Bedingungen für die Zeit mit einem Kleinkind zu schaffen. Ich werde allein für das Kind verantwortlich sein und hatte nie vor, eine Alleinerziehende zu sein“, antwortete Anja, wenn ihr das Thema auch unangenehm war.

„Das verstehe ich. Sie wissen, dass Sie auch jetzt noch die Möglichkeit haben, sich gegen ein Kind zu entscheiden, oder? Es gibt in Deutschland viele Paare, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein eigenes Kind, aber leider ist ihnen das nicht möglich. Sollten Sie Ihr Kind zur Adoption freigeben, wird es ihm gut gehen und es wird geliebt werden. Ich kann Ihnen …“

„Was reden Sie denn da? Das ist mein Kind, und ich werde es großziehen“, schnaubte Anja und wurde wütend. „Das ist mein Kind!“

„Selbstverständlich! Entschuldigen Sie!“

Was sie ihm nicht sagte, war, dass sein Vorschlag einfach zu spät kam. Alle am Gericht hatten inzwischen gesehen, dass sie schwanger war – Klienten und Kollegen wussten Bescheid. Was sollte sie sagen, wenn man sie irgendwann nach ihrem Kind fragte? Wie sollte sie erklären, warum sie es nicht selbst großziehen wollte?

Finanziell stand sie dank Stifter sicher und gut da. Sie hatte nicht vor, beruflich auszusetzen, sondern wollte das Baby mit ins Büro nehmen. Stifter und Mechthild waren unglaublich. Sie hatten ihr anstandslos einen kleinen Raum ausgeräumt, in dem das Kind schlafen konnte, und beide hatten ihr angeboten, auch einmal nach dem Kleinen zu sehen, wenn sie ins Gericht musste. Natürlich würde sie zusätzlich stundenweise ein Kindermädchen brauchen, aber das ließ sich alles organisieren und bezahlen.

Die Tatsache, dass der Vater des Kindes sie verletzt und enttäuscht hatte, war kein Argument, um ihr Kind wegzugeben. Zahllose Frauen, die ihre Kinder trotzdem innig liebten, teilten da ihr Schicksal. Nein, eine Freigabe zur Adoption konnte sie vor den Leuten nicht rechtfertigen.

Wütend auf den Arzt war sie, weil sie bei seinem Vorschlag für den Bruchteil einer Sekunde Erleichterung verspürt hatte. Für einen flüchtigen Moment hatte sie eine Lösung gesehen, die sie von diesem Leben als Mutter befreite, das auf sie zu kam, ohne dass sie es noch wollte.

***

„Das muss ich mir genauer anschauen!“, sagte der Frauenarzt mehr zu sich als zu Anja, als sie zur nächsten Kontrolle bei ihm war und er wieder einen Ultraschall machte. Seine Miene war angespannt.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, wollte Anja wissen und hatte schlagartig bange Gefühle.

„Ich bin mir nicht sicher.“ Er machte mehrere Bilder, die er sich genau ansah und vermaß einiges, dann nickte er ernst. „Frau Hildebrandt, ich möchte Sie gerne zu einem Kollegen von mir schicken, der andere Möglichkeiten hat, um eine genau Diagnose zu erstellen. Vor allem kann Dr. Holl, sollte sich mein Verdacht bestätigen, unter Umständen rechtzeitig operativ eingreifen und …“

„Eine Operation? Ich bin in der vierundzwanzigsten Woche, und das Baby ist außerhalb meines Leibes noch nicht überlebensfähig. Herz und Lungen sind noch nicht so weit entwickelt. Das habe ich gelesen und …“ Anja holte Atem und versuchte, sich zu beruhigen. „Was meinen Sie damit?“, fragte sie so sachlich und ruhig, wie es ihr möglich war.

Sie wollte dieses Kind nicht, aber es war ihr Kind, und sie trug die Verantwortung. Hatten ihre bösen Gedanken dafür gesorgt, dass etwas nicht mehr stimmte? War sie dabei, ihr Kind zu ermorden, weil sie es nicht lieben konnte. Panik kletterte in ihr hoch.

„Die Medizin ist inzwischen in der Lage, vor der Geburt Operationen im Uterus vorzunehmen. Bleiben Sie ganz ruhig, Frau Hildebrandt! Noch ist es nur ein Verdacht, und ich möchte Dr. Holl nicht vorgreifen. Vielleicht liege ich falsch, und er sieht andere Therapiemöglichkeiten oder findet, dass wir abwarten sollten. Auf jeden Fall müssen Sie umgehend zu ihm gehen. Er praktiziert in der Berling-Klinik hier in München und ist zugleich auch der Leiter der Klinik.“

Der Frauenarzt überlegte kurz und griff dann zum Telefon.

„Am besten rufe ich gleich selbst an und mache einen Termin für Sie. Das muss schnell gehen, und Dr. Stefan Holl ist ein begehrter Spezialist. Sie sind ein Notfall und brauchen umgehend einen Termin.“

„Aber was ist denn überhaupt los?“ Anja stiegen Tränen in die Augen. Das hatte sie nicht gewollt. Sie war wütend und überfordert und wollte ihr Leben zurück, wie es vor der Affäre mit Klaus gewesen war – ohne dieses Kind. Aber trotz alldem hatte sie ihrem Kind nicht schaden wollen.

„Ihr Baby hat sich ungeschickt gedreht, und dabei hat sich die Nabelschnur um seine Beine gewunden. Ein Bein droht hoch am Oberschenkel und das andere am Knie abgeschnürt zu werden. Ihr Baby könnte beide Beine verlieren und Schlimmeres“, teilte der Arzt ihr mit.

Entsetzt sah sie ihn an. Das durfte nicht geschehen! Ihr Kind musste gesund zur Welt kommen. Sie schwor sich, alles für dieses kleine Leben zu tun. Zur Not würde sie die Kraft aufbringen, sich dem Gerede der Leute zu stellen und es wegzugeben, wenn sie nicht lernte, es zu lieben. Es musste gesund zur Welt kommen! Das war sie ihm schuldig.

„Wie gesagt, Dr. Holl hat technisch andere Möglichkeiten, die Diagnose zu bestätigen. Hoffen wir, er gibt Entwarnung“, beruhigte sie der Frauenarzt und war trotz des Ernstes der Lage erleichtert. Anja Hildebrandt hatte eindeutig Probleme damit, ihre Schwangerschaft anzunehmen, aber ihr Baby war ihr nicht gleichgültig. War das Kleine erst einmal da, würde sie es lieben, davon war er nun überzeugt.