Die besten Ärzte - Sammelband 52 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 52 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1817: Nina braucht ein neues Herz
Notärztin Andrea Bergen 1296: Ich werde es schaffen!
Dr. Stefan Frank 2250: Dr. Frank, wer bin ich?
Dr. Karsten Fabian 193: Wirbelwind und Mauerblümchen
Der Notarzt 299: Quälende Eifersucht

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 569

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Katrin Kastell Isabelle Winter Stefan Frank Sybille Nordmann Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 52

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2016/2017 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © goodluz / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-4661-8

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 52

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1817

Nina braucht ein neues Herz

Die Notärztin 1296

Ich werde es schaffen!

Dr. Stefan Frank 2250

Dr. Frank, wer bin ich?

Dr. Karsten Fabian - Folge 193

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Wirbelwind und Mauerblümchen

Der Notarzt 299

Quälende Eifersucht

Guide

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Contents

Nina braucht ein neues Herz

Die Ärzte der Berling-Klinik und ein Wettlauf gegen die Zeit

Von Katrin Kastell

Dr. Holl eilt über den Klinikflur. Er hat Richard Friedrich mit einer schrecklichen Nachricht im Besprechungsraum zurückgelassen. Dr. Holl ist untröstlich, aber er muss in den OP. Dort wird einem Patienten in den nächsten Stunden ein neues Herz transplantiert – das Herz, von dem Richard Friedrich bis eben dachte, es stünde seiner kleinen Tochter Nina zu.

Dr. Holl bedauert dieses Missverständnis und kann es sich nicht erklären, aber im OP geht es jetzt um Leben und Tod. Die kleine Nina wird weiter hoffen und warten müssen.

Wenige Minuten später betritt der Chefarzt den Vorraum zum OP. Ein erschütternder Anblick bietet sich ihm dort: Richard Friedrich bedroht den Herzspezialisten mit einer Pistole. Wenn die kleine Nina das Spenderorgan nicht bekommt, wird Richard schießen …

Immer wieder warf Patrick Birkner verstohlene Blicke auf die Frau neben ihm. Sie hatte sich in eine Zeitschrift vertieft. Dabei verschwand ihr schönes Profil leider hinter einem Vorhang seidiger Haare. Und wenn sie aus dem Fenster schaute, konnte er gar nichts mehr von ihrem Gesicht erkennen.

Er kramte in seinem Gedächtnis nach ein paar netten Bemerkungen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Doch was sagte man zu einem schönen weiblichen Wesen, wenn man sich mit nur ein paar Worten so interessant machen wollte, dass sie einem ihre Handynummer gab?

Schon auf dem Flug von New York nach Frankfurt war sie Patrick aufgefallen. Sie hatte zwei Reihen vor ihm gesessen, Sitz am Gang, wie er. Aber immer, wenn sie aufgestanden war, hatte er den Kopf zur Seite geneigt und die Gelegenheit genutzt, die sanften Formen ihrer Figur mit wachen Blicken nachzuzeichnen.

Beim Umsteigen in Frankfurt hatte er unverhofftes Glück gehabt, denn jetzt auf der Strecke nach München saß sie zum Greifen nah an seiner Seite. Zufall oder Schicksal?

Glauben Sie daran, dass eine geheime Macht dafür gesorgt hat, uns nebeneinander zu platzieren?

Patrick seufzte leise. Irgendwie doch eine ziemlich plumpe Anmache. Außerdem war eine solche Frage mit einem Nein schnell – und vor allem abschließend – beantwortet.

Oder sollte er lieber noch mal über die Turbulenzen während der Strecke New York-Frankfurt reden? Doch dann würde sie ihn schnell mal für einen furchtsamen Zeitgenossen halten. Das brachte also auch nichts.

Werde aktiv, Patrick Birkner. Sitz nicht so doof rum! Sag was!

Bliebe noch ein Gespräch über München und das Woher und Wohin. War aber wohl auch nicht viel besser.

Da bescherte der Himmel Patrick eine Chance. Die Zeitschrift rutschte ihr von den Knien. Er durfte sich danach bücken und das Hochglanzheft wieder vom Fußboden heraufholen.

„Danke“, sagte sie mit einem zauberhaften Lächeln.

Aber ihre Augen schauten müde, so, als hätten sie in der letzten Zeit wenig geschlafen und dabei noch viel Unangenehmes gesehen.

Patrick schaute auf die Uhr. In spätestens einer Viertelstunde würden die Räder des Airbusses die Landebahn des Flughafens berühren. Er musste sich also beeilen.

„Sie waren auch in New York“, stellte er fest.

„Stimmt. Und waren Sie nicht der Passagier, der beim Einsteigen seine Bordkarte nicht finden konnte?“ Ihre Stimme klang dunkler, als er erwartet hatte.

„Oje! Ausgerechnet daran erinnern Sie sich!“ Aber immerhin hatte er da am Schalter ihre Beachtung gefunden. Ein gutes Zeichen, frohlockte eine einsame Stimme in ihm. Nun gut, ein ziemlich kleiner Sieg, aber fingen nicht alle Liebesgeschichten so an?

„Ich hoffe, ich habe Ihnen dadurch keine Unannehmlichkeiten bereitet“, sagte er.

Der Landeanflug begann. Jetzt schien die Sonne ins Fenster und malte etwas goldenen Glanz auf das Haar der Schönen.

„Aber nein. So schnell bringt mich nichts aus der Fassung. Von Fluggästen bin ich einiges gewohnt.“

Er schaltete schnell. „Weil Sie mit Ihnen beruflich zu tun haben?“

„Genau. Im richtigen Leben bin ich Flugbegleiterin und lasse mich jetzt von meiner Gesellschaft nach Hause fliegen. Nehmen Sie nie eine andere. Mit uns fliegen Sie sicher und komfortabel.“ Sie lächelte ironisch. „Ich hoffe, das war jetzt eine gute Werbung für meine Linie.“

„Das kann man wohl sagen.“ Er lächelte jetzt auch. „Auf jeden Fall werde ich mir Ihre Empfehlung merken. Sie haben das sehr eindrucksvoll vorgetragen. Waren Sie lange in New York?“

„Eine ganze Woche.“

Allein? Mit Freunden zusammen? Oder mit einem … Ihrem Freund? Wie Pingpongbälle schossen ihm diese Fragen durch den Kopf, die er natürlich niemals stellen würde.

Erfreut registrierte Patrick, dass sie sich nicht mehr für die Zeitung interessierte, ja, sie sogar mit einer nachlässigen Geste in das Netz an der Rückwand des Vordersitzes steckte.

Hatte er sie jetzt doch für eine Unterhaltung gewonnen? Wenn ja, dann sollte er sich jetzt bemühen, die verbleibende Zeit so zu nutzen, dass sich ein Wiedersehen ganz einfach ergeben musste.

„Ich bin froh, wieder in München zu sein“, sagte er und hoffte, dass sie ihn nach dem Grund seines Aufenthaltes in New York fragen würde. Leider tat sie es nicht. „Ich liebe die Stadt“, fügte er hinzu.

„Ich auch.“

Ein paar Worte mehr hätten es ruhig sein können.

„Sie kennen sicher viele Städte auf dieser Welt. Wo sind Sie am liebsten?“

„Jede Stadt hat ihre Reize.“

Wie wahr, wie wahr! Aber auf diese Weise kommen wir nie richtig ins Gespräch.

Und dann kam ihm die wunderbare Idee, sie im Taxi mit in die Stadt zu nehmen. Während er noch nach den richtigen Worten suchte, seinen Vorschlag nicht zu unverbindlich, aber auch nicht zu plump zu formulieren, griff sie nach Ihrer Handtasche und erhob sich plötzlich.

„Lassen Sie mich bitte vorbei? Servus. Und noch einen angenehmen Tag!“

Hilflos sah Patrick ihr nach, wie sie entschwand. Wo ging sie hin? Wollte sie noch mit den Kolleginnen plaudern? Er war am Boden zerstört. Keine Telefonnummer, nicht einmal ihren Namen wusste er.

Da fiel sein Blick auf einen Ohrstecker, der zwischen Lehne und Sitz klemmte. Er zog ihn heraus. Den musste sie verloren haben. Das war die Gelegenheit, jetzt sofort nach ihr zu suchen und ihr das verlorene Schmuckstück wie eine Trophäe zu überbringen, natürlich mit Anspruch auf Belohnung. Die könnte darin bestehen, dass sie seine Einladung zum Essen annahm.

Doch jetzt zeigte sich das Schicksal sehr ungnädig. Das Zeichen zum Anschnallen leuchtete auf. So war also auch diese Chance vertan. Missmutig verzog er den Mund und ließ den Ohrstecker in die Tasche seiner Jacke gleiten.

Die Maschine landete. Patrick suchte sein Handgepäck zusammen. Während des Ausstiegs, am Gepäckband, in der Ankunftshalle – überall schaute er nach ihr, doch sie blieb verschwunden. Hatte er vielleicht nur phantasiert?

Der Taxifahrer verstaute seine Koffer im Wagen. Patrick nannte ihm seine Münchener Anschrift.

Erst nach einigen Kilometern Fahrt fand er sich in der Realität wieder zurecht. Soeben begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt.

Leitender Oberarzt in der Berling-Klinik.

Ein Traumjob. Nur leider ohne Traumfrau.

***

Die beiden Frauen umarmten sich. „Danke Silke, dass du mich abholst. Ich hätte auch mit der S-Bahn fahren können.“

Silke Römer, eine zierliche Person mit fuchsroten Haaren, betrachtete die Freundin aufmerksam. „Willkommen daheim. Du siehst ganz gut aus“, stellte sie dann fest. „Aber die Augen sind noch zu trist. Da muss mehr Optimismus rein.“

„Lass mir doch meine Zeit zum Trauern“, bat Laura, kramte in ihrer Tasche nach der Sonnenbrille und setzte sie auf. „Besser so?“

Silke lachte, nahm den Koffer in die Hand und schob das Gepäckstück neben sich her.

„Nun komm schon. Zu Hause warten Kaffee und ein frischer Hefezopf, und dann kannst du erst mal schlafen.“

In München war ideales Sommerwetter. Wolkenlos, Dauerblau, nicht zu heiß, siebenundzwanzig Grad, Menschen an der Isar, in den Parks und Gärten. Laura freute sich, dass sie noch ein paar Tage Urlaub hatte und die Sonnentage nutzen konnte.

„So schnell werde ich mich jedenfalls nicht wieder verlieben“, sagte Laura.

Wart’s nur ab!, sagte Silkes Blick.

„Nein, ganz bestimmt nicht!“ Laura musste lächeln. „Ich weiß ja, dass du John nie mochtest, aber mir hat er viel bedeutet.“

Inzwischen hatten die beiden Frauen Silkes Kleinwagen erreicht. Laura öffnete den Kofferraum, in dem ihr Gepäck gerade so Platz fand.

„Er konnte sich nicht entscheiden“, sagte Silke. „Du warst zwei Jahre lang seine Geliebte. Aber die Ehefrau wollte er auch nicht aufgeben.“

Laura klappte den Kofferraum zu, stieg auf der Beifahrerseite ein und schnallte sich an.

„Du hast ja recht, aber jetzt lass uns, um Himmels willen, nicht mehr über John reden. Es ist vorbei und eine Fortsetzung wird es ganz gewiss nicht geben.“

„Hoffentlich!“ Auch Silke legte den Sicherheitsgurt an. „Morgen ist übrigens eine Party bei Ben. Er sagt, wenn wir nicht kämen, würde der Abend furchtbar fad verlaufen. Also habe ich zugesagt, auch in deinem Namen. Ein bisschen Ablenkung bringt dich auf andere Gedanken. So, jetzt aber los.“

Sie startete den Motor und fuhr aus dem Parkhaus. Wenige Minuten später befanden sie sich schon auf der Zufahrtsstraße zur Autobahn.

„Wie waren die Flüge?“

„Nichts Besonderes. Ich habe hauptsächlich geschlafen. Über dem Atlantik gab’s ein paar heftige Turbulenzen, danach war’s wieder ruhig. Ja, und auf dem Weg hierher saß ich neben einem Mann, der mich dauernd angestarrt hat. Er dachte wohl, ich merke nichts.“

„Wie sah er aus?“

„Super. Aber was heißt das schon? Wichtiger sind doch die Eigenschaften und Wesenszüge. Aber keine Sorge, ich bin nicht mit ihm verabredet. Und werde ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wiedersehen.“

„Wie geht es deiner Nichte?“

Laura atmete tief ein. „Gleichbleibend schlecht. Mein Bruder verbringt die Tage mit Warten. Gestern habe ich noch mit ihm telefoniert. Ich glaube, er wird sich nie daran gewöhnen.“

„Es ist ja auch ziemlich pervers, dass man ein Organ für sein Kind braucht und gleichzeitig auf den Tod eines anderen hofft.“

Silke schüttelte sich. „Hoffentlich komme ich selbst niemals in eine solche Lage. Die Kleine tut mir leid. Gibt es keine anderen Möglichkeiten für ihr krankes Herz?“

„Leider nicht. Das ist alles schon durchgesprochen mit den Ärzten. Ihr Herz ist so geschädigt, dass es bald ersetzt werden sollte. Hätte es nicht die Niere oder die Leber sein können? Dann wäre mein Bruder sofort zur Spende für sein Kind bereit gewesen. Aber das Herz kann man nun mal nicht hergeben, bei aller Liebe nicht.“

Sie näherten sich einem Stauende. Silke trat auf die Bremse.

„Och nein, das darf doch nicht wahr sein!“, rief sie aus. Im Radio wurde ein Unfall in ihrer Fahrtrichtung gemeldet.

Doch ihre Geduld wurde nicht sehr lange strapaziert. Schon nach wenigen Minuten ging es weiter, erst noch etwas zäh, dann flüssiger.

***

Chefarzt Dr. Holl begrüßte seinen neuen Mitarbeiter mit großer Herzlichkeit.

„Ich freue mich sehr, dass ich Sie jetzt zu meinem Team zählen darf, Doktor Birkner. Haben Sie sich schon ein wenig eingelebt in München?“

„Aber ja“, erwiderte Patrick. „Es fiel mir nicht schwer. So viel hat sich in den paar Jahren meiner Abwesenheit auch gar nicht geändert.“

Stefan Holl persönlich drehte eine Runde über die Stationen mit dem frisch aus den USA eingetroffenen Herzchirurgen. Von allen Seiten wurde er freundlich willkommen geheißen.

Am Nachmittag gab Dr. Birkner seinen Einstand mit Kaffee und Kuchen, um bei dieser Gelegenheit die Kolleginnen und Kollegen, Pflegekräfte und Verwaltungsangestellte kennenzulernen.

Dr. Holl hielt eine kurze Ansprache, in der er die Vorzüge dieses Spezialisten noch einmal hervorhob. Anschließend wandte sich Patrick an alle Anwesenden und gab seiner Freude auf eine gute Zusammenarbeit Ausdruck.

Auf der Kinderstation empfing ihn Schwester Sonja, die er schon kennengelernt hatte. Eine sympathische Person, dachte er. Jung, tüchtig – und noch nicht so ausgebrannt wie viele ältere Pflegekräfte.

„Ich habe gehört, Sie kommen geradewegs aus den USA“, sagte sie.

„Eigentlich bin ich ein waschechter Münchner. Studiert habe ich hier und später in Boston. Dort habe ich meine Fachausbildung gemacht und jede Menge Erfahrung bei hervorragenden Kollegen gesammelt.“

„Na, dann kennen Sie sich hier ja aus. Ich dachte schon, Sie wären hier fremd. Dann hätte ich Ihnen die Stadt zeigen können.“

„Das ist ganz reizend von Ihnen“, erwiderte Patrick. „Ich komme trotzdem gern auf Ihr Angebot zurück. Welche Restaurants gut sind oder in welche Lokale man geht, weiß ich schon seit Jahren nicht mehr. Vielleicht sind Sie mir in dieser Hinsicht ein wenig behilflich.“

„Aber gern.“ Sonja lächelte zustimmend. „Lassen Sie es mich nur wissen, wann es Ihnen passt.“

„Und jetzt erzählen Sie mir was über die Kinder.“

„Unsere Sorgenpatientin ist Nina Friedrichs, gerade mal acht Jahre alt. Von Geburt an leidet sie an einer Herzschwäche. Sie wartet auf ein Spenderorgan.“

Patrick nickte wortlos.

„Dann haben wir noch Leon. Er ist erst drei, mit einem Loch im Herzen zur Welt gekommen, aber es sieht so aus, als würde es von selbst zuwachsen. Die Daten finden Sie alle im Computer. Morgen um neun ist allgemeine Besprechung.“

„Danke, Schwester …“ Jetzt hatte er ihren Namen vergessen.

„Sonja Weber.“

„Ist das Mädchen mit der Herzschwäche zurzeit auf der Station?“

„Ihr Vater hat sie für Kontrolluntersuchungen gebracht, aber sie werden am Abend wieder heimfahren. Im Fall des Falles sind sie jederzeit übers Handy zu erreichen.“

***

„Hallo!“, stellte Patrick sich drei Minuten später einem blassen Kind vor. „Ich heiße Patrick, und du bist Nina, nicht wahr?“

„Hallo.“ Nina betrachtete ihn aufmerksam aus grauen, klugen Augen. „Was für ein Arzt bist du denn?“

„Ein Chirurg.“ Er setzte sich auf die Bettkante. „Erzähl mir doch was von dir.“

Nina seufzte. Obwohl sie im Bett lag, sah man, dass sie ziemlich dünn war.

„Da gibt’s gar nichts zu erzählen. Ich bin ja schon krank auf die Welt gekommen. War halt Pech.“

Patrick schmunzelte. „Aber so ein Pech hält ja nicht ewig“, erwiderte er gut gelaunt.

In diesem Moment betrat ein Mann das Krankenzimmer. Patrick nannte seinen Namen. Auch Ninas Vater stellte sich vor.

„Wann helfen Sie meinem Kind?“

Patrick fand seine Worte eine Spur zu aggressiv, aber er hatte Verständnis dafür. Es musste zermürbend sein, tagtäglich mit ansehen zu müssen, wie ein noch so junges Leben sich anschickte, wieder zu verlöschen.

„Kommen Sie doch nachher zu mir ins Ärztezimmer“, schlug er vor. „Dann können wir miteinander reden.“

Am Abend stellte Patrick fest, dass Ninas Vater nicht zu einem Gespräch erschienen war. Vielleicht hatte er ja schon zu viele Vertröstungen gehört und wollte sich keinen neuen aussetzen. Denn die Antwort war ja immer die gleiche: Erst wenn ein passendes Spenderherz eintraf, gab es für Nina eine Chance auf Leben.

In seinem möblierten Apartment fühlte sich Patrick noch ziemlich fremd. Hoffentlich fand er bald eine Wohnung in angenehmer Lage, die er mit der Zeit selbst einrichten wollte.

Im unbenutzten Aschenbecher auf dem Sofatisch lag der Ohrstecker. Er nahm ihn in die Hand, drehte ihn hin und her und fragte sich, ob sie ihn schon vermisste.

Es musste doch möglich sein, sie über ihre Fluggesellschaft ausfindig zu machen. Die Frage war nur, ob man ihm eine solche Auskunft überhaupt erteilen würde.

***

„Wie fühlst du dich?“ Marianne schaute ihren Lebensgefährten prüfend an.

Erik Bachmann saß in seinem Ohrensessel. Wenn er sich nicht bewegte, war die Luft gerade ausreichend. Aber schon allein das Umblättern einer Zeitung ließ ihn schwer atmen.

Mit seinen neunundsechzig Jahren hätte er schon ganz gern noch ein eine Weile gelebt, aber das schien der liebe Gott, sofern es ihn überhaupt gab, eher nicht zu wollen.

„Wenn ich einmal tot bin, wirst du dir einen neuen Mann suchen“, sagte Erik jetzt, betrachtete wohlwollend die immer noch schöne Mittfünfzigerin und fragte sich zum tausendsten Mal, warum sie sich ausgerechnet einen so kranken Mann wie ihn ausgesucht hatte

„Das ist mein letzter Wunsch. Ein so liebes Wesen wie du sollte nicht allein bleiben.“

Als ehemaliger Bankangestellter bekam Erik eine Rente, von der er gut leben konnte, aber was hatte er davon, wenn er praktisch nur in seinem Sessel klebte? Reisen konnte er nicht und schon die kleinen Freuden des Alltags blieben ihm verwehrt. Kein Kino- oder Theaterbesuch war möglich und erst recht kein Aufenthalt im Fußballstadion, um seinen Bayern-Spielern zuzujubeln.

Täglich schob ihn Marianne im Rollstuhl ein wenig durch die frische Luft, aber nur, wenn das Wetter danach war, denn auf keinen Fall durfte er sich erkälten. Seine Immunabwehr hatte längst ihren Dienst eingestellt. Weswegen ihn alle wie ein rohes Ei behandelten.

Wenn er seine Marianne nicht hätte, dann wäre Erik womöglich schon längst mit seinem Rollstuhl geradewegs in die Isar gefahren. Doch er hütete sich, so etwas laut zu sagen, denn dann konnte sie wütend werden und ihm eine temperamentvolle Predigt darüber halten, wie lebenswert das Leben sei und dass sie seine Hoffnungslosigkeit nicht dulde.

„Was geht nur wieder in deinem Kopf vor?“, schimpfte sie liebevoll. „Ich will keinen anderen Mann. Ich will dich. Und darum wirst du dich gefälligst bemühen, am Leben zu bleiben. Davonschleichen gilt nicht.“

Erik lächelte. Er mochte das, wenn sie so mit ihm redete.

Vor zehn Jahren war seine Frau gestorben. Kurze Zeit später hatte er Marianne auf einer Kreuzfahrt kennengelernt und sich sofort glühend in sie verliebt. Da auch sie frei und ohne Altlasten war, hatten sie nicht gezögert und sich sofort zusammengetan. Sie hatte ihre Wohnung aufgegeben, war zu ihm in das geräumige Einfamilienhaus in Giesing gezogen – und alles hätte wunderschön sein können, wenn er nicht so elend krank geworden wäre.

„Ich tu, was ich kann“, versprach Erik, glaubte aber nicht, dieses Versprechen auch halten zu können. „Trotzdem möchte ich nicht, dass du allein bleibst.“

„Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen. Ich will nichts mehr davon hören. So, und jetzt gehen wir eine halbe Stunde spazieren. Die Sonne ist nicht mehr so heiß, und die Luft wird dir guttun.“

Von Gehen seinerseits konnte natürlich keine Rede sein, doch Erik fügte sich und ließ sich von ihr in den Rollstuhl helfen. Dabei mochte er es gar nicht, wenn sie hinter ihm ging. So konnte er sie nicht sehen. Aber immerhin hörte er ihre Stimme, die klang wie die eines Engels – freilich eines recht energischen Engels.

***

Am Donnerstag plante Dr. Holl mit seinen Leuten die OPs für die nahe Zukunft ein. Die Ärzte bemühten sich, zwischen den Eingriffen noch Platz zu lassen für Notfälle und mögliche Transplantationen, deren exakte Termine nicht festgelegt werden konnten.

„Wie sehen Sie die Chancen der kleinen Nina?“, fragte Stefan Holl den Herzchirurgen.

„Ich habe ihre ganze Krankengeschichte durchgearbeitet. Das Kind hat ja wohl keinen einzigen Tag in seinem jungen Leben in einer gewissen Normalität verbracht.“

„Ja, das muss man leider wirklich sagen“, bestätigte Chefarzt Dr. Holl. „Nina musste vom ersten Augenblick an um ihr Leben kämpfen.“

„Es ist überhaupt erstaunlich, dass sie so lange durchgehalten hat.“

„Anfangs waren die Symptome noch weniger gravierend“, fuhr Stefan Holl fort, „aber nun fürchte ich auch, dass sie sterben wird, wenn nicht ein Wunder geschieht. Und ein Wunder bedeutet ein neues Herz. Und noch dazu eins, das passt.“

„Die Eltern stehen demnach jederzeit auf Abruf bereit“, stellte Patrick fest.

„Der Vater“, korrigierte Dr. Holl. „Die Mutter ist vor ein paar Jahren tödlich verunglückt. Der Mann macht jetzt ein Jahr Arbeitspause. Das Warten auf ein Spenderorgan zermürbt ihn mehr als seine Tochter. Nina kann manchmal herrlich schnoddrig sein. Wir mögen sie alle. Hoffentlich wird ihre Wartezeit bald beendet. Dann könnten beide, Vater und Tochter, einen neuen Lebensabschnitt beginnen und sich endlich wieder auf andere Dinge konzentrieren.“

Die ganze Kollegen-Runde hörte gespannt zu.

„In Amerika habe ich verschiedene Formen der dilatativen Kardiomyophathie behandelt, viele davon waren Kinder oder sehr junge Menschen. Wenn man dann die Diagnose terminale Herzinsuffizienz mit einer geringen Lebenserwartung stellen muss, ist das auch für mich sehr schwer. Als Arzt möchte man den Kranken ja immer Hoffnung geben. Die meisten Patienten und ihre Angehörigen brauchen dann erst einmal eine Weile, um diesen Schock zu verarbeiten.“

„Uns war bei den Voruntersuchungen bei Nina auch schon klar, dass hier nur ein neues Organ helfen kann. Der Herzmuskel ist bereits zu sehr ausgeweitet. Die Pumpleistung wird immer schlechter.“ Stefan Holl schob seine Unterlagen zusammen. „Weiß man in Amerika schon mehr über die Ursachen dieser Erkrankung?“

„Nicht wirklich“, sagte Patrick. „Genetische Faktoren werden ebenso diskutiert wie Virusinfektionen. Welchen Platz nimmt Nina auf der Rangliste ein?“, wollte er abschließend noch wissen.

„Sie ist noch nicht die Nummer eins, aber das kann sich täglich ändern. Viele Patienten sterben, bevor ein rettendes Organ eintrifft. Das ist traurig für sie. Dafür rücken andere auf der Liste dann umso schneller nach vorn. Eigentlich ist es ein grausames System. Aber ich weiß kein Besseres. Und ich bin froh, dass die Organvergabe zentral geregelt ist.“

Dr. Holl stand auf und bedankte sich bei seinen Leuten, die sich nach der Besprechung in alle Richtungen verstreuten. Er hielt Patrick zurück und bat ihn, eine Einladung zum Essen anzunehmen.

„Den genauen Tag müssten wir noch ausmachen. Meine Frau ist Kinderärztin. Sie würde sich freuen, Sie kennenzulernen.“

„Die Freude wäre ganz auf meiner Seite“, erwiderte Patrick.

Er war schon ganz gespannt auf die Frau des Chefarztes, von der er schon so viel gehört hatte. Die gesamte Klinikbelegschaft ließ auf ihren Chef und dessen Angehörige nichts kommen. Man mochte alle, auch die Kinder, die hier offensichtlich nicht unbekannt waren.

***

Laura war an diesem Abend allein in der Wohnung, die sie sich mit Silke teilte. Sie genoss die Ruhe. In drei Tagen musste sie wieder fliegen.

Die Freundin hatte heute Elternsprechtag. Erfahrungsgemäß würde es spät werden und Silke vollkommen genervt nach Hause kommen.

Manche Eltern verlangten unverhohlen die Korrektur der Schulnoten, weil sie fest davon ausgingen, dass die Lehrerin sich geirrt haben musste. In solchen Fällen war Silke immer besonders wütend.

Gegen acht machte sich Laura ein belegtes Brot, dann telefonierte sie mit ihrem Bruder. Es gab keine hoffnungsvollen Neuigkeiten von seiner Tochter. Ansonsten hatte man sich nicht viel zu sagen. Wie immer war das Gespräch kurz.

Laura hatte den Eindruck, dass Richards Verbitterung sich in einer Abwärtsspirale befand. Er machte ein verdammt ungerechtes Schicksal für das Unglück verantwortlich, das seine Familie heimsuchte und jetzt fest in seinen Klauen hielt.

Laura gab sich schon gar nicht mehr die Mühe, ihn zu trösten. Sie wusste, dass er keinen Zuspruch wollte. Einerseits verstand sie ihn und litt mit ihm. Das ewige Warten auf ein Wunder war wirklich schlimm für ihn.

Andererseits aber wünschte sie sich, er würde seine Argumente gegen Ärzte und egoistische Menschen, die noch keinen Organspenderausweis bei sich trugen, weniger aggressiv vorbringen.

Das Leben mit seinen Unwägbarkeiten ließ sich nicht in Schablonen pressen. Es gab ein Auf und Ab, Glück und Misere, Freude und Trauer, doch das ließ er nicht gelten.

Erst in den letzten Jahren hatte sich der Kontakt zu ihrem Bruder ein klein wenig verbessert, wenngleich man ihn nicht gut nennen konnte. Der Hauptschuldige war in den Augen des Bruders der gemeinsame Vater, der seine erste Frau und den damals elfjährigen Sohn verlassen hatte und zu Lauras Mutter gezogen war. Zwei Jahre nach der Scheidung hatte sich Richards Mutter das Leben genommen.

Diese Tatsache hielt Richard seiner jüngeren Schwester auch heute noch vor, obwohl sie nun wirklich keine Schuld daran trug. Doch das konnte oder wollte Richard nicht wahrhaben. Obwohl sie sich insgeheim danach sehnte, eine herzliche und liebevolle Beziehung zu ihrem Halbbruder zu haben, gab sie irgendwann ihre Bemühungen auf.

Dennoch besuchte sie immer wieder ihre Nichte. Sie liebte dieses Kind, das trotz seiner jungen Jahre über eine erstaunliche Lebenserfahrung verfügte. Vielleicht, weil das Mädchen nicht wie Gleichaltrige aufwachsen konnte, sondern vom Vater wegen ihrer Krankheit sorgsam abgeschirmt wurde von der Welt mit ihren vielfältigen Gefahren für schwerkranke Kinder.

Mit ihren Eltern hielt Laura über lange Zeiträume nur telefonischen Kontakt. Die beiden lebten in Australien. Laura sah sie selten.

Das Läuten des Telefons riss Laura aus ihren Gedanken. Ach, du lieber Gott, es war John! Der hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Was ist los?“, fragte sie aufseufzend. „Wir hatten doch Funkstille ausgemacht. Warum hältst du unsere Vereinbarung nicht ein?“

„Weil du mir fehlst, weil ich dich vermisse, weil ich ohne dich nicht leben kann.“

„Aber mit mir auch nicht!“, gab sie trocken zurück. „John, das wird nichts mehr mit uns. Ich habe lange genug Geduld gehabt. Du hast deine Versprechen immer gebrochen, jetzt ist Schluss. Und dabei bleibt es auch. Ich mag nicht mehr, und ich kann nicht mehr.“

„Aber ich liebe dich!“, flehte der Mann weinerlich.

„Zum Teufel mit der Liebe!“, fuhr Laura ihn an. „Was ist das für eine Liebe, die sich immer verstecken muss? Entweder du liebst mich, dann trennst du dich von deiner Frau. Und wenn du es nicht tust, dann liebst du mich auch nicht.“

„Aber die Dinge liegen nicht so einfach.“

„Es ist mir ziemlich egal, wie sie liegen. Ich weiß nur, dass ich diese Beziehung nicht mehr will. Bitte ruf nicht mehr an.“

„Ich bin nächste Woche in München. Wir könnten uns treffen und über alles reden. Ein Gespräch wirst du mir doch nicht verwehren.“

Laura überlegte kurz. Vielleicht wäre es sogar gut, wenn sie ihm noch einmal ganz brutal und knallhart ihre unverrückbare Entscheidung laut ins Gesicht sagte. Vielleicht begriff er dann, wie ernst es ihr mit der Trennung war.

Jetzt klingelte auch noch das Festnetztelefon.

„Du, ich muss mal an den anderen Apparat. Ruf mich später noch mal an.“ Erleichtert legte sie das das Handy weg und griff nach dem Hörer vom Festnetztelefon.

„Hallo?“, sagte eine in den unteren Lagen angesiedelte Männerstimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie klang ein wenig aufgeregt.

„Wer spricht?“

„Hier ist Patrick Birkner. Wir haben im Flieger von Frankfurt nach München nebeneinander gesessen. Ich hoffe, Sie erinnern sich.“

Laura stutzte. „Sie sind das?“, fragte sie ungläubig. „Woher haben Sie denn diese Telefonnummer?“

„Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach, aber schließlich habe ich es doch geschafft. Ich habe mit verschiedenen Abteilungen Ihrer Fluggesellschaft telefoniert. Und nach mehreren Stunden – wirklich, es hat ewig gedauert – hatte ich einen Mann an der Strippe, der mir wenigstens zugehört hat.“

Patrick sprach ohne Punkt und Komma, denn jetzt kam es darauf an, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Auf keinen Fall durfte sie auflegen.

„Ihm habe ich erklärt, dass eine Flugbegleiterin seiner Airline an jenem Tag Stand-by von New York über Frankfurt nach München geflogen ist, wo sie wohnt. Das wusste ich zwar nicht genau, aber ich hab’s einfach behauptet. Schließlich hatte ich ihn so weichgekocht, dass er mir Ihren Namen und eine Münchener Telefonnummer gegeben hat. Er hofft, jetzt nicht in Teufels Küche zu kommen. Ich habe ihm versprochen, die ganze Verantwortung auf mich zu nehmen und ihn zu entschädigen, falls er deswegen Probleme bekäme.“

Laura hörte den Mann am anderen Ende der Leitung tief ausatmen.

Unglaublich! Laura war sprachlos und überlegte schon, sich deswegen in der Verwaltung zu beschweren. Ihre Daten durften nicht herausgegeben werden.

Aber neugierig war sie trotzdem. „Und wie haben Sie ihn … weichgekocht?“

„Indem ich ihm das wertvolle Schmuckstück beschrieben hab, dass Sie während des Flugs verloren haben.“

„Ich? Welches Schmuckstück?“

„Ihr Ohrstecker. Ich fand ihn auf dem Sitz. Vermissen Sie ihn nicht?“

„Nein.“

„Vielleicht haben Sie sein Fehlen noch gar nicht bemerkt. Ich habe ihn jedenfalls gefunden und hüte ihn sorgsam, bis ich ihn an Sie übergeben kann.“

„Wie sieht der denn aus, dieser Ohrstecker, von dem Sie sprechen?“

„Ein kleiner funkelnder Brilli in Goldfassung“, erläuterte der Anrufer. Er klang sehr zufrieden.

„Das ist wirklich eine ganz ungewöhnliche Art der Anmache, Herr … wie war doch gleich Ihr Name?“

„Birkner. Bitte nennen Sie mich Patrick.“

„Also gut, Patrick. Wie gesagt, Sie lassen sich was einfallen. Leider war es umsonst. Ich bin an Ihrer Bekanntschaft nicht interessiert.“

Eine Weile blieb es still. Laura dachte schon, die Verbindung sei unterbrochen.

Doch dann meldete er sich wieder. Seine Stimme klang hohl. Er schien enttäuscht zu sein. „Gut, das muss ich akzeptieren. Aber dann sagen Sie mir, wie ich Ihnen den Ohrstecker übermitteln soll. Zu Ihnen bringen? Oder ihn als Wertbrief schicken?“

„Sie können sich das Ding an den Hut stecken, Patrick“, erklärte Laura spöttisch. „Ich besitze solche Ohrstecker nicht. Also kann ich auch keinen verloren haben. Ihr Spiel ist entlarvt. Machen Sie’s gut.“

Sie hängte ein und hoffte, dass sie für den Rest des Abends von weiteren telefonischen Belästigungen verschont blieb. Zuerst John mit der Liebe, dann Patrick mit dem erfundenen Ohrstecker, das reichte.

***

Patrick ärgerte sich, hätte aber nicht genau sagen können, worüber. Er war ja direkt von Euphorie erfasst worden, als er endlich die gewünschte Auskunft bekam.

Und nun dieser Reinfall. Laura wollte nichts von ihm wissen. Sie behauptete sogar, der gefundene Ohrstecker war gar nicht von ihr.

Dann musste er von einer anderen Frau stammen, die vorher mit dieser Maschine geflogen war. Die Andere aber interessierte ihn nicht, er wollte Laura wiedersehen.

Was sollte er mit dem Ding jetzt tun?

Schwer enttäuscht ging Patrick um elf ins Bett. Aber er brauchte lange, um einzuschlafen. Immer wieder ging er das Gespräch mit Laura – Laura, was für ein schöner Name! – durch, drehte und wendete jedes Wort, ob es vielleicht nicht doch noch als versteckte Zustimmung gedeutet werden konnte.

Machen Sie’s gut!, waren ihre letzten Worte gewesen. Hatte sie das spöttisch oder ernst gemeint? Fast juckte es Patrick in den Fingern, nach dem Telefon auf dem Nachttisch zu greifen und Laura um Auskunft zu bitten.

Aber sein Quantum an Lächerlichkeit war für heute ausgeschöpft. Er hatte sie gefunden, die attraktive Frau aus dem Flieger, doch Laura zeigte kein Interesse an ihm.

Patrick hingegen war rettungslos in sie verliebt. Und wenn er nicht aufpasste, wurde aus dem Schwelbrand ein nicht mehr kontrollierbares Feuer werden. Doch wie sollte eine solche Kontrolle aussehen?

Laura beherrschte Patricks Gedanken. Im Geist versuchte er, ihr Bild zu malen. Die sanft geschwungenen Brauen, das schmale Gesicht mit den sinnlichen Lippen, dem leicht gerundeten, aber zarten Kinn und der vollkommenen Nase. Das tiefe Blau ihrer Märchenaugen aber erinnerte ihn an Unendlichkeit der Ozeane und des Himmels.

Eine Traumfrau, die wohl für alle Zeiten ein Traum bleiben würde. Patricks Gedanken sprangen immer übermütiger durcheinander. Er konnte keinen mehr so richtig fassen, und endlich war er eingeschlafen.

Am nächsten Morgen stand er um sechs auf, machte sich einen schwarzen Kaffee und trank ihn heiß und in kleinen Schlucken. Die Lebensgeister erwachten.

Ein neuer Arbeitstag lag vor Patrick. Er musste sich von seiner Enttäuschung lösen und sich auf die Patienten und ihre Probleme konzentrieren, die in der Klinik auf ihn warteten.

Da er so gut wie nichts von dieser Frau wusste, hoffte er, sie bald wieder zu vergessen. Wenn Vergessen nur so einfach wäre! Ein sehnsüchtiges Herz ließ sich nicht durch ein paar mahnende Worte beruhigen. Also hoffte er auf die Zeit, von der man behauptete, dass sie alle Wunden heilte.

Kurz nach sieben verließ er das Haus und ging zur S-Bahn-Station. Von hier aus konnte er ohne umzusteigen die Berling-Klinik erreichen. Irgendwann musste er sich einen neuen Wagen kaufen, den alten hatte er in den USA zurückgelassen.

In der Klinik wartete bereits Erik Bachmann auf ihn. Seine Lebensgefährtin hatte ihn gebracht. Er litt unter besonders heftigen Rhythmusstörungen und anhaltender Luftnot mit brodelnden Atemgeräuschen. Die Untersuchung ergab, dass sich die Lunge mit Gewebewasser gefüllt hatte.

„Geht es zu Ende?“, fragte Erik, nachdem er alle Analysen geduldig hingenommen hatte.

„Nein“, erwiderte Patrick. „Wir werden verstärkt Betablocker und harntreibende Mittel einsetzen. Dann geht es Ihnen bald wieder besser.“

„Besser?“, wiederholt Erik seufzend. „Ich weiß ja schon gar nicht mehr, was dieses Wort überhaupt bedeutet. Mein Zustand ist miserabel. Ein Leben ist das schon lange nicht mehr. Aber ich mache Ihnen ja keinen Vorwurf, Doktor. Sie können ja nichts dafür.“

Marianne trat hinter Erik. „Auch, wenn du viele Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen musst, so bist du lebendig. Und das ist ganz entschieden der bessere Zustand.“

„Ich glaube, Ihre Frau hat recht“, sagte Patrick. „Niemals aufgeben, lautet die Devise. Auch das ist Teil des Lebens. Ich schlage vor, dass Sie zwei, drei Tage bei uns bleiben, damit wir gleich überprüfen können, wie sich die veränderten Arzneidosen auf Ihren Zustand auswirken.“

Erik und Marianne tauschten einen Blick. „Du solltest zustimmen“, sagte Marianne.

„Also einverstanden. Dann hast du Zuhause wenigstens ein paar Tage Ruhe.“

„Unsinn. Als wenn es mir darum ginge!“, tadelte sie ihn liebevoll. „Dann fahre ich jetzt los und hole ein paar Sachen, denn damit haben wir nicht gerechnet.“

Eine Pflegerin erschien und schob den herzkranken Mann in ein leeres Zimmer.

„Ich schaue später noch mal nach Ihnen“, versprach Patrick.

Als er später mit Dr. Holl über Erik Bachmann sprach, zeigte sich Patrick schon viel besorgter.

„Eine Weile können wir ihm noch mit Medikamenten helfen, den Tag zu überstehen, aber die Pumpleistung wird dadurch nicht verbessert. Der Patient befindet sich im Stadium einer sehr schweren Herzinsuffizienz. Hoffentlich kommt noch rechtzeitig Hilfe.“

„Das hoffe ich auch“, pflichtete Stefan dem jüngeren Kollegen bei.

„Ach übrigens, meine Frau lässt fragen, ob es Ihnen morgen passt. Bei dem schönen Wetter werden wir auf der Terrasse sitzen und versuchen, nicht über die Klinik zu reden.“

„Ich komme sehr gern“, erwiderte Patrick. Alles, was ihn von seinen traurigen Gedanken ablenkte, war ihm zurzeit sehr willkommen. Und einen Abend mit den Holls zu verbringen, erschien ihm eine besonders angenehme Möglichkeit, der Einsamkeit seiner Wohnung zu entfliehen. Dort fiele ihm ja doch nur die Decke auf den Kopf.

„Zwischen sieben und halb acht“, sagte Stefan Holl noch.

„Passt mir bestens.“ Der Pager in Dr. Holls Kitteltasche begann in einem ziemlich aufdringlichen Ton zu piepsen.

Dr. Holl eilte Richtung Geburtsstation. Für heute stand noch eine Zwillingsgeburt bevor. Er musste nach der werdenden Mutter sehen.

***

„Warum kommt Laura nicht zu uns?“ Nina betrachtete den Vater nachdenklich durch ihre Brille.

„Wir müssen die Kontakte nach außen beschränken. Das habe ich dir doch schon oft erklärt.“

„Ja klar, wegen der Infektionsgefahr.“ Nina versuchte, Richards Gestik nachzuahmen, was ihr sogar ziemlich gut gelang.

„Mach dich nur lustig über deinen Vater!“

Richard stand auf. Er war groß, sehr schlank und ging trotz seiner erst achtunddreißig Jahre schon etwas gebeugt. Die Last des Lebens im Allgemeinen und die Sorge um sein Kind hingen wie schwere Bleibündel an seinen Schultern.

Eigentlich hatte er gehofft, in der Zeit des Sabbatjahrs, das im Herbst zu Ende ging, Ninas Krankheit etwas leichter zu nehmen, doch das war ein Irrtum gewesen.

Schon lange litt er an Schlaflosigkeit. Nachts schlich er meistens durch das Haus und ging immer wieder zu Ninas Zimmertür, um ihren Atemzügen zu lauschen.

Bis vor ein paar Monaten war noch ein Babyfon in ihrem Zimmer installiert gewesen, doch dann lehnte sie die Überwachung ab, wie sie sich ausdrückte. Sie war der Meinung, selbst zu merken, wenn sie Hilfe brauchte.

Seitdem spielte Richard mit dem Gedanken, heimlich ein Mikrofon in ihrem Zimmer installieren zu lassen, wenn sie wieder mal für ein paar Tage in der Klinik musste.

„Ich mache uns jetzt was zu essen. Was magst du lieber, Rührei oder Fertigpizza?“

„Fertigpizza“, kam es spontan zurück. „Aber die mit Spinat.“

Richard schmunzelte. Er war als Kind allein schon bei der Nennung des Wortes blass geworden. Nina hingegen liebte Spinat. Und weil sie ihn liebte, hatte auch er sich allmählich damit angefreundet. Nicht, dass es sein Lieblingsgemüse war, aber er aß es.

„Und Cola!“

„Kommt sofort.“ Eigentlich sollte sie mit Wasser verdünnte Fruchtsäfte trinken, aber er brachte es einfach nicht fertig, ihr beim Essen auch noch Vorschriften zu machen. Er war ja froh, wenn sie überhaupt etwas verlangte. Nina wog zu wenig für ihre Größe. Mal aß sie ausreichend, dann wieder hatte sie über Tage hinweg überhaupt keinen Appetit.

„Während ich die Pizza in den Backofen schiebe, kannst du dir noch mal dein Lesebuch vornehmen.“

„Okay.“

Richard war stolz auf seine intelligente Tochter. Sie konnte schon sehr gut und flüssig lesen. Er vermittelte ihr all das, was eine Achtjährige wissen sollte. Nina saugte Wissen wie ein Schwamm auf und stellte jeden Tag tausend Fragen, die ihr der Lehrer-Vater gewissenhaft beantwortete. Und wenn er mal keine Antwort fand, recherchierte er so lange, bis er sie gefunden hatte.

Häufig lasen sie Geschichten für Kinder mit verteilten Rollen. Nina beherrschte schon den Lernstoff der vierten Klasse, obwohl sie eigentlich erst in der dritten war.

Sie wünschte sich sehr, ganz normal mit den anderen Kindern in die Schule gehen zu können, aber das kam natürlich nicht infrage. Sie war zu schwach und die schon erwähnte Infektionsgefahr zu groß.

Richard unterrichtete seine Tochter deshalb selbst, was ihm bei seinen pädagogischen Fähigkeiten auch nicht schwerfiel.

In der Küche schaltete Richard den Backofen ein. Während er darauf wartete, dass der Ofen die nötige Hitze erreichte, holte zwei kleine Pizzen aus dem Gefrierschrank.

Er war sehr froh, das Haus seiner verstorbenen Tante zu besitzen. Auf diese Weise blieben die Wohnkosten niedrig. Seit Richard nicht mehr arbeitete, konnte er nur noch auf seine Ersparnisse zurückgreifen. Sie reichten zwar noch für eine Weile, aber irgendwann musste er an die Schule zurück. Hoffentlich zusammen mit Nina, wenn sie endlich ihr neues Herz bekam.

Wie lange so etwas dauerte! Man sollte doch wirklich glauben, dass bei den vielen Toten im Straßenverkehr auch endlich ein Spenderorgan für Nina dabei war. Manchmal fragte Richard sich, ob es bei der Vergabestelle mit rechten Dingen zuging. Kam man vielleicht doch eher an die Reihe, wenn man die Verantwortlichen mit einer beträchtlichen Summe schmierte?

Dr. Holl behauptete immer, das sei nicht der Fall. Aber hundertprozentig sicher konnte auch er nicht sein. Man brauchte ja nur die Nachrichten in den Medien zu folgen. Überall Korruption, sowohl in diesem Land, als auch in anderen Ländern. Und da sollte Richard an die gerechte Verteilung gespendeter Herzen glauben?

Nina hatte den Fernseher angemacht. Wie immer ziemlich laut. Aber zum Glück fühlten sich keine Nachbarn gestört. Das freistehende Haus wurde von einem großen Grundstück umgeben.

Das alles würde einmal Nina gehören. Wenn sie das Haus nicht wollte, konnte sie es verkaufen. Die Grundstückspreise in dieser Gegend hatten in den letzten Jahren rasant angezogen.

Richard trug schon mal Teller, Gläser und Besteck ins Wohnzimmer. Nina saß in dem Sessel, den er extra für sie gekauft hatte. Er schob ein Gestell mit kleiner Tischplatte über die Lehnen, sodass sie bequem essen konnte.

Auf dem Bildschirm plärrte ein Schlagerstar einen Song. Beide, sowohl Sänger als auch Lied, waren schon etwas älter.

„Voll unterirdisch“, sagte Nina. Das war im Augenblick ihre Lieblingsbezeichnung für eine ätzende Person.

„Mach doch einfach den Ton weg, bis der Typ fertig ist“, schlug ihr Vater vor. „Gleich kommt die Pizza.“

Doch Nina befolgte den Rat des Vaters nicht, sondern schaltete auf einen anderen Sender, auf dem eine amerikanische Serie lief.

Richard schnitt die Pizza in schmale Tortenstücke. Auch wenn sie mit Messer und Gabel perfekt umgehen konnte, knabberte Nina ihre Pizza so am liebsten.

Richard seufzte. Würde es ihm besser gehen, wenn Gudrun noch lebte und sie sich die Sorge um die Tochter teilen konnten?

Richard vermisste sie schmerzlich. Wenn es ihm gelang, doch mal zwei Stunden an einem Stück zu schlafen, tauchte sie in seinen Träumen auf. Nach einem solchen Aufwachen fühlte er sich für ein paar Minuten gut. Er war ihr nahe gewesen.

Aber der Alltag ließ nie lange auf sich warten und fiel mit seinen ganz besonderen Problemen wieder über ihn her.

„Was ist los mit dir, Papa?“, erkundigte sich Nina besorgt. „Entspann dich mal.“

Trotz seines Kummers musste Richard lachen. Das sagte ausgerechnet seine Tochter, die vielleicht noch in diesem Jahr sterben würde, wenn nicht noch rechtzeitig ein neues Herz für sie eintraf.

***

Patrick fühlte sich wohl bei den Holls. Julia Holl hatte ihn mit freundlichem Wohlwollen willkommen geheißen. Er hatte die vier Kinder kennengelernt, die erwachsenen Zwillinge Marc und Dani, den pubertierenden Chris und das Nesthäkchen Juju

„Das Essen war ganz wunderbar“, sagte Patrick, als er mit dem Ehepaar in der Abenddämmerung noch ein Glas Wein trank. „Mein Kompliment, Frau Doktor Holl.“

Julia Holl schmunzelte. „Ich bin geschmeichelt, dass Sie mir solche Kochkünste zutrauen, aber in diesem Bereich ist unsere Cäcilie die Königin. Und weil sie so gut kochen kann, mische ich mich auch gar nicht ein. So kann ich die Zeit für andere Dinge nutzen. Eine Familie wie die unsere ist ja wie ein kleines Unternehmen, das gut geführt werden muss, wenn es funktionieren soll.“

Dr. Holl legte einen Arm um die Schultern seiner Frau. „Außerdem ist sie meine beste Ratgeberin – in allen Bereichen“, stellte er hochzufrieden fest. „Wie sieht es mit Ihnen aus? Gibt es eine Frau an Ihrer Seite?“

„Leider nicht, noch nicht. Ich hoffe natürlich, dass ich eines Tages ebenso viel Glück haben werde wie Sie, Doktor Holl, aber man kann dem Schicksal ja nichts befehlen.“

Patrick nippte an seinem Glas. „Ich war mit einer wirklich patenten Kollegin in den USA liiert, aber für die ganz großen Gefühle hat es dann doch nicht gereicht.“

Zu Beginn des Abends hatte man sich noch versichert, nicht über die Klinik zu reden, doch scheinbar wie von selbst ergab sich dieses Thema dann doch. Patrick wollte wissen, woher der Name stammte.

„Meine Frau ist eine geborene Berling“, erklärte Stefan Holl schmunzelnd. „Als ich sie kennenlernte, befand sie sich gerade in ihrer Fachausbildung zur Kinderärztin. Natürlich lernte ich auch ihren Vater kennen. Walter liebäugelte dann bald mal mit dem Rückzug. Bei uns kamen die ersten Kinder, es waren gleich zwei – und so kam ich zu der Ehre, als relativ junger Arzt schon eine Klinik zu leiten. Anfangs traute ich mir das kaum zu. Mit der Zeit verschwand meine Unsicherheit …“

„Sie verschwand sehr schnell“, sagte Julia Holl stolz. „Unter seiner Leitung hat sich die Berling-Klinik einen Ruf erworben, der weit über Bayerns Grenzen hinausreicht. Wir hatten sogar schon ziemlich berühmte Menschen aus Politik und Showbusiness bei uns. Namen werden natürlich nicht verraten.“

„Ich bin auch froh und glücklich, dass Sie sich für mich entschieden haben. Es freut mich sehr, dass wir zusammenarbeiten.“

„Sie haben die Anfangsphase brillant gemeistert.“ Dr. Holl zwinkerte seinem jungen Kollegen zu. „Auch ich werde eines Tages genau wie mein Schwiegervater einen Nachfolger brauchen. Behalten Sie diese Möglichkeit schon mal im Hinterkopf.“

Als Patrick kurz nach elf die Holls verließ, marschierte er recht gut gelaunt durch die milde Nacht. Bis zu seiner Wohnung würde er mindestens 30 Minuten brauchen, vielleicht sogar vierzig.

Trotzdem verzichtete er auf ein Verkehrsmittel. Das Gehen tat ihm gut. Würzige Luft füllte seine Lungen. Manchmal drang fröhlicher Lärm aus Gartencafés oder Biergärten zu ihm.

Einmal blieb er stehen und schaute zum Himmel hinauf, doch die Stadt strahlte selbst zu viel Licht ab, um irgendetwas dort oben sehen zu können.

Wenn jetzt noch Laura neben ihm ginge und er eine Hand an ihre Taille legen könnte, dann würde er sich ohne Übertreibung zum glücklichsten Menschen der Welt zählen können.

Leider war es nicht so. Aber Wünsche waren ja nicht verboten.

***

Silke und Laura saßen auf dem Balkon und tranken gut gekühlten Weißwein. Silke wollte mit ihrem Freund Mats, der Lehrer am Herder-Gymnasium war, nach Tibet reisen, zweifelte aber immer wieder, ob das eine gute Entscheidung war.

„Land und Leute interessieren mich sehr, aber ich fürchte, dass Mats mir bald auf die Nerven gehen wird, wenn ich den ganzen Tag mit ihm zusammen bin.“

„Aber er ist doch dein Freund!“

„Ja, schon. Wir sehen uns zwei-, dreimal die Woche. Aber in den Sommerferien wären wir dann für eine sehr lange Zeit zusammen, immer im Doppelzimmer, Tag für Tag. Wusstest du übrigens, dass sich viele Paar in oder nach einem gemeinsamen Urlaub trennen?“

„Ach, wirklich?“

„Ja, weil dann Vorstellungen aufeinanderprallen, die nicht zueinander passen. Und dann helfen auch der weiße Sandstrand und die Palmen nicht, die Beziehungskiste wieder zum Laufen zu bringen. Dann kann man nur noch das Scheitern akzeptieren.“

„Was soll das heißen? Willst du einen Rückzieher machen?“

„Wenn ich das wüsste!“ Silke goss Wein nach. „Ich bin mir so unsicher. Ich glaube, dieses Experiment wird schiefgehen. Was meinst du?“

„Du solltest aufhören, dir solche Gedanken zu machen. Lass dich einfach überraschen. Du bist doch sonst nicht so pessimistisch.“

„Du hast gut reden“, maulte Silke. „Von Überraschungen hältst du doch gar nichts. Sonst wärst du zu deinem Verehrer im Flugzeug ein bisschen freundlicher gewesen, noch dazu, wo er dir gefallen hat.“

„Ach, du lieber Himmel, komm mir doch nicht damit!“ Laura verdrehte die Augen. „Das ist doch was ganz anderes. Ich kenne diesen Mann nicht, der sich als Patrick Birkner ausgegeben hat. Während der Zeit im Flieger habe ich ihn kaum wahrgenommen …“

An dieser Stelle hielt Laura inne. Wenn das die Wahrheit sein sollte, wieso wusste sie dann, dass er braune Augen hatte? Und war ihr nicht seine Stimme sofort bekannt vorgekommen, als er angerufen hatte? Die Hartnäckigkeit, mit der er sie ausfindig gemacht hatte, verdiente doch einen Siegerkranz. Oder wenigstens ein klein wenig Bewunderung.

„Er hat keine Mühe gescheut, dich zu finden. Darum könntest du ihm eigentlich eine kleine Audienz gewähren.“

„Ich habe keine Telefonnummer von ihm.“

„Vielleicht ruft er ja noch mal an“, meinte Silke unbekümmert. „Und wenn das wirklich passiert, dann gib dich mal nicht so abweisend.“

Laura lehnte sich zurück und verschränkte die Arme im Nacken. „Ich habe genug von Männern. Jedenfalls vorerst. Dazu stehe ich. Sie sollen mir alle gestohlen bleiben.“

„Hängst du immer noch an John?“

„Nein“, protestierte Laura. „Da läuft nichts mehr. Ich habe begriffen, dass er von seiner Frau nicht loskommt. Soll er doch bei ihr bleiben.“

„Auf die Party neulich bist du nicht mitgekommen“, stellte Silke vorwurfsvoll fest. „Was ist los mit dir? Willst du ins Kloster gehen?“

„Ich möchte nur ein bisschen meine Ruhe haben, bis ich wieder fliegen muss. Und ins Kloster kann ich später auch noch gehen. Auf dein Wohl, Silke. Auch wenn du an mir rummäkelst, du bist und bleibst meine beste Freundin.“

***

An diesem Vormittag operierte Patrick Birkner das Herz eines fünfzigjährigen Mannes. Der Patient litt an einer verkalkten Klappenstenose und wies alle Risikofaktoren auf, die im Laufe der Jahre zu den bekannten Problemen führten, wie Arteriosklerose, Bluthochdruck und eine bikuspide Aortenklappe, was bedeutete, dass die Herzklappe nur aus zwei anstatt aus drei halbmondförmigen Taschen bestand.

Normalerweise sorgte die Aortenklappe wie ein Ventil für den Fluss des Blutes aus der Herzkammer hinaus in den Körperkreislauf. Aber durch die vorliegende Verengung funktionierte das Ventil nur noch wie ein kleiner Schlitz.

Um das Schlimmste zu verhindern, war jetzt Eile angesagt. Darüber hatte das OP-Team am Vortag eingehend diskutiert.

Der Patient befand sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit. Die Herzklappen-Fehlbildung verursachte bei ihm Luftnot, abnehmende Leistungsfähigkeit mit Beklemmungsgefühl und den sich daraus ergebenden Herzschmerz.

„Je kleiner die Öffnung, desto größer die Beschwerden“, war Patricks letzte Anmerkung im gestrigen Gespräch mit dem Patienten gewesen.

Nun wurde die Blutversorgung des Patienten bereits über die Herz-Lungen-Maschine gewährleistet, die vom Kardiotechniker Bernd Bamberg bedient wurde.

Die Kollegen Wolfram und Heimbach hatten bereits das Brustbein aufgesägt und den Herzbeutel geöffnet. Der Kardiotechniker leitete auf ein Zeichen hin durch eine bereits gelegte Kanüle die Lösung mit hoher Kalium-Konzentration zum Herzen, das damit stillgelegt wurde.

Nun trennte Patrick die Aorta ab.

Chefarzt Dr. Holl hielt sich im Hintergrund, falls er für weitere Handreichungen gebraucht wurde. Sein Fachgebiet war die Gynäkologie, trotzdem interessierte ihn sehr, wie der Kollege am Herzen operierte.

Patrick, der leitende Chirurg, machte eine kurze Konzentrationsübung wie immer vor einem schweren Eingriff, dann beugte er sich über das stillgelegte Herz. OP-Schwester Gundi drückte ihm den Metallgriff eines Skalpells in die Hand.

Der Patient hatte sich in einem ausführlichen Gespräch mit den Ärzten für eine mechanische Herzklappe entschieden, mit zwei Flügeln, die ventilartig das Öffnen und Schließen der Klappe bewirkten.

Mechanische Herzklappen hatten eine nahezu unbegrenzte Haltbarkeit, aber dafür musste der Betroffene lebenslang blutverdünnende Medikamente einnehmen.

Patrick begann mit der Freilegung der Herzklappe. Mitsamt den Kalkablagerungen löste er sie vorsichtig aus ihrem ringförmigen Gefüge. Die Öffnung musste genug Platz bieten für das mechanische Ersatzteil.

Anschließend legte er Haltefäden zur Fixierung in das verbliebene Gewebe. So ließ sich die Ersatzklappe besser in Position bringen. Mit einer Schablone wählte er die größenmäßig passende Klappe aus und vernähte sie mit den bereits gelegten Fäden.

Danach verknotete er noch die Fäden miteinander. Die Klappe saß perfekt. Dieser Meinung waren alle. Man sah es am zufriedenen Kopfnicken.

Nun nahm Patrick den Verschluss der zuvor eröffneten Aorta vor.

Nachdem er das vollbracht hatte, trat er einen Schritt von der Tabula zurück. Der Kardiotechniker Bamberg war wieder am Zug. Der erfahrene Mann bediente die Herz-Lungen-Maschine, die er wie seine Westentasche kannte, und lenkte den Blutfluss komplett zurück in den körpereigenen Kreislauf des Patienten.

Anästhesistin Dr. Andrea Kellberg führte ein „Schluckecho“ durch, einen Ultraschall durch die Speiseröhre, die am Herzen anlag. Auf diese Weise ließ sich beurteilen, ob die Klappe unter Blutfluss funktionierte, sonst musste eine Positionskorrektur vorgenommen werden.

„Sitzt perfekt“, sagte sie.

Die Kanülen wurden entfernt und anschließend sorgfältig alle Hautnähte gelegt, Abschlussarbeiten, die noch eine weitere Stunde dauerten. Endlich war alles getan.

Patrick atmete auf und zog den Mundschutz herunter, der ihm jetzt um den Hals baumelte. Die Kollegen verfuhren ebenso.

Das Team begann Beifall zu klatschen.

Chefarzt Dr. Holl aber sagte nur ein Wort: „Hervorragend!“

***

„Wollen wir nicht mal zusammen essen gehen?“, erkundigte sich Patrick noch am selben Tag bei Schwester Sonja. Heute Abend wollte er nicht allein in seiner Wohnung sitzen, sondern seinen ersten OP-Erfolg hier in München mit einem anderen Menschen teilen.

Überglücklich sagte Sonja zu. Schon lange hatte sie auf ein Zeichen von ihm gewartet und schon fast alle Hoffnung fahren lassen.

Sie trafen sich vor einem kleinen italienischen Lokal, das erst kürzlich eröffnet hatte und als neuester Geheimtipp im kleinen Kreis hinter vorgehaltener Hand weiterempfohlen wurde.

Die Karte war nicht übermäßig groß, dafür enthielt sie Gerichte, die Patrick ohne zu Zögern alle probiert hätte. Aber da der menschliche Magen nur begrenzt aufnahmefähig war, musste er sich auf zwei Speisen beschränken. Er wählte die mit Knoblauch und Kräutern überbackenen Riesenscampis, anschließend eine Lasagne.

„Das nehme ich auch“, schloss sich Sonja an.

„Waren Sie schon hier?“. Patrick wählte ein unverfängliches Eröffnungsthema.

„Ja, mit Freunden. Wir waren alle begeistert.“

„Es ist sehr angenehm hier.“ Patrick schaute sich um. Das Lokal war klein, aber nicht eng. Man saß bequem.

„Ja, das finde ich auch.“

Sonja bemühte sich, souverän zu wirken, aber das gelang ihr nicht ganz. Im Stillen hielt sie den Doktor für einen Traummann. Und sie konnte es noch gar nicht glauben, dass er sich für sie interessierte.

Sonja Weber war keine auffällige Schönheit, aber ihr Gesicht mit den Sommersprossen und den Rehaugen hatte zugleich etwas Apartes und Liebes. Sie war erst fünfundzwanzig und liebte ihren Beruf. Mit großem Einsatz bewältigte sie die Pflege kranker Kinder und freute sich immer, wenn eines von ihnen geheilt nach Hause entlassen werden konnte.

„Haben Sie sich inzwischen wieder gut in Ihrer alten Heimat eingelebt?“

Der Kellner trat mit einer Flasche Rotwein an den Tisch und zeigte das Etikett. Patrick wartete mit seiner Antwort, bis der Wein rot in den Gläsern schimmerte.

„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass ich so lange weggewesen bin“, meinte er lächelnd und hob sein Glas. „Auf was trinken wir?“

„Auf Sie!“, erwiderte Sonja ohne zu Zögern. „Ich habe gehört, dass Doktor Holl sehr zufrieden mit Ihnen ist. Wissen Sie überhaupt, wie viele andere sich um diese Stelle beworben haben?“

„Nein. Jetzt interessiert es mich auch nicht mehr. Danke, dass Sie bei mir sind, Sonja. Trinken wir lieber auf Sie.“

Sie stießen miteinander an. Das feine Klirren der Gläser klang fast wie ein Versprechen, jedenfalls in Sonjas Ohren.

Das Essen war perfekt in Geschmack, Konsistenz und Menge. Der Wein schmeckte vorzüglich. Patrick war mit diesem Tagesabschluss überaus zufrieden.

Zufrieden, aber nicht glücklich. Wie schön hätte es sein können, wenn …

Doch daran wollte er jetzt nicht denken. Er zwang sich zu einem interessierten Lächeln. „Warum sind Sie Krankenpflegerin geworden?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Sonja. „Das heißt, ich habe nie wirklich darüber nachgedacht. Für mich stand als Kind schon fest, was ich später einmal machen wollte. Und so kam es dann auch. Es gab keine Probleme. Schule, dann Krankenpflegeausbildung und schon bald die Stelle an der Berling-Klinik. Hier möchte ich bleiben.“

„Eines Tages werden Sie Oberschwester sein“, meinte Patrick und hob sein Glas erneut. „Ganz bestimmt. Denken Sie an mich, wenn meine Prophezeiung eintrifft.“

Sonja holte tief Luft.

„Ich denke schon jetzt viel mehr an Sie, als gut für mich ist.“ Nach diesem Bekenntnis senkte sie aus Angst vor der Wahrheit die Augen.

Patrick war einen Moment verblüfft, doch dann meisterte er die Situation diplomatisch, indem er Sonjas Hand ergriff und sie kurz an seine Lippen führte. „Ich stehe hier ja erst am Anfang eines neuen Lebensabschnitts“, sagte er lächelnd. „Die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten, braucht Zeit. Haben Sie bitte Verständnis für mich!“.

„Aber ja!“ Ihre Augen glänzten. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.“

„Mir ergeht es nicht anders, Sonja. Auf Ihr Wohl! Ich mag Sie.“

Er mag mich, dachte die junge Frau und wusste selbst nicht, ob das ihre Hoffnung nährte oder ihre Enttäuschung vergrößerte. Mögen ist zwar nicht viel, aber es ist mehr als nichts.

***

Marianne holte Erik in der Berling-Klinik wieder ab und brachte ihn nach Hause. Man hatte ihm ein neues Medikament verordnet, das weniger Nebenwirkungen verursachte als das alte. Erik freute sich, wieder in seiner gewohnten Umgebung zu sein. Auch wenn er kaum etwas unternehmen konnte, daheim fühlte er sich doch wohler.

Abends nach dem Essen erzählte er bei einem Glas Wein lustige Begebenheiten von den Ärzten, dem Pflegepersonal, den Patienten und ihren Besuchern. Das konnte er sehr gut.

Marianne wusste, dass er zum Ausschmücken und Übertreiben neigte, aber das störte sie nicht. Im Gegenteil, sie fand, er solle mal damit anfangen, solche Alltagsgeschichten aufzuschreiben. Man konnte sie drucken lassen und im Bekanntenkreis verteilen. Ohne zu zögern, machte sie ihm diesen Vorschlag.

„Meinst du wirklich?“

„Na klar. Wir müssen nur endlich damit anfangen. Ein paar haben wir ja schon gesammelt. Gleich morgen beginne ich damit, sie ins Notebook einzugeben.“

„Hm, wenn du meinst.“

Die Idee gefiel Erik richtig gut. Wenn er in Kürze vom Reich der Lebenden in das der Toten übersiedelte, hinterließ er den Zurückgebliebenen ein paar nette humorvolle Geschichten. Er lächelte angetan und Marianne freute sich über den neuen Optimismus, den sie in seiner Miene zu sehen glaubte.

Aber auch Erik hielt noch eine Überraschung für sie bereit.

„Wie würde es dir gefallen, wenn wir heiraten?“, erkundigte er sich so beiläufig wie möglich.

Marianne stieß verblüfft die Luft aus. „Heiraten? Wir zwei alten Semester? Wer nimmt uns denn noch?“.

„Na, ich zum Beispiel, und noch dazu im Rollstuhl.“ Erik grinste wie ein Junge, dem ein ordentlicher Streich gelungen war. „Oder dürfen jetzt nur noch junge und gesunde Paare antreten?“

„Nein, natürlich nicht, aber muss das wirklich sein? Wie kommst du überhaupt auf so was?“ Mariannes Lachen klang unsicher.

„Ich glaube, das könnte mir Auftrieb geben.“

Marianne setzte ihr Glas ab, ohne zu trinken.

„Auftrieb? Was meinst du denn damit?“

„Dich zu heiraten, würde mir Freude bereiten. Und Freude ist doch gut für ein krankes Herz. Oder nicht?“

„Hm.“ Ihr fast faltenfreies Gesicht überzog sich mit einer zarten Röte.

„Und im Grunde ändert sich doch nichts“, fuhr Erik lebhaft fort. „Wir sind doch ohnehin immer zusammen. Aber wenn wir verheiratet sind, ersparen wir uns den Erbvertrag beim Notar. Ich setze dich in einem handschriftlichen Testament als Alleinerbin ein, dann geht das Haus ganz unkompliziert an dich und meine Ersparnisse ebenfalls. Ich wüsste dich gut versorgt und könnte ganz beruhigt im Paradies herumspazieren.“

„Soll das also ein Heiratsantrag sein?“

„Genau das.“ Zufrieden betrachtete er Marianne, ohne die sein Leben ja wirklich keinen Pfifferling mehr wert war.

„Erik, ich brauche Bedenkzeit“, sagte sie. „Das ist immerhin eine Entscheidung fürs Leben. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass sie zu deinen Gunsten ausfällt.“

„Bis dass der Tod uns scheidet“, versetzte Erik. Sie schauten einander tief in die Augen, bevor sie ungehemmt loslachten.

„Ich und heiraten! Na, das wird ein Knüller! Ich bin schon jetzt gespannt, was meine Tante und die beiden Cousinen dazu sagen. Damals als ich mit Dreißig noch ledig war, haben sie mich als spätes Mädchen bezeichnet. Dann haben sie es aufgegeben, mir die Ehe schmackhaft zu machen. Und nun wird es doch noch dazu kommen.“

„Also sagst du ja?“ Erik griff nach Mariannes Händen, zog sie näher zu sich heran und küsste sie auf den Mund.

„Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit“, erwiderte sie schlagfertig. „Und für das verbleibende Prozent brauche ich die Bedenkzeit.“

„Wie lange?“

„Unbedingt bis morgen früh.“ Die neue Situation verursachte ihr eine geradezu prickelnde Aufregung, die sie selbst ziemlich erstaunte.

„Gut, dann werden wir uns gleich morgen um einen schnellen Termin kümmern“, erwiderte Erik zufrieden. „Jetzt schenk mir noch einen kleinen Schluck ein. Wir müssen doch unsere Verlobung begießen.“

***

Laura flog jetzt die Strecke London – Frankfurt. An diesem Freitagmittag war sie mit John verabredet. Ein letztes Gespräch wollte sie ihm gewähren, das allerdings nur zur Klärung ihrer Position diente und nicht einer möglichen Versöhnung. John musste begreifen, dass es keine Fortsetzung geben konnte.

Er erwartete sie mit einer dunkelroten Rose vor dem Eingang zum Hilton-Hotel. Das Restaurant, in dem er zwei Plätze reserviert hatte, lag im achtundzwanzigsten Stock und war für seine exzellente französische Küche berühmt.

„Jetzt geht in meinem Herzen die Sonne auf“, sagte er nach einer kurzen Begrüßung. Er wollte sie eng in seine Arme schließen, doch Laura verweigerte sich.

Im Restaurant hatte man einen Rundumblick über die Stadt.

„Sehr nobel“, bemerkte Laura. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock aus einem anschmiegsamen Material, hohe weiche Stiefel und ein dezent buntes Oberteil. Genau die richtige Kleidung für ein Mittagessen mit dem Ex-Lover.

„Für dich ist mir nichts zu teuer“, erwiderte John mit leuchtenden Augen. „Du siehst fantastisch aus.“

Der Kellner brachte die Speisenkarten und ein schmales Behältnis für die Rose. Laura traf eine schnelle Entscheidung. Sie würde das Kaninchenfilet auf karamellisierten Gemüsewürfeln bestellen. Und da sie in der Stadt mit dem Taxi fuhr, konnte sie ruhig ein Glas Chablis trinken.

„Keine Vorspeise?“ John sah sie fragend an, als sie dem wieder aufgetauchten Kellner ihren Wunsch nannte. „Ein paar Austern vielleicht?“

„Ich mag keine Austern.“

„Ach ja, stimmt. Hatte ich vergessen.“

John aber bestellte sich gleich ein Dutzend. „Anschließend das Filet vom Charolais-Rind. Und eine große Flasche stilles Wasser.“

Der Mann im weißgestärkten Hemd nahm die Karten wieder an sich und eilte davon, um die Wünsche der Gäste zu deren vollkommener Zufriedenheit zu erfüllen.

„Worüber wollten wir reden?“, erkundigte sich Laura.

„Ich habe eine Entdeckung gemacht, die uns sehr nützen könnte.“

„Wie meinst du das?“

Ein junges Mädchen brachte die Getränke.

John neigte sich ein wenig vor und dämpfte die Stimme. „Ich glaube, meine Frau betrügt mich. Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich habe schon einen Detektiv beauftragt, das herauszufinden.“

Laura nahm einen Schluck Wasser. „Und was hat das mit uns zu tun?“

„Verstehst du denn nicht? Wenn sie wirklich einen anderen hat, dann ist es für mich doch viel leichter, unbeschadet aus der Ehe rauszukommen.“

„Unbeschadet? Wie meinst du das?“

„Eve und ich haben einen Ehevertrag. Wenn sie mich betrügt, brauche ich ihr keinerlei Abfindung zu zahlen.“

Laura wandte den Kopf, um ausgiebig aus dem Fenster zu schauen. Man hatte wirklich einen ganz wunderbaren Blick von hier oben.

„Was sagst du nun?“

Sie wandte sich ihm wieder zu. „Willst du meine ehrliche Meinung dazu hören?“

Er nickte eifrig, doch bevor Laura etwas sagen konnte, wurden seine Austern gebracht.

„Ob deine Frau dich betrügt oder nicht, hat nichts mit uns zu tun.“

John griff nach der ersten Auster, löste ihr Fleisch in der Schale und setzte sie an die Lippen.

„Soll sie doch mit einem anderen ins Bett gehen. Hauptsache, sie hat Spaß daran. Du aber bist noch viel feiger, als ich dachte. Du zitterst nur um dein Geld.“

John hielt kurz im Schlürfen inne, zog dann die Auster zwischen die Lippen und schluckte sie.

„Ist das dein Ernst?“ Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab und starrte die schöne Frau entgeistert an. „Aber dann wäre der Weg für uns frei. Das wolltest du doch immer.“