Die Burg Serravalle - Silvana Bezzola Rigolini - E-Book

Die Burg Serravalle E-Book

Silvana Bezzola Rigolini

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Beschreibung

Mit einem einzigartigen, interdisziplinären Projekt wurde die Burganlage Serravalle im Bleniotal aus der Vergessenheit gerissen. Es wurden systematische archäologische Untersuchungen durchgeführt (2002–2006) und ein Aufwertungsprojekt umgesetzt (2006–2022). Die erarbeiteten Resultate sind nicht nur für die Geschichte des Orts von grosser Bedeutung, sondern auch für die Burgenforschung allgemein. Tausende freigelegte Funde konnten den Wissensstand substanziell anreichern. Indem die Spuren einer Vorgängerburg identifiziert wurden, konnte die ursprüngliche Besiedelung des Felsrückens nachweislich um Jahrhunderte vorverlegt werden. Sowohl der Bau als auch die Zerstörung von Burgen wurden eingehend erforscht wie auch Aspekte des täglichen Lebens, kultureller Einflüsse und gewerblicher Tätigkeiten. Dank des Aufwertungsprojekts, das den archäologischen Untersuchungen folgte, wurde die Burganlage zu einem Referenzort und zu einem Treffpunkt im Tal – ein identitätsstiftender Ort der Erinnerung in zeitgenössischer Umgebung.

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Silvana Bezzola Rigolini

Die Burg Serravalle

Kanton Tessin

Die Burg heute

Lage und Beschreibung

Geschichtliche Einordnung

Von der Forschung zur Aufwertung

Interdisziplinäre Forschung

Das Aufwertungsprojekt

Serravalle I

Die Architektur

Die Kleinfunde

Serravalle II

Die Architektur

Die Kleinfunde

Das tägliche Leben auf Serravalle

Die Bedeutung Serravalles für die Burgenforschung

Anhang

Die Burg heute

Lage und Beschreibung

Bei der Burg Serravalle handelt es sich nach der Festung von Bellinzona und den Festungsanlagen in Locarno um die drittwichtigste Burganlage im Kanton Tessin. Sie befindet sich am Eingang des Bleniotals, 400 Meter nördlich von Semione (Gemeinde Serravalle). Die Burg wurde auf 399 m ü. M. am rechten Flussufer des Brenno auf einem länglichen Felsrücken erbaut. Von hier öffnet sich eine weite Sicht auf die gesamte Talebene, was die Bedeutung der strategischen Lage der Burg verdeutlicht, denn die heutige Kantonsstrasse durchquert das ganze Tal und führt den Verkehr von Biasca über Malvaglia nach Olivone und weiter hoch zum Lukmanierpass (1915 m ü. M.). Der leicht befahrbare Lukmanierpass ist von seltener Schönheit und endet nach der Überquerung der Alpen in Disentis, im Kanton Graubünden. (ABB. 1)

Für die Lage der Buchstaben siehe Plan auf der Umschlagklappe.

Von Süden her kommt man über einen kurzen und steilen Weg zur Burganlage. Am Felsrücken angelangt, führt dieser über eine Steintreppe hinter die Burgmauern, zur Kirche Santa Maria del Castello. Von der Gemeindestrasse, die durch Semione führt, erreicht man zu Fuss über eine unbefestigte Fahrstrasse auch von Norden her die Burg.

ABB. 1 Luftaufnahme Richtung Norden, 1964. Links Semione, rechts Malvaglia.

Diesen Weg benutzten im Mittelalter friedlich gesinnte Reisende, um zur Burg zu gelangen. Heute geht er am nördlichen Ende der Burganlage in den historischen Weg des unteren und mittleren Bleniotals über. (ABB. 2)

Die ersten Siedlungsspuren gehen auf das frühe Mittelalter zurück, jedoch stammt die heute sichtbare Burg (Serravalle II) aus dem Spätmittelalter. Die von 2002 bis 2006 durchgeführten systematischen archäologischen Untersuchungen wiesen die Existenz einer Vorgängerburg (Serravalle I) nach, deren Überreste der Öffentlichkeit nur teilweise zugänglich sind. Dabei wurden auch architektonische Strukturen beider Burggebäude, die zahlreichen aufeinanderfolgenden Bauphasen zuzuordnen sind, sowie mehrere tausend Kleinfunde freigelegt. Die Untersuchungen vor Ort bestätigten, was in den Schriftquellen geschrieben steht: Im Jahr 1402 wurde Serravalle endgültig zerstört (ABB. 3).

ABB. 2 Beide Burgen wurden direkt auf den flachen Felsen gebaut, der stellenweise bis an die Oberfläche dringt. Die Gebäudestrukturen wurden auf drei Plateaus verteilt, die drei verschiedenen Bauebenen entsprechen.

ABB. 3 Die vielen Einsturzblöcke, etwa mehr als 40, die von der gewaltsamen Zerstörung der zweiten Burg zeugen, sind vor allem im Norden der Anlage zu finden. Anlässlich der Grabungsarbeiten wurden sie dort von üppiger Vegetation befreit.

Von Serravalle II ist noch der gesamte Grundriss erhalten, während grosse Teile der Fassade und der oberen Stockwerke nicht mehr vorhanden sind (ABB. 4). Infolge der gewaltsamen Zerstörung dieser zweiten Burg sind vor allem im nördlichen und mittleren Teil der Hauptburg grosse eingestürzte Steinblöcke sichtbar, die sich von den Burgmauern und vom Rundturm abgelöst hatten und auf dem Boden liegen geblieben sind (ABB. 3).

Die architektonischen Zeugnisse, die den Lauf der Zeit überdauert haben, verteilen sich dem Verlauf des darunterliegenden Felses folgend auf drei Ebenen. Von Norden her gelangt man zur ersten und höchsten Ebene, die den von einer spitzwinkligen Ringmauer geschützten Rundturm (T), das Burgtor (X) der zweiten Bauphase und den Palas mit den oberen Räumen (E, F, G) und einem kleinen angrenzenden Latrinenbau (L) umfasst. Auf der zweiten, mittleren Ebene befinden sich ein als Küche genutzter Raum (H) mit dem 18 Meter hohen Brunnenturm (U), der Innenhof (B) mit den drei Säulen, die ursprünglich eine Loggia trugen, die den östlichen Bereich teilweise abdeckte, ein durch eine Feuerstelle beheizter Raum (C), das Tor der dritten Bauphase (D) und schliesslich der südlichste Raum (J), ohne Überdachung, der vermutlich als Wehrturm diente. Von hier aus gelangte man zur untersten Ebene, der Vorburg. Diese letzte Ebene umfasst das grosszügige Plateau, das von der um das Jahr 1350 erbauten Ringmauer geschützt wird, die im Westen die kleine Kirche Santa Maria del Castello (V) sowie einige landwirtschaftliche Gebäude (N–S) miteinschliesst, die in unterschiedlichen Phasen der baulichen Erweiterungen entstanden sind. Die Kirche ist seit dem 14. Jahrhundert urkundlich bezeugt, die aktuelle Gebäudestruktur stammt jedoch aus dem 16. Jahrhundert.

ABB. 4 Diese Drohnenaufnahme zeigt den vollständigen Grundriss von Serravalle II: Auf dem Felsrücken erstreckt sich die Anlage nach Nordwesten/Südosten ausgerichtet über eine Länge von 150 Metern und eine maximale Breite von ca. 40 Metern.

Dank eines Aufwertungsprojekts, das nach Abschluss der archäologischen Grabungen angegangen und 2022 abgeschlossen wurde, konnten die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen entlang der Besichtigungsroute hervorgehoben werden – dies insbesondere im Innenhof, aber auch in den nördlichen und südlichen Bereichen der Anlage (siehe S. 17).

Geschichtliche Einordnung

In der Schweiz gibt es aufgrund ihrer geschichtlichen Wechselfälle und typischen geomorphologischen Merkmale (Berge, grosse Höhenunterschiede und enge, gewundene Täler) zahlreiche Burgen. Im Verhältnis zur Gesamtfläche betrachtet, zählt sie zu den burgenreichsten Ländern Europas. Die Burganlagen konzentrieren sich auf einzelne Kantone wie z. B. Graubünden, Basel und Bern, während einige Regionen wie der Waadtländer Jura oder das luzernische Entlebuch weitgehend burgenfrei sind. Diese Unterschiede sind nicht nur auf die geografischen Gegebenheiten der jeweiligen Gebiete und die vorhandenen natürlichen Ressourcen und Kommunikationswege zurückzuführen, sondern auch auf die weitreichenden Unterschiede der gesellschaftspolitischen Bedingungen in den Regionen.

Der an der wichtigen Nord-Süd-Achse gelegene Kanton Tessin zählte auf einer Fläche von 2’812 km2 rund 225 Burg- und Wehranlagen unterschiedlicher Grösse und Funktion, einschliesslich einfacher Gebäude und Türme. Die Burgenkarte der Schweiz inventarisierte einzig im Bleniotal 28 Burganlangen. Von den meisten sind keine oder nur wenige Spuren erhalten geblieben. Neben der Burg Curtero in Torre, die im Jahr 1182 vollständig zerstört wurde, war die Burg Serravalle die wichtigste Anlage der Region. Von der Burg Curtero zeugen heute nur noch spärliche Überreste, die so stark zugewachsen sind, dass sie von blossem Auge nicht zu erkennen sind. Die Burg Serravalle ist die am besten erhaltene Burg im Tal.

Die Burgenkarte der Schweiz

Die Burgenkarte der Schweiz wurde von Thomas Bitterli-Waldvogel herausgegeben und 2007 vom Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), dem Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) und dem Schweizerischen Burgenverein mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) veröffentlicht.

Die Burgenkarte umfasst zwei Kartenblätter (West und Ost), wobei auf zwei detaillierten Karten im Massstab 1:200 000 insgesamt 4450 Burgen aufgelistet sind, die wiederum in 23 verschiedene Objektklassen unterteilt sind. Die Auflistung reicht von der prähistorischen Zeit bis zur frühen Neuzeit, ist alphabetisch nach Kanton geordnet und mit kurzen Beschreibungen ergänzt.

Die Burgenkarte der Schweiz berücksichtig auch die angrenzenden Regionen Österreichs (Tirol und Vorarlberg), Frankreichs (Ain, Franche-Comté, Savoyen, Elsass), Italiens (Bergamo, Bozen-Südtirol, Brescia, Como, Lecco, Novara, Sondrio, Varese, Verbano-Cusio-Ossola) und das Fürstentum Liechtenstein.

Die bibliografischen Angaben, Zeittafeln und detaillierten Karten machen die Burgenkarte der Schweiz zu einem umfassenden und benutzerfreundlichen Werk, das für den Erhalt historischer Zeugnisse von grosser Bedeutung ist.

ABB. 5 Burgenkarte der Schweiz (West und Ost), herausgegeben vom Schweizerischen Burgenverein (Thomas Bitterli-Waldvogel), Bundesamt für Landestopografie swisstopo, Wabern, 2007.