Die besten Ärzte - Sammelband 45 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 45 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1810: Deine Sucht wird alles zerstören
Notärztin Andrea Bergen 1289: Hoffnung für Mareile?
Dr. Stefan Frank 2243: Gemeinsam sind wir stark!
Dr. Karsten Fabian 186: Da sprach sie den Landarzt schuldig
Der Notarzt 292: Einen Moment nicht aufgepasst

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 574

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Katrin Kastell Marina Anders Stefan Frank Ulrike Larsen Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 45

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Bastei Verlag/v. Sarosdy

ISBN: 978-3-7517-2951-2

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 45

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1810

Deine Sucht wird alles zerstören

Die Notärztin 1289

Hoffnung für Mareile?

Dr. Stefan Frank 2243

Gemeinsam sind wir stark!

Dr. Karsten Fabian - Folge 186

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Da sprach sie den Landarzt schuldig

Der Notarzt 292

Einen Moment nicht aufgepasst

Guide

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Contents

Deine Sucht wird alles zerstören

Wenn die perfekte Fassade zu bröckeln beginnt

Von Katrin Kastell

Werner und Isabel Zobel leben in einer vermeintlich heilen Welt: eine glückliche Ehe, eine erfolgreiche Arztpraxis, eine entzückende fünfjährige Tochter, ein schönes Haus in München, ein netter Freundeskreis, zu dem auch Dr. Holl und seine Frau Julia gehören.

Doch durch diese Idylle verläuft ein tiefer Riss, denn Isabel trinkt. Mittlerweile greift sie schon morgens früh heimlich zur Flasche. Erst als es fast zu einer Katastrophe und Isabel ins Delirium fällt, gehen Werner die Augen und er liefert sie in die Berling-Klinik ein.

Die Ärzte kämpfen um ihr Leben, aber kaum kann Isabel sich wieder einigermaßen auf den Beinen halten kann, verschwindet sie aus der Klinik. Kurz darauf sitzt sie in einer Bar vor einem Cocktail und schließt innerlich mit ihrem Leben ab …

„Sina wird schon fünf Jahre alt. Ist das zu fassen, Stefan?“ Julia Holl schüttelte verwundert den Kopf, während sie die Einladungskarte zum Kindergeburtstag ihres Patenkindes an ihren Mann weiterreichte. „Die Taufe war doch erst! Wo bleibt nur die Zeit?“

Dr. Stefan Holl, der Leiter der Berling-Klinik in München, hatte sich gerade einen Kaffee eingeschenkt und ließ sich zu einem langen, genüsslichen Sonntagsfrühstück am Familientisch nieder. Noch waren seine Frau Julia und er allein. Es war kurz nach acht Uhr. Nach und nach würden ihre vier Kinder dazustoßen.

Die Zwillinge Marc und Dani waren mit zwanzig die ältesten und studierten an der Universität in München. Dann folgte Chris mit fünfzehn, und Juju, das Nesthäkchen, war elf. Saßen erst einmal alle Holls beim Frühstück, war es mit der sonntäglichen Ruhe und Beschaulichkeit vorbei.

Dann ging es hoch her, und manchmal redeten alle Kinder gleichzeitig. Es war der Tag in der Woche, an dem in der Regel alle zusammentrafen und sich austauschten. Was gab es da nicht alles zu erzählen! Jeder wollte unbedingt Gehör finden.

Im Moment genossen Stefan und Julia noch die Stille und unterhielten sich entspannt. Unter der Woche hatten sie zum Reden oft wenig Zeit. Je nachdem, was in der Berling-Klinik los war, kam Stefan spät heim und war müde. Meist erzählte er dann nur noch ein wenig über seinen Arbeitstag, und dann gingen sie ins Bett.

Julia war selbst Ärztin, auch wenn sie ihren Beruf zugunsten ihrer Kinder nicht mehr ausübte. Sie unterstützte ihren Mann und machte ihm so gut wie nie Vorwürfe, wenn er später kam. Wie viele Ehefrauen von Ärzten hatte sie gelernt, ihre Familie weitestgehend alleine zu managen. Stefan tat, was ihm möglich war, aber die Hauptverantwortung für Kinder und Haus hatte immer auf ihr geruht.

„Die Zeit verfliegt“, stimmte Stefan ihr zu. Er war Gynäkologe und hatte Sina Zobel auf die Welt geholt. Ihre Eltern, Dr. Werner Zobel und Dr. Isabel Zobel, hatten einige Jahre in der Berling-Klinik gearbeitet. Die Männer waren Freunde geworden, obwohl Stefan Holl mit inzwischen Ende vierzig gut zehn Jahre älter war als sein Kollege, und auch Julia und Isabel verstanden sich sehr gut.

„Kannst du dir vorstellen, dass Isabel und Werner ihre eigene Praxis vor acht Jahren eröffnet haben? Seit acht Jahren arbeiten sie nun schon nicht mehr in der Berling-Klinik. Werner fehlt mir besonders. Ich habe keinen so hervorragenden Orthopäden und Unfallchirurgen wie ihn mehr gefunden.“

„Deine Ansprüche sind auch himmelhoch, mein Lieber. Jammere nicht! Werner und Isabel kommen immer gern und übernehmen die Behandlung von deinen Patienten, wenn du sie nur rufst“, erinnerte ihn Julia trocken, die wusste, dass er auf einem hohen Niveau klagte. Für seine Klinik konnte ihm kein Arzt gut genug sein.

„Der Kindergeburtstag ist nächsten Samstag, und du hast natürlich Wochenenddienst. Wer hat hier jeden Grund zum Jammern?“

„Du, mein Herz. Was bin ich froh, dass du Kindergeburtstage liebst und gerne hingehst – auch ohne mich!“, reagierte er zwinkernd.

„Ja! Was bist du froh!“

Sie lachten.

Mit den Jahren waren die Zobels enge Freunde geworden, und Julia freute sich, Sina und ihre Eltern einmal wiederzusehen. Leider war Zeit in beiden Familien Mangelware, und so traf man sich seltener, als man gerne wollte.

„Vielleicht könnt ihr einen Termin zum gemeinsamen Grillen bei uns im Garten finden. Ich möchte Werner schon gerne einmal wiedersehen und Isabel natürlich auch“, schlug Stefan vor.

Auf die Lautstärke und den Trubel eines Kindergeburtstags verzichtete er allerdings liebend gerne. Ein geselliges Zusammensitzen und Reden waren mehr nach seinem Sinn. Er bedauerte es, so wenig Zeit für Geselligkeit mit Freunden erübrigen zu können.

„Ich sehe, was ich tun kann“, versprach Julia. „Der Sommer fängt schließlich erst an. Da wird sich hoffentlich schon noch ein offener Termin finden lassen.“

Am nächsten Samstag machte sie sich gemeinsam mit Juju auf den Weg zu den Zobels. Juju liebte es, sich mit Kindern zu beschäftigen, und freute sich auf den Nachmittag. Sie träumte davon, bald als Babysitter ein paar Euro zu verdienen, aber ihre Mutter fand, dass sie noch mindestens zwei bis drei Jahre warten sollte.

Julia hatte mit Isabel telefoniert und wusste grob, was auf sie zukam. Sie hatte einen Berg kleiner Muffins gebacken und sie zusammen mit Juju fantasievoll mit Gummibärchen, bunten Leckereien und Lebensmittelfarbe dekoriert. Die Muffins waren auf mehrere Papierteller verteilt, damit man sie an unterschiedlichen Orten aufstellen konnte. Sie waren als süßer Happen für zwischendurch gedacht.

Zehn ausgelassene Kindergartenkinder mussten für ein paar Stunden beschäftigt und gebändigt werden – keine leichte Aufgabe. Zum Glück war es ein warmer Tag Anfang Juni, und die Party konnte, wie geplant, im Garten stattfinden.

Als Julia und Juju ankamen, war die wilde Heerschar eben eingetroffen und komplett. Drei Mütter erbarmten sich und blieben, um zu helfen. Der Garten war liebevoll geschmückt, und überall gab es für die Kleinen etwas Besonderes zu entdecken. Schaukel, Rutschbahn und Trampolin lockten.

Sina war vor Freude noch ganz sprachlos und sah sich nur mit riesigen Augen um, als Julia ihr gratulierte. Wenig später stob sie als der wildeste Troll durch den Garten. Die Kinder rannten und tobten ohne Pause. Es gab Sackhüpfen, Topfklopfen, Fangen und Verstecken und zum krönenden Abschluss vor dem Essen einen Wettbewerb im Seilziehen.

Mit hochroten Gesichtern und glänzenden Augen setzten sich die Kinder an den Tisch, als die knusprigen Hähnchennuggets und Pommes Frites von einem Partyservice gebracht worden waren. Mit Begeisterung verspeisten sie wahre Berge, und bis auf kleinere Unfälle und ein paar Tränen, die schnell getrocknet werden konnten, lief die Party wie am Schnürchen.

Nach drei Stunden spürte Julia jeden Knochen und beäugte unauffällig die deutlich jüngeren Mütter. Das Ergebnis war beruhigend für sie. Isabel und die drei Frauen waren genauso erledigt. Juju dagegen wirbelte zwischen den Kindern umher und leistete Großartiges. Sie war offensichtlich in ihrem Element.

Mit Freude sah Julia, wie leicht es ihrer Kleinen fiel, auf die Fünfjährigen einzugehen und sie zu motivieren. Juju hatte ein Händchen für Kinder. Ob sich das irgendwann in ihrer Berufswahl niederschlagen würde? Julia war Kinderärztin geworden, weil sie über dasselbe Talent verfügte. Es war ein schönes Gefühl zu sehen, dass sie es an ihre Kleine weitergegeben hatte.

Am späten Nachmittag stieß Werner Zobel zu ihnen und wurde nicht nur von Sina jubelnd empfangen. Die Kinder hingen wie eine Traube um ihn, und Julia fragte sich, ob sie wohl jemals müde wurden. Werner wirbelte sie abwechselnd herum und jagte sie fröhlich durch den Garten.

„Hallo, Julia! Ist das schön, dich wieder einmal hier zu haben!“, begrüßte er die Freundin herzlich im Vorüberrennen. „Der Rechner in der Praxis hat gestern Abend pünktlich den Geist aufgegeben. Ich hatte mich so auf Sinas Geburtstagsparty gefreut, und jetzt habe ich sie mit einem mürrischen IT-Techniker, der auch lieber zu Hause bei Frau und Kindern gewesen wäre, in der Praxis verbracht. Das Leben kann gemein sein!“

„Dafür bist du jetzt frisch und unverbraucht, mein Guter, und wir Damen können einmal für zehn Minuten die Füße hochlegen“, neckte sie ihn schmunzelnd. „Die Schichtablösung kommt genau rechtzeitig.“

„Na dann! Es hat immer alles sein Gutes“, meinte er lachend, und schon wollte der nächste kleine Junge herumgewirbelt werden.

„Duuuu!“ Ein kleines Mädchen stand plötzlich vor Julia und sah sie vertrauensvoll an. „Duuuu!“

„Ja?“

„Ich muss aufs Klo.“

„Dann komm am besten gleich mit!“ Julia nahm das Kind an die Hand und führte es zu dem WC im Untergeschoss des Hauses, das vom Garten aus leicht zugänglich war. Zufällig stand die Tür des Vorratsraumes daneben offen, weil Isabel gerade draußen frische, kühle Getränke nachfüllte.

Arglos warf Julia einen Blick hinein. Da standen mindestens zwölf Kisten zu je sechs Flaschen eines handelsüblichen Sektes. Ein relativ großer Leergutkorb daneben war gut mit Sektflaschen gefüllt. Julia dachte sich nicht wirklich etwas dabei. Sicher hatten Isabel und Werner ein größeres Fest gefeiert und zu viel eingekauft. Das passierte Stefan und ihr auch immer wieder.

Gegen achtzehn Uhr kamen die Mütter angefahren und holten ihre Kinder ab. Im Garten schien es plötzlich fast betäubend still, bis Sina zu weinen begann. Sie war überreizt und müde. Als ihre Mutter sie ins Badezimmer bringen wollte, um sie fürs Bett zu richten, protestierte sie tränenreich.

„Tante Julia soll das machen! Tante Julia!“

„Soll ich dich heute einmal baden und ins Bett bringen?“, fragte Julia lächelnd.

Das Kind nickte entschieden, und so nahm Julia es auf den Arm und trug es nach oben, während die anderen sich daran machten, das Chaos im Garten zu beseitigen.

***

Julia las Sina eine Gutenachtgeschichte vor und sang drei Schlaflieder für sie. Wieder einmal fragte sie sich, wo denn nur die Zeit geblieben war. Eben hatte sie das noch für Marc und Dani getan, und nun studierten sie, und auch Chris und Juju begannen, sich allmählich abzunabeln. Bald würde sie für sich herausfinden müssen, was sie mit der wiedergewonnenen Zeit anfangen wollte.

Sie hatte den Lebensabschnitt mit ihren vier Kindern geliebt, als sie noch klein gewesen waren. Was für wunderschöne Dinge hatte sie mit jedem von ihnen erlebt! Es war herrlich gewesen. Natürlich war es auch schön, sie älter und reifer werden zu sehen, aber das war etwas anderes.

Es machte sie als Mutter froh zu sehen, dass Marc und Dani für ihr Alter schon recht stabil auf ihren eigenen Beinen standen und wussten, was sie wollten. Noch immer war sie für ihre Großen die eine Vertraute, der man so ziemlich alles erzählte, und auch das machte sie dankbar.

Und trotz allem trauerte Julia ein wenig den Jahren nach, die viel zu schnell verstrichen waren. Bald würden Stefan und sie wieder alleine sein. Bei allem Bedauern freute sie sich andererseits sehr darauf. Sie liebte ihren Mann. Bald wieder all die Dinge mit ihm teilen zu können, zu denen sie seit sie Kinder hatten, kaum noch kamen, war eine schöne Aussicht.

Julia musste über sich selbst schmunzeln. Das Leben konnte es ihr nicht recht machen. Vermutlich war es gut, dass sie kein Mitspracherecht hatte und dass die Lebensabschnitte unwiederbringlich ineinander übergingen. Vielleicht würde sie in einigen Jahren Großmutter werden, und dann schloss sich der Kreis.

Um neunzehn Uhr schlief Sina tief und selig. Julia deckte sie noch einmal vorsichtig zu und ließ das Nachtlicht für sie an, dann ging sie wieder hinunter zu den anderen.

Werner und Juju räumten immer noch auf und unterhielten sich dabei. Es drang immer wieder Gelächter von ihnen herüber.

Isabel saß am Terrassentisch, hatte die Beine hochgelegt und nippte genüsslich an einem Sektkelch. Die Flasche vor ihr war fast leer.

„Julia, lass uns anstoßen! Wir haben den Einbruch der wilden Horden siegreich überstanden. Juju und du, ihr seid spitze! Nächstes Jahr seid ihr wieder dabei!“, rief sie heiter und winkte Julia zu sich.

Julia trank eigentlich nie, wenn sie noch fahren musste, aber mit einem Schluck anzustoßen, das konnte sie nicht abschlagen. Isabel schenkte sich den letzten Rest der ersten Flasche selbst ein, holte eine zweite und ließ den Korken knallen. Sie reichte Julia ein Glas und war strahlender Laune.

„Auf die Freundschaft und den Zauber einer glücklichen Kindheit!“, prostete sie ihr zu. „Mögen unsere Kinder diesen Zauber mitnehmen und an ihre Kinder weiterreichen!“

„Möge das Rad der Zeit die Leichtigkeit und Freude von Generation zu Generation bewahren!“, stimmte Julia lächelnd zu und musste unwillkürlich an ihre eigene Kindheit denken.

Ihr Vater, Dr. Walter Berling, hatte die Berling-Klinik damals gegründet. Wie Stefan hatte auch er viel gearbeitet und war nicht so oft zu Hause gewesen, aber Julia hatte sich immer geliebt von ihm gefühlt. Ihre Eltern hatten ihr Geborgenheit geschenkt und sie gefördert. Im Grunde gab sie an ihre Kinder weiter, was sie selbst erfahren hatte.

Die Frauen entspannten sich und genossen die laue Abendluft. Für ein paar Minuten war es still zwischen ihnen, und jede hing ihren Gedanken nach.

Auch Isabel dachte an ihre Kindheit, und das war etwas, was sie nur tat, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie leerte ihr Glas auf einen Zug und schenkte sich nach.

„Kommst du inzwischen mit eurer Vertretungsärztin besser klar?“, sprach Julia ein kritisches Thema an, über das sie sich vor einigen Monaten länger am Telefon unterhalten hatten.

Nach Sinas Geburt hatte Isabel ihre Stelle in der Praxis für drei Jahre einer Vertretungsärztin überlassen. Sobald Sina in den Kindergarten gekommen war, hatte sie wieder angefangen, stundenweise an den Vormittagen zu praktizieren. Die Vertretungsärztin übernahm aber noch immer fünfundsiebzig Prozent der Stelle. Erst wenn Sina alt genug war, wollte ihre Mutter wieder voll in ihren Beruf einsteigen.

Leider kam es zwischen den beiden Ärztinnen immer wieder zu Spannungen. Isabel war penibel und konnte aggressiv werden, wenn etwas nicht so ablief, wie sie es für richtig hielt. Werner sah das etwas entspannter, und er war durchaus zufrieden mit der Arbeit seiner Kollegin.

Genau das machte Isabel manchmal noch wütender. Sie erwartete von ihrem Mann, dass er ihr den Rücken stärkte und zu ihr stand. Schließlich handelte es sich um ihre gemeinsame Praxis, und Dr. Eva Pflug war nur eine Angestellte.

„Es geht so. Wir versuchen, uns nicht zu oft zu begegnen, und solange wir uns aus dem Weg gehen können, richten wir uns über Werner die freundlichsten Grüße aus“, antwortete Isabel ironisch.

„Klingt nach einem akzeptablen Status quo“, meinte Julia versöhnlich.

„Ich überlege, ob wir Sina auf eine Ganztagsschule geben“, erzählte Isabel. „Dann könnte ich in einem guten Jahr schon wieder voll einsteigen. Mir würde das gefallen, aber Werner träumt von einem zweiten Kind, und wenn wir das angehen, dann sollte es bald sein. Der Altersunterschied ist jetzt schon viel zu groß.“

„Zwischen Chris und den Großen liegen auch fünf Jahre, und glaub mir, wenn die drei gemeinsame Interessen haben, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel“, meinte Julia. „Möchtest du denn auch ein zweites Kind?“, hakte sie dann nach.

Isabel trank ihr Glas aus, schenkte sich nach und zuckte mit den Achseln. War sie eine schlechte Mutter, nur weil ihr zu Hause leicht die Decke auf den Kopf fiel? Sina war süß, und Isabel war stolz auf ihr Kind und liebte es. Das war es nicht. Aber sie vermisste ihre Arbeit, Gespräche mit Erwachsenen, bei denen es nicht um Kindererziehung ging, und die Freiheit, über die sie vor Sina verfügt hatte.

„Hast du es je bedauert, für deine Kinder den Beruf aufgegeben zu haben?“, fragte Isabel im Gegenzug.

„Nein, keine Sekunde. Für mich war es immer schon das Schönste, Kinder heranwachsen zu sehen, und bei meinen eigenen Kindern wollte ich jeden Entwicklungsschritt mitbekommen. Mir hat eher Stefan etwas leidgetan, weil er zwangsläufig so vieles verpasst hat“, antwortete Julia.

„Du bist eben einfach mit Herzblut Mama. Manchmal frage ich mich, ob mir etwas fehlt. Ich meine, ich gebe mir Mühe, und es macht mich froh, wenn es Sina gut geht, aber …“ Beschämt brach sie ab.

„Du bist eine liebevolle, wunderbare Mama, Isabel. Lass dir da nichts anderes einreden! Und wenn du kein zweites Kind möchtest, solltest du offen mit Werner darüber sprechen“, riet Julia.

„Er war ein Einzelkind, genau wie ich, und fand es schrecklich. Hast du ihre Exzellenz, seine durchlauchtigste Mutter schon kennengelernt? Werner war ihr absoluter Prinz, der Nabel der Welt und ihr Ein und Alles. Bis heute verzeiht sie ihm nicht wirklich, dass er es gewagt hat, eine andere Frau zu heiraten.“

„So schlimm ist meine Mutter gar nicht!“, verteidigte Werner seine Mutter, der eben mit Juju herankam. Die beiden waren mit dem Aufräumen fertig und gesellten sich zu den Frauen auf die Terrasse.

„Stimmt! Sie ist schlimmer! Viel, viel schlimmer, und in den kommenden vierzehn Tagen thront sie in unserem Haus und übernimmt wie immer das Regiment“, stöhnte Isabel.

Margit Zobel war nach dem Tod ihres Mannes zurück nach Hamburg gezogen, wo sie geboren und aufgewachsen war. Über Sinas Geburtstag kam sie normalerweise immer für zwei Wochen nach München. In diesem Jahr konnte sie erst danach kommen, und ihrer Schwiegertochter graute wie immer vor ihrem Besuch.

„Isabel, du übertreibst! Mama ist nicht einfach, aber man kann mit ihr auskommen. Wir haben beim Bau unseres Hauses extra für ihre Besuche eine abgeschlossene, kleine Wohneinheit eingeplant, damit ihr euch aus dem Weg gehen könnt, und ich finde, ihr macht das schon deutlich besser als früher“, lobte Werner.

Seine Frau verdrehte die Augen, schenkte sich nach und nahm einen großen Schluck. Werner war ein entsetzlich guter und versöhnlicher Mensch. Man konnte nicht mit ihm streiten, und man brachte ihn nicht dazu, böse über andere zu lästern. Isabel schätzte ihn dafür, aber er konnte ihr auch auf die Nerven gehen mit seinem Harmoniebedürfnis.

„Du kannst spitze mit Kindern umgehen und warst eine große Hilfe, Juju. Willst du auch einen Schluck?“, wechselte sie das Thema und bot Juju Sekt an.

„Nein, damit warten wir noch ein paar Jährchen!“, lehnte Julia für ihre Tochter ab und empfand ein unbestimmtes Unbehagen.

Die zweite Flasche war gleich leer, und sie nippte noch immer an ihrem ersten Glas. Hatte Isabel immer so viel getrunken, und es war ihr nur nie zuvor aufgefallen? Sie wusste es nicht.

„Was gewinnt ihr Frauen dieser kribbelnden Brühe nur ab?“, spöttelte Werner. „Bevor ich Sekt trinke, greife ich lieber zu Wasser.“ Er holte sich ein Weizenbier aus dem Kühlschrank im Keller.

Julia lauschte ungewollt auf. Stammten etwa all die geleerten Sektflaschen von Isabel? Das ergab einen beachtlichen Alkoholkonsum, fand sie, und dann verwarf sie den Gedanken konsequent und ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte sie eine Freundin derart verdächtigen? Nach einem Kindergeburtstag musste man sich doch auch einmal belohnen dürfen!

Und schließlich hatte sie keine Ahnung, in welchem Zeitraum Isabel den Sekt getrunken hatte. Überhaupt ging es sie nichts an. Als Juju und sie gegen zwanzig Uhr gingen, holte sich Isabel gerade die dritte Flasche und wirkte äußerst vergnügt und entspannt.

Offensichtlich trank sie Sekt wie Wasser. Julia merkte ihr nicht an, dass sie einiges getrunken hatte. Sie selbst wäre schon nach einer Flasche Sekt betrunken gewesen. Im Gegensatz zu Isabel, die immer fröhlicher wurde, während sie trank, schlief Julia ein, sobald sie einmal einen Schluck zu viel getrunken hatte. Stefan amüsierte sich jedes Mal darüber.

„Du taugst nicht zur Alkoholikerin. Im schönsten Moment lässt du mich allein, und vom Sofa kommt nur noch ein tiefes Schnarchen. Mit dir gewöhnt man sich das Trinken gerne ab“, frotzelte er mitunter, aber es kam so gut wie nie vor, dass Julia mehr als ein, höchstens zwei Gläser trank.

Nach einem besonders schönen Tag oder einem eindrücklichen Erlebnis ließen Julia und Stefan gerne einen Abend mit einem Glas Wein ausklingen. Es war die seltene Ausnahme, und sie mochten es, aber zur Regel wollten sie es beide nicht machen.

„Isabel versteht es, ein Fest zu feiern, und verträgt ganz schön etwas“, bemerkte Julia am Abend, als Stefan und sie im Bett lagen.

„Sie konnte Werner und mich schon immer unter den Tisch trinken“, stimmte ihr Mann amüsiert zu und war offensichtlich nicht alarmiert deswegen.

Julia nahm es erleichtert zur Kenntnis und ging nicht näher darauf ein. Anscheinend war ihr früher tatsächlich nur nicht aufgefallen, dass Isabel zu bestimmten Anlässen gerne und viel trank.

***

„Hallo, Margit! Wie schön!“ Isabel küsste ihre Schwiegermutter zur Begrüßung mit spitzen Lippen auf beide Wangen.

„Wie wir uns freuen, endlich einmal wieder unter einem Dach zu sein – du und ich“, antwortete Margit Zobel ironisch, und auch ihre Lippen waren aufs Äußerste gespitzt, um jeden Hautkontakt zu minimieren.

Die Abneigung der zwei großen Frauen in Werners Leben war eine erklärte Sache und verlangte keine Verstellung. Margit und Isabel gifteten sich für gewöhnlich an, bis Werners Mutter irgendwann wieder abfuhr. Keine konnte der anderen etwas recht machen, und jede von ihnen erwartete, dass Werner ihre Partei ergriff.

In der Regel hütete er sich, einer von ihnen auch nur den kleinen Finger zu reichen, und hielt sich konsequent aus ihrem Kleinkrieg heraus. Alles andere hätte zu einer Eskalation geführt, die er um jeden Preis vermeiden wollte. Er fand es schön, seine Mutter zwei- bis dreimal im Jahr zu Besuch zu haben.

„Ach, ihr zwei!“, stöhnte er daher neutral, dann zog er seine Mutter, die er immerhin seit den Weihnachtstagen nicht mehr gesehen hatte, herzlich in seine Arme. „Du bist mindestens zehn Jahre jünger geworden, Mama. Tut dir die Hamburger Luft so gut, oder gibt es da etwas, was du deinem Sohn unbedingt anvertrauen möchtest?“, neckte er sie.

Seit dem Tod seines Vaters hatte sie nicht mehr so sprühend und lebendig auf ihn gewirkt. Ihre Wangen waren rosig, und ihre Augen hatten ein warmes Leuchten. Glück strömte von ihr aus, und das gönnte er ihr von Herzen.

„Und wenn es da etwas – oder sagen wir einmal – jemanden geben würde, wäre das in Ordnung für dich?“, fragte sie mit einem etwas unsicheren Lächeln.

„Mama, ich freue mich für dich! Papa ist seit sieben Jahren tot, und du bist eine lebenslustige, attraktive Dame in den besten Jahren. Ich habe dir gewünscht, dass du dich noch einmal verliebst. Wie ist er so? Erzähle uns von ihm?“ Man sah Werner an, dass seine Freude und sein Interesse von Herzen kamen. Seine Mutter war zu jung, um als traurige Witwe zu leben. Das hätte sein Vater nie und nimmer von ihr verlangt.

Isabel beobachtete Mutter und Sohn gereizt. Woher hatte Werner gewusst, dass es nach all der Zeit wieder einen Mann im Leben seiner Mutter gab? Ihr war nichts Ungewöhnliches an Margit aufgefallen. Die wortlose Vertrautheit der beiden hatte sie immer geärgert. Sie gab ihr das Gefühl, ein Eindringling zu sein.

„Er heißt Rudolf und hatte bis vor Kurzem sein eigenes, äußerst erfolgreiches Maklerbüro in Hamburg“, verriet Margit mit geröteten Wangen. „Du wirst ihn mögen, Werner. Er hat einen wundervollen Humor, und wir haben beschlossen, dass wir noch nicht zum alten Eisen gehören und noch etwas aus unserem Lebensabend machen wollen.“

„Und das bedeutet?“, fragte ihr Sohn lächelnd, weil er ihre Begeisterung sah.

„Dein Vater und ich hatten immer vor, im Alter viel zu reisen, und dann ist er mit neunundfünfzig Jahren einfach gestorben. Ich habe diesen Traum ohne ihn weitgehend aufgegeben, aber na ja. Rudolf möchte auch noch etwas von der Welt sehen. Er ist achtundsechzig, nur fünf Jahre älter als ich und für sein Alter fit.“ Sie sagte es fast ein wenig entschuldigend.

„Mama, das ist herrlich!“ Werner umarmte sie noch einmal.

„Aber du hast diesen ominösen Rudolf nicht zufällig draußen im Taxi geparkt und bringst ihn gleich mit, um ihn in die Familie einzuführen?“, mischte sich Isabel ein. Sie hörte selbst, wie böse das klang, und versuchte, es wiedergutzumachen. „Er ist uns natürlich immer willkommen!“, fügte sie rasch an.

„Wie lieb von dir, Isabel! Ich war sicher, dass du so reagieren würdest. Rudolf hat in Hamburg zu tun und konnte nicht mitkommen. Irgendwann lernt ihr ihn bestimmt kennen. Wie schön, dass wir in eurem Gästeapartment zur Not auch zu zweit Platz haben. Das wird erst einmal nett, Isabel, wenn ich auch noch Verstärkung mitbringe!“, antwortete Margit zuckersüß.

„Ich freue mich schon darauf!“, stimmte Isabel zu.

„Denke ich mir. Vorfreude ist die schönste Freude.“

„Jetzt macht aber einmal eine Pause, ihr Turteltäubchen!“, schimpfte Werner.

Er sehnte sich bereits wieder in seine Praxis und war froh, dass er in einer halben Stunde gehen konnte.

„Mama, bei deinem nächsten Besuch musst du Rudolf auf jeden Fall mitbringen!“, fügte er dann hinzu. „Ich möchte ihn unbedingt persönlich kennenlernen und wissen, wem ich dich da anvertraue!“ Seine Wärme und Herzlichkeit retteten wie immer die Situation und führten zu einem kurzfristigen Waffenstillstand.

„Wo ist denn mein Goldschatz?“, fragte Margit nach ihrer Enkeltochter, die ihr normalerweise immer in die Arme sprang und nicht mehr von ihrer Seite wich, sobald sie das Haus betrat.

„Sina ist ein wenig kränklich, deshalb habe ich sie heute nicht in den Kindergarten geschickt. Außerdem wollte sie dich natürlich unbedingt mit uns empfangen, Margit. Hätte ich sie in den Kindergarten schicken wollen, hätte es viele Tränen gegeben“, informierte Isabel sie.

Dann erzählte sie ihrer Schwiegermutter, dass die Kleine vor einer halben Stunde schlagartig müde geworden sei und sich tatsächlich von einem Mittagschlaf habe überzeugen lassen.

„Kein gutes Zeichen“, meinte Isabel. „Ich hoffe, sie wird nicht ernstlich krank. Im Kindergarten geht wieder einmal etwas um.“

„Die Arme! Schlaf wirkt oft Wunder“, befand Margit.

Die Liebe zu Sina war das Einzige, was ihre Schwiegertochter und sie wirklich verband. Ging es um das kleine Mädchen, standen sie auf einer Seite und hätten alles für Sina getan – unter Umständen vielleicht sogar ihr Kriegsbeil für ein paar Minuten begraben.

„Bis heute Abend, Mama! Schade, dass ich nicht freinehmen konnte, aber du weißt, wie es ist. Was haltet ihr davon, wenn wir uns zum Abendessen in der Fußgängerzone treffen und uns ein nettes Lokal suchen?“, schlug Werner spontan vor.

„Wenn es Sina nicht so gut geht, sollten wir besser zu Hause bleiben“, beschlossen die Damen einstimmig und waren wie immer irritiert, wenn sie einer Meinung waren.

„Da habt ihr sicher recht“, stimmte Werner zu und stöhnte lautlos in sich hinein. In einem neutralen Restaurant war es etwas leichter, die Kämpferinnen gebändigt zu halten. Zu Hause am Esstisch musste er alle Talente als Löwenbändiger voll ausleben. Zwei Wochen konnten lang sein, sosehr er sich auch über den Besuch seiner Mutter freute.

„Sollen wir mit einem Gläschen Sekt anstoßen, Margit?“, schlug Isabel vor, als ihr Mann gegangen war.

„Es ist nicht einmal vierzehn Uhr. Ist das nicht etwas zu früh dafür?“, überlegte Margit, die kaum Alkohol trank.

„Kann es zu früh sein, um auf den Frieden auf Erden anzustoßen?“, scherzte Isabel.

Die Frauen lachten, und Isabel ließ den Korken knallen. Sina schlief bis sechzehn Uhr, aber sie wurde ausnahmsweise nicht vermisst. Ihre Großmutter und ihre Mutter hatten sich noch nie so entspannt unterhalten. Isabel berichtete detailliert von Sinas Geburtstagsparty und darüber, was die Kleine so alles an lustigen Bemerkungen von sich gab.

Margit musste mehrmals laut auflachen und vergaß nahezu, dass sie sich mit ihrer Schwiegertochter unterhielt. Diese fröhliche, wortreiche Isabel kannte sie noch nicht, und das erste Mal konnte sie nachvollziehen, was ihr Sohn an dieser Frau fand.

Früher war Isabel in ihrer Gegenwart immer viel zu verkrampft gewesen und in allem so entsetzlich penibel, dass man sich ständig unwohl fühlte. Nun schien sie eine gänzlich veränderte Person vor sich zu haben.

Margit brachte die gute Laune ihrer Schwiegertochter nicht mit der Flasche Sekt in Verbindung, die Isabel in einer knappen Stunde fast alleine leerte. Stattdessen freute sie sich insgeheim, weil sie davon ausging, Isabel sei so heiter, weil es ihr und Werner besonders gut ging.

„Omi!“ Sina war im Glück, als sie beim Aufwachen ihre Oma im Wohnzimmer vorfand, und die gute Stimmung blieb tatsächlich erhalten, bis Werner von der Arbeit kam. Ein erster Besuchstag ohne ersten Streit der Damen hatte es noch nie gegeben. Das war eine Primäre.

***

Margit beschäftigte sich liebevoll mit ihrer Enkelin, und Isabel verschwand in der Küche und kümmerte sich um die Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen mit Werner, der gegen neunzehn Uhr aus der Praxis kam. Neben dem Kochen trank sie ihre zweite Flasche Sekt, und zum Abendessen öffnete sie einen edlen Rotwein, den sie schon einmal testete, bevor sie die Karaffe später auf den Tisch stellte.

Dabei wurde sie immer heiterer. Das Radio war an, und sie summte und trällerte die ganze Zeit mit. Plötzlich fand sie es wunderbar, dass Margit bei ihnen war. Sie konnte sich kaum noch erinnern, ihre Schwiegermutter einmal nicht gemocht zu haben. Familie war eben Familie. Da liebte man sich, und die Welt war schön, und alles war perfekt.

Am liebsten wäre sie kurz hinaus zu Margit gegangen und hätte sie umarmt, aber dann kam ihr etwas anderes in den Sinn, und sie vergaß es wieder. In ihrer rosaroten Blase der Glückseligkeit schwebte sie förmlich zwischen Arbeitsplatte und Herd hin und her.

Isabel nahm nicht wirklich zur Kenntnis, was sie da eigentlich kochte und würzte. Sie warf alles in spielerischer Unbekümmertheit zusammen und würzte im Rhythmus des Liedes im Radio, das sie mitsang. Auf den Gedanken, ihre Gerichte abzuschmecken, kam sie schon seit Monaten nicht mehr. Werner und Sina hatten sich nie beklagt.

Eigentlich hatte Isabel kaum noch Hunger und musste sich am Tisch meist zum Essen von ein paar Happen zwingen. Sie hatte mehrere Kilogramm abgenommen und passte wieder in all ihre Kleider im Schrank. Werner fand sie schon etwas zu dünn und drohte, sie zu mästen, damit sie nicht noch schlanker wurde, aber Isabel fühlte sich wohl so.

Pünktlich um neunzehn Uhr kam Werner heim und rechnete mit dem Schlimmsten. Überrascht blieb er in der Tür stehen, als er Sina, Isabel und seine Mutter zusammen fröhlich lachen hörte. Geschahen noch Wunder auf der Welt? Zögernd ging er weiter, aber er hatte sich nicht verhört.

Der Tisch im Esszimmer war gedeckt, und alle waren bester Laune. Von der dicken Luft, auf die er sich vorbereitet hatte, war nichts zu spüren. Erleichtert gesellte er sich dazu, und das Wunder ging weiter.

Isabel lachte und gurrte, und Margit und sie waren zu sehr damit beschäftigt zu plaudern, um wie sonst um seine Aufmerksamkeit zu buhlen. Das Essen war leicht angebrannt und ziemlich versalzen, aber Margit verlor keinen Ton darüber. Auch als Sina im Bett war, blieb die Stimmung gut.

„Danke, Isabel! Das war ein richtig schöner Abend. Ich hätte nicht gedacht, dass Mama und du doch noch zueinanderfindet, aber Frauen sind eben unberechenbar“, bedankte er sich bei seiner Frau, als sie gegen Mitternacht zu Bett gingen.

„Du tust gerade so, als ob ich deine Mutter sonst nicht gut behandelt hätte“, explodierte sie und sprang wie eine Tarantel aus dem Bett. „Ich tue hier alles, damit wir ein schönes Familienleben haben, und dann unterstellst du mir so etwas!“ Mit in die Seiten gestemmten Armen und geröteten Wangen stand sie wütend vor ihm.

„So habe ich es doch gar nicht gemeint. Ich wollte mich nur für einen ungewöhnlich schönen Abend bei dir bedanken und …“, wollte Werner zurückrudern, aber es war zu spät.

„Ungewöhnlich schön? Mit Sina und mir alleine ist es dem Herrn demnach zu langweilig, und die Frau Mama muss da sein, damit es ein ungewöhnlich schöner Abend wird. Da weiß man als Frau, welchen Stellenwert man hat. Herzlichen Dank!“, keifte sie und ließ sich nicht beruhigen.

„Isabel, um Himmels willen, was ist denn mit dir los? So kenne ich dich gar nicht. Ich dachte, der Abend hat dir auch gefallen und …“

„Das hat er auch. Ich habe mit Liebe gekocht und alles getan, damit es nett wird, und das ist der Dank. Was bin ich für dich? Bin ich zu deiner Putzfrau geworden und tauge gerade einmal für die Küche?“

Werner hatte keine Ahnung, wie ihm geschah, und fühlte sich von diesem wütenden Orkan unschuldig überrannt. Er hatte einen langen Tag hinter sich, und bei aller Friedfertigkeit brachte der ungerechtfertigte Ausbruch seiner Frau ihn in Rage.

„Wenn du mich so fragst, würde ich dich lieber nicht in die Küche schicken und ziehe deine Qualitäten als Ärztin deinen Qualitäten als Köchin eindeutig vor. Man braucht einen abgehärteten Gaumen, um das zu essen, was du in letzter Zeit so zusammenbraust. Du versalzt einfach alles und lässt die Sachen anbrennen“, schlug er zurück, bevor er sich bremsen konnte.

Isabel war sofort still und sah ihn fassungslos an. Er hatte ihr wehgetan. Sie wusste genau, was passierte, wenn ein Mann anfing, seiner Frau wehzutun. Werner hatte sie respektlos behandelt und degradiert. Er hatte sie verletzt und die Grenze überschritten. Geschah das einmal, blieb es nicht dabei. Es blieb nie bei einem Mal, sosehr er ihr das auch versprechen mochte.

Tränen rannen über ihre Wangen. Ohne ein weiteres Wort nahm sie ihr Kopfkissen und ihre Decke und ging hinunter ins Wohnzimmer, um auf dem Sofa zu schlafen. Werner sah ihr betreten nach. Ihm fiel ihr unsicherer, leicht schwankender Gang auf, aber er führte es auf ihre Erregung zurück.

„Isabel, es tut mir leid!“ Er folgte ihr nach ein paar Minuten und stand wie ein geprügelter Schuljunge vor dem Sofa.

Sie hatte das Gesicht ins Kissen vergraben und weinte bitterlich. Werner bedauerte zutiefst, sie getadelt zu haben. Ganz begriff er nicht, warum aus einem lieb gemeinten Lob ein derartiger Konflikt erwachsen war. Weder ihre Wut noch die Verzweiflung jetzt ergaben für ihn einen Sinn.

Setzte sie der Besuch seiner Mutter etwa derart unter Druck, dass sie die Kontrolle über sich verlor? Hatte sie sich die ganze Zeit über nur verstellt, um es ihm recht zu machen? Das passte alles nicht zu Isabel. Was war nur mit ihr los? Ihm war, als ob sie ihm in den letzten Wochen immer ein wenig mehr entglitt, aber er konnte es an nichts Bestimmten festmachen.

„Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht verletzen. Isabel, ich liebe dich und …“ Ihm war selbst nach Weinen zumute angesichts ihres Elendes, auch wenn er den Grund dafür nicht verstand.

„Ich liebe dich auch“, schluchzte sie, setzte sich auf und schlang ihre Arme um ihn. Wut und Verzweiflung schlugen in Leidenschaft um, und sie küssten sich.

Werner trug seine erregt kichernde, offensichtlich von einem Moment auf den anderen wieder glückliche Frau ins Schlafzimmer, wo sie sich zuerst zärtlich, aber bald schon hemmungslos liebten. Eng ineinander verschlungen schliefen sie ein.

Unfreiwillig hatte Margit das meiste mitbekommen. Sowohl in ihrem Zorn als auch in ihrer Leidenschaft war Isabel alles andere als leise gewesen. Werners Mutter lag bis in die frühen Morgenstunden wach im Bett und hing ihren Gedanken nach. Sie machte sich große Sorgen. War mit Isabel alles in Ordnung?

Erst im Nachhinein kam ihr die gute Laune ihrer Schwiegertochter den ganzen Tag über verdächtig vor. Es hatte so gutgetan, sich im Haus ihres Sohnes willkommen zu fühlen, dass sie bereitwillig die Augen davor verschlossen hatte, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte.

Solch extreme Stimmungsschwankungen, wie Isabel sie zeigte, konnten ein Symptom der Wechseljahre sein. Schaudernd erinnerte sich Margit daran, wie es bei ihr gewesen war. Für ein paar Jahre hatte sie fünf Minuten vorher nie sagen können, wie sie sich fünf Minuten später fühlen würde. Sie hatte das gehasst.

Aber Isabel war schließlich erst fünfunddreißig. Dafür war es noch viel zu früh. Werner hatte zudem angedeutet, dass ein zweites Kind angedacht war. An einer Hormontherapie konnte es auch nicht liegen, denn dann hätte Isabel keinen Tropfen Alkohol trinken dürfen.

Widerstrebend ließ Margit ihre Gedanken weiter schweifen und fragte sich, ob Isabels Alkoholkonsum an diesem Tag mitverantwortlich sein könnte. Sie hatte einiges getrunken. Handelte es sich um eine Ausnahme, war das halb so schlimm, aber was war, wenn es still und heimlich zur Regel geworden war?

Alkoholsucht war ein Thema, das fast zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen ihrem Sohn und ihr geführt hatte. Als er ihr damals gesagt hatte, dass Isabel die Frau seiner Wahl war, hatte sie ihn gewarnt, und das hatte er ihr lange nicht verziehen.

Isabels Vater war Alkoholiker gewesen. Margit und ihr Mann hatten ihn aus unterschiedlichen Vereinen gekannt und gemieden. Nüchtern war er ein umgänglicher, netter Mensch gewesen, aber sobald er trank, veränderte sich sein Charakter, und er wurde widerlich.

„Isabel ist eine intelligente und liebenswerte junge Frau, die das Beste aus sich macht und es im Leben zu etwas bringen wird. Aber sie hat ihre Kindheit und Jugend mit einem Alkoholiker als Vater verbracht. So etwas prägt fürs ganze Leben und kann wie eine Zeitbombe sein. Bist du dir sicher, dass du dieses Risiko eingehen möchtest?“ Das hatte Margit an jenem Abend zu ihrem Sohn gesagt.

Ohne die geduldige und verständnisvolle Vermittlung ihres Mannes hätte sich der Bruch zwischen Mutter und Sohn vielleicht nie wieder kitten lassen, denn für Werner war die Bemerkung seiner Mutter mehr als nur empörend gewesen. Sie hatte ihn zutiefst enttäuscht.

„Wie kannst du Isabel unter Generalverdacht stellen und sie auch noch dafür bestrafen, dass sie keine leichte Kindheit hatte? Ausgerechnet du, Mutter, die du immer so liberal tust, brichst den Stab über jemanden, weil du seine Eltern nicht magst. Das hätte ich nicht von dir gedacht“, hatte ihr Sohn ihr vorgehalten.

Natürlich hatte er nur umso mehr an Isabel und seiner großen Liebe festgehalten. Seit jenem Abend war nie wieder ein Wort über das Alkoholproblem von Isabels Vater zwischen Mutter und Sohn gefallen. Das Thema war nach fünfzehn Jahren noch immer tabu.

Inzwischen war Isabels Vater schon seit zehn Jahren tot, und ihre Mutter war kurz nach ihm gestorben. Isabel hatte nie viel über ihre Kindheit gesprochen, nicht einmal mit ihrem Mann. Sie hatte die schlimmen Jahre konsequent verdrängt und lebte ihr eigenes, neues Leben, ohne nach hinten zu schauen.

Margit wusste, dass ihre Schwiegertochter gerne einmal ein Glas trank, aber Isabel hatte ihr nie Anlass gegeben, mehr als ein gelegentliches Genusstrinken darin zu sehen. Das erste Mal fragte sich Margit, ob Isabel ihren Alkoholkonsum noch unter Kontrolle hatte.

***

Sina wurde tatsächlich krank und konnte in der ersten Woche von Margits Besuch nicht in den Kindergarten gehen. Großmutter und Mutter verwöhnten das kleine Mädchen nach Strich und Faden. Das gute Verhältnis zwischen den Frauen hielt nach dem ersten Abend zwar nicht konsequent an, aber sie verstanden sich phasenweise besser als je zuvor.

Unauffällig achtete Margit darauf, wann Isabels Stimmungen umschlugen, und sie versuchte grob mitzubekommen, was und wie viel ihre Schwiegertochter trank. Sie fühlte sich dabei wie eine Spionin in geheimer Mission, und das war kein schönes Gefühl.

Mit jedem Tag verhärtete sich ihr Erstverdacht mehr, und ihr wurde banger und banger. Es schien weit schlimmer, als sie befürchtet hatte. Morgens nach dem Aufstehen war Isabel fahrig und mürrisch. Alles schien ihr aus den Händen zu fallen, und sie regte sich über jede Kleinigkeit auf. Bis die Kaffeemaschine lief und für das Frühstück gedeckt war, kamen aus der Küche nur Brummen und Schimpfen.

Für Sina schien das nichts Neues zu sein, denn das Kind war morgens eigentümlich still und vorsichtig. Es schien gelernt zu haben, sich zu den kritischen Zeiten in sich zurückzuziehen und quasi die Schultern einzuziehen. Margit tat es weh, das zu sehen. Lag sie richtig, hatte die Sucht bereits begonnen, das Leben der Familie zu bestimmen.

Seltsamerweise besserten sich Isabels Laune und ihr Zustand nahezu schlagartig, wenn sie wieder aus der Küche kam. Margit roch keinen Alkohol in ihrem Atem, und auch bei einem dezenten Blick in die Küche sah sie nirgendwo eine verdächtige Flasche stehen, aber die Veränderung kam ihr zu übergangslos.

Als Isabel am Donnerstagmorgen zum Einkaufen und anschließend in die Praxis fuhr, um für ein paar Stunden zu arbeiten, brachte Margit Sina zum Einschlafen. Die Kleine hatte noch Fieber. Anschließend überwand sie ihre Scheu und sah sich etwas genauer in der Küche um.

Im Kühlschrank fand sich nur die angebrochene Weinflasche vom Abend zuvor. In einem Flaschenkorb standen mehrere Sekt- und Weinflaschen bereit, aber das war nichts Ungewöhnliches. Margit wollte die Küche schon zutiefst beschämt verlassen und schwor sich, nie, nie wieder so etwas zu tun.

Sie riskierte durch ihr Misstrauen die Liebe ihres Sohnes, und Sina und Werner waren ihr zu wichtig, um jedes friedliche Miteinander aufs Spiel zu setzen. Isabel war eben launisch und ein wenig unberechenbar geworden. Das Leben veränderte Menschen.

Unter Umständen tat das Muttersein ihr nicht gut, und sie litt darunter, nur noch stundenweise zu praktizieren. Man musste kein Alkoholiker werden, nur weil man mit seinem Leben nicht zufrieden war. Sollte Werner je von Margits Verdacht erfahren, wäre er zu Recht wütend.

„Rudolf, was treibe ich hier nur? Wenn Isabel eine Alkoholikerin ist, wird mein Sohn mir das nicht glauben, und ich verliere ihn. Warum suche ich nach Beweisen? Ich begreife mich selbst nicht“, klagte sie ihrem Freund, mit dem sie jeden Abend telefonierte.

Er fehlte ihr. Manchmal wäre sie zu gerne zurück zu ihm nach Hamburg geflohen und hätte die Augen vor dem verschlossen, was sie ahnte.

„Warum breche ich den Besuch nicht ab und komme heim zu dir?“, fragte sie ihn hilflos.

„Weil du eine verantwortungsbewusste Omi bist und das Beste für deinen Sohn und deine Familie möchtest. Margit, was auch daraus resultiert, du meinst es gut und möchtest die Menschen vor Unheil beschützen, die du liebst“, antwortete er ernst.

„Wunderbar!“, brummte sie müde. „Und wenn sich mein Verdacht bestätigt, werde ich bei den Menschen, die ich liebe, in Ungnade fallen und nicht mehr willkommen sein. Ich werde diejenige sein, über die sich mein Sohn empört und die er hinauswirft. Du wirst schon sehen!“, sagte sie voraus.

„Das mag sein. Es ist sogar wahrscheinlich, aber dennoch muss er sich irgendwann den Tatsachen stellen, wenn er seiner Frau helfen will. Solltest du richtig liegen, braucht deine Schwiegertochter schnell Hilfe. Margit, du weißt, mein Bruder war Trinker. Sich blind zu stellen ist keine Hilfe. Die Sucht ergreift Besitz vom Leben der ganzen Familie. Das ist das Gemeine daran.“

„Ich weiß“, sagte sie leise. „Ich weiß. Ich wünschte nur, dass nicht ausgerechnet ich diesen Verdacht hätte! Ich wünschte, ich wäre weit weg, wenn Isabels Geheimnis sich nicht mehr verheimlichen lässt!“

„Und ich wünschte, wir würden morgen zu unserer ersten Kreuzfahrt in See stechen und hätten nichts anderes im Kopf als karibische Strände. Ich wünschte mir, dich und mich allein am Strand und …“

„Hmmmmmm. Das wünschte ich mir auch!“, seufzte sie. „Aber keine Bange, ich habe die Botschaft verstanden. Wünsche sind Wünsche, und wir müssen uns dem stellen, was die Realität gerade zu bieten hat.“

„Braves Mädchen!“, spöttelte er. „Eigentlich finde ich, dass aus Wünschen Wirklichkeiten erwachsen, und dich und mich am Strand im Sand ohne Kleider und …“

„Rudolf Löhrer!“, unterbrach sie ihn in gespielter Strenge. „Wir gehen auf die siebzig zu!“

„Ja, mein Herz?“, fragte er unschuldig.

Sie lachten.

Margit öffnete den Schrank unter der Spüle nur, weil sie fälschlich annahm, dass sich dort ein Mülleimer fand, in den sie etwas werfen wollte. Neben den Putzmitteln standen zwei Flaschen Wodka. Eine war fast leer, die andere noch voll. Traurig blieb sie einen Moment stehen. Konnte es dafür eine harmlose Erklärung geben? Sie wünschte es sich sehr.

Daraufhin sah sie auch in den Küchenschränken nach und schob die Dinge vorne etwas zur Seite. Dahinter fanden sich zahlreiche Packungen mit kleinen Likörflaschen. Isabel hatte einen Sicherheitsvorrat versteckt. Dafür konnte es nur einen Grund geben, sosehr sich Margit auch dagegen sträubte. Ihre Schwiegertochter hatte in der Tat ein ernstes Alkoholproblem.

Margit behielt für sich, was sie herausgefunden hatte. Sie rang mit sich. Noch schien das Leben von Isabel und Werner durchaus glücklich zu verlaufen. Es war seit dem ersten Abend zu keinen schlimmeren Wutausbrüchen mehr gekommen. Im Gegenteil, wenn Isabel ihr Pensum trinken konnte, war sie umgänglicher und angenehmer als je.

„Margit, du musst nicht mit deinem Sohn sprechen, sondern mit Isabel“, mahnte Rudolf. „Sie ist es, die Schwierigkeiten hat.“

„Herzlichen Dank! Du hast leicht reden. Du sitzt am anderen Ende von Deutschland und bist nicht an der vordersten Familienfront. Ich möchte doch nur, dass es Sina gut geht und sie eine schöne Kindheit hat. Nehme ich dem Kind etwas weg, wenn ich etwas sage?“

„Von außen betrachtet, sehen die Dinge immer anders aus, als wenn man sich darin befindet“, räumte Rudolf ein. „Du bist dabei, dieselbe Scheinidylle aufrechterhalten zu wollen, in der deine Schwiegertochter zur Flasche greift. Es stimmt etwas nicht an dem schönen Familienbild. Wenn du das ansprichst, bist nicht du dafür verantwortlich, dass da etwas im Argen ist. Du sprichst es an, weil es im Argen ist und du dir Sorgen machst. Siehst du den Unterschied?“

„Das klingt so schrecklich klug. Tauschen wir?“, stöhnte sie hilflos.

„Ich wünschte, das ginge, Margit! Es tut mir so leid, was du da gerade erlebst. Ich habe dich lieb“, sagte er mit einer Wärme und Anteilnahme, die ihr Tränen in die Augen trieben. Sie war froh, ihn gefunden zu haben und einem gemeinsamen Lebensabend entgegenzusehen.

Am Wochenende hatte Werner frei, und Sina ging es wieder besser. Sie gingen am Samstag alle zusammen in den Zoo, und am Abend wurde im Garten mit ein paar Freunden gegrillt. Margit genoss das Familienleben umso intensiver, weil sie ahnte, dass sie es für lange Zeit würde entbehren müssen. Sie verbrachte jede Minute mit Sina.

Vergeblich versuchte sie, die Sektflaschen nicht zu zählen, die Isabel ganz offiziell an einem Tag leerte. Dachte sie an die härteren Sachen, die ihre Schwiegertochter noch nebenbei heimlich trank, wurde ihr ganz anders. Wie lange hielt eine Leber bei solchen Mengen durch?

***

Am Montagmittag konnte Margit nicht mehr schweigen, um ihre Enkelin zu schützen. Am Morgen hatte Isabel Sina mit dem Wagen in den Kindergarten gebracht, der etwa zwei Kilometer entfernt lag. Margit war davon ausgegangen, dass die Mutter davor nichts getrunken hatte, und ließ es geschehen, wenn auch mit einem unguten Gefühl.

Als Isabel dann aber gegen dreizehn Uhr wieder losfahren wollte, um die Kleine zu holen, wusste Margit genau, dass sie in angetrunkenem Zustand war. Seit sie wusste, worauf sie achten musste, bekam sie öfter mit, wenn sich ihre Schwiegertochter einen Schluck aus der Flasche unter der Spüle genehmigte. Im Verlauf dieses Morgens hatte sie sich deutlich mehr als nur einen Schluck gegönnt.

„Gib mir den Autoschlüssel!“, bat sie daher ganz ruhig. „Du kannst so nicht fahren. Ich hole Sina ab.“

„Was soll das heißen? Warum sollte ich nicht fahren können?“, fragte Isabel hörbar gereizt und angriffslustig und stellte sich unwissend.

„Isabel, du hast getrunken. Was ist, wenn du in diesem Zustand einen Unfall baust? Du würdest dir nie verzeihen, Sina oder einen anderen Menschen verletzt zu haben. Bitte, lass mich fahren!“, blieb Margit betont ruhig und versuchte, nicht vorwurfsvoll zu klingen.

„Natürlich! Ich bin die Tochter eines Trinkers, und da muss auch ich eine Trinkerin sein. Fünfzehn Jahre sind Werner und ich nun verheiratet, aber du hast deine Meinung über mich nie geändert. Tut mir leid, dass er die falsche Frau genommen hat, Margit! Wirklich, es tut mir ehrlich leid für dich, aber ich bin nun einmal seine Frau und die Mutter seiner Tochter. Ich …“

„Isabel, ich möchte dir helfen. Bitte! Wir hatten keinen guten Start damals, und das bedauere ich sehr, aber wir sind eine Familie. Ich weiß nicht, seit wann du ein Alkoholproblem hast, aber …“

„Weil ich kein Alkoholproblem habe. Ich trinke hin und wieder gerne einen Schluck Sekt oder ein Glas Wein mit meinem Mann. Das gehört einfach zu Werners und meinem Lebensgefühl. Ist er auch ein Alkoholiker?“, ereiferte sich Isabel. Ihr Gesicht war feuerrot und ihre Hände zu Fäusten geballt. Sie bebte vor Zorn.

Margit ging unwillkürlich auf Abstand. Die Empörung war echt. Konnte es sein, dass Isabel wirklich nicht wusste, dass sie längst keine gelegentliche Genusstrinkerin mehr war? Margit wusste nur zu gut, wie leicht es war, sich selbst etwas vorzumachen. Schweren Herzens beschloss sie, ihre Schwiegertochter mit dem zu konfrontieren, was sie herausgefunden hatte.

„Ein gutes Glas Wein am Wochenende oder an einem besonders schönen Abend macht niemanden zu einem Alkoholiker. Die Weinflasche muss man auch nicht vor seinen Lieben unter der Spüle verstecken oder hinten in den Schränken. Man kann sie offen stehen lassen, denn an ihr ist nichts auszusetzen. Warum versteckst du den Wodka und den Likör, Isabel?“, fragte sie und sah ihr dabei fest in die Augen.

Isabel prallte einen Schritt zurück, hielt ihrem Blick aber stand und starrte sie hasserfüllt an. Da waren kein Funke Einsicht oder Schuldbewusstsein. Margit begriff das nicht, aber sie kannte sich mit Verhaltensmustern von Suchtkranken auch nicht aus. Sie fühlte sich von dieser Situation absolut überfordert. Wusste Isabel es tatsächlich selbst nicht? Konnte das sein?

„Du bist als Gast willkommen unter meinem Dach und nutzt das, um in meinem Haushalt zu spionieren und deine bösartigen Schlüsse zu ziehen? Wie erbärmlich und niederträchtig ist das denn! Ich nutze den Wodka zum Fensterputzen, deshalb steht er bei den Putzmitteln, und die Liköre sind nett, wenn wir in einer lockeren Runde zusammensitzen mit Gästen“, sagte Isabel, ohne auch nur überlegen zu müssen.

Margit versetzte es für einen Moment einen Schlag. Hatte sie sich getäuscht? War sie so voller Vorurteile gewesen, dass ihr diese harmlosen Erklärungen nicht gekommen waren? Musste sie sich bei Isabel entschuldigen? Wie gerne hätte sie das getan, aber sie glaubte es nicht. Das waren Ausreden, auch wenn sie es für möglich hielt, dass Isabel selbst daran glaubte.

„Isabel, Wodka ist kein Spiritus, und niemand putzt damit seine Fenster. Außerdem hast du in den letzten Tagen kein einziges Fenster geputzt, aber mindestens zwei Flaschen Wodka verbraucht – für was auch immer.“

„Du hast mich kontrolliert in meinem eigenen Haus! Wie kannst du es wagen! Ich …“ Isabel wollte auf sie losgehen und sie schlagen, und nur ein letzter Rest von Selbstkontrolle hielt sie zurück.

„Und in der vergangenen Woche waren wir öfter mit Gästen zusammen. Die kleinen Liköre waren dabei nie ein Thema, aber die Fläschchen nehmen dennoch stetig ab“, fuhr Margit unerbittlich fort.

Nun, wo die Katze aus dem Sack war, hatte es keinen Sinn mehr, sich zurückzuhalten.

„Du kannst mich und jeden anderen anlügen, aber dir selbst gegenüber musst du ehrlich sein – für Sina und für Werner. Bitte, geh zu einem Arzt und lass dir helfen! Denke zumindest über einen Entzug nach! Warum rufst du nicht einmal bei den Anonymen Alkoholikern an und holst dir Rat?“, bat Margit.

Sie musste wenigstens versuchen, Isabel zur Vernunft zu bringen.

„Mit mir musst du darüber nicht reden. Du darfst mich gerne hassen, aber unternimm etwas und such dir Hilfe, bevor es zu spät ist! Du könntest mit Sina im Auto einen Unfall bauen. Isabel, ich …“

„Vor dir muss ich mich nicht rechtfertigen. Du hast mein Vertrauen gebrochen und hinter meinem Rücken mein Haus durchsucht. Wer tut denn so etwas? Margit, ich dachte, da du jetzt wieder einen Mann hast, kannst du mir endlich meinen Mann lassen. Werner ist dein Sohn und nicht dein Gefährte“, ging Isabel zum Gegenangriff über.

Margit schluckte. Wer austeilte und Ehrlichkeit forderte, der musste auch zu seinen eigenen Schwächen und Fehlern stehen. Sie sprang über ihren Schatten. Durch Rudolf war ihr in der Tat so einiges klargeworden, was sie falsch gemacht hatte.

„Isabel, ich habe mich nie bei dir dafür entschuldigt, dass es mir so schwergefallen ist, meinen Sohn loszulassen. Verzeih! Ich war so gerne seine Mutter und habe die Mutterschaft geliebt. Leider konnte ich keine Kinder mehr bekommen, und so ist es bei einem Kind geblieben, und das war viel zu schnell ein erwachsener Mann. Das wollte ich nicht wahrhaben. Ich weiß, ich habe Fehler gemacht, und du musstest genau wie Werner darunter leiden“, räumte sie ein.

Isabel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und machte ihn wieder zu. Margits Entschuldigung kam unerwartet und im falschen Moment. Das war alles Schnee von gestern, und es war ihr egal, ob Margit das nun bedauerte oder nicht. Sie brauchte einen Grund, um ihre Schwiegermutter zu hassen, und dafür war ihr alles recht.

„Gib mir den Schlüssel, Isabel! Bitte!“, wiederholte Margit eindringlich.

Isabel warf ihr den Schlüssel vor die Füße.

„Hol Sina ruhig ab und genieß die Zeit mit ihr, bis Werner kommt! Ich kann dich nicht ohne seine Einwilligung aus dem Haus werfen. Es ist unser gemeinsames Haus. Aber solange du hier bist, werde ich in ein Hotel ziehen. Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben, Margit“, sagte sie mit gepresster Stimme.

Isabel war jetzt richtig in Fahrt.

„Es wird dir nicht gelingen, Werner und mich auseinanderzubringen. Wir lieben uns und stehen zusammen. Du hast den Bogen überspannt.“ Mit diesen Worten ging sie hoch erhobenen Hauptes hinauf in ihr Schlafzimmer.

Margit nahm an, dass sie einen Koffer packte, um Werner damit unter Druck zu setzen, notfalls selbst das Haus zu verlassen, wenn er es wagen sollte, zu seiner Mutter zu stehen. Im Gegensatz zu Isabel hielt Margit das kaum für wahrscheinlich. Isabel hatte die besseren Karten.

Wie erwartet, war Isabel nicht mehr da, als Margit mit Sina zurückkam, die fröhlich erzählte, was sie im Kindergarten Tolles erlebt hatte. Gierig sog Margit die gemeinsame Zeit mit ihrer Enkelin in sich ein. Ihr Albtraum bewahrheitete sich, daran zweifelte sie nicht mehr. Sie würde das Kind sehr lange nicht mehr sehen dürfen.

War es das wert gewesen? Hatte sie richtig entschieden? Der Preis war entsetzlich hoch. Aber so weh es ihr tat, sah sie keinen anderen Weg. Der Gedanke, dass Isabel schon am anderen Tag wieder im betrunkenen Zustand ins Auto steigen würde, war ihr unerträglich, aber es lag nicht in ihrer Macht, das zu verhindern.

Margit buchte sich ein Ticket für den Nachtzug nach Hamburg und informierte Rudolf über ihre Heimkehr.

„Du bist voreilig. Vielleicht reagiert dein Sohn vollkommen anders, als du denkst“, machte er ihr Mut.

„Das wird er nicht tun. Werner ist loyal. Ich habe ihn so erzogen und liebe ihn dafür. Und selbst wenn er Zweifel hat, kann ich nicht bleiben. Isabel und er müssen das klären. Wenn sie mich irgendwann wieder einladen, fahre ich gerne wieder hin“, antwortete sie traurig.

Werner kam eine Stunde früher nach Hause als gewöhnlich, und Margit spürte seine Enttäuschung und die kalte Wut, als er den Raum betrat.

„Ich möchte, dass du gehst, Mutter!“, sagte er bestimmt. „Isabel hat sich in den vergangenen Tagen wie eine gute Gastgeberin verhalten, aber du hast alle Regeln der Gastfreundschaft gebrochen. Ich habe bisher nie Stellung zwischen euch bezogen, aber was du heute getan hast, kann ich nicht akzeptieren. Ich halte zu meiner Frau.“

„Und dafür achte ich dich, mein Sohn. Ich habe mir schon ein Ticket für den Nachtzug gebucht. Aber das ändert nichts daran, dass deine Frau ein ernstes Alkoholproblem hat. Ich denke, sie hat den Wodka unter der Spüle und die anderen Sachen, die sie in der Küche versteckt hatte, verschwinden lassen, aber du musst nur weitersuchen. Du wirst andere Verstecke finden. Sie kann nicht anders.“

„Ich will das nicht hören! Du solltest dich schämen, Mutter! Ich vertraue meiner Frau und werde sie nicht überprüfen. Isabel trinkt gerne ihren Sekt, und sie verträgt sehr viel und kann an einem geselligen Abend so einiges trinken. Deshalb ist sie noch lange keine Alkoholikerin.“

„Werner, sie kommt morgens nicht in Schwung, ohne die Wodkaflasche ein paarmal anzusetzen, und sie hält ihren Alkoholpegel konstant über den Tag hoch. Du bist der Arzt und weißt besser als ich, was das bedeutet. Sie hat es nicht mehr unter Kontrolle.“

Werner schnaubte ärgerlich, ohne hinzuhören. Was seine Mutter da sagte, war doch alles Unsinn. Wäre es so gewesen, hätte er das selbst längst bemerken müssen.

Weinend war Isabel mit ihrem Koffer zu ihm in die Praxis gekommen und hatte ihm unter Tränen versichert, dass die Vorwürfe seiner Mutter nur böse Unterstellungen waren. Er glaubte ihr.

„Sie fährt betrunken Auto, auch wenn Sina im Wagen sitzt. Sie geht betrunken in die Praxis und behandelt eure Patienten. Was ist, wenn sie einen schweren Kunstfehler macht in ihrem Zustand? Das könnte euch eure Existenz kosten. Isabel hat ein Problem und braucht deine Hilfe, Werner! Tue etwas, bevor Schlimmeres passiert, das sich unter Umständen nicht mehr gutmachen lässt“, beschwor ihn Margit.

„Du hast ein Problem und weißt nicht, wann es an der Zeit ist aufzuhören“, antwortete er eisig und fand ihre Beharrlichkeit widerlich. Was versprach sie sich davon, einen Keil zwischen ihn und Isabel zu treiben? Warum tat sie das nur?

„Achte einmal darauf, was sie isst! Ein Spatz braucht mehr Nahrung als deine Frau. Sie ist dünn geworden. Woher kommen all die plötzlichen Stimmungsumbrüche, die Verhaltensänderungen? Werner, du musst hinschauen, damit es ihr besser gehen kann. Isabel braucht dich. Du kannst ihr Sina so nicht guten Gewissens anvertrauen. Sie überschätzt sich und …“

„Sei still! Ich will das nicht hören! Du sprichst über meine Frau. Mutter, es ist besser, wenn du deine Sachen packst und gehst. Ich rufe dir ein Taxi, das dich zum Bahnhof bringt“, unterbrach er sie zornig und hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten.

Margit verstummte. Sie hatte getan, was in ihrer Macht lag. Nun musste sie den Dingen ihren Lauf lassen, so hart das auch war.

„Ich habe dich lieb, mein Sohn, und wünsche dir und deiner Familie nur Gutes. Solltet ihr mich irgendwann brauchen, dann rufe an! Es tut mir so leid, dass ausgerechnet ich dir das alles sagen musste. Vor fünfzehn Jahren war ich eine eifersüchtige, übervorsichtige Mutter und verdiente deinen Zorn. Heute liegen die Dinge anders. Isabel braucht Hilfe.“

„Geh jetzt!“

***

Wie eine Siegerin hielt Isabel am Abend Einzug in ihrem Zuhause. Sie fühlte sich großartig. Werner hatte sich endlich eindeutig zu ihr bekannt und seiner Mutter die Tür gewiesen. Auf diesen Triumph hatte sie lange gewartet.

Isabel fühlte sich gut und hätte zu gern mit einer Flasche Sekt gefeiert, aber sie nahm nur heimlich ein paar Schlucke aus der Wodkaflasche, die sie im Badezimmer hinter dem Klopapier deponiert hatte. Werner hätte ihr die Feierlaune vielleicht übel genommen. Schließlich war es seine Mutter, die er vor die Tür gesetzt hatte.

Nach wie vor war Isabel zutiefst überzeugt, unrechtmäßig von Margit beschuldigt worden zu sein. Gut, sie trank vielleicht ein wenig mehr, als sie Werner gegenüber eingestand. Gut, sie sorgte dafür, dass er nicht alles mitbekam, was sie konsumierte.

Warum auch nicht? In einer Ehe musste man sich doch nicht alles auf die Nase binden. Sie tat das nur, weil er selbst so gut wie nichts trank. Sie wollte ihn nicht irritieren. Schließlich hatte sie es unter Kontrolle und konnte jederzeit aufhören.

Das war das entscheidende Kriterium. Die Kontrolle lag voll und ganz bei ihr. Sie bestimmte, wann und wie viel sie trank. Sie war nicht wie ihr Vater. Margit hatte doch keine Ahnung, wie es war, mit einem Alkoholiker unter einem Dach zu leben. Nein, Margit hatte keine Ahnung!

Isabel blockte die Erinnerungen ab, die in ihr aufsteigen wollten. Die Tatsache, dass diese Erinnerungen kamen, machte sie noch wütender auf ihre Schwiegermutter. Wie konnte Margit nur denken, dass sie jemals etwas getan hätte, das für Sina gefährlich sein könnte? Sie war ganz und gar nicht wie ihr Vater und wusste genau, was sie tat!

„Werner, ich bin dir sehr dankbar, dass du heute so eindeutig und kompromisslos meine Partei ergriffen hast. Wir sind wie Adam und Eva, du und ich. Wir schaffen uns unser eigenes Paradies mit Sina und brauchen niemanden. Wir passen aufeinander auf und beschützen uns gegenseitig“, sagte sie, als sie sich auf dem Sofa in die Arme ihres Mannes schmiegte.

Werner streichelte sie beruhigend und sagte nichts. Ein abgeschottetes Zweierparadies, zu dem niemand zugelassen war, empfand er eher als Gefängnis, aber er verstand, dass Isabel das manchmal brauchte. Sie hatte viel mitgemacht und wollte sich sicher und geborgen bei ihm fühlen können.

In Gedanken war er bei seiner Mutter, die nun im Nachtzug nach Hamburg saß. Er hatte sie hinaus zum Taxi gebracht und ihr nachgesehen. Die tiefe Traurigkeit in ihren Augen war kaum zu ertragen gewesen. Warum nur hatte das passieren müssen? Der Besuch hatte doch so gut begonnen!