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Katharina Nocun

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Beschreibung

Im Alltag passiert es erstaunlich oft, dass wir mit Verschwörungserzählungen konfrontiert werden. Ob mit einem Freund in der Kneipe, der über die zu erwartende "Impfpflicht" referiert, ein Kollege, der davon überzeugt ist, dass uns die "Lügenpresse" manipuliert oder der Bruder, der die "Pharmalobby" für alle Erkrankungen verantwortlich macht. Wieso ist es so schwer, in einem solchen Moment einzugreifen? Und wie kann es uns gelingen diese Aussagen als Verschwörungserzählungen zu entlarven? Mit Tipps und Strategien unserer Expertinnen gelingt dies nun mühelos.

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Seitenzahl: 192

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinnenTitelImpressumWidmungEinleitungDie Psychologie des VerschwörungsglaubensEine Impfung gegen Verschwörungserzählungen?Verschollen im digitalen KaninchenbauWie man Argumente gut zur Geltung bringtWenn inhaltliches Diskutieren nichts mehr bringtWie sage ich es? Tipps zur GesprächsführungAlle irre? Psychische Erkrankungen und VerschwörungsglaubeDigitale ZivilcourageVerschwörungsideologien als Gefahr für die GesellschaftNachwortQuellen- und Literaturverzeichnis

Über dieses Buch

Im Alltag passiert es erstaunlich oft, dass wir mit Verschwörungserzählungen konfrontiert werden. Ob mit einem Freund in der Kneipe, der über die zu erwartende »Impfpflicht« referiert, ein Kollege, der davon überzeugt ist, dass uns die »Lügenpresse« manipuliert oder der Bruder, der die »Pharmalobby« für alle Erkrankungen verantwortlich macht. Wieso ist es so schwer, in einem solchen Moment einzugreifen? Und wie kann es uns gelingen diese Aussagen als Verschwörungserzählungen zu entlarven? Mit Tipps und Strategien unserer Expertinnen gelingt dies nun mühelos.

Über die Autorinnen

Katharina Nocun ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin. Sie leitet bundesweit politische Kampagnen, u. a. für die Bürgerbewegung Campact e.V., Mehr Demokratie e.V. und den Verbraucherzentrale Bundesverband. Ihr erstes Buch »Die Daten, die ich rief« wurde in zahlreichen namhaften Medien aufgegriffen (HANDELSBLATT, SPIEGEL-Online, Zeit-Online, Focus).

Pia Lamberty ist Psychologin und Expertin im Bereich Verschwörungsideologien. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Darüber hinaus ist sie Mitglied im internationalen Fachnetzwerk »Comparative Analysis of Conspiracy Theories«. Interviews und Berichte über ihre Forschung sind in zahlreichen nationalen und internationalen Medien erschienen (u. a. Tagesschau, Report München, BILD, SWR, WDR, FOCUS, SonntagsZeitung, Vice).

KATHARINA NOCUNPIA LAMBERTY

WAS GEGENVERSCHWÖRUNGSERZÄHLUNGENWIRKLICH HILFT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Angela Kuepper, München

Illustrationen Innenteil: © Nicole Funke

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-1571-3

quadriga.de

luebbe.de

lesejury.de

Unseren Familien

Einleitung

Wahrscheinlich haben Sie aus gutem Grund zu diesem Buch gegriffen. Vielleicht waren Sie in den letzten Monaten im Alltag plötzlich mit Situationen konfrontiert, in denen Menschen sehr drastische Verschwörungserzählungen verbreitet haben. Oder aber Sie haben jemanden in Ihrem Freundeskreis oder in der Familie, um den Sie sich Sorgen machen, weil er oder sie sich immer mehr in etwas verrennt. Vielleicht sind Sie auch beunruhigt, weil der Glaube daran, dass hinter allem ein großer Plan steckt, Auswirkungen darauf hat, wie wir als Gesellschaft über politische Fragen diskutieren und ob wir noch in der Lage sind, gute Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Denn sowohl als Gesellschaft als auch im Privaten ist es schwer, zueinanderzufinden, wenn Verschwörungsideologen Angst verbreiten und Hass schüren.

Wenn Sie aber erwarten, dass dieses Buch Ihnen ein Wundermittel an die Hand gibt, dann müssen wir Sie leider enttäuschen. Es gibt keinen simplen Zehn-Punkte-Plan, wie man Verschwörungsgläubige schnell und unkompliziert aus dem Kaninchenbau ihres geschlossenen Weltbilds herausholen kann. Es gibt keine Impfung, die verhindert, dass derartige Thesen in Teilen der Gesellschaft auf offene Ohren stoßen. Was es aber gibt, sind Erkenntnisse aus Wissenschaft und Beratungspraxis, die dabei helfen können, einen besseren Umgang damit zu finden. Und genau das erwartet Sie auf den folgenden Seiten.

Eine Warnung vorab: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft, ist in jedem Fall anders. Selten ist es einfach, häufig kompliziert und äußerst mühsam. Und manchmal wird man auch schlichtweg aufgeben müssen. Wir sind allerdings überzeugt davon, dass es zunächst wichtig ist zu verstehen, was den Reiz solcher Narrative ausmacht. Denn nur wer durchschaut, an welche psychologischen Grundbedürfnisse Verschwörungserzählungen beim anderen anknüpfen, kann auch effektive Gegenstrategien entwickeln. Wer die gängigsten Maschen von Verschwörungsideologen kennt, ist nicht nur besser für Diskussionen gewappnet, sondern kann auch sich selbst wirkungsvoller davor schützen, auf Argumentationstricks reinzufallen. Wer weiß, wie man seine Argumente gut zur Geltung bringt und welche Gesprächsstrategien von Vorteil sind, wird es auch bei schwierigen Diskussionen deutlich einfacher haben. Allerdings ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass sogar die besten Argumente womöglich nicht gegen die festen Mauern eines in sich geschlossenen Weltbilds ankommen werden. Die obsessive Beschäftigung mit einem angeblichen geheimen Plan kann selbst die engsten zwischenmenschlichen Beziehungen vor eine Zerreißprobe stellen. Deshalb haben wir auch mit Beratungsstellen gesprochen, die Familien in solchen Situationen zur Seite stehen und Hilfestellungen geben, was zu tun ist, wenn Gespräche regelmäßig eskalieren.

Vielleicht haben Sie auch viele Fragen: Wie kann ich Grenzen setzen, wenn das Thema plötzlich den Alltag dominiert? Ist es vertretbar, sich manchmal aus Selbstschutz zurückzuziehen? Und was soll man tun, wenn einen die Sorge um die psychische Gesundheit einer geliebten Person umtreibt? Wir können nicht versprechen, all diese Fragen abschließend zu beantworten. Denn – und das haben Sie vielleicht ja auch schon gemerkt – jeder Fall ist anders. Hinter jedem Menschen, der an Verschwörungserzählungen glaubt, steht eine eigene Geschichte. Viele dieser Geschichten werden Sie auch in diesem Buch finden. Von Menschen, die enge Angehörige nicht wiedererkennen. Von Familien, die daran zu zerbrechen drohen. Aber auch Geschichten der Hoffnung, die von all denen handeln, die das Feld eben nicht denjenigen überlassen wollen, die Angst, Hass und Zwietracht säen. Von Angehörigen, die sich entschlossen haben, nicht wegzusehen, wenn ein Familienmitglied ihnen zu entgleiten droht. Von Einzelpersonen und Initiativen, die sich gegen Hass zur Wehr setzen. Und von Menschen, die schließlich doch hinausgefunden haben aus dem Kaninchenbau des Verschwörungsglaubens. Denn auch wenn der Weg manchmal steinig ist – es gibt Hoffnung.

Die Psychologie des Verschwörungsglaubens

Es ist ein wunderschöner Sommertag irgendwo in Deutschland. Nach einer längeren Wanderung erreichen wir einen Kaffeestand und möchten uns ein wenig stärken. Der Mitarbeiter, Martin, freut sich sichtlich, endlich mal wieder einen Menschen zu Gesicht zu bekommen, denn trotz des guten Wetters ist wenig los. Es ist ihm anzumerken, dass er sich hier etwas einsam fühlt. Man kommt ins Gespräch, und innerhalb kürzester Zeit fängt er an, von seinem Leben zu erzählen. Martin berichtet von einem abgeschlossenen Studium, von daran anschließender Arbeitslosigkeit und dass er deswegen jetzt an diesem Kaffeestand arbeitet. Er schildert die Krankheit seines Vaters, die ihn schwer gezeichnet hat. Wir lauschen interessiert und nicken verständnisvoll, sind gleichzeitig aber auch ein wenig verwirrt von seinen offenherzigen Ausführungen. Martin ist sehr aufgeschlossen, wirkt jedoch irgendwie fahrig, es ist schwer, ihm zu folgen.

Unvermittelt wechselt er das Thema, und plötzlich geht es darum, dass die Pandemie eigentlich eine groß angelegte Verschwörung sei. »Die da oben« hätten sich das seiner Meinung nach alles nur ausgedacht, um die Bevölkerung zu belügen. Impfungen sind für ihn reines Gift. Er hätte deshalb auch schon Vorräte angelegt, teilt er uns mit vielsagendem Blick mit. Man wisse schließlich nie, sagt er. Dann springt er gedanklich weiter und redet plötzlich von Atombunkern, die angeblich der Bevölkerung verschwiegen würden und sich unter dem Berliner Flughafen BER und dem Stuttgarter Bahnhof befänden. Im Internet werde diskutiert, ob diese Bunker nicht als riesiges Tunnelsystem fungieren sollten, um eine »Neue Weltordnung« zu errichten. Denn, und da ist Martin sich sicher, die Apokalypse steht kurz bevor. Zunehmend redet er sich in Rage, und wir haben keine Chance, irgendwo einzuhaken. Er wirkt auf uns wie ein Prediger. Aber einer, dem es eigentlich egal ist, was wir von seinen Verkündigungen halten. Es geht ihm vor allem darum, seine Geschichte, seine eigene Wahrheit zu erzählen. Ob wir hier stehen und ihm glauben oder nicht – es scheint fast so, als wäre das nicht wichtig für ihn.

Viele Menschen kennen spätestens seit Ausbruch der Pandemie solche Situationen: Am Bahnsteig, in der eigenen Familie oder im Büro ist man mit Leuten konfrontiert, die Verschwörungserzählungen verbreiten. Dabei kommt unweigerlich die Frage auf: Warum glauben Menschen an solche offensichtlich kruden Thesen? Vorab: In der Psychologie wird bei einem verschwörungsideologischen Weltbild auch von der sogenannten Verschwörungsmentalität gesprochen. Dieser Begriff beschreibt die individuelle Tendenz, die Welt als Ort voller Verschwörungen wahrzunehmen. Neben dieser generellen Veranlagung, die bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, gibt es aber auch noch Situationen oder äußere Faktoren, die den Glauben an Verschwörungen begünstigen können. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Menschen Dinge nicht ohne Grund glauben oder tun. Dieser Grund muss sich einem nicht unmittelbar erschließen oder für gut befunden werden – es gibt ihn aber meistens trotzdem. Um eine Entscheidung treffen zu können, wie man mit Situationen umgehen soll, in denen Verschwörungserzählungen von Freunden oder Angehörigen verbreitet werden, ist es erst einmal wichtig zu verstehen: Was passiert da eigentlich? In der Psychologie wird davon ausgegangen, dass der Glaube an Verschwörungen drei grundlegende Bedürfnisse befriedigen kann:

Existenzielle Motive haben mit dem Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle zu tun.Epistemische Motive hängen damit zusammen, dass Menschen die Welt um sich herum verstehen möchten.Soziale Motive beziehen sich darauf, dass Menschen als Person oder Gruppe positiv wahrgenommen werden wollen.

Betrachten wir zunächst die existenziellen Motive. Forschungsarbeiten konnten zeigen, dass Menschen grundsätzlich das Bedürfnis haben, Kontrolle über eine Situation auszuüben. Je mehr Kontrolle ein Mensch über sein Leben ausüben kann, desto zufriedener, gesünder und stressfreier ist er im Durchschnitt. Wenn das Bedürfnis nach Kontrolle allerdings nicht ausreichend befriedigt wird, äußert sich das oft in Form von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Das klingt alles vielleicht erst einmal sehr abstrakt, hat aber tatsächlich viel mit dem eigenen Alltag zu tun. Wer schon mal in einem Aufzug stecken geblieben ist und sich nicht selbst befreien konnte, wird verstehen, welchen Stress nicht nur die Enge in einem auslöst, sondern auch die Tatsache, dass man keine Kontrolle über die Situation hat. Ein anderes Beispiel wäre, wenn man dringend pünktlich am Bahnhof sein muss, um seinen Zug zu erwischen, aber der Bus nicht kommt. Abwechselnd starrt man auf die Uhr und wieder auf die Straße und geht innerlich schon die Konsequenzen der drohenden Verspätung durch. Wie man es auch dreht und wendet, in der Situation hat man keinen Einfluss darauf, ob der Bus im Stau stecken bleibt oder zu viele Leute an anderen Haltestellen zusteigen. Derartige Erlebnisse lösen Stress aus, und all diese Beispiele machen deutlich: Ungewissheit zu bekämpfen und die Kontrolle über eine Situation zu behalten ist eines der grundlegenden und wesentlichen Bedürfnisse im menschlichen Leben.

Was passiert aber nun, wenn dieses Bedürfnis gestört wird? Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Menschen in solchen Situationen versuchen, Kontrolle mithilfe psychologischer Mechanismen wiederherzustellen. Das kann etwa bedeuten, dass sie anfangen Muster zu sehen, wo keine sind. In der Psychologie nennt sich das illusorische Mustererkennung. Hierbei werden Dinge miteinander verbunden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Viele Menschen glauben etwa, dass sie eine bessere Chance haben, bei einem Münzwurf richtig zu tippen, wenn ihr Tipp – also beispielsweise »Zahl« – in den vorherigen Runden länger nicht geworfen wurde. Mathematisch ist das allerdings Nonsens, denn die Wahrscheinlichkeit für einen zukünftigen Treffer steht in keinerlei Zusammenhang mit der Information, ob das Ergebnis der vorherigen Runde »Kopf« oder »Zahl« lautete. Warum neigen wir in solchen Situationen trotzdem dazu, einen Zusammenhang zu konstruieren? Die Verbindung von zufälligen Punkten zu Mustern ermöglicht es Menschen, auf emotionaler Ebene besser mit einer unsicheren Zukunft umzugehen. Und genau dieses Phänomen begegnet uns auch beim Glauben an übernatürliche Phänomene und Verschwörungserzählungen: Alles hängt vermeintlich mit allem zusammen.

Neben den existenziellen Motiven spielen auch epistemische Motive eine Rolle. In einer Studie der Psychologen Jan‐Willem van Prooijen, Karen Douglas und Clara de Inocencio wurde untersucht, wie der Glaube an Verschwörungen ganz konkret mit der Sicht auf die Welt zusammenhängt. Die Versuchsteilnehmer sollten Gemälde der modernen Kunst bewerten, die sehr chaotisch waren und keinerlei Muster enthielten. Ihnen wurde vorab mitgeteilt, dass die Bilder alle vom selben Künstler stammten und dass dieser für seine zufälligen Pinselstriche und unregelmäßigen Figuren bekannt sei. Die Probanden wurden dann gebeten, die Kunstwerke dahingehend zu bewerten, ob sie trotzdem Muster im Bild erkennen würden. Das Ergebnis: Je stärker der Verschwörungsglaube, desto eher wurden auch Muster in den chaotischen Bildern wahrgenommen.

Ein gutes Beispiel für die Verbindung von losen Punkten zu Mustern durch Anhänger von Verschwörungserzählungen ist das »Megaritual 2011«. Im April 2011 wurde ein Video im Internet veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass ein Atombombenanschlag auf das Berliner Olympiastadion geplant sei. Sogar ein konkreter Termin wurde genannt: Die Katastrophe sollte sich am 26. Juni 2011 ereignen. Woher der Ersteller des Videos das wusste? Belege für die angebliche Verschwörung gab es aus seiner Sicht überall: Leonard Cohen sang schließlich in einem seiner Lieder »First we take Manhattan, then we take Berlin«. Die Logik dahinter: Cohen kündigte angeblich in seinem Song erst den Angriff auf die Twin Towers am 11. September 2001 an, daher müsste das nächste Terrorziel eindeutig Berlin sein. Ein weiterer Hinweis stammt aus dem Actionthriller Unknown Identity aus dem Jahr 2011. Die Seitenzahlen und markierten Zahlen 11/2 + 1 + 5 + 2 + 1 + 4 + 6 + 5 / 6, die im Film an verschiedenen Stellen auftauchen, ergeben laut dem Videourheber 11/26/6 – und schon weiß man, wann der Terroranschlag stattfinden soll. Nimmt man dazu noch ein Konzert der Band Scooter mit dem Titel Stadium Techno Inferno, einen Fernsehkrimi über einen Terroranschlag auf das Olympiastadion in Berlin und Fernsehwerbung für die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Deutschland, dann wusste manch einer ganz klar, was angeblich an diesem Tag in Berlin passieren sollte. Innerhalb des Verschwörungsmilieus finden sich immer wieder Beispiele dafür, dass zusammenhanglose Informationen aus dem Kontext gerissen und zu angeblich wasserdichten Beweisen für finstere Machenschaften vermengt werden. Aber warum tun Menschen so etwas? Verschwörungsgläubige versuchen durch derartige Mechanismen das subjektive Gefühl der Vorhersagbarkeit zu erhöhen und so einen tieferen Sinn innerhalb von Situationen zu erkennen, die auf den ersten Blick chaotisch erscheinen und sie vielleicht auch verunsichern oder überfordern.

Es gibt aber auch soziale Motive, die erklären, warum Menschen an Verschwörungen glauben. Wer sich schon einmal mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird feststellen, dass Verschwörungsgläubige selten verunsichert wirken, sondern vielmehr oft sehr lautstark ihre Form der Wahrheit verkündigen. Das macht auch die eingangs geschilderte Geschichte des von einer drohenden Apokalypse überzeugten Kaffeeverkäufers deutlich. Obwohl er wahrscheinlich durch seine Arbeitslosigkeit und die schwere Krankheit seines Vaters einen massiven Kontrollverlust erlebt hatte, wirkte er keineswegs zurückhaltend darin, seine Überzeugungen zu verbreiten. Das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Grund, warum Verschwörungserzählungen auf einige Menschen eine derartige Anziehungskraft entfalten: Sie können sich dadurch besonders fühlen. Sich von der Masse abheben zu wollen ist erst einmal ein grundlegender Aspekt der menschlichen Existenz. Menschen mit einem besonders starken Bedürfnis nach Einzigartigkeit können allerdings besonders anfällig für Verschwörungserzählungen sein – ein Befund, den verschiedene Studien untermauern konnten. Im Rahmen eines Experiments haben die Wissenschaftler Roland Imhoff und Pia Lamberty gezeigt, dass Menschen mit stark ausgeprägter Verschwörungsmentalität insbesondere dann an eine ihnen präsentierte Verschwörungserzählung glaubten, wenn ihnen mitgeteilt wurde, dass nur eine kleine Gruppe davon überzeugt sei. Wenn die Information allerdings lautete, der Großteil der Gesellschaft teile die jeweilige Auffassung, war die Geschichte für sie plötzlich nicht mehr so attraktiv. Die Ergebnisse dieses Experiments machen eines sehr deutlich: Beim Verschwörungsglauben geht es oft weniger darum, dass Anhänger Fakten nicht kennen oder Zusammenhänge nicht verstehen. Vielmehr ist es so, dass Anhänger durchaus auch für sich etwas Positives aus ihrer jeweiligen Überzeugung ziehen können. Der Glaube daran, als einer der wenigen »Auserwählten« geheimen Machenschaften auf der Spur zu sein, kann eine große Anziehungskraft entfalten. Schließlich ist es eine Art Heldengeschichte, die man sich selbst und vielleicht auch anderen erzählen kann. Eine Geschichte, die manchmal eine Flucht aus dem tristen Alltag ermöglicht, in dem man nur allzu oft das Gefühl von Hilflosigkeit und Bedeutungslosigkeit vermittelt bekommen hat. Vielleicht hat das auch bei der Entscheidung des Kaffeeverkäufers, sich Verschwörungserzählungen zuzuwenden, eine Rolle gespielt – wer weiß.

Psychologische Studien haben zudem gezeigt, dass Menschen mit starkem Narzissmus Verschwörungen stärker anhängen. Narzissten glauben von sich selbst, grandios zu sein. Gleichzeitig haben sie aber das Gefühl, dass diese Großartigkeit von anderen nicht genug wertgeschätzt wird. Beim kollektiven Narzissmus beziehen sich diese Gefühle auf die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt – das kann das eigene Land, der Sportverein oder eben die verschwörungsideologisch geprägte Protestgruppe sein. Menschen, die einen ausgeprägten kollektiven Narzissmus aufweisen, sind der Überzeugung, ihre Gruppe sei außergewöhnlich, Außenstehende würden dies aber nicht ausreichend anerkennen. Da heißt es dann etwa, die eigene Gruppe hätte in Sachen Pandemie mehr Durchblick als alle etablierten Wissenschaftler zusammen. Aus so einer Sicht heraus ärgert es Anhänger natürlich, wenn sie das Gefühl haben, von »den Medien« nicht richtig gehört zu werden. Ein solcher kollektiver Narzissmus birgt gesellschaftliche Gefahren, weil er nicht nur mit einer übersteigerten Wahrnehmung der eigenen Gruppe einhergeht, sondern auch mit Vorurteilen und Vergeltungsaggressionen gegenüber den scheinbaren Feinden. Man hat das Gefühl, die eigene Gruppe sei einer ständigen Bedrohung ausgesetzt, und der Rest der Gesellschaft wird schnell als bösartig angesehen.

All diese geschilderten psychologischen Zusammenhänge machen deutlich, dass der Glaube an Verschwörungen oft weniger mit den vermeintlichen Verschwörern als vielmehr mit dem eigenen Selbst des Verschwörungsgläubigen zu tun hat. Eine wissenschaftliche Theorie geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: Menschen, die überall Verschwörungen wittern, tun das auch, weil sie von sich auf andere schließen. Denn wenn sie die Möglichkeit hätten, an einer Verschwörung teilzunehmen, würden sie derartige Pläne eher selbst umsetzen wollen. Es geht hierbei also auch um Projektion – man schließt von sich auf andere. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud ging davon aus, dass Projektion als eine Art Abwehrmechanismus fungieren kann, bei dem unerfüllte Wünsche und Motivationen verleugnet werden, indem man sie einfach anderen zuschreibt. Moderne Ansätze sagen, dass Projektion Menschen dabei helfen kann, der eigenen Welt einen Sinn zu verleihen, wenn zuverlässige Informationen fehlen. Gemäß dieser Theorie nutzen Menschen also derartige Mechanismen, um zu verstehen, was andere getan haben könnten. Daraus folgt ein fataler Fehlschluss: Aus »Ich würde das so machen« wird dann »So müssen die da oben es getan haben«. Verschwörungsgläubige dürften also eher davon ausgehen, dass AIDS absichtlich von der Regierung geschaffen wurde, wenn sie selbst bereit dazu wären, solch eine Verschwörung anzuzetteln. Eine Studienreihe der Psychologen Karen Douglas und Robbie M. Sutton konnte die Existenz derartiger Zusammenhänge belegen: Menschen, die im Rahmen einer Studie angaben, sie hätten eher den Befehl zum Terroranschlag auf das World Trade Center gegeben – vorausgesetzt, sie wären in einer solchen Machtposition gewesen –, glaubten auch eher, dass es sich bei 9/11 um eine groß angelegte Verschwörung gehandelt habe.

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass Verschwörungsgläubige die Einzigen sind, die an falsche oder krude Dinge glauben. Jeder Mensch war sicherlich schon einmal felsenfest von etwas überzeugt, das sich später als vollkommen falsch herausgestellt hat. Viele Dinge, die wir als Kind aufgeschnappt haben, begleiten uns oft bis ins Erwachsenenalter. »Hör auf zu schielen, sonst bleiben die Augen so stehen!«, »Wenn du vor dem Schwimmen viel isst, kannst du ertrinken!«, »Verschluckte Kaugummis bleiben für immer in deinem Körper!« Manch einer hinterfragt derartige elterliche Wahrheiten erst dann, wenn er selbst Kinder hat, und stellt nach einer kurzen Recherche überrascht fest: »Das, was ich all die Jahre geglaubt habe, ist eigentlich vollkommen abwegig.« Oft passiert es auch, dass wir uns auf Daumenregeln und Vereinfachungen verlassen, weil wir gerade entweder nicht die Zeit oder den Nerv dafür haben, viel Energie in eine Entscheidung zu stecken. Die psychologische Forschung ist in den letzten Jahrzehnten auf unzählige kognitive Verzerrungen gestoßen, die für systematische Fehler beim Erinnern, Denken und Handeln verantwortlich sind – uns aber paradoxerweise trotzdem häufig dabei helfen, den Alltag zu bewerkstelligen. Wir haben schließlich nicht immer die Zeit, stets alle Informationen sorgfältig abzuwägen, und müssen uns daher auf mentale Abkürzungen verlassen. Menschen halten selbst gebaute Sachen beispielsweise für wertvoller als gekaufte Produkte (IKEA-Effekt) und denken, dass Aussagen, die sie vorher schon einmal gehört haben, glaubhafter sind als neue Informationen (Scheinwahrheitseffekt). Wir neigen dazu, von bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte zu schließen (Halo-Effekt). Wir interpretieren Informationen so, dass sie unsere Erwartungen erfüllen (Bestätigungsfehler), und halten uns selbst gleichzeitig für vollkommen unbeeinflusst (Verzerrungsblindheit). Kognitionsverzerrungen lassen sich in unterschiedlichen Ausprägungen bei allen Menschen messen. Sie spielen nicht nur bei Verschwörungsgläubigen eine Rolle.

Oft heißt es, mangelnde Bildung sei die Ursache für den Glauben an Verschwörungserzählungen. Schaut man sich aber die Datenlage hierzu an, sind Zweifel angebracht, ob es tatsächlich so einfach ist. Studien konnten zwar einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Bildungsgrad und dem Glauben an Verschwörungserzählungen feststellen. Allerdings ist es möglich, dass der Faktor des gefühlten Kontrollverlusts hierbei eine größere Rolle spielt. Menschen mit einem niedrigeren Schulabschluss laufen in unserer Gesellschaft eher Gefahr, in Jobs zu landen, die von Fremdbestimmung und niedrigerem Einkommen geprägt sind. Deshalb kann pauschal mehr Schulbildung an der Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen höchstwahrscheinlich – wenn überhaupt – nur indirekt etwas ändern. Wissenschaftler von der University of Minnesota und der Colorado State University konnten in einer Studie sogar zeigen, dass der Glaube an unterschiedliche Verschwörungserzählungen, etwa zum Thema Klimaerwärmung oder über eine angebliche Fälschung des Geburtszertifikats von Barack Obama, bei politisch konservativ gelagerten Testpersonen mit höherem Bildungsgrad teilweise sogar stärker ausgeprägt war. Dieser Prozess lässt sich auch als »motiviertes Denken« beschreiben. Es fällt uns eben besonders leicht, an Verschwörungserzählungen zu glauben, die uns in Feindbildern und Vorurteilen bestärken, welche in unserem Weltbild bereits fest verankert sind. Das erklärt, warum konservative Menschen mit höherem Bildungsgrad im Rahmen des Versuchs angaben, selbst sehr drastische Mythen über einen prominenten Politiker des konkurrierenden politischen Lagers für wahr zu halten.

Beim Verschwörungsglauben ist also nicht das Hauptproblem, dass Dinge verzerrt wahrgenommen werden oder die betreffenden Menschen eine zu geringe Bildung haben. Die größte Gefahr bei Verschwörungserzählungen ist vielmehr, dass so Fehlwahrnehmungen und Feindbilder geschaffen werden, die ernsthafte Konsequenzen haben können – sowohl für andere als auch für den Verschwörungsgläubigen selbst. Verschiedene Studien konnten beispielsweise zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Verschwörungsmentalität und gesteigertem Misstrauen gegenüber medizinischen Ansätzen besteht. Je stärker die Ausprägung der individuellen Verschwörungsmentalität, desto eher halten Menschen sogenannte alternative Verfahren wie etwa Schüßlersalze, Homöopathie oder Reiki (Handauflegen) für sinnvoll und umso weniger vertrauen sie Impfungen und Antibiotika. Gerade bei Gesundheitsthemen ist das Umfeld von Verschwörungsgläubigen verständlicherweise oft in großer Sorge, wenn etwa behauptet wird, bei einer Krebserkrankung sollte man aufgrund einer großen Medizin-Verschwörung nicht zum Arzt gehen oder Chemotherapie sei rundweg abzulehnen. Häufig stoßen Beratungsstellen im Gespräch mit besorgten Angehörigen dabei auf einen vorherigen Bezug des Verschwörungsgläubigen zu sogenannter alternativer Heilkunde, auf spirituelle Glaubenssätze oder die Suche nach einem tieferen Sinn im Leben. Für Sabine Riede, Leiterin der Beratungsstelle Sekten-Info Nordrhein-Westfalen, kommen diese Zusammenhänge nicht von ungefähr: »Esoteriker glauben an unsichtbare Mächte, die unsere sichtbare Welt beeinflussen. Sie denken, man könne durch Bewusstseinsarbeit Einfluss auf diese höhere Ebene nehmen und damit unsere sichtbare Welt verändern. Das ist bei Verschwörungsideologien ähnlich, nur dass man hier an innerweltliche Akteure glaubt, an eine geheimnisvolle Elite, die im Hintergrund die Fäden zieht. Immer ist da etwas Geheimnisvolles. Der große Unterschied ist: Esoteriker glauben an eine transzendente Macht, während Verschwörungsgläubige denken, dass die geheimnisvollen Drahtzieher hier auf Erden sind.«

Wenn nahe Angehörige oder Freunde mehr und mehr in drastische Verschwörungserzählungen abtauchen, versteht das Umfeld oft die Welt nicht mehr und verspürt erhebliche Sorge. Wie groß die Gefahren sind, die ein solcher Glaube insbesondere inmitten einer globalen Pandemie nach sich ziehen kann, zeigt sich eben nicht nur in wissenschaftlichen Studien, sondern auch in ganz konkreten Geschichten und Schicksalen.