Fake Facts - Katharina Nocun - E-Book
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Fake Facts E-Book

Katharina Nocun

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Beschreibung

Verschwörungstheorien verbreiten sich im Netz wie Lauffeuer und sind schon lange kein Randphänomen mehr. Katharina Nocun und Pia Lamberty beschreiben, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen. Welche Rolle spielen neue Medien in diesem Prozess? Wie schnell wird jeder von uns zu einem Verschwörungstheoretiker? Und wie können wir verdrehte Fakten aufdecken und uns vor Meinungsmache schützen?

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinnenTitelImpressumWidmungKapitel 1: Psychologische Grundlagen von VerschwörungsdenkenKapitel 2: Faktencheck: Der Glaube an VerschwörungserzählungenKapitel 3: »Haben die alle den Verstand verloren?« – Warum Verschwörungsgläubige uns ähnlicher sind, als wir denkenKapitel 4: Verschwörungsglaube und Politik: Von der Wahlverschwörung bis zur »Lügenpresse«Kapitel 5: Wenn Klimamythen die Zukunft der Welt bedrohenKapitel 6: Freimaurer, Illuminaten und Spionageadler: Warum Juden und Israel so oft im Fokus stehenKapitel 7: Flache Erde und Echsenmenschen auf YouTube & Co. – Spaßfaktor oder Radikalisierungsbeschleuniger?Kapitel 8: Zwischen Holocaust-Leugnung, Weltuntergangsfantasien und Größenwahn: Verschwörungsideologien in der extremen RechtenKapitel 9: Impfgegner, Krebsmythen und die Aids-Verschwörung – Verschwörungsdenken im GesundheitsbereichKapitel 10: Im Einklang mit der Natur: Esoterik als Motor für VerschwörungserzählungenKapitel 11: Wir sind die Guten? Verschwörungsmythen in linken KreisenKapitel 12: Cui bono? Geldmaschinerie VerschwörungsglaubeKapitel 13: »Corona? Eine Erfindung der Pharmaindustrie!« – Verschwörungsglaube im AusnahmezustandKapitel 14: Papa glaubt an Chemtrails? Tipps und Strategien zum Umgang mit VerschwörungsgläubigenFazitDankQuellenverzeichnis

Über dieses Buch

EINFACHE WAHRHEITEN FÜR EINE KOMPLIZIERTE WELT

Corona ist eine Erfindung der Pharmaindustrie! Menschen, die daran erkranken, müssen so für ihre Sünden büßen! Oder: Der Virus wurde in chinesischen Geheimlaboren gezüchtet!

Verschwörungstheorien verbreiten sich im Netz wie Lauffeuer und sind schon lange kein Randphänomen mehr. Katharina Nocun und Pia Lamberty beschreiben, wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen.

Welche Rolle spielen neue Medien in diesem Prozess? Wie schnell wird jeder von uns zu einem Verschwörungstheoretiker? Und wie können wir verdrehte Fakten aufdecken und uns vor Meinungsmache schützen?

Über die Autorinnen

KATHARINA NOCUN

Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin, Netzaktivistin und studierte Ökonomin. Sie leitet bundesweit politische Kampagnen, u. a. für die Bürgerbewegung Campact e. V., Mehr Demokratie e. V. und den Verbraucherzentrale Bundesverband. Ihr erstes Buch »Die Daten, die ich rief« wurde in zahlreichen namhaften Medien aufgegriffen (HANDELSBLATT, SPIEGEL-Online, Zeit-Online, Focus)

PIA LAMBERTY

Pia Lamberty ist Psychologin und Expertin im Bereich Verschwörungsideologien. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Darüber hinaus ist sie Mitglied im internationalen Fachnetzwerk »Comparative Analysis of Conspiracy Theories«. Interviews und Berichte über ihre Forschung sind in zahlreichen nationalen und internationalen Medien erschienen (u. a. Tagesschau, Report München, BILD, SWR, WDR, FOCUS, SonntagsZeitung, Vice).

KATHARINA NOCUNPIA LAMBERTY

WIEVERSCHWÖRUNGSTHEORIENUNSER DENKENBESTIMMEN

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Angela Kuepper, München

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8651-6

www.quadriga.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Unseren Familien

Kapitel 1: Psychologische Grundlagen von Verschwörungsdenken

Haben Sie schon Pläne für den diesjährigen Jahresurlaub? Soll es vielleicht etwas Besonderes sein statt der üblichen Standardziele Sylt, Spanien oder Rom? Wie wäre es mit einer Kreuzfahrt? Sieben Tage, zu den spektakulärsten Zielen auf diesem Planeten – mit Sauna, Wellnessprogramm und großartigem Essen. Sogar für Vegetarier und Veganer geeignet. Inklusive Workshops und Seminare, Freizeitangebot und Kinderprogramm. Und das für schlappe 3.000 US-Dollar! Pro Person, versteht sich.

Was das mit Verschwörungserzählungen zu tun hat? In diesem Fall eine ganze Menge: Wir sprechen von der ConspiraSea – einer Kreuzfahrt speziell für Menschen, die die Mondlandung für eine Lüge halten oder glauben, dass die Welt von Reptilienmenschen beherrscht wird. Der Veranstalter Divine Travels verspricht den Reisenden ein »unvergessliches, überwältigendes spirituelles Erlebnis«, bei dem Verschwörungsideologen alles über den Klimawandel, HIV, die Weltbank, Korruption, die Star-Wars-Agenda oder die Fukushima-Katastrophe lernen können. Kombiniert wird das Ganze mit Yoga, ökologisch einwandfreiem Essen und UFO-Beobachtungen. Ziel der Reise ist es, die eigene »Macht von korrupten und gierigen Institutionen zurückzuerobern, wahre Selbstautorität zu erlangen und das wahre Selbst hinter den Masken zu erkennen«. Sieben Tage, an denen knapp 3.000 Menschen sich ausschließlich damit beschäftigen, wo die Regierung sie belogen hat und welche geheimen Machenschaften die Pharmaindustrie verbirgt. Sieben Tage, nach denen die knapp 3.000 Teilnehmer noch mehr davon überzeugt sein werden, dass Impfungen zu Autismus führen. Und das in Zeiten, in denen die WHO Impfgegner als globale Bedrohung bezeichnet und die Zahl der Masernerkrankungen weltweit um 30 Prozent gestiegen ist. Sieben Tage, in denen ebendiese Menschen sich in ihrer Meinung radikalisieren und ihr verschwörungsideologisches Weltbild festigen werden.1

Das alles klingt erst einmal ganz schön verrückt. Wer ist schon bereit, 3.000 US-Dollar zu berappen, um sich anzuhören, wer Sex mit Aliens hatte oder warum Wassermoleküle den Namen Hitler nicht mögen? Wenn man diese Dinge hört, fragt man sich unweigerlich, wer an Verschwörungserzählungen glaubt. Was sind das für Menschen? Hängt diese Tendenz mit mangelnder Bildung zusammen? Sind Aluhutträger allesamt paranoid? Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Verbreitung von Flache-Erde-Idee & Co.? Diesen Fragen und noch viel mehr wollen wir in diesem Buch nachgehen.

Allerdings müssen wir warnen: Auch in Bezug auf Verschwörungserzählungen kursieren viele Fake News beziehungsweise Fehlmeinungen. Menschen behaupten, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen zugenommen habe. Und dass das alles nur an den sozialen Medien liege – ohne dies belegen zu können. Oft heißt es, dass Verschwörungsideologen wahlweise dumm, paranoid oder einfach wahnsinnig seien. Wir sind davon überzeugt: Wer sich kritisch mit Verschwörungserzählungen, Fake News oder sogenannten alternativen Fakten auseinandersetzt, sollte seine Meinung auf eine wissenschaftlich fundierte Grundlage stellen. Tatsächlich gibt es mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Studien, die sich mit dem Phänomen Verschwörungsglauben beschäftigen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben allerdings bisher kaum Eingang in die öffentliche Debatte gefunden. Aus diesem Grund eröffnen wir dieses Buch mit einem Kapitel, in dem die wichtigsten psychologischen Hintergründe zu dem Thema anhand neuester Forschungsergebnisse vorgestellt und genauer beleuchtet werden.

Wir glauben, dass es wichtig ist, das eigene Weltbild mit der gleichen Sorgfalt zu prüfen, wie man es von anderen verlangt. Daher starten wir mit ein wenig Selbstreflexion. Mithilfe eines kurzen Tests können Sie herausfinden, wie es um Ihre eigene Verschwörungsmentalität bestellt ist.

Wie ist es um Ihre persönliche Verschwörungsmentalität bestellt?

An dieser Stelle können Sie sich einen Überblick darüber verschaffen, wie es um Ihre ganz persönliche Tendenz, an Verschwörungen zu glauben, bestellt ist. Bewerten Sie dazu die folgenden Aussagen. Anschließend geht es dann weiter zur Auswertung.

Aussage 1: Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch geheim ausgeheckte Verschwörungen bestimmt wird.

Stimme überhaupt nicht zu (1 Punkt)
Stimme nicht zu (2 Punkte)
Stimme teilweise nicht zu (3 Punkte)
Teils, teils (4 Punkte)
Stimme teilweise zu (5 Punkte)
Stimme zu (6 Punkte)
Stimme voll und ganz zu (7 Punkte)

Aussage 2: Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Stimme überhaupt nicht zu (1 Punkt)
Stimme nicht zu (2 Punkte)
Stimme teilweise nicht zu (3 Punkte)
Teils, teils (4 Punkte)
Stimme teilweise zu (5 Punkte)
Stimme zu (6 Punkte)
Stimme voll und ganz zu (7 Punkte)

Aussage 3: Die verschiedenen in den Medien zirkulierenden Verschwörungserzählungen halte ich für ausgemachten Blödsinn.

Stimme überhaupt nicht zu (7 Punkte)
Stimme nicht zu (6 Punkte)
Stimme teilweise nicht zu (5 Punkte)
Teils, teils (4 Punkte)
Stimme teilweise zu (3 Punkte)
Stimme zu (2 Punkte)
Stimme voll und ganz zu (1 Punkt)

Aussage 4: Es gibt keinen vernünftigen Grund, Regierungen, Geheimdiensten oder Medien zu misstrauen.

Stimme überhaupt nicht zu (7 Punkte)
Stimme nicht zu (6 Punkte)
Stimme teilweise nicht zu (5 Punkte)
Teils, teils (4 Punkte)
Stimme teilweise zu (3 Punkte)
Stimme zu (2 Punkte)
Stimme voll und ganz zu (1 Punkt)

Aussage 5: Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte.

Stimme überhaupt nicht zu (1 Punkt)
Stimme nicht zu (2 Punkte)
Stimme teilweise nicht zu (3 Punkte)
Teils, teils (4 Punkte)
Stimme teilweise zu (5 Punkte)
Stimme zu (6 Punkte)
Stimme voll und ganz zu (7 Punkte)

Auswertung

Die Verschwörungsmentalität, also die generelle Tendenz, an Verschwörungserzählungen zu glauben, wurde ausgiebig in der psychologischen Forschung untersucht. Das erste Mal wurde sie 1987 von dem Psychologen Serge Moscovici beschrieben2 und dann im Jahr 2014 von den Psychologen Roland Imhoff und Martin Bruder für die Forschung anwendbar gemacht.3 Die Aussagen (oder Items, wie man in der Psychologie sagt), die Sie hier bewertet haben, wurden beispielsweise in repräsentativen Studien wie den Leipziger Mitte-Studien eingesetzt, die die Verbreitung von Vorurteilen in der deutschen Bevölkerung erfragen. Sie wurden extra für Befragungen in der deutschen Bevölkerung entwickelt und werden auch genauso für Umfragen verwendet. An dieser Stelle ist es wichtig, vorab anzumerken, dass die Skala nicht nach dem Prinzip arbeitet, eine komplette Ablehnung der Aussagen gelte als rational. Die Verschwörungsmentalität misst vielmehr ein generelles Misstrauen gegenüber »denen da oben«. Eine Person mit null Punkten vertraut mächtigen Gruppen oder Organisationen ohne Wenn und Aber, während eine Person mit der Höchstpunktzahl hinter einflussreichen Gruppen systematisch böse Machenschaften vermutet. Eine gesunde Skepsis liegt also vermutlich in der Mitte. Der Test verdeutlicht eine wichtige Erkenntnis der Wissenschaft: So gut wie jeder Mensch bringt die Veranlagung dafür mit, an Verschwörungserzählungen zu glauben. In einem gewissen Rahmen ist das absolut normal. Wie so oft macht auch hier erst die Dosis das Gift.

Nachdem Sie die fünf Fragen beantwortet haben, zählen Sie nun Ihre Punkte zusammen. Sie erfahren dann, wie stark Ihre Verschwörungsmentalität ausgeprägt ist.

0–16 Punkte:

Sie gehören zu dem Teil der Bevölkerung, der Verschwörungserzählungen am wenigsten zustimmt. Sie haben vermutlich ein hohes Vertrauen in den Staat und seine Institutionen, wählen wahrscheinlich eher eine der klassischen »Volksparteien« und lassen Ihr Kind vermutlich impfen. Sie gehen davon aus, dass die Geheimdienste einen guten Job machen und man ihnen deswegen auch bedingungslos vertrauen kann.

16–23 Punkte:

Sie liegen in Bezug auf Ihre Verschwörungsmentalität genau in der Mitte der Bevölkerung. Vermutlich sind Sie weder vollkommen vertrauensselig gegenüber den staatlichen Institutionen, noch lehnen Sie diese vollkommen ab. Sie wählen tendenziell eher Parteien der Mitte der Gesellschaft, vertrauen der medizinischen Forschung, denken aber dennoch, dass die Pharmaindustrie nicht nur Gutes im Schilde führt.

23–35 Punkte:

Sie gehören zu dem Teil der Bevölkerung mit der am stärksten ausgeprägten Verschwörungsmentalität. Basierend auf Ihrem Testergebnis gehen wir davon aus, dass Sie dem Staat eher skeptisch gegenüberstehen. Wenn Sie wählen gehen, dann entweder ungültig oder eine Partei, die in Opposition zu den sogenannten »Volksparteien« steht. Es ist auch wahrscheinlicher, dass Sie den Medien grundsätzlich misstrauen.

Verschwörungserzählungen: Der Versuch einer Definition

Lassen Sie uns zunächst noch einmal einen Schritt zurückgehen und bei der zentralen Frage beginnen: Was genau ist eine Verschwörungserzählung? Wer den Begriff hört, kann sich vermutlich direkt etwas darunter vorstellen: »9/11 was an inside job«, »Die Illuminaten beherrschen die Welt« und »Prinzessin Diana lebt«. Die genaue Definition, was eine Verschwörungserzählung ausmacht, ist aber in Wissenschaftskreisen tatsächlich umstritten – genauso wie die zu verwendenden Begriffe. Aus diesem Grund betreiben wir an dieser Stelle zunächst ein wenig Wortklauberei und betrachten die Begriffsbestimmung näher.

Eine häufig verwendete Definition besagt, dass eine Verschwörungserzählung daran zu erkennen sei, dass es einen Plan dafür gebe, Ereignisse im Geheimen zu beeinflussen. Auch wenn dies auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, fehlen doch wichtige Komponenten. Mit dieser Definition könnte man nämlich fast jede Geburtstags-Überraschungsfeier zur Verschwörungserzählung uminterpretieren (und hätte so schon ein super Thema für eine Mottoparty). Was hier in der Definition noch fehlt, ist die Wichtigkeit eines Ereignisses. Die Größenordnung von Geschehnissen spielt schließlich eine wichtige Rolle, wenn wir von Verschwörungserzählungen sprechen. Psychologen konnten zeigen, dass Verschwörungserzählungen eher bei Ereignissen in Erscheinung treten, die als kollektiv bedrohlich gelten. Damit lässt sich gut erklären, warum sich um den Postboten im Dorf weniger Verschwörungserzählungen ranken als um einen Putschversuch.4 Die Psychologen Robyn LeBoeuf und Michael Norton kamen im Rahmen ihrer Forschung zu dem Ergebnis, dass ein Ereignis als groß und wirkungsvoll wahrgenommen werden muss, um zu einem bevorzugten Ziel von Verschwörungserzählungen zu werden. Gesellschaftliche Ereignisse wie Wahlen oder terroristische Anschläge und auch Epidemien werden daher eher zum Gegenstand von Verschwörungserzählungen als die Einschulung der eigenen Tochter.5 Es lässt sich beobachten, dass quasi nach jedem größeren gesellschaftlichen Ereignis in Windeseile Verschwörungserzählungen entstehen. Am 1. Januar 2020 starben im Krefelder Zoo 30 Affen und viele weitere Tiere, weil eine sogenannte Himmelslaterne ein Feuer entfacht hatte.6 Schon kurze Zeit nach der schrecklichen Tragödie kursierten im Internet diverse »alternative Wahrheiten« und Spekulationen über den »wahren Tathergang« – obwohl sich bereits eine Mutter mit ihren beiden Töchtern freiwillig der Polizei gestellt hatte. Auch als 2019 und 2020 in Australien großflächig Buschfeuer wüteten, tauchten alsbald diverse Verschwörungserzählungen auf, nach denen es sich um ein Komplott des Staates handeln würde.7 Dabei läge es viel näher, einen Zusammenhang zwischen den Bränden und dem ungewöhnlich heißen Wetter aufgrund des Klimawandels zu ziehen. Nachdem im Dezember 2019 in China erstmals das Coronavirus SARS-CoV-2 auftrat, wurde auf einigen dubiosen Webseiten spekuliert, dass das chinesische Militär das Virus in Laboren hergestellt und dann verbreitet hätte. Andere waren der Meinung, dass der US-amerikanische Unternehmer Bill Gates hinter dem Virus stecken würde, oder machten 5G-Strahlen für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich.8 Und all das, obwohl Wissenschaftler seit Jahrzehnten davor warnen, dass Virenarten, die von Tieren auf den Menschen übergehen, Pandemien auslösen können.

Aber zurück zur Definition. Ein weiterer Aspekt, welcher in der oben vorgestellten Definition fehlt, ist die zugesprochene Niedertracht der Akteure. Verschwörungserzählungen gehen in der Regel davon aus, dass sich eine Gruppe mit der festen Absicht verschworen hat, anderen Menschen oder der Gesellschaft direkten Schaden zuzufügen, und zwar im Geheimen. Die eingangs vorgestellte Definition lässt zudem außen vor, dass den Akteuren hinter einer Verschwörung eine gewisse Macht zugesprochen werden muss, dank der sie die Verschwörung erfolgreich durchführen können. Selbst wenn das nervige Nachbarskind in perfider Weise plant, durch Wettermanipulation die Welt zu beherrschen, wäre es vermutlich nicht dazu in der Lage, einen solchen Plan erfolgreich durchzuführen. Aus diesem Grund drehen sich Verschwörungserzählungen bevorzugt um mächtige Staatsmänner und -frauen, Bankiers, Millionäre oder Geheimbünde. Wichtig ist hierbei jedoch, dass es nicht notwendigerweise zutreffen muss, dass die Gruppe tatsächlich so mächtig ist, wie Verschwörungsideologen meinen. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele für Verschwörungserzählungen, bei denen stark benachteiligte und überhaupt nicht mächtige Gruppen ins Fadenkreuz gerieten, etwa bei den antisemitischen Pogromen des Mittelalters.

Wenn wir all diese Faktoren berücksichtigen, wird klar, warum eine derart vereinfachte Definition wie die eingangs vorgestellte das Phänomen nicht richtig erfassen kann. Basierend auf diesen Erkenntnissen, würden wir eine Verschwörungserzählung daher wie folgt definieren:

Eine Verschwörungserzählung ist eine Annahme darüber, dass als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und damit der Bevölkerung gezielt schaden, während sie diese über ihre Ziele im Dunkeln lassen.

Allerdings bleiben auch bei dieser Definition noch Punkte offen. In der Wissenschaft wird darüber diskutiert, ob eine Verschwörungserzählung lediglich eine alternative Erklärung zu gängigen Ansichten darstellt. Während Verschwörungserzählungen um den Anschlag auf die Türme des World Trade Centers am 11. September 2001 noch als alternative Erklärungen bezeichnet werden könnten, würde diese Herangehensweise jedoch bei anderen Themen Probleme bereiten. Verschwörungserzählungen sind schließlich nicht immer die »alternative Erklärung« und nicht immer eine Minderheitenmeinung. In verschiedenen Epochen und Staaten waren und sind sie die gängige Mehrheitsmeinung. Zur Zeit der NS-Terrorherrschaft waren antisemitische Verschwörungserzählungen tief im staatlichen System verankert. Sie befeuerten den grassierenden Antisemitismus, der in dem systematisch geplanten Massenmord an Millionen von Menschen mündete. Auch heute noch finden sich Beispiele dafür, dass Verschwörungserzählungen von Regierungen verbreitet werden. Darüber hinaus drängt sich die Frage auf: Für wen oder was stellt die Verschwörungserzählung eine Alternative dar? Für die Mehrheit der Befragten? Und was ist genau eine Mehrheitsmeinung? Wenn sich mehr als 50 Prozent auf eine Erklärung einigen? Letzteres würde bedeuten: Wenn 46 Prozent der Bevölkerung glauben, dass 9/11 von der US-Regierung geplant war, dann wäre es eine Verschwörungserzählung. Wenn ein Jahr später bereits 55 Prozent daran glauben würden, dann nicht mehr. Das Beispiel verdeutlicht, dass derartige Betrachtungen wenig zielführend sind.

Selbst wenn wir annehmen, dass es darum ginge, eine Alternative zu Regierungsmeinungen zu präsentieren, bleibt ein solcher Ansatz problematisch. Dann wäre der Glaube, dass die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion echt sind, in der heutigen Bundesrepublik eine Verschwörungserzählung, nicht aber im Falle von Nazi-Deutschland. Zu dieser Zeit waren die Protokolle der Weisen von Zion sogar Teil des offiziellen Lehrplans an deutschen Schulen. Bei dem 1903 erstmals veröffentlichten Text handelt es sich um eine antisemitische Hetzschrift, die bis heute zu den am weitesten verbreiteten und wirkungsvollsten Verschwörungserzählungen zählt. In dem Pamphlet wird behauptet, es handele sich bei dem Text um Protokolle einer geheimen Versammlung von Juden – den »Weisen von Zion« –, die planten, die Weltherrschaft zu übernehmen.9 Bereits 1921 veröffentlichte die Londoner Tageszeitung The Times eine Artikelserie, in der die »Protokolle« als Fälschung entlarvt wurden.10 Dennoch nutzen Antisemiten und Verschwörungsideologen weltweit die Texte bis heute als Propagandainstrument.11 Die islamistische Terrororganisation Hamas bezieht sich in ihrer Gründungsurkunde auf das Pamphlet. Beispiele wie diese verdeutlichen, wie problematisch es wäre, bei Verschwörungserzählungen von alternativen Erklärungen zu sprechen.

Alternative Erklärungen und alternative Fakten sind dabei übrigens nicht das Gleiche. Eine alternative Erklärung meint eine Erklärung für ein Ereignis, die nicht dem Mainstream entspricht. Der Begriff alternative Fakten geht hingegen zurück auf Kellyanne Conway, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump. In einer TV-Sendung wurde sie gefragt, warum das Weiße Haus behauptet habe, dass während der Amtseinführung von Trump mehr Menschen anwesend gewesen seien als bei seinem Vorgänger Barack Obama – schließlich belegten Bilder, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Conways Erklärung dazu: »Sean Spicer, unser Pressesprecher, hat dazu alternative Fakten dargestellt.«12 Der Begriff alternative Fakten hat es sogar geschafft, Unwort des Jahres 2017 zu werden, denn – so die Begründung – »mit diesem Ausdruck werden Falschbehauptungen salonfähig gemacht und mit Tatsachenbehauptungen auf eine Stufe gehoben«.13 Man könnte also sagen: Alternative Fakten sind mindestens falsch, wenn nicht sogar gezielte Lügen, während sich der Begriff der alternativen Erklärungen auf das Verhältnis zur Mehrheitsmeinung bezieht und noch nichts über den Wahrheitswert aussagt.

Verschwörungstheorie oder Verschwörungserzählung?

Bei Debatten um Verschwörungserzählungen werden häufig verschiedene Begriffe durcheinandergeworfen: Verschwörungserzählungen, Verschwörungsmythos, Verschwörungsglauben, Verschwörungsideologie oder die Verschwörungsmentalität. Der gängige Begriff der Verschwörungstheorie ist in letzter Zeit immer mehr kritisiert worden, da man hierbei nicht von Theorien im wissenschaftlichen Sinn sprechen kann. Eine Theorie ist eine wissenschaftlich nachprüfbare Annahme über die Welt. Wenn sich diese als falsch herausstellt, wird sie auch wieder verworfen. Die Verschwörungserzählung zeichnet sich aber eben genau dadurch aus, dass sie sich der Nachprüfbarkeit entzieht. Egal wie viele Gegenbeweise es gibt, der Verschwörungsideologe beharrt auf seiner Meinung. Kritikwürdig ist außerdem, dass bei Nutzung des Theoriebegriffs jede noch so verrückte Idee als Theorie aufgewertet werden würde. Auch wir vermeiden daher den Begriff der Verschwörungstheorie in diesem Buch. Damit man versteht, wovon wir sprechen, definieren wir nun unser Begriffsverständnis ein wenig genauer.

Ein Mythos ist eine Erzählung oder Überlieferung, die häufig tief in der jeweiligen Gesellschaft verankert ist. Er beschreibt somit, wie Menschen die Welt um sich herum deuten und verstehen. Bei einem Mythos wird an den Glauben der Zuhörer appelliert, nachprüfbare Wahrheiten oder vernünftige Argumente spielen hier eher eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zu einer Theorie hat der (politische) Mythos ein kollektiv identitätsstiftendes Potenzial. Das Geschehene wird weniger über empirisch nachprüfbare Fakten vermittelt als über Stereotype und emotionalisierende Darstellungen.14

Ein Verschwörungsmythos meint daher weniger die konkrete Annahme, dass beispielsweise Hitler auf der dunklen Seite des Mondes leben würde. Vielmehr geht es um das grundlegende Narrativ, das einzelne Verschwörungserzählungen vereint. Der (falsche) Mythos einer jüdischen Weltverschwörung wäre so ein Beispiel.

Eine Verschwörungserzählung dagegen bezeichnet die konkrete Annahme über Dinge, die in der Welt geschehen. Einige Beispiele: Angela Merkel ist nur eine Marionette von superreichen jüdischen Familien wie den Rothschilds, die im Geheimen die Fäden ziehen. Israel hat die Katastrophe in Fukushima zu verantworten. Jüdische Onkologen nutzen Chemotherapie, um Nichtjuden auszurotten. All diese sehr unterschiedlichen Verschwörungserzählungen beziehen sich im Kern auf denselben Verschwörungsmythos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Wir verwenden den Begriff des Mythos daher als eine Art Überkategorie für Verschwörungserzählungen.

Die Begriffe Verschwörungsideologie oder Verschwörungsmentalität bezeichnen dagegen die individuelle Tendenz, an Verschwörungserzählungen zu glauben – unabhängig von der konkreten Verschwörungserzählung. Es geht hierbei also nicht darum, ob ein Einzelner glaubt, dass »Elvis lebt und die Regierung das verheimlicht«, sondern darum, wie stark seine generelle Neigung ausgeprägt ist, an Verschwörungserzählungen zu glauben. Es geht darum, ob Menschen grundsätzlich überall dunkle Machenschaften am Werk sehen.15 Psychologen verstehen dieses Weltbild als eine stabile Persönlichkeitseigenschaft, als eine Art, die Welt zu interpretieren. Das heißt, dies ist ein grundlegendes Merkmal einer Person, das sich zwar im Laufe der Zeit (beispielsweise durch einschneidende Ereignisse) ändern kann, aber grundsätzlich relativ veränderungsresistent ist. Was das bedeutet, zeigt folgendes Beispiel: Eine Person ist überhaupt nicht ordentlich, lernt aber durch verschiedene Umstände im Job, dass es wichtig ist, darauf zu achten. Dennoch wird es für diese Person vermutlich stets anstrengender sein als für andere, Ordnung zu bewahren. Ähnliches gilt auch für die Veränderungsresistenz der Verschwörungsmentalität.

Psychologische Grundlagen

Die erste Annäherung an den psychologischen Hintergrund von Verschwörungsdenken wurde 1994 von dem US-amerikanischen Soziologen Ted Goertzel veröffentlicht. Goertzel stellte in seiner Pionierarbeit eine wichtige These auf: Beim Glauben an Verschwörungserzählungen handele es sich um ein kohärentes Weltbild – die Verschwörungsmentalität. Konkret heißt das: Wer an eine Verschwörungserzählung glaubt, stimmt auch meistens weiteren Erklärungen dieser Art zu. Wenn man also auf einen Menschen trifft, der meint, dass es sich bei den Anschlägen vom 11. September 2001 um einen »Inside Job«, also um ein geheimes Komplott der US-Regierung gehandelt habe, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser Mensch ebenfalls davon überzeugt ist, dass das Attentat auf John F. Kennedy nicht das Werk eines Einzeltäters, sondern die Folge einer Verschwörung der US-Regierung war. Diese Annahme trifft sogar auf Verschwörungserzählungen zu, die sich gegenseitig logisch ausschließen. Ein Forschungsteam aus Großbritannien konnte 2012 zeigen: Wer glaubt, Prinzessin Diana sei vom britischen Geheimdienst umgebracht worden, geht paradoxerweise auch eher davon aus, dass sie noch lebt. Hier zeigt sich ein wichtiges Glaubenssystem von Verschwörungsideologen: Man glaubt zwar zu wissen, dass die »offizielle Version« falsch ist, was genau in Wirklichkeit passiert ist, kann man aber auch nicht sagen.16

Verschwörungserzählungen sind verbreiteter, als viele Menschen intuitiv erwarten würden. Viele denken erst einmal an skurrile Phänomene wie den verschrobenen Aluhutträger oder kleine eingeschworene Zirkel, die sich in skurrilen Facebook-Gruppen konspirativ zu UFO-Sichtungen verabreden. In Deutschland glaubt laut einer repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 aber mehr als ein Drittel der Bevölkerung, dass »Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte« seien.17 Zahlen wie diese machen deutlich: Für Millionen Menschen sind Verschwörungserzählungen entscheidend dafür, wie sie die Welt sehen. Natürlich gibt es auch Verschwörungserzählungen, bei denen die Zustimmung geringer ist: »Nur« 7 Prozent der Deutschen sind davon überzeugt, dass Ebola kein natürliches Virus sei, sondern das Resultat eines US-Biowaffenprojekts. 6 Prozent, also fast fünf Millionen Deutsche, glauben, dass der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Jahr 2015 eine Geheimoperation des französischen Geheimdienstes gewesen sei.18

Der Glaube an Verschwörungserzählungen ist in vielen Ländern verbreitet: In Mexiko gingen laut einer Studie aus dem Jahr 2008 rund 30 Prozent der Bevölkerung davon aus, dass die US-Regierung hinter den Anschlägen auf das World Trade Center stecken würde, und in Ägypten hielten 11 Prozent Israel für den heimlichen Drahtzieher.19 Eine repräsentative Umfrage in Frankreich zeigte, dass acht von zehn der befragten Personen an eine der großen Verschwörungserzählungen glaubten, wie etwa eine Fälschung der Mondlandung durch die USA oder Gerüchte zu den »wahren« Umständen des Todes von Prinzessin Diana. Zu den Verschwörungserzählungen mit der meisten Zustimmung zählte eine besonders steile Behauptung: Das französische Ministerium für Gesundheit habe sich angeblich mit pharmazeutischen Firmen verschworen, um die angeblichen gesundheitlichen Risiken von Impfungen zu verschleiern.20 Sogar fast jeder zweite US-Amerikaner stimmt mindestens einer Verschwörungserzählung zu.21 Studien zeigen jedoch, dass sich die Zustimmung zu den einzelnen Erzählungen innerhalb der politischen Orientierung unterscheidet. Das wird bei der Debatte um den Klimawandel besonders deutlich: Rund 60 Prozent der Befragten mit einer republikanischen Einstellung hielten laut einer Studie aus dem Jahr 2013 die Debatte um den Klimawandel für eine Verschwörung, wohingegen 80 Prozent der eher den Demokraten zugeneigten Studienteilnehmer dieser Aussage widersprachen.22

Auch wenn es im Zuge medialer Berichterstattung manchmal so erscheint: Verschwörungserzählungen sind an sich nichts Neues. Die Grundannahme, dass Geschichte nicht zufällig geschieht, sondern gelenkt wird, war schon immer weit verbreitet. Im achtzehnten Jahrhundert kursierte das Gerücht, dass der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart angeblich von Freimaurern ermordet worden sei. Und im neunzehnten Jahrhundert glaubten Menschen, dass es sich bei den geheimnisvollen Bewohnern des Schlosses Eishausen um die Tochter des hingerichteten französischen Königs Ludwig XVI. handeln müsse. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde dann in den USA eine Verschwörungserzählung populär, der zufolge der Papst eine päpstliche Armee in Amerika installieren wolle, um in der amerikanischen Stadt Cincinnati einen neuen Vatikan zu gründen. Hierzu muss man wissen: Zu dieser Zeit grassierten in den USA starke Vorurteile gegen katholische Einwanderer. Verbreitet wurde das Gerücht unter anderem von der sogenannten Know-Nothing-Bewegung, die sogar mit einer eigenen Partei zur Wahl antrat.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kam es dann in Deutschland und anderen europäischen Ländern zu einem rasanten Anstieg der Verbreitung von insbesondere antisemitischen Verschwörungserzählungen, die letztendlich den Holocaust erst möglich machten. Aber auch nach Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft waren Verschwörungserzählungen weiterhin weit verbreitet. Und zwar weltweit. In zahlreichen Onlineforen und YouTube-Videos werden allerhand heftige Thesen verbreitet: Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz planen angeblich eine Weltdiktatur, und das US-Forschungsprojekt HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program) solle für Gedankenmanipulation und zur künstlichen Herbeiführung von Naturkatastrophen eingesetzt werden (dabei wurde dort nur physikalische Grundlagenforschung betrieben). Angeblich soll HIV von US-Behörden entwickelt und verbreitet worden sein, um die Bevölkerung Afrikas zu dezimieren. Andere Verschwörungserzählungen handeln davon, dass die United States Air Force und das US-Verteidigungsministerium das Sperrgebiet Area 51 dazu nutzen würden, um mit außerirdischen Lebensformen zu kommunizieren. Der Vatikan soll außerdem angeblich im Besitz einer Zeitmaschine sein.

Welche Bedeutung spielen also Verschwörungserzählungen für unsere Gesellschaft heute? Warum neigen manche Menschen eher dazu, überall Verschwörungen zu wittern? Welche Faktoren sind entscheidend dafür, dass Menschen an Verschwörungserzählungen glauben?

Wagen wir ein kleines Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einer Studie in einem psychologischen Institut teil. Sie sitzen im Labor und werden im Rahmen eines Experiments darum gebeten, ein Spiel zu spielen. Die erste Runde beginnt. Sie geben sich redlich Mühe, aber egal, wie sehr Sie sich auch anstrengen – Sie haben das Gefühl, dass Sie keinen Einfluss darauf haben, ob Sie gewinnen oder verlieren werden. Alles scheint zufällig. Sie merken, dass Sie sich mehr und mehr gestresst fühlen, weil Sie nicht genau wissen, was Sie tun sollen.

Nachdem Sie mit dem Spiel fertig sind, bittet Sie der Experimentleiter darum, noch kurz dazubleiben und einige Fragen zu beantworten. Sie sollen sich nun vorstellen, einer der Top-IT-Administratoren in einer Firma zu sein:

Neben verschiedenen anderen Aufgaben sind Sie auch für die Zeiterfassung der Mitarbeiter sowie für die Überwachung der E-Mail- und Internetnutzung verantwortlich. Außerdem steht bei Ihnen bald eine Beförderung an. Am Tag vor dem geplanten Treffen mit Ihrem Vorgesetzten stellen Sie plötzlich fest, dass die Anzahl an E-Mails, die zwischen Ihrem Chef und dem Kollegen (der neben Ihnen sitzt) versendet wurden, sprunghaft angestiegen ist. Beim entscheidenden Treffen mit Ihrem Vorgesetzten teilt dieser Ihnen dann aus heiterem Himmel mit, dass Sie doch keine Beförderung erhalten werden. Glauben Sie daran, dass Ihr Kollege etwas damit zu tun hat?23

Dieses Experiment wurde 2008 von den Psychologen Jennifer Whitson und Adam Galinsky so durchgeführt. Das eingangs beschriebene Spiel sollte dazu dienen, bei den Versuchsteilnehmern ein Gefühl der Unsicherheit und Machtlosigkeit heraufzubeschwören. Diese Gefühle werden in der Psychologie unter dem Begriff Kontrollverlust zusammengefasst. Eine der beiden Gruppen spielte das Spiel im Rahmen des Experiments und bekam völlig zufällig Rückmeldung zu ihren Spielergebnissen. Die Versuchspersonen hatten keine Ahnung, wann sie etwas richtig machten und wann nicht. Das sollte wie erwähnt ein Gefühl von Kontrollverlust hervorrufen. Die sogenannte Kontrollgruppe spielte das gleiche Spiel, ohne irgendwelche Informationen zum Ergebnis zu bekommen. Anschließend wurde beobachtet, ob Menschen angesichts eines gefühlten Kontrollverlusts eher dazu neigen, eine Verschwörung gegen sie zu wittern. Laut den Ergebnissen der Studie scheint dies tatsächlich der Fall zu sein.

Der Begriff Kontrollverlust klingt auf den ersten Blick vielleicht ein wenig abstrakt, tatsächlich hat er aber viel mit unserem Alltag zu tun. Das grundsätzliche Gefühl, die Kontrolle über eine Situation zu haben, spielt eine wichtige Rolle für das menschliche Wohlbefinden. Es hat sich sogar gezeigt, dass Menschen bei Elektroschocks weniger Schmerz empfinden, wenn sie das Gefühl haben, die Kontrolle über die Situation zu haben. Kontrollverlust erlebt man in verschiedensten Situationen: Wenn man plötzlich seine Arbeit verliert, der Partner einen ohne Vorwarnung verlässt, man im Flugzeug sitzt oder es einen Terroranschlag gibt, dem man sich hilflos ausgeliefert fühlt. In solchen Situationen versuchen Menschen unterbewusst, als Ausgleich für den empfundenen Kontrollverlust ein Gefühl der Kontrolle durch psychologische Mechanismen herzustellen. Der Glaube an Verschwörungserzählungen stellt genau so einen Mechanismus dar. Mitglieder aus dem rechtsextremen Reichsbürgerspektrum berichten beispielsweise immer wieder, dass einschneidende Lebensereignisse, in denen sie einen Kontrollverlust verspürt hätten, Auslöser dafür gewesen seien, sich mit Verschwörungserzählungen zu befassen.24 Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder Mensch, der den Arbeitsplatz verliert oder von seinem Partner verlassen wird, automatisch glaubt, dass Deutschland insgeheim eine Firma sei, die von dunklen Mächten gelenkt werde, wie es Reichsbürger tun. Erfahrungsberichte wie diese machen jedoch deutlich, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen dem Einzelnen durchaus Rückhalt nach Rückschlägen geben kann, weil derartige Geschichten eine wahrgenommene Ordnung in eine vermeintlich chaotische Welt bringen.

Der Ansatz, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen durch Kontrollverlust begünstigt werde, ist aber nur eine mögliche Erklärung. Eine andere wissenschaftliche These beschreibt den Glauben an Verschwörungserzählungen mehr als Mittel zum Zweck. Dadurch, dass ein Mensch an etwas glaubt, das gängigen Erklärungsmustern widerspricht, kann er auch sein Bedürfnis danach befriedigen, sich einzigartig zu fühlen und sich von der Masse abzuheben. Zwei internationale Forschungsteams sind unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen mit dem tief verankerten Wunsch nach Einzigartigkeit zusammenhängt.25 Dies zeigt sich auch in verschiedenen Internetforen: Einige Verschwörungsideologen meinen, dass entweder die Behörden, die Illuminaten oder große Konzerne durch versteckte Düsen an Flugzeugen giftige Chemikalien wie Aluminium- und Bariumverbindungen über dem Land versprühen. Dies soll wahlweise dazu dienen, die Menschen unfruchtbar, gewalttätig oder besonders gefügig zu machen oder das Wetter zu beeinflussen. Menschen, die nicht an eine derartige Wettermanipulation durch sogenannte Chemtrails glauben, werden online gerne als Schlafschafe diffamiert. Das antifeministische Hetzportal WikiMANNia beschreibt ein Schlafschaf als »dumm, aber glücklich«. Sie seien nur »dumme Bürger, die aber glücklich mit ihrer Situation und der gesellschaftlich-politischen Lage« seien. Außerdem hätte das »politische Schlagwort Schlafschaf (hat) eine gewisse Nähe zu duldsames Opfer [sic!] und Duckmäuser.«

Im Rahmen einer Studie aus den USA, die den Zusammenhang von Einzigartigkeitsgefühlen und Verschwörungsglauben beleuchtete, wurde den Teilnehmenden eine fiktive Verschwörungserzählung präsentiert. Diese besagte, dass überall in Deutschland Rauchmelder installiert worden seien, die Schallwellen abgeben und dadurch Übelkeit, Magenbeschwerden und Depressionen hervorrufen würden. All das habe angeblich ein pensionierter Ingenieur aufgedeckt. Die deutsche Regierung würde hingegen einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Vorhandensein von Rauchmeldern leugnen. Der einen Hälfte der Studienteilnehmer wurde ein Text vorgelegt, der besagte, dass 81 Prozent der Deutschen an die Theorie des Ingenieurs glaubten. Dem Rest wurde ein Text zu lesen gegeben, laut dem 81 Prozent der Deutschen die Theorie anzweifelten.26 Das Ergebnis der Studie war äußerst aufschlussreich. Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität glaubten die Erzählung eher, wenn sie als unpopulär dargestellt wurde. Das ist insofern überraschend, da Menschen generell eher die Tendenz haben, intuitiv der Mehrheitsmeinung zu vertrauen.

Es lässt sich also sagen, dass es zwei Hauptgründe gibt, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben: Sie kompensieren so einen erlebten Kontrollverlust, beispielsweise, wenn sie den Job verlieren oder das Gefühl haben, politisch unsichere Zeiten zu erleben. Darüber hinaus können Verschwörungserzählungen aber auch Mittel zum Zweck sein. Für Menschen, die sich gerne besonders und einzigartig fühlen wollen und auch bewusst »gegen den Strom schwimmen« möchten, sind solche Ideen besonders attraktiv. Allerdings gibt es natürlich noch viele weitere Faktoren, die hier eine Rolle spielen können. Studien haben gezeigt, dass Langeweile ein weiterer möglicher Grund dafür sein kann, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben.27 Wer zu Hause nur vor dem Fernseher sitzt und nicht so recht weiß, was er mit sich anfangen soll, kann abstrusen Verschwörungserzählungen mehr abgewinnen, da sie ein wenig Farbe in den tristen Alltag bringen. Auch gibt es erste Hinweise darauf, dass frühkindliche Bindungserfahrungen eine Rolle spielen können. Wer eine unsichere Bindung zu seinen Eltern hatte, glaubt später eher an Verschwörungen. Während Studien auf einen Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und Narzissmus28 hindeuten, ließ sich allerdings kein solcher Zusammenhang bei Persönlichkeitseigenschaften wie etwa Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit oder Neurotizismus feststellen. Auch Alter, Bildung und Geschlecht spielen kaum eine Rolle. Den typischen Verschwörungsideologen gibt es also nicht. Wir alle tragen in uns Eigenschaften, die den Glauben an Verschwörungserzählungen begünstigen – auch wenn wir dies oft nicht wahrhaben wollen.

Kapitel 2: Faktencheck: Der Glaube an Verschwörungserzählungen

Debunking, zu Deutsch »entlarven«, ist eine Methode, bei der falschen Informationen Fakten entgegengesetzt werden, um diese zu entkräften. Sie wird im Umgang mit Verschwörungsideologien relativ häufig eingesetzt. In diesem Abschnitt nutzen wir Debunking einmal andersherum: Es existieren viele Mythen über Verschwörungserzählungen und Verschwörungsideologen, die immer wieder verbreitet werden. Darunter finden sich auch zahlreiche Behauptungen, für die es keine Belege gibt oder die sogar schlichtweg falsch sind.

Wir glauben: Wer gegen Falschinformationen vorgehen möchte, muss gut vorbereitet sein. Aus diesem Grund haben wir im Folgenden die gängigsten dieser Mythen aufgegriffen und ihren Wahrheitsgehalt überprüft.

Faktencheck 1: Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, sind verrückt und paranoid

Verschwörungserzählungen sind kein reines Randphänomen. Es ist keineswegs so, dass nur eine kleine Gruppe aus »wirren Internetspinnern« oder »verrückten US-Amerikanern« an sie glaubt. Aus diesem Grund wäre es auch schon rein logisch falsch, anzunehmen, dass alle, die denken, 9/11 sei ein »Inside Job« gewesen oder die Regierung puste mittels Chemtrails giftige Chemikalien in den Himmel, verrückt und paranoid sind. Dennoch hält sich diese Überzeugung erstaunlich hartnäckig – selbst in der Forschung. Der US-amerikanische Historiker Richard Hofstadter wurde unter anderem durch seinen 1964 veröffentlichten Essay The Paranoid Style in American Politics bekannt, in dem er den psychologischen Begriff »Paranoia« nutzte, um einen politischen Persönlichkeitstypus zu beschreiben. Dieser zeichnet sich ihm zufolge vor allem durch hitzige Übertreibung, Verdächtigungen und Verschwörungserzählungen aus. Durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten erlangten Hofstadters Thesen neue Popularität. Nicht wenige Autoren, die Trump einen Hang zur Paranoia unterstellen, berufen sich auf ebendiesen wissenschaftlichen Artikel.

Auch wenn Verschwörungsideologen oft als krank abgetan werden, ist diese Perspektive nicht immer richtig. Sie sind nicht unbedingt paranoid. Der Glaube an Verschwörungserzählungen sei kein Produkt einer gestörten Psyche, so argumentiert beispielsweise der Psychologe Péter Krekó.1 Dieser Meinung schließen sich auch andere Wissenschaftler an. Roland Imhoff, Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz, sagte dazu gegenüber dem in Fachkreisen anerkannten psychologischen Online-Journal PsyPost: »Ich forsche seit fast zehn Jahren zum Glauben an Verschwörungserzählungen, und obwohl es fantastische wissenschaftliche Arbeiten gibt, hat es mich immer etwas geärgert, wie Wissenschaftler über Verschwörungsgläubige sprechen. Zu oft gibt es einen leicht pathologisierenden Ton und eine gewisse Arroganz gegenüber den ›verrückten‹ Verschwörungsgläubigen.«2

Eine große Metaanalyse, also eine Zusammenfassung von verschiedensten Studienergebnissen, mit insgesamt über 2.000 Teilnehmern ergab zwar, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und Paranoia gibt. Es zeigt sich allerdings auch, dass Paranoia und der Glaube an Verschwörungserzählungen sich in zentralen Punkten unterscheiden. Die beiden Phänomene Paranoia und Verschwörungserzählungen überschneiden sich zwar teilweise, sie sind aber in ihrem Umfang sowohl in Bezug auf die wahrgenommene Bedrohung als auch auf das »Ziel« deutlich zu unterscheiden.

Um es ganz einfach auszudrücken: Während paranoide Menschen glauben, dass praktisch jeder hinter ihnen her ist, denken Verschwörungsideologen, dass ein paar mächtige Menschen hinter fast jedem her sind. Gesellschaftliche Verschwörungserzählungen sind also von paranoiden Wahnvorstellungen klar unterscheidbar: Die wahrgenommene Handlung richtet sich gegen ein Kollektiv als Nation, Gruppe oder Kultur, während ein paranoider Mensch Angst vor Verschwörungen gegen die eigene Person hat und dabei sogar die eigene Familie als Bedrohung ansehen kann. Paranoide Menschen misstrauen anderen grundsätzlich, während Verschwörungsideologen eher »dem System« insgesamt argwöhnisch gegenüberstehen.3

Faktencheck 2: Verschwörungsideologen sind dumm und glauben alles!

Obwohl viele Verschwörungserzählungen kaum realistisch sind, halten viele Menschen trotzdem an ihnen fest. Aus diesem Grund gingen auch viele Wissenschaftler lange davon aus, dass Verschwörungsideologen dümmer sein müssten als der Rest der Bevölkerung. Aber was ist dran an dieser Hypothese?

2015 sorgte ein Forschungsartikel für ein großes Medienecho.4 Darin wurde die Frage erörtert, inwiefern Menschen, die Verschwörungserzählungen anhängen, eher dazu neigen, »Bullshit« zu glauben. Im Rahmen eines Versuchs haben die Forscher aus verschiedenen »Bullshit«-Sätzen eine Skala gebildet. Hier zwei Beispiele: »Versteckte Bedeutung verkörpert unvergleichliche abstrakte Schönheit«, und »Aufmerksamkeit und Absicht sind die Mechanismen der Manifestation«. Die Studie hat gezeigt, dass Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, solchen sinnentleerten Aussagen eher Bedeutung beimessen als eine Vergleichsgruppe. Lässt sich daraus schließen, dass die Hypothese stimmt und Verschwörungsideologen schlichtweg dümmer sind als der Rest der Bevölkerung?

Lassen wir den Wahrheitswert von Informationen erst einmal außer Acht und stellen uns zunächst die Frage, ob eine Verschwörungserzählung eine vereinfachte Darstellung der Realität ist. Das wird ja gerne behauptet. Wer allerdings schon einmal mit einem Menschen diskutiert hat, der die »offizielle Version« von den Anschlägen auf das World Trade Center anzweifelt, wird schnell ins Schwimmen geraten sein. Da geht es dann plötzlich um die Temperaturen, bei denen Stahl schmilzt, komplizierte Fragen der Statik und Flugwinkel. Wer nicht gerade zufällig Mitglied einer Kommission zu dem Thema war, wird vermutlich auf die meisten der vorgebrachten »Argumente« keine Antwort wissen, während der 9/11-Zweifler felsenfest von der Richtigkeit seiner Belege überzeugt ist. Andererseits glauben Verschwörungsideologen oft auch an Dinge, die schon vielfach wissenschaftlich widerlegt worden sind. Eine angebliche Klimamanipulation durch die Regierung – die bereits erwähnten Chemtrails – wären ein Beispiel dafür. Diese Verschwörungserzählung ist relativ weit verbreitet. Der Popstar Prince gab in einem Interview an, zu glauben, dass mittels Chemtrails Chemikalien über armen Gegenden versprüht werden würden, in denen vor allem schwarze US-Amerikaner leben. Als Reaktion auf die immense Popularität dieser Verschwörungserzählung wurde sogar ein Forschungsteam eingesetzt, das der Existenz von Chemtrails auf den Grund gehen sollte. Ein Wissenschaftler von der University of California legte dazu einer Gruppe aus 77 Atmosphärenforschern Fotos und Luftproben vor, die diese unabhängig voneinander analysieren sollten. Das eindeutige Ergebnis: Die Sache mit den Chemtrails ist Unsinn.5 Dennoch glaubt laut einer Untersuchung von Forschern der Universität Mainzaus dem Jahr 2016 nach wie vor jeder fünfte Deutsche daran, dass Flugzeuge Chemikalien versprühen, um das Klima zu beeinflussen.6

Sind Verschwörungsgläubige also irrational? Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als würden Verschwörungsideologen alles glauben, ist die empirische Evidenz dazu eher uneindeutig. Zwar existiert ein messbarer Zusammenhang zwischen Verschwörungsglaube und Intelligenz, in dem Sinne, dass niedrigere Intelligenz mit dem Glauben an Verschwörungserzählungen einhergeht. Dieser Zusammenhang ist aber verschwindend gering und erklärt, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil der Faktoren, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben.7

Faktencheck 3: Verschwörungserzählungen sind erst durch das Internet groß geworden

Wenn Medien über Verschwörungserzählungen berichten, liest man häufig Dinge im Stil von »Erst das Internet hat Verschwörungserzählungen populär gemacht!«, oder »Verschwörungserzählungen dank Digitalisierung auf dem Vormarsch!«. Aber stimmt das überhaupt?

Dass der Glaube an Verschwörungen ein bedeutend älteres Phänomen ist, belegt die im Jahr 1981 veröffentlichte SINUS-Studie zum Rechtsextremismus in Deutschland, in der auch die Zustimmung zu zahlreichen Verschwörungserzählungen abgefragt wurde. Bereits damals glaubten fast 40 Prozent an das Narrativ der »Lügenpresse«. Etwas mehr als 20 Prozent meinten, dass die »Bundesregierung […] eine Marionettenregierung von Amerikas Gnaden« sei, und ein Viertel der Befragten sagte, dass der »Einfluss von Juden und Freimaurern auf unser Land auch heute noch zu groß« sei.8 In Deutschland untersuchte in den letzten Jahren unter anderem die Leipziger Arbeitsgruppe um die Wissenschaftler Elmar Brähler und Oliver Decker im Rahmen regelmäßiger Umfragen die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung.9 Die Autoren befassen sich dabei auch mit der Ausprägung der Verschwörungsmentalität in der Bevölkerung. Es geht beispielsweise darum, wie sehr Menschen Aussagen wie »Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte« zustimmen. Die Daten der Forscher zeigen, dass gut ein Drittel der Bevölkerung verschwörungsideologischen Aussagen zustimmt. Sie konnten außerdem zeigen, dass der Wert von knapp 21 Prozent im Jahr 2012 vier Jahre später auf knapp 32 Prozent angestiegen ist. Bemerkenswert finden die Autoren allerdings den starken Rückgang von Verschwörungsglauben in Ostdeutschland. Während 2016 noch fast 41 Prozent der Befragten hohe Werte in der Verschwörungsmentalität aufwiesen, waren es zwei Jahre später nur noch 34 Prozent. In Westdeutschland gab es dagegen kaum Unterschiede zwischen 2016 und 2018. Die These, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen in den vergangenen Jahren stets zugenommen habe, etwa durch die Verbreitung neuer Medien, lässt sich also zumindest für Deutschland wissenschaftlich nicht eindeutig belegen.10

Allerdings kann es durchaus sein, dass bestimmte konkrete Verschwörungserzählungen durch das Internet leichter verbreitet werden können. Wer früher der Überzeugung war, dass der Bürgermeister die für den Transport hinderlichen Pflastersteine nur in der Dorfstraße verlegen ließ, um den verhassten Kontrahenten zu verärgern, erzählte das vielleicht seinen Nachbarn. Wer aber heute davon überzeugt ist, dass der rote Punkt auf dem Personalausweis eigentlich dafür da ist, das sensible »Hals-Chakra« zu stören, kann diese Meinung auf Facebook oder Instagram verbreiten und auf einen Schlag sehr viele Menschen erreichen. Ein Forscherteam aus den USA hat sich mit Anhängern der Flache-Erde-Verschwörung beschäftigt und für eine Studie rund 30 Leute interviewt, die meinten, dass die Erde eine Scheibe sei. Von den 30 Befragten sagten alle bis auf einen, dass sie durch Videos auf YouTube auf das Thema gestoßen wären und dadurch zu dem Schluss gekommen seien, dass die Erde nicht rund sein könnte.11

Viele Fakes und Verschwörungserzählungen erreichen erst durch das Internet ein Millionenpublikum. Die Schuld für die Verbreitung allein den neuen Medien zuzuschieben wäre jedoch zu kurz gegriffen. Bereits im Jahr 1835 bescherte eine sechsteilige Serie über angebliche Entdeckungen von Leben auf dem Mond der New York The Sun eine Rekordauflage.12 Die ersten in großem Stil verbreiteten Spekulationen über eine Verschwörung rund um die Ermordung von John F. Kennedy wurden in namhaften europäischen Zeitungen abgedruckt. Trotzdem hat sich insbesondere durch das Aufkommen der großen Internetplattformen wie Google, YouTube und Facebook in den letzten Jahren einiges verändert. Positiv ist, dass Faktenchecks und Richtigstellungen von Mythen über diese Kanäle ein viel größeres Publikum erreichen können. Während man früher umständlich in die Bibliothek gehen musste, um Recherche zu betreiben, kann man heute mit wenigen Klicks die wichtigsten Studien zu einem beliebigen Thema aufrufen. Doch natürlich nutzen auch Verschwörungsideologen das Netz, um ihre Behauptungen zu verbreiten. Die neuen Onlineplattformen bieten – gerade in Kombination mit sozialen Netzwerken und den damit einhergehenden Abschottungseffekten einzelner Communitys – ihren Lesern nicht weniger als eine alternative Realität. Auch wenn Verschwörungserzählungen in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor keinen guten Ruf genießen, ist die Akzeptanz in der Nische gewachsen. Der Amerikanist Michael Butter sieht diese Entwicklung mit Sorge und sagt: »Es gibt aber mittlerweile auch andere Öffentlichkeiten, in denen Verschwörungstheorien wieder den Status erlangt haben, den sie vor einigen Jahrzehnten hatten. Hier werden Verschwörungstheorien vielleicht nicht immer von allen geglaubt, aber letztlich doch als legitimes Wissen anerkannt.«13

Faktencheck 4: Verschwörungserzählungen sind harmlos und echt witzig

Hinter der sogenannten Bielefeld-Verschwörung, wonach es die deutsche Stadt eigentlich gar nicht gibt, steckt der deutsche Informatiker Achim Held. Am 16. Mai 1994 veröffentlichte er seine Erzählung um die angebliche Nichtexistenz von Bielefeld in der Usenet-Newsgroup de.talk.bizarre – paradoxerweise, um gängige Verschwörungserzählungen ins Lächerliche zu ziehen. Der Mythos hält sich bis heute hartnäckig und wird mittlerweile sogar von der Stadtverwaltung Bielefelds für Marketingzwecke genutzt. Im August 2019 lobte die Stadt sogar eine Million Euro als Belohnung für denjenigen aus, der es schafft nachzuweisen, dass es die Stadt gar nicht gibt. 2.000 Leute versuchten ihr Glück, am Ende konnte niemand den Nachweis erbringen.14 Wenn man von Verschwörungserzählungen liest, kann man manchmal das Gefühl bekommen, in einem guten bis absurden Witzebuch zu schmökern. Spätestens wenn es heißt, dass Verfechter der Flache-Erde-Szene angeblich im Internet posten, dass ihre Bewegung Anhänger »rund um den Globus« habe, muss man mehr als nur schmunzeln.

In der Realität sind Verschwörungserzählungen allerdings deutlich weniger erheiternd. Wer glaubt, dass die Mächtigen machen, was sie wollen, greift im Krankheitsfall eher zu vermeintlichen Wundermitteln, statt Wissenschaft und Ärzten zu vertrauen. Verschwörungserzählungen können außerdem ein Katalysator für Gewalt sein. Bei zahlreichen rechtsextrem motivierten Attentaten der letzten Jahre beriefen sich die Täter auf antisemitische und rassistische Verschwörungsmythen.15 Der rechtsextreme Terrorist, der im Februar 2020 im hessischen Hanau zwei Shisha-Bars stürmte und insgesamt zehn Menschen ermordete, verbreitete in seinen Texten und Videos eine Vielzahl von Verschwörungserzählungen.16

Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die individuelle Tendenz, an Verschwörungserzählungen zu glauben, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einhergeht, Gewalt zu befürworten oder sogar selbst gewalttätig zu werden. Man kann sie deshalb auch als Radikalisierungsbeschleuniger bezeichnen.17 Verschwörungserzählungen können dazu dienen, Gewalt gegen andere zu legitimieren, und sie schirmen gleichzeitig die eigene Gruppe vor Kritik ab. Wer davon überzeugt ist, dass die Regierung wirklich so weit geht, die Bevölkerung durch ein geheimes Komplott in Gefahr zu bringen, der sieht es auch eher als gerechtfertigt an, Gewalt gegen den Staat und seine Repräsentanten anzuwenden. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass beinahe alle terroristischen oder extremistischen Gruppierungen Verschwörungserzählungen nutzen, um ihre Mitglieder zu mobilisieren.

Faktencheck 5: »Verschwörungstheorie« ist ein Kampfbegriff – es ist unmöglich, so etwas wissenschaftlich zu untersuchen!

Oft wird in entsprechenden Kreisen behauptet, der Begriff Verschwörungstheorie stamme ursprünglich aus einem CIA-Dokument für psychologische Kriegsführung aus dem Jahr 1967. Diese Bezeichnung sei gezielt erfunden worden, um Zweifel an der »offiziellen« Geschichte zum Mord am US-Präsidenten John F. Kennedy in ein schlechtes Licht zu rücken. Das Problem an dieser Geschichte ist allerdings: Sie ist komplett erfunden. Die Verwendung des englischsprachigen Begriffs conspiracy theory lässt sich bis ins neunzehnte Jahrhundert zurückverfolgen. Der Philosoph Karl Popper verwendete die Formulierung bereits 1945 in seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde.18 Schon damals war der Begriff alles andere als positiv besetzt, schließlich befasste sich Popper mit der Rolle von antisemitischen Verschwörungserzählungen im Nationalsozialismus.

Wie geht man als Forscher damit um, wenn man ein derart komplexes Phänomen wie den Glauben an Verschwörungen untersucht? Ist das überhaupt möglich? Im Mai 1973 führten die Wissenschaftler Thomas Wright und Jack Arbuthnot eine Studie zum Glauben an Verschwörungserzählungen rund um den Watergate-Skandal durch.19 Ein Jahr vor Studienbeginn waren im Sommer 1972 fünf Einbrecher beim Versuch ertappt worden, im Hauptquartier der Demokraten im Watergate-Gebäudekomplex in Washington D. C. zu spionieren. In den darauffolgenden Monaten entspann sich eine rege öffentliche Debatte. Der damalige US-Präsident Richard Nixon stritt zunächst jegliche Verwicklung ab. Zum Zeitpunkt der Studie war noch nicht wirklich klar, wie es tatsächlich abgelaufen war. Die Forscher wollten herausfinden, welche Faktoren bei der Entscheidung, an eine Verschwörung zu glauben, eine Rolle spielten. Die Untersuchung zeigte, dass Anhänger der Demokraten viel eher dazu neigten, an eine Verschwörung der (damals republikanischen) Regierung zu glauben, als Republikaner. Für alle Teilnehmer galt: Je misstrauischer sie grundsätzlich anderen Menschen gegenüber eingestellt waren, desto eher hielten sie die These einer Verschwörung für wahr. Wenige Monate später stellte sich heraus: Die Nixon-Regierung hatte die Opposition gezielt ausspioniert. Präsident Richard Nixon musste abdanken, und der Rest ist Geschichte. Dass einige Verschwörungshypothesen sich am Ende als wahr herausgestellt haben, ist in der Wissenschaft unbestritten. Bei der Erforschung des Phänomens geht es jedoch in erster Linie darum, zu erkennen, welche Zusammenhänge in unserer Psyche unsere Entscheidungen beeinflussen, derartigen These Glauben zu schenken – oder sie zu verwerfen.

Faktencheck 6: Aber es gibt doch wahre Verschwörungen!

Wer sagt denn, dass sich die eine oder andere Verschwörungserzählung nicht am Ende doch als vollkommen richtig herausstellt? Der Whistleblower Edward Snowden konnte nachweisen, dass der US-Geheimdienst NSA weite Teile der Online-Kommunikation überwacht. In den Achtzigern sorgte die sogenannte Iran-Contra-Affäre für Wirbel: US-Behörden hatten damals trotz eines Waffenembargos heimlich Waffen an den Iran verkauft, um mit dem Gewinn wiederum die Contra-Rebellen in Nicaragua finanziell zu unterstützen – alles am US-Kongress vorbei. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wurden im Rahmen des Forschungsprogramms MK-Ultrazahlreiche Geheimprojekte finanziert, darunter etwa Studien, die LSD und Mescalin als Wahrheitsserum erproben sollten, und Experimente zur Gedankenkontrolle. Es gab sogar ein CIA-Projekt, bei dem versucht wurde, lebende Katzen mittels einoperierter Mikrofone in Abhörvorrichtungen zu verwandeln.20 Mit Verweis auf ähnliche Programme Russlands wurde damals offensichtlich allerhand Unsinn gefördert.

Auch im Bereich Gesundheit finden sich Geschichten real existierender Verschwörungen. Im Rahmen der Tuskegee-Syphilis-Studie wurde im US-Bundesstaat Alabama zwischen 1932 und 1972 der Verlauf von Syphilis-Infektionen erforscht. Dabei wurde 399 bereits infizierten schwarzen US-Amerikanern verschwiegen, dass sie erkrankt waren, denn die Wissenschaftler wollten beobachten, wie die Krankheit unbehandelt verläuft. Die Forscher hatten in Kauf genommen, dass die Patienten unwissentlich Partner und Kinder mit Syphilis infizierten. Als der Fall 1972 publik wurde, waren bereits zahlreiche Teilnehmer verstorben.

Auch in der Wirtschaft wurden immer wieder echte Verschwörungen aufgedeckt. Bei der VW-Diesel-Affäre wurden Kunden und Behörden mit manipulierten Abgastests hinters Licht geführt. Und in den USA kam es zu mehreren Verfahren gegen Medikamentehersteller, Großhändler und Apothekenketten. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten bewusst in Kauf genommen, dass Zehntausende Patienten abhängig von Opiaten wurden.