Die Daten, die ich rief - Katharina Nocun - E-Book

Die Daten, die ich rief E-Book

Katharina Nocun

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Beschreibung

Aktuell zum Facebook-Datenskandal: Wissen Konzerne alles über uns und sind wir wirklich so berechenbar?

Diese Frage kann Katharina Nocun mit einem klaren "Absolut!" beantworten. Denn wir lassen uns nur allzu gern Bücher, Reisen und potenzielle Partner vom Internet empfehlen. Großkonzerne wie Google und Facebook nutzen unsere Daten, um Millionen-Umsätze zu generieren. Banken, Firmen und Behörden nutzen Algorithmen, um unsere Zukunft vorherzusagen. Und Geheimdienste wetteifern darum, wer uns am effektivsten überwacht und durchleuchtet. Denn wer uns am besten kennt, kann uns manipulieren und uns das Geld aus der Tasche ziehen.

Katharina Nocun zeigt anhand vieler Beispiele, warum wir uns vor der Geldgier der Konzerne und dem Überwachungswahn staatlicher Behörden schützen müssen.

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Seitenzahl: 360

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumZitatWidmungVorwortVor nackte Tatsachen gestellt1. Kapitel: Mein DatenschattenFür eine Handvoll Bonus-PunkteMein Amazon-WarenkorbVerräterischer BlutdruckArbeit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besserDigital Natives und PrivatsphäreZeige mir deine Freunde …Ein Back-up meiner GedankenWir sind, was wir suchenDer Griff des Staates nach meinen Daten2. Kapitel: Wie wir konditioniert werdenDer KnebelvertragEin unfairer DealZu Risiken und NebenwirkungenMeine rosarote FilterbrillePersonalisierte Werbung: Der freie WilleChilling-Effects: Der Einschüchterungseffekt staatlicher Überwachung3. Kapitel: Es ist fünf vor zwölfAuf die unsichtbare Hand ist kein VerlassNeues Recht, neues Glück?Der Kollateralschaden der ÜberwachungUnter Nerds: Die Zukunft wird Science-Fiction seinDie Machtfrage der vernetzten WeltSchlusswort: Die Daten, die ich riefErste Hilfe für Ihre PrivatsphäreDankLiteraturverzeichnis

Über dieses Buch

Wir lassen uns Bücher, Hotels und Partner vom Internet empfehlen. Google und Facebook blenden für uns passende Werbung ein. Banken, Firmen und Behörden nutzen Algorithmen, um Vorhersagen über unsere Zukunft zu treffen. Geheimdienste und Konzerne wetteifern darum, wer uns am effektivsten überwacht und durchleuchtet, denn wer uns am besten kennt, kann uns manipulieren und uns das Geld aus der Tasche ziehen. Katharina Nocun zeigt anhand vieler Beispiele, wie wir uns vor den Datenkraken schützen können …

Über die Autorin

Katharina Nocun, Jahrgang 1986, ist Bürgerrechtlerin, Netzaktivistin und studierte Ökonomin. Sie leitet bundesweit Kampagnen zum Thema Datenschutz, Whistleblower und Bürgerrechte, u. a. für die Bürgerrechtsbewegung Campact e.V., Mehr Demokratie e.V. und den Verbraucherzentrale Bundesverband. Katharina Nocun ist Beirat im Whistleblower-Netzwerk e.V.. Sie klagt gegen mehrere Überwachungsgesetze vor dem Bundesverfassungsgerichtund erzwang mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Bundesregierung ein neues Bundesdatenschutzgesetz. 2013 wurde sie als politische Geschäftsführerin in den Bundesvorstand der Piratenpartei Deutschland gewählt, ebenso als Mitglied in die 16. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten.Nocun ist seit 2012 regelmäßig als Expertin für Datenschutz und digitale Demokratiebewegungen Gast in zahlreichen Fernsehformaten, darunter Lanz, Illner, Maischberger und 3nach9. Sie veröffentlicht zum Thema Datenschutz regelmäßig Beiträge in zahlreichen Medien, darunterSüddeutsche Zeitung, FAZ, Die Zeit und Der Freitag.

Katharina Nocun

Die Daten, die ich rief

Wie wir unsere Freiheit an Großkonzerne verkaufen

BASTEI ENTERTAINMENT

Deutsche Erstausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Anne Büntig

Umschlaggestaltung: U1berlin/Patrizia Di Stefano

unter Verwendung einer Illustration von © Lee Woodgate/getty-images

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5585-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

»Das Argument, dass Ihnen das Recht auf Privatsphäre egal sei, weil Sie nichts zu verbergen hätten, ist nichts anderes als zu behaupten, Ihnen sei das Recht auf freie Meinungsäußerung egal, weil Sie nichts zu sagen hätten. Eine freie Presse nützt nicht nur denjenigen, die Zeitung lesen.«

Edward Snowden

Für meine Familie

Vorwort

Was Daten angeht, könnte man mich für die reinste Datenschleuder halten. Bei Twitter, Facebook und Instagram poste ich so gut wie täglich. Dinge des alltäglichen Gebrauchs kaufe ich fast nur noch online. Ohne Smartphone gehe ich selten aus dem Haus. Die Navigations-App rettet regelmäßig mein Leben. Keine Frage, ich trauere nicht der guten alten Zeit hinterher, in der man den Busfahrplan noch auswendig kennen musste.

Trotz der gewaltigen Vorteile, die mir mein vollkommen durchtechnisiertes Leben beschert, beschleicht mich immer öfter ein ungutes Gefühl. Irgendwo verstreut über diesen Globus liegen unzählige große und kleine Mosaiksteine meiner selbst. Zusammengesetzt zeichnen sie ein sehr vollständiges Bild davon, wie ich ticke. In Datenbanken auf der ganzen Welt horten Konzerne meine Gedanken und Handlungen, als wären sie eine Kapitalanlage. Doch von den Zinsen werde sicherlich nicht ich profitieren, sondern andere. Ausgerechnet die Unternehmen, die am meisten über mich wissen wollen, geben am wenigsten über sich preis. Oder wissen Sie etwa, was Google und Facebook über sie gespeichert hat? Statt einer gerechteren Wirtschaft schafft Digitalisierung so neue Gräben in unserer Gesellschaft. Und mittendrin sind wir, die gläsernen Nutzer. So wirklich fair fühlt sich diese schöne neue Welt nicht an. Ich fühle mich betrogen. Technik sollte unser Leben besser machen. Doch statt Kontrollgewinn erlebe ich immer öfter Kontrollverlust. So habe ich mir die Zukunft nicht vorgestellt.

Einst wurde uns gesagt, mit der Digitalisierung komme mehr Wettbewerb. Doch selten haben Monopolisten ihre Interessen rücksichtsloser durchgesetzt, als im digitalen Raum. Gigantische Konzerne wie Facebook, Google und Amazon teilen die Welt unter sich auf. Auf den neuen Märkten gedeihen Monopole besser als in der alten analogen Wirtschaft. Ein echter Wettbewerb findet in vielen Bereichen faktisch nicht mehr statt. Es gilt das Prinzip »The winner takes it all«. Wir Nutzer sollen informierte Entscheidungen treffen, haben aber faktisch in vielen Bereichen keine echte Wahl mehr. Die Marktführer haben das längst begriffen und zwingen uns Geschäftsbedingungen und Datenschutzübergriffe nach Gutsherrenart auf. Jede unserer Handlungen wird zwecks Gewinnmaximierung vermessen, dokumentiert und ausgewertet. Ich fühle mich verraten, verdatet und verkauft.

Diese Entwicklung kommt keineswegs überraschend, sondern folgt einer inneren Logik. Aus dem gläsernen Bürger lässt sich hervorragend Profit schlagen. Und gar zu bereitwillig schlucken wir den Köder, der unsere Freiheit vergiftet. Für Bonuspunkte im Wert von wenigen Cent verraten wir Konzernen, dass wir am liebsten »gefühlsechte« Kondome kaufen und wann wir zum Stressesser werden. Der US-Konzern Facebook weiß mehr über uns als unsere engsten Freunde. Egal ob Scheidung, Krankheit oder politische Einstellung – unsere Suchanfragen verraten Google mehr, als wir jemals einem Menschen anvertrauen würden. Konzerne wissen, wann wir uns wo zum Schäferstündchen aufhalten und wessen Selfies und intime Bilder wir abspeichern. Einige wenige Privatunternehmen sind durch das rastlose Horten unserer privaten Daten still und heimlich zu den Beichtvätern der vernetzten Welt aufgestiegen. Nur schlagen echte Seelsorger keinen Gewinn aus den ihnen anvertrauten Geheimnissen. Hier wächst eine neue Form des Kapitalismus heran, in der kein Bereich unseres Lebens mehr heilig ist vor der ökonomischen Verwertungslogik. Mir geht das zu weit.

Auch in der »alten« Wirtschaft nutzen Chefs neue Technologien, um ihre Mitarbeiter zu gängeln. Der Einzelne wird mehr und mehr zum überwachten Rädchen im Konzerngetriebe. Was bleibt, ist ein Wirtschaftssystem, das den digitalen Umbruch nutzt, um den Gewinn über die Grenze des sozial Verträglichen hinaus zu maximieren. Wir verkaufen längst nicht mehr lediglich unsere Arbeitskraft – unser gesamtes Sein wird nach ökonomisch verwertbaren Informationen durchleuchtet. Mir ist, als würde ich Schritt für Schritt vom mündigen Bürger zum willigen Datengeber degradiert. Und ich habe es so satt, darauf reduziert zu werden. Dabei macht ständige Kontrolle und Überwachung nachweislich schlichtweg krank. Diese Entwicklung kann nicht gesund sein für unsere Gesellschaft.

Das Schlimmste ist: Der Staat sieht bei alldem nicht tatenlos zu. Seit Snowden wissen wir, dass Geheimdienste kräftig daran mitarbeiten, unsere Privatsphäre auszuhöhlen. Der US-Geheimdienst NSA ist längst ein Staat im Staat. Statt zielgerichtet Verbrecher zu suchen, setzen Behörden auf der ganzen Welt heute lieber auf Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung. Grundrechte sind in einer Demokratie stets auch Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie sollen Sicherheit vor Willkür und Machtmissbrauch gewährleisten. Im Krieg gegen den Terror wurden jedoch Grundrechte und allen voran das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach und nach zum Kollateralschaden erklärt. Ausgerechnet in jenen Bereichen, die am stärksten durch die technologische Revolution beeinflusst werden, gilt unser Recht auf Privatsphäre plötzlich als weniger schützenswert. In mir reift eine bittere Erkenntnis: Meine Kinder werden in einer Welt aufwachsen, in der Geheimdienste ganz selbstverständlich Zugriff auf ihre intimsten Daten nehmen können. Doch wenn wir Bürger derart gläsern werden, wird auch die Demokratie zerbrechlich. Das macht mir schlichtweg Angst.

»Wissen ist Macht« – digitale Technologien erlauben es, Menschen stärker als bisher zu steuern und zu gängeln. Nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen haben das längst begriffen. Die neuen Kontrollsysteme kommen mancherorts noch freundlich daher. Wer sich von seiner Krankenkasse einen Fitnesstracker verpassen lässt, dem winken tolle Sonderprämien. Autofahrer, die ihre Geschwindigkeit überwachen lassen, zahlen weniger für die Kfz-Versicherung. Denkt man diese Systeme weiter, wird schnell klar, wohin die Reise geht. Es heißt, die Tarife seien freiwillig. Niemand werde gezwungen, sich für einen günstigeren Tarif durchleuchten zu lassen. Doch gerade wenn es ums Geld geht, ist die Grenze zwischen Anreiz und Zwang fließend. In den USA bietet ein Anbieter bereits Prämien an, wenn die elektronische Zahnbürste das Putzverhalten an die Zahnzusatzversicherung überträgt. Jede Abweichung von der Norm wird plötzlich sanktionierbar. Der Einzelfall verschwindet in einer großen Datenbank. Doch wie frei kann die Entscheidung für einen solchen Überwachungstarif sein, etwa in einem Land wie den USA, wo Millionen aus Geldnot ohne Krankenversicherung leben? Überwachung wird immer zunächst an denen ausprobiert, die sich nicht wehren können. Datenschutz droht in der Praxis vom Menschenrecht zum Luxusgut zu werden, das sich Milliarden schlichtweg nicht leisten können. Das ist das Gegenteil von gerecht.

Man sagt, Technik sei die Magie unserer Zeit. Doch wie den Zauberlehrling in Goethes berühmtem Gedicht beschleicht mich heute das Gefühl, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Unsere eigene Schöpfung ist uns entglitten. Sie hat sich verselbstständigt. Nur ist kein Hexenmeister in Sicht, der uns aus dem Dilemma rettet. Die Daten, die ich rief, werde ich heute nicht mehr los. Wo Internetpioniere uns einst ein Biotop aus Vielfalt versprachen, herrscht heute die Monokultur der Monopole. Es sollte uns nachdenklich stimmen, wenn Koryphäen wie Tim Berners-Lee, Erfinder des Internetprotokolls, heute vor der Datengier von Facebook & Co. warnen. Sie wissen sehr genau, warum wir Technik brauchen, die in erster Linie den Menschen und nicht den Interessen der Wirtschaft oder den Geheimdiensten dient. Sie begreifen, warum wir dem Griff von Konzernen und Staaten nach unseren privaten Daten, den Kronjuwelen unserer Persönlichkeit, Einhalt gebieten müssen. Es gibt gute Gründe, auf sie zu hören.

Ich bin froh, dass Sie dieses Buch zur Hand genommen haben. Denn worum es im Folgenden gehen soll, ist mir wirklich ein Herzensanliegen. Es geht um nichts weniger als die Frage, in was für einem Staat, in was für einer Wirtschaft wir leben wollen. Datenschutz stellt in einer vernetzten Welt eine der zentralen Machtfragen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag. Zugegeben, das Wort »Datenschutz« verströmt den Charme eines Einwohnermeldeamtes. Es klingt nach Bürokratie und eilig durchgewunkenen Geschäftsbedingungen, deren erster Absatz einen dank feinstem Juristendeutsch bereits zu Tode langweilt. Das bekomme ich bei Diskussionen häufig zu spüren. Während das ehrenamtliche Engagement für Umweltschutz von den meisten Leuten als wichtiger gesellschaftlicher Beitrag angesehen wird, leitet das Thema Datenschutz meist eine mehr oder minder turbulente Grundsatzdiskussion ein. Vielleicht kennen Sie das ja auch. Immer häufiger begegnet mir dabei die Haltung »Ich habe nichts zu verbergen« oder »Da kann man eh’ nichts machen«. Auf Datenschützer bezogen heißt das wohl: »Du verschwendest deine Zeit.« Es scheint ganz so, als würde das Schrumpfen des überwachungsfreien Raumes von vielen Menschen als Lauf der Dinge hingenommen werden, als einzig mögliche logische Folge der Digitalisierung: Mehr Technik bedeutet unweigerlich mehr Datenreichtum. Damit einher geht der schleichende Kontrollverlust, den viele erleben. Datenschützer werden dieser Logik folgend nicht selten als Technikfeinde und Fortschrittsverweigerer wahrgenommen, als die Maschinenstürmer unserer Zeit. Doch ich kann Sie beruhigen: Das Gegenteil ist der Fall.

Technikfeind – kaum eine Beschreibung wäre wohl unzutreffender für mich. Ich bin mit Computern aufgewachsen. Meine Eltern arbeiteten viele Jahre als Programmierer und Datenbankexperten. In meinem Kinderzimmer stand schon früh ein eigener Rechner. Für mich war der erste Besuch im Internet Liebe auf den ersten Blick. Ein Tor zu einer neuen aufregenden Welt war aufgestoßen worden. Technik ist für mich keine Katastrophe, kein Unglück, das über die Menschheit hereingebrochen ist, sondern in erster Linie ein Geschenk. Das Problem daran ist nur, dass wir auf dem besten Wege sind, die historische Chance der Digitalisierung grandios und ohne Not in den Sand zu setzen. Tatsächlich gibt es nicht die eine Digitalisierung, sondern viele. Wer sagt denn, dass die digitalen Dienste, die heute viele Leben bestimmen, die bestmöglichen sind? Wer sagt, dass keine andere Welt möglich ist? Indem wir Konzernen und Geheimdiensten erlauben, den Code der vernetzten Welt nach ihrer Agenda zu gestalten, lassen wir uns die Zügel aus der Hand nehmen. Es ist höchste Zeit, sie uns zurückzuholen.

»Man muss reisen, um zu lernen«, schrieb einst der Schriftsteller Mark Twain. Jede Theorie muss sich an der Praxis messen lassen. Ich will wissen, was uns die Zukunft bringt. Deshalb habe ich beschlossen, mich auf eine Reise zu begeben, um meinen ganz persönlichen Datenschatten zu erkunden. Diese Reise führt mich in einen Spa-Tempel für Freikörperkultur. Zu meinem Hausarzt. Und durch die Techno-Szene von Berlin. Ich werde meine Gesundheitsdaten erkunden, mein Klickverhalten analysieren und mich durch viele Angebote der schönen neuen Digitalwelt klicken. Dabei will ich Antworten finden: Was wird über mich gespeichert? Können diese Daten benutzt werden, um mein Verhalten zu beeinflussen? Bin ich am Ende gar nicht so frei in meinen Entscheidungen, wie ich immer dachte? Was für Technologien und Geschäftsmodelle kommen in den nächsten Jahren auf uns zu? Und wie können wir uns vor Überwachung und Manipulation durch Wirtschaft und Staat schützen?

Mit dem Herz einer Datenschützerin, der analytischen Brille einer Ökonomin und dem Nutzerverhalten eines Durchschnittsmenschen werde ich mir Klarheit verschaffen: Gilt das alte Versprechen des besseren Lebens durch Digitalisierung noch? Oder haben wir wie Goethes Zauberlehrling bereits unwiederbringlich die Kontrolle verloren? Ich freue mich sehr, dass Sie mich bei dieser Reise begleiten werden.

Vor nackte Tatsachen gestellt

So paradox es klingen mag: Die deutsche Kultur des textilfreien Saunierens ist auch ein Grund, warum ich dieses Buch schreibe.

In Berlin gibt es viele dekadente Saunen, einige stechen jedoch heraus. Vor nicht allzu langer Zeit war ich in einem dieser Entspannungstempel zu Gast. Der Eingang ist einer balinesischen Pagode nachgebildet. Im Innenraum der Saunalandschaft sind allerlei Kunstwerke aus fernen Ländern ausgestellt. Rund ein Dutzend Saunen laden dazu ein, sich den Stress aus den Poren zu schwitzen. Danach bringt ein kühler Wellness-Drink an der Bar oder der Sprung in den großen Außenpool Abkühlung. Statt in Marken-Badesachen entspannen sich die Berliner hier im Adamskostüm vor einem Palmen-Ambiente. Das ist für einige Menschen mehr als gewöhnungsbedürftig.

Aus US-amerikanischer Sicht spinnen die Deutschen, so viel steht fest. Wie können Menschen, die kein Problem damit haben, ihre intimsten Körperteile vor Wildfremden zu entblößen, sich trotzdem beklagen, wenn Facebook und Google ihre Privatsphäre verletzen? Dabei ist dieses am Sauna-Beispiel vom US-Blogger Jeff Jarvis skizzierte »German Privacy Paradox« auf vielerlei Ebenen ein Trugschluss.

Die Frage, ob jemand in der Sauna erste Cellulite-Dellen an meinem Hintern entdeckt, lässt mich persönlich kalt. Spätestens mit Ende der Pubertät nimmt die Faszination nackter Körper stark ab. Anstelle dessen tritt eine Erkenntnis: Viele Dinge, die wir an unserem eigenen Körper für schrecklich besonders halten, sind es tatsächlich überhaupt nicht. Frauen haben Brüste, Männer einen Penis. Einige sind größer. Einige sind kleiner. Ab einem bestimmten Alter macht die Erdanziehungskraft sich an einigen Körperregionen bemerkbar. Die meisten Körper sind nicht perfekt. Für manch einen Sauna-Besucher ist es tatsächlich beruhigend zu sehen, dass nicht nur er selbst nicht dem gephotoshoppten Schönheitsideal der Werbung entspricht, sondern dieses Schicksal mit der überragenden Mehrheit der Bevölkerung teilt. Daraus zu schließen, dass FKK-Fans nichts zu verbergen haben, wäre trotzdem absurd. Nacktheit mit dem höchsten Grad der Privatheit gleichzusetzen, wäre mehr als oberflächlich. Man lernt das Innerste eines Menschen schließlich nicht kennen, weil man ihn nackt sieht. Für manch einen Sauna-Besucher sind seine in die Google-Suche eingetippten Krankheitsängste viel intimer. Es macht einen Unterschied, ob man seine körperliche Hülle oder seine Gedankengänge entblößt. Und in welchem Kontext. Dass jemand in der Sauna auf meinen nackten Hintern schauen kann, beruht schließlich auf Gegenseitigkeit. Es gelten die gleichen Regeln für alle. Jeder ist nackt. Beim gefühlten Nacktheitsgrad zwischen Nutzern und Konzernen ist das anders. Facebook weiß, wann Millionen Nutzer Liebeskummer haben. Wie es um die Ehe von Unternehmensgründer Mark Zuckerberg bestellt ist, bekommt im Gegenzug keiner mitgeteilt. Facebook will meine Kontakte aus dem Adressbuch importieren, doch die Kontaktlisten seiner Lobbyisten bleiben geheim. Wenn die Schufa Informationen zu meinen Finanzdaten speichert, bekomme ich dadurch noch lange keine exklusiven Informationen über die Geschäftstätigkeiten der Kreditauskunft. Online geht es zwischen uns und Unternehmen also keineswegs zu wie in der Sauna. Es ist eher so, als würden wir regelmäßig nackt zu einem Kundengespräch antreten müssen, bei dem uns unser vollständig bekleidetes Gegenüber mit prüfendem Blick taxieren darf. Verhandlungen auf Augenhöhe sind da unmöglich.

Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Punkt. Der eine oder andere mag es bedauern, aber der nackte Anblick in der Sauna ist eine vergängliche Angelegenheit. Nur weil jemand in der Sauna nackt ist, heißt das schließlich noch lange nicht, dass er im Alltag ein Exhibitionist ist. Oder dass jemand Fotos oder Videos intimer Körperteile machen darf. Deshalb ist jede textilfreie Sauna »Privacy by Design«, Datenschutz gehört zum Konzept: Es herrscht absolutes Handy- und Fotoverbot. Für meine Nacktheit gilt die Zweckbindung des Moments. Von einer derartigen Datensparsamkeit kann man bei vielen Online-Diensten jedoch nur träumen. Private Daten können von Konzernen nicht nur gespeichert und mit anderen Daten angereichert, sondern auch an andere Unternehmen weitergegeben werden. Von Löschfristen kann man vielerorts nur träumen. Besonders bitter ist, dass viele Konzerne sogar die Informationen darüber, welche Daten sie von ihren Nutzern wie verarbeiten, wie ein Staatsgeheimnis hüten.

Für mich ist es kein Widerspruch, als Datenschützer in die textilfreie Sauna zu gehen. Das Beispiel Sauna zeigt vielmehr, warum besondere Räume besonders starke Datenschutzregeln brauchen. Menschen, die in der Sauna nackt neben mir schwitzen, tun das vor allem freiwillig. Wie frei hingegen unsere Wahl bei wichtigen Online-Diensten wie sozialen Netzwerken im Nachhinein gewesen sein mag, ist im Gegensatz dazu gar nicht so klar. Natürlich kann ich mich entscheiden, nicht bei Facebook und WhatsApp zu sein. Aber der soziale Druck ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem dann, wenn die Freunde auf alternativen Plattformen nun einmal nicht anzutreffen sind. Oder wenn man beruflich darauf angewiesen ist.

Einer Sauna mit Rundum-Überwachung würden die Kunden zu Recht fernbleiben. Um seine intimsten Körperteile nicht aus drei Blickwinkeln abfilmen lassen zu wollen, muss man nicht einmal überzeugter Datenschützer sein. Selbst so manchem Datenschutzkritiker wäre das zu viel des Guten. Mir ist das nur leider letztens widerfahren. Die Hinweisschilder zur Videoüberwachung im Umkleidebereich meiner dekadenten, textilfreien Sauna habe ich erst beim Hinausgehen bemerkt. Ich war fassungslos. Wer rechnet schließlich schon damit, in einer Umkleide Videoüberwachung ausgesetzt zu sein? Ich habe kein Problem damit, als Datenschützerin nackt in die Sauna zu gehen. Aber wenn man im Nachhinein erfährt, dass man ungewollt aus drei Blickwinkeln nackt abgefilmt worden ist, fühlt sich das sehr schäbig an. Man fühlt sich ausgeliefert. Und irgendwie auch hilflos. Es ist der ultimative Kontrollverlust. Nachdem ich das Erlebte erst einmal habe sacken lassen, ließ mich der Gedanke um diesen Vorfall nicht mehr los. Sind wir schon so tief gesunken, dass wir uns das gefallen lassen? Und so merkwürdig es für so manchen US-Amerikaner anmuten mag, dass eine Deutsche, die kein Problem hat, nackt in der Sauna zu sitzen, sich wegen Videoüberwachung in der Umkleide beschwert: Ich habe es trotzdem getan.

Ein erstes Telefongespräch mit dem Sauna-Betreiber verlief wenig erfreulich. Selbstverständlich beteuerte man, die Aufnahmen würden nach wenigen Stunden gelöscht und nur abgerufen, wenn es zu einer Straftat gekommen sei. Die Frage, ob bei einem einfachen Handtaschendiebstahl dann ein Haufen Polizisten sich Nacktbilder von mir ansehen dürfe, musste der Mann am Telefon dann trotzdem mit »Ja« beantworten. Wie viele Mitarbeiter Zugriff auf die Aufnahmen haben und ob es Kontrollen gibt, damit sich niemand die Filme als Abendunterhaltung kopieren kann, fragte ich dann gar nicht mehr. Denn bereits nach meinem Hinweis, dass es schwerlich mit dem Jugendschutzrecht vereinbar sei, sogar Minderjährige nackt abzufilmen, wurde mein Gegenüber recht ungehalten. Der Sauna-Betreiber erklärte mir, die Überwachung sei nun einmal wegen der großen Zahl aufgebrochener Schließfächer notwendig. Auf meine Nachfrage hin, wie viele Einbrüche es in der Filiale denn vor Einbau der Kameras gegeben hätte, wurde er jedoch einsilbig. Das könne man gar nicht so genau sagen, sagte er. Schließlich seien die Kameras vom ersten Tag an da gewesen.

Das Gespräch ließ mich ratlos und auch schockiert zurück. Dann fasste ich einen Entschluss. Ich beschloss, wegen der Videoüberwachung in den Umkleiden, Beschwerde bei der Datenschutzbeauftragten von Berlin einzureichen. Nachdem eine Berliner Zeitung meine Beschwerde aufgegriffen und darüber berichtet hat, sprechen mich viele Freunde auf den Fall an. Schnell zeigt sich: Ich war nicht das einzige Opfer unfreiwilliger Überwachung. Auch sie waren in den letzten Monaten bei der Sauna zu Gast gewesen. Nicht nur die Frauen zeigten sich schockiert darüber, unwissentlich nackt abgefilmt worden zu sein. Den Männern war es ebenfalls sichtlich unangenehm. Es beruhigte mich zu hören, dass ich mit meiner Empörung nicht allein war. Wir alle haben etwas zu verbergen, man nennt es Privatsphäre.

Der Fall ließ mich nicht mehr los. Wenn wir die Grenze für Überwachung nicht an einer Sauna-Umkleide ziehen, schoss es mir durch den Kopf, gibt es offensichtlich keine Grenzen mehr. Sind wir schon so weit, dass der Wunsch, nicht nackt abgefilmt zu werden, als sonderbar und querulantisch wahrgenommen wird? Wird Vandalismus auf öffentlichen Toiletten demnächst ähnlich bekämpft? Werden meine Kinder sich gar eines Tages in videoüberwachten Schulumkleiden umziehen müssen? Mit meinem Verständnis von Anstand und Privatheit wäre all das unvereinbar. Doch ich kann nicht leugnen, dass der Fall symptomatisch ist für eine erschreckende Entwicklung. Nicht nur in der Sauna-Umkleide werden wir heutzutage ganz selbstverständlich überwacht. Dort rechnen wir nur eben am wenigsten damit.

Es gibt einen guten Grund, warum der Sauna-Betreiber mit Unverständnis auf meine Empörung reagierte: Überwacht zu werden gehört inzwischen zum Alltag. Je mehr digitale Dienste Einzug in unser Leben nehmen, desto mehr werden wir gläsern, wie es scheint. Unsere Privatsphäre wirkt zerbrechlicher als jemals zuvor. Aber wir haben uns daran gewöhnt. Schleichend werden wir unseres Menschenrechts auf Privatsphäre beraubt. Das gilt nicht nur für die analoge Welt. Denn ehrlich gesagt werde ich jeden Tag online stärker durchleuchtet als bei meinem Sauna-Besuch. Wie gesagt: Die Verletzung der Privat- und Intimsphäre muss nichts mit Nacktheit zu tun haben. Auf Schritt und Klick wird unser Verhalten erfasst und ausgewertet. Digital und analog. Mein Sauna-Erlebnis ist vor diesem Hintergrund nur die Spitze des Eisberges. Für mich war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ohne es zu merken, habe ich zugelassen, dass ein Unternehmen Nacktaufnahmen von mir gemacht hat. Für mich bedeutet das, es ist höchste Zeit sich zu fragen: Gibt es da noch mehr, das ich wissen müsste?

1. Kapitel: Mein Datenschatten

Ich kann es nicht leiden, wenn fremde Menschen mich berühren. Die Anzahl der Personen und Situationen, bei denen mir das nichts ausmacht, ist überschaubar. Große Ansammlungen und ritualisierte Gesten gehen gerade noch. Beiläufige Berührungen lassen sich ausblenden. Aber wenn aufdringliche Gesprächspartner mir gezielt auf die Schulter klopfen oder gar die Hand tätscheln, bin ich schnell auf 180. Innerlich fängt dann bei mir eine Uhr an zu ticken. Irgendwann kann ich nicht mehr an mich halten. »Können Sie bitte Ihre Hand da wegnehmen, ich mag es nicht, wenn man mich ungefragt anfasst«, beendet sehr zuverlässig jeden Small Talk. Je nach Situation kommt mir das nicht ungelegen.

So empfindlich ich in Bezug auf Fremde bin, so sehr bin ich im Alltag wie die meisten anderen Menschen: Ich könnte nicht sagen, wie oft ich meinen Lebensgefährten anfasse. Oder eine gute Freundin. Bei meinem engsten Begleiter weiß ich es jetzt: 64 Mal entsperre ich im Schnitt pro Tag mein Smartphone. Fast zwei Stunden verbringe ich täglich damit, aufs Display zu starren. Hochgerechnet tippe ich pro Jahr 23.360 Mal meine PIN ein, und das Display meines ramponierten Touchscreens spiegelt sich 730 Stunden lang auf meiner Retina – was ohne Schlafpausen gut ein Monat wäre. Sollte ich mir Sorgen machen?

Das Bild, welches angesichts solcher Zahlen vor Ihrem inneren Auge entstehen mag, stelle ich mir wenig verlockend vor. Mir kommt dabei die Ausstellung des Künstlers Eric Pickersgill mit dem Titel »Removed« (zu Deutsch »Entfernt«) in den Sinn. Auf seinen Fotos sind stets Paare abgebildet. Nur scheinbar starren sie auf einen Gegenstand in ihrer Hand. Erst bei genauerem Hinschauen wird klar: Die Handflächen sind leer. Unser Gehirn – spezialisiert darauf Muster zu vervollständigen – weiß sofort, worauf das Kunstwerk anspielt. Es geht um Menschen, die zwar physisch gemeinsam Zeit verbringen, deren Aufmerksamkeit aber ganz dem Smartphone gilt. Auf mich trifft dieses Bild allerdings gar nicht zu. Demonstrativ am Smartphone herumzuspielen, während man Zeit mit einem anderen Menschen verbringt, empfinde ich als unhöflich. Deshalb habe ich es mir, so gut es geht, abgewöhnt. Mein Telefon ist meist auf stumm geschaltet. Wie kommt es also, dass ich trotzdem ein Zwölftel des Jahres mit meinem Smartphone beschäftigt bin?

Einen Tag lang habe ich mir über die Schulter geschaut, um herauszufinden, wie diese Zahlen zustande kommen. Das Ergebnis ist gähnender Alltag und Gewöhnlichkeit. Statt mit sperrigen Stadtplänen herumzuhantieren, lasse ich mich per App durch neues Terrain navigieren. Beim Ladenschluss-Endspurt zum Supermarkt begleitet mich Musik im Ohr. Statt meine Sitznachbarn in der S-Bahn beim Umblättern meiner Zeitung ins Visier zu nehmen, lese ich per App. Zugverspätungen und Alternativrouten entnehme ich nicht der chronisch unzuverlässigen Durchsage am Bahnsteig, sondern dem Smartphone. Zwischendurch sende ich Nachrichten an Familie und Freunde. Checke meine Arbeitsmails auch im Urlaub, obwohl Lifestyle-Magazine schreiben, das sei falsch. Der Nachrichtensprecher liest seit Neuestem Tweets von Donald Trump vor, also warum nicht gleich selbst bei Twitter nachschauen, was den US-Präsidenten heute wieder aufregt? Die Zeit vor dem Touchscreen scheint zwischen den Fingern zu zerrinnen. Verschwendet ist sie deshalb trotzdem nicht.

Auch wenn man mit dem Alter ohne Zweifel vergesslicher wird, »digital dement« fühle ich mich nicht. Ganz im Gegenteil – das Smartphone ist das Schweizer Taschenmesser der heutigen Zeit: Eine gewaltige Landkarte der ganzen Welt, die mir sogar den kürzesten Fahrradweg von Berlin bis nach Teheran weist. Ein wundersamer Walkman, der alle Songs abspielen kann, die jemals komponiert wurden. Ein magisches Buch, das aktuellere Nachrichten bietet, als alle Zeitungsläden dieser Republik. Von außen sieht es aus, als würde ich auf einen Bildschirm starren – aber vielleicht lese ich auch Dostojewski oder die »FAZ«. Wir Smartphone-Nutzer befinden uns in guter Gesellschaft: Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nachgesagt, mit unter der Regierungsbank verschickten Textnachrichten die Geschicke ihrer Fraktion zu lenken.

In unserem Kopf haben diverse Apps bereits ihren festen Platz. Beim Denken läuft ein Browser mit. Die Eigenschaft, Werkzeuge als Kompensation für unsere körperlichen Unzulänglichkeiten zu entwickeln, war schon immer essenziell für das Überleben des Menschen. Mit der Fähigkeit, Gedanken und Geschehnisse aufzuschreiben, haben wir die Möglichkeiten unseres sterblichen und unvollkommenen Gehirns erweitert. Der Buchdruck hat dazu geführt, dass Wissen verfügbarer wurde. Mit dem Computer haben wir nun auch unseren Arbeitsspeicher, unsere Gehirn-Rechenkapazität, entgrenzt. Aber das Internet ist mehr noch als das externe, ausgelagerte Gehirn der Menschheit. Erstmals in unserer Geschichte haben wir einen globalen Dorfplatz geschaffen, auf dem wir in Echtzeit miteinander kommunizieren können. Zumindest in der Theorie.

Neue Technologien verändern die Art und Weise, wie wir leben, kommunizieren und arbeiten. Früher war es der Oberschicht vorbehalten, einen persönlichen Assistenten zu haben. Heute tragen die meisten von uns einen in der Hosentasche. Fragt man Abgeordnete, was die wichtigsten Eigenschaften eines persönlichen Referenten sind, antworten die meisten: »Loyalität« und »Vertrauen«. Smartphones und Computer sind weit mehr als ein persönlicher Mitarbeiter. Sie sind unsere ständigen Begleiter, die uns auch außerhalb des Büros nicht verlassen. Unsere Geräte und damit verbundene Dienste wissen nicht nur, wann wir uns mit wem treffen und wo wir uns aufhalten. Wir alle vertrauen unseren technischen Assistenten sehr intime Geheimnisse an. Auf Festplatten und Speicherchips liegen auch Momentaufnahmen unserer Gefühle und Gedanken gespeichert.

Die Frage, wie die mit diesen Hilfsmitteln gesammelten Daten verarbeitet werden, ist daher keineswegs trivial. Vor allem die Frage, wer darauf Zugriff hat, sollte uns nicht gleichgültig sein. Tatsächlich sind einige wenige große Konzerne heute nicht selten besser über unseren Gemütszustand informiert als unser bester Freund. Überwacht zu werden, das ist heute der Normalzustand. Gäbe es einen Geigerzähler, um zu messen, wie sehr wir bereits die Kontrolle über unsere Daten verloren haben, er würde bei den meisten von uns ausschlagen.

Mit meiner Abneigung gegenüber Berührungen fremder Menschen bin ich nicht allein. Nach unseren sozialen Konventionen gilt es als respektlos und aufdringlich, jemandem körperlich zu nahe zu kommen. Es wäre unverschämt, ja illegal, wenn ein Café-Betreiber die Gespräche seiner Besucher aufzeichnen oder zu Werbezwecken auswerten würde. Ungeachtet dessen ist übergriffiges Verhalten im digitalen Raum für zahlreiche Konzerne Teil des Geschäftsmodells.

Viele Menschen fragen sich: Was wissen Facebook, Twitter, Google und Amazon über mich? Was lässt sich aus dem Datenprofil meines Bonus-Programms und meines Fitness-Trackers ablesen? Dürfen Arbeitgeber und Staat mich überwachen? Und was für Auswirkungen haben Datensammlungen für mich ganz konkret, auch wenn ich »nichts zu verbergen« habe? Um das herauszufinden, wage ich den Test am eigenen Leib. Ich will herausfinden, wer eigentlich Macht über meine Daten, über mein Leben hat. Die Dienste, die Millionen Menschen täglich nutzen, sind ein guter Startpunkt dafür.

Für eine Handvoll Bonus-Punkte

Kennen Sie beim Verlassen eines Cafés auch diesen kurzen panischen Griff an die Hosen- oder Jackentasche, um zu prüfen, ob das Handy an seinem Platz ist? Ertasten die Finger nicht die vertrauten Konturen, beginnt in Windeseile der schreckliche Gedanke des Kontrollverlusts an einem zu nagen. Ist es verloren? Wie lange ist das letzte Back-up her? In einem Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlt, ziehen all die schönen Daten am inneren Auge vorbei. Kontaktlisten, Bilder der letzten Urlaubsreisen und die quälende Gewissheit, dies mit keinem Geld der Welt ersetzen zu können. Es ist, als würde ein Teil von uns abhandengekommen sein.

Ein ähnliches Gefühl hatte ich zu meiner Studienzeit, als mein Mitbewohner beim Versuch den neuen Herd anzuschließen, alle Sicherungen im Haus rausgehauen hat. Mein Laptop war noch am Netz und fuhr daraufhin nicht mehr hoch. Auf der Festplatte war eine fertige Hausarbeit, die ich in zwei Tagen abgeben musste. Und unzählige Fotos, Nachrichten und Kontaktlisten. Ich hatte Glück im Unglück, mein Mitbewohner war Informatiker. Zerknirscht über den Unfall trommelte er kurzerhand seine Kollegen zusammen, um meine Hausarbeit zu retten. Die Rettungsmission war von Erfolg gekrönt. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, Sicherungskopien zu machen.

Im Angesicht des totalen Datenverlusts wären die meisten von uns sicherlich bereit, eine ganze Stange Geld auf den Tisch zu legen, um die eigenen Daten zu retten. Mittlerweile gibt es sogar Schadsoftware, die sich dies zunutze macht und wie ein Daten-Geiselnehmer vorgeht. Diese neue Art von Virus wird »Ransomware« genannt. Einmal auf dem infizierten Rechner installiert, verschlüsselt der Virus die Festplatte. Nutzer werden per Bildschirm aufgefordert, einen bestimmten Betrag zu überweisen, um den Code für die Entschlüsselung zu bekommen. Sonst sind die Daten unwiederbringlich verloren. Es ist eine Lizenz zum Gelddrucken. Im Mai 2017 infizierte eine solche Ransomware namens »WannaCry« innerhalb von wenigen Stunden IT-Systeme mit alten Windows-Installationen auf der ganzen Welt. Selbst britische Krankenhäuser und die Deutsche Bahn haben sich diesen Virus eingefangen. Ransomware macht es sich zunutze, dass uns unsere Daten keineswegs gleichgültig sind. Sie haben einen großen Wert für uns. Manch ein Opfer würde womöglich bereit sein, noch mehr zu zahlen, wenn die Drohung stattdessen lauten würde: »Sonst veröffentlichen wir deine privaten Daten im Internet.«

Wie viel Wert wir den eigenen Daten zuschreiben, hängt vom Kontext ab. Wer für einen Dienst zahlt, ist nicht der Kunde, sondern das Produkt, das verkauft wird. Die Kunden von Facebook sind nicht wir, sondern Werbetreibende, die für das Platzieren maßgeschneiderter Werbung bezahlen. Beim genauen Hinsehen nutzen wir kostenlose Dienste wie Facebook oder Google keineswegs ohne Gegenleistung. Wir zahlen mit unseren Daten und dem Zugang zu unserer Aufmerksamkeit. Wir zahlen damit, dass Plattformen uns auswerten und manipulieren dürfen. Doch weil wir keinen exklusiven Zugang zu unseren Daten abgeben, sondern meist nur das Recht zur Verwertung beiläufig produzierter Nutzungsdaten abtreten, tut es uns nicht weh. Doch ist das ein fairer Deal? Wenn Unternehmensvertreter versuchen würden, uns auf der Fußgängerzone mit Geschenken zu ködern, wären wir sofort misstrauisch. Wir wüssten: Da muss es einen Haken geben! Im Internet schlägt unser Instinkt für windige Angebote jedoch oft nicht an.

Beim Geschäftsmodell »Dienst gegen Daten« geht es keineswegs darum, mit ein wenig Werbung die Kosten für den Betrieb zu decken. Facebook und Google sind keine gemeinnützigen Vereine, sondern Aktiengesellschaften. Sie erzielen Gewinnmargen, von denen die klassische Industrie nur träumen kann. Sie beherrschen den Markt. Es ist ein Milliardengeschäft. Und es wächst beständig. Aus unseren Daten lässt sich Kapital schlagen. Das geht sogar so weit, dass bei Unternehmens-Übernahmen Datenbestände von Nutzern als eigenständige Kapitalform eingepreist werden. Neben den Internet-Giganten gibt es eine wachsende Gruppe von Unternehmen, die sich auf das Sammeln, Auswerten und Handeln von Nutzerdaten spezialisiert haben. Das Geschäftsmodell ist nicht neu. Aber durch die Digitalisierung ist es mit einem Schlag möglich geworden, Nutzungsdaten in bisher ungeahnten Dimensionen zu horten. Für den aus unseren alltäglichen Handlungen abgeschöpften Datenbeifang entstehen zugleich unzählige neue Verwertungsmöglichkeiten.

Nicht wenige Nutzer halten dieses Modell trotzdem für einen fairen Handel. Schließlich bekommen sie so Zugriff auf Dienste, die das Leben erleichtern. Das gilt nicht nur für die digitale Welt. Millionen Menschen nehmen Vergünstigungen durch Bonus-Programme dankend an. Manche sagen jedoch, wir verkaufen uns unter Wert. Wieder andere sagen, wir verkaufen gar unsere Würde. Ich will wissen, ob das stimmt. Ist das, was wir bekommen ein fairer Preis für das, was wir geben? Um mehr über den Wert meiner Einkaufsdaten zu erfahren, begebe ich mich auf eine Reise. Ich setze mich auf mein Fahrrad. Und fahre zur nächsten Edeka-Filiale.

»Sammeln Sie Punkte?« Jeder kennt diese Frage an der Kasse. Mit 20 Millionen Teilnehmern ist die »DeutschlandCard« eine der am meisten verbreiteten Bonus-Karten in der Bundesrepublik Deutschland. Einige Tage vor meiner Einkaufstour habe ich mir eine Karte online bestellt. An der Kasse habe ich sie gezückt und Punkte für meinen Einkauf eingesammelt. Ich bekomme danach Rabatt-Gutscheine für eine Fernsehzeitung ausgehändigt, deren Zielgruppe meist ältere Damen sind. Ich frage mich, ob das an den Produkten liegt, die ich gekauft habe.

Wenige Tage später wähle ich mich in mein Kundenprofil auf der Webseite ein und schaue, was es mir gebracht hat. Für einen Umsatz von 53,67 Euro habe ich 26 Punkte gutgeschrieben bekommen, also einen Punkt für circa zwei Euro. Hat sich das gelohnt? Ich klicke mich durch die Webseite, um zu schauen, was ich dafür bekommen könnte. Für 899 Punkte könnte ich im Prämien-Shop beispielsweise ein Kürbis-Kochbuch erstehen. Eine kurze Online-Recherche zeigt, das Buch kostet im Handel 8,99 Euro. Ein Punkt ist in diesem Fall genau einen Cent wert. Ich habe also durch die Mitgliedschaft beim Bonus-System in meinem Fall gerade einmal 26 Cent Rabatt bekommen. Das ist nicht viel.

Ich stelle eine Anfrage beim Unternehmen, um herauszufinden, was für Daten durch meinen Einkauf mit meinem Namen verknüpft wurden. Diese Daten werden den Kunden des Bonus-Programms nicht online zur Verfügung gestellt, also muss ich mich etwas gedulden. Einige Wochen später erhalte ich Post. Es ist dort festgehalten, dass ich am 22. September 2017 um 18:16 Uhr im Edeka »Herrmann« in Berlin-Charlottenburg einkaufen war. Auf der Liste meines Einkaufs stehen unter anderem folgende Waren: laktosefreier Joghurt, Brillenputztücher, Zahnpasta für Raucher, Shampoo, Vitamintabletten für die Augen und Haare, Damenbinden gegen Inkontinenz, ein Jägermeister, alkoholfreies Bier, Katzenfutter, Süßungsmittel, koffeinfreier Kaffee, Hackfleisch, Eier, Salat aus der Plastiktüte, Beruhigungstee, eine Zeitschrift und eine Mausefalle.

Selbstverständlich brauche ich keine Damenbinden gegen Inkontinenz. Seitdem ich nicht mehr auf dem Land wohne, habe ich auch keine Verwendung mehr für Mausefallen. Ich habe einfach wahllos Gegenstände in den Einkaufswagen gelegt. Doch stellen wir uns für einen Moment vor, dieser Warenkorb würde einer realen Person gehören. Was für Informationen hätte dieser Mensch mit diesem Einkauf für den Gegenwert eines 26-Cent-Gutscheins für ein Kürbis-Kochbuch von sich preisgegeben? Ich schicke die Liste an eine befreundete Psychologin und bitte sie, mit ein wenig Fantasie ein Profil dieser fiktiven Person zu erstellen. Einige Wochen später bekomme ich einen längeren Text als Antwort. Sie erklärt vorab, es sei schwierig, anhand eines einzigen Einkaufsdatums ein Profil zu erstellen. Vieles ist Spekulation. Leichter wäre es, wenn sie Daten aus einem längeren Zeitraum hätte. Trotzdem wären die Produkte doch aufschlussreich genug, um einen Versuch zu wagen, sich dieser imaginären Person zu nähern. Ich beginne gespannt zu lesen.

Die Katzen-Lady

Produkte wie Tena Lady, Tampons oder Haar-Vital-Kapseln deuten auf eine weibliche Zielperson im Alter zwischen 40 und 50 hin. Dafür sprechen auch die Ergebnisse einiger Studien, nach denen Frauen deutlich mehr Nahrungsergänzungsmittel verwenden. Es wirkt, als würde es sich um eine alleinstehende Person handeln. Das Katzenfutter weist auf eine Katze im Haushalt hin. Studien zeigen, dass Personen mit Katze introvertierter und empfindsamer sind als der Durchschnitt.

Es scheint, als könnte die Person nicht gut mit Geld umgehen oder aber als hätte sie es nicht nötig, auf Ausgaben zu achten. Was sofort auffällt, ist, dass die Person zwar insgesamt ungewöhnlich viel Geld für einzelne Produkte ausgibt, viele Nahrungsmittel aber eher dem Niedrigpreissegment zuzuordnen sind. Wir finden dort billigen Kaffee, das preiswerteste Hackfleisch und die Eier aus der Massentierhaltung, die das eigene Gewissen kaum beruhigen. Daneben finden sich allerdings einige teurere Produkte, die einen Hinweis darauf geben können, was der Einkäuferin besonders wichtig ist. Die Katze beispielsweise bekommt mit Sheba das Beste des Besten. Auch der Schnaps darf nicht billig sein. Das teure Raucherzahnweiß soll die Vergilbung der Zähne aufhalten. Darüber hinaus hat die Person vermutlich mit Inkontinenz, Stress und eventuell psychosomatischen Magenproblemen und Schlafstörungen zu kämpfen. Diese werden mit Hausmitteln wie Einschlaf-Tee angegangen. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob der Alkohol ebenfalls zur Bekämpfung von Problemen genutzt wird.

Außer dem Tütensalat enthält der Warenkorb keine frischen Produkte. Die Person scheint ungesund zu leben, versucht aber durch gezielte Käufe, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen. Der koffeinfreie Kaffee, Tütensalat oder das natürliche Süßungsmittel Stevia können als Versuch verstanden werden, den ungesunden Lebenswandel zu kompensieren. Die Mausefalle lässt eher darauf schließen, dass es sich um eine wenig gepflegte Wohnung bzw. Person handelt. Insgesamt haben wir es hier vermutlich mit einer psychisch zumindest labilen Person zu tun, die einsam ist. Kompensiert werden die Probleme durch Alkohol, die fehlende menschliche Nähe durch die Katze und den Kauf von gesundheitsfördernden Produkten.

Um mehr Gewinn mit dieser Person machen zu können, sollte die psychische Labilität genutzt werden. Die innere Zerrissenheit der Kundin sollte aufrechterhalten werden. Aus Selbstzweifeln in Bezug auf Gesundheit und Aussehen lässt sich bei Frauen besonders gut Profit schlagen. Dazu könnten beispielsweise Newsletter zugesendet werden mit Angeboten wie Jägermeister im Doppelpack und Produkten, die Gesundheit und Glück versprechen.

Ein Persönlichkeitsprofil anhand eines einzelnen Einkaufs zu erstellen, ist natürlich nur Gedankenspielerei. Wer weder unter Inkontinenz leidet, noch Produkte gegen Haarausfall kauft, mag sich zudem denken, er hätte nichts zu verbergen. Doch wer seine Bonus-Karte regelmäßig an der Kasse zückt, dessen Leben wird schnell nachvollziehbar. Im Kundenprofil reihen sich dann viele Momentaufnahmen aneinander und zeichnen das Bild eines ganzen Lebens nach. Zum einen lassen sich natürlich durch die Ernährungsgewohnheiten Informationen darüber ableiten, wer einen gesunden Lebensstil pflegt. Ob jemand immer wieder an seiner Diät scheitert oder Nahrungsergänzungsmittel gegen bestimmte Leiden einkauft, ist bei regelmäßigem Einsatz von Bonus-Karten klar und deutlich ablesbar. Es wundert nicht, dass Nutzer, die durch den Einsatz der DeutschlandCard erfassten und gespeicherten Details nicht in ihr Kundenprofil einsehen können. Manch einem Kunden würde der Anblick seiner Konsumgeschichte wahrscheinlich einen Schrecken einjagen.

Veränderungen im Einkaufverhalten können auch ohne unser Wissen Hinweise auf sehr einschneidende Ereignisse im Leben eines Menschen geben. Wie das geht, zeigt folgendes Beispiel aus den USA: Eines Tages wurde bei einem US-Supermarkt der Kette Target vor den Toren von Minneapolis ein Mann vorstellig und verlangte wütend, den Manager zu sprechen. Seine Tochter habe von Target Werbung mit Rabatt-Coupons für Schwangerschaftskleidung bekommen, dabei besuche sie noch die High-School. »Wollen Sie sie dazu ermutigen, schwanger zu werden?«, konfrontierte er den Manager. Dieser wusste zunächst nicht, wie ihm geschah. Der Manager entschuldigte sich bei dem Mann und rief sogar einige Tage später bei ihm an, um sich erneut zu entschuldigen. Am Telefon klang der wütende Besucher da jedoch plötzlich sehr zerknirscht und kleinlaut. »Ich habe mit meiner Tochter gesprochen«, sagte er. »Und es stellte sich heraus, dass hier im Haus Dinge geschehen, von denen ich keine Ahnung habe. Sie erwartet im August ein Kind. Und ich schulde Ihnen eine Entschuldigung.« Das arme Mädchen hätte sich sicherlich gewünscht, dass ihr Vater die Nachricht über den Familienzuwachs nicht durch Rabatt-Coupons erfährt.

Die US-Supermarktkette Target hat schon vor Jahren ein Verfahren entwickelt, mit dem man anhand von 25 Produkten vorhersagen können soll, ob eine Kundin schwanger ist. Es gibt einen statistischen Zusammenhang zwischen einer Schwangerschaft und dem Einkauf bestimmter Gegenstände wie beispielsweise unparfümierten Pflegeprodukten, Nahrungsergänzungsmitteln, großen Mengen von Wattepads und einer Tasche, die groß genug ist, um darin Baby-Zubehör zu verstauen. Im Einzelfall liegt die Analyse mit Sicherheit auch einmal daneben. Doch in der Masse scheint die Rechnung derart gut aufzugehen, dass die Werbeabteilung gezügelt werden musste. Damit sich Kundenbeschwerden, wie eingangs geschildert, nicht wiederholen, geht das Unternehmen heute dezenter vor. Die Rabatt-Gutscheine für Baby-Zubehör werden unter Coupons für Weingläser und andere Produkte gemischt. Die Auswahl soll dadurch zufällig wirken. Welcher Kunde will schon das Gefühl haben, überwacht zu werden?

Das Beispiel Target verdeutlicht einen wichtigen Aspekt von Datensammlungen. Große Datensätze erlauben es, mittels Statistik feinste Hinweise in unserem Konsumverhalten aufzuspüren. Für Unternehmen sind Investitionen in Analysetechnologien zum Einkaufverhalten lukrativ. Denn gerade große Veränderungen in unserem Leben sind extrem wichtig für unsere Kaufgewohnheiten. Wenn ein Supermarkt es schafft, werdende Mütter an sich zu binden, werden diese mit höherer Wahrscheinlichkeit in den Monaten nach der Geburt zurückkehren, um dort Windeln zu kaufen und bei der Gelegenheit weitere Besorgungen zu machen.

Als die Geschichte über die werdende Mutter publik wurde, war Target wenig erfreut. Wie viele andere Unternehmen ist auch Target wenig daran interessiert, seinen Kunden mitzuteilen, welche Analysen mit ihren Datensätzen angestellt werden. Und in welche Schubladen man Kunden ohne ihr Wissen einordnet. Auch bei meiner Datenabfrage erfahre ich nicht, ob mein Kundenprofil bereits einer Kategorie zugeordnet wurde, wie etwa »alleinstehende Frau« oder »Stress-Symptome«. Wir wissen nicht, welche Analysen in Zukunft oder bereits heute mit unseren Einkaufsdaten gemacht werden.

Im Testwarenkorb meines Bonus-Einkaufs lagen auch unscheinbare Produkte wie Hackfleisch und Eier. Diese habe ich ganz bewusst eingekauft. In Europa gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Skandale um Verunreinigungen in Eiern, die erst viel zu spät aufgedeckt wurden. Ein Lebensmittelskandal kann aus einem harmlosen Einkaufsdatum eine ganz andere Information machen: Welche Familie mit hoher Wahrscheinlichkeit in den letzten Wochen mit dem Gift Dioxin belastete Eier verzehrt hat. Wer eingewilligt hat, dass die Daten einer Bonus-Karte auch an Werbepartner weitergegeben oder gar weiterverkauft werden können, wird es schwer haben, diese Daten anschließend wieder aus der Welt zu schaffen. Es wäre naiv anzunehmen, dass solche Informationen nur zu unserem Wohle eingesetzt werden.

Einkaufsdatensätze können verraten, ob ein Kunde ein Produkt für seine Familie in den Einkaufswagen gelegt hat, welches sich später als Gesundheitsrisiko herausstellt. Heute sind in der EU