Die Chroniken der Boundless Sammelband 1 - Dieter Kuczinski - E-Book

Die Chroniken der Boundless Sammelband 1 E-Book

Dieter Kuczinski

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Beschreibung

Drei Science-Fiction-Thriller-Novellen in einem Band: Eine rätselhaftes Konstrukt in einem unbekannten Sternensystem und eine wilde gefährliche Verfolgungsjagt der besonderen Art, lassen das Leserherz schneller schlagen. Eine erschreckende Entdeckung auf der Raumstation Magellan und eine packende Flucht, die in einer unfassbaren Erkenntnis endet, stecken in diesem Sammelband. Jede Geschichte führt in eine Welt voller Spannung, Gefahr und überraschender Wendungen -- verbunden mit der Frage, wie weit man gehen muss, um zu überleben. Keine leichte Lektüre -- eine gute Kondition beim Lesen ist Voraussetzung. Ein atmosphärischer Sammelband der besonderen Art.

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Serie
Über den Autor
Höhle
Dieter Kuczinski
DIE CHRONIKEN DER BOUNDLESS
2. Raumstation Magellan
Science-Fiction-Thriller-Novelle
Drei Probleme
Kein entkommen
Raumstation Magellan
Chromosomen gleich
DIE CHRONIKEN DER BOUNDLESS
3. Raumstation Magellan
Teil 2
Science-Fiction-Thriller-Novelle
Krieger des Schreckens
Die Flucht
MONO
Die Erkenntnis

Die Serie

Die Boundless wurde gebaut, um das 4,2 Lichtjahre von der Erde entfernte Sternsystem Alpha Centauri zu erreichen.

Ein neuer Schiffsantrieb und eine unerschütterliche Crew sollten dies ermöglichen.

Doch ein unerklärliches Ereignis brachte das Schiff und seine Mannschaft vom Kurs ab – und warf es in einen Raumsektor, der in keiner Datenbank existiert.

Seit diesem Vorfall setzt die Boundless ihre Reise fort. Sie stößt immer tiefer in die Unendlichkeit des Universums vor, aber niemals ohne die Hoffnung eines Tages zur Erde zurückzukehren.

Jede Novelle erzählt die Geschichte eines Abenteuers, eines Einsatzes und einer unvorhersehbaren Begegnung mit dem Unbekannten. Captain Pawlow und seine Crew verstehen, dass das Universum anderes ist, als es zunächst scheint.

Jede Entscheidung, die sie treffen kann zum Verhängnis werden – aber auch zum Glücksfall.

Die Boundless und ihre Crew fliegen weiter, konsequent und zu allem bereit.

Über den Autor

Dieter Kuczinski

lebt mit seiner Familie im südhessischen Lampertheim.

Neben seiner Leidenschaft für das Laufen über lange Distanzen widmet er sich dem Schreiben von Science-Fiction.

Seine Romane und Novellen erscheinen regelmäßig.

Dieter Kuczinski

DIE CHRONIKEN DER BOUNDLESS

1. Das Atomium Konstrukt

Science-Fiction-Thriller-Novelle

Inhaltsverzeichnis

Novelle 1: Das Atomium Konstrukt

Höhle ... 6-7

Unbekannt ... 7-11

Draußen ... 11-14

Beethoven ... 14-20

Tempel ... 20-24

Leika ... 24-30

Fremd ... 30-36

Gelandet ... 36-40

Gefangen ... 40-47

Avatar ... 47-49

Jagt ... 49-52

Heimkehr ... 53-55

Das Dorf ... 55-62

Überleben ... 62-75

Novelle 2: Raumstation Magellan

Logbuch ... 77

Drei Probleme ... 78-95

Kein Entkommen ... 96-112

Raumstation Magellan ... 113-121

Die Spende ... 121-148

Chromosomen gleich ... 148-161

Novelle 3: Raumstation Magellan Teil 2 Die Flucht

Logbuch ... 163-164

Krieger des Schreckens ... 165-174

Die Flucht ... 175-198

Mono ... 198-216

Grenzenlos verschränkt ... 216-245

Die Erkenntnis ... 245-254

Weiterführende Informationen ... 255

Impressum

© 2025 Dieter Kuczinski

Alle Rechte vorbehalten.

Verantwortlich für den Inhalt:

Dieter Kuczinski

Lönsstr.16

68623 Lampertheim

Deutschland

Kontakt:

E-Mail: [email protected]

Taschenbuch-Ausgabe: August 2025

Keine Vervielfältigung, Verbreitung

Oder Übersetzung ohne

Schriftliche Genehmigung

Des Autors.

Herstellung und Verlag: epubli GmbH, Berlin

Höhle

»Proguul? ...«, schallte es donnernd von den Felswänden – Stille ... Nur das stetige Plätschern des Wassers, das seit Äonen über den Fels floss, war zu hören. »Proguul!, wenn du nicht sofort ...«

Ein staccatoartiges, lautes Stapfen erklang.

»Ja Herr, ich bin schon da«, rief der Troog schwer atmend und voller Angst. »Ich bitte um Vergebung, dass ich nicht schneller hier sein konnte.«

Der kleine Dreibeiner verneigte sich schlotternd vor dem großen Rokatin, der vor ihm stand. Er wusste, was gleich kommen würde.

Das leichte, aber dennoch sichtbare Wanken von Proguul zeigte dem Herrscher, dass er Macht über seinen Diener hatte. Und das steigerte sein Selbstwertgefühl ganz beträchtlich.

Der von Narben übersäte Körper des Troogs beruhigte sich etwas. Jedoch war das nur eine körpereigene Reaktion zum Schutz vor dem Zusammenbruch.

»Hmmm ...«, brummte Dravokat, der Rokatin, so, als ob er nachdenken würde. »Du ungehorsames Stück Dreck!«, schrie er außer sich vor Wut, stülpte seinen trichterförmigen Mund nach vorne und spuckte auf den Boden. »Du lässt mich warten?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, zischte der lange, elastische Stock des Rokatin herab und traf Proguul an seinem empfindlichen Nackenwulst. Ein stechender Schmerz durchzuckte den Dreibeiner wie ein Blitz. Das heftige Brennen, das folgte, raubte ihm fast den Verstand, und seine beiden Vorderbeine waren kurz davor einzuknicken.

Aber dieses Mal, so hatte er sich geschworen, würde er nicht auf den nassen Boden fallen. Proguul bot all seinen Willen auf und drückte die Mehrfachgelenke seiner Beine durch. Er richtete sich auf, und ein Gefühl von Stärke und Stolz durchflutete ihn. Es war ihm das erste Mal gelungen, dem schrecklichen Hieb zu widerstehen.

Dravokat tippelte nervös mit seinen neun Beinen auf den Boden. Ein trockener, wie ein alter Ast aussehender Tentakel schoss aus der Vorderseite seines Körpers heraus und stoppte ruckartig vor Proguuls Gesicht. Sieben bösartig schwarz glänzende Augen starrten ihn an. »Ein Späher hat berichtet, dass etwas Riesiges über unseren Tempelanlagen vom Himmel herunter kam. Es bewegte sich recht langsam, fast schon vorsichtig«, knurrte der Rokatin mit tiefer Stimme.

»Geh dorthin und sieh nach, worum es sich handelt. Wenn du zurückgekommen bist, berichtest du mir, was vorgefallen ist. Hast du verstanden?«, donnerte Dravokat herab.

»Ja Herr, ich eile sofort los.«

Unbekannt

»Wir müssten längst aus dem Linearraum ausgetreten sein. Was ist los?«, wandte sich Captain Janik Pawlow an seinen XO, Karim Mombolo.

Der riesige Afrikaner ließ die Neuro-Glocke, die über seinem Kopf gestülpt war, nach oben fahren und zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, Sir«, antwortete der Steuermann mit seiner tiefen Stimme. »Es war wie ein Blitz in meinem Bewusstsein, die Lichter gingen aus und alles wurde dunkel. Außerdem habe ich ziemliche Kopfschmerzen.« Er fasste sich an die Stirn, dann blickte er auf den Panoramaschirm. Dünne rötliche Fäden zogen sich durch ein unendliches Schwarz.

»Ich sehe keine Sterne«, rief Sulina Tamikor-Ant von ihrer Navigationssteuerung aus. »Fliegen wir noch?«, fragte sie.

Pawlow spreizte seine Arme, ließ sie kraftlos wieder sinken und blickte zu Max Gerling hinüber. Der Funker saß reglos vornübergebeugt vor der Wide-Field-Funkanlage – die schief sitzenden, altertümlichen Kopfhörer wirkten wie ein Anachronismus. Das dreifache Sternsystem Alpha Centauri war das erste Ziel, das man mit dem neuen Antrieb erreichen wollte. Es lag nur 4,2 Lichtjahre entfernt – und war dennoch ein Meilenstein in der Geschichte der Raumfahrt.

Die Trägheitsdämpfer heulten auf und ein Zittern durchlief die Boundless. Von einem Moment auf den anderen herrschte Stille. Nur das leise Summen der elektronischen Komponenten war zu hören.

Um Energie zu sparen, fuhr das Licht in der Zentrale automatisch um ein Drittel herunter. Die gedämpfte Beleuchtung wirkte gespenstisch. Niemand auf der Brücke sagte ein Wort. Alle starrten auf den Panoramaschirm.

Pawlow war der Erste, der die Fassung wiedererlangte.

»Ortung! Was ist los?«

Sulina Tamikor-Ant hob die Hand, ohne den Blick vom Display zu nehmen.

»Geben Sie mir einen Moment, Captain, bitte.«

Pawlow nickte und trat an Gerlings Seite. »Irgendein Signal? Ein Funkspruch?«

»Nein, Sir«, erwiderte der Funker ruhig. »Nichts – nur das übliche Hintergrundrauschen.«

»Sir!«, rief Sulina und sprang auf.

Pawlow fuhr herum. »Was gibt’s? Haben Sie etwas gefunden?«

»Na ja, Sir. Ich weiß nicht, ob ‚gefunden‘ das richtige Wort ist«, antwortete die Lotsin. »Wir befinden uns mitten in einer Sternenansammlung, inklusive eines planetarischen Nebels, wie ich ihn noch nie gesehen habe – etwa acht Lichtjahre entfernt. Die Sterne um uns herum sind nicht katalogisiert.«

»Moment mal, langsam.« Pawlow hob die Hand und sah auf den riesigen Panoramaschirm. »Dieser Nebel dürfte gar nicht hier sein. So weit ich weiß, existiert hier keiner. Wir sind auf dem Weg zu Alpha Centauri – richtig?«

»So ist es, Captain. Diese Sternendichte findet man normalerweise erst in Richtung Galaxienzentrum.«

»Klar. Wir sind definitiv nicht dort, wo wir sein sollten«, knurrte Karim mürrisch.

»Also: unbekannt.« Pawlow legte seine Hand auf die Schulter des Funkers. »Leutnant, setzen Sie einen Funkspruch ab. Mal sehen, ob hier jemand antwortet.«

»Aye, Sir. Nachricht abgesetzt«, bestätigte Gerling. »Wo immer hier ist«, murmelte er und schaltete ein paar schimmernde Holo-Schalter um.

Sulina setzte sich wieder. Dann übertrug sie die Sternenkarte von ihrem Display auf den Panoramaschirm. »Wir sind mitten in einem Sternensystem herausgekommen, das vier Planeten besitzt«, informierte sie. »Die Sonne, ich habe sie Lumini getauft, ist ein K-Stern. Er steht in keinem Sternenverzeichnis. Ich habe die Liste aller in dieser Gegend befindlichen Systeme durch die Speicher gejagt.«

»Hmmm ...«, brummte Pawlow und blickte auf den Schirm. »Gibt es einen Planeten in der bewohnbaren Zone?«

»Ja, allerdings. Sogar gleich zwei, Captain. Aber der eine der beiden ist relativ nah an seinem Stern. Kein Wasser vorhanden. Der Planet ist eine Wüste.«

»Und der andere?«, fragte Pawlow, der inzwischen wieder auf dem Kommandosessel Platz genommen hatte.

»Ist nicht wirklich einer«, entgegnete Sulina.

»Was heißt das genau? Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Ant.«

Die Navigatorin räusperte sich. »Moment, Captain, ich vergrößere.« Sie nahm ein paar Schaltungen vor, drehte sich um und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Schirm. »Hier.«

Karim hatte die Neuro-Glocke wieder aufgezogen. Falls sich etwas Unvorhergesehenes ereignen sollte, war er in der Lage, schnell zu reagieren. Auch er blickte in die gezeigte Richtung.

Pawlow reckte sein kantiges Kinn nach vorne, so, als bräuchte er eine Brille. Ungläubig starrte er auf das planetengroße Konstrukt, das im Weltraum hing.

»Was ist denn das für ein Ding?«, entfuhr es ihm mit hallender Stimme.

»Ein Planet ist es jedenfalls nicht«, meinte Karim gelassen.

»Gerling, setzen Sie einen Funkspruch ab – breit gefächert, Standard.«

»Aye, Sir, Nachricht wurde abgeschickt. Ist schon seltsam, das Ganze, oder?« Er kratzte sich am Hinterkopf.

»Ant«, rief Pawlow, ohne auf Gerlings Frage zu reagieren. »Zoomen Sie mal ran, sechsfache Vergrößerung.«

Sulina zog den Haargummi fester und atmete tief durch. »Aye, Sir. Schauen wir mal, was wir da haben«, murmelte sie.

»Seht ihr das?«, Pawlow trat vor, verschränkte die Arme und starrte auf den Schirm. »Das ist ja unglaublich.«

»Kaum zu übersehen, Captain«, knurrte Karim.

»Es sieht so aus, als hätte jemand Kontinente aus einem Planeten gerissen«, meinte Gerling, der inzwischen aufgestanden war.

»Ja, und dann mit Stahlstreben verbunden hat«, fügte Sulina hinzu.

»Eins, zwei, drei ...« Pawlow zählte laut. »Neun Fragmente ... was soll das sein?«

»Wisst ihr, woran mich das erinnert?«, fragte Karim erstaunt. »Moment, Augenblick, ich komme gleich drauf«, warf Gerling ein. »Ja, jetzt ist es klar. Kennt ihr das alte Atomium, das seit Ewigkeiten in Brüssel steht?«

»Bingo!«, rief Pawlow schmetternd. »Genau! Nur mit dem Unterschied, dass statt der Kugeln riesige Gesteinsbrocken an den Streben hängen.«

Draußen

Proguul war am Ausgang seiner unterirdischen Heimat angekommen. Sein langer Hals, gekrönt von einem kugelförmigen Kopf, lugte aus der Höhlenöffnung. Sein Atem ging hastig, und die ungewohnten Gerüche ließen ihn schwindeln.

Er stand unter Schock, kaum fähig, sich zu bewegen – so fremdartig war alles für ihn. Die Düfte, Farben und ... was war das? Er zuckte zusammen. Etwas berührte ihn im Gesicht. Es war warm und unsichtbar, aber gleichzeitig angenehm. Zuerst versuchte Proguul, dem eigenartigen Wehen auszuweichen. Doch es gelang ihm nicht. Auch ein Beiseitewischen vermochte es nicht zu verscheuchen. Er bemerkte, dass die wenigen Haare auf seinem Kopf sich bewegten. In Kolkskamm, seiner unterirdischen Heimat, gab es so etwas nicht. Der Troog schob seinen Körper ein Stück weiter nach vorne und ließ die ungewohnten Eindrücke auf sich wirken. Dann nahm er die kleine Holzkiste vom Rücken und blickte sich um. Es bestand keine unmittelbare Gefahr für ihn, deshalb hatte er Zeit genug, um die Kiste zu öffnen. Er zog die auf Pergament gezeichneten Bilder heraus und griff nach dem primitiven Kompass. Proguul bemerkte, dass er auf einem Vorsprung stand, weit über einem Blätterdach, das sich bis an den Horizont erstreckte. Dünne, filamentartige Nebelschwaden zogen langsam darüber hinweg. Er sah auf den Kompass. Die Tempelanlage lag laut den Zeichnungen im Westen. Es dürfte kein Problem sein, sie zu finden, überlegte er. Er spähte mit drei Augen in die Richtung, in der die heilige Stätte liegen sollte, und mit den übrigen auf den Plan. Da! ... Er hatte etwas entdeckt. In der Ferne, wenn er genau hinsah, konnte er spitz zulaufende Türme, die mit einer Art Brücke verbunden waren, sehen. Das war sein Ziel. Jetzt musste er nur einen Weg finden, um dorthin zu gelangen. Der Troog lauschte. Kreischende, pfeifende und bellende Geräusche drangen aus dem Dschungel bis zu ihm empor. Aber er ließ sich nicht beirren, packte alles zusammen und wuchtete die Holzkiste auf seinen Rücken. Verärgert fuhr er sich mit der Hand über die vereinzelten Haare auf seinem Kopf. Doch so arg er sich auch bemühte, der spärliche Haarbewuchs stellte sich wieder auf. Der seichte Wind schien mit ihnen zu spielen. Macht doch, was ihr wollt, dachte er und lief fest entschlossen los.

Proguul kam nicht weit, denn von einem Moment auf den anderen erzitterte der Boden. Es polterte gewaltig. Der Troog sah sich hektisch um, während er versuchte, sich irgendwo festzuhalten, aber er fand keinen Halt.

Proguul sprang unkontrolliert zurück, dabei knallte er mit dem Schädel an die Oberkante des Höhlenausganges und klatschte vehement auf den Rücken. Dann ging es rasend schnell bergab. Der Troog fuhr alles ein, was einzufahren war. Den langen Hals mit dem Kopf schob er blitzartig unter den Nackenwulst, die Arme rollte er ein. Jetzt die dürren Beine mit den Mehrfachgelenken ... Keinen Augenblick zu früh. Wie eine Kanonenkugel schoss er den Hang hinunter, zermalmte Felsbrocken, die knallend auseinanderplatzten, und durchschlug Bäume, die explosionsartig zerbarsten. Holzsplitter flogen wie Geschosse durch die Luft. Er überrollte Tiere, die es nicht rechtzeitig schafften, auszuweichen. Staub, Äste und Blätter wirbelten wie bei einem Hurrikan in die Luft. Nichts konnte dieser rollenden Urgewalt standhalten. Die tosende Fahrt schien endlos. Der Troog war nicht imstande, etwas zu sehen, da sein Kopf vollständig unter dem Nackenwulst eingebettet war. Er spürte, dass der Höllenritt bald zu Ende sein würde. Unversehens tat sich vor ihm ein schanzenartiger Erdwall auf und Proguul flog wie von einem Katapult geschossen durch die Luft.

Unvermittelt entstanden Bilder in seinem inneren Auge, die ihm zeigten, wie er in den Boden einschlug. Aber zuvor, am Scheitelpunkt der ballistischen Flugbahn angekommen, durchströmte ihn ein wundervolles Gefühl der Schwerelosigkeit. Doch leider – wie das bei vielen angenehmen Aktivitäten so üblich war – nur kurz.

Der Troog schmetterte mit brachialer Wucht in das seichte Wasser eines kleinen Flusses. Eine gigantische, mit Sand angereicherte Fontäne stieg empor und ergoss sich über ihn. Regungslos, wie ein Fels am Strand, lag er da. Er gab keine animalischen Urwaldgeräusche von sich wie vor Kurzem auf dem Vorsprung. Er vernahm nur das leise Rauschen des vorbeifließenden Wassers, das ihm vertraut war.

Proguul entspannte sich. Er entrollte seine Arme, brachte den Kopf in mittelhohe Position und klappte die Beine auseinander. Er tastete nach hinten ... Die Holzkiste! Sie war weg.

»Kammata!«, schrie er außer sich vor Wut und hieb mit geballten Fäusten in das Wasser. Gleich darauf blickte er sich scheu um. Ihm war bewusst, wie laut er eben gewesen war. Die Zeichnungen waren nicht so wichtig, aber der Kompass. »Wie soll ich jetzt den heiligen Ort finden?«, überlegte er verzweifelt. Dravokat tötet mich, wenn ich ohne Informationen zurückkomme. Er blickte sich um und überlegte. Seinen sieben Augen entging dabei nichts. Ich habe zwei Möglichkeiten, dachte er. Na ja, eigentlich mehr. Aber ein Zurückgehen kommt jetzt nicht infrage. Den Fluss durchqueren, in den Urwald rein? Nein, niemals, da bin ich verloren. Also entweder rechts flussaufwärts oder abwärts.

Er zögerte. Wut über sein Missgeschick stieg in ihm auf. Doch er beherrschte sich. Proguul unterdrückte die Emotion und horchte in sich hinein. Er ließ seinem Gespür freien Lauf. Es war noch da, dieser Instinkt ... Trotz der langen Knechtschaft ...

Links ... ich gehe links. Den Fluss runter.

Beethoven

»Wie groß sind die?«, fragte Gerling und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

»Was, die Brocken an den Streben?«, erwiderte Ant genervt.

»Ja, was denn sonst«, gab der hagere Funktechniker zurück.

»Die sind unterschiedlich groß.«

»Geht‘s etwas genauer, Ant?«, fuhr Pawlow dazwischen. »Wir wollen doch hier keine Rätselraten veranstalten, oder?«

»Schon klar, Captain, einen Augenblick. Ich vermesse die einzelnen Fragmente, lege Vektorpfade drum herum ... Fertig! Tja, Technik macht‘s möglich.«

»Raus mit der Sprache«, rief Karim ungeduldig, der die Neuro-Glocke zwar abgeschaltet, aber immer noch auf seinem riesigen Schädel hatte.

»Schon gut ...«, beschwichtigte Sulina.

»Also, der größte von den Brocken hat einen Durchmesser von gerundet 18.000 km.« Sulina beugte sich etwas nach vorne und schaute genauer hin. »Und eine Breite von 7 km. Die Dicke beträgt rund 12 km«, informierte sie etwas zögerlich. Die Lotsin lehnte sich in ihrem Kontursessel zurück.

»Das Teil sieht aus wie ein Stück vermoderndes Holz«, warf Gerling kopfschüttelnd ein.

»Ja, es hat Ähnlichkeit mit einem Baumstumpf«, stimmte Karim zu.

»Das kleinste Fragment hat nur ein Sechstel davon«, fuhr Sulina fort. »Alle anderen Brocken liegen in der Mitte.«

»Ant, zoomen Sie mal näher an den großen Brocken heran. Ich will mir das genauer ansehen«, befahl Pawlow.

»Sofort, Sir.« Sulina wandte sich wieder den Kontrollen zu. Mit flinken Fingern bewegte sie ein paar Holo-Schalter. Sekunden später füllte der riesige Klotz den gesamten Panoramaschirm aus. Jetzt war deutlich zu erkennen, dass winzige Gesteinsbrocken in irregulären Flugbahnen um den Brocken herumflogen.

»Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte Pawlow.

»Seht ihr das?«, rief Karim von seinem Steuerpult aus. »Der hat eine Atmosphäre und Wald. Dazwischen erkenne ich immer wieder mal ... Lichtungen mit komischen gelben Flecken. Keine Ahnung, was das sein soll.«

»Jaa ...«, meinte Pawlow langsam. »Sieht merkwürdig aus.«

»Kontakt!«, meldete Gerling laut. Der Funker hatte uralte Kopfhörer auf seinen Ohren und schob jetzt einen davon nach oben. Er sah aus wie ein DJ aus längst vergangenen Zeiten. Er schwor drauf, wie er einmal sagte.

Alle Blicke richteten sich auf ihn. Aber Gerling ließ sich nicht beirren und fummelte noch an den Holo-Rädchen herum. »Ein bisschen Feinjustierung, Sir«, rief er, ohne aufzublicken.

Pawlow wartete geduldig. Sekundenlanges Schweigen ...

»Es ist ... Musik, Sir.«

»Musik?«

»Ja, Captain, das ist eigenartig. Halten Sie mich nicht für verrückt, aber das ... habe ich schon einmal gehört.«

»Quatschen Sie nicht«, unterbrach ihn Pawlow, »schalten Sie laut.«

»Bitteschön, Sir«, sagte Gerling, stand auf und verneigte sich wie bei einem beendeten Theaterstück. Schlagartig ertönte ein ganzes Orchester. Es war unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen.

»Leiser!«, brüllte Pawlow und Gerling reagierte sofort.

Die Lautstärke sank auf ein erträgliches Maß.

»Das klingt nicht fremdartig, sondern eher nach etwas Klassischem«, meinte Sulina, die ihren Kopf im Takt hin und her bewegte.

»Gerling, lassen Sie die Musik durch die Datenspeicher laufen. Ich habe da so einen Verdacht.«

»Aye, Sir, wird erledigt.«

Alle waren aufgestanden und lauschten der Musik.

»Captain, ähm ... ich habe da was«, rief Gerling, der sich mit den Ellenbogen auf der Konsole abstützte.

Pawlow drehte sich zu ihm.

»Jetzt bin ich gespannt. Legen Sie es auf den Schirm.«

Karim hatte die Neuro-Glocke in die Halterung geschoben und lief zum Captain.

Sulina gesellte sich erwartungsvoll dazu.

Gerling grinste, dann verkündete er: »Bitte sehr, die Damen und Herren.«

Das Konstrukt im Weltraum verschwand, ein Schriftzug erschien. Darauf stand: »Beethoven Symphonie Nr. 5.«

Niemand sagte ein Wort. Alle starrten ungläubig auf den Schirm.

In diesem Moment glitt das Schott zur Seite, und Leika Salomon flog auf die Brücke.

Die 12 cm große, energiegeladene Multi-Wissenschaftlerin sauste durch die Luft und ließ sich mit verschränkten Armen auf der Steuerkonsole nieder.

Dann schaltete sie ihren Mikro-Antigravantrieb aus und dieFeldverstärker ihrer winzigen Lautsprecher an. Der Helm war geschlossen, damit ihr nichts gegen den Kopf knallte, wenn sie durch das Schiff flog. Reine Vorsichtsmaßnahme selbstverständlich, wie sie einmal erwähnte.

»Hallo, Captain«, dröhnte es übermäßig laut durch die Zentrale. »Den militärischen Gruß erspare ich uns mal«, sagte sie ernst. »Oh«, rief Leika erschrocken und hob die Hände. Sie sah, dass sich die Crew die Ohren zuhielt.

Außer Karim, der schüttelte nur den Kopf.

Die Wissenschaftlerin ließ den Helm zurückfahren. »Verzeihung! Jetzt ist es besser ... Kleines Missgeschick meinerseits.«

»Schon gut, Miss Salomon.« Pawlow winkte beschwichtigend ab. »Was gibt es so Wichtiges, dass Sie hier hereingeschneit kommen, ohne wenigstens anzuklopfen, hm?«, fragte der Captain scherzhaft.

Karim brach in Gelächter aus, was für einen normalen Menschen einer Katastrophe gleichkam. Rekordverdächtig schnell pressten alle wieder die Hände an die Ohren.

Leika hatte sofort reagiert und ihren Helm geschlossen.

»Mombolo, beherrschen Sie sich. Ich habe keine Lust, dass mir beim nächsten Mal das Trommelfell platzt, verstanden?«

»Entschuldigung, Sir, tut mir leid. Ich werde in Zukunft darauf achten.«

Pawlow nickte und wandte sich wieder an die Wissenschaftlerin. »Miss Salomon, was liegt an? Raus mit der Sprache, ich habe nicht ewig Zeit. Wie Sie sicher mitbekommen haben, sind wir in einem fremden Sternensystem herausgekommen.« Pawlow stemmte die Hände in die Seiten.

»Ähm ... Ja ...«, zögerte Leika. »Also, wir haben ein Problem mit den Paschuken. Die schwimmen aufgebracht in ihren Wasserblasen herum. Sie sind stinksauer! Die haben die Zeitverzögerung bemerkt und haben gefragt, warum wir noch nicht auf ihrem Heimatplaneten gelandet sind. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, was inzwischen passiert ist. Deswegen bin ich hier, Sir. Die wollen runter von der Boundless.«

»Tja, Miss Salomon, wir wissen nicht genau, was hier vor sich geht, aber schauen Sie selbst«, entgegnete Pawlow, der auf den Panoramaschirm zeigte.

Leika blickte in die gezeigte Richtung. »Sieht ja interessant aus«, meinte sie trocken. »Was sind das für wunderschöne Klänge im Hintergrund?«

»Diese Musik entstand auf der Erde. Sie wurde von einem berühmten Komponisten namens Beethoven komponiert«, warf Gerling kurz angebunden ein.

»Ah, verstehe.« Die kleine Frau stand auf.

»Sie stammt zwar von Terra, wird aber von diesem Gesteinsbrocken hier abgestrahlt«, ergänzte Pawlow. Er zeigte wieder auf den Schirm.

»Das ist unerklärlich«, meinte die Wissenschaftlerin.

»Oh, Miss Salomon, es gibt für alles eine Erklärung. Man muss nur lange genug suchen«, erwiderte Pawlow.

Leika nickte bedächtig. »Ich bin gespannt, was wir herausfinden, Captain.«

»Sicher, aber zuerst erzählen Sie den Paschuken, was vorgefallen ist. Bitten Sie sie um Verständnis. Ich nehme an, dass Sie wenig Lust haben, hier auszusteigen.«

»Aye, Sir, ich werde es ihnen möglichst sanft beibringen«, bestätigte Salomon selbstbewusst.

»Hmm ... da fällt mir etwas ein«, murmelte Pawlow halblaut, aber so, dass es Leika hörte.

Die Multi-Wissenschaftlerin zeigte mit ihrer Handfläche nach oben, dann flog sie los.

Das Zeichen kannte Pawlow.

Leika landete punktgenau auf des Captains ausgestreckter Hand. Schnell aktivierte sie die Stabilitätsfelder, damit sie nicht aus dem Gleichgewicht kam.

»Ja, Sir, ich höre«, rief sie erwartungsvoll.

»Das Erholungszentrum im unteren Drittel«, meinte Pawlow ruhig, »wird momentan nicht gebraucht. Die gesamte Crew wird demnächst anderweitig beschäftigt sein.

Also Folgendes: Wir errichten für unsere schwimmenden Passagiere eine Mini-Welt. Geben Sie dem Robottechniker Gunnar Lynch alle Daten, die Sie über die Paschuken haben. Er programmiert die Verladeroboter um, damit diese mit dem Bau anfangen können. Sagen Sie ihm, ich habe Sie geschickt. Dann gibt es keine Verzögerungen.«

Leika, die etwas schwankend auf Pawlows Hand stand, nickte kräftig.

»Super Idee, Captain, so machen wir es. Danke, Sir.« Sie zeigte mit ihrem winzigen Daumen nach oben.

Sulina kam herangelaufen.

»Da wäre noch eine wichtige Sache«, warf sie ein. »Das Wasser!«

»Stimmt!«, rief Leika und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die Navigatorin.

»Es hat eine andere Zusammensetzung. Aber das ist kein Problem, das kriegen wir hin«, entgegnete die Wissenschaftlerin, die jetzt bestens gelaunt war.

»Wir bauen einen kleinen See, mit Bewuchs und allem, was dazugehört«, schlug Pawlow vor. »Damit sie sich heimisch fühlen. Das Letzte, was ich will, ist eine Paschuken-Revolte auf der Boundless.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

»So ist es«, warf Gerling sarkastisch ein, »wir wissen nicht, wie lange sich das hier hinzieht.«

»Genau«, räusperte sich Karim.

»Nun ist aber gut«, schnaufte Pawlow. »Eins nach dem anderen. Miss Salomon, Sie kümmern sich um die Paschuken, so wie wir es besprochen haben.«

Leika nickte. »Aye, Sir, wird erledigt.«

Sie aktivierte ihren Antigrav und flog mit hoher Geschwindigkeit Richtung Ausgang. Knapp am Kopf Gerlings vorbei, der ihr schmunzelnd hinterherblickte.

Pawlow zuckte nur kurz mit den Mundwinkeln, lief zu seinem Kommandosessel und warf sich hinein. »Karim!«, befahl er. »Neuro-Glocke auf. Gerling, hören Sie in den Funk rein. Checken Sie noch einmal alle Frequenzen, vielleicht finden Sie etwas anderes außer Beethoven.«

»Aye, Captain«, kam es wie aus einem Mund.

»Ant, jetzt kommt das Schwierigste. Legen Sie eine Route fest, damit Karim zwischen den Monden hindurchmanövrieren kann. Wir landen auf dieser fremden kleinen Welt. Statten wir Ludwig einen Besuch ab. Los geht‘s.«

Tempel

Langsam, einen Schritt nach dem anderen, setzte Proguul sich in Bewegung. Das seichte Wasser umspülte seine klauenartigen Füße. Die große, runde Scheibe über ihm strahlte eine beträchtliche Wärme ab, was angenehm für ihn war. Auch die Geräusche, die er anfangs gehört hatte, waren wieder zurückgekehrt. Er hatte sie vermisst. Dieses Pfeifen und Bellen ... Er beschleunigte und lief den Fluss hinab. Das Wasser spritzte herrlich an ihm hoch und kühlte ihn.

Ein beschwingtes Gefühl durchströmte ihn. Das Atmen fiel ihm plötzlich so leicht. Dieser Druck, der ständig auf seinen Atemorganen gelastet hatte und den er für normal gehalten hatte, war verschwunden. Dazu kam ein eigenartiges Kribbeln – wie seltsam. Was war das nur alles?

Proguul war glücklich. Er rannte immer schneller und schneller ... er wollte diesem Gefühl einen Namen geben. Der Troog überlegte, während er weiterlief.

Und dann, von einem Moment auf den anderen, wusste er, was es war.

Nein, nicht was ... dachte er. Sondern wie er es nennen sollte: Freiheit!

Das war das richtige Wort. Er würde es niemals wieder vergessen.

Urplötzlich, in vollem Lauf, bremste er ab. Er stemmte seine beiden Vorderbeine gegen die Laufrichtung in den Boden und ließ das hintere dritte Bein wie einen Pflug in den Sand schlagen. Die Erde spritzte auf, und Proguul stand da, regungslos wie ein Fels. Die Höhle und der bösartige Rokatin waren ihm eingefallen.

Dazu der Stock, der ihn unzählige Male getroffen hatte. Die schrecklichen Schmerzen und die grausame Fratze von Dravokat. Das angenehme Gefühl war verschwunden, die Leichtigkeit, die er so noch nie empfunden hatte. Es war wie ein Traum gewesen.

Er hatte vergessen, warum er hier war. Der Befehl, der Tempel und das fremde Ding, das vom Himmel gefallen war.

Proguul sah sich um. Er stellte erstaunt fest, dass die Zeit schnell verflossen war.

Die Tempelanlage lag wie ein Koloss vor ihm. Regelrecht bedrohlich ragten die Türme und Mauern vor ihm auf.

Die Anlage war größer, als sie von der Ferne aus gewirkt hatte. Proguul horchte in sich hinein. Er versuchte, dieses Freiheitsgefühl wiederzufinden. Aber es war nicht mehr da.

Eine große Trauer überkam ihn. Sein Körper wurde immer schwerer, und das Atmen war so beklemmend wie früher in der Höhle. Der Troog bemühte sich mit aller Kraft, die Freiheit wiederzuerlangen, doch vergebens.

Proguul erstarrte. Er hielt den Atem an. Er hatte eine eigenartige Spiegelung neben sich auf dem Wasser bemerkt. Langsam ließ er zwei seiner sieben Augen nach hinten gleiten. Etwas Braunes mit vielen Haaren stand regungslos da und beobachtete ihn.

Proguuls Augen glitten weiter.

Dann ... sah er es. Ganz deutlich. Ein riesiges Maul, aufgerissen und mit langen, unfassbar spitzen Zähnen bestückt, zuckte blitzartig auf ihn zu.

Er konnte nicht schnell genug reagieren, zumal sich das Wesen hinter ihm befand. Ein stechender, brennender Schmerz durchfuhr ihn, und Proguul stürzte kopfüber in den Sand. Ein schreckliches Gebrüll war zu hören, dann bohrte sich etwas durch seine dicke, lederartige Haut.

Proguul versuchte, sich abzudrücken, aber er wurde mit gewaltiger Kraft zu Boden gedrückt. Unterbewusst war er sich im Klaren, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, sein Leben zu retten. Er war wutentbrannt darüber, dass er auch hier, wo es ihm so paradiesisch erschien, Schmerzen ertragen musste.

Der Troog hob sein Hinterbein mit der Klaue aus dem Sand, wuchtete es über seinen Rücken und packte mit aller Kraft zu.

Der Biss lockerte sich. Das pelzige Ungetüm ließ einen markerschütternden Schrei los.

Proguul war wie von Sinnen. Wut und Enttäuschung übermannten ihn.

Er spannte seine wie Granit wirkenden Muskeln an und riss sein Stützbein nach oben. Das Raubtier hing wie an einem Kranausleger in der Luft. Es zappelte mit den Beinen, quietschte, fauchte, und sein langer Schwanz peitschte hin und her. Es versuchte, sich zu befreien, aber Proguul hielt es mit stählernem Griff fest.

Er drehte sich herum, um das Tier zu sehen, das ihn überfallen hatte. So einem Lebewesen war er bisher nie begegnet. Nur zwei Augen und an den Seiten des Kopfes einen hoch stehenden Hautlappen. Dann ... vier Beine? Proguul empfand großen Ekel vor diesem Geschöpf. Die Schmerzen, die er durch den Biss verspürt hatte, waren schnell abgeklungen. Er fragte sich, was er jetzt tun sollte. Das Tier hatte sich etwas beruhigt, fauchte aber unablässig. Seine gelben Augen fixierten ihn scharf. Proguul blickte sich um. Es drohte keine weitere Gefahr für ihn.

Niemand war in seiner Nähe. Nur das erstaunliche, sanfte Wehen, das die Pflanzen tanzen ließ, war da.

Er richtete sechs seiner Augen auf seinen Gefangenen. Er überlegte. Das Wasser des Flusses schwappte im stetigen Rhythmus an seine Füße. Das Tier baumelte umher.

Ein einziger Impuls. Einmal kurz mit der Klaue zudrücken, und der Kopf des pelzigen Wesens würde in den nassen Sand fallen.

Was passiert, wenn ich das Ungeheuer absetze und freilasse? Was macht es dann? Greift es mich an oder läuft es weg?

Stopp! War es da nicht wieder?

Dieses Wort: Freiheit!

Ein Schauer durchlief seinen Körper. Er zitterte, und ihmwurde augenblicklich bewusst, dass er zum ersten Mal Macht über ein anderes Lebewesen hatte. Tränen liefen aus all seinen Augen. Die Intensität dieser Emotion überwältigte ihn.

Er war erschüttert. Denn so ein intensives Gefühl war ihm bisher fremd gewesen.

Das Raubtier hing an seiner Klaue und sah ihn erwartungsvoll an.

Eine neue Emotion kam in ihm hoch ... Mitleid.

Proguul senkte fast wie in Zeitlupe sein Bein. Kurz bevor das Tier den Boden berührte, fing es an, hektische Laufbewegungen zu machen. Erst langsam, dann immer schneller. Der Troog ließ es ein Stück hinab. Sand spritzte auf, und er erkannte, dass dieses Lebewesen ihn nicht aus Boshaftigkeit angegriffen hatte, sondern nur aus einem Instinkt heraus. Es hatte Hunger und war am Jagen. Er war nur Beute für das Tier, weiter nichts. Aber der Rokatin in der Höhle war böse. Er handelte, um zu quälen, damit er sich am Leid anderer ergötzen konnte.

»Ich werde dich freilassen. Lauf und such dir eine leichtere Beute«, sagte Proguul leise. Der Troog wusste, dass er ein hohes Risiko einging, und öffnete die Klaue.

Das Tier zögerte keinen Augenblick, sprang mit einem eleganten Satz zur Seite und rannte davon. Keuchend stand Proguul auf, geschockt von dem Erlebnis und erstaunt über seine eigene Handlungsweise.

Leika

»Route festgelegt, Sir. Karim kann loslegen«, informierte Sulina.

»Sehr gut, Ant«, lobte Pawlow. Er warf einen Blick zu Mombolo hinüber und nickte ihm zu. Der Steuermann verschwendete keine Sekunde, er zog sich die Neuro-Glocke über den Kopf – und die Boundless setzte sich in Bewegung.

Langsam, fast andächtig, flog das Schiff auf den größten Brocken des eigentümlichen Objekts zu.

»Setzen Sie den Zoom auf null. Ich will die wahre Größe des Gebildes sehen, Ant«, befahl Pawlow.

»Aye, Sir«, bestätigte Sulina, die das Geschehen auf ihrem Display verfolgte.

Das atomiumähnliche Konstrukt wuchs beachtlich schnell an, und die Metallstreben kamen der Boundless gefährlich nah.

Karim steuerte das Schiff mit unglaublicher Präzision. Er flog den Raumer durch die abstruse Anordnung von Streben und den daran hängenden Felsfragmenten. Er schwenkte es so lange sanft nach links, bis das Ziel im Zentrum des Panoramaschirms stand.

»Diese kleine Welt hat tatsächlich eine Atmosphäre«, rief Gerling erstaunt, der sich neben den Kommandosessel gestellt hatte. »Aber wie kann das sein? Der Brocken hat eine zu geringe Masse, um eine Lufthülle an sich zu binden.«

»Erdähnlich!«, rief Sulina aufgeregt, die wieder einmal ihren Zopf zurechtzog.

»Was – die Atmosphäre oder die ganze Welt?«, fragte Pawlow unwirsch.

»Sowohl als auch, Sir. Ich habe den gesamten Klotz gescannt. Er besitzt Fauna und Flora – und das in erheblichem Maße.«

»Was aber noch erstaunlicher ist«, rief Leika Salomon, die

Unbemerkt auf die Brücke gekommen war, »ist, dass dieseMusik – von einem Tempel abgestrahlt wird, der mitten auf einer riesigen Urwaldlichtung steht.«

Pawlow, der vor dem Schirm stand, drehte sich zur Seite.

Die Wissenschaftlerin hatte es sich auf dem U-förmigen oberen Bogen des Kommandopultes bequem gemacht und hob zur Begrüßung den Arm.

Dieses Mal hatte sie die Lautstärke ihres Mikrofons so eingestellt, dass die Mannschaft nicht potenziell tinnitusgefährdet war.

Leika lächelte so hinreißend, dass jeder noch so gestandene Mann dahingeschmolzen wäre. Die Crew war es gewohnt …

»Hallo, Captain.« Sie nickte Pawlow knapp zu.

»Woher haben Sie die Information, mit der Musik?«

Leika zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Staatsgeheimnis, Sir.«

»Miss Salomon. Ich möchte augenblicklich von Ihnen wissen …«

Die Wissenschaftlerin legte den Kopf schief und schmunzelte.

»Ich geb’s auf, was soll’s«, sagte Pawlow resigniert.

»Captain, soll ich vorher in einen Orbit einschwenken?«, fragte Karim.

»Wir landen etwas abseits des Tempels, keine Umlaufbahn, Mister Mombolo.«

»Aye, Sir.«

»Und …«

»Ja, Sir?«

»Gehen Sie langsam runter. Bremsen Sie die Boundless so ab, dass keine Hitzeflares entstehen. Falls dort unten jemand ist, soll er nicht gleich auf uns aufmerksam werden.«

»Aye, Captain.« Karim konzentrierte sich wieder auf das bevorstehende Manöver.

Die Metallstrebe, die an der Unterseite des Fragmentes befestigt war, wurde auf dem Schirm größer.

»Das Gleiche hätte ich vorgeschlagen, wenn Sie mir nicht zuvorgekommen wären, Sir«, sagte Leika und wackelte freundlich lächelnd mit dem Zeigefinger.

»Tja, Miss Salomon, manchmal ist auch ein Captain Pawlow flott unterwegs, nicht wahr?« Er grinste.

»Ihre Entscheidungen sind zielstrebig. Obwohl ich nicht allzu lange auf diesem funkelnagelneuen Schiff bin, bin ich sicher, dass das so bleibt.«

»Danke, schön zu hören.« Pawlow sah wieder auf den Panoramaschirm. Alle auf der Brücke sahen auf diese fremdartige, aber zugleich vertraute Welt. Die Boundless sank tiefer. Berge, Täler, Flüsse und ein endloses Blätterdach schoben sich in das Sichtfeld.

»Das ist ja ein grünes Meer«, meinte Gerling angetan.

»Ja«, warf Sulina ein. »Das erinnert mich an den Urwald in Südamerika. Der Amazonas hat Ähnlichkeit mit diesem Fluss hier.« Sie zeigte auf den gewaltigen Strom, der vor ihnen aufgetaucht war.

»Diese Stromschnellen sind atemberaubend«, ergänzte Gerling, der sichtlich erstaunt war.

»Captain«, meldete Karim sich zu Wort.

Pawlow blickte zu seinem Steuermann hinüber. »Was gibt‘s?«

»Wo landen wir? Es gibt keine freie Fläche, auf der dieBoundless Platz hätte. Der Wald grenzt direkt an den Tempel. Dort ist es ebenfalls unmöglich. Außerdem ist der Boden hier relativ weich, sodass unser Schiff einige Meter einsinken würde. Was nicht weiter schlimm wäre. Aber die Türme dieser Stätte sehen nicht allzu stabil aus. Wenn die erschüttert werden oder in Schieflage geraten, war es das mit dem Tempel.«

»Sie sind nicht nur ein guter Pilot, sondern einer mit Empathie und Verantwortungsbewusstsein. Hmm …« Pawlow kratzte sich am Kinn. »Lassen Sie die Antigrav-Module hochfahren, Captain, und die Stützfelder ausrichten. Vier Stück genügen. Eines in jede Himmelsrichtung«, schlug Leika vor.

»Ja … prima Idee, Miss Salomon. Das ist sicher die umweltschonendste Vorgehensweise.«

»Stets zu Diensten, Captain.« Die winzige Wissenschaftlerin lächelte und deutete eine Verbeugung an.

»Hier!«, rief Karim. »Ich habe doch einen Platz gefunden.« Er markierte eine Stelle mit seinen Gedanken auf dem Panoramaschirm – die Neuro-Glocke machte es möglich. »Ein Stück weg vom Tempel. In der Nähe einer hohen Mauer ist Platz für die Boundless. Der Untergrund ist fest genug, sodass unser Schiff nicht zu tief einsinkt. Die Tempelanlagen sind nicht gefährdet.«

Pawlow blickte auf den Schirm. »Sieht gut aus, Mombolo. Brauchen wir die Antigrav-Module?«

»Nein Sir, definitiv nicht«, Mombolo schüttelte den Kopf. »Der Boden ist fest genug.«

»Super, sparen wir uns die Energie, landen Sie!«, befahl Pawlow. Er machte seine Hand flach und senkte sie vor sich ab. Ein klares Zeichen zum Aufsetzen.

Das Schott öffnete sich und ein kleiner Lastenroboter kam hereingeschwebt.

Er hielt mit seinen beiden Greifarmen einen durchsichtigen Behälter fest. Dieser war geschlossen und randvoll mit Wasser gefüllt, damit es nicht herumschwappte.

Ein grünbrauner Paschuke mit kugelrunden Augen und einem markanten, bartelartigen Bewuchs um sein Maul schwamm darin.

Der Roboter schwebte weiter, blieb ein paar Meter vor dem Panoramaschirm stehen und setzte das Gefäß mit einem lauten Plopp auf den Boden ab.

Die Maschine entfernte sich leise summend, während alle verdutzt auf den Wasserbehälter starrten.

Nur Leika nicht. Sie flog los und landete auf einem hervorstehenden Seitenwulst des paschukischen Habitats.