Hot Indian Summer - Jacqueline Greven - E-Book

Hot Indian Summer E-Book

Jacqueline Greven

4,6

Beschreibung

Olivia Hamptons Herz gehört dem alten Historical Museum of Alexandria, in dem sie angestellt ist. Doch es geht das Gerücht um, ein vermögender Geschäftsmann wolle das gesamte Areal aufkaufen, um die Gebäude abzureißen und dort einen Firmenkomplex zu bauen. Eine schreckliche Vorstellung für Olivia, die sich um ihre Mutter kümmern muss. Bei einer Führung lernt sie den charmanten Samuel Barrett kennen. Mit diversen Zwischenfragen bringt er sie während des Rundganges verbal ins Stolpern. Der Mann hat eine starke erotische Ausstrahlung auf sie, und obwohl sie ihn unverschämt findet, beeindruckt sie sein Charisma und sie kann seiner Einladung zu einer Ausstellung nicht widerstehen. Während gleichzeitig die Schließung des Museums bevorsteht und Olivias Existenz bedroht, verfällt Olivia Samuels Charme und lässt sich auf eine heiße Affäre mit ihm ein. Sie verbringen leidenschaftliche Tage in New York und Olivia verliebt sich über beide Ohren. Doch Samuel ist nicht der, der er vorgibt zu sein …

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Jacqueline Greven

Hot Indian Summer

Erotischer Roman

© 2015 Plaisir d’Amour Verlag

Am Gassenkopf 8

D-64686 Lautertal

www.plaisirdamourbooks.com

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.weebly.com)

© Coverfoto: Romance Novel Covers

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-177-0

ISBN eBook: 978-3-86495-178-7

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Autorin

Kapitel 1

Olivia Hampton parkte ihren kleinen roten Fiat am Rande der von Hickory-Bäumen gesäumten Tavern Street, genau gegenüber dem Historical Museum of Alexandria. Die Sonne schien und ließ die herbstlich verfärbten gelben und orangefarbenen Blätter der alten Bäume leuchten. Olivia sah in den Rückspiegel. Still und verlassen lag die kopfsteingepflasterte Straße hinter ihr. Sie liebte die Ruhe, die diese Tageszeit ausstrahlte. Weder von dem schwarzen Pick-up ihres Vorgesetzten Andrew Miller noch von dem rostigen Fahrrad ihrer einzigen Kollegin Ruth Vandell war bislang etwas zu sehen. Das war nicht ungewöhnlich. Beide kamen meist erst ganz kurz vor Arbeitsbeginn um neun Uhr. Es war noch nicht einmal acht Uhr. Ehe sie ausstieg, blieb sie noch einen Moment hinter dem Steuer ihres Wagens sitzen und betrachtete das kleine Museum auf der anderen Straßenseite, in dem sie seit fünf Jahren arbeitete.

Ihr Blick glitt über den zweistöckigen Bau, über die aus rotbraunen Klinkersteinen gemauerte Außenfassade, die weiß eingefassten Sprossenfenster und die Eingangstür aus dunklem Holz. Vier steinerne Stufen führten hinauf, gerahmt von zwei schlanken weißen Säulen, die ein spitzes Dächlein über der Haustür trugen. Unzählige Male war sie als kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters diese Stufen hinaufgeklettert. Wie hoch ihr diese damals erschienen waren! Ein kleines Lächeln stahl sich trotz aller Gram in ihr Gesicht. Sie sah ihren Vater neben sich, so groß und kräftig, dass sie den Kopf in den Nacken hatte legen müssen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Und sie meinte bis heute die Wärme seiner kräftigen Hände zu spüren, in der ihre kleine Hand lag. Sicher und beschützt hatte sie sich gefühlt, vollkommen geborgen an seiner Seite. Gleich neben der Eingangstür innen links war die Kasse gewesen, an der ihr Vater immer den Eintritt gezahlt hatte. Es war schon damals eine altmodische Kasse mit runden Tasten, auf die man so fest drücken musste, dass der kleine Tisch, auf dem sie stand, immer ein bisschen wackelte. Und sie hatte eine Kurbel an der Seite. Wenn die Kurbel gedreht wurde, gab es ein Geräusch. In ihrer Erinnerung war es ein helles „Pling“, als stießen zwei Gläser aneinander, und dann öffnete sich, mit einem schabenden Ton, eine Schublade auf der Vorderseite, in die nur die Kassiererin reinschauen konnte. Olivia war zu klein gewesen, um über den tollen Kasten zu sehen. In der Schublade lagen, ordentlich sortiert, Wechselgeld und Einnahmen. Das wusste sie, weil ihr Vater sie einmal hochgehoben hatte, um ihr einen Blick hinein zu ermöglichen. Am meisten hatte sie das kupferne Äußere der alten Kasse fasziniert, in das ein filigranes Blütenmuster eingeprägt war. Die Kasse stand noch immer im Eingang, aber nun, zusammen mit anderen Exponaten, in einem elektronisch gesicherten Glasschrank.

Olivia war schwer ums Herz. Wie lange noch? Sie glaubte bereits die gewaltigen Bagger zu sehen und zu hören, die mit roher Gewalt niederrissen, was ihr lieb und teuer war. Ob das alte Gebäude wusste, dass seine Tage gezählt waren? Dass ein knallharter Geschäftsmann, der keine altertümlichen Werte zu schätzen wusste, seine Vernichtung beschlossen hatte? In ihrer Kehle wurde es eng. Am liebsten hätte sie das trutzige Gemäuer umarmt. Olivia schniefte und schüttelte ärgerlich den Kopf. Das Historical Museum of Alexandria war ein Haus aus Steinen, Holz und Glas. Kein Lebewesen, dem man Gefühle und Verstand einräumte.

„Ich bin eine übersensible, weinerliche Person, die nicht loslassen kann“, dachte sie verärgert, nestelte ein Taschentuch aus ihrem roten Lederbeutel und putzte sich die Nase. Entschlossen stieg sie aus dem Auto. Es gab Dinge im Leben, die waren nicht zu ändern, egal wie weh es tat. Nun musste sie auch noch an Richard denken. Das wurde ja immer schlimmer! Gleich würde sie in Tränen zerfließen. Die billige Wimperntusche würde verlaufen und sie müsste mit roter Nase und geschwollenen Augen der ersten Besuchergruppe gegenübertreten. Sie schluckte und versuchte, die Erinnerungen an ihren Vater und an Richard zu verdrängen. Bloß nicht noch mehr Schwermut. Abgesehen davon war ja noch gar nicht sicher, dass dieser Investor seinen Willen bekam. Andrew Miller hatte bisher seine Zustimmung zum Verkauf verweigert. Auch er hing mit Herzblut an dem Museum, das bereits seit drei Generationen im Familienbesitz war.

Andererseits hatte die Stadt, der die nebenliegenden Flächen, die größtenteils aus verpachteten Feldern und einem Waldstück bestanden, gehörten, schon seit geraumer Zeit dem Kaufangebot und den Bebauungsplänen dieses Geschäftsmannes zugestimmt. Olivia fürchtete, Miller würde mit der Zeit mürbe werden. Außerdem hatte er angedeutet, dass er, käme es zu keiner gütlichen Einigung, eventuell per Gerichtsbeschluss zwangsweise verkaufen müsste. Damit könnte er zwar Schließung und Abriss des Museums noch eine Weile hinauszögern, aber letzten Endes nicht verhindern. Wieder bildete sich ein Kloß in ihrem Hals, während sie die ausgetretenen Stufen zur Eingangstür hinaufnahm. Es half alles nichts. Auch wenn sie sich selber für verschroben hielt, für sie hatte das betagte Gemäuer eine Seele.

Der vertraute muffige Geruch von altertümlichen Vorhängen und Polsterbezügen hüllte sie ein, als sie das Haus betrat. Olivia ging über den dünnen grün gemusterten Läufer, der den Dielenboden bedeckte, den schmalen Flur entlang, bis zur letzten Tür hinten links. Dahinter befand sich ihr Büro, eng, aber behaglich.

Sie ließ ihren Lederbeutel neben den antiken Schreibtisch, auf dem ein schwarzer fast neuer Computer stand, fallen und griff als Erstes nach der blauen Plastikgießkanne, auf der eine dünne Staubschicht lag. Die einzige Grünpflanze im Raum, eine mannshohe Yuccapalme, die in der rechten Zimmerecke neben einem der beiden Fenster ihr Dasein fristete, bekam gründlich Wasser, bis der Untersetzer unter dem Tontopf überzulaufen drohte. Dann ließ Olivia sich auf den, im Vergleich zur übrigen Ausstattung des Büros, modernen Schreibtischstuhl plumpsen. Die Rückenlehne wippte kurz, und der Stuhl rollte ein Stückchen nach hinten.

Der Gedanke daran, dass ihre Tage hier gezählt waren, ließ sie nicht los und lähmte sie. Zudem ließ der Drang, hemmungslos zu heulen, nicht nach. Es waren ja nicht nur der drohende Verlust ihres Arbeitsplatzes und die damit verbundenen Folgen, die sie quälten. Da waren noch die Sorge um ihre Mutter und der Schmerz, den Richard ihr zugefügt hatte. Olivia stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und den Kopf in ihre Hände. Sie musste unbedingt aufhören zu grübeln, sonst stand sie den Arbeitstag nicht durch. Um neun Uhr dreißig war die erste Führung. Vielleicht half ein Kaffee.

Olivia stand mit dem Rücken zu dem breiten, über ihrem Kopf geschwungenen Durchgang, der zu den Ausstellungsräumen des Museums führte. Noch war der Durchgang mit einem dicken roten Samtvorhang geschlossen. Sie lächelte der Gruppe aus etwa zehn Personen zu, die abwartend vor ihr stand.

„Ich darf Sie alle ganz herzlich begrüßen“, begann sie. „Bevor wir mit dem Rundgang durch die Räume beginnen, noch ein paar Hinweise. Ich möchte Sie bitten, die durch Absperrungen gekennzeichneten Bereiche nicht zu betreten sowie die Sitzmöbel nicht zu benutzen. Sie sind zum Teil älter als 250 Jahre und unter Umständen nicht mehr so stabil, wie sie aussehen.“

„Das Zeug früher war haltbarer als das meiste, was heutzutage hergestellt wird“, vernahm sie eine männliche Stimme aus der Gruppe.

„Das mag sein“, erwiderte sie und suchte denjenigen, der gesprochen hatte. Sie war unschlüssig, ob es der betagte Beatles-Verschnitt mit dem Schnauzbart war, der beständig an seinem roten Halstuch nestelte, oder der etwa dreißigjährige Mann mit den kurzen braunen Haaren, die sich in dichten Locken um seinen Kopf schmiegten. Letzterer begegnete arglos ihrem Blick.

„Ich würde es nicht darauf ankommen lassen. Es dient ja auch Ihrer Sicherheit. Und wenn was kaputtgeht, kann es für den Verursacher teuer werden“, informierte sie die Besucher freundlich. „Braucht noch jemand eine Eintrittskarte?“, erkundigte sie sich. Üblicherweise wurden die Tickets zu den Führungszeiten am Eingang von Ruth verkauft. Ausschließlich gegen Bargeld, ohne den Einsatz einer Registrierkasse, nur mit einer Geldkassette, und auch auf Zahlung per EC-Karte war das Museum nicht eingestellt. Die meisten der Gäste schüttelten den Kopf. Nur der Braungelockte zog die Nase kraus.

„Wenn es sein muss, nehme ich eine“, nörgelte er.

Olivia wurde ärgerlich. Sie erkannte an der Stimme, dass er tatsächlich derjenige war, der schon den ersten Einwand gebracht hatte.

„Es muss überhaupt nicht sein. Sie können auch hier warten, das wäre dann umsonst“, konterte sie schnippisch.

„Natürlich will ich rein“, erwiderte er. „Sonst wäre ich ja nicht hier. Was kostet denn das lehrreiche Vergnügen?“

„Acht Dollar pro Person.“

„Hoffentlich hab ich noch so viel“, brummte er und kramte in seiner Hosentasche.

Olivia wippte mit dem Fuß. Der Mann ging ihr inzwischen gründlich auf die Nerven, und die übrigen Anwesenden wurden allmählich unruhig. In der Menge entstand Gemurmel. Eine ältere Frau fragte nach, wie lange die Führung dauern würde.

„Eine knappe Stunde“, gab Olivia Auskunft. „Im Anschluss haben Sie die Möglichkeit, in unserem Souvenirshop einzukaufen. Wir haben Tassen, Kugelschreiber, Süßigkeiten und so weiter. Und wir haben ein kleines Besuchercafé gleich neben dem Souvenirshop. Dort gibt es Getränke und Gebäck.“

„Für mich nicht.“ Der Braunhaarige trat vor und drückte Olivia reichlich Münzen in die Hand, etwa ein Drittel davon waren Zwanzig- beziehungsweise Zehn-Cent-Stücke. Sie schnappte nach Luft.

„Kleiner haben Sie es nicht?“, fauchte sie.

„Nein. Tut mir leid.“ Unschuldig sah er sie an. „Ich hab alles zusammengekratzt, was noch da war. Acht Dollar sind sowieso der reinste Wucher“, ergänzte er und machte eine sorgenvolle Miene. „Da geht nichts mehr von wegen Shoppen und so.“

Olivia ließ die Münzen ohne nachzuzählen in ihre schwarze Geldtasche fallen und reichte ihm eine Karte.

„Das ist ein absolut moderater Eintrittspreis“, entgegnete sie kühl.

„Na gut, wenn Sie meinen.“ Er begann zu grinsen. „Ich war ehrlich gesagt noch nie in einem Museum und kenne mich mit den Preisen gar nicht aus.“

„Ach, tatsächlich?“ Sie suchte nach einer schnippischen Antwort, doch ihr wollte keine einfallen. Allmählich wurde sie unter seinem Blick unsicher. Er musterte sie vom Kopf bis zu den Füßen und hörte nicht auf zu schmunzeln. Penetranter Kerl. Im Grunde sah er ja ganz nett aus, wenn auch absolut durchschnittlich. Mittelgroß, schlank, gekleidet in Jeans und ein weißes Poloshirt.

„Können wir jetzt endlich? Ich muss pünktlich um zwölf Uhr am Kindergarten sein und meine Enkeltochter abholen“, monierte die ältere Frau, die eben schon nach der Dauer der Führung gefragt hatte.

„Selbstverständlich.“

Olivia wandte sich um und teilte den Samtvorhang. Zu beiden Seiten schlang sie dicke goldfarbene Kordeln um den Stoff und hängte diese in die Haken seitlich des Durchgangs.

„Bitte kommen Sie“, sagte sie und ging voraus. Dicht hinter ihr hielt sich der braunhaarige Durchschnitts-Casanova. Am liebsten hätte sie ihn gerügt, er solle mehr Abstand zu ihr halten. Mühsam beherrschte sie sich. Sie würde einfach so tun, als wäre er nicht da.

„Als Erstes möchte ich Ihnen den Salon zeigen, in dem sich die Familie zu besonderen Anlässen traf, wie zum Beispiel an Weihnachten oder wenn Besuch kam“, erläuterte Olivia.

Sie betraten einen Raum von mittlerer Größe, dessen Wände komplett mit weißem Holz verkleidet waren. Auf dem hellen Parkettboden lag ein dünner, mit blauen und goldenen Blumen verzierter Teppich, und im Zimmer standen lose verteilte Sitzgruppen, bestehend aus je zwei oder vier zierlichen Stühlen mit roten Polstern und kleinen Tischen. An den hohen Sprossenfenstern an der Stirnseite des Raumes hingen geraffte rote Samtvorhänge. Die linke Wandseite der Räumlichkeit wurde von einem ebenfalls rot bezogenen Sofa beherrscht, dessen dünne geschwungene Holzbeine den Eindruck erweckten, höchstens das Gewicht eines Kindes zu tragen. An der gegenüberliegenden Wand stand ein lang gezogener Flügel aus braunem, schimmerndem Holz. Zwei messingfarbene Pfosten, zwischen denen eine dicke rote Kordel durchhing, bedeuteten den Gästen, Abstand zu dem Musikinstrument zu halten. Über einem großen offenen Kamin hing das Porträt eines stolz wirkenden jungen Mannes, der unnahbar über die Besuchergruppe hinweg zu sehen schien. Olivia steuerte auf das Gemälde zu.

„Hier auf diesem Bild sehen Sie den Erbauer des Gebäudes, in dem wir uns gerade befinden, Oscar Smith, geboren 1715 in Virginia. Er hat das Haus 1750 für seine Eltern errichten lassen …“

Der laute Klang mehrerer grob angeschlagener Klaviertasten ließ sie herumfahren, gleichzeitig war ein polternder Schlag zu vernehmen. Olivia fuhr ein heißer Schreck in den Magen, zugleich kochte Wut in ihr hoch. Der Braunhaarige nahm die Hand von der Tastatur des alten Flügels und richtete sich auf. Einer der Metallpfosten war umgefallen.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung“, sagte er und reichte einer älteren Dame, die neben einem der zierlichen Stühle auf dem Boden saß, die Hand. Sie hatte einen hochroten Kopf, und ihr cremefarbenes Hütchen saß schief.

„Was war das denn?“, entfuhr es Olivia, und sie funkelte den lästigen Besucher wütend an.

Der zuckte mit den Schultern. „Ich bin über die Teppichkante gestolpert, als ich der Dame helfen wollte.“

Sie wandte sich an die Frau, die noch immer auf dem Boden saß.

„Ich bin einen Schritt rückwärtsgegangen und habe nicht gemerkt, dass hinter mir der Stuhl stand.“ Sie rappelte sich mithilfe des Mannes auf und rückte ihr Hütchen gerade. Allmählich normalisierte sich ihre Gesichtsfarbe.

Olivia nickte. Sie fühlte sich wie gelähmt, und ihr Kopf war völlig leer. Mechanisch hob sie den Metallpfosten auf. In dem alten Parkett war eine tiefe Druckstelle, wo der Pfosten aufgeschlagen war. Der junge Mann nestelte am Kragen seines T-Shirts.

„Das ist ja ärgerlich“, bemerkte er.

Die Besuchergruppe wurde unruhig, und Olivia spürte einen Druck in der Magengegend. Am liebsten hätte sie die Besichtigung abgebrochen.

„Das ist vor allem ein Versicherungsfall“, erwiderte sie so sachlich wie möglich. Er nickte.

„Ich denke, wir klären die Formalitäten nach der Führung“, vernahm sie seine Stimme. Er sprach jetzt sehr ruhig und höflich.

„Sicher“, murmelte sie. Sie würde ihn nicht aus den Augen lassen. Nicht, dass er nachher plötzlich verschwunden war.

Olivia saß in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch und schob ihre Papiere zusammen. Ihr gegenüber wartete in lässiger Haltung der Schadensverursacher. Er hatte sich weit im Stuhl zurückgelehnt, sein rechter Knöchel lag über dem linken Knie und die Arme hielt er vor der Brust verschränkt.

„So, Mr. … Barrett“, sagte Olivia und sah auf ihre Notizen. Samuel Barrett hieß er also. „Ich denke, das war es für den Moment. Sie melden den Schaden Ihrer Versicherung, ich bestelle einen Gutachter, um die Kosten für die Reparatur schätzen zu lassen. Wir hören voneinander.“

Samuel Barrett nahm den Knöchel vom Knie und löste die vor der Brust verschränkten Arme.

„Das heißt, ich bin entlassen?“, fragte er und grinste.

„Sozusagen.“

Sie hatte seinen Namen, seine Handynummer und eine Adresse in Philadelphia. Als er seine Anschrift genannt hatte, war sie stutzig geworden. Immerhin lag Philadelphia fast 130 Meilen von Alexandria entfernt. Auf ihre Nachfrage hatte er erklärt, lediglich für ein paar Tage zu Besuch hier zu sein. Olivia beschloss, ihre Notizen Andrew Miller zu übergeben. Die Frage war, ob es sich überhaupt lohnte, die kleine Delle unter den gegebenen Umständen richten zu lassen. Aber das war die Entscheidung ihres Vorgesetzten.

Samuel Barrett machte keine Anstalten aufzustehen. Olivia runzelte die Stirn.

„Ist noch was?“, erkundigte sie sich. Er rieb die Handflächen gegeneinander, als stünde er kurz davor, eine Vereinbarung per Handschlag zu besiegeln.

„Haben Sie morgen Abend schon was vor?“, fragte er mit nun unbeweglicher Miene.

„Nein. Wieso?“ Kaum waren die beiden Worte draußen, ärgerte sie sich furchtbar. Was ging den Schnösel das an? Und wie kam sie dazu, ihm umgehend und wahrheitsgemäß zu antworten, so als wäre sie zu einer ehrlichen Aussage verpflichtet?

„Prima. Dann würde ich Sie nämlich gern einladen. Vielleicht haben Sie schon von der Kunstausstellung im Rathaus gehört? Es werden die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts gezeigt. Nun ja, vielleicht nicht alle, aber viele. Historische Nähmaschinen, Schreibmaschinen, Kleidung und Stoffe aus der Zeit, beschichtete Kupferplatten und so weiter.“ Erwartungsvoll sah er sie an.

Olivia gab keine Antwort. Langsam drang in ihr Gehirn, dass er mit ihr ausgehen wollte. Wieso das? Sie musterte sein jungenhaftes Gesicht, den sanft gebräunten Teint und die weich geschwungenen Lippen. Er hatte einen schönen Mund. Für einen Sekundenbruchteil stellte sie sich vor, die Konturen seiner Lippen mit den Fingern nachzufahren.

„Was ist?“, drängte er.

Sie erwachte aus ihren Fantasien und ihrer Verwirrung. „Nein.“

„Was: Nein? Sie wollen nicht mit? Das wäre aber schade. Da entgeht Ihnen wirklich was. Wissen Sie, ich habe zwei Karten. Die hat mir meine Mutter geschenkt. Sie meint, meine kulturelle Bildung ginge gen null. Nun geben Sie sich einen Ruck. Oder ist es, weil Sie nicht wissen, wozu man eine beschichtete Kupferplatte verwendet hat? Machen Sie sich nur keine Gedanken, das kann ich Ihnen erklären. Das war ein Vorläufer der heutigen Fotografie. Die Beschichtung bestand aus Asphalt, Jod und Silber, und die Belichtungszeit dauerte mehrere Stunden. Oder so ähnlich.“

„Nun hören Sie doch auf zu quasseln“, unterbrach sie ihn, unschlüssig, ob sie lachen oder ärgerlich werden sollte.

Er wippte mit dem Stuhl und grinste sie an. „Sehen Sie, ich weiß gar nicht mehr, wie das mit der Belichtungszeit war. Meine Mutter hat recht. Ich muss mich weiterbilden.“

„Die Karten sind sehr teuer“, wehrte Olivia ab.

„Davon weiß ich nix, ich hab sie ja nicht gekauft. Zum Verfallenlassen sind sie jedenfalls zu schade. Meine Mutter würde mir das auch sehr übel nehmen. Ich könnte Sie morgen Abend um sieben Uhr abholen, hier oder bei sich zu Hause. Was halten Sie davon?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Immer noch nicht? Nun seien Sie doch nicht so stur. Was soll ich denn meiner Mutter sagen?“ Jetzt machte er ein frustriertes Gesicht.

Sie musste lächeln. „Sieben Uhr ist zu früh. Sagen wir acht Uhr, und wir treffen uns vor dem Rathaus.“

Betrübt ließ er die Schultern sinken. „Das widerspricht absolut meiner Erziehung. Wenn ich mit einer Frau ausgehe, hole ich sie auch ab. Was soll ich denn …“

„Was sollen Sie denn Ihrer Mutter sagen?“, vollendete Olivia für ihn den Satz und wider Willen musste sie lachen. „Am besten gar nichts. Also: um acht Uhr dort?“

„Okay, ich geb mich geschlagen. Aber nur für dieses eine Mal. Und schön pünktlich kommen, ja?“

Endlich stand er auf. Er reichte Olivia die Hand und hauchte einen Kuss auf ihre. Verlegene Hitze stieg ihr ins Gesicht, und sie entzog sich ihm. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und verließ ihr Büro. Das Letzte, was sie von ihm sah, war sein Rücken, den er sehr gerade hielt, und seinen wohlgeformten Po.

Olivia legte die Fingerspitzen aneinander. In ihrem Bauch kribbelte es. Sie hatte eine Verabredung mit einem Mann. Mit einem sehr attraktiven jungen Mann. Er redete nur zu viel und hatte für ihr Empfinden ein etwas zu lockeres Mundwerk. Nun, egal. Immerhin hatte sie ein Date. Das Erste, seit Richard sie vor drei Monaten schmählich abserviert hatte, weil ihm die Tochter seines neuen Kollegen Luke Harper standesgemäßer erschienen war als sie. Er hatte sie auf einem Empfang kennengelernt, auf den er Olivia nicht hatte mitnehmen wollen, weil sie sich angeblich nur langweilen würde. Er jedenfalls, hatte sich nicht gelangweilt. Olivia bekam einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Es war besser, nicht darüber nachzudenken.

Samuel Barrett verließ das Museum, sprang mit federnden Schritten die wenigen Stufen zum Gehweg hinunter, bevor er plötzlich in den schnellen Bewegungen innehielt. In seinem Nacken wurde es heiß. Er wollte nicht wie ein übermütiger Teenager herumhüpfen. Gut möglich, dass sie ihn von einem der Fenster aus beobachten konnte. Gesetzteren Schrittes überquerte er die Straße und sperrte den betagten schwarzen Jeep auf, den er sich für die Dauer seines Aufenthaltes in Alexandria aus dem Fuhrpark seines Stiefvaters geliehen hatte. Er konnte nicht aufhören zu schmunzeln. So eine niedliche Person. Wenn er heute Abend nicht schon einen Termin mit dem Vorsitzenden der Stadtverwaltung gehabt hätte, hätte er sie gleich zum Essen eingeladen. Aber der Termin war unumgänglich, wenn er sein Projekt durchziehen wollte. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich bis morgen zu gedulden.

Samuel ließ den Motor an und warf einen letzten Blick auf das Historical Museum of Alexandria. Fast tat es ihm nun doch ein wenig leid um das alte Gebäude. Es strahlte Behaglichkeit aus und eine beständige Ruhe, die man in der heutigen hektischen Zeit kaum noch fand. Alles war schnelllebig geworden. Häuser wurden ruckzuck in die Höhe gezogen, neue breite Straßen durchschnitten innerhalb kürzester Zeit wie ein schwarzes Band aus Teer friedliche Landschaften und Wälder, erstickten Teile der Natur, und die darüberjagenden Fahrzeuge verpesteten die Luft, egal wie modern und umweltschonend sie auch ausgerüstet waren.

Hier, am Ortsrand von Alexandria, schien dagegen die Zeit stehen geblieben zu sein. Die herbstlich verfärbten Blätter dickstämmiger alter Bäume leuchteten in der Sonne, und die Straße, an deren Rand er parkte, war kopfsteingepflastert. Allein dies war inzwischen eine Seltenheit. Hier und da sprossen sogar Gräser zwischen den Steinen durch. Doch der Mittelpunkt dieser Idylle war eindeutig das trutzige Museum mit seinen rotbraunen Klinkersteinen und den weißen Sprossenfenstern. Samuel seufzte. Über kurz oder lang würden diese Überbleibsel längst vergangener Zeiten vernichtet werden, und er war der Verursacher. Die Tavern Street lief mitten durch die Grundstücksflächen, die er von der Stadt erworben hatte. Das Museum einzureißen und die herrlichen alten Bäume zu fällen, war unumgänglich, wenn er seine Pläne umsetzen und die neue Firma errichten wollte. Um die Bäume tat es ihm besonders leid. In den Pflanzen war Leben, und auch wenn er es niemals laut ausgesprochen hätte, für ihn hatte alles, was lebte, eine Seele und Gefühl. An einem der behäbigen Stämme lehnte ein rostiges Fahrrad. Ob es Olivia gehörte? Der lackschwarze Mercedes, der hundert Fuß weiter hinten parkte, war wohl kaum ihrer. Dann schon eher der kleine rote Fiat.

Samuel ließ den Motor des Jeeps an. Obwohl sein Herz noch immer ein paar Takte schneller schlug, wenn er an Olivia und seine Verabredung mit ihr dachte, hatte er auch ein seltsames Gefühl im Magen, das er nicht recht zuordnen konnte. Wahrscheinlich lag es daran, dass er unvermittelt ein ganz klein wenig nachvollziehen konnte, warum Andrew Miller sich bislang so vehement gegen einen Verkauf wehrte. Trotzdem würde Miller auf lange Sicht den Kampf verlieren, das hatten ihm seine Anwälte bestätigt. Samuel schnitt ein Gesicht, warf einen Blick in den Rückspiegel und lenkte das Fahrzeug auf die holprige Straße. Auf jeden Fall wollte er vermeiden, dass die Angelegenheit vor Gericht ging. Das kostete außer Geld noch jede Menge Zeit, die ihm verschwendet schien. Das Geld war für ihn zweitrangig. Ehe er es den Anwälten in den Rachen stopfte, könnte er auch sein Angebot an Miller erhöhen. Vielleicht wäre er dann kooperativ.

Der Jeep rumpelte über die Pflastersteine. Samuel fuhr an einigen alten Häusern vorbei, die leer standen und den Eindruck erweckten, als würden sie einem Unwetter nicht mehr gewachsen sein. Das letzte Gebäude der Tavern Street war ein verlassener Kaufmannsladen. Das große Fenster zur Straße hin war staubig und blind, der verblasste Schriftzug obendrüber war nicht mehr zu entziffern. Von der grün lackierten Eingangstür blätterte die Farbe herunter.

Samuel bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und hatte das Gefühl, von einem Jahrhundert ins andere zu gelangen und nun geradewegs in die Zivilisation zu fahren. Der schwarze Teerbelag der Straße war glatt und offensichtlich neu. Links und rechts der Fahrbahn gab es breite Gehwege mit hellen, fast weißen Steinplatten. In akkuraten Abständen säumten magere, frisch angepflanzte Bäumchen die Promenade und wechselten sich mit ebenfalls weiß gehaltenen Laternen ab. Dazwischen standen metallene Sitzbänke, funktionell, aber bestimmt ungemütlich. Weiter hinten reihten sich schlichte Mehrfamilienhäuser aneinander.

Kapitel 2

Ruth Vandell schob den Kopf zur Tür herein. Feierabend, Süße. Was ist los? Willst du heute hier übernachten?

Olivia hob den Kopf, lächelte ihrer Kollegin zu, die jetzt das Büro betrat, und zog überrascht die Augenbrauen hoch. Was hast du denn heute noch vor?

Ruth grinste und drehte sich vor Olivias Schreibtisch im Kreis. Sie trug ein leuchtend rotes Kleid mit großen weißen Punkten und schwarze, glänzende Pumps, auf denen im Bereich der Zehen eine weiße Schleife saß.

Sieht nach Rockabilly aus, ergänzte Olivia.

Kluges Mädchen. Das soll es auch. Gefällt es dir?

Ich finde es ganz toll, bestätigte Olivia.

Den Tag über hatte Ruth eine schlichte Jeans und ein blaues T-Shirt getragen. Ihre kurzen dunklen Haare, die sie in weichen Locken um den Kopf geschmiegt trug, schimmerten. Ihr Lippenstift hatte die gleiche Farbe wie das Kleid. Jetzt legte sie den Kopf schief.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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