Die Beute des Wikingers - Jacqueline Greven - E-Book

Die Beute des Wikingers E-Book

Jacqueline Greven

2,0

Beschreibung

Nach einem Überfall auf ein irisches Kloster werden Thorolf Vandilson und seine Männer auf der Heimreise nach Norwegen von einem gegnerischen Wikingerschiff angegriffen. Thorolf meint, Arngrim, den Anführer der Gegner, beim Kampf über Bord gehen zu sehen. Thorolfs Mannschaft ist siegreich und nimmt Beute des anderen Schiffes an sich. An Bord des Wikingerschiffs befindet sich auch eine ebenso schöne wie kratzbürstige junge Frau. Die Marokkanerin Yasha fasziniert Thorolf und er nimmt sie mit nach Norwegen. Während Yasha der Anziehung ihres wilden nordischen Kriegers erliegt, machen ihr in Thorolfs norwegischem Heimatdorf gleich zwei eifersüchtige Frauen das Leben schwer: Thorolfs ehemalige Geliebte Una sowie seine Schwester Herdis. Und auch von außen droht Gefahr, denn Arngrim hat überlebt und will nicht nur blutige Rache an Thorolf nehmen, sondern auch Yasha erneut erbeuten ...

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Jacqueline Greven

DIE BEUTE DES WIKINGERS

Erotischer Roman

© 2017 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamourbooks.com

[email protected]

© Cover: Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.weebly.com)

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-298-2

ISBN eBook: 978-3-86495-299-9

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Begriffserklärungen

Autorin

Kapitel 1

Der kreisrunde Mond glänzte silberweiß am nachtschwarzen Himmel. Immer wieder wurde er von darüber jagenden Wolkenfetzen verdeckt. Durch manche schimmerte er verhangen hindurch, dann wieder entschwand er komplett und die nachfolgende Finsternis nahm den Männern auf der Stolt Skip jegliche Sicht. Ein scharfer Wind blies und die Wellen schlugen hoch, sodass das Schiff von Thorolf Vandilson und seinen Männern bedrohlich schwankte. Gischt spritzte über Bord. Längst hatte Thorolf das Segel einholen lassen. Die See war allzu stürmisch und die Gefahr zu groß, dass die Kraft des Windes das Schiff außer Kontrolle geraten ließ. Die Männer, die an den Rudern saßen, kämpften vergeblich gegen das Tosen des Meeres. Thorolf stand breitbeinig auf den nassen, rutschigen Planken am Bug des Schiffes, die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt. Schwere Regentropfen klatschten vom Himmel und durchnässten seinen grauen Umhang und seine vollen Haare, die ihm bis über die Schultern hingen.

Die Fahrt war wahrlich kein Vergnügen. Schlimmer war nur noch der Sturm vor zwei Sommern gewesen, als sie Richtung Kirkwall unterwegs gewesen waren, um ein Kloster nahe der Küste zu überfallen. Auf halber Strecke hatte er aufgeben müssen, da bereits mehrere seiner Leute über Bord gegangen waren. Thorolf zog die Stirn in Falten. Am besten er ließ das Rudern einstellen, bis sich das Unwetter beruhigt hatte. Sie kamen ohnehin nicht vorwärts.

„Männer! Stopp! Wir warten ab, bis der Sturm nachlässt“, verkündete er lautstark. Diejenigen, die ihm am nächsten saßen, reagierten als erste. Wie in einer Kettenreaktion hörten die Wikinger nach und nach auf, gegen die Fluten anzukämpfen. Das Schiff kam dennoch nicht zur Ruhe, sondern tanzte weiter wild auf dem Wasser.

Orlyg Snorrason stapfte auf Thorolf zu. Mühsam hielt sich der alte Mann auf dem schwankenden Schiff aufrecht, doch seine Miene verkündete Triumph. Er packte eines der straff gespannten Seile, die seitlich des Mastes verliefen, und hielt sich daran fest. Er grinste Thorolf zu. Sein Gesicht war voller Falten und im Laufe der Jahre hatte er etliche Zähne eingebüßt. Im Mondlicht blitzte das Weiß seiner Augen.

„Das ist ein Wetter, was? Da tobt der Meergeist! Ha! Der will unser Gold, aber wir lassen es uns nicht nehmen, nicht wahr?“, rief er gegen das Heulen des Windes an. Thorolf erwiderte mühsam das Grinsen des Alten.

„Snorrason, das nächste Mal bleibst du in Stavanger, das kannst du mir glauben“, entgegnete er laut.

„Was?“ Der alte Mann hielt die freie Hand hinter das Ohr.

„Du bist die längste Zeit auf Fahrt gewesen. Irgendwann muss Schluss sein“, fuhr er fort.

„Was sagst du?“, brüllte Orlyg Snorrason durch das Unwetter. „Sprich lauter! Man versteht ja sein eigenes Wort nicht.“

Thorolf winkte ab. Er war sicher, der eigensinnige alte Knabe hatte ihn durchaus verstanden.

Snorrason grinste wieder. „Was soll ich in Stavanger? Ich geh auf Raubzug! Das ist mein Leben!“

Thorolf blickte übers Meer. Mit Snorrason zu verhandeln führte zu nichts. Die Wolken gaben für einen Augenblick den Mond frei. Thorolf kniff die Augen zusammen. In weiter Ferne glaubte er, ein Schiff zu sehen. Der Alte neben ihm streckte aufgeregt den Arm aus und zeigte in die Richtung.

„Da, siehst du“, brüllte er und fuchtelte mit der Hand. „Es sind noch andere unterwegs.“

Thorolf nickte.

„Das ist die Hersker Hav!“, fuhr Snorrason aufgebracht fort. „Wir müssen weg, schnell. Die wollen uns einnehmen.“

„Die Hersker Hav? Wie kommst du denn darauf? Das Schiff ist doch noch viel zu weit weg“, erwiderte Thorolf.

Snorrason zuckte hektisch mit dem Arm. „ Ich bin vielleicht alt und hab ein lahmes Bein, aber meine Augen sind schärfer als die von einem Vogel, jawohl. Glaub mir.“ Er ließ das Seil los, an dem er sich noch immer festgeklammert hatte, packte stattdessen Thorolfs Arm und schüttelte ihn. „Gib Befehl zum Rudern, schnell.“

„Snorrason, hast du zu viel gedörrte Pilze gegessen?“ Er versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, denn der alte Mann hatte erstaunlich viel Kraft.

„Erstens glaub ich nicht, dass das die Hersker Hav ist, und zweitens kommen die genauso wenig vorwärts wie wir“, wehrte er ab. In seinem Bauch grummelte es. Ganz ausschließen konnte er nicht, dass der Alte recht hatte. Der Mond schien jetzt hell übers Wasser und der Wind flaute ein wenig ab. Wütend stampfte Snorrason mit dem Fuß auf.

„Eigensinniges junges Volk! Ich sage dir, ich seh deutlich den Schlangenkopf am Bug. Aber gut, wenn du nicht willst, dann lass es auf einen Kampf ankommen. Die sind in der Überzahl und Arngrim Manson ist grausam und brutal. Er wird versuchen, uns alle abzuschlachten und unsere Beute zu kassieren.“

Vor Thorolfs geistigem Auge tauchte das Kloster in Irland auf, welches sie vor etlichen Tagen überfallen hatten. Der Gewinn war nicht schlecht gewesen. Nicht allzu üppig, aber edel. Goldene Schalen und Teller, Kandelaber, feines Tuch und sogar Gewürze hatten sie erbeutet.

„Na bitte! Jetzt setzen sie das Segel. Die haben uns gleich“, zürnte Snorrason.

Thorolf hob den Arm.

„Männer, an die Ruder“, befahl er laut. Im gleichen Augenblick wurde der Wind wieder stärker und Snorrason nickte zufrieden.

„Gut. Arngrim wird das Segel schnell wieder einholen müssen, das kostet ihn Zeit. Der Sturm hält bestimmt noch eine Weile an.“

Thorolf gab keine Antwort. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser und zog eine glitzernde Spur über den Ozean. Besorgt erkannte er, dass das Schiff, von dem Snorrason überzeugt war, es wäre die Hersker Hav, rasch näher kam. War es wirklich Arngrim Manson, der mit seinen Männern auf die Stolt Skip Fahrt aufnahm, stand ihnen ein erbitterter Kampf bevor. Manson war bekannt für seine Härte und Grausamkeit. Tatsächlich hatte er das Segel wieder einholen müssen, doch mit seiner Vielzahl an Leuten kam er zügig vorwärts.

„Schneller!“, herrschte Thorolf lautstark.

Eine starke Welle donnerte über das Meer und schleuderte die Stolt Skip gewaltsam entgegen der Fahrtrichtung. Das Schiff legte sich gefährlich schräg, Wasser schwappte über Bord. Thorolf ballte die Fäuste. Beinahe wäre er gestürzt, hatte gerade noch ein Seil des Mastes zu fassen bekommen. Snorrason hielt sich ebenfalls eisern an einem solchen fest. Inzwischen hatte das gegnerische Schiff bereits die Hälfte der Strecke, die sie getrennt hatte, aufgeholt. Deutlich reckte sich der Schlangenkopf am Bug in die Höhe, die gespaltene Zunge und das hämische Grinsen des Tieres, das für Hinterhalt und Heimtücke stand, waren in hellem Mondlicht klar erkennbar. Verdammt, der Alte hatte recht. Es war die Hersker Hav. Thorolf wusste, sie hatten keine Chance, kampflos davonzukommen. Die einzige Möglichkeit, das Schiff, die Männer und die Beute zu retten, war, sich dem Feind zu stellen und zu versuchen, ihn zum Rückzug zu zwingen.

„Stopp!“, brüllte er. „Hört auf zu rudern. Wir kommen nicht weg.“

Aufgeregte Männerstimmen wurden laut, alle redeten wirr durcheinander. Die ersten der Mannschaft hatten das feindliche Wikingerschiff gesichtet und es erkannt.

„An die Waffen, Männer!“, gab Thorolf mit durchdringender Stimme Befehl und griff selbst nach seiner Axt, die in seinem breiten Gürtel steckte. In Windeseile näherte sich nun Arngrim Mansons Schiff. Man konnte bereits die zahlreiche Besatzung erkennen. Allesamt große, kräftige Männer, die breitbeinig und kampfeslustig dem Schwanken der Hersker Hav und dem Unwetter trotzten, um Thorolfs Besitz einzunehmen. Ganz vorn stand der Anführer der Truppe: Arngrim Manson. Eine dicke zottige Mähne roten Haares fiel ihm bis weit über die Schultern, ein dichter roter Bart bedeckte einen großen Teil seiner massigen Brust. Eine hässliche Narbe, die im Mondlicht schwarz auf seiner hellen Haut hervorstach, zog sich schräg über seine Stirn. Thorolfs Finger schlossen sich fest um seine Waffe. Der erste Speer kam geflogen, pfiff durch die Nacht und blieb mit der Spitze gut zwei Armlängen vor Snorrason in den Planken stecken.

„Verschwinde!“, fuhr Thorolf den Alten an. „Kriech hinter eine Kiste oder hau ab unter Deck!“

„Niemals!“ Snorrason zog den feindlichen Speer aus dem Holz und hielt ihn mit beiden Händen in die Höhe. Als wollte der Sturm den Kampf auf seine Weise begleiten, flaute er unvermittelt ab. Snorrason schleuderte die Waffe zurück, wobei er beinahe nach hinten gestürzt wäre. Der Speer flog durch die Luft und traf einen der Gegner an der Schulter. Der Aufschrei des Mannes ging im Gebrüll von Arngrims Leuten unter. Im gleichen Augenblick fuhr ein kräftiger eisiger Windstoß übers Meer, neue Wellen jagten aufgepeitscht auf die Schiffe zu, hoben erst die Stolt Skip und dann die Hersker Hav in gefährliche Höhen. Snorrason stürzte, rappelte sich jedoch sofort wieder hoch. Speere und Pfeile flogen durch die Luft. Thorolf schleuderte die Waffen zurück, die in seiner Reichweite landeten, duckte sich weg vor allem, was durch die Nacht pfiff und Schmerz oder Tod verhieß. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie die ersten seiner Leute zu Boden fielen oder über Bord stürzten. Thorolf hatte keine Zeit, darauf zu achten, wie viele seiner Männer verletzt oder gar getötet wurden. Etwas krampfte sich zornig in seiner Brust zusammen.

Wer im Atlantik unterging, würde nie wieder auftauchen. Das Heulen des Sturmes baute sich wie eine Drohung auf, als er in großer Geschwindigkeit näher kam. Eine mächtige Welle donnerte auf sie zu, und ehe sein Verstand begriff, was passierte, krachten die Schiffe aneinander. Thorolf riss es die Beine weg, er schlitterte über die nassen Planken und prallte mit etlichen seiner Leute, denen es gleich geschah, gegen eine Seitenwand. Eisiges Wasser schwappte ins Boot, saugte sich in seinen Mantel, durchnässte seine Hose und füllte seine Stiefel. Schwer hing die triefende Kleidung an seinem Leib. Thorolf rappelte sich hoch, der Boden unter ihm schwankte noch immer. Im Atlantik schwammen unzählige Männer, brüllten verzweifelt um Hilfe, ruderten mit Armen und Beinen. Ihre Köpfe tauchten auf und gingen wieder unter. Thorolf stand bis zu den Knien im Wasser. Er ballte die Fäuste. Das Schiff musste nach dem gewaltigen Zusammenprall ein Leck haben. Sie würden untergehen. Zwar konnte er gut und ausdauernd schwimmen, doch wohin? In der Weite des Meeres und der Finsternis der Nacht würde er kein rettendes Ziel finden. Zornige Verzweiflung jagte durch seinen Körper.

„Abschöpfen!“, brüllte er seinen Leuten über die Schulter zu. Es war die einzige, winzige Möglichkeit, noch etwas zu retten. Vielleicht war das Leck nicht allzu groß. Vielleicht konnte man …

„Da!“, brüllte jemand hinter ihm. „Die Hersker Hav geht unter!“ Thorolf fuhr herum. Tatsächlich neigte sich das große Wikingerschiff gefährlich zur Seite und der Bug mit dem Schlangenkopf senkte sich. Die ersten Männer fielen über die Reling. Arngrim Manson klammerte sich an der Bordwand fest. Sein rotes Haar bauschte sich im Wind. Das Schiff kippte mehr und mehr, schien förmlich in die Tiefe gezogen zu werden. Die Männer brüllten, Kisten gerieten ins Rutschen. Von einer löste sich der Deckel und Gold funkelte verlockend durch die Nacht. Man konnte jedoch nicht genau erkennen, was es war. Geschmeide? Münzen? Kostbare Becher? Wildes Verlangen durchzuckte Thorolf. Die Kiste knallte in Arngrims Kniekehlen, ein Teil des Inhalts verteilte sich auf den Planken. Manson schrie wütend auf und kämpfte vergeblich, um in eine stehende Position zu kommen. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Thorolf konnte sich nicht länger beherrschen. Es waren kaum noch wehrhafte Männer an Bord. Unzählige waren ins Meer gestürzt, etliche lagen am Boden, aus ihren Körpern ragten die Waffen, mit denen sie getroffen worden waren. Der Feind hatte so gut wie verloren und in den Kisten mochte reichlich Wertvolles sein. Unverzeihlich, es im Atlantik versinken zu lassen. Ein wenig Zeit blieb noch, um ein paar der Kostbarkeiten zu retten, und die Schiffe waren dicht beieinander.

„Holt euch die Beute!“, brüllte er unvermittelt, bevor ihm blitzartig durch den Kopf fuhr, was er riskierte. Flucht wäre wesentlich vernünftiger gewesen und keineswegs eine Schande. Er musste an seine Männer denken. Eine neue heftige Welle, ein weiterer Zusammenstoß und dann würde die Stolt Skip möglicherweise ebenfalls dem Untergang geweiht sein.

Wenn sie es nicht sowieso schon war, auch wenn das Leck längst nicht so groß sein mochte, wie das am Schiff des Feindes. Die Gier verdrängte jedoch die Bedenken. Es war ohnehin zu spät, das Kommando zurückzunehmen. Er sah, wie Eskil, einer seiner besten Männer, den Anker warf, um eine Verbindung zur Hersker Hav zu schaffen. Die ersten seiner Leute, denen es beim Anblick des Funkelns wohl ebenfalls in den Fingern juckte, setzten zum Sprung an. Einige hatten Säcke aus grober Jute in ihren Gürtel gestopft, um möglichst viel Ware retten zu können.

„Ja!“ Kampfesfreudig wollte sich Snorrason an Thorolf vorbeidrängen.

„Nein! Du bleibst hier. Es ist zu gefährlich. Halte hier die Stellung. Ich gehe.“

Ohne den alten Mann weiter zu beachten, schwang sich Thorolf über Bord und hangelte sich am Seil des Ankers zum feindlichen Schiff hinüber.

Die Schräglage des Bootes war noch nicht so schlimm wie gedacht. Trotzdem musste er immer wieder anhalten, um nicht abzugleiten. In der Mitte des Schiffes, beim Mast, gab es einen Einstieg unter Deck. Sicher waren unten die meisten Kostbarkeiten gelagert. Doch es war zu gefährlich, dort hinunterzusteigen. Man könnte ihm den Rückweg abschneiden und es war ja längst Wasser in den Bauch des Schiffes eingedrungen. Er musste sich mit dem begnügen, was auf Deck übrig war. Manson lag auf Knien und krallte sich noch immer an der Seite des Schiffes fest.

„Tötet ihn“, schrie er außer sich. „Los ihr Feiglinge! Worauf wartet ihr?“

Einige wenige Männer stellten sich Thorolf in den Weg. Sie hatten keine Waffen mehr und wirkten geschwächt, obgleich sie, breitbeinig und mit finsterer Miene, versuchten, ihrem Anführer zu gehorchen.

Thorolf riss sein Schwert aus dem Gürtel. „Wagt es nicht“, stieß er hervor.

Einer der Männer trat dennoch vor. Thorolf stieß das Schwert nach ihm und traf ihn im Oberschenkel. Mit einem Schrei bäumte sich der Getroffene auf, um anschließend zusammenzusacken. Er presste beide Hände auf die Wunde. Blut quoll zwischen seinen Fingern durch.

„Noch jemand?“, zischte Thorolf und blickte mit zusammengekniffenen Augen von einem zum anderen.

„Ihr Idioten, nun tut doch was!“, schrie Manson.

Eskil näherte sich und schwang drohend seine Axt. Die verbliebenen Männer wichen zurück. Manson fluchte. Thorolf behielt ihn im Blick und riss gleichzeitig den Deckel der ersten Kiste hoch, die er erreichte. Sie war bis obenhin gefüllt mit Schmuck und Edelsteinen. Er stopfte sich in aller Eile die Taschen voll, wurde von hinten angegriffen, schlug brutal zurück und sah, wie der junge Mann, der ihn attackiert hatte, zu Boden ging. In diesem Moment löste Arngrim eine Hand von der Bordwand und tastete nach seinem Gürtel, in dem er noch ein Messer stecken hatte. Ein krachendes Geräusch ließ Thorolf zusammenfahren. Es schien, als würde die Hersker Hav ruckartig in die Tiefe gezogen.

„Rückzug! Zurück!“, brüllte Thorolf und erstarrte. Aus der Luke beim Mast, die unter Deck führte, kletterte eine junge Frau.

Ihr Gesicht war schneeweiß, langes dunkles Haar klebte in feuchten lockigen Strähnen an ihren Schultern. Mit einer Hand hielt sie ihren Rock gerafft, mit der anderen klammerte sie sich am Rahmen des Ausstieges fest. Ihre Augen waren weit aufgerissen und Thorolf sah nackte Panik in ihrem Blick. Warum bei allen Geistern hatte Manson eine Frau mit an Bord? Oder waren es gar mehrere? Ihr helles Kleid war nass und hatte sich an ihrem Körper festgesaugt. Üppige, wohlgeformte Brüste zeichneten sich unter dem Stoff ab. Wieder ging ein Ruck durch das sinkende Schiff und es geriet weiter in Schräglage.

„Thorolf, komm!“, schrie Eskil. „Das Boot kentert.“

Thorolf hielt sich am Seil des Mastes fest und arbeitete sich mit raschen Schritten zu der jungen Frau vor. Er streckte ihr eine Hand hin.

„Komm, schnell. Wir gehen unter“, stieß er hervor.

Die Frau war wie erstarrt. In ihrem Gesicht zeichnete sich das Entsetzen ab.

„Lass die Finger von ihr, du … du …“ Manson kreischte beinahe. Er schleuderte sein Messer nach Thorolf, verfehlte ihn jedoch um Handbreite.

„Beeil dich! Oder willst du ertrinken?“, fuhr Thorolf die junge Frau an.

Vielleicht verstand sie ihn nicht? Sie sah fremdländisch aus. Keinesfalls war sie aus Skandinavien. Endlich streckte sie ihm die Hand hin. Er packte zu und zerrte sie hinter sich her, wobei er sich selbst am Seil entlanghangeln musste.

„Dafür wirst du bezahlen, du räudiger Hund, du!“ Mansons Stimme überschlug sich. „Sie gehört mir! Ich …“ Im Inneren des Schiffes knarzte es laut und vernehmlich und es kippte wieder ein Stück zur Seite.

„Wir haben es gleich geschafft. Hör nicht auf ihn“, rief Thorolf über die Schulter.

Fast hatten sie die Bordkante erreicht. Die Stolt Skip stand aufrecht, und plötzlich wurde Thorolf bewusst, dass der Sturm vorbei war. Es war noch ein wenig windig und Regen fiel in gleichmäßigen dünnen Fäden vom Himmel. Eskil, der bereits wieder auf der Stolt Skip war, und Snorrason standen bereit. Thorolf wandte sich um und schob die junge Frau nach vorn.

„Los. Meine Männer helfen dir.“

Tatsächlich reagierte sie schnell, schwang sich über die schiefe Reling, griff nach dem Seil des Ankers und hangelte sich behände zum anderen Schiff. Eskil zog sie hoch, half ihr, an Bord zu klettern, und Snorrason fuchtelte mit den Händen, als könnte er damit Hilfe leisten. Thorolf folgte der jungen Frau rasch hinterher. Kaum stand er auf der Stolt Skip, zog er seine Axt aus dem Gürtel und kappte die Verbindung zum anderen Schiff. Es wurde höchste Zeit. Die Hersker Hav hatte bereits begonnen, sein Schiff gefährlich Richtung Untergang zu ziehen. Kurz schwankte der Boden unter ihnen. Das feindliche Wikingerschiff kippte endgültig zur Seite. Entsetzte Schreie der letzten Männer auf dem Boot gingen den klatschenden Geräuschen voraus, ehe sie in den Atlantik stürzten.

Auch Arngrim Manson brüllte mit aller Kraft durch die Dunkelheit. Er konnte das Gewicht seines massigen Körpers nicht länger halten. Sein Griff löste sich, er stürzte wie ein Felsbrocken quer über die Planken, krachte gegen die Bordseite und fiel ins Meer. Seine rote Mähne breitete sich auf dem Wasser aus und rahmte seinen Kopf ein. Wild schlug er um sich und versuchte nach einem auf dem Ozean schwimmenden Brett zu greifen, welches ihm aber mehrfach entglitt. Er ging unter und tauchte wieder auf. Dann verdeckte ihnen eine hölzerne Kiste die Sicht.

Die junge Frau neben Thorolf presste die Fäuste vor den Mund. Sie zitterte von Kopf bis Fuß.

„Sieh nicht hin“, befahl Thorolf mit ruhiger Stimme.

Die Frau stand starr und hielt die Augen auf die grässliche Szene gerichtet, über die der Mond sein kaltes Licht schickte. Um die sinkende Hersker Hav trieben die letzten Männer, die sich noch irgendwie über Wasser halten konnten. Ruder und Bretter, Fässer, in denen wohl Getränke und Nahrung gelagert worden waren, und feine Stoffe, die nun für immer vom Atlantik verschluckt wurden, schwammen umher.

Thorolf wandte sich ab. Es war still geworden auf dem Meer und auf der Stolt Skip.

„Setzt das Segel“, befahl er deutlich, aber mit ruhiger Stimme. Er sah hinunter zu seinen Füßen. Nur noch wenig Wasser stand auf den Planken. Offensichtlich war sein Schiff bei dem Zusammenprall doch schadlos davongekommen. Gleichzeitig erkannte er, dass die junge Frau neben ihm barfuß war. Sein Blick wanderte von ihren Füßen über die schlanken Beine, an denen ihr Gewand klebte, über die runden Hüften und den flachen Bauch. Um ihre schmalen Schultern trug sie ein Tuch. Sie hörte nicht auf zu zittern.

„Dir ist kalt, nicht wahr?“, fragte Thorolf.

Sie erwiderte nichts. Stattdessen sah sie noch immer zu dem untergehenden Schiff.

„Verstehst du mich eigentlich?“, fuhr er fort und nahm sie am Arm.

Sie wandte sich ihm zu und entriss ihm gleichzeitig ihren Arm. „Fass mich nicht an!“, stieß sie hervor und trat eilig zwei Schritte nach hinten, wobei sie über ihren eigenen Rocksaum stolperte.

Erneut griff Thorolf nach ihr und konnte gerade noch verhindern, dass sie fiel.

„Du sollst mich nicht anfassen“, schrie sie, trat mit aller Kraft gegen sein Schienbein, versuchte, ihn zu beißen, krallte ihre Finger in seinen Ellbogen und wand sich wie eine Schlange.

„He!“ Er zog sie an sich und schlang beide Arme um sie. „Beruhige dich. Ich tu dir nichts.“

„Lass mich los!“ Hart traf ihn ihr Knie an seiner empfindlichsten Stelle und Thorolf sog scharf die Luft ein.

„Du Luder. Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Mit eisernem Griff hielt er sie fest. Notgedrungen stellte sie ihre Gegenwehr ein. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sie um, sodass sie nun mit dem Rücken zu ihm stand. Seine Arme lagen um ihren Leib, dicht unter den vollen Brüsten. Er spürte ihre Wärme durch den nassen Stoff ihres Kleides, ihre zierliche Figur und die abwehrende Anspannung in jeder Faser ihres Körpers. Ihr feuchtes Haar berührte seine Wange. Die runden Backen ihres Pos drückten sich gegen sein Glied.

Für einen Moment durchzuckte ihn der Gedanke, eine Hand unter die vor Nässe klebenden Stoffe ihrer Kleidung zu schieben und die bloße Haut zu fühlen. Im selben Augenblick wurde ihm bewusst, dass seine Mannschaft ihn und die Fremde beobachtete. Sein Blick glitt über die Männer. Er sah lauernde, lüsterne und feixende Mienen. Einzig Snorrason machte einen besorgten und missmutigen Eindruck. Thorolf zog die Stirn in Falten.

„Was ist? Habt ihr nichts zu tun?“, herrschte er seine Leute an.

Einer stieß einen Pfiff aus. „Was machst du mit ihr? Überlass die kleine Furie mir, ich werd sie schon bändigen.“

Grölendes Gelächter erhob sich.

„So wie die sich aufführt, geht ihr gemeinsam über Bord, Svan. Überschätz dich nicht“, rief einer der Männer und lachte laut.

„Ah, halt die Klappe, Olaf. Ich verschwinde mit ihr hinter den Fässern. Wenn wir zurückkommen, ist sie handzahm und gut vorbereitet. Lasst mich nur machen“, lärmte der Nächste. „Dann kann Svan sie haben.“

Erneut gab es lautstarke Lacher von allen Seiten.

„Ihr Idioten“, fuhr Thorolf seine Leute an. „Ihr werdet euch mitsamt euren Trieben gedulden, bis wir wieder in Stavanger sind. Dort warten eure Frauen. Keiner rührt sie an, verstanden?“

Das Gelächter verstummte. Hier und da gab es missmutiges Gebrummel.

„Willst sie selber haben, was, Thorolf?“, rief einer aus der Menge.

Thorolf erkannte die Stimme, obgleich er den Redner nicht sah. Es war Ulf, der gesprochen hatte. Ulf war jung, kräftig und man munkelte, er hätte sein Glück bei fast jeder Frau im Heimatdorf versucht. Abgewiesen wurde er kaum.

„Blödsinn“, erwiderte Thorolf grob. „Holt ein paar von den Kisten, die unter Deck lagern. Leert euere Taschen und gebt alles, was ihr erbeutet habt, dort hinein. Und dann jeder an seine Arbeit. Marsch.“

Widerwillig setzten sich die Männer in Bewegung, füllten die Kisten, verteilten sich an den Rudern, kümmerten sich um das Segel und sammelten die Waffen ein, die vom Kampf auf den Planken lagen. Thorolf hielt die junge Frau noch immer fest, hatte jedoch den Griff schon etwas gelockert. Eskil näherte sich ihnen.

„Was geschieht nun mit ihr?“, erkundigte er sich.

Thorolf zögerte. Er hätte sie ihm übergeben können, damit er sie unter Deck brachte, wo sie sich ausruhen konnte. Doch etwas am Tonfall der beiläufig gestellten Frage störte ihn.

„Wir nehmen sie mit nach Stavanger. Danach muss sie selbst sehen, wie und wo sie unterkommt“, entschied er.

Eskil nickte.

„Ich lass dich jetzt los“, wandte er sich an die junge Frau. „Und dann kommst du mit. Wehe, du führst dich wieder auf. Denk dran, ohne mich wärst du jetzt da unten“, sagte er und zeigte auf das nachtschwarze Wasser des Meeres.

Sie gab keine Antwort, blickte finster und hielt die Arme seitlich eng am Körper. Vorsichtig lockerte er seinen Griff.

„Da lang.“ Er zeigte zu der kleinen Luke, die unter Deck führte, und war beinahe überrascht, als sie gehorsam vorausging.

„Achtung, die Treppe ist ziemlich steil“, warnte er, als sie in den Einstieg schlüpfte. Er hatte Mühe hinterherzukommen, groß und stattlich wie er war, wenn auch keineswegs so massig wie Arngrim Manson. Ein zufriedenes Gefühl machte sich in seinem Bauch breit, denn der Widersacher würde ihm nie mehr in die Quere kommen. Ob das zierliche Persönchen seine Frau gewesen war? Nach Trauer und Verzweiflung wegen seines Untergangs sah sie allerdings nicht aus. Eher, als wäre sie wütend, geschockt und in ständiger Fluchtbereitschaft. Wobei sie hier ja keine Chance zu einer solchen hatte.

„Warte“, ordnete Thorolf an. Er tastete nach dem Brett, das sich rechts vom Einstieg befand. Hier lag ein Feuerschläger, daneben stand eine mit Talg gefüllte Schalenlampe. Er nahm beides.

„Eskil“, rief er. „Entzünde die Lampe.“

Der Angesprochene näherte sich der Einstiegsluke und bückte sich zu ihm hinunter. Thorolf hörte den Atem der jungen Frau vor ihm, die gehorsam zu warten schien. Hier unten war es stockfinster. Eskil kniete auf den feuchten Schiffsplanken und war damit beschäftigt, mithilfe des Feuerschlägers den Holzspan zu entzünden, der im Talg steckte. Ein wenig Geduld war nötig. Endlich leuchtete das kleine Licht auf.

Vorsichtig griff Thorolf nach der Schale und schirmte die flackernde Flamme gegen die Zugluft ab.

„Gut. Wir können“, wandte er sich an die junge Frau.

Zögerlich setzte sie sich in Bewegung. Schwarze Schatten tanzten unruhig über die hölzernen Wände des engen Abstiegs. Die wenigen Stufen endeten vor einem schmalen, niedrigen Gang. Thorolf musste den Kopf einziehen und sogar seine Begleitung konnte nicht ganz aufrecht gehen. Nach ein paar Schritten standen sie vor einer kleinen Tür, die der Frau gerade bis zur Brust reichte. Thorolf beugte sich vor, an ihr vorbei, löste den Haken und zog die Tür auf. Im beengten Innenraum lagerten Taue, Riemen und ein Segel. Er zeigte auf Letzteres.

„Hier kannst du dich hinlegen und ausruhen.“ Aus einer Ecke zerrte er eine Decke aus grober Wolle, warf sie auf das provisorische Lager und bugsierte die junge Frau vorwärts, wobei er deutlich ihren Widerstand spürte. Sie bückte sich und schlüpfte durch den niedrigen Rahmen. Mit einem Fuß schob er einen dickwandigen Holzeimer hinter ihr her.

„Für notwendige Verrichtungen“, brummte er und schloss den Verschlag von außen. Mit der unruhigen Lichtquelle in der Hand stapfte er zurück zur Stiege, wo er die Flamme ausblies. Sorgsam stellte er die Schale wieder an ihren Platz und ging an Deck. Eskil lehnte an der Bordwand und sah über das Meer. Die Nacht war nun vollkommen ruhig.

„Leg dich schlafen“, wies er ihn an. „Ich werde mit Ulf und Svan Wache halten.“

Eskil schüttelte den Kopf. „Ich krieg kein Auge zu, ich merk es genau.“

„Gut, wie du willst. Dann ruhe ich mich ein wenig aus und löse dich später ab“, entschied Thorolf.

Er wandte sich ab, zog aus einer der Kisten, die am Bug gelagert waren, zwei Decken und legte sich nieder. Unter dem gleichmäßigen Schaukeln des Schiffes fiel er zwar rasch in einen leichten Halbschlaf, doch ein Teil seiner Sinne blieb wachsam. Immer wieder schlug er kurz die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass alles friedlich war. Ulf stand in der Nähe des Segelmastes, Svan wusste er am Heck. Eskil lehnte noch immer an der Bordwand. Arngrim Manson war mitsamt seiner Mannschaft, der Hersker Hav und seinem Diebesgut auf den Grund des Ozeans gesunken. Schade nur um die herrliche Beute.

Thorolf übermannte der Schlaf. Er wusste nicht, wie lange er eingenickt war, und fuhr plötzlich, wie von einer inneren Stimme alarmiert, in die Höhe. Er lag reglos auf seinem Platz und ließ den Blick über das Schiff gleiten. Ulf und Svan hatten die Plätze getauscht. Eskil war verschwunden. Sein Blick wanderte zu der Luke, die unter Deck führte. Licht flackerte aus der Tiefe empor, spärlich, doch unübersehbar. Thorolf richtete sich auf und schlug seine Decke zurück.

Lautlos und in Sekundenschnelle war er auf den Füßen. Mit raschen Schritten überquerte er die Planken des Bootes und glitt behände den Einstieg hinunter. Vor der Tür zu dem Verschlag, in dem er der jungen Frau ihr Nachtlager zugewiesen hatte, lauerte Eskil. Er hielt die Schalenlampe in der rechten Hand und streckte die linke nach dem Eisenhaken aus, mit dem der kleine Raum verschlossen war.

„Eskil!“, zischte Thorolf wütend und mit gesenkter Stimme. „Was zum Teufel soll das?“

Eskil fuhr herum. Die Lampe flackerte und für einen Moment fürchtete Thorolf, sie könnte die hölzerne Wand streifen und entzünden. Eskil zog grimmig die Stirn in Falten.

„Was fragst du? Warum, glaubst du, will ich um die Zeit eine Frau besuchen? Ulf hat recht, du willst sie für dich haben, nicht wahr?“

„Selbst wenn, was geht es dich an? Ich bin der Anführer und habe sie gerettet. Scher dich hoch auf deinen Posten. Wehe, du versuchst es noch einmal! Ich habe gesagt: Niemand rührt sie an! Ist das klar, oder hast du was mit den Ohren?“

Eskil schnaubte.

„Wo ist das Problem? Wir könnten alle was von ihr haben. Wir sind seit zwei Wochen unterwegs. Wir …“

„Wir sind auf der Höhe von Schottland und damit in wenigen Tagen zu Hause. Was seid ihr? Wilde Tiere, oder was? Hau ab, sonst warst du die längste Zeit mit auf Fahrt.“

Er spürte die Empörung, die sich von seinem Bauch aus in alle Glieder ausbreitete. Er hasste Widerworte, und noch mehr hasste er es, wenn einer seiner Männer sich seinen Befehlen widersetzte. Hätte der Erste aus der Mannschaft sich der Schönheit bemächtigt, würden alle zu ihrem vermeintlichen Recht kommen wollen. Das würde zu Tumult und Chaos führen, vielleicht sogar zu Kämpfen unter den eigenen Leuten.

Eskil senkte den Kopf und schnaubte. Thorolf rechnete damit, dass er sein Messer zog, doch der Mann drängte sich nur an ihm vorbei.

„Gib mir die Lampe“, befahl Thorolf mit ruhiger Stimme. Wortlos drückte der andere ihm die Schale in die Hand und trat mit solchem Nachdruck auf die durchgetretenen Stiegen, dass man fürchten musste, sie würden brechen. Doch das Material hielt. Er lauschte an der Tür. Dahinter war es ganz still. Eigentlich war es unmöglich, dass die junge Frau von dem Geschehen nichts mitbekommen hatte. Ob sie furchtsam in einer Ecke kauerte? Oder war sie so erschöpft, dass sie tief und fest schlief? Thorolf hob sacht den Haken aus der Öse, zog die Tür auf und hielt das Licht in den Raum.

Die Frau lag auf der Seite, eine Hand unter die Wange geschoben, und schlief. Ihre Haare fielen in langen lockigen Strähnen über ihre Schulter und die Brust. Das Kleid klebte noch immer feucht an ihrem Körper. Ein wohlgerundetes Gesäß zeichnete sich unter dem Stoff ab, zierliche schlanke Füße lugten unter dem Saum des Kleides hervor. Ihr Mund stand ein winziges Stückchen offen. Ihre Lippen waren voll und schienen weich. Hilflos und verletzlich wirkte sie. Es konnte übel ausgehen, wenn sich die Horde seiner ausgehungerten Männer auf dieses zarte Persönchen stürzte. Vorsichtig schloss er die Tür wieder und blieb nachdenklich in der unbequemen Haltung mit eingezogenem Kopf stehen. Er konnte sich mitsamt seiner Decke oben vor die Luke legen oder gleich die nächste Wache übernehmen.

Doch wenn er seine Runden über das Deck des Schiffes drehte, hatte er den Einstieg nicht beständig im Blick. Sicher schützen konnte er sie nur, wenn er hier unten vor der Tür blieb. Oder eben sich oben vor die Luke hockte, was wohl zu zynischen Bemerkungen und Blicken führen würde. Missgestimmt rieb er sich die Schläfe. Es würde bald hell werden und so lange blieb er jetzt hier unten.

Kapitel 2

Thorolf erwachte von einem Sonnenstrahl, der sich seinen Weg durch den Einstieg der Luke unter Deck bahnte und ihn mitten ins Gesicht traf. Er wich dem gleißenden Morgenlicht aus und rieb sich die Augen. Von seiner verkrampften Haltung schmerzte ihn jeder Knochen und jeder Muskel. Er stemmte sich in die Höhe und öffnete die Tür zum Verschlag. Die junge Frau war wach. Sie hockte auf ihrem Lager, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und ihr Kinn lag in beiden Händen. Misstrauisch sah sie ihm entgegen.

„Guten Morgen. Gut geschlafen?“, erkundigte sich Thorolf. Diese schreckliche Körperhaltung, ständig mit eingezogenem Kopf, wie ein buckliger Troll, nervte ihn total. Er sehnte sich danach, sich zu voller Größe aufzurichten. Er schlüpfte durch die Tür hindurch und hockte sich ihr gegenüber auf einen Stapel sorgsam gerollter Taue.

„Ich hab dich was gefragt“, setzte er nach, als sie nicht reagierte.

Sie zuckte mit den Schultern und gab noch immer keine Antwort.

„Hast du Hunger?“, fragte er.

Wieder zuckte sie mit den Schultern, wobei sie nun zu Boden blickte.

„Okay. Du willst nicht sprechen. Aber wenigstens deinen Namen kannst du mir doch sagen“, bat er.

„Yasha“, kam es überraschend schnell.

„Yasha, soso. Und weiter?“

„Yasha Asil.“

Thorolf nickte, obgleich sie das kaum sehen konnte. Sie hielt den Blick noch immer zu Boden gerichtet, und das wenige Licht, das in den winzigen Verschlag eindrang, war mehr als trüb.

„Ich bin Thorolf“, teilte er ihr mit und hatte das dumpfe Gefühl, dass er ihr etwas mitteilte, was sie nicht im Geringsten interessierte, denn sie zeigte keine Reaktion. Es ärgerte ihn, doch er entschied, dass sie das nicht wissen musste. Stattdessen stand er auf und hielt ihr eine Hand hin.

„Nein!“, fauchte sie, zog die Beine an den Körper und presste sich gegen die hölzerne Schiffswand.