Die Brandstiftung - Uwe Soukup - E-Book
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Die Brandstiftung E-Book

Uwe Soukup

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Beschreibung

Der Beginn der größten Katastrophe der Geschichte

Als 1933 der Reichstag brannte, war Adolf Hitler gerade einmal vier Wochen Reichskanzler. In den darauffolgenden Stunden und Tagen wurden Tausende verhaftet, der Terror wurde allumfassend. Und doch sind die Umstände des Brandes bis heute nicht geklärt: War es ein Einzeltäter, wie von vielen behauptet, oder ein gezielter politischer Anschlag der Nazis? War der Reichstagsbrand demnach sogar eine Art Staatsstreich der Regierung – gegen das eigene Volk?
Mithilfe von historischen Quellen, neuen Indizien und eigenen Ermittlungen betrachtet Uwe Soukup die Ereignisse rund um den Brand. Nicht weniger spannend ist der jahrzehntelang erbittert geführte Streit um die Täterschaft: Es geht um Erpressung, gefälschte und unterschlagene Beweismittel und um die Frage, wer darüber bestimmt, was als historische Wahrheit gilt.
So begibt sich Uwe Soukup nicht nur auf die Suche nach der Wahrheit über eine Nacht vor 90 Jahren, sondern auch auf eine Spurensuche durch die historische Aufarbeitung in der Nachkriegszeit.

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Über dieses Buch:

Als im Februar 1933 der Reichstag brannte, war Adolf Hitler seit vier Wochen Reichskanzler. Erst nach dem Brand wurde der Nazi-Terror allumfassend und allgegenwärtig – und doch liegen die genauen Umstände des Brandes bis heute im Dunkeln. Klar ist, wie Uwe Soukup anhand von historischen Quellen, vergessenen Zeugenaussagen und neuen Indizien zeigt, dass der Reichstag nicht von einer einzelnen Person innerhalb weniger Minuten in ein flammendes Inferno verwandelt werden konnte. Doch genau diese Theorie wird bis heute von vielen Historikern vertreten und von Institutionen und Medien verteidigt.

Uwe Soukup wagt den Versuch einer Aufklärung: Es geht um die Ereignisse in einer Nacht vor 90 Jahren und darum, wie die Nazis die Demokratie endgültig abschafften. Es geht aber auch um einen beispiellosen Geschichtsskandal in der Nachkriegszeit – zwischen unterschlagenen Beweismitteln, Erpressungen und alten Nazi-Verbindungen.

Über den Autor:

Uwe Soukup, geboren 1956, ist Erziehungswissenschaftler, war in Kinderheimen, Jugendämtern, als Familienberater sowie als Redakteur und Verleger tätig. Heute arbeitet er als freier Journalist und Buchautor. Seine Artikel erscheinen u.a. im Tagesspiegel, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der ZEIT und im SPIEGEL. 2001 veröffentlichte Soukup eine vielbeachtete Biografie über Sebastian Haffner. In seinen Büchern »Wie starb Benno Ohnesorg?« und »Der 2. Juni 1967. Ein Schuss, der die Republik veränderte« erforschte er die Todesumstände des Studenten Benno Ohnesorg. Uwe Soukup lebt in Berlin.

UWE SOUKUP

DIE BRANDSTIFTUNG

Mythos Reichstagsbrand – was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging

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Bildnachweis: Alamy Stock Foto: Bild 1 (War Archive); Bundesarchiv, Berlin: Bild 2 (BArch, R 3003/20355), Bild 3 (BArch, R 3003/20356), Bild 4 (Bundesarchiv Berlin), Bild 5 (BArch, R 9361-III/53708); Imago: Bild 6 (Wolf P. Prange); picture alliance: U1/U4 (United Archives); ullstein bild: Bild 7, 8, 9, 10, 11 (ullstein bild), Bild 12 (brandstaetter images); Walter Schmidt, NOVUM: Bild 13

Originalausgabe 2023

Copyright © 2023 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Kerstin Lücker

Covergestaltung: wilhelm typo grafisch

unter Verwendung eines Fotos von picture alliance / United Archives

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-29998-9V002

www.heyne.de

Es hat nämlich noch keiner, der die Macht durch Verbrechen erlangte, sie zu guten Zwecken ausgeübt.

Tacitus

Inhalt

Einleitung

1 Vor dem Brand

2 Das große Feuer

3 Nach dem Brand

4 Der Prozess

5 Die Einzeltäterthese

6 Hans Mommsen und der große Streit

Resümee

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Register

Einleitung

Am Abend des 27. Februar 1933 brannte der Berliner Reichstag. Noch in der gleichen Nacht begann der Nazi-Terror, der von da an über zwölf Jahre wütete und der die noch immer unfassbaren Verbrechen Hitler-Deutschlands erst ermöglichte. Hitler war der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik und regierte zum Zeitpunkt des Brandes gerade mal vier Wochen; ein scheinbar normaler, ziviler Reichskanzler. Die Weimarer Republik fand nicht am Tag der Machtübertragung an Hitler ihr Ende, am 30. Januar 1933 – sondern am 27. Februar 1933, als in Berlin der Reichstag Opfer der Flammen und Hitler unumschränkter Diktator wurde.

In diesen ersten vier Wochen geschahen Dinge, die sich in der Rückschau kaum anders als eine systematische Vorbereitung auf den Tag des Reichstagsbrandes interpretieren lassen. Ständig wurden Zeitungen für Tage oder Wochen verboten und rechtlich höchst zweifelhafte »Notverordnungen« erlassen. Nur fünf Tage vor dem Reichstagsbrand hatten die Nazis, ein beispielloser Vorgang, SA, SS und den »Stahlhelm« zu einer »Hilfspolizei« aufgewertet; und schon in der Brandnacht zogen die SA-Horden durch die Städte, verhafteten nach Belieben, folterten die Gefangenen in ersten improvisierten KZs, mordeten. Auch das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 basierte letztendlich auf der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933.

Wir reden hier also nicht über eine Kleinigkeit. Die unglaublichen Verbrechen der Nazis, der millionenfache Mord an den Juden sowie der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion konnten nur von einem Terrorregime verübt werden – und dieser Terror begann in der Nacht des Reichstagsbrandes. Dessen ungeachtet wählten mehr als die Hälfte der Deutschen am 5. März 1933, knapp eine Woche nach dem Brand, die Nazis nicht, und durchaus nicht alle Nazi-Wähler wären für einen »Feldzug gegen Russland« oder die millionenfache Ermordung der europäischen Juden zu gewinnen gewesen. Zwar hatte Hitler Absichten dieser Art in seinem Buch Mein Kampf formuliert, aber wer hatte das denn wirklich gelesen? Und konnte man das ernst nehmen?

Unbestritten und unbestreitbar ist die Tatsache, dass der Reichstagsbrand von den Nazis sehr effektiv genutzt wurde, um ihre Diktatur und damit ihren Terror zu installieren. Über die Frage aber, ob die Nazis den Brand, den sie so gut nutzten, auch selbst gelegt hatten, wird seit Jahrzehnten gestritten.

Während der zwölf Jahre des »Tausendjährigen Reiches« konnte in Deutschland über diese Frage nicht diskutiert werden; das versteht sich von selbst. Danach galt es als selbstverständlich, dass die Nazis, die so sehr von dem Großfeuer im Reichstag profitierten, es wohl auch selbst gelegt hatten. Allerdings hatte sich niemand die Mühe gemacht, den Vorgang wirklich zu erforschen.

Dann, Ende der Fünfzigerjahre, haben ein Beamter des niedersächsischen Verfassungsschutzes, das Nachrichtenmagazin SPIEGEL und später das Institut für Zeitgeschichte gemeinsam eine neue Theorie über die Entstehung des Reichstagsbrandes in die Welt gesetzt bzw. wissenschaftlich anerkannt, die, obwohl unbewiesen und unbeweisbar, bis heute von vielen Historikern als gesichert angenommen wird. Es ging, so viel sei vorweggenommen, dabei nicht ganz mit rechten Dingen zu, als das Institut für Zeitgeschichte die Arbeit des Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias im Jahr 1964 als historische Wahrheit erkannte.

In der Folge hat sich der weitaus größte Teil der Historiker, nicht nur in der Bundesrepublik, auf die vom renommierten Institut für Zeitgeschichte als historisch korrekt deklarierte Erkenntnis verlassen, ein halb blinder holländischer »Anarchist« oder »Rätekommunist«, so die üblichen Etikettierungen, hätte den Reichstag im Alleingang innerhalb weniger Minuten und ohne Helfer und Hilfsmittel in ein flammendes Inferno verwandeln können; die Nazis hätten damit, anders als in der damaligen Zeit von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen, schlichtweg nichts zu tun gehabt.

Kritiker dieser Theorie werden seit Jahrzehnten als Lügner, Fälscher und Verschwörungstheoretiker abgetan. Zugegeben, nicht immer haben alle Kritiker der Alleintäterthese besonders klug agiert. Dennoch ist es an der Zeit, diese Theorie grundsätzlich infrage zu stellen und zu prüfen.

Ist es nicht vollkommen egal, so könnte man einwenden, wer den Reichstag angezündet hat? Welche Rolle spielt diese eine Sachbeschädigung angesichts des millionenfachen Judenmordes und der unvorstellbaren Gewaltakte deutscher Truppen während des Zweiten Weltkrieges? Das ist doch vor diesem Hintergrund vollkommen unerheblich. So argumentieren einige. Doch die Diskussion um den Reichstagsbrand hat Gewicht, denn, so wenden andere ein, es handelt sich um die folgenreichste Tat politischer Kriminalität in der Geschichte der Menschheit. Erst durch ihn wurde das Unmögliche möglich, das Unfassbare schreckliche Realität.

Der Terror des Nazi-Regimes begann, während der Reichstag noch brannte. Insofern ist die Frage durchaus relevant, ob die Nazis einfach nur die Gunst der Stunde genutzt haben, oder ob sie das Ereignis selbst herbeigeführt haben, das ihnen als Vorwand diente, um mit dem Reichstag auch die Republik zu verbrennen. Wäre dem so, hätten wir es mit einem Staatsstreich zu tun, mit einem Putsch der Regierung gegen das eigene Volk, gegen den Staat, gegen die Demokratie. Hatte Hitler nicht oft genug erklärt, dass er die Macht nie wieder hergeben würde, wenn er sie erst einmal in den Händen hielte? Spricht nicht alles dafür, dass mit dem Reichstagsbrand genau dieses Vorhaben umgesetzt werden sollte? Warum tappen wir nach nunmehr 90 Jahren in dieser grundlegenden Frage noch immer im Dunkeln? Tragen wir nicht eine Verantwortung dafür, zu verstehen und zu erklären, uns selbst und anderen, wie Kriminelle in der Rolle von Staatsmännern sich eben diese totale Macht aneigneten, die sie brauchten, um ihre verbrecherischen Ziele zu verfolgen?

Die Regierung schob den Reichstagsbrand den Kommunisten in die Schuhe, schließlich hatte man ja den »Kommunisten« Marinus van der Lubbe am Tatort verhaftet, und er hatte die Tat gestanden. Marinus van der Lubbe starb nur wenige Tage nach seiner Verurteilung unter dem Fallbeil, am 10. Januar 1934. Es mussten erst Gesetze geschaffen werden, die »hochverräterische Brandstiftung« nachträglich mit der Todesstrafe bedrohten. Im Prozess selbst machte Marinus van der Lubbe den Eindruck eines »blöde grinsenden Idioten« (Golo Mann) und konnte sich kaum aufrecht halten. Er war nicht verhandlungsfähig.

Schon damals, unmittelbar nach der Nacht vom 27. Februar 1933, wurde der Reichstagsbrand zum Gegenstand der ersten großen Aufsehen erregenden publizistischen Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime. Die Nazis erlitten dabei zunächst eine krachende Niederlage, die ihnen vor allem der gerade noch rechtzeitig emigrierte kommunistische Publizist Willi Münzenberg mit seinem Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror zufügte. Als Fritz Tobias Ende der Fünfzigerjahre mit der Aufarbeitung des Falls begann, gehörte es zu den von ihm später eingestandenen Absichten, tatsächliche oder angebliche Fälschungen des Braunbuchs als »kommunistische Propaganda« zu entlarven. Blieb bei diesem Vorhaben die historische Wahrheit auf der Strecke? Es ist an der Zeit, die Angelegenheit neu zu beurteilen.

1 Vor dem Brand

Bedingt durch grundlegend falsche Weichenstellungen nach dem Ersten Weltkrieg rollte der Zug der Weimarer Republik, weiterhin »Deutsches Reich« genannt, im Winter 1932/1933 endgültig auf ein totes Gleis. In den rund 14 Jahren ihrer Existenz gaben sich zwölf Reichskanzler, die 20 verschiedenen Kabinetten vorsaßen, die Tür der Reichskanzlei in die Hand. Kaum ein Kabinett hielt länger als ein halbes Jahr.

Der Weimarer Staat wurde, so der Historiker Golo Mann, »von Leuten regiert, die ihn nie gewünscht hatten, die nicht an ihn glaubten und auch wenn sie wohl oder übel im Sattel saßen, nach anderen, vielleicht doch besseren Pferden hinüberschielten.«

Der 13. Reichskanzler der Weimarer Republik hieß Adolf Hitler. Der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte ihn am 30. Januar 1933 ernannt. Die entscheidende Person, die im Hintergrund die Strippen zog und das Umfeld Hindenburgs für seinen Plan gewann, Hitler zum Reichskanzler zu machen, war Franz von Papen. Er fungierte als Vizekanzler und sah sich als den eigentlichen Machthaber. Auf die Frage, ob es nicht gefährlich sei, einen Mann wie Hitler zum Reichskanzler zu machen, antwortete von Papen: »Sie irren sich, wir haben ihn uns engagiert!«

Die Deutschnationale Volkspartei und der ihr nahestehende »Stahlhelm«, eine antidemokratische und antisemitische paramilitärische Organisation ehemaliger Frontsoldaten1, stellten das Gros der Minister, obwohl sie bei der letzten Wahl im November 1932 einen viel geringeren Stimmenanteil als die NSDAP erhalten hatten. Viel wichtiger als die Mehrheit der Posten am Kabinettstisch waren für Hitler jedoch Macht und Titel des Reichskanzlers und die Kontrolle über sämtliche staatliche Waffengewalt im Lande. Hitler gab sich bescheiden: nur drei Ministerposten für ihn – aber die hatten es in sich: Zum Innenminister Wilhelm Frick gesellten sich der Minister ohne Geschäftsbereich, kommissarischer Innenminister Preußens und Reichstagspräsident – somit Bewohner des an den Reichstag angrenzenden Reichstagspräsidentenpalais – Hermann Göring sowie der Wehrminister General Werner von Blomberg, damals noch parteilos, der erst 1937 in die NSDAP eintrat, aber schon 1933 ein enger Vertrauter Hitlers war.

Der neue Reichskanzler konzentrierte sich auf die wesentlichen Bereiche, auf die es ankommt, wenn man einen Staat unter seine Kontrolle bekommen will. Sogenannte Schlüsselressorts wie Auswärtiges Amt, Finanzministerium, Justiz, Arbeit oder Wirtschaft überließ er dagegen dem deutsch- nationalen Koalitionspartner. Die Taktik war auch insofern genial, weil sie alle Skeptiker beruhigte; der Wolf hatte sich den sprichwörtlichen Schafspelz umgehängt, um das Etappenziel »Reichskanzlei« zu erreichen. Obwohl Hitler gar keinen Hehl daraus machte, dass er die Macht niemals wieder aus den Händen geben würde. In seinem Tagebuch nannte Goebbels die deutschnationalen Minister in Hitlers Kabinett einen »Schönheitsfehler«, der »ausradiert« werden musste.

»Kaum hatte Hitler seinen Amtseid auf die Verfassung abgelegt, ging er daran, sie zu zerstören«, schreibt Allan Bullock in seiner Hitler/Stalin-Doppelbiografie Parallele Leben. Sofort nach der Vereidigung des Hitler-Kabinetts am 30. Januar 1933 verbot Göring eine Kundgebung der Kommunistischen Partei, die sich gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler richtete.

In den ersten vier Wochen Hitlers als Reichskanzler geschahen ununterbrochen mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbarende Dinge, darunter mehrere Notverordnungen. In einer dieser Verordnungen, datiert vom 28. Februar 1933, aber schon tags zuvor beschlossen, wird für Landesverrat und den Verrat militärischer Geheimnisse die Todesstrafe angedroht. Ferner war die »Verbreitung staatsgefährlicher Nachrichten in der Auslandspresse und ihre Übernahme in die deutsche Presse in großer Aufmachung« nun ebenfalls strafbar, wie auch »die Aufforderung zum gewaltsamen Kampf gegen die Staatsgewalt und zum Generalstreik«.

Die Notverordnungen zielten darauf ab, Grundrechte einzuschränken und vor allem die – im weitesten Sinne – demokratischen Parteien in ihrer Tätigkeit zu behindern. Wozu, wie sich zeigen sollte, alle anderen Parteien außer NSDAP und DNVP gehörten; so wurden auch Wahlveranstaltungen der Zentrumspartei verboten.

In verblüffender Offenheit stellte Hermann Göring in einem polizeilichen Runderlass »zur Förderung der nationalen Bewegung« vom 17. Februar 1933 klar, er erwarte von der Polizei, dass sie »auch nur den Anschein einer feindseligen Haltung oder gar den Eindruck einer Verfolgung gegenüber nationalen Verbänden (S.A., S.S. und Stahlhelm) und nationalen Parteien unter allen Umständen zu vermeiden hat. (…) Dafür ist dem Treiben staatsfeindlicher Organisationen mit den schärfsten Mitteln entgegenzutreten. Gegen kommunistische Terrorakte und Überfälle ist mit aller Strenge vorzugehen und, wenn nötig, rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schusswaffengebrauchs von mir gedeckt; wer hingegen in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienstrechtliche Folgen zu gewärtigen.«

Zu bekämpfen habe man insbesondere »verbotene Demonstrationen, unerlaubte Versammlungen, Aufforderung zum Hoch- und Landesverrat, Massenstreik, Pressedelikte und das sonstige strafbare Treiben der Ordnungsstörer. Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu halten, dass die Unterlassung einer Maßnahme schwerer wiegt als begangene Fehler in der Ausübung.«

In diesem Erlass kündigen sich bereits viele der nun kommenden Dinge an. John Toland schrieb in seiner Hitler- Biografie über diesen Erlass: »Diese Anordnungen waren praktisch gleichbedeutend mit der Erklärung, dass Kommunisten, Marxisten und deren Sympathisanten nunmehr vogelfrei seien.« Versammlungen und Demonstrationen konnten jederzeit und vollkommen willkürlich verboten werden, ebenso Zeitungen, allen voran die Rote Fahne, gefolgt vom Vorwärts.

Originalton Göring: »Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben; hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts.«

Die neue Regierung der »nationalen Konzentration« übernahm auch die Macht im Land Preußen; als Reichskommissar bevollmächtigt wurde Vizekanzler Franz von Papen, der bereits im Sommer 1932, damals noch als Reichskanzler, den sogenannten Preußenschlag, die Absetzung der sozialdemokratisch geführten Regierung des zwei Drittel Deutschlands umfassenden Landes Preußen ausgeführt hatte. Ein verheerender Schlag nicht nur gegen die Sozialdemokratie, die Preußen viele Jahre lang vergleichsweise ruhig regiert hatte, sondern gegen die Republik schlechthin.

Am 22. Februar 1933 wurden SA, SS und Stahlhelm in den Status einer »Hilfspolizei« erhoben, ein unfassbarer Rechtsbruch. Die Ausführungsvorschriften wurden am 25. Februar, zwei Tage vor dem Reichstagsbrand veröffentlicht. Die neuen »Polizisten« erhielten eine Aufwandsentschädigung von drei Reichsmark täglich und wurden mit Gummiknüppel und Pistole bewaffnet – ein nie da gewesener und wahrhaft atemberaubender Vorgang: Die Schlägertrupps der »Bewegung« nahmen nun hoheitliche Aufgaben wahr. Ferner erhielten sie weiße Armbinden und einen Freifahrtschein – nicht nur für die öffentlichen Verkehrsmittel. Sie waren jetzt die neuen Herren der Straße.

Jedoch bekam die Nazi-Führung damit nicht automatisch Ruhe in die Reihen ihrer Partei und vor allem ihrer Schlägertrupps. Die fühlten sich stark und waren der Meinung, nicht jahrelang gekämpft zu haben, nur um zu erleben, dass ihr »Führer« die Parteiuniform auszieht und sich in eines dieser elenden Kabinette einbinden lässt, egal, ob nun als Kanzler oder nicht. Hier brodelte etwas – die Forderung der SA nach einer zweiten Revolution –, das erst im Sommer des darauffolgenden Jahres einer gewaltsamen und brutalen Lösung zustrebte, als Hitler die Führungsschicht der SA in einer »Nacht der langen Messer« eiskalt ermorden ließ. Der Vorgang ist bekannt unter dem Namen »Röhm-Putsch«, benannt nach dem SA-Führer Ernst Röhm, dessen vermeintlichem Putsch Hitler vorgab, zuvorkommen zu müssen. Wir werden auf diese unglaublichen Ereignisse zum gegebenen Zeitpunkt zurückkommen.

Ein Verbot der KPD, das der durch und durch antidemokratische Zeitungsverleger und Reichswirtschaftsminister Alfred Hugenberg, wie von Papen ein Totengräber der Weimarer Republik, in der ersten Kabinettssitzung gefordert hatte, wurde nicht beschlossen. Die Begründung findet man in einem Tagebucheintrag von Joseph Goebbels vom 31. Januar 1933: Zunächst müsse man den »Terror der Roten«, so wörtlich, »aufbrennen lassen«. Dann könne man umso besser zuschlagen.

Am 24. Februar 1933, drei Tage vor dem Reichstagsbrand, wurde das Karl-Liebknecht-Haus, Sitz der KPD-Zentrale, durchsucht und besetzt. Man habe tonnenweise Propaganda-Material beschlagnahmt und Pläne für einen Aufstand vorgefunden, verkündete Göring. Das Haus wurde geschlossen, und schon bald nach dem Reichstagsbrand übernahm die SA das Gebäude und nannte es, natürlich, Horst-Wessel-Haus. Das angeblich vorgefundene verräterische Material, obwohl sensationsheischend angekündigt, erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit.

Eine erste Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses hatte es schon am 2. Februar gegeben. Da das eigene Haus nicht mehr zur Verfügung stand, hielt die KPD wichtige Besprechungen verstärkt im Reichstag ab. Am 17. Februar folgte eine Durchsuchung der Fraktionsräume der KPD im Reichstag, unter Missachtung der parlamentarischen Immunität. Der KPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Torgler wurde später als Brandstifter im Reichstagsbrandprozess angeklagt, einzig und allein, weil er am Abend des Brandes noch im Reichstag, immerhin sein Arbeitsplatz, gesehen worden war.

In den vier Februarwochen des Jahres 1933 gab es in und bei Berlin auffällig viele Brandstiftungen. An nur einem einzigen Tag brannten Dachstühle in den Bezirken Schöneberg, Tempelhof und Lichtenberg. Die Löschmannschaften mussten wegen Erschöpfung ausgetauscht werden. Am 21. Februar brannte mitten in der Nacht eine Metallfabrik in Luckenwalde ab. Ein weiteres Feuer in der darauffolgenden Nacht betraf ein Kino im Ortsteil Johannisthal, unweit des dortigen Flugfeldes. Es handelte sich um einen Kinosaal mit rund 600 Plätzen, also in der Größe mit dem Plenarsaal des Reichstages vergleichbar. Es ist bekannt, dass die SA schon seit Monaten mit selbstentzündlichen Chemikalien experimentiert hatte. Diese phosphorhaltigen Flüssigkeiten wurden auf gegnerische Wahlplakate aufgetragen, die dann, nachdem die flüchtigere Flüssigkeit verflogen war, plötzlich wie von Zauberhand – durch den Kontakt mit Sauerstoff – zu brennen anfingen. Der Brand im Johannisthaler Kinosaal, fünf Tage vor dem Reichstagsbrand, ließ sich nur schwer löschen; immer wieder flackerten neue Feuer auf. Merkwürdig war, dass der Brand nur im Saal wütete; Filmprojektoren und Filme blieben erhalten. Das erinnert an die (wenig bekannte) Tatsache, dass im Reichstag im Wesentlichen nur der Plenarsaal brannte; dieser war vollkommen zerstört, während das sonstige Gebäude weiterhin benutzt werden konnte (selbst der Reichstagsbrandprozess im Herbst 1933 fand in Teilen in einem anderen Saal des Reichstages statt). Die Ermittlungen betreffend den Kinobrand wurden nach wenigen Tagen eingestellt. War dieser Brand im Johannisthaler »Film-Stern« die Generalprobe für den Reichstagsbrand? Wir werden das nie erfahren.

Zu der »revolutionären« Unruhe in den Reihen der SA kamen die Spannungen mit Franz von Papen im Kabinett der nationalen Konzentration. Die SA drängte von der einen Seite, von Papen versuchte von der anderen, Hitler zu kontrollieren. Hitler und von Papen hatten eine Wette abgeschlossen, von der anfangs nicht klar war, wer sie gewinnen würde. Franz von Papen glaubte ja nicht nur, Hitler »eingerahmt« und »engagiert« zu haben, er prophezeite sogar, ihn innerhalb eines halben Jahres so sehr »in die Ecke« drücken zu können, dass er »quietscht«. Ein krasser Irrtum. Hitler hatte Millionen Wähler, die Partei und die Gewalt seiner SA- und SS-Horden hinter sich. Von Papen hatte kaum Wähler, keine Partei (die Zentrumspartei hatte er verlassen, bevor diese ihn ausschloss) und nur den alten Hindenburg hinter sich.

Von Papen glaubte, »nichts geringeres als ein politisches Meisterstück« abgeliefert zu haben; so formuliert es Joachim Fest in seiner Hitler-Biografie. Der Coup, Hitler zu »seinem« Kanzler zu machen, befriedigte nach Fests Meinung von Papens Ehrgeiz als Politiker, bändigte Hitler und holte ihn in die Verantwortung, ohne ihm den Staat auszuliefern. Hitler dürfe sich nur in seinem Beisein mit dem Reichspräsidenten besprechen; auch das hatte von Papen durchgesetzt. Und das sollte eine Sicherung sein?

Hitler habe, so Fest, die ihm zugedachte Rolle des »Scheinkanzlers« von Anfang an erfasst und versuchte sofort, dem mit seiner Forderung nach sofortigen Neuwahlen zu begegnen. Das erste Kabinett Hitler sei ein »System überkreuzlaufender Hintergedanken« gewesen. Am Ende konnte von Papen froh sein, die Nacht der langen Messer (1934) mit dem die Dinge grob verzerrenden Titel »Röhm-Putsch« überlebt zu haben.

Rückblickend schrieb von Papen 1951 in seinen Erinnerungen, er habe nicht gesehen, »daß Hitler nach uneingeschränkter Macht strebte und man diesem Streben nur mit Anwendung gleicher Mittel begegnen konnte. Unserem Denken und unserer Erziehung waren Mittel, wie sie die Partei [gemeint ist die NSDAP – U.S.] im Laufe der nächsten anderthalb Jahre anwandte, fremd.«

Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Die Formulierung »anderthalb Jahre« deutet auf den Röhm-Putsch hin, jenes Massaker an der SA-Führung Ende Juni/Anfang Juli 1934, bei dem auch enge Mitarbeiter von Papens liquidiert worden waren. Dieses Ereignis, als Hunderte widerwärtige Mörder von nicht weniger widerwärtigen Mördern beseitigt wurden, ist, nebenbei bemerkt, ein erstaunliches Forschungsdesiderat der deutschen Historiografie, oder, anders gesagt, im doppelten Sinne ein großes schwarzes Loch.

In dem Zweikampf Hitler gegen von Papen erwies Hitler sich schnell als der haushoch Überlegene. Schon vor dem Brand des Reichstages und dem darauf folgenden staatlichen Terror hatte von Papen dem Treiben Görings nichts mehr entgegenzusetzen. Göring schob den als Reichskommissar für Preußen formal Mächtigeren von Papen einfach zur Seite.

»Franz von Papen«, schrieb Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hatte »mutwillig den letzten Deich gesprengt. Jetzt stemmte er sich gegen die eigene Tat, hielt den Regenschirm mit Silberknauf den eindringenden trüben, reissenden Wassern entgegen; die aber um so eleganten Widerstand sich gar nicht kümmerten.« 1934 entsorgte Hitler Franz von Papen, der 1938 sogar in die NSDAP eintrat, in den diplomatischen Dienst nach Wien, später nach Ankara.

Auch Franz von Papen hatte mit der Republik wahrlich nichts am Hut. Er benutzte sie für seine persönlichen Machtinteressen; seine »Machtbasis« war sein gutes Verhältnis zu Hindenburg. Nicht nur Hitler und Göring, auch von Papen war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei den Reichstagswahlen vom März 1933 um die letzte Wahl handeln würde.

Die NSDAP kurz vor der Spaltung

Dabei schienen die Zeichen kurz zuvor, noch im Herbst 1932, ganz anders zu stehen. Hitler hatte 1932 mehrmals vehement abgelehnt, als »Juniorpartner«, also als Vizekanzler in eine Regierung einzutreten. Die NSDAP geriet über diese Frage in ihre schwerste Krise seit dem Verbot der Partei nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923. Bisher war es immer aufwärts gegangen; erst langsam, dann immer schneller. Im Sommer 1932 stellte die NSDAP die stärkste Fraktion im Reichstag, doch bei der Reichstagswahl im November desselben Jahres hatte sie schon wieder zwei Millionen Stimmen verloren. In Thüringen büßte die NSDAP bei einer Gemeinderatswahl sogar 40 Prozent ihrer Stimmen ein. Der Zenit der »Bewegung« schien bereits überschritten.

Die Partei war außerdem hoffnungslos überschuldet. Hitler unterschrieb Schuldverschreibungen, die für ihn so oder so unwichtig waren. Würde er gewinnen, wäre er in der Lage, sie zu bezahlen; wenn nicht, dann wäre es sowieso egal. Trotz aller Not nahm Hitler Angebote von deutschnationalen Politikern, als Vizekanzler in eine Rechts-Regierung einzutreten, nicht an. Er blieb bei seiner »Alles-oder-nichts«-Taktik, die in der Partei nicht von allen geteilt wurde; Austritte häuften sich.

Hintergrund dieses Vorgangs, der Hitler in Schwierigkeiten brachte, war der Versuch des nur 56 Tage regierenden Reichskanzlers General von Schleicher, Teile aus der NSDAP herauszubrechen und in seine Regierung einzubauen. Seine Idee einer Regierung quer durch das politische und gesellschaftliche Spektrum unter Einbeziehung auch der Gewerkschaften, also eine Art Querfront, brachte ihm den Ruf ein, der »soziale General« zu sein. In seinem Kabinett war der Posten des Vizekanzlers unbesetzt geblieben; von Schleicher hatte ihn für den Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Gregor Strasser, reserviert.  

In dieser Situation entluden sich Spannungen zwischen einem eher »linken« und einem rechten Flügel der NSDAP; Spannungen, die angesichts der Frage, ob Strasser den Posten des Vizekanzlers annehmen sollte, um ein Haar zur Spaltung der NSDAP geführt hätten. Schließlich setzte sich Hitler nach heftigen Auseinandersetzungen durch, und Strasser, ein Nazi fast der ersten Stunde, der »durch und durch Rassist« war und der »vor Gewalt nicht zurückschreckte«, so Ian Kershaw in seiner Biografie Hitler, gab entkräftet auf. Strasser »war keine Randfigur, und sein Beitrag zur Entwicklung der NSDAP wurde nur von dem Hitlers übertroffen. Vor allem die Organisation der Partei war sein Werk«, so Kershaw weiter, und: »Im allgemeinen galt Strasser als die rechte Hand Adolf Hitlers.« Sein »Rücktritt von allen Parteiämtern am 8. Dezember 1932 war eine Sensation.« Hitler und die NSDAP schienen geschwächt.

Die Quittung für ihr Verhalten erhielten Strasser ebenso wie von Schleicher in der Nacht der langen Messer im Juni 1934: Sie wurden von der SS erschossen. Göring schrieb über Strassers Versuch, möglicherweise sogar an Hitler vorbei in eine Regierung einzutreten: »Eine Bewegung wie unsere kann viele Dinge verzeihen, aber nicht Treulosigkeit gegenüber dem Führer.« Goebbels nannte Strasser bereits 1932 einen »toten Mann«. So ist es dann ja auch gekommen.

Gregor Strasser kannte die Stimmungen innerhalb der Partei und hatte ständig Feuerherde innerhalb der NSDAP zu löschen; er nannte sich selbst den »Abortreiniger« der Partei. Er stand anfangs mehr als andere, auch mehr als Hitler, für die Buchstaben A und S im Namen der NSDAP, also A für Arbeiterpartei und S für sozialistisch. Gregor Strassers Bruder Otto, der schon früher mit der NSDAP, aber auch mit seinem Bruder gebrochen hatte, nannte die Nazi-Bewegung 1969 in seinem Buch mit dem etwas geschmacklosen Titel Mein Kampf »das Symbol einer sozialen Revolution, die 1918 gewollt war, aber versäumt worden ist. (…) Es ist dumm von unserer Linken, diese Bewegung als reaktionär abzutun.« Sie sei »nicht reaktionär, gleich, wie viele Reaktionäre« mitschwämmen. Der Nationalsozialismus sei eben »Deutschlands Schicksal. Die Tragik ist, daß Hitler an der Spitze steht und diesen gewaltigen Strom in die Irre lenkt.« Über seinen Bruder Gregor schreibt Otto Strasser, dieser sei der »große, einzig wirkliche Gegenspieler Hitlers« gewesen, »auf den Millionen Deutsche ihre Hoffnungen gesetzt hatten«. Beobachter schätzten ein, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der NSDAP-Reichstagsfraktion für Strasser als Vizekanzler gestimmt hätte, demnach für Schleicher als Kanzler. Die Frage: »Was wäre wenn?« liegt hier nahe. Aber: Es gibt nun mal keine Geschichtsschreibung im Konjunktiv.

Für die Geschehnisse um den Reichstagsbrand ist dabei von Bedeutung, dass es – gerade in Berlin – Milieus gab, in denen es keine genaue Trennung gab zwischen Leuten, die sich eher als »links« verstanden, aber auch mit den Nazis sympathisierten, weil deren Partei sich immerhin nationalsozialistisch und Arbeiterpartei nannte; die Fahne war rot, wenn auch mit weißem Kreis und Hakenkreuz. Ob nun bewusst so konzipiert oder nicht, die NSDAP war eine attraktive Alternative für von der SPD und der KPD (und dem ewigen Streit zwischen beiden) enttäuschte Arbeiter. Van der Lubbe, so viel sei hier vorweggenommen, hat sich in den Tagen vor der Brandstiftung nachweislich in genau diesem Milieu bewegt.

Gregor Strasser repräsentierte also in den ersten Jahren so etwas wie den »linken« Flügel der NSDAP. Die Parteiführung konnte mit derlei sozialistischem Erbe – obwohl sie es im Namen trug – nichts anfangen; man war längst abhängig von Großspenden aus der Industrie. Die waren zuletzt ausgeblieben; die Partei war pleite. In den kurzen und kurz aufeinander folgenden Wahlkämpfen hatte Hitler unter anderem, um täglich auf mehreren Veranstaltungen sprechen zu können, von der Lufthansa ein Flugzeug mitsamt Piloten gemietet. Für den nun anstehenden Wahlkampf, nachdem Hitler bereits Kanzler geworden war, fehlte das Geld.

Göring versprach anlässlich einer Art Geberkonferenz mit Großindustriellen, dass die kommenden Wahlen die letzten in zehn, vielleicht in hundert Jahren sein würden. Die NSDAP erhielt daraufhin Großspenden aus der Industrie in der für damalige Verhältnisse unfassbaren Höhe von drei Millionen Reichsmark. In Hitler konnte man nun wieder investieren.

Aber noch kurz zuvor, im Herbst 1932, schien Hitler am Ende seiner wilden Karriere angelangt. Aus diesen Tagen stammt der viel zitierte Satz, er würde, wenn die Partei zerfalle, innerhalb von wenigen Minuten sein Leben mit der Pistole beenden. Dazu kam es nicht. Vielmehr zahlte sich Hitlers Strategie des Alles-oder-Nichts aus: Er wurde Kurt von Schleichers Nachfolger in der Reichskanzlei.