Die besten Ärzte - Sammelband 7 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 7 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1772: Weihnachten ohne Papa?
Notärztin Andrea Bergen 1251: Blumen für die Notärztin
Dr. Stefan Frank 2205: Dr. Bayers großes Versprechen
Dr. Karsten Fabian 148: Für ein kleines Stück vom Himmel ...
Der Notarzt 254: Auf ewig verbunden

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 572

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2013/2014/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © shapecharge/iStockphoto ISBN 978-3-7325-8559-5

Katrin Kastell, Marina Anders, Stefan Frank, Bianca-maria, Karin Graf

Die besten Ärzte 7 - Sammelband

Inhalt

Katrin KastellDr. Holl - Folge 1772Wie herrlich ist es, die Adventszeit mit zwei kleinen Kindern zu erleben, die es gar nicht mehr erwarten können, bis endlich das Christkind kommt! Es gibt Tage, da macht es Vera Flamm beinahe Angst, dass sie so viel Glück im Leben hat. Sie hat nicht nur die süßesten Töchter der Welt, sondern auch den besten Ehemann. Dass Gustav irgendetwas Schlimmes vor ihr verbergen könnte, hält sie schlichtweg für unmöglich - bis man ihr mitteilt, dass er verhaftet wurde. Er soll eine Kollegin erstochen haben, die nun mit lebensgefährlichen Verletzungen in der Berling-Klinik liegt! Für Vera Flamm beginnt ein Albtraum. Wie soll sie ihren Kindern erklären, dass ihr Papa Weihnachten nicht zu Hause ist, sondern im Gefängnis sitzt, weil ein entsetzlicher Verdacht auf ihm lastet? Sie versteht ja selbst nicht, was geschehen ist ...Jetzt lesen
Marina AndersNotärztin Andrea Bergen - Folge 1251Erschöpft schließt die hübsche Laura Gardner die Haustür auf. Nach diesem langen Arbeitstag möchte sie nur noch eins: die Beine hochlegen und entspannen! Doch im Flur kommt ihr schon Bianca entgegen, die Babysitterin von Lauras Töchterchen Leonie. Die Kleine hat hohes Fieber und klagt bereits den ganzen Tag über Gelenkschmerzen. Ein Blick in Leonies fiebriges Gesichtchen genügt, um sämtliche Alarmglocken in Laura schrillen zu lassen: Leonies Wangen sind von einem roten, pusteligen Schmetterlingsausschlag überzogen! Die Diagnose, die Notärztin Dr. Andrea Bergen kurz darauf stellt, lässt Laura fast zusammenbrechen: Leonie leidet an Lupus Erythematodes, einer gefährlichen Autoimmunkrankheit, die ihre Organe zerstören wird! Nur eine Knochenmark-Transplantation kann ihr junges Leben noch retten ...Jetzt lesen
Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2205Seit ein Verrückter Anna mit seinem Wagen angefahren hat, kann die hübsche junge Frau ihr rechtes Bein nicht mehr bewegen. Schon viele Ärzte haben versucht, ihr zu helfen - bisher leider ohne Erfolg. Und einen neuen Versuch will Anna nicht mehr wagen, ihr Vertrauen in die Medizin hat sich erschöpft. Resigniert und traurig sitzt sie Tag für Tag im Wohnzimmer ihrer Mutter Gabriele und starrt ins Leere. Doch eines Tages hält Gabriele es nicht mehr aus. Sie wendet sich an ihren Hausarzt Dr. Frank und bittet ihn um Hilfe. Zum Glück weiß der Grünwalder Arzt, dass an der Waldner-Klinik ein sehr erfolgreicher neuer Kollege eingestellt wurde. Dr. Nick Bayer ist Chirurg und Orthopäde, vor allem aber kennt er sich mit einem völlig neuen Verfahren aus, das Annas Leben die entscheidende Wende bringen könnte. Aber wie kann man die junge Frau davon überzeugen, dass sie ausgerechnet diesem Arzt noch eine Chance geben soll?Jetzt lesen
Bianca-MariaDr. Karsten Fabian - Folge 148Eigentlich führt Angela Keller eine gute Ehe mit ihrem Mann. Nur ist Daniel ihr manchmal zu ernst und zu strebsam. Er will an seiner Karriere arbeiten und vergisst darüber, wenigstens hin und wieder mit ihr auszugehen. Die beiden verbringen nicht viel Zeit miteinander, und auch um die Organisation der Arbeiten an ihrem neuen Haus kümmert sich vor allem Angela. Zum Sommerfest im Heidedorf geht die junge Frau dann kurz entschlossen mit Mirko, einem der Bauarbeiter. Sie weiß zwar, dass Mirko ein bisschen verliebt in sie ist, aber sie ahnt nicht, wie unberechenbar und skrupellos er sein kann. Und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf ...Jetzt lesen
Karin GrafDer Notarzt - Folge 254Tamara kann ihr Glück kaum fassen! Zuerst ergattert sie eine Anstellung als Laborassistentin an der berühmten Frankfurter Sauerbruch-Klinik, und dann findet sie auch noch ein hübsches Fachwerkhäuschen am Stadtrand, das man ihr für eine lächerlich kleine Miete überlassen will. Einzige Bedingung: Sie muss sich um den schrulligen alten Mann kümmern, der die andere Doppelhaushälfte bewohnt, ein pensionierter Chirurg namens Dr. Henning. Das kann ja nicht so schwer sein, denkt sich Tamara, und sagt zu. Noch ahnt sie nicht, wie sehr sie sich irrt ... Vom ersten Tag an macht der alte Herr ihr das Leben zur Hölle und schikaniert sie, wo er nur kann. Wäre da nicht sein äußerst attraktiver Sohn Erik - selbst Assistenzarzt an der Sauerbruch-Klinik -, Tamara hätte sicher schon nach wenigen Stunden das Handtuch geworfen. Erst als es zu einer äußerst dramatischen Situation kommt, in der Dr. Henning seniors Leben von Tamaras Einsatz abhängt, wendet sich das Blatt ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Weihnachten ohne Papa?

Vorschau

Weihnachten ohne Papa?

Dr. Holl macht der kleinen Familie ein wunderbares Geschenk

Von Katrin Kastell

Wie herrlich ist es, die Adventszeit mit zwei kleinen Kindern zu erleben, die es gar nicht mehr erwarten können, bis endlich das Christkind kommt! Es gibt Tage, da macht es Vera Flamm beinahe Angst, dass sie so viel Glück im Leben hat. Sie hat nicht nur die süßesten Töchter der Welt, sondern auch den besten Ehemann. Dass Gustav irgendetwas Schlimmes vor ihr verbergen könnte, hält sie schlichtweg für unmöglich – bis man ihr mitteilt, dass er verhaftet wurde. Er soll eine Kollegin erstochen haben, die nun mit lebensgefährlichen Verletzungen in der Berling-Klinik liegt!

Für Vera Flamm beginnt ein Albtraum. Wie soll sie ihren Kindern erklären, dass ihr Papa Weihnachten nicht zu Hause ist, sondern im Gefängnis sitzt, weil ein entsetzlicher Verdacht auf ihm lastet? Sie versteht ja selbst nicht, was geschehen ist …

„Dieses Kind hat ein gewaltiges Aggressionspotential und wird die Welt im Sturm erobern. Es könnte die Reinkarnation von Napoleon, Cäsar oder Dschingis Kahn sein. Ich sage dir, das wird spannend! Wenn es uns jetzt schon mit Füßen tritt, was wird dann erst, wenn …“ Gustav Flamm hatte die Wange an den schwangeren Leib seiner Frau gelegt und freute sich an jedem Tritt des Ungeborenen, den er durch die Bauchdecke spüren konnte.

„Pessimist! Wir sind Pazifisten und setzen doch kein Monster in die Welt!“, schimpfte Vera Flamm empört im Scherz. Sie drehte sich im Bett ein wenig von ihrem Mann weg.

„Optimistisch betrachtet, haben wir ausgesorgt. Bei der Trittgewalt wird es definitiv ein Junge. Er wird demnächst bei Bayern München kicken, und er wird Millionen verdienen und seine stolzen, alten Eltern großzügig bedenken“, änderte der weise Vater rasch seine Prognose.

Vera musste lachen. „Anwalt bleibt Anwalt in allen Lebenslagen. Du und deine strategische Diplomatie!“, neckte sie ihren Mann liebevoll. „Wäre es schlimm, wenn sie im Frauenfußball ganz oben mitmischen würde?“, fragte sie ihrerseits diplomatisch.

Das Paar hatte Dr. Holl, Veras Frauenarzt, extra darum gebeten, ihnen nicht zu sagen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wurde. Sie wollten sich überraschen lassen. Inzwischen war Vera im achten Monat, und die Spannung wuchs.

„Jungs sind doof! In deinem Bauch kann kein Junge schwimmen, Mami!“ Nina, die sechsjährige Schwester des Neuankömmlings, war überzeugt, dass Frauenzuwachs bevorstand. Vera freute sich auf Junge oder Mädchen, aber sie war sich bei Gustav nicht ganz sicher.

„Ob Junge oder Mädchen ist doch egal, Hauptsache gesund und Fußballstar!“, beruhigte Gustav Flamm seine Frau. Er wusste, dass Veras Mutter sie immer wieder am Telefon bearbeitete und ihr einzureden versuchte, dass ein Mann erst zufrieden war, wenn er einen Sohn hatte.

„Mama macht mich noch wahnsinnig!“, stöhnte Vera. „Ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es für sie war, nur drei Töchter und keinen Sohn zur Welt gebracht zu haben. Fast möchte ich mich bei ihr dafür entschuldigen, weiblich zu sein“, schimpfte sie, weil sie sich durchschaut wusste.

„Ich war schließlich Nummer drei und ihre letzte große Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Unglaublich, dass sie mir das erzählt, oder? Stell dir vor, gestern hat sie mir allen Ernstes erklärt, dass Papa sie nur deswegen verlassen hat. Indirekt gibt sie mir die Schuld an ihrer Scheidung. Ich fasse es nicht!“

„Nett! So liebevoll und mütterlich. Zudem eröffnet es einen ganz neuen Blick auf die Scheidungsstatistik“, spöttelte Gustav.

„So etwas Ähnliches habe ich auch gesagt. Da hat sie aufgelegt, und als ich sie etwas später wieder anrufen wollte, war sie beleidigt und hat nicht abgenommen. Meine Mutter! Manchmal kommt sie mir kindischer und unreifer vor als unsere Kleine.“

„Ich werde mich hüten, dir zuzustimmen. Widersprechen kann ich auch nicht. Beides würde irgendwann gegen mich verwendet. Ein langes Leben an deiner Seite hat mich gelehrt: Tritt als Mann nie zwischen Mutter und Tochter! Die machen das wunderbar unter sich aus, solange du nur deine Nase nicht hineinsteckst“, gab Gustav seine Weisheit zum Besten.

Vera schmunzelte. „Feigling! Aber ich muss sagen, du bist lernfähig. Das liebe ich so an dir. Kluger Mann!“

Sie hätte nie etwas auf ihre Mutter kommen lassen, obwohl niemand sie so schnell zur Weißglut treiben konnte. Früher war Gustav da öfter ins Fettnäpfchen getreten, aber inzwischen übte er sich in Zurückhaltung und war fast so neutral wie die Schweiz, wenn die weiblichen Gewalten einmal wieder aufeinanderprallten.

„Obwohl! Warte mal! Hast du mir gerade dudieblu mitgeteilt, dass dir die Ehe mit mir wie eine Ewigkeit erscheint?“, hakte Vera nach.

„Dudieblu?“

„Durch die Blume, mein Herz. Durch die Blume. Also? War es ein schrecklich langes Leben an meiner Seite? Lass dir etwas Gutes einfallen, sonst muss ich tausend Tränen weinen! Ich bin schwanger und bis an die Halskante mit Hormonen vollgestopft. Ich bin ein Vulkan vor dem Ausbruch. Und? Sprich! Herr Anwalt, was hast du zu deiner Verteidigung und meinem Seelenfrieden vorzubringen?“

„Frau meines Lebens, Liebe meines Herzens und Mutter meiner Kinder – die sieben gemeinsamen Jahre mit dir sind nur so verflogen, und ich wollte keine Stunde missen! Du bist mein Ein und Alles und …“

„In Ordnung!“, unterbrach sie ihn und reckte sich zufrieden. „Jetzt noch ein Kuss, und der Tag kann beginnen.“

Spielerisch küsste er sie erst auf die Nasenspitze und beide Wangen, dann gab er ihr einen langen, zärtlichen Kuss. „Ich liebe dich.“

„Und ich dich erst“, antwortete sie. „Soll ich dir einen Kaffee machen?“

„Bleib im Bett und hüte die Fußballerin! Nina wird bald wach, und dann ist es mit dem Ausruhen für dich vorbei. Ich bin froh, wenn die Schule losgeht. Ob es ihr wohl dort gefallen wird? Unsere Kleine wird ein Schulmädel! Unglaublich, oder? Das geht alles viel zu schnell!“

Nina war sechs und kam nach den Sommerferien in die erste Klasse. Der Kindergarten machte im Moment zwei Wochen Sommerpause, und so musste die Hochschwangere den kleinen Wirbelwind beschäftigen, was ihr einiges abverlangte.

„So geht es mir auch! Am liebsten würde ich die Zeit auf langsam drehen, aber es hilft alles nichts. Für Nina ist es gerade wichtig, dass sie noch einmal Zeit allein mit uns hat. Sie genießt es in vollen Zügen. Bald wird sie die ältere Schwester sein, und das ist eine völlig neue Rolle für sie. Ich bin gespannt, wie sie damit klarkommt“, überlegte Vera.

„Ich wünschte, ich könnte bei euch zuhause bleiben!“ Gustav wuchtete sich lustlos aus dem Bett und ging ins Badezimmer, um zu duschen. Er musste zur Arbeit.

Vera sah ihm verwundert nach. Das klang nicht nach ihrem Mann. Eigentlich war Gustav ein Arbeitstier. Er war Rechtsanwalt für Wirtschafts- und Europarecht, und mit seinen siebenunddreißig Jahren hatte er sich in Juristenkreisen bereits einen guten Ruf erworben. Immer wieder wurde er gebeten, auf Konferenzen zu referieren.

Vor einem Monat hatte er die kleine Kanzlei verlassen, in der er nach dem Studium angefangen hatte. Eine der großen, renommierten Kanzleien in München hatte ihm ein äußerst attraktives Angebot gemacht. Gustav hatte zögernd zugegriffen. Es war ihm schwergefallen zu wechseln, aber er hatte es getan.

Obwohl er nichts gesagt hatte, ahnte Vera, dass die Tatsache eines weiteren Kindes ein ausschlaggebendes Argument für den Wechsel gewesen war. Bisher hatte sie als Maklerin gearbeitet und relativ gut verdient. Nun wollte sie sich aber ganz den Kindern und ihrer Familie widmen. Gustav lag es am Herzen, dass sie ihren hohen Lebensstandard weiterhin halten konnten.

„Wie gefällt es dir denn im neuen Büro? Nach einem Monat kannst du schon eher sagen, ob es eine gute Entscheidung war“, fragte Vera, als sie ihren Mann am Waschbecken rumoren hörte.

„Aua! So ein Mist!“ Gustav Flamm liebte es, sich nass zu rasieren, und schnitt sich selten. Jetzt blutete er heftig aus einem Schnitt am Kinn.

Vera eilte auf seinen Schmerzenslaut hin ins Badezimmer, um nachzusehen, was los war. Erleichtert blieb sie in der Tür stehen.

„Ist das die ganz normale morgendliche Selbstverstümmelung, oder hat es mit meiner Frage zu tun?“

„Unsinn! Ich bin ein umgänglicher Mensch und verstehe etwas von meiner Arbeit – warum sollte ich Schwierigkeiten haben, mich in einer neuen Kanzlei zu behaupten? Weib, vertraue deinem Mann doch auch ein bisschen! Männer brauchen das!“

Vera lachte mit ihm, aber ihre inneren Sensoren sagten ihr, dass Gustav nicht ganz ehrlich zu ihr war. Sie spürte immer, wenn er log oder etwas überspielte. Vier Wochen waren noch keine Zeit, beruhigte sie sich. Er würde sich schon noch eingewöhnen.

„Wirf einmal einen gnadenlosen, kritischen Blick in mein Gesicht!“, bat Gustav, nachdem er sich den Schaum weggewaschen und Rasierwasser aufgetragen hatte. „Sieht man es sehr?“

„Seit wann so eitel? Schnittwunden im Gesicht eines Mannes am Morgen sind Zeugnisse seines Heldenmutes – dachte ich.“

„Ich habe eine wichtige Besprechung mit einem der ganz großen Firmenmandanten der Kanzlei. Sie wollen mir den Mandanten übertragen wegen meiner speziellen Erfahrung im Europarecht. Ich denke, das war der Grund, warum sie mich überhaupt angeworben haben. Hand aufs Herz, wer vertraut schon einem Mann, der sich nicht einmal rasieren kann? Also? Muss ich mir Sorgen machen?“

„Nein! Es fällt nicht auf. Aber es ist toll, dass deine Chefs dich jetzt schon aufbauen und dir so große Verantwortung übertragen, oder?“, wollte Vera wissen.

Gustav nickte, wirkte aber nicht unbedingt begeistert. „Ich hoffe, ich enttäusche sie nicht.“

„Niemals! Du bist der Beste!“ Vera gab ihm einen Kuss.

„Das nenne ich gutes Coaching!“, lobte er sie lächelnd. „Dann ziehe ich jetzt los und erlege ein Mammut! Seit der Steinzeit steht schon hinter einem starken Mann eine noch stärkere Frau. Mir kann nichts passieren. Das Mammut ist fällig!“

„So ist es!“

Lachend winkte ihm Vera, als er aus dem Haus zu seinem Wagen ging, und blieb stehen, bis sie seinen Wagen nicht mehr sehen konnte.

***

„Ihr großer Tag, Flamm. Vermasseln Sie es nicht!“ Gabriele Lauterbach war eine Mitbegründerin der Kanzlei und eine äußerst angesehene und einflussreiche Partnerin. Sie stellte eine Macht dar, die man in allem berücksichtigen musste, wenn man ungestört arbeiten wollte.

Sie und vier Männer waren die Eigentümer der Kanzlei und teilten sich die Gewinne je nach den Anteilen, die sie besaßen. Anwälte, die in einem Angestelltenverhältnis tätig waren wie Gustav und den Partnern sozusagen das Geld in die Kasse arbeiteten, gab es im Ganzen dreizehn. Die Kanzlei war riesig, und jeder angestellte Anwalt verfolgte das Ziel, irgendwann selbst Partner zu werden und ein Stück des Kuchens abzubekommen.

Der skeptisch abschätzende Blick, mit dem Gabriele Lauterbach Gustav an diesem Morgen maß, verhieß nichts Gutes. Sie ließ ihn bei jeder Begegnung spüren, dass sie nicht viel von ihm hielt, und versuchte, sein Selbstbewusstsein zu untergraben.

Er vermutete, dass in seinem Fall die anderen Partner sie überstimmt hatten und er sozusagen gegen ihren Willen eingestellt worden war. Da sie wie er auf Wirtschaftsrecht und Europarecht spezialisiert war, betrachtete sie ihn unter Umständen als Konkurrenz, aber er verstand nicht, warum. Sie war Partnerin und verdiente ihr Geld, wenn sie wollte, im Schlaf.

Gut, er war zudem noch Experte, wenn es um internationales Recht ging. Doch das änderte nichts daran, dass sie am Ende des Monats nicht wusste, wie sie ihr Geld anlegen sollte, während er zwar gut verdiente, aber das war auch schon alles. Ihre Feindseligkeit ergab keinen wirklichen Sinn.

„Ihnen auch einen guten Morgen! Ich gebe mein Bestes wie immer“, antwortete er und lächelte gewinnend, ohne sich sein Unbehagen anmerken zu lassen.

Ihre Miene blieb kühl und abweisend. Die Frau war ihm ein Rätsel und machte ihm irgendwie Angst, auch wenn er sich dabei ein wenig lächerlich fühlte. Das war auch der Grund, warum er es Vera nicht erzählte. Er war sicher, dass sie ihn auslachen würde. Sonst war es nicht seine Art, sich so schnell einschüchtern zu lassen.

„Ihr Bestes ist das Mindeste, was Sie uns schulden. Ich erwarte, dass Sie über sich hinauswachsen! Hätte ich die alleinige Entscheidungsgewalt, dann würden Sie sich zuerst für zwei, drei Jahre bei uns einarbeiten und bewähren, und dann – vielleicht – bekämen Sie einen solchen Mandanten. Leider wurde ich überstimmt, aber seien Sie versichert, ich behalte Sie genau im Auge, und Sie stehen schneller vor der Tür, als Sie denken können, wenn Sie Fehler machen.“

Warum warf sie ihm den Fehdehandschuh derart plump und direkt ins Gesicht? Gustav verstand nicht, was er ihr getan hatte. An seiner Kompetenz allein konnte das doch nicht liegen, oder? Hatte er einen anderen Fehler begangen und sie unter Umständen ihrer Ansicht nach respektlos behandelt?

Gabriele Lauterbach war mit weitem Abstand die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Obwohl sie bereits zweiundvierzig war, hätte sie als Starmodel arbeiten können. Claudia Schiffer wirkte blass und gewöhnlich neben ihrer aparten Schönheit.

Gustav fragte sich, ob er sie bei seinem Vorstellungsgespräch unter Umständen ungebührlich angestarrt hatte. Möglich war es. Er wusste es nicht mehr. Vermutlich hatte ihr Anblick ihn überrascht. Er war ein Mann, und ihre Schönheit hatte geradezu etwas aggressiv Herausforderndes. Dazu kam, dass sie sich äußerst elegant und auf eine schwer zu erklärende Art aufreizend kleidete. Sie war ein Magnet für männliche Blicke, und er machte da kaum eine Ausnahme.

Von seinem ersten Tag in der Kanzlei an hatte sie ihn mit ihrer Feindseligkeit verfolgt und versucht, ihm den Einstieg schwer zu machen. Gustav liebte Vera, und andere Frauen interessierten ihn nicht. Gabriele Lauterbachs Schönheit war offensichtlich, aber selbst wenn er sie für einen Moment angestarrt haben sollte, musste sie es doch gewohnt sein, dass Männer auf sie reagierten. Er wollte gewiss nichts von ihr.

Falls er unbewusst respektlos gewesen war, hätte er sich gerne entschuldigt. Leider war das nicht so einfach. Mit Pech könnte er durch eine Entschuldigung alles noch schlimmer machen. Schließlich wusste er nicht einmal, wofür er sich hätte entschuldigen sollen. Was immer es war, das sie an ihm auszusetzen hatte, es machte ihm das Arbeitsleben schwer.

Wer wurde schon gerne ständig von seinem Arbeitgeber attackiert? Manchmal war er nahe daran, das Handtuch zu werfen. Gunter Blume, sein alter Chef, hatte ihm die Entscheidung, seine kleine Kanzlei zu verlassen, nicht übel genommen, aber er hatte sie ihm auch nicht leicht gemacht.

„Du hast eine Familie und musst an deine Karriere denken. Das verstehe ich. Das große Geld lässt sich mit meiner kleinen Klitsche nicht verdienen. Klar würde ich dich gerne bei uns halten, aber du brauchst ein größeres Zirkuszelt. Ich an deiner Stelle wäre schon vor Jahren weitergezogen“, hatte er auf seine väterliche Art gesagt, als Gustav ihm mit rabenschwarzem Gewissen gegenübersaß und beichtete.

„Der Mensch ist seinem Wesen nach ein perfekter Egoist, ob er das nun eingesteht oder nicht. Ich bin eine ehrliche Seele und leugne es erst gar nicht. Halten kann ich dich nicht, aber solltest du es dir je überlegen, dann zögere nicht und komm zurück! Du bist mein Traumkandidat, wenn ich die Kanzlei in vier, fünf Jahren an einen Jüngeren übergeben muss. Ein wenig locken und ködern muss ich dich schon dürfen. Du hast hier eine Zukunft, und die Tür bleibt immer offen.“

„Alter Fuchs! Du weißt genau, dass ich mir das immer gewünscht habe und wie sehr ich mich über dein Angebot freue. Gunter, deine Anerkennung bedeutet mir wirklich viel. Danke!“ Gustav war berührt vom Vertrauen des alten Anwaltes, den er in gewisser Weise verehrte.

„Danke, aber nein!“, fasste Gunter mit einem gelassenen Lächeln zusammen und schien nicht enttäuscht. „Das habe ich nicht anders erwartet, aber wie gesagt, mein Angebot bleibt bestehen. Du bist brillant und gehörst zu den besten jungen Anwälten. Aus dir wird überall etwas werden, Gustav. Du musst für dich herausfinden, ob du in der Tat in so eine Großkanzlei passt. Da geht es nur um Gewinn und kaum um den Menschen. Nicht jeder ist dafür geeignet“, warnte Gunter.

„Ich weiß, aber mit Nachwuchs unterwegs und Veras Wunsch, noch ein drittes und vielleicht sogar ein viertes Kind zu bekommen, muss ich es versuchen.“ Gustav lehnte das großzügige Angebot ab, obwohl es genau das war, was er sich unter anderen Umständen beruflich für sich gewünscht hätte.

Er hatte viel von Gunter Blume gelernt und schätzte den alten Anwalt sehr. Doch selbst mit der Aussicht, Blumes Kanzlei zu übernehmen, war das mit hohen Kosten und Risiken verbunden. Blume hatte einen soliden und guten Ruf, aber große Mandanten gingen zu renommierten Großkanzleien wie die, für die Gustav nun tätig war. Dort konnte man auf einen Stab an Hilfskräften zurückgreifen, der für manche Fälle unerlässlich war.

Gustav bedauerte es, aber die Dinge ließen sich nicht ändern. Solange er bei Blume blieb, war er trotz seines Expertenwissens keine Konkurrenz für die Kanzleiriesen. Erfolg und Geld konnte er nur optimieren, wenn er sich in einer dieser Kanzleien nach oben arbeitete. Er musste an Vera und die Kinder denken.

Im Nachhinein war er sich trotz allem alles andere als sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Gabriele Lauterbach schien wild entschlossen, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ihre Abneigung und ihre boshaften Sticheleien und Intrigen konnten ihm als Anfänger durchaus gefährlich werden und eine spätere Partnerschaft vereiteln.

Die übrigen Gründungsanwälte der Kanzlei meinten es andererseits kaum besser mit ihm. Sie wollten, dass er sich voll ins Zeug legte, und erwarteten, dass er sich bewies. Bevor sie ihn als Partner auch nur in Betracht zogen, würde er ihnen durch einträgliche neue Mandanten, Erfolg vor Gericht und jede Menge kostenloser Überstunden beweisen müssen, dass er ein Gewinn für die Kanzlei war.

Gustav übte seinen Beruf gerne aus, aber er liebte auch seine Familie. Die Vorstellung, kaum noch etwas von seinen Kindern und Vera mitzubekommen, machte ihn traurig. Die kommenden Jahre würden an ihm vorbeiziehen, und außer Gerichtssälen und Besprechungsräumen würde es wenig geben, an was er sich erinnern könnte. Das war der Preis.

Andererseits war es wichtig für seine Kinder, dass er den hohen gesellschaftlichen Standard für sie hielt und ausbaute. Sie sollten sich einmal nicht wie er aus dem Schatten ins Licht hocharbeiten müssen. Als Sohn eines Fabrikarbeiters hatte er nichts geschenkt bekommen. Seine Kinder sollten es leichter haben.

Mit klopfendem Herzen stand Gustav in dem luxuriösen Waschraum der Kanzlei und sah in den Spiegel. „Du bist gut und kannst das, weil du dafür gearbeitet hast! Zeig es ihnen! Dieses Weib mag dich kleinkriegen, wenn es ums Manipulieren und Intrigieren geht, aber fachlich kann sie dir nicht das Wasser reichen“, sagte er leise zu seinem Spiegelbild.

Als er dann dem Mandanten und dem Team seiner Berater die Hände schüttelte, war ihm von seiner Aufregung nichts mehr anzumerken. Souverän ließ er sich von Gabriele Lauterbach einführen, die zuvor für den Mandanten verantwortlich gewesen war. Er hatte die sechs Männer im Handumdrehen für sich gewonnen, und sein Wissen sicherte ihm ihr Vertrauen für eine gute Zusammenarbeit. Es war ein Kinderspiel.

Zum Abschluss begleitete er die Herren noch zu einem Geschäftsessen in ein Restaurant, das drei Sterne hatte. Die exquisite und unbezahlbare Küche war eine Selbstverständlichkeit und wurde kaum zur Kenntnis genommen. Man plauderte entspannt über Golf und Segeljachten und trennte sich in der heiteren Gewissheit, aus demselben Schlag zu sein.

„Sie sind ein erbärmlicher Hochstapler, und früher oder später wird Ihr angelerntes Wissen Sie nicht mehr retten. Normalerweise würden diese Männer jemanden wie Sie keines Blickes würdigen“, bemerkte Gabriele Lauterbach, als sie wieder allein in der Kanzlei waren.

„Was haben Sie gegen mich?“ Gustav platzte der Kragen. „Ich mache meine Arbeit genau wie Sie und arbeite hart. Warum können Sie mich nicht in Ruhe meine Arbeit machen lassen, ohne mich beständig anzugreifen?“

Amüsiert hob sie eine Braue. „Haben Sie schwache Nerven? Wenn man auf die Überholspur zieht, sollte man mit Gegenwind rechnen.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen.

Gustav sah ihr fassungslos nach. Anscheinend neidete sie ihm tatsächlich seinen greifbaren Erfolg. Sie war nur fünf Jahre älter als er und bereits Partnerin in einer der mächtigsten Kanzleien Münchens. Von ihm hatte sie rein gar nichts zu befürchten. Es war unsinnig.

Er nahm sich einmal mehr vor, auf der Hut zu sein. Auf seinem Schreibtisch türmte sich die Arbeit, und am frühen Abend hatte Vera einen Kontrolltermin bei Dr. Holl in der Berling-Klinik. Ihre Mutter hatte extra versprochen zu kommen und auf Nina aufzupassen, damit Gustav Vera begleiten konnte.

Anstatt weiterhin kostbare Zeit damit zu vergeuden, über Gabriele Lauterbachs Motive nachzugrübeln, machte er sich lieber wieder an die Arbeit, um ausnahmsweise einmal etwas früher gehen zu können.

***

„Ein kräftiger, gesunder Herzschlag und alles, wie es sein soll. Dem Baby geht es großartig. Ihren Blutdruck müssen wir allerdings etwas im Auge behalten. Er ist heute höher als bei Ihnen üblich, aber nicht bedenklich. Vor Ninas Geburt war er auch immer einmal wieder leicht erhöht.“ Dr. Stefan Holl schob das Ultraschallgerät beiseite, um die Ergebnisse der Untersuchung mit der werdenden Mutter und ihrem Mann zu besprechen.

„Ich bin relativ sicher, dass es sich um keine Präeklampsie handelt, Frau Flamm. Es liegt kein erhöhtes Eklampsierisiko vor“, fuhr er fort.

„Eklampsie?“ Gustav erinnerte sich, vor Ninas Geburt den Begriff schon einmal von dem Arzt gehört zu haben, konnte ihn aber nicht mehr zuordnen.

„Entschuldigen Sie! Das war Fachchinesisch. Schande über mein Haupt! Hin und wieder passiert mir das, aber nicht absichtlich. Es ist ein Klischee, dass Ärzte es vorziehen, nicht verstanden zu werden“, machte sich Dr. Holl über sich lustig und schnitt eine Grimasse. Die Atmosphäre im Raum war eigentümlich angespannt, obwohl es dafür keinen Grund gab – zumindest keinen, der mit der Schwangerschaft zusammenhing.

Sein kleiner Versuch, die Stimmung zu lockern, schlug fehl. Vera Flamms Miene blieb ungewöhnlich ernst, und die Frage ihres Mannes ging ihr eindeutig auf die Nerven. Ansonsten war das Paar immer voller Freude auf sein zweites Baby, und Dr. Holl konnte spüren, wie innig das Verhältnis von Vera und Gustav Flamm zueinander war. Dieser Tag war eindeutig eine Ausnahme. Vera Flamm köchelte offensichtlich vor sich hin, und ihr Mann wirkte hilflos und reichlich verloren.

„In seltenen Fällen kommt es bei Schwangeren in der letzten Phase der Schwangerschaft, während oder auch kurz nach der Geburt zu schweren Krampfanfällen. Die genauen Ursachen dieser Eklampsie kennt man bis heute nicht, aber sie geht im Vorfeld mit Präeklampsie oder hohem Blutdruck einher. Die Anfälle können Mutter und Kind gefährlich werden, daher ist es wichtig, das Risiko im Auge zu haben und nötigenfalls den Blutdruck zu senken“, erklärte der Arzt bereitwillig.

„Danke!“, murmelte Gustav. „Und bei meiner Frau müssen Sie das nicht, weil …“ Er stockte, weil Vera die Augen verdrehte und etwas Unverständliches vor sich hin brummte.

„… Symptome, die bei dieser Diagnose dazukommen, im Falle Ihrer Frau gänzlich fehlen. Sie hat keine Schwellungen oder Wassereinlagerungen und klagt auch nicht über häufige, starke Kopfschmerzen. Ihr Sehvermögen hat sich nicht verschlechtert – nur um einige der Symptome zu nennen, auf die Sie achten sollten, Frau Flamm.“ Der Arzt wandte sich nun wieder an seine Patientin.

„Wir haben mehrfach darüber gesprochen in den letzten Monaten. Sollte etwas davon bei Ihnen auftreten, lassen Sie alles stehen und liegen und kommen umgehend in die Berling-Klinik!“, befahl er eindringlich.

„Ich weiß, Dr. Holl, und da es um meine und die Gesundheit des Kleinen geht, werde ich keine Sekunde zögern, wenn ich auch nur die geringsten Andeutungen wahrnehme. Lieber komme ich einmal zu viel, als dass dem Kleinen oder mir Schaden widerfährt. Versprochen!“, beteuerte die Schwangere, die der Arzt bei früheren Untersuchungen bereits ausführlich über Risiko und Symptome informiert hatte.

Der Klinikleiter der Berling-Klinik nickte zufrieden. Er mochte die Flamms und freute sich immer auf die Termine mit ihnen. Was war nur gerade mit den beiden los? Er hatte die Schwangere noch nie so wütend und ihren Mann noch nie so hilflos erlebt. Etwas musste sie gehörig aus der Bahn geworfen haben.

„Den hohen Blutdruck habe ich nur, weil ich mich aufgeregt habe, bevor wir gekommen sind. Das ist alles“, beantwortete Vera Flamm die Frage, ohne dass der Arzt sie gestellt hatte.

„Mein geliebter Göttergatte kam zu spät und meine Mutter pünktlich. Ein äußerst ungeschicktes Zusammentreffen von unerwarteten Ereignissen, kann ich Ihnen sagen. Meine Mutter hat nicht auf Nina aufgepasst, wie es geplant war, sondern auf mich. Sie erlaubte mir nicht, selbst zur Klinik zu fahren. Ich mag es gar nicht, unpünktlich zu sein, und kann mich nur noch einmal bei Ihnen entschuldigen. Sie könnten jetzt schon zuhause bei Ihrer Familie sein, wenn wir nicht zu spät gekommen wären.“

„Da müsste ich fliegen können, und auf meinem Schreibtisch dürften nicht ganz so viele Stapel liegen. Zehn Minuten sind nun wirklich kein Problem. Es hat mir gerade zu einer Tasse Kaffee und einem wichtigen Anruf gereicht“, meinte der Arzt leichthin.

„Trotzdem, so etwas darf nicht sein und ist einfach unhöflich“, beharrte Vera und warf ihrem Mann einen strengen Blick zu.

„Es tut mir so leid!“, entschuldigte sich Gustav zum wiederholten Mal bei seiner Frau und fühlte sich elend. Wie sollte er ihr erklären, was er selbst nicht verstand und wogegen er sich kaum wehren konnte?

Gabriele Lauterbach hatte gewusst, dass er früher gehen wollte, und auch warum. Er hatte gerade seine Jacke angezogen, als sie plötzlich in sein Büro gekommen war. Ausführlich und langatmig hatte sie ihm noch einmal erzählt, was sie am Morgen bei der Besprechung bereits bei der Übergabe gesagt hatte.

Es war reine Schikane, und das war beiden klar. Mit einem boshaften Lächeln hatte sie all seine Versuche abgeblockt, sich aus dem Gespräch zu ziehen. Irgendwann war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sie stehenzulassen und einfach zu gehen. Das würde voraussichtlich Konsequenzen haben. Er konnte sich vorstellen, auf welche Weise sie den Vorfall den übrigen Partnern schilderte. Seine Tage in der Kanzlei waren vermutlich gezählt. Sicher war das auch besser so.

Vera war eine selbständige und unkomplizierte Gefährtin und erwartete nicht viel von ihm, aber sie war es gewohnt, dass er das Wenige einhielt. Seine Verspätung hatte sie aus der Fassung gebracht. So verärgert hatte er sie noch selten gesehen, und das zu Recht. Selbst jetzt hatten sie sich noch nicht versöhnt.

„Komm mir jetzt bloß nicht mit Entschuldigungen und Erklärungen! Mir ist absolut egal, warum du zu spät bist. Wirst du mich auch warten lassen, wenn die Wehen einsetzen?“, hatte sie ihn vorwurfsvoll begrüßt, als er endlich gekommen war und sie es nicht mehr pünktlich zur Berling-Klinik schaffen konnten.

„Sag es mir lieber gleich, wenn alles andere wichtiger ist als die Geburt unseres Kindes! Nur damit ich mich darauf einstelle und am besten gleich ein Taxi rufe, wenn es so weit ist“, hatte sie ihn mit spitzer Zunge angegriffen.

„Schatz, auf Männer ist kein Verlass. Ich kann doch für die nächsten Wochen zu euch ziehen und …“, mischte sich ihre Mutter ein, die den Zwist genüsslich auskostete und nur zu gerne noch Benzin in die Flammen goss.

„Nein!“, kam es einstimmig von Vera und Gustav. Mit Sabine Striegel unter einem Dach zu leben, das war für beide ein Albtraum, den es unter allen Umständen zu vermeiden galt.

„Danke! Das war eine klare Botschaft. In diesem Punkt seid ihr euch offensichtlich einig. Ich bin hier nicht willkommen. Aber so ist das im Leben: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Vielen Dank! Als ob ich durch deinen Vater nicht genau das gewohnt wäre, Vera“, kam es zutiefst gekränkt von Veras Mutter. Schmollend nahm sie Ninas Hand und zog sie mit sich ins Kinderzimmer.

„Jetzt ist auch noch Mama sauer. Toll! Danke! Du weißt doch, dass es ewig dauert, bis sie solche Geschichten verzeiht, und vergessen wird sie es nie. Mit Pech zitiert sie das noch in zwanzig Jahren“, schimpfte Vera, die aufgrund ihrer schlechten Laune auch dafür umgehend den Schuldigen kannte.

Sie war nicht fair und viel zu emotional, und es machte sie nur noch wütender, dass sie das genau wusste. Schwangere mussten nicht immer fair und ausgeglichen sein! Verdammt, sie fühlte sich wie eine Tonne, hatte überall Schmerzen, und ihr war immerzu zum Weinen zumute – einmal aus Freude, dann aus Sentimentalität oder aus einem Kummer heraus, den sie nicht nachvollziehen konnte.

Gustav kannte das von ihr. Schließlich hatten sie bereits eine Schwangerschaft zusammen gemeistert. Sonst schaffte er es doch immer, damit umzugehen. Es war unverzeihlich, dass er ihr nicht half, wieder aus diesem grässlichen Zorn hinauszufinden. Warum nahm er sie nicht in den Arm? Warum brachte er sie nicht zum Lachen? Konnte er nicht endlich das Richtige tun oder sagen, damit es ihr besser ging? Was war nur los mit ihm? Sie war bereit, die kleinste positive Bemerkung als Entschuldigung anzunehmen und ihm zu verzeihen.

„Deine Mutter ist eine Plage und ständig beleidigt. Dafür kann ich nun aber wirklich nichts und du …“ Gustav tat genau das Falsche. Er verteidigte sich und brachte Vera damit noch mehr gegen sich auf. Auch ihm war klar, dass er damit alles verschlimmerte, aber in ihm war eine Aggression, die sich nicht zügeln ließ. Diese Aggression galt nicht Vera, sondern Gabriele Lauterbach, aber woher sollte Vera das wissen?

Auf der Fahrt zur Berling-Klinik hatte das Paar kein Wort gewechselt und sich feindselig angeschwiegen. Dabei quälte jeden von ihnen das schlechte Gewissen. Es konnte nur keiner über seinen Schatten springen. Das erlösende Wort hing in der Luft, aber sie konnten es nicht finden.

„Ich habe schon etwas übertrieben reagiert vorhin“, kam Vera ihrem Mann nach kurzem Zögern entgegen. In Dr. Holls Gegenwart kam sie sich lächerlich vor, wenn sie auf einem Standpunkt beharrte, der ihr selbst nicht mehr recht einleuchten wollte.

„Nein, du hattest recht. Ich wollte unbedingt pünktlich sein, und so etwas passiert nie wieder!“, gelobte Gustav erleichtert. „In Zukunft werfe ich jeden aus meinem Büro, der mich aufhalten will. Du und das kleine Wesen in deinem Bauch – auf euch kommt es an. Ihr habt Vorrang und absolute Priorität.“

Sie umarmten sich und wollten sich gar nicht mehr loslassen. Streit und Zwietracht war etwas Entsetzliches, und jeder von ihnen brauchte Harmonie. Dr. Holl atmete auf. Um dieses Paar musste er sich keine Sorgen machen. Zu Unstimmigkeiten kam es in jeder Beziehung. Das war normal. Entscheidend war, ob die Betroffenen einen positiven Umgang damit fanden und den Mut hatten, aufeinander zuzugehen.

„Behalten Sie den kleinen Wicht noch ein Weilchen bei sich im Warmen. Er ist bestens entwickelt und könnte schon alleine überleben, aber jeder Tag Bauchwärme mehr tut ihm nur gut“, meinte der Arzt zum Abschied.

„Ich sehe, was ich machen kann. Wenn es nach mir geht, dann bleiben wir noch einen Monat zusammen. Die Frage ist, ob das Kleine es noch so lange mit mir aushält“, antwortete Vera lachend.

„Dann bis kommende Woche! Ich möchte Sie von nun an wöchentlich sehen.“ Dr. Holl reichte Vera und Gustav die Hand und sah ihnen schmunzelnd nach.

***

Am nächsten Morgen wurde Gustav überraschend zu einer Besprechung mit einem der anderen Partner gebeten. Er rechnete mit seiner Kündigung, als er das luxuriöse Büro betrat, aber der Empfang war überaus herzlich.

„Ich brauche Ihren Rat. Bei einem meiner Mandanten droht die feindliche Übernahme durch einen amerikanischen Konkurrenten. Er möchte sich dagegen wehren, aber seine wirtschaftliche Situation ist – nennen wir es – alarmierend. Könnten Sie sich vorstellen, sich das bis morgen früh durchzusehen und eine Strategie zu erarbeiten?“, bat Nikolaus Meisner und deutete auf einen Berg Unterlagen.

Wieder einmal machte Gustavs Schwerpunkt in internationalem Recht ihn zum gefragten Experten. Es war keine Bitte, sondern eine Anweisung, und es bedeutete, dass er den Tag und die Nacht durcharbeiten musste, wenn er es irgendwie schaffen sollte, am anderen Morgen etwas einigermaßen Brauchbares anbieten zu können.

„Natürlich! Das mache ich gerne!“, antwortete er mechanisch.

„Sie sind meine Rettung!“, bedankte sich Nikolaus Meisner. Er geizte nicht mit Lob für seinen neuen Mitarbeiter. „Edwin Krüger ist sehr beeindruckt von Ihnen“, erzählte er. „Wir sind uns gestern Abend im Golfclub begegnet, und er hat Sie in den höchsten Tönen gelobt. Sie sind ein Gewinn für unser Team.“

Gustav bedankte sich, aber wirklich beruhigt war er nicht. Den Arm voller Akten und mit der unschönen Aufgabe, Vera anrufen zu müssen, um ihr zu sagen, dass er am Abend nicht heimkommen würde, verließ er Meisners Büro. Hätte Meisner von dem Vorfall am Tag zuvor gewusst, wäre es ihm zumindest eine spöttische oder begütigende Bemerkung wert gewesen, so viel stand fest.

Gabriele Lauterbachs Gunst zählte viel. Der Anwalt wäre nicht stillschweigend darüber hinweggegangen, dass die Lauterbach gegen Gustav hetzte. Da er nichts sagte, hatte sie ihm nicht erzählt, dass Gustav sie aus seiner Bürotür geschoben und trotz ihres Protestes an ihr vorbeigegangen war und die Kanzlei verlassen hatte.

Was hatte Gabriele Lauterbach vor? Warum hatte sie die Bombe noch nicht platzen lassen? Das passte nicht zu ihr. Hob sie sich das für einen Zeitpunkt auf, an dem er angreifbarer war? Jeder machte Fehler und schuf sich Feinde in seinem Beruf. So rosig, wie es im Moment aussah, würde es nicht immer aussehen. Es gab immer Mandanten, die sich nicht gebührend beachtet fühlten oder an einem Punkt auf ihrer Meinung beharrten.

Wartete die Lauterbach auf ihren Moment, um ihn dann heimtückisch auszuhebeln und vor die Tür zu befördern? Gustav fühlte sich wie unter einem Damoklesschwert. Es kostete ihn große Anstrengung, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Hatte einer der Mitarbeiter eine abweisende Miene, bezog er es sofort auf sich. Standen im Aufnahmebereich mehrere Kollegen zusammen und tuschelten, dann musste er sich gegen die Überzeugung wehren, dass es um ihn ging.

Voller Sehnsucht dachte er an seine Zusammenarbeit mit Gunter Blume. Am liebsten hätte er den alten Anwalt angerufen und sein Angebot angenommen. Sein Magen fühlte sich an, als ob er mehrfach verknotet wäre. Hinter seinen Schläfen pochte es schmerzhaft, und die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.

Nein, so konnte er nicht arbeiten. Das würde ihn krank machen. Es war ihm ein Rätsel, wie er in den verbleibenden vierundzwanzig Stunden ein Konzept erarbeiten sollte, um die Übernahme erfolgreich abzuwehren, wenn er sich die ganze Zeit über persönlich bedroht fühlte.

Gustav schob den Gesetzestext von sich, in dem er verzweifelt zu lesen versuchte, und dachte nach. Die Situation war untragbar und konnte nur schlimmer werden. War es an der Zeit, sich seinen Fehler einzugestehen? Vera wäre vielleicht etwas enttäuscht von ihm, wenn er so schnell das Handtuch warf, aber er kannte seine Frau. Sie würde bedingungslos hinter ihm stehen.

Auch mit dem Einkommen, das er bei Gunter Blume erzielen konnte, zählten sie noch zu den gut situierten Bürgern. War es so schlimm, wenn sie sich den einen oder anderen Luxus nicht leisten konnten? Gustav hatte ohnehin nicht vor, in seinem Leben zum Golfspieler zu werden und mit seiner Familie im Golfclub zu speisen oder in den Urlauben auf seiner Jacht über die Meere zu schippern.

Allein der Gedanke war ihm zuwider. Das entsprach nicht seiner Weltanschauung. Gabriele Lauterbach lag mit einem richtig. Die Männer, für die er als Anwalt tätig war, gehörten zum größten Teil einer vollkommen anderen Schicht an als er. Sie schätzten sein Wissen, aber ohne dieses Wissen würden sie kein Wort mit ihm wechseln.

An einem Punkt irrte sich die Anwältin gewaltig. Gustav lag nichts daran, in jene Schicht der Reichen und Machtvollen aufzusteigen. Er übte seinen Beruf gerne aus und war gründlich und kreativ – das sicherte ihm seinen Erfolg. Dieser Erfolg und ein gesichertes, gutes Einkommen waren seine Ziele. Alles andere interessierte ihn nicht, und er konnte wenig damit anfangen.

Nachdem er sich das wieder klargemacht hatte, wurde es ihm plötzlich leicht ums Herz. Gunter Blumes kleine Kanzlei – das passte zu ihm. Er hatte sich nur in dieses Luxusbüro verirrt, aber zum Glück merkte er es früh genug, um den Rückwärtsgang einlegen zu können. Nichts war passiert. Er hatte nur eine Proberunde eingelegt und sich dagegen entschieden. Dazu konnte er stehen.

Gustav wollte eben zum Hörer greifen, um Gunter Blume anzurufen, als Gabriele Lauterbach sein Büro betrat. Er sah sie das erste Mal an diesem Tag. Sie lächelte ihn an. Erstaunlich, das grenzte bereits an ein Wunder. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie ihm je ein Lächeln geschenkt hatte.

Sein Misstrauen erwachte umgehend. Das war zu schön, um wahr zu sein. Warum sollte sie einlenken? In seinem Kopf überschlugen sich die Theorien. Hatten die übrigen Partner ihr geraten, sich an ihn zu gewöhnen? Das war unwahrscheinlich. Sie zog die Fäden, da war er sich relativ sicher, und die Männer hatten nicht das Rückgrat, um sie in ihre Schranken zu weisen.

Was wollte sie von ihm? Diese Frau tat nichts ohne Berechnung. Wo erwartete sie, dass er ihr von Nutzen sein konnte? Ihr Lächeln war ihm fast noch suspekter und unangenehmer als die vorherige offene Feindseligkeit. Was für sie von Vorteil war, musste für ihn noch lange keinen Vorteil bedeuten.

„Frau Lauterbach, es tut mir leid, dass ich gestern …“, begann er.

„Unsinn! Ich hoffe, Ihre Frau war nicht gar zu sauer wegen der Verspätung. Schwangere sind in solchen Dingen eigen, habe ich mir sagen lassen. Ich möchte doch keinen Scheidungsgrund abgeben und Ihren Kindern die glückliche Familie nehmen! Das könnte ich mir nie verzeihen!“, scherzte sie und lachte hell und sirrend wie eine Totenglocke.

Gustav lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er schluckte und blieb stumm.

„Na, ich denke, Sie haben das schon hingebogen. Männer verstehen es, uns Frauen etwas vorzumachen, damit wir genau das tun, was sie wollen.“ Wieder lachte sie über ihre eigene Bemerkung hell auf.

Flirtete sie etwa mit ihm? Gustav hatte keine Ahnung, was das sollte. Falls die Frau nicht von einer höheren Macht über Nacht im Bett ausgetauscht worden war, spielte sie da gerade ein übles Spiel mit ihm. Daran zweifelte er keine Sekunde. Letztendlich war es ihm aber gleichgültig, denn er plante nicht, dieses Spiel mitzuspielen. Sein Entschluss stand fest.

„Ich denke, mir ist gestern klar geworden, dass der Zeitpunkt für einen Wechsel in Ihre Kanzlei schlecht gewählt war. Meine Frau und ich bekommen unser zweites Kind, und da kann ich nicht rund um die Uhr für meine Karriere Einsatz bringen. Meine Familie steht für mich an erster Stelle. Ich war und bin ein Familienmensch. Die Einsicht kommt etwas zu spät, und ich möchte mich dafür entschuldigen“, setzte er zu seiner Kündigung an.

„Sie werden jemanden finden, der besser qualifiziert ist und den Bereich Europarecht und internationales Recht für Ihre Kanzlei übernehmen kann“, fuhr Gustav fort. „Ich denke, es ist besser, wenn ich meine Sachen zusammenpacke und gehe. Zum Glück hat keine Seite durch mein kurzes Gastspiel verloren. Ich bin noch in der Probezeit, und damit dürfte das Rechtliche kein Problem darstellen.“

„Herr Flamm, kein Wort mehr!“, unterbrach sie ihn resolut. „Sie werden nicht kündigen! Ich wollte Sie gestern aus der Reserve locken und habe mich im Ton vergriffen. Lassen Sie uns mit dem Tag heute unsere Zusammenarbeit noch einmal vollkommen neu beginnen!“ Sie streckte ihm die Hand entgegen.

Gustav zögerte.

„Kommen Sie schon! Wenn Sie mich erst besser kennen, werden Sie erkennen, dass ich gar nicht so schlimm bin. Was soll Nikolaus machen, wenn Sie ihm den Packen Arbeit zurückbringen? Soweit ich weiß, hat seine Frau für heute Abend Karten für die Oper. Der arme Tropf hat keinen Ehevertrag und muss spuren. Glauben Sie mir, wenn er nicht in die Oper kann, ist sein Leben ruiniert und sein Vermögen geht flöten! Können Sie ihm das antun?“

Die Art, wie sie das sagte, war so humorvoll und charmant, dass Gustav einfach lächeln musste.

„Sehen Sie! Das war ein Lächeln. Wir sind auf einem guten Weg. Und jetzt halte ich Sie nicht mehr auf und lasse Sie arbeiten!“ Sie ging.

Gustav wusste nicht so recht, wie ihm da eben geschehen war, aber er beschloss, dem Ganzen noch eine Chance zu geben. Schließlich konnte er jederzeit kündigen und musste es nicht überstürzen.

***

„Du Armer! Soll ich dir etwas zum Umziehen für morgen und eine Kleinigkeit zum Essen bringen? Ich könnte Mama bitten, für ein, zwei Stunden herüberzukommen und nach Nina zu sehen“, bot Vera voller Mitgefühl an.

Für sie war es nichts Neues, dass Gustav eine Nachtschicht einlegen musste. Vor Ninas Geburt hatte sie ihn meist bei solchen Gelegenheiten am späten Abend im Büro besucht, kulinarisch verwöhnt und aufgemuntert, aber mit Kind war das nicht mehr so einfach.

„Untersteh dich! Du hütest unsere zwei Schätze und bleibst schön, wo du bist. Ich habe ein sauberes Hemd hier für alle Fälle im Schrank. Wie aus dem Ei gepellt muss ich nach einer durchgearbeiteten Nacht nicht aussehen, sonst kommen die noch auf dumme Gedanken und machen das zur Gewohnheit“, lehnte Gustav ab.

Vera fuhr sehr gerne Auto und ließ es sich nicht nehmen, sich auch in ihrem Zustand noch hinters Steuer zu setzen. Ihm war das gar nicht recht. Er hätte sie lieber in Watte gepackt, bis die Geburt überstanden war, aber das ließ sie nicht mit sich machen und lachte ihn nur aus. „Ich bin schwanger und nicht krank.“ Das sagte sie oft.

„Und verhungern muss ich auch nicht. Es gibt einen Automaten mit Süßigkeiten unten im Foyer des Gebäudes. Da hole ich mir nachher einen Vorrat, und ansonsten brauche ich vor allem literweise Kaffee. Sollte mich der Heißhunger packen, ist auf der anderen Straßenseite ein Italiener, der liefert die ganze Nacht. Du siehst, ich bin bestens versorgt“, beruhigte er sie.

„Na gut! Schaffe gut und hab eine deiner Eingebungen! Ich rufe dich noch einmal an, bevor ich ins Bett gehe“, versprach sie. „Lieb dich.“

„Ich dich auch.“

Frohgemut machte sich Gustav ans Werk. Nach der Versöhnung mit Gabriele Lauterbach war sein Kopf wieder frei, und die Arbeit ging ihm gut von der Hand. Der Fall war kniffelig und kaum zu gewinnen, und genau dann machte es den größten Spaß, doch noch ein Schlupfloch oder wie in diesem Fall einen Notausgang zu finden.

Noch war nichts Passendes in Sicht, aber Gustav vertraute auf sein Glück. Früher oder später fand sich immer etwas, womit man pokern konnte, und als Pokerspieler hätte er Karriere machen können. Ganz in seine Arbeit vertieft, merkte er kaum, wie der Tag verflog.

Das Büro leerte sich. Einige streckten kurz den Kopf zur Tür herein und verabschiedeten sich. Gustav war noch neu, aber sein geselliges, offenes Wesen führte dazu, dass er schnell als Kollege ins Team aufgenommen wurde. Nikolaus Meisner setzte sich für ein paar Minuten zu ihm und hörte sich an, wie weit er gekommen war, bevor er gegen neunzehn Uhr ging.

„Hm, bisher sieht es übel aus. Das wird meinem Mandanten überhaupt nicht gefallen. Was meinen Sie, gibt es Hoffnung?“, fasste er Gustavs Ausführungen skeptisch zusammen.

„Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Ich hatte schon aussichtslosere Fälle auf dem Tisch, bei denen sich noch eine Lösung fand. Wenn ich morgen früh nicht strahle, sieht es düster aus. Vorher ist alles offen“, meinte Gustav gelassen.

Meisner musterte ihn amüsiert. „Sie sind selbstbewusst, brillant und ehrgeizig. Das ist gut. Früher war ich auch so. Nur so bringt man es zu etwas bei uns“, deutete er dezent an, dass er eine Partnerschaft in Gustavs Fall für durchaus möglich hielt.

„Dann sollten Sie mit mir rechnen, denn ich möchte es zu etwas bringen“, ging Gustav spielerisch darauf ein und schmunzelte.

Meisner lachte. „Eine gute Nacht!“, wünschte er ihm. „Überraschen Sie mich morgen, und ich werde Sie überraschen, wenn es so weit ist!“

Gustav sah ihm nach und musste an Gabriele Lauterbachs spöttische Bemerkung denken. Möglicherweise steckte mehr als nur ein Körnchen Wahrheit darin. Meisner machte nicht den Eindruck eines Mannes, der sich sonderlich auf sein Zuhause oder auf einen Opernbesuch freute. Man sah ihm an, dass er Gustav fast darum beneidete, arbeiten zu dürfen.

Was für ein Tag! Am Morgen war er noch felsenfest überzeugt gewesen, diese Kanzlei wieder zu verlassen. Am Abend wurde ihm eine mögliche Partnerschaft in einigen Jahren angeboten. Verrückt! Dabei konnte einem schwindlig werden. Er hoffte, dass sich mit der Zeit alles einspielte und dass es weniger turbulent zuging. Auf der Achterbahn oder im Schleudersitz – woher sollte er wissen, wo genau er sich eigentlich befand? – war es auf Dauer zu anstrengend.

Als alle gegangen waren, begann das nächtliche Leben der Kanzlei. Ein Putztrupp kam und machte sich daran, alles für den kommenden Tag auf Hochglanz zu polieren. Die guten Geister im Hintergrund arbeiteten schnell und doch gründlich.

„Darf ich?“ Scheu kam eine der Putzfrauen herein und leerte seinen Papierkorb. „Wann können wir Ihr Büro machen? Arbeiten Sie noch lange?“, fragte sie, bevor sie hinausging.

„Vermutlich die ganze Nacht, aber es stört mich nicht, wenn Sie trotzdem putzen. Sie müssen auch mit Ihrer Arbeit fertig werden. Ist die Kanzlei das letzte Objekt, oder zieht der Trupp anschließend noch weiter?“, wollte er wissen.

Überrascht sah sie ihn an. Er war nett und behandelte sie nicht herablassend, wie sie es von fast allen seinen Kollegen gewohnt war. „Wir arbeiten bis acht Uhr durch und haben noch drei Objekte zu reinigen, bevor die Bürozeit wieder beginnt.“

„Ein harter Job!“, stellte Gustav fest.

„Auch nicht härter als Ihrer.“

Sie grinsten sich an.

Gegen dreiundzwanzig Uhr winkte sie ihm, als der Putztrupp fertig war und weiterzog. Gustav reckte sich. Er wurde müde und sein Magen knurrte. In der Kaffeeküche setzte er eine Kanne Kaffee für sich auf.

„Halt! Nicht abbeißen! Sie verderben sich den Appetit, und das wäre eine Sünde!“, kam es von der Tür, als er gerade von einem Schokoriegel abbeißen wollte. Gabriele Lauterbach kam mit einer voll bepackten Tüte herein.

„Eine kleine Entschuldigung und ein kleiner Trost, wenn Sie sich schon die Nacht um die Ohren schlagen müssen“, sagte sie und packte ein komplettes Gourmetessen vor ihm aus, das in Porzellangeschirr angerichtet und dann sorgfältig verpackt worden war.

„Bei dem Restaurant hätte ich nie gedacht, dass es ausliefert“, kommentierte Gustav den unerwarteten Segen. Er hatte tatsächlich einen Bärenhunger, und was da vor ihm stand, duftete köstlich und sah noch besser aus. Die Serviette, die dazu gepackt war, trug ein aufwendiges Emblem und war aus feinem Tuch.

„Tun die auch nicht, aber für einen Stammgast machen sie schon mal eine Ausnahme“, meinte sie heiter. „Lassen Sie es sich schmecken!“

Das ließ sich Gustav nicht zweimal sagen und begann zu essen.

„Hm, ist das gut!“, seufzte er zufrieden. „Wenn man damit gerechnet hat, nur Kaffee und Süßes zu sich zu nehmen, schmeckt es gleich noch besser. Danke!“

„Kein Problem! Das war ich Ihnen nach unserem schlechten Start schuldig. Was halten Sie eigentlich davon, wenn wir uns duzen?“, bot sie an.

Gustavs Alarmsystem schlug flüchtig an, aber er achtete nicht darauf. In der Kanzlei waren fast alle angestellten Anwälte untereinander per Du. Mit den Partnern siezten sich allerdings die meisten.

Gabriele Lauterbach duzte sich, soweit er wusste, mit sonst keinem ihrer Angestellten. Die Hierarchie war streng und wurde allgemein akzeptiert. Das Du war wohl als eine Art besonderer Auszeichnung gedacht. Ihm konnte das nur recht sein, dachte er.

„Gerne!“, stimmte er zu und musste gähnen.

„Na, na! Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Daran müssen wir noch arbeiten“, meinte sie heiter und zauberte einen Piccolo Champagner aus ihrer Wundertüte und zwei Sektgläser aus Bleikristall.

Plante diese Frau denn alles im Voraus? Tat sie nie etwas spontan und ohne Hintergedanken? Gustav war das unheimlich, aber er war einfach zu müde und hatte noch zu viel Arbeit vor sich, um sich strategisch klug zu verhalten.

„Um Himmels willen! Wie oft essen Sie in dem Lokal?“, fragte er stattdessen belustigt.

„Wie oft isst du in dem Lokal“, korrigierte sie ihn lachend. „Ich koche nicht gerne.“

Sie lachten und stießen auf das Du an. Als sie ihn auf den Mund küssen wollte, wich er instinktiv zurück, und so küssten sie sich auf die Wangen. Da sie keinerlei Befangenheit zeigte, kam er sich etwas prüde vor und dachte sich nichts dabei.

„Mir hilft es immer, wenn ich einen Fall jemandem vortragen kann. Oft kommen mir dann die guten Ideen wie von alleine. Ich habe heute Abend nichts mehr vor, und solltest du ein offenes Ohr brauchen, dann leg los!“, bot sie an.

„Wirklich? Es reicht, wenn ich um die Nacht komme“, zauderte er. Das ging doch etwas weit.

„Ich kann ohnehin nicht schlafen. Schlaflosigkeit ist die Schattenseite meines Erfolges, fürchte ich. Leg los!“ Sie ging hinüber in sein Büro, ließ sich auf sein Ledersofa fallen und zog die Beine an den Körper an, sodass sie in ihrem elfenbeinfarbenen Kleid wie ein Schwan aussah.

Sie war verboten schön, stellte er einmal mehr fest, ohne das geringste Begehren oder Bedauern zu empfinden, dass er bereits gebunden war. Vera gehörte sein ganzes Herz. Er hatte sich gerade gesetzt, als das Telefon klingelte.

„Wie läuft es?“, fragte Vera.

„Wunderbar, und stell dir vor, ich bin zu einem exquisiten Essen und zu einer Helferin gekommen. Frau Lauterbach sitzt mir gerade gegenüber und ist gewillt, sich eine Falldarstellung anzutun. Geht es mir gut, oder geht es mir gut?“, erzählte Gustav unbefangen. Zwischen Vera und ihm gab es keine Geheimnisse.

„Dann einen schnellen Erfolg! Ich leg mich jetzt hin. Vielleicht bekommst du ja doch noch zwei, drei Stunden Schlaf ab bei der Hilfe.“

„Gute Nacht, Liebling! Träume etwas Schönes und grüße mir den Fußballstar!“

„Wird gemacht!“

„Wird deine Frau nie eifersüchtig? Kaum ein Mann hätte seiner Frau erzählt, dass ich gerade auf seinem Sofa liege. Mutig!“ Gabriele hatte das Telefonat aufmerksam verfolgt.

„Vera weiß, dass sie mir vertrauen kann“, antwortete Gustav schlicht.

„Die Glückliche! Fast beneide ich sie ein kleines bisschen“, spottete Gabriele und setzte sich so hin, dass Gustav ihre langen, wohlgeformten Beine sehen musste, ob er nun wollte oder nicht.

Er war zu sehr auf den Fall konzentriert, um zu merken, dass da im Untergrund etwas vollkommen anderes ablief, als er dachte.

„Dann lege ich los, aber ich habe noch keinen Schlüssel zur Lösung, nur einige Ansätze. Du wirst dich langweilen“, warnte er.

Gabriele hörte sich seine Falldarstellung nicht einfach nur an, sondern stellte scharfsinnige Fragen, die ihn anregten, neue Wege zu gehen. Die Zusammenarbeit mit ihr war überaus fruchtbar, und nach drei Stunden intensiver Diskussion des Falles hatte Gustav die Lösung klar vor Augen.

„So wird es gehen! Jetzt haben wir es!“, rief er zufrieden und rieb sich die Hände. „Du bist genial!“

„Du bist genial. Ich habe nur ein paar Hilfestellungen gegeben.“ Lachend erhob sie sich und reckte und streckte sich vor seinem Schreibtisch.

Wie schön diese Frau war! Ihr Körper grenzte ans Überirdische. Als Gustav es dachte, ging ihm auf, dass da etwas passierte, was unter keinen Umständen geschehen durfte. Sein Schutzsystem trat in Funktion und sorgte dafür, dass er nicht vergaß, wem sein Herz gehörte.

„Wir sehen uns morgen und feiern deinen Triumph!“, sagte Gabriele, und es klang auf eine Weise verheißungsvoll, die ihn abstieß. Er war verheiratet und wurde gerade zum zweiten Mal Vater. Was versprach sie sich von diesem Spiel? Er schämte sich, es nicht sofort erkannt zu haben. Noch waren keine Grenzen verletzt worden, soweit es ihn betraf, und so würde es auch bleiben.

„Danke für deine Hilfe, Gabriele!“, bedankte er sich höflich, aber bewusst distanziert.

Sie lächelte wissend, warf ihm eine Kusshand zu und ging. Gustav fragte sich, ob er nicht vom Regen in die Traufe gekommen war. Als Feindin hatte sie ihm im Nachhinein weniger Angst eingeflößt. Müde schüttelte er den Kopf über diese aberwitzigen Entwicklungen an einem einzigen Tag. Er musste aufpassen – sehr gut aufpassen.

***

Noch eine Woche war es bis zum errechneten Geburtstermin. Vera war inzwischen so lang wie rund und ächzte bei jeder Bewegung. Aber auf ihrem Gesicht lag immer ein beseeltes Lächeln. Sie lauschte immerzu in sich hinein und schien mit dem kleinen Wesen mental verbunden zu sein, das da ihren Leib zu sprengen schien.

Gustav beobachtete es nicht ganz ohne Neid. Wie gerne wäre er seinem Kind auch so nahe gewesen, und doch war er froh, ein Mann zu sein. Es war deutlich angenehmer, im Kreissaal ermutigend daneben stehen zu dürfen. Bei Ninas Geburt hatte ihn die Hebamme einmal konsequent vor die Tür geschickt. Er hatte es kaum ertragen, Vera so leiden zu sehen, und war einer Ohnmacht nahe gewesen.

„Ich bin dafür da, Ihrer Frau die Geburt angenehmer zu machen und um dafür zu sorgen, dass Ihr Kind gesund zur Welt kommt. Wenn Sie uns hier umkippen, lenken Sie mich nur von meiner Arbeit ab. Ihrer Frau helfen Sie damit kein bisschen. Trinken Sie einen Kaffee und drehen Sie eine Runde um die Klinik! Das ist keine Bitte, sondern eine Anordnung. Ich will Sie hier für mindestens eine Stunde nicht mehr sehen!“

Gustav hatte widerstrebend gehorcht und sich hinterher ein wenig beschämt von Vera als „ihr geliebtes Sensibelchen“ verspotten lassen. Vor den Urgewalten einer Geburt hatten sie aber beide den höchsten Respekt. Vera hatte sechsundzwanzig Stunden in den Wehen gelegen, und trotz starker Wehen hatte sich der Muttermund nicht öffnen wollen.

Dr. Holl hatte bereits über ein Ende der Geburt mit Hilfe einer Saugglocke nachgedacht, als Nina endlich doch noch Gas gegeben hatte. Sie war gerade noch auf natürliche Weise geboren worden.

„Glauben Sie, Nummer zwei lässt sich auch so viel Zeit?“, hatte Vera Dr. Holl bei ihrem letzten Kontrollbesuch gefragt.

„Bei dem zweiten Kind geht es oft schneller, aber letztendlich hat jedes Kind seinen eigenen Kopf und entscheidet, wie eilig es damit hat, auf die Welt zu kommen. Ich würde Ihnen raten, dass wir diesmal gleich zu Beginn eine Periduralanästhesie legen – in Kurzfassung eine PDA“, schlug der Arzt vor. „Wir spritzen Ihnen dann ein Schmerzmittel in den Epi- bzw. Periduralraum, das ist der Raum zwischen den äußeren Schutzhüllen des Rückenmarks in Ihrer Wirbelsäule. Der Einstich erfolgt zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel. Das Rückenmark kann dabei nicht verletzt werden, weil an dieser Stelle nur noch die Nervenfasern verlaufen, die für den Unterbauch und die Beine zuständig sind“, erklärte Dr. Holl und holte extra Anschauungsmaterial dazu, damit Vera genau wusste, wovon er sprach.

„Das Lokalanästhetikum betäubt einen guten Teil Ihrer Schmerzen, und über einen feinen Katheter, den wir gleich mit legen, können wir Ihnen das Mittel bei Bedarf mehrmals verabreichen. Schmerzfrei ist eine Geburt auch dann nicht, aber es macht schon einen großen Unterschied.“

„Ist das denn ungefährlich für das Kleine?“, fragte Vera unsicher. Es wäre schön gewesen, weniger Schmerzen bei der Geburt zu haben, aber ihrem Kind wollte sie unter keinen Umständen schaden.

„Eine schädigende Wirkung für Ihr Kind kann ich guten Gewissens ausschließen. Ganz unbedenklich ist eine PDA aber dennoch nicht. Ich oder ein Kollege wären bei der Geburt meist ganz in Ihrer Nähe. Es kann zu einem Blutdruckabfall durch das Medikament kommen. Wir geben Ihnen dagegen über eine Infusion ein Mittel, das den Kreislauf unterstützt“, ging Dr. Holl auf die negativen Nebenwirkungen ein. „Die Gebärmuttermuskulatur darf nicht zu sehr entspannt werden, sonst fallen die Wehen zu schwach aus. Sollte der Fall eintreten, lässt sich das leicht durch Wehen- oder Oxytocin-Tropfen beheben. Bei einer zu hohen Dosierung kann es passieren, dass Sie nicht mehr spüren, wann Sie mitpressen müssen. Dann kann es unter Umständen zu einer Zangen- oder Saugglockengeburt kommen. So etwas passiert aber äußerst selten, und unser Anästhesist versteht sein Handwerk.“

Vera schluckte. Sie fühlte sich überfordert mit der Entscheidung. Ihr lag viel an einer natürlichen Geburt. Eigentlich hatte Gustav sie zu der Untersuchung begleiten wollen, aber er hatte unerwartet einen Termin vor Gericht, den er nicht verpassen konnte. Sie verstand das, und doch fühlte sie sich von ihm allein gelassen. Tränen schimmerten in ihren Augen. Waren das wirklich nur die Hormone? Sie hoffte es.

„Wenn mein Mann nur da wäre! Ich weiß nicht, was ich machen soll“, gestand sie.

„Sie können sich mit der Entscheidung Zeit lassen bis zum Tag der Geburt, Frau Flamm. Sprechen Sie alles in Ruhe mit Ihrem Mann durch! Ich gebe Ihnen Informationsbroschüren mit“, beruhigte Dr. Holl sie freundlich.

„Würden Sie mir dazu raten?“, versicherte sie sich noch einmal.

„In Ihrem Fall halte ich es für angebracht. Durch die extrem schwere Geburt Ihrer ersten Tochter haben Sie Angst. Angst ist immer eine Blockade. Zudem ist Ihr Blutdruck zwar wieder im normalen Bereich, aber bei Aufregung schießt er in die Höhe. Die PDA nimmt viel Druck aus der Geburtssituation“, beriet Dr. Holl sie.

„Danke! Ich denke, ich werde es machen, aber bevor ich nicht mit Gustav geredet habe, bin ich irgendwie unsicher. Ist das zu fassen! Sagen Sie ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe! Das schwächt meine Position im Geschlechterkampf sonst ungemein.“

Sie lachten herzlich darüber.

***