Die DDR war immer dabei - Michael Ludwig Müller - E-Book

Die DDR war immer dabei E-Book

Michael Ludwig Müller

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Beschreibung

Schon 1950 klagte Konrad Adenauer darüber, dass eine "Fünfte Kolonne" des ostdeutschen Kommunismus in Westdeutschland aktiv sei. In den darauf folgenden vier Jahrzehnten des Kalten Krieges waren SED, Stasi &. Co. nicht nur in ihrem Herrschaftsbereich der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik allgegenwärtig. Sie sahen im Westen "Klassenfeinde", "Kriegstreiber", "Imperialisten" sowie "Faschisten" am Werk, suchten und gewannen als "Friedenskräfte" Einfluss auf drei Friedensbewegungen. Mit großem Propaganda-Aufwand führte der ostdeutsche Arbeiter- und Bauernstaat Verleumdungsfeldzüge gegen Westdeutschland und seine Politiker. 25 Jahre nach dem Ende dieses Spuks darf das, was die diktatorischen Regime von Walter Ulbricht und Erich Honecker auch in der Bundesrepublik anrichteten, nicht unter den Teppich gekehrt werden. Nur wenn sich die nachwachsende Generation damit beschäftigt und die notwendigen Schlüsse zieht, wird sie künftigen Auseinandersetzungen mit extremistischen Gegnern der freiheitlichen Demokratie gewachsen sein. Das vorliegende Buch soll ein Beitrag zu dem bisher nur langsam und zäh vorankommenden Aufarbeitungsprozess sein. Richard von Weizsäcker schrieb 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, es wäre "menschlich unzumutbar und rechtsstaatlich unerträglich über die Stasi-Praxis einen Mantel des Vergessens zu breiten". Deshalb seien für ihn Aufklärung und Erinnerung unverzichtbar. Die feindselige, auf Irreführung, Verleumdung und Zersetzung der westdeutschen Gesellschaft gerichtete Haltung der SED und ihrer "Krake" Staatssicherheit darf in beiden Teilen des Landes nicht unter den Teppich gekehrt werden. Es ist Aufgabe aller, der Frage nachzugehen, warum einst viele Menschen in der prosperierenden Bundesrepublik auf die Propagandasprüche und Friedensschalmeien der DDR-Politstrategen sowie die finsteren Machenschaften der Stasi hereinfallen konnten. Nur wenn wir darauf eine Antwort gefunden haben, wird die Epoche der zweiten deutschen Diktatur aufgearbeitet sein.

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Michael Ludwig Müller

Die DDR war immer dabei

SED, Stasi & Co. und ihrEinfluss auf die Bundesrepublik

Bibliografische Informationder Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95768-151-5© 2014 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek/MünchenInternet: www.lau-verlag.de© 2010 Olzog Verlag GmbH, München

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigungund Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagentwurf: Atelier Versen, Bad AiblingSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

Inhalt

1.Vorwort

1.1Unwissenheit und Gleichgültigkeit

1.2Verklärtes Bild der DDR

2.Erste Friedensbewegung – gegen die Wiederbewaffnung

2.1Bevölkerungsmehrheit gegen die Bundeswehr

2.2Bedenken der Franzosen

2.3Der „Große Bannerträger des Friedens“

2.4Die Stalin-Note

2.5Pariser Verträge und NATO-Beitritt

3.Vertriebenenpolitik der SED

3.1Verleumdungsoffensive

3.2Der Fall Theodor Oberländer

3.3Das Vertriebenenministerium bleibt Angriffsziel

4.Zweite Friedensbewegung – gegen Atombewaffnungspläne

4.1Die „Göttinger 18“

4.2„Kampf dem Atomtod“

4.3Die ersten Ostermärsche

4.4DFU – eine Gründung der SED

4.5Die Kirche – der „letzte organisierte Feind der DDR“

5.Der SDS wird politisches Sorgenkind der SPD

5.1FDJ gründet Studentenzeitschrift im Westen

5.2„Trojanische Esel“

5.3Der Unvereinbarkeitsbeschluss

6.Tarn- und Vorfeldorganisationen des Ostblocks in Aktion

6.1Auf den Spuren des verstorbenen Papstes Pius XII.

6.2Wer informierte Rolf Hochhuth?

6.3„Antifaschismus“ als Kampfdoktrin des Kommunismus

6.4„Braunbuch“ der DDR-Propaganda erregt Aufsehen

6.5Jedes vierte SED-Mitglied hatte eine Nazi-Vergangenheit

6.6Der Fall des Kanzleramtschefs Hans Globke

7.Heinrich Lübke – Opfer eines DDR-Rufmordes

7.1Der angebliche KZ-Baumeister

7.2Illustrierte Stern als Vorreiter

7.3Gesamtdeutsche Propaganda-Allianz

8.Der heimliche Flirt des SDS mit der FDJ

8.1Die Rolle West-Berliner Studentenfunktionäre

8.2Rudi Dutschkes Haltung gegenüber SED und SEW

8.3Der Vietnam-Kongress von 1968

9.West-Berlin – ein Tummelplatz der Stasi

9.1Karl-Heinz Maier – IM „Komet“

9.2Walter Barthel – IM „Kurt“

9.3Peter Heilmann – IM „Adrian Pepperkorn“

9.4Dietrich Staritz – IM „Erich“

9.5Heinrich Burger – IM „Eisenstein“

10.West-Studenten – leichte Beute des MfS

10.1Rainer Rupp alias „Topas“

10.2Knut Gröndahl – IM bei der Bonner Vertretung in Ost-Berlin

10.3Ost-Spione als Legationsräte im diplomatischen Dienst

10.4Gabriele Gast – Verräterin beim BND in Pullach

11.Bonner Spitzel

11.1Ursula Vollert – Kuckucksei im Ollenhauer-Haus

11.2Günter Guillaume – ein Verräter an der Seite Willy Brandts

11.3Verhinderter Kanzlersturz gegen Stasi-Bestechung

11.4William Borm (FDP) – HVA-Einflussagent im Bundestag

11.5Bonner Vorzimmerdamen als „U-Boote“ der Stasi

11.6Hansjoachim Tiedge – ein „Maulwurf“ beim Verfassungsschutz

11.7Klaus Kuron – jährlich 86.000 DM aus Ost-Berlin

11.8Rudolf Maerker – ein SPD-Funktionär als Topagent

12.„Enteignet Springer!“ – eine Parole, die aus dem Osten kam

12.1Die Konkurrenten des Verlegers

12.2Pamphlet eines Professors aus dem „Roten Kloster“

12.3Hochhäuser gegen eine Leuchtschrift

13.Stasi-Zuträgerin als Springers Chefsekretärin

13.1„Quelle Grunewald“ lieferte auch private Briefe

13.2Gemeinsame Weihnachten am Scharmützelsee

14.Karl-Heinz Kurras – auch für die Stasi ein „Mörder“

14.1Todesschüsse auf Benno Ohnesorg werden „Vorkommnis“

14.2Die Kurierin „Pummel“

14.3Noch viele Fragen offen

15.Giftkriegskampagne mit erfundenen Vorwürfen aus der DDR

15.1Günter Wallraff als falscher „Ministerialrat Strathmann“

15.2Angriffe auf die Bayer AG

15.3Nach der Biermann-Ausbürgerung

16.Wallraff – der Nicht-IM

16.1Treffen mit IM „Friedhelm“ in Kopenhagen

16.2Dringender Stasi-Verdacht

17.Zwei Hochschullehrer – ein Opfer, ein Täter

17.1Manfred Scheler wollte nur die Mutter besuchen

17.2West-Universitäten – ein „zentrales Aktionsfeld“ für das MfS

17.3Ludwig Bress wollte „etwas für den Frieden tun“

18.Dritte Friedensbewegung – gegen den NATO-Doppelbeschluss

18.1Der Anstoß kam vom XXIV. Parteitag der KPdSU

18.2Gerhard Kades „Bedrohungslüge“

18.3Der „Krefelder Appell“

18.4„Friedensmarsch“ auf Bonn mit 500.000 Teilnehmern

18.5Der Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider arbeitet für Markus Wolf

18.6Historische Entscheidung im Parlament

18.7Bis zuletzt: „Verschärfter Kampf“ gegen Folgen der Entspannung

Dank

Anmerkungen

Ausgewählte Literatur

Genannte und zitierte Zeitungen und Zeitschriften

Personenregister

1. Vorwort

Die expansive Machtpolitik Moskaus und des von der Sowjetunion geführten Ostblocks gehört zwar seit zwei Jahrzehnten der Vergangenheit an. Aber der Linksextremismus lebt weiter. Unbeirrbare Anhänger der marxistisch-leninistischen Lehre sowie neue Jünger dieser „Heilsgewissheiten“ propagieren noch immer überkommene Vorstellungen von Frieden und Fortschritt. Ihre Hauptgegner im Klassenkampf sind – wie ehedem – das politische System der westlichen Welt; also „Monopolkapitalismus“, „Imperialismus“ und der als deren Schöpfung betrachtete „Faschismus“.

Im wiedervereinigten Deutschland haben sich diesen Gruppen so manche am linken Rand im Schmollwinkel lebende frühere Führungskader des untergegangenen SED- und Stasi-Systems zugesellt, die den Verlust ihrer bis 1989/1990 behaupteten Machtpositionen und Privilegien nur schwer verwinden können. Es gibt heute in beiden Teilen Deutschlands Gruppen und Zirkel orthodoxer Kommunisten, die – wie einst die SED – die liberale Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik und die parlamentarische Demokratie bekämpfen. Sie glauben, den Weg zu wahrer Gerechtigkeit, vor allem zu sozialer Chancengleichheit allein zu kennen. Für ihre Ideen sind nicht nur DDR-Nostalgiker anfällig, die ein sozialistisches Deutschland – natürlich ohne die Fehler und Irrwege des Ulbricht- oder Honecker-Staates – herbeisehnen. Auch im Westen sind Stimmen zu vernehmen, die meinen, während der Zeit des real existierenden Sozialismus sei zwischen Ostsee und Erzgebirge, Elbe und Oder „nicht alles so schlecht“ gewesen, wie es heute gemacht werde. Der Frage, ob ein neuer Versuch gewagt werden solle, suchen sie jedoch meistens auszuweichen. Für solche radikalen Ideen lassen sich an Stammtischen auch politische Laien erwärmen, an denen der 40-jährige verbissene Kampf der DDR gegen das Bruderland Bundesrepublik offensichtlich vorbeigegangen ist.

Unter Mitbürgern, die weit im Westen, fern von den einstigen erbitterten Auseinandersetzungen gelebt haben, herrscht häufig totale Unwissenheit darüber, was die vom Kreml angeleiteten und überwachten Staats- und Parteifunktionäre in der DDR sowie ihr aufgeblähter Geheimdienst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unternommen haben, um der im Westen Deutschlands entstandenen Bundesrepublik so viele Steine wie nur immer möglich in den Weg zu legen. Vor allem junge Leute kennen oft nicht einmal die einfachsten politischen Vorgänge und Hauptakteure dieses wichtigen und sicherlich noch lange Zeit nachwirkenden Kapitels der jüngsten deutschen Geschichte. Der Autor macht seit Jahren einschlägige Erfahrungen. So kam jüngst ein Berliner Abiturient des Jahrganges 2010 bereits auf die Frage, wer Konrad Adenauer und Wilhelm Pieck gewesen seien, ins Schlingern und suchte sich schließlich mit dem Argument aus der Verlegenheit zu helfen, es handle sich „doch wohl um Personen vor meiner Zeit, und deshalb brauche ich sie nicht zu kennen“.

1.1 Unwissenheit und Gleichgültigkeit

Nicht so sehr Verständigungsschwierigkeiten und gegenseitige Vorurteile erschweren das Zusammenwachsen der 64 Millionen Westdeutschen und 15 Millionen Ostdeutschen, die 1990 vereinigt wurden. Nein, Unwissenheit und gegenseitige Gleichgültigkeit tragen daran bei Weitem die größere Schuld. Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen des Integrationsprozesses kann also ein jeder selber schaffen: nämlich sich mit den Folgen der ideologischen Gegensätze, die während der schmerzlichen 40-jährigen Teilung des Landes herrschten, ohne Vorbehalte und falsche Scham auseinanderzusetzen. Dazu soll auch dieses Buch einen Beitrag leisten. Es wurde in der Überzeugung geschrieben, dass die deutsch-deutsche Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einschließlich ihrer dunklen Seiten nicht unter den Teppich gekehrt werden darf, wenn das 21. Jahrhundert in der Bundesrepublik bewältigt werden soll.

Wir werden mit dieser unserer gemeinsamen Vergangenheit fast täglich konfrontiert. Nur selten geht es dabei um spektakuläre Vorgänge wie die Enttarnung des pensionierten Kriminalpolizisten Karl-Heinz Kurras als Stasi-Agent und SED-Mitglied. Die am 27. Mai 2009 bekannt gewordene Nachricht davon schlug hohe Wellen, weil Kurras am 2. Juni 1967, bei den Schah-Krawallen an der West-Berliner Deutschen Oper den wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte. Vor allem Zeitzeugen von damals, die sich noch heute zur Achtundsechziger-Generation rechnen, reagierten geschockt. Sie waren in jener unruhigen Zeit nach dem Todesschuss des Polizisten voller Empörung auf die Straße gegangen. Kurras repräsentierte für sie den von ihnen ohnehin verachteten westdeutschen Staat. Und als er dann vor Gericht auch noch zweimal freigesprochen wurde, galt sein Name vielen jungen Leuten vollends als Negativsymbol für das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik. 42 Jahre danach fiel es nun manchen dieser Protestveteranen äußerst schwer, sich ihren früheren kapitalen Irrtum einzugestehen.

Die Sensation, dass Kurras ein von der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) des DDR-Spionagechefs Markus Wolf angeleiteter „Maulwurf“ in der mit Spionageabwehr beschäftigten und deshalb höchst sensiblen „Politischen Polizei“ war, wäre ohne die Aufbewahrung der erhalten gebliebenen Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit niemals bekannt geworden. Auch viele sonstige Stasi-Untaten und die dafür Verantwortlichen kennen wir heute nur, weil DDR-Bürgerrechtler im Wendejahr 1990 große Teile der riesigen Stasi-Archivbestände vor dem Reißwolf bewahrt haben. Doch der damalige Kanzler Helmut Kohl und sein Innenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU), die im heimeligen Bonn am Rhein ihren Amtsgeschäften nachgingen, offenbarten während der deutsch-deutschen Verhandlungen über den Einigungsvertrag entweder eine sträfliche Ahnungslosigkeit, oder sie befürchteten gar, dass aus den Akten für sie persönlich unliebsame Einzelheiten zutage kämen. Jedenfalls versuchten beide Politiker mit aller Gewalt durchzusetzen, dass die Unterlagen der DDR-Geheimpolizei entweder vollständig vernichtet oder wenigstens im Koblenzer Bundesarchiv untergebracht und dort mindestens 30 Jahre lang für die Öffentlichkeit gesperrt würden. Schäuble erklärte später, er habe dies angestrebt, „um den Neuaufbau nicht zu gefährden“. Es bedurfte seinerzeit wiederholter dringender Interventionen von Abgeordneten der frei gewählten DDR-Volkskammer, um das Vorhaben der Bonner zu verhindern. Nur weil ostdeutsche Politiker nicht klein beigaben, konnten die dann ein Jahrzehnt lang von Joachim Gauck und seit 2000 von Marianne Birthler geleitete Behörde gegründet und der Zugang zu den papierenen Stasi-Hinterlassenschaften des DDR-Spitzelsystems für jedermann – vor allem für die Opfer des SED-Regimes – gesetzlich gesichert werden.

Bei der Bewältigung der in dieser Hinsicht alles andere als ruhmreichen DDR-Vergangenheit tat und tut man sich auch in der alten Bundesrepublik noch immer schwer. So war es in den Neunzigerjahren bei manchen Gerichten üblich, westliche Helfershelfer der DDR-Spionage, die doch meistens unter keinem äußeren Zwang, sondern aus freien Stücken gehandelt hatten, höchstens für kurze Zeit hinter Gitter zu schicken und dann vorzeitig freizulassen. Mit wenigen Ausnahmen kamen die Täter, auch wenn sie erheblichen Schaden angerichtet hatten, mit Bagatellstrafen oder mit im Verhältnis zu ihren Vergehen geradezu lächerlichen Geldbußen davon. Nachdem die „teilungsbedingte Kriminalität“ dieser bundesdeutschen Spitzel, die ihr Land und seine demokratische Ordnung verraten haben, inzwischen verjährt ist, schützen bestimmte Richter die früheren West-Agenten des MfS immer häufiger durch Unterlassungsurteile. Das heißt, Medien haben hohe Geldstrafen zu gewärtigen, wenn sie es wagen, die Namen solcher geheimen Mitarbeiter des Spionagechefs Markus Wolf zu veröffentlichen.

Auch der Bundestag ist als Gesetzgeber immer wieder überfordert, wenn es um die Aufarbeitung der Folgen des Kalten Krieges geht. So legten die Parlamentarier bei einer Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Jahr 2006 fest, dass Akten der Birthler-Behörde von Amts wegen nur noch geprüft werden dürfen, wenn sie Personen in Führungspositionen betreffen. Dies machte sich der frühere Spitzel Kurras zunutze. Er klagte dagegen, dass seine Ruhestandsbezüge im Sommer 2009 vom Landesverwaltungsamt Berlin vorläufig gekürzt wurden. Die Kürzung wurde aufgrund der Gesetzeslage im Mai 2010 vom zuständigen Verwaltungsgericht aufgehoben und eine Nachzahlung des Kurras vorenthaltenen Geldes angeordnet.

Mit der Aufarbeitung des DDR-Unrechts einschließlich der Verbrechen der Staatssicherheit dürfen die ostdeutschen Landsleute nicht allein gelassen werden. Sie ist Pflicht des ganzen Landes: des Staates, der Behörden, der Schulen und Universitäten, der Wirtschaftsführer und der Künstler, also eines jeden Bürgers der Bundesrepublik. Dazu sind gewiss auch Initiativen wie die des FDP-Bundestagsabgeordneten Patrick Kurth vom Juli 2010 zu zählen. Kurth, der auch Generalsekretär der thüringischen Liberalen ist, hat im Namen seiner Fraktion beantragt, alle Parlamentarier, die zwischen 1949 und 1990 in Bonn tätig waren, auf mögliche Kontakte zur DDR-Spionage zu durchleuchten. Nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Vertreter der Grünen ihre Unterstützung zugesagt haben, könnte die seit 20 Jahren überfällige Initiative eine Chance haben. Ob sie wirklich die erwünschten Ergebnisse bringt, darf jedoch bezweifelt werden. Denn die Entscheidung darüber, welche personenbezogenen Daten aus den Stasi-Unterlagen herausgegeben werden dürfen, hat nicht der Bundestag zu treffen, sondern sie ist Sache der Gerichte. Wie eng hier der juristische Spielraum ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bereits am 8. März 2002 auf Antrag von Altkanzler Helmut Kohl gezeigt. Es stellte in einem aufsehenerregenden Urteil klar, dass die Veröffentlichung sensibler Akten in jedem Einzelfall nur mit der „ausdrücklichen Einwilligung“ des oder der Betroffenen stattfinden darf. Die wohl interessantesten Teile der 112 Regalkilometer umfassenden Stasi-Akten wurden mit diesem Spruch der um Persönlichkeitsrechte und Datenschutz besorgten Richter für die Aufarbeitung wertlos gemacht.

Obwohl diese Akten bereits zu mehr als 80 Prozent ausgewertet sind, hegen manche Politiker, Historiker und Journalisten seit geraumer Zeit den Verdacht, dass in der Behörde der Beauftragten Birthler an der Aufarbeitung nicht schnell und konsequent genug gearbeitet wird. Die Behörde beschäftigt in Berlin und zwölf Außenstellen rund 1900 Mitarbeiter, verfügt über einen Jahresetat von 95 Millionen Euro und gilt trotzdem als „ineffizient und langsam“.1 Kein Wunder, dass seit Jahren immer wieder über ihre baldige Eingliederung in das Bundesarchiv diskutiert wird.

Die Aktenberge der Behörde geben ein eindrucksvolles Bild davon, wie allgegenwärtig das DDR-Regime und seine Gefolgsleute in so gut wie allen Lebensbereichen Westdeutschlands und West-Berlins waren. Erstaunlich, mit wie viel Aufwand sich die Agenten und Helfer der „Partei der Werktätigen“ überall, wo sie einen Fuß in westdeutsche Türen setzen konnten, einzumischen und Verwirrung zu schaffen versuchten. Und noch überraschender, wie leicht ihnen dies oft gemacht wurde. Obwohl in der „Westarbeit“ der SED kein Propagandatrick zu plump und kein Täuschungsmanöver zu anrüchig war, meldeten Ulbricht und Honecker in ihren anklagenden Reden gegenüber dem „Bonner Staat“ unentwegt den Anspruch an, als gleichwertige Partner völkerrechtlich anerkannt zu werden. Die Kosten des mit direkter Aggression, klammheimlicher Infiltration und verschlagener Gehässigkeit geführten Kampfes um die Destabilisierung des westlichen Nachbarn waren gewaltig. Sie belasteten das zentralistische Plansystem der DDR und trugen in den Achtzigerjahren zusammen mit dem Aufwand für Unterhalt und Sicherung der als „Antifaschistischer Schutzwall“ bezeichneten Mauer ganz wesentlich zum Niedergang des Arbeiter- und Bauernstaates bei. Der Westen Deutschlands zahlte die Feindseligkeiten nicht mit gleicher Münze zurück und gab sich gelassen.

Von den Manövern des Ostens, mit denen die Bundesbürger in diesem unerklärten Dauerkrieg für eine Annäherung im Sinne Moskaus gewonnen werden sollten, handelt der überwiegende Teil dieses Buches. Die Phrasen des „Friedenskampfes“ wurden, wie sich schließlich erwies, vergeblich gedroschen. Die große Mehrheit der Bevölkerung war, wie auch die Wahlen zeigten, für die hohl klingenden Fortschrittsverheißungen nicht anfällig. Nur ein Teil derer, die sich zur Zusammenarbeit mit dem DDR-Geheimdienst bereitfanden, tat dies aus der ehrlichen Überzeugung, dass dem Kommunismus die Zukunft gehöre. Die meisten Stasi-Schnüffler verkauften ihre Dienste und damit ihre Selbstachtung für Geld. Nicht berücksichtigt werden in diesem Buch die kapitalen Verbrechen des DDR-Sicherheitsapparates; die vielen Morde an Abtrünnigen und hartnäckigen Gegnern, die nach dem Vorbild der sowjetischen „Tscheka“ begangen wurden, sowie Hunderte von Entführungen, bei denen man „feindliche Elemente“ aus West-Berlin und der Bundesrepublik gewaltsam in die DDR holte. Dort wurde mit ihnen meistens auf grausame Weise abgerechnet. Die Schilderung solcher trübsten Seiten des Kalten Krieges würde den Rahmen dieses Buches sprengen.

Beim Ringen um das Denken und Wollen der Bundesbürger spielte es eine zentrale Rolle, dass Moskau und sein Juniorpartner in Ost-Berlin unter den politischen Werbeslogans „Entspannung“ und „friedliche Koexistenz“ stets etwas anderes verstanden als die sich selbst betrügenden Sympathisanten im Westen. Während so mancher Gutgläubige und Wohlmeinende in der Bundesrepublik spätestens seit Anfang der Siebzigerjahre ein neues Zeitalter heraufziehen sah, betrieb der Kreml unter den Generalsekretären Leonid Breschnew, Juri Andropow und Konstantin Tschernenko eiskalt eine „Vorrüstung“ mit SS-20-Atomraketen, die ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen der NATO zur militärischen Unterlegenheit Westeuropas und zu dessen völliger Abhängigkeit von der Sowjetunion geführt hätte. Während dieser Phase des scheinbar friedlichen Ausgleichs Anfang der Achtzigerjahre, in der um die „Nachrüstung“ der NATO-Staaten und damit die Wiederherstellung des eurostrategischen Gleichgewichts gerungen wurde, stand die Welt einem Atomkrieg wahrscheinlich näher als während der gesamten vorausgegangenen Periode des Kalten Krieges.

1.2 Verklärtes Bild der DDR

Zu denen, die im damaligen Streit um die Raketenstationierung den Argumenten der von Moskau und Ost-Berlin unterstützten westdeutschen Friedensbewegung zuneigten und gleichzeitig nichts von der sich zuspitzenden Krise des DDR-Wirtschaftssystems wahrnahmen, gehörte so mancher Repräsentant des westdeutschen linksintellektuellen Milieus. Zum Beispiel erlag der Herausgeber und Chefredakteur des Hamburger Wochenblattes Die Zeit, Theo Sommer, noch 1986 dem morbiden Charme der DDR und den Selbsttäuschungen seines Interviewpartners Erich Honecker. Ein Buch2, das Sommer, Zeit-Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff und vier weitere Mitarbeiter des Blattes nach einer zehntägigen unter privilegierten Bedingungen absolvierten Reise im Mai/Juni 1986 durch Ostdeutschland veröffentlichten, lässt die notwendige Distanz zum dort immer noch aktiven Repressionssystem völlig vermissen. Sommer schrieb im verklärenden Stil über das Leben unter Honecker: „Die Bürger des anderen deutschen Staates bringen ihm fast so etwas wie stille Verehrung entgegen.“ Und über die Stimmung in der DDR heißt es: „Es herrscht Bewegung statt Resignation, die Zaghaftigkeit hat einer selbstbewussten Gelassenheit Platz gemacht, das Grau weicht überall freundlichen Farben, die niederdrückende Trübsal ist verflogen.“

Spätestens drei Jahre später wurde mit dem Fall der Mauer und dem darauf folgenden Ende der SED-Herrschaft auch den begeistertsten DDR-Bewunderern deutlich gemacht, wie falsch und peinlich sich ein solches „geradezu hagiografisches DDR-Bild“3 bei vielen Lesern ausnahm.

2. Erste Friedensbewegung –gegen die Wiederbewaffnung

„Der Kalte Krieg wird mit aller Kraft gegen uns geführt“, rief Bundeskanzler Konrad Adenauer auf dem ersten Bundesparteitag der CDU in Goslar am 20. Oktober 1950 seinen Parteifreunden zu. Und dann schilderte er seine Sicht auf die Realität, derer sich damals, gut fünf Jahre nach Kriegsende, die wenigsten Bundesbürger voll bewusst waren: „Die Fünfte Kolonne steht bei uns überall bereit. Durch eine skrupellose, durch und durch unwahre Agitation sucht man uns, die Verantwortlichen für die Bundesrepublik Deutschland, als Friedensbrecher, als Söldlinge Amerikas, hinzustellen. Man spricht nicht vom Kommunismus. Man hält bei uns die Kommunistische Partei klein, um braven Bürgern keine Angst zu machen. Man spricht vom Frieden, von nationaler Front, von der Einheit Deutschlands.“

Schon zehn Monate zuvor, am 3. Dezember 1949, hatte sich Adenauer der amerikanischen Provinzzeitung Cleveland Plain Dealer4 bedient, um in einem Interview seine Gedanken zur heiklen Frage der Aufstellung einer neuen bundesdeutschen Armee deutlich zu machen. Er trat damit eine Lawine los. Denn er überraschte nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern seine Ankündigung, dass er bereit sei, „im äußersten Fall … die Frage eines deutschen Kontingents im Rahmen irgendeiner Armee einer europäischen Föderation zu überlegen“, missfiel auch den drei westalliierten Hochkommissaren. Mit dieser Äußerung setzte der Kanzler ein Thema auf die Tagesordnung der Ost-West-Diskussion, das den Kalten Krieg fast im ganzen folgenden Jahrzehnt beherrschen sollte. Man sprach von Wiederbewaffnung, obwohl es eigentlich um die Erstbewaffnung der bis dahin völlig demilitarisierten Bundesrepublik ging. Im Tauziehen um diese Wiederbewaffnung, die in der Wortwahl ihrer zahlreichen Gegner „Remilitarisierung“ genannt wurde, entstand die erste große Friedensbewegung der Nachkriegszeit. Erhebliche Teile der „Friedenskräfte“ wurden von der DDR-Staatspartei SED und ihrem westdeutschen Ableger KPD organisiert und auch finanziert. Zu deren Verbündeten zählten nicht nur eingeschworene Kommunisten, sondern auch viele gutgläubige und wohlmeinende Bürger, parteilose Pazifisten, unabhängige Intellektuelle, linke kirchliche Kreise, aber ebenso sich möglichst unauffällig durch die bundesdeutschen Lande bewegende Werber für die Sache Moskaus und Ost-Berlins.

In der ersten außenpolitischen Debatte des Bundestages am 24. und 25. November 1949 hatte Adenauer noch vorsichtig agiert und sich der bei allen Parteien verbreiteten Auffassung angeschlossen, dass eine Militarisierung zur endgültigen Spaltung Deutschlands führen würde. Wer Adenauer näher kannte, wusste aber, dass für ihn stets die Sicherheit vor der Einheit Vorrang hatte. Schon während dieser Sitzung hegte einer seiner ärgsten Kritiker, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, den Verdacht, dass Adenauer gegenüber den auf dem Petersberg bei Bonn residierenden Alliierten Hohen Kommissaren zu willfährig sei. Mit ihnen hatte der Kanzler wenige Tage zuvor das „Petersberger Abkommen“ vereinbart, mit dem die Bundesrepublik der Internationalen Ruhrbehörde beitrat. Im Gegenzug wurden die Demontagen westdeutscher Fabriken eingestellt, was Zehntausende Arbeitsplätze rettete. Schumacher beschimpfte Adenauer trotzdem als „Bundeskanzler der Alliierten“, wofür er 20 Tage lang von den Parlamentssitzungen ausgeschlossen wurde.

Adenauer war spätestens 1948 zu der Ansicht gelangt, dass die wachsende kommunistische Bedrohung aus dem Osten nur durch den gemeinsamen Einsatz der Staaten des Westens abgewehrt werden könne. Und dazu sollten die westlichen Besatzungszonen, aus denen sich 1949 die Bundesrepublik entwickelte, einen angemessenen Beitrag leisten. Mit der Aufstellung eigener Truppen diene Westdeutschland elementaren eigenen Interessen. Es könne nur erwarten, auf Dauer gegen die Expansionsbestrebungen Stalins und seiner ostdeutschen Gefolgschaft verteidigt zu werden, wenn es nicht als unbeteiligter Zuschauer am Rande stehe. Außerdem gebe es für den Westen Deutschlands, der damals noch alliiertem Besatzungsrecht unterworfen war, nur dann die Chance, die volle Souveränität zu erlangen, wenn er auch zum militärischen Verbündeten der westlichen Siegermächte werde.5

Dem ersten deutschen Bundeskanzler war auch nicht entgangen, dass Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Sorgfaltspflicht gegenüber Westeuropa sträflich vernachlässigten. In den ersten gut zwölf Nachkriegsmonaten bis Frühsommer 1946 verringerten sie ihre Gesamttruppenstärke von rund fünf Millionen auf 880.000 Mann. Im Gegensatz dazu bauten während der gleichen Zeit die Sowjets die Kriegsstärke ihrer Armee von vier Millionen Mann nicht ab und ließen ihre Rüstungsindustrie auf vollen Touren weiterlaufen. In einer von den ehemaligen Wehrmachtsgeneralen Hermann Foertsch, Adolf Heusinger, und Hans Speidel im August 1950 für Adenauer erstellten Denkschrift hieß es, die in der DDR stationierten voll ausgerüsteten Sowjettruppen könnten durch Verbände aus der westlichen Sowjetunion jederzeit kurzfristig erheblich verstärkt werden. Diese Truppen wären innerhalb von 48 Stunden einsatzbereit, schrieben die Gutachter. Sie trauten ihnen zu, „einen Stoß bis zur Atlantikküste zu führen“.6 Die USA hatten seinerzeit europaweit nur noch 60.000 Mann und davon in Berlin knapp 7000 Mann stationiert.7 Ein Alarmzeichen war bereits im Februar 1948 der kommunistische Staatsstreich in der Tschechoslowakei, mit dem das Land dem sowjetischen Machtbereich als Volksdemokratie eingegliedert wurde. Im Juni 1948 unternahm der Kreml mit einer fast elf Monate dauernden Berlin-Blockade den Versuch, die drei Westalliierten aus der Stadt zu vertreiben. Kurz nach Beginn dieser Blockade ordnete die sowjetische Besatzungsmacht am 3. Juli 1948 in der deutschen Ostzone den Aufbau einer zentral und straff organisierten Polizeitruppe an, die an Waffen ausgebildet wurde und von 1952 an „Kasernierte Volkspolizei“ (KVP) hieß. Deren Mannschaftsstärke erreichte zum Zeitpunkt der DDR-Gründung im Oktober 1949 bereits rund 48.000 Mann und wuchs ständig weiter. Schon im Juli 1950 erklärte General Heinz Hoffmann, Generalinspektor dieser bewaffneten Truppe: „Wir sind keine Polizei, sondern Soldaten!“

Eine der Reaktionen auf diese Vorgänge war im April 1949 die Gründung des Nordatlantischen Verteidigungspaktes, der NATO. Adenauers Ziel war es von Anfang an, die künftigen westdeutschen Truppeneinheiten über eine europäische Verteidigungsgemeinschaft in das Bündnis einzubinden. Aber ihm war auch bekannt, dass ein solches Vorhaben nicht nur in Moskau und bei dessen Vasallen einen Sturm der Entrüstung auslösen, sondern auch bei westeuropäischen Nachbarn, vor allem den Franzosen, sowie in großen Teilen der deutschen Bevölkerung auf Widerstand stoßen würde. Den meisten Westdeutschen klangen die Umerziehungsparolen alliierter Besatzungsoffiziere gegen den deutschen Nationalismus und Militarismus aus den ersten Nachkriegsjahren noch zu deutlich in den Ohren, als dass sie schon wieder Soldat spielen wollten. Die bitteren Erfahrungen mit dem NS-Regime sowie die Leiden und Opfer des verlorenen Krieges hatten bei den meisten Menschen alles Militärische diskreditiert. In seinen Erinnerungen sah Adenauer die Dinge allerdings ein wenig anders. Er schrieb: „Der Gedanke, seinerzeit einen Verteidigungsbeitrag in Europa leisten zu wollen, war im deutschen Volk sehr unpopulär. Und zwar auf Grund der Agitation der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei, auf Grund der Rundfunkkommentare und Zeitungsäußerungen, auch von angeblich neutralen Blättern.“8 Bei einer Emnid-Umfrage im Dezember 1949 sprachen sich 74,6 Prozent der Westdeutschen gegen die Aufstellung eigener militärischer Einheiten aus. Im November 1950, fünf Monate nach dem Ausbruch des Koreakrieges, waren es immer noch 73,4 Prozent. Der Grad der Ablehnung blieb jahrelang konstant. Erst im Dezember 1956, wenige Wochen nach der Niederwalzung des Ungarn-Aufstandes durch sowjetische Panzer, ging der Anteil der Wiederbewaffnungsgegner auf knapp 25 Prozent zurück.

Nun wäre Adenauer nicht der Fuchs gewesen, als der er berühmtberüchtigt war, wenn ihm nach den hohen Wellen, die er mit seinem umstrittenen Interview vom Dezember 1949 im Cleveland Plain Dealer geschlagen hatte, kein taktisches Dementi zur Besänftigung der Gemüter eingefallen wäre. Er ließ flugs durch die Nachrichtenagentur dpa verbreiten, dass er „prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung“ und „gegen die Errichtung einer neuen Wehrmacht“ sei. Den Widerspruch zu seiner Interviewäußerung begründete der Kanzler mit dem schlechten Deutsch des amerikanischen Journalisten John P. Leacacos, der mit ihm gesprochen hatte, und dessen mangelhafter Vertrautheit mit den deutschen Problemen. Auch in der ersten Wehrdebatte des Bundestages am 16. Dezember 1949 leugnete der Regierungschef, dass er die Aufstellung westdeutscher Truppen anstrebe. Dies hinderte ihn aber nicht daran, schon am 24. Mai 1950 den ehemaligen Wehrmachts-Panzergeneral Gerhard Graf Schwerin offiziell zu seinem technischen Sicherheitsberater, in Wirklichkeit aber zum Organisator für den geheimen Aufbau einer mobilen Bundesgendarmerie – ein damals noch erwogenes Gegengewicht zur KVP in der DDR – zu ernennen. Allerdings entließ Adenauer diesen Berater Graf Schwerin am 28. Oktober wieder, weil er ihm vorwarf „zu politisieren“.9

Schon als die Sowjetunion am 29. August 1949 ihre erste Atombombe zündete, gab es in den westlichen Hauptstädten nachdenkliche Gesichter. Die Situation änderte sich dann grundlegend, als am 25. Juni 1950 Truppen des mit der Sowjetunion verbündeten nordkoreanischen Diktators Kim Il-sung überfallartig in den Süden der geteilten koreanischen Halbinsel vordrangen und einen langen blutigen Krieg vom Zaun brachen. Nordkorea gelang es binnen wenigen Wochen, den Süden des geteilten Landes fast vollständig zu erobern, bevor die Amerikaner im Auftrag des UN-Sicherheitsrates eingriffen, die Aggressoren zurückschlugen und erst 1953 einen Waffenstillstand bei fortdauernder Teilung des Landes erzwangen.

Für die DDR-Führung war der kommunistische Angriff auf Südkorea ein Anlass, auch in Deutschland eine koreanische Lösung zu propagieren. SED-Generalsekretär Walter Ulbricht schlug am 3. August 1950 bei einer Parteiveranstaltung im Ost-Berliner Friedrichstadtpalast scharfe Töne an: „Korea lehrt, dass Marionettenregierungen wie die in Südkorea, oder man kann auch nennen die in Bonn, früher oder später doch vom Willen des Volkes hinweggefegt werden … Und von den patriotischen Kräften des Volkes wird mit aller Kraft der Kampf geführt werden, um die Nester der Kriegsprovokation zu liquidieren, so wie das in Südkorea gegenwärtig geschieht.“10

Vor diesem Hintergrund forderte der britische konservative Ex-Premierminister Winston Churchill am 11. August 1950 in der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg die Errichtung einer westeuropäischen Armee mit deutscher Beteiligung. Die Erklärung dieses Helden des Zweiten Weltkrieges ermutigte Adenauer, sein Ziel, die Bundesrepublik unumkehrbar im Westen zu verankern, mit neuem Elan anzugehen. Er tat dies, indem er fortan neutralistische Bestrebungen abwehrte und den Westalliierten anbot, mit westdeutschen Streitkräften zum Verteidigungsbündnis der NATO beizutragen.

2.1 Bevölkerungsmehrheit gegen die Bundeswehr

Die Bevölkerungsmehrheit hatte er damit aber, wie erwähnt, noch lange nicht hinter sich. Um sie musste der Gründungskanzler der Bundesrepublik in der Folgezeit beharrlich ringen und vor allem musste er auch überzeugend darlegen, dass keine deutsche Söldnertruppe der Alliierten entstehen werde. In der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre beschäftigte kein politisches Thema die westdeutsche Öffentlichkeit mehr als die Aufstellung der Bundeswehr und die damit zusammenhängende Einführung der Wehrpflicht. Gegner der Wiederbewaffnung regten sich in allen Schichten und politischen Lagern. Wie das Bundesinnenministerium 1952 mitteilte, gab es seit 1949 in der Bundesrepublik 175 antimilitaristische Organisationen, die eine Wiederbewaffnung verhindern wollten. Zu ihnen zählte die aus vielen losen Gruppierungen bestehende „Ohne mich!“-Bewegung, die 1950 ganz spontan entstand. Ihre Mitglieder wollten vor allem gegen die Politik Adenauers protestieren, entwickelten aber keine politische Stoßkraft, weshalb sie weder von Sozialdemokraten noch Kommunisten nachhaltig unterstützt wurden. Als die Bewegung dann auseinanderbrach, gelang es der KPD, einige abbröckelnde Teile ideologisch und agitatorisch für ihre Ziele einzuspannen.11 Den Organisatoren und Geldgebern, die in Ost-Berlin saßen, kam dabei zugute, dass in diesen frühen Jahren die Grenzen zur Bundesrepublik noch offen und damit durchlässig für ihre Instruktoren und Spione waren. An der Auseinandersetzung beteiligten sich linke und rechte Akteure. Im Bundestag kämpften verkappte Nazis und getarnte DDR-Agenten gegen die „Adenauer-Armee“. Und bei den außerparlamentarischen Gruppierungen verschwamm oft die Grenze zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten.12 Gewerkschafter, nach links tendierende Frauenorganisationen und kirchliche Verbände meldeten gegen neue Soldaten energischen Widerspruch an; vor allem aber die damals im Bundestag mit 15 Mandaten vertretene KPD, deren Nachwuchsorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ), die bis 1951 in Westdeutschland zugelassen war, und andere offen mit der DDR sympathisierende Gruppen versuchten, durch Kampagnen und Aktionen die Stimmung anzuheizen. Es gelang ihnen vor allem in den ersten Jahren, unerfahrene Bürger, die nichts oder nur wenig von der Polizeiarmee der DDR – die Vorläuferin der Volksarmee – wussten, zu verunsichern. Jene Jahre waren, anders als von der Achtundsechziger-Generation später behauptet, keineswegs eine verschlafene, bleierne Zeit ohne leidenschaftlichen und unermüdlichen Streit um den richtigen politischen Weg. Die Auseinandersetzung um die Wiederbewaffnung entwickelte sich zu einer der schwierigsten Phasen des 40-jährigen Kalten Krieges.

Die Weichen für diesen Kampf wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 gestellt. Adenauer unterstrich am 17. August in einem Interview mit der New York Times die „Notwendigkeit der Schaffung einer starken deutschen Verteidigungskraft“. Und am 29. August richtete er sein berühmt gewordenes, zunächst aber geheim gehaltenes „Sicherheitsmemorandum“ an die Adresse der Alliierten Hohen Kommissare. Unter Hinweis auf den Schock des Koreakrieges regte der Kanzler die Verstärkung der in der Bundesrepublik stationierten westalliierten Truppen bei gleichzeitiger Beteiligung deutscher Streitkräfte an. Der Schritt Adenauers erregte, als er bekannt wurde, auch deshalb Aufsehen, weil er ihn nicht vorab mit seinem Kabinett abgestimmt hatte. Vor allem die SPD übte daran scharfe Kritik. In der CDU fühlte sich ebenfalls so mancher übergangen. Und Bundesinnenminister Gustav Heinemann, CDU-Gründungsmitglied, zugleich Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der EKD-Synode, sah sich durch den Alleingang Adenauers aufs Äußerste brüskiert.13 Aus Protest dagegen, dass der Bundeskanzler „unter Aushebelung der demokratischen Strukturen“ die Wiederbewaffnung anstrebe, trat Heinemann dann am 11. Oktober zurück. Obwohl Adenauer den Rücktritt noch am gleichen Tag in einer Rundfunkansprache zu erklären versuchte, zog der Vorgang den massiven Widerspruch vor allem von Teilen des deutschen Protestantismus nach sich. Der spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) hat zwei Jahrzehnte später geschildert, dass „nicht wenige fromme und auch einige unfromme Leute“ Heinemann wegen seiner Demission „im Märtyrerschein“ sahen. Ein schwäbischer Pietist habe Heinemann seinerzeit als einen „Mann des Friedens“ bezeichnet, der anders als der „Gewalthammel Adenauer“ Politik unter den Augen Gottes betreibe.14

Der Linksprotestant Heinemann kehrte 1952 der CDU den Rücken und gründete zusammen mit der Linkskatholikin und früheren Zentrumspolitikerin Helene Wessel die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP), die für strikte Neutralität sowie eine deutsche Wiedervereinigung ohne Blockbildung und Aufrüstung eintrat – alles Ziele, für die sich damals DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl ebenfalls stark machte. Der GVP gehörten auch der spätere Bundespräsident Johannes Rau, Erhard Eppler, Diether Posser und Jürgen Schmude an, die fünf Jahre danach zusammen mit Heinemann zur SPD überwechselten und dort Karriere machten. Bei den Bundestagswahlen 1953 trat die GVP in einer Listenverbindung mit der von der SED gegründeten und von ihr auch alimentierten kommunistischen Tarnorganisation Bund der Deutschen (BdD) an.15 Beide Parteien erhielten zusammen 1,2 Prozent der Stimmen. 1957 wurde die GVP aufgelöst.

Die Bewegung der Bekennenden Kirche gehörte zu den entschiedensten Gegnern der Wiederbewaffnungspläne und propagierte vor allem die Kriegsdienstverweigerung. Einer der wichtigsten Wortführer dieser innerkirchlichen Oppositionsgruppe, Martin Niemöller, war Leiter des Kirchlichen Außenamtes und Präsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Schon weil er während des Dritten Reiches verfolgt war, gehörte Niemöller zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Friedensbewegung. Er forderte von Adenauer, zwischen Ost und West Brücken zu bauen, anstatt zu spalten. In einem Offenen Brief an den Kanzler kündigte der Pastor am 4. Oktober 1950 an, evangelische Christen würden sich „jeder Remilitarisierung praktisch widersetzen“. Im Zweifel werde man wieder einmal Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen. Niemöller forderte die Ausschreibung von Neuwahlen. Denn die Wiederaufrüstung sei bei den Bundestagswahlen 1949 noch kein Thema gewesen, weshalb der Wählerwillen durch die neuen Planungen verfälscht werde. Auf einer Großveranstaltung des Evangelischen Männerwerks in Frankfurt am Main bezeichnete Niemöller die in beiden Teilen Deutschlands geplante Bewaffnung als „Auftakt zum Brudermord“. Adenauer konterte in der Sitzung des Bundeskabinetts vom 17. Oktober 1950 mit der Feststellung, diese Äußerung sei „nackter Landesverrat“.

Der Pastor sah sich allerdings auch innerhalb der evangelischen Kirche heftiger Kritik ausgesetzt. Vor allem seine zehntägige Reise nach Moskau, die er Anfang 1952 als erster Westdeutscher nach dem Krieg auf Einladung des russisch-orthodoxen Patriarchen unternahm, wurde ihm als politische Anbiederung an den Kommunismus ausgelegt. Im Rat der EKD warf man ihm Naivität vor, weil er auf die Selbstdarstellung der russischen Orthodoxie hereingefallen sei. In der kirchlichen Presse wurde die Reise verhalten, in der politischen Presse „heftigst kritisiert“.16 Im Jahr 1959 bezeichnete der streitbare Theologe bei einer christlichen Friedensversammlung in Kassel die Raketenausbildung bei der Bundeswehr sogar als „Hohe Schule für Berufsverbrecher“, was bei den Wehrdienstleistenden große Empörung auslöste. Der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) stellte daraufhin im Interesse der Soldaten, die sich diffamiert fühlten, gegen den Pastor Strafantrag, blieb damit aber vor Gericht ohne Erfolg.17 In der Öffentlichkeit war der Kirchenmann schon frühzeitig wegen seiner einseitigen Haltung umstritten. Während er die entstehende westdeutsche Armee vehement ablehnte, fiel sein Urteil über den gleichzeitigen Aufbau von Streitkräften in der DDR sehr milde aus. Niemöller setzte diesen Kurs, mit dem er auch immer wieder innerkirchlich aneckte, bis zu seinem Tod im März 1984 fort.

Die drei Westmächte, die in der Bundesrepublik bis Mai 1955 die oberste Gewalt ausübten, verständigten sich während einer Konferenz ihrer Außenminister vom 12. bis zum 18. September 1950 in New York18 im Grundsatz über den westdeutschen Wehrbeitrag, wobei Frankreich allerdings noch starke Vorbehalte anmeldete. Die Außenminister der Ostblockstaaten reagierten bei einer Konferenz am 20. und 21. Oktober mit einer gemeinsamen Erklärung gegen die geplante Remilitarisierung Deutschlands.

Auf Geheiß Adenauers und des amerikanischen Hohen Kommissars John McCloy traf sich vom 5. bis 9. Oktober 1950 eine Expertengruppe von 15 ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, unter ihnen zehn Generäle und Admiräle, in der Abgeschiedenheit des Zisterzienserklosters Himmerod in der Eifel zu einer geheimen Tagung, in der über Struktur und Ausrüstung der künftigen westdeutschen Streitkräfte beraten wurde. Die „Himmeroder Dokument“ genannte Denkschrift, die dabei entstand, gilt als Gründungsakte der Bundeswehr. In ihr werden bereits die miteinander zusammenhängenden liberal-demokratischen Prinzipien des „Staatsbürgers in Uniform“ und der „Inneren Führung“ beschrieben, die dann für die neuen Streitkräfte richtungweisend werden sollten. Mit dem CDU-Abgeordneten Theodor Blank, der es im Krieg bis zum Oberleutnant gebracht hatte, holte sich der Bundeskanzler am 26. Oktober 1950 einen „Beauftragten für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ an seine Seite. Dessen Behörde, das „Amt Blank“, wurde die Keimzelle des späteren Bundesverteidigungsministeriums.

2.2 Bedenken der Franzosen

Den Bedenken der Franzosen gegen eine deutsche Wiederbewaffnung sollte der vom französischen Ministerpräsidenten René Pleven am 24. Oktober 1950 vorgelegte und nach ihm benannte Plan für eine Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft (EVG) Rechnung tragen. Der „Pleven-Plan“ sah die Eingliederung westdeutscher Soldaten in kleinstmöglichen Einheiten in eine künftige Europa-Armee vor. Er wurde zwar im Lauf des Jahres 1952 unterzeichnet, scheiterte aber 1954 in der französischen Nationalversammlung.

Am 8. November 1950 kam es im Bundestag zu einem ersten heftigen Streit um die Wiederbewaffnung. Adenauer stellte dort seine Pläne für den Aufbau deutscher Streitkräfte vor. SPD-Oppositionsführer Kurt Schumacher focht erbittert dagegen und erklärte, die Angst vor dem Osten dürfe nicht zum Propagandainstrument für eine Militarisierung werden. Die Deutschen würden in einer Europa-Armee nicht als gleichberechtigte Partner akzeptiert. Schließlich billigte das Parlament die Überlegungen Adenauers mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen CDU/CSU, FDP und Deutsche Partei (DP).

Schon lange vor diesem Grundsatzbeschluss hatten sich die Gegner der Adenauer’schen Sicherheitspolitik in beiden Teilen des Landes zu formieren begonnen. Zu den Aktionen der DDR gehörte das „Deutschlandtreffen“ der FDJ an Pfingsten (27. bis 30. Mai) 1950 in Ost-Berlin, das mit einem „Kongress der jungen Friedenskämpfer“ verbunden war, den der Schriftsteller Stephan Hermlin eröffnete. Bei Veranstaltungen im Rahmen des Deutschlandtreffens forderten Redner den Abzug der Besatzungstruppen, den Verzicht auf einen Beitritt der Bundesrepublik in die NATO sowie den Abschluss eines Friedensvertrages. An einem sechsstündigen Vorbeimarsch vor der Ehrentribüne mit DDR-Staats- und Parteiprominenz nahmen rund 700.000 Kinder und Jugendliche teil, darunter mehr als 30.000 aus der Bundesrepublik. Auf ihrer Rückreise wurden etwa 10.000 dieser westdeutschen Teilnehmer am innerdeutschen Eisenbahn-Grenzübergang Herrnburg nahe Lübeck – angeblich „zwecks Vermeidung der Einschleppung von Krankheiten aus der Ostzone“ – von Zoll und Polizei aufgehalten und registriert. Es kam zu Ausschreitungen zwischen Polizei und FDJ-Mitgliedern, die sich weigerten, ihre Personalien anzugeben. Sie mussten zwei Tage ausharren, bis sie dann auch unregistriert weiterfahren durften.

Unerfahrenheit im Umgang mit Protest und jugendlichem Überschwang führte in jener Frühzeit des Kalten Krieges immer wieder zu solchen harten Sicherheitsmaßnahmen. Sie waren Ausdruck eines sich in beiden Teilen Deutschlands ausbreitenden Nervenkrieges. Die SED teilte 1950 für jedes westdeutsche Bundesland Instrukteure ein, die regelmäßig in ihre Einsatzgebiete entsandt wurden und mit Unterstützung der KPD für die Ziele der DDR zu agitieren hatten. Für wichtige Stadt- und Landkreise gab es eigene Kreisinspektoren.19 Die Wochenzeitung Die Zeit schrieb bereits im August 1950, dass „in ständig steigendem Maße unter Aufwendung enormer Mittel“ aus dem „Büro Eisler“ (gemeint war das Ministerium des damaligen DDR-Propagandachefs Gerhard Eisler) „auf offiziellem und inoffiziellem Wege Propagandamaterial nach dem Westen“ ströme. Solches Material treffe waggonweise ein, und die Zahl der Agenten, die aus der DDR in die Bundesrepublik eingeschleust würden, betrage monatlich etwa 200, hieß es in dem Blatt. Es schätzte die Zahl der schon damals in der Bundesrepublik getarnt operierenden kommunistischen Untergrundorganisationen auf 50.20 Dazu kam neben der KPD und ihrer Nachwuchsorganisation FDJ eine Reihe offen für die Ziele des Kreml und der SED arbeitender Verbände wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der Kulturbund für die demokratische Erneuerung und der Demokratische Frauenbund. Eine weitere von Ost-Berlin initiierte Gruppe, die Friedenskämpfer, begingen den 1. September, den Tag, an dem 1939 mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, als „Antikriegstag“ und wie in der DDR den 1. Oktober als „Tag der Hunderttausend Friedenskämpfer“. Sie wurden in mehrwöchigen Kursen geschult. Das „Deutsche Friedenskomitee“ in Ost-Berlin, aus dem 1953 der Deutsche Friedensrat der DDR hervorging, gab auch für in der Bundesrepublik eingesetzte Agitatoren Referentenmaterial heraus, in dem „die Einbeziehung Westdeutschlands in aggressive militärische Gruppierungen mit dem Ziel eines neuen Krieges“ an die Wand gemalt wurde. Einem jeden, der ihre Aktivitäten mit Einwirkungsversuchen der SED in Zusammenhang brachte, warfen diese Friedenskämpfer „Kalte-Kriegs-Propaganda“ vor, mit der die legitimen Anliegen ihrer Bewegung diskreditiert werden sollten. Dabei dienten Friedenskomitee und Friedensrat bis zum Ende der DDR 1990 als Deckadresse für Westkontakte des MfS.

2.3 Der „Große Bannerträger des Friedens“

Da die UdSSR dem Thema höchsten Stellenwert beimaß, berief sie offizielle Vertreter der Ostblockstaaten für den 20. und 21. Oktober 1950 zu einer Konferenz nach Prag ein. Auf ihr wurde die westdeutsche Wiederbewaffnung verurteilt und es wurden vorbereitende Schritte zur Bildung einer gesamtdeutschen provisorischen Regierung gefordert. Ebenfalls im Herbst 1950 trafen sich in der DDR auf Initiative des dortigen Friedenskomitees wiederholt westdeutsche Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler zu Kongressen, bei denen die angeblich nur dem wahren Frieden dienenden Ziele der SED sowie der eiserne Friedenswille der Sowjetunion und des „Großen Bannerträgers des Friedens“, Josef Stalin, propagiert wurden. So verabschiedete am 4. und 5. November 1950 ein nach Ost-Berlin einberufener „Deutscher Friedenskongress“ mit Teilnehmern aus beiden deutschen Staaten unter Vorsitz des Schriftstellers Arnold Zweig „Richtlinien gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands“.

Anne Hartmann und Wolfram Eggeling haben in ihrem Buch „Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953“ das Vorgehen der damaligen, „in einer unheilvollen Verschränkung mit dem Stalinismus“ befangenen Weltfriedensbewegung dargestellt. Das im November 1950 in Paris etablierte Steuerungsorgan Weltfriedensrat habe in rascher Abfolge große einseitig orientierte Kongresse veranstaltet. „Die gesamte Rhetorik zielte darauf, die USA allein für die Kriegshetze schuldig zu erklären“, schrieben die Autoren. „Die Appelle gingen ständig mit Versuchen einher, Andersdenkende zu disziplinieren, abweichende Meinungen zu verunglimpfen und andere Bewertungen zu verwerfen.“ Die Stimmung unter den in dieser Friedensbewegung engagierten Intellektuellen sei von dem Satz des Schriftstellers Thomas Mann aus dem Jahr 1944 geprägt gewesen, wonach der Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Kommunismus die „Grundtorheit unserer Epoche“ sei.21

DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl begann am 30. November 1950 mit einem Brief an Adenauer eine Propagandaoffensive, die sich über die nächsten Jahre hinzog. Mit seinem Vorschlag, gesamtdeutsche Gespräche zu führen und einen paritätisch besetzten „Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat“ zur Vorbereitung auf eine Wiedervereinigung zu bilden, stiftete der SED-Politiker im Westen erhebliche Verwirrung. Die drei Westalliierten, denen die Sowjets bereits am 3. November 1950 die Einberufung einer Viermächtekonferenz über die totale Entmilitarisierung und Neutralisierung eines vereinigten Deutschlands vorgeschlagen hatten, fanden die Vorstöße für so wichtig, dass sie darüber am 14. Dezember mit Adenauer bei einer Sitzung ihrer Hohen Kommissare berieten. Der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy äußerte bei diesem Treffen auf dem Petersberg die Sorge, dass die von den Russen ausgehende neue Offensive darauf abziele, Deutschland vom Westen abzudrängen. Dabei solle die Bundesrepublik aus ihrer sicheren Lage gegenüber dem Osten dadurch gelockt werden, „dass man ihr den Köder der deutschen Einheit vorhält“. Am 19. Dezember waren die östlichen Initiativen Thema bei einem Außenministertreffen des Nordatlantikrates in Brüssel. Dass der Köder aus Moskau und Ost-Berlin eine enorme Versuchung darstellte, zeigten 70 Vertreter des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens schon am 30. Dezember 1950. Sie ließen Adenauer einen Appell übergeben, in dem er aufgefordert wurde, unverzüglich Gespräche mit der DDR aufzunehmen. Überhaupt zeigte es sich um den Jahreswechsel 1950 / 51, dass nicht nur Sozialdemokraten und Freie Demokraten, sondern auch so mancher Hinterbänkler in Adenauers CDU vom Aktionismus des SED-Staates keineswegs unbeeindruckt blieb. Mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete stellten öffentlich die Frage, ob man die Wiederbewaffnung durchsetzen und „derart gegen Volkes Stimme regieren“ dürfe.22

Der Bundeskanzler überlegte mit seinen Beratern wochenlang, wie er auf den Grotewohl-Brief reagieren solle, ohne das von Bonn nicht anerkannte Regime in Ost-Berlin aufzuwerten. Ein Antwortschreiben kam nicht infrage. Also gab Adenauer am 15. Januar 1951 eine Erklärung mit einem Bekenntnis zur deutschen Einheit sowie zu Frieden und Freiheit ab. In der DDR schien man an dem angelaufenen Pingpong-Spiel mit Bonn nunmehr erst so richtig Gefallen zu finden. Denn am 29. Januar hielt Grotewohl vor der Volkskammer eine Rede, in der er sein Verhandlungsangebot wiederholte. Und am Tag darauf sekundierte Volkskammerpräsident Johannes Dieckmann mit einem Schreiben an Bundestagspräsident Hermann Ehlers, in dem er Verhandlungen über die Wiedervereinigung auf Parlamentsebene vorschlug.

Die Machthaber in Ost-Berlin wussten nicht zuletzt durch Agenten des am 9. Februar 1950 gegründeten Staatssicherheitsdienstes sehr genau, dass die damals in der Bundesrepublik und bei ihren westeuropäischen Nachbarn grassierende Kriegsfurcht ihre Wirkung tat. Nicht nur Politiker aller Parteien, sondern auch viele einfache Bürger diskutierten über die Frage, ob man es sich leisten könne, über die Avancen aus dem Osten hinwegzugehen. Sollte man nicht wenigstens einen Versuch unternehmen, herauszufinden, wie ernst die Vorschläge gemeint waren?

Solche Überlegungen stellten zum Beispiel 450 Landwirte und Forstleute aus Nordrhein-Westfalen an, die bei einer Zusammenkunft an die Bundesregierung appellierten, sich um die Frage der deutschen Einheit intensiver zu kümmern. Auch ein hannoverischer Oberlandeskirchenrat, ein bayerischer Ministerialdirektor und ein Kaplan aus Schweinfurt wollten die Initiative Grotewohls näher geprüft sehen. Selbst der Berliner evangelische Bischof Otto Dibelius, sonst alles andere als ein Freund der Kommunisten, bot für eine erste Begegnung zwischen west- und ostdeutschen Politikern kirchliche Räume an.

Die aus dem Osten dirigierte Kampagne gegen die westliche Sicherheitsstrategie wurde von den kommunistischen Parteien Westeuropas mit Demonstrationen, Kongressen, Unterschriftenkampagnen, Resolutionen und Appellen geführt. Vom 18. bis 23. März 1950 trafen sich Friedensbewegte aus 81 Ländern zu einem Weltfriedenskongress in der schwedischen Hauptstadt und verabschiedeten einen „Stockholmer Appell“ für „das absolute Verbot der Atomwaffe, als eine Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung“. Der Appell wurde von mehr als 500 Millionen Menschen – vier Fünftel von ihnen aus dem Ostblock und der Volksrepublik China – unterzeichnet. Als Intellektuelle aus Ost-Berlin, unter ihnen Wolfgang Langhoff, der Intendant des Deutschen Theaters, im Juli 1950 auf Weisung des SED-Politbüros am Kurfürstendamm im Westen der Stadt Unterschriften für den Stockholmer Appell sammeln wollten, mussten sie unverrichteter Dinge umkehren. Wie Der Spiegel damals schrieb, wurden manche der Unterschriftensammler nicht nur beschimpft, sondern auch handgreiflich bedroht, sodass sie von der Polizei beschützt werden mussten.23 Vom 16. bis 22. November 1950 fand ein weiterer Weltfriedenskongress statt, diesmal in Warschau. Dabei konstituierte sich ein „Weltfriedensrat“, der Jean Frédéric Joliot-Curie, den Träger des Chemie-Nobelpreises von 1935, an seine Spitze wählte.

Als „größte Manifestation des Willens zum Frieden, die Westdeutschland erlebt hat“, bezeichnete der als Organ der DDR-Propaganda arbeitende Deutschlandsender in seinem Programm für Westdeutschland einen am 7. Februar 1951 unter kommunistischer Regie in Essen veranstalteten „Friedenskongress gegen die Remilitarisierung“. 1700 Teilnehmer gaben dort, wie der Ost-Berliner Kommentator Karl Eduard von Schnitzler kundtat, „ihrer Friedensliebe Ausdruck“. Prominentester Redner war Kurt Henschel, Luftwaffengeneral und Ritterkreuzträger des Zweiten Weltkrieges, der mit sich überschlagender Stimme vor der Aufstellung westdeutscher Soldaten warnte. „Ein neuer Weltkrieg“, rief er der Menge zu, „ist Wahnsinn, der nur schizophrenen Gehirnen entspringen kann.“ Die versammelten Friedenskämpfer wählten ein zentrales Komitee, das in allen Bundesländern Arbeiterkonferenzen zur Mobilisierung von Gegnern der Wiederbewaffnung veranstalten sollte. In einer von dem Kongress verabschiedeten Resolution wurde die Bundesregierung aufgefordert, umgehend eine Volksabstimmung über die folgende Frage durchzuführen: „Sind Sie gegen die Remilitarisierung und für einen Friedensvertrag mit Deutschland 1951?“ Eine siebenköpfige Abordnung fuhr aus Essen nach Bonn, um die Resolution dem Bundeskanzler zu überbringen. Adenauer ließ sie von seinem persönlichen Referenten empfangen. Im April 1951 bildete sich ein 80-köpfiger Volksbefragungs-Hauptausschuss, durch den wiederum überall im Land Unterausschüsse eingesetzt wurden, die das Plebiszit vorantrieben. In dem Hauptausschuss hielt die KPD die Zügel fest in der Hand, überließ jedoch den Vorsitz – entsprechend ihrer auch bei der Besetzung anderer Gremien geübten Volksfrontpraxis – einem prominenten Pazifisten und Nicht-Kommunisten, nämlich dem damals bereits 85-jährigen Generalmajor des Ersten Weltkrieges, Paul Freiherr von Schoenaich, Präsident des Kuratoriums der Deutschen Friedensgesellschaft (Bund der Kriegsdienstgegner). Als weitere parteineutrale Aushängeschilder, hinter denen sich waschechte Kommunisten verbargen, wurden Ex-Luftwaffengeneral Karl Henschel und der Bremer Pastor Johannes Oberhof für die Volksabstimmungskampagne eingespannt.24

Der Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser (CDU), kämpfte mit Entschiedenheit gegen diese Volksbefragung. Er ließ in Städten und vor Großbetrieben Plakate kleben, auf denen stand: „Wer an der kommunistischen Volksbefragung teilnimmt, gefährdet den Frieden und stellt sich in den Dienst des Bolschewismus.“ Die Volkskammer der DDR beeilte sich zu verkünden, dass die Volksbefragung in ihrem Machtbereich sofort beginnen könne. Sie fand dann dort vom 3. bis zum 5. Juni 1951 über die Aufrüstungspläne in der Bundesrepublik, nicht aber über die bereits begonnene Wiederbewaffnung in der DDR, statt. SED-Generalsekretär Ulbricht hatte bereits im April erklärt: „Wer sich nicht an der Volksbefragung … beteiligt, der macht sich mitschuldig an den Verbrechen, die von Eisenhower, Adenauer & Co. gegen das deutsche Volk vorbereitet werden.“25 Doch in der Bundesrepublik erklärten Verfassungsjuristen, ein solches Plebiszit lasse sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren. Eine breite Mehrheit des Bundestages richtete deshalb am 20. April 1951 eine Interpellation an die Bundesregierung, in der es hieß, die verfassungswidrige Volksbefragung finde „offensichtlich im Auftrag der SED und sowjetzonaler Stellen mit dem Ziel der Zersetzung der Demokratie“ statt. Am 14. April wurde dann die angelaufene Befragungsaktion durch Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) verboten. Als sich die Initiatoren nicht an das Verbot hielten, schritt die Polizei in 8761 Fällen ein und nahm 7331 Helfer der Aktion fest. Der auf Weisung der SED agierenden KPD, der FDJ und ihrem Anhang gelang es dennoch, bis zum März 1952 angeblich mehr als neun Millionen Unterschriften zu sammeln, nach dem Urteil von Historikern eine weit übertriebene Zahl.26 Prominentester Unterzeichner war Thomas Mann. Der bekannte Rennfahrer Manfred von Brauchitsch, der bereits den Stockholmer Appell unterzeichnet hatte, wurde im Zusammenhang mit der Kampagne festgenommen.27

Der stellvertretende Sowjet-Außenminister Andrej Gromyko machte am 5. März 1951 bei der Vorbesprechung für eine Pariser Außenministerkonferenz der vier Großmächte keinen Hehl daraus, wie sehr die Aufstellung einer bundesdeutschen Armee seine Regierung umtrieb. Er bezeichnete die Remilitarisierung Westdeutschlands als „das den Frieden am meisten gefährdende Problem überhaupt“. Der „Friedenskampf“ wurde von Gromykos ostdeutschen Gefolgsleuten und westdeutschen Kommunisten verstärkt in die Städte und Landkreise der Bundesrepublik getragen. „Die Verhinderung der Remilitarisierung ist ein untrennbarer Bestandteil des Kampfes um die deutsche Einheit“, bekamen die Menschen von Agitatoren der KPD und der FDJ zu hören. Sie versuchten vor allem, westdeutsche Hausfrauen mit dem Argument zu beeindrucken, durch die hohen Anschaffungskosten einer neuen Armee würden weitere Preissteigerungen unvermeidlich. Bei vielen Kriegerwitwen, Waisen und Kriegsinvaliden fanden die Werbeslogans der Friedensaktivisten häufig ein offenes Ohr. Von diesen durch den erst sechs Jahre zurückliegenden Krieg besonders hart getroffenen Menschen erhielten Bundesregierung und Parteien fast täglich Briefe, in denen der Frieden beschworen und vor neuen militärischen Abenteuern gewarnt wurde. Pazifistisch gesinnte junge Freiwillige beklebten Wände und Laternenmasten mit Plakaten, auf denen ein großes „F“, das Synonym für Frieden, ins Auge sprang.

Der Bundeskanzler und seine Regierung wollten dem Treiben dieser außerparlamentarischen Gegner nicht tatenlos zusehen. Schon im September 1950 wurde mit dem sogenannten „Adenauer-Erlass“ allen öffentlich Bediensteten Verfassungstreue vorgeschrieben und die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen verboten. Am 11. Juni 1951 setzte der Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Strafrechts in Kraft, mit dem die Paragrafen für Hochverrat, Landesverrat und Staatsgefährdung zum einen Teil verschärft, zum anderen Teil neu gefasst wurden. Am 26. Juni verbot Adenauers Innenminister Lehr die FDJ in Westdeutschland wegen ihrer engen Verbindung zu SED und KPD und weil er in ihrer Tätigkeit „einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes“ sah.

Doch ebendiese FDJ lud vom 5. bis zum 19. August 1951 zu „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ nach Ost-Berlin. An dem Massentreffen nahmen nach Angaben der DDR rund zwei Millionen Jugendliche aus beiden Teilen Deutschlands sowie 26.000 Delegierte aus 104 Ländern teil, die vor allem bei der Eröffnungs- und Abschlussveranstaltung im Walter-Ulbricht-Stadion im Strom der kommunistischen Friedenspropaganda mitschwimmen mussten. Etwa die Hälfte der Festivalgäste nutzte auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter (SPD) und zum Missfallen von FDJ-Chef Erich Honecker die Gelegenheit zum Besuch West-Berlins, wo sie aus provisorischen Suppenküchen beköstigt wurden. Als am 15. August etwa 10.000 Angehörige der FDJ im Westen Flugblätter verteilten, griff die Polizei – im Zeichen des Kalten Krieges – ein, um gemäß einer Verlautbarung Frieden und Ordnung aufrechtzuerhalten. 115 der Demonstranten aus dem Osten wurden festgenommen. Am 28. November 1951 reichte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Antrag auf Verbot der KPD ein. Das Verbotsurteil wurde aber erst am 17. August 1956 gesprochen. Wichtige Argumente für das Verbot hatte die KPD 1952 selbst geliefert, als sie zum „revolutionären Sturz des Regimes Adenauer“ aufrief.

Als Auftakt zur Westintegration Nachkriegsdeutschlands wurde am 18. April 1951 der „Schuman-Plan“ zur Bildung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unterzeichnet. Gründerstaaten waren Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und die Bundesrepublik. Das Abkommen über einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl trat am 23. Juli 1952 in Kraft und hatte eine Laufzeit von 50 Jahren. Den nächsten wichtigen Schritt hin zu der von Adenauer als Grundpfeiler seiner Außenpolitik angestrebten Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft unternahmen die drei westalliierten Außenminister bei einer Konferenz vom 10. bis 14. September 1951 in Washington. Sie erklärten dort ihre Entschlossenheit, Westdeutschland in eine europäische Gemeinschaft aufzunehmen, die mit den USA zu einem atlantischen Bündnis verschmolzen sein solle. Allerdings waren die Minister zunächst lediglich zur Erneuerung ihrer unilateralen Sicherheitszusagen für den Fall eines Angriffs bereit, die sie jederzeit hätten widerrufen können. Der Kanzler, der eine Vereinbarung über eine gegenseitige Beistandspflicht vorgeschlagen hatte, zeigte sich bitter enttäuscht. Er hielt einen deutschen Verteidigungsbeitrag ohne eine solche sichere Zusage für unzumutbar. Die alliierten Vorstellungen, erklärte Adenauer zur Verblüffung der Hohen Kommissare voller Zorn, wären, wenn sie bekannt gemacht würden, die beste Unterstützung für Grotewohls Neutralisierungspläne. Als Konsequenz beschloss der Kanzler nun, bei den Westmächten eine Mitgliedschaft in der NATO als Vorbedingung für den Beitritt zur damals noch geplanten EVG durchzusetzen.

Einen Tag nach der Konferenz von Washington startete DDR-Volkskammer-Präsident Johannes Dieckmann einen weiteren Versuch, die noch immer nicht völlig geklärte Frage der Wiederbewaffnung zu beeinflussen. Er wiederholte seine Anregung vom Januar, dass sich Vertreter beider Teile Deutschlands zu Beratungen über freie Wahlen treffen sollten. Ziel solcher Wahlen müsse die Bildung eines einheitlichen, demokratischen und friedliebenden Landes und der beschleunigte Abschluss eines Friedensvertrages sein. Es gelte, schrieb Dieckmann weiter, die durch die Spaltung latent wirkende Kriegsgefahr zu beseitigen.

Zu Adenauers Entsetzen fanden die Avancen aus Ost-Berlin nicht nur bei seinem SPD-Widersacher Kurt Schumacher und einschlägig bekannten kirchlichen Kreisen immer größeres Interesse. Auch innerhalb der CDU führte das Angebot Dieckmanns nun zu Meinungsverschiedenheiten. Während der Kanzler bei einer Sitzung des CDU-Bundesparteiausschusses am 27. September 1951 von einem „politischen Bluff“ und einer Störaktion sprach, die darauf abgestellt seien, bei westlichen Nachbarn Misstrauen gegen die Bundesrepublik zu erregen, hielt der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Heinrich von Brentano, der später (von 1955 bis 1961) Bundesaußenminister wurde, die Initiative der Volkskammer für durchaus beachtenswert. Der gesamtdeutsche Minister Jakob Kaiser sprach sich im Oktober 1951 bei einem Parteitag der Exil-CDU in West-Berlin – in Anlehnung an die östliche Offerte – für ein wiedervereinigtes Deutschland in bewaffneter Neutralität aus. Dieses stellte er sich als Brücke vor, auf der sich Ost und West in der Deutschlandfrage begegnen könnten. Als er sich in diesem Sinn im Kabinett für die sorgfältige Prüfung der Stalin-Noten aussprach, stieß dies auf harsche Ablehnung durch den Kanzler. Der Berliner CDU-Politiker und spätere Bundesvertriebenenminister Johann Baptist Gradl hielt allerdings Adenauer vor, dass in der DDR-Bevölkerung vielfach die Auffassung herrsche, die Regierung in Bonn lasse es am nötigen Engagement für die Wiedervereinigung fehlen. Adenauer entgegnete, dass „die Sowjets ein neutrales, unbewaffnetes Gesamtdeutschland niemals respektieren“ würden, weshalb an einer Einbindung der Bundesrepublik in den Westen kein Weg vorbeiführe. Außerdem warnte er davor, die Schaukelpolitik der Weimarer Zeit zu wiederholen.28

In den folgenden Monaten arbeiteten die Westmächte untereinander sowie die Hohen Kommissare mit der Bundesregierung am Vertragsentwurf für die (dann nicht zustande gekommene) Europäische Verteidigungsgemeinschaft und den „Deutschlandvertrag“. Dieser Vertrag, mit dessen Inkrafttreten zwei Jahre später die Hohen Kommissare abgeschafft werden sollten und die Bundesrepublik weitgehend die Rechte eines souveränen Staates erhalten sollte, wurde von den drei Westmächten „Generalvertrag“ genannt. Adenauer musste für seine Ziele hart kämpfen, denn verschiedene Seiten übten Druck auf ihn aus: Zwar wollten die Amerikaner möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen, die Briten verhielten sich jedoch eher abwartend und auch die Franzosen hätten sich für ein so weitreichendes Abkommen mit dem ehemaligen Kriegsgegner lieber mehr Zeit gelassen. Und je länger sich die Verhandlungen hinzogen, umso geringer schien die Chance zu werden, für die Verträge im Bundestag eine Mehrheit zu finden.