Die Dopingrepublik - Klaus Blume - E-Book

Die Dopingrepublik E-Book

Klaus Blume

4,7

  • Herausgeber: BEBUG
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Dopingrepublik Deutschland: Während die Spezialisten der alten Bundesrepublik schon im Dritten Reich ihr Handwerk lernten, ging es in der DDR erst um 1970 richtig los, dann aber gleich als Chefsache. Im Westen forderte Wolfgang Schäuble, im Osten Erich Honecker die medikamentöse Aufrüstung. Nach 1989 marschierten Ost und West dann vereint in die eine neue Dopingrepublik mit milliardenschweren Interessen - und massiven Vertuschungsaktionen; prominente Bauernopfer müssen seitdem die Einzelfall-Theorie untermauern. Das in Wahrheit flächendeckende und wohlorganisierte (Doping-)System des deutschen Sports beleuchtet kundig und faktenbasiert Insider Klaus Blume. Er gibt treffende Antworten auf drängende Fragen: Wer sind die Sportler, wer die staatlichen Befürworter? Wer bezahlt Doping? Welche Rolle spielen die Ärzte? Was haben Sponsoren, Sportartikel-Hersteller und das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit Doping zu tun? Und können Olympia-Normen wirklich nur unter Zuhilfenahme verbotener Mittel erreicht werden?

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Seitenzahl: 338

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Klaus Blume // DIE DOPINGREPUBLIK

KLAUS BLUME

DIE DOPINGREPUBLIK

Eine (deutsch-)deutscheSportgeschichte

ISBN 978-3-86789-560-6

1. Auflage

© 2012 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlagillustration und -gestaltung: toepferschumann.de

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1. KAPITEL

BETROGENE BETRÜGER

2. KAPITEL

DER GEDOPTE FAHNENTRÄGER

3. KAPITEL

DER SIMULIERTE ANTI-DOPING-KAMPF

4. KAPITEL

ROTE HILFE FÜR DEN ROTEN BULLEN

5. KAPITEL

WIENER BLUT

6. KAPITEL

SPORTREPORTER – SEISMOGRAPHEN DES JOURNALISMUS?

7. KAPITEL

FREIBURGER SCHOKOLADE

8. KAPITEL

KALTER KRIEG IN DER TURNHALLE

9. KAPITEL

MIT DEM KLASSENFEIND ZUM KLASSENZIEL

10. KAPITEL

DIE DREIGESTREIFTE WELT

11. KAPITEL

OLYMPISCHE ÖKONOMIE

12. KAPITEL

DIE RHEINISCHE MAFIA

13. KAPITEL

DER DFB – EIN DOPINGPARADIES

14. KAPITEL

SPORTPFLICHT FÜRS VATERLAND

GLOSSAR

Warum Dopingmittel nicht freigeben?

Was kosten Dopingmittel?

Wer verdient am Dopinghandel?

Warum erfolgt die Einigung im deutschen Sport so zögernd?

Warum dauern Dopingprozesse so lange?

Warum kommt Freiburg nicht zur Ruhe?

Warum finden Dopingfahnder nie etwas?

Warum gibt es kein deutsches Anti-Doping-Gesetz?

Warum werden 33 Jahre alte Rekorde nicht gebrochen?

Wie abhängig sind Sportler von ihren Sponsoren?

REGISTER

VORWORT

Doping – und noch immer kein Ende? Es sieht danach aus. Denn erst im Jahr 2020 können wir mit Sicherheit sagen, wer bei den Olympischen Spielen im Sommer 2012 in London tatsächlich auf ehrliche Weise Olympiasieger geworden ist. Erst dann werden die bis dahin hoffentlich stets aufs Neueste verfeinerten Nachweismethoden endgültig zutage fördern, was die eingefrorenen Dopingproben an verbotenen leistungsfördernden Mitteln enthalten haben – oder ob in London möglicherweise unerwartet wenig oder vielleicht gar nicht manipuliert worden ist.

Sie hoffen jetzt, das alles gehe an der deutschen Olympiamannschaft einfach so vorbei? Ein leider weitverbreiteter Irrglaube, ein leicht zu erschütterndes Vorurteil, denn Doping gehört auch zum hiesigen Sportleralltag dazu. So wie Frühstücken, Trainieren und Duschen. Das untermauert eine Umfrage, die vor fünf Jahren unter 586 anonym gebliebenen deutschen Leistungssportlern in allen olympischen Disziplinen durchgeführt worden ist. Deren Auswertung ergab, dass mindestens ein Viertel dieser Athleten sich während ihrer sportlichen Laufbahn gedopt haben. Die Autoren dieser in Tübingen erarbeiteten Studie kommen allerdings unter Berücksichtigung einer erheblichen Zahl zusätzlicher Informationen zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der Beteiligten zu leistungssteigernden Mittel gegriffen haben muss. Ein ebenso reales wie erschreckendes Ergebnis. Ja, kann das denn sein: Doping in Deutschland? Hat sich dieses Thema in den Jahren 1990 und 1991, also mit der Wiedervereinigung, nicht ganz von allein erledigt? Auch das ist so ein weitverbreiteter Irrtum, mit dem dieses Buch aufräumen möchte. Und auch gleich noch mit dem nächsten unsinnigen Vorurteil, dass nämlich die westdeutschen Sportler die »Guten« gewesen seien, während die ostdeutschen eher in einem anderen Licht gesehen wurden – na ja, nicht ganz so … Musste in damaligen Zeiten doch einmal ein schwarzes Schaf aus der lammfrommen westdeutschen Herde aussortiert werden, – dann allenfalls, weil die ostdeutschen Erfolge es verblendet haben. Oder?

Hätte es sich wirklich so zugetragen, gäbe es zum Beispiel den aktuellen Dopingskandal um die Universitätsklinik Freiburg nicht. Er wäre gar nicht erst entstanden. Oder er wäre längst als Missverständnis ad acta gelegt worden. Doch Sportärzte dieser badischen Universitätsklinik haben ja schon im Dritten Reich die Fitnessmaximierung deutscher Olympiaathleten auf die Spitze getrieben; Erfahrungen, die sie – warum auch? – der jungen Bundesrepublik auf keinen Fall vorenthalten wollten. Freiburg verstand sich schließlich als westdeutsche Antwort auf das ostdeutsche Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig. Vor allem in Sachen Forschung und Doping, was hervorragend funktionierte. Trotzdem ist im Dopingfall Freiburg auch fünf Jahre nach Beginn der ersten Untersuchungen – und damit bei Drucklegung dieses Buches – noch immer keine Anklage erhoben worden. Und es ist fraglich, ob diese unendliche Geschichte jemals einen befriedigenden Abschluss finden kann. Angesichts einer solchen Ausgangslage stellte Winfried Hermann, der Grüne Sportpolitiker aus Stuttgart, bereits 2010 fest: »Eigentlich ist das Thema Korruption im Sport mindestens genauso wichtig wie das Thema Doping. Dass wir aber, im Unterschied etwa zur Bekämpfung des Dopings, bei der Korruptionsbekämpfung im Sport ganz am Anfang stehen und es eigentlich kaum Strukturen und kaum Maßnahmen gibt, um Korruption im Sport aufzudecken. Und schon gar nicht gibt es Strukturen, die das sozusagen wirksam verhindern.« Was David Howman, der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), mit Blick auf den Weltsport, für ebenso wichtig hält. Schließlich gehe es bei diesem komplexen Thema um nichts anderes als um »Geldwäsche, Erpressung und Korruption im Zusammenhang mit Sportmanipulationen«. Es geht also nicht etwa um irgendeinen Regelverstoß, bei dem es nur einer Ermahnung von Sportfreund zu Sportfreund bedarf, sondern um hochkriminelle Vorgänge.

Deutsche Sportler, Trainer, Wissenschaftler, Ärzte und Funktionäre mischen in Sachen Korruption und Doping kräftig mit. Weil so etwas nicht auszuschließen ist, werden es die folgenden Kapitel anhand verschiedener Fälle klar aufzeigen. Denn ein Land wie dieses Deutschland, das einst sogar Hans Grebe, einen Assistenten des KZ-Arztes von Auschwitz, Josef Mengele, zum Präsidenten seines Sportärztebundes berufen hat, darf sich über derartige Verdachtsmomente nicht beschweren. Erst recht kein Land, das – ob in Ost oder West – die Sportlermanipulation immer meisterlich beherrscht hat. Ein Land obendrein, über dessen Ostseehäfen heutzutage ganz offensichtlich jene Wachstumshormone von mafiaähnlich organisierten Banden nach Mitteleuropa hineingeschmuggelt werden, die aus dem Zwischenhirn Verstorbener extrahiert worden sind. Und dieses Land setzt sich auch ganz aktuell dem Verdacht aus, die Causa Doping eher sorglos zu behandeln.

Im Osten sei skrupellos gedopt worden, im Westen naiv hinterhergelaufen? Von wegen! Greifen wir als Gegenargument dafür nur einmal ein Beispiel aus den 1970er-Jahren heraus, als Eigen- und Fremdbluttransfusionen noch nicht als Doping galten und deshalb auch (noch) nicht verboten waren. Im Jahr 1977 wurde in einer Sachverständigenanhörung im Sportausschuss des Deutschen Bundestags das Thema Transfusionen heftig diskutiert. Als Ziel galt dabei ganz klar die Leistungsverbesserung westdeutscher Athleten. Schließlich hatte man von Staats wegen endlich eine Methode entdeckt, die zwar nicht allzu moralisch, aber de jure wenigstens eine Zeitlang legal war. Prof. Wildor Hollmann, der einst als Sportarzt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ausgewiesen wurde, erörterte damals: »Bezüglich der Eigenblutrücktransfusion nimmt man dem betreffenden Sportler etwa ein bis zwei Liter Blut ab, lässt ihn anschließend circa vier Wochen weitertrainieren; dann hat sich das Blut regeneriert; dann wird ihm ein Konzentrat des abgenommenen Blutes in Form der roten Blutkörperchen zurückinfundiert.« Ich habe dieses Protokoll ganz bewusst in aller Ausführlichkeit zitiert, weil es sich dabei im Prinzip genau um jene Methode handelt, für die der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne Jan Ullrich im Frühjahr 2012 verurteilt hat. Zwar hat man Jan Ullrich die Anwendung nicht nachweisen können, ihm jedoch unterstellt, dass er es hätte tun können, um ihn für zwei Jahre zu sperren – nachträglich und sechs Jahre nach seinem Rücktritt. Das Sportgericht sah diese Vorwürfe als erwiesen an und erkannte dem Radprofi alle Siege seit dem 1. Mai 2005 ab.

Und wie war das mit dem Vertuschen von Dopingfällen im Osten wie im Westen? Sie wurden hüben wie drüben, wenn irgend möglich, unter den Teppich gekehrt. In der Wendezeit passierte das dann sogar in trauter deutsch-deutscher Zweisamkeit. Denn die Euphorie der deutschen Sportvereinigung wollte doch 1990 niemand stören, auch nicht der damalige Anti-Doping-Arbeitskreis, ein Vorläufer der heutigen Doping-Kontrollkommission. Es galt also bei einem konkreten Dopingfall die unausgesprochene Regel, nur nicht nervös zu werden und immer schön eine Lösung im Sinne des Sports im Auge zu behalten. Das hatte man schließlich jahrzehntelang gelernt – hüben wie drüben, auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze.

Als in jenen spannungsgeladenen Zeiten ausgerechnet ein westdeutscher Bobfahrer bei einer Dopingkontrolle aufgeflogen war, hielt die gesamtdeutsche Kommission den Fall unter Verschluss – wie man es eben gewohnt war. Was sonst? Gelernt ist eben gelernt. Später hörte ich von einem früheren Kommissionsmitglied, der Deutsche Bob- und Schlittensportverband (DBSV) habe den Fall seinerzeit so geregelt, dass er nicht weiterverfolgt werden konnte – aber gleichfalls auch so, dass die Presse und damit erst recht die Öffentlichkeit keinen Wind davon bekam. Deutsch-deutsche Gründlichkeit in der neuen deutschen Dopingrepublik! Und wenn, trotz aller Bemühungen, doch etwas durchgesickert wäre, begehrte ich zu wissen. Dann, so mein Gewährsmann, hätte man sich eben auf die auch heute noch überaus beliebte Einzeltätertheorie berufen. Man hätte sich herausgeredet, der Dopingsünder sei: überehrgeizig, aber labil, ein wenig aus der Spur geraten, aber noch kein hoffnungsloser Fall. Was gelogen wäre, denn schon zur Wendezeit hatten alle, die sich dopten, längst ein regelrechtes Expertennetzwerk in ihrem breiten Athletenrücken, auf das sie zurückgreifen konnten. Damals wurden im Westen meistens Dopingsubstanzen eingesetzt, die als klassische Medikamente legal erhältlich waren. Auch heute noch bestehen die meisten Dopingmittel aus rezeptpflichtigen Medikamenten. Das heißt, damals wie heute müssen diese Präparate in aller Regel über Mediziner und über Apotheken beschafft werden.

Inzwischen hat sich die Dopingsituation entscheidend verschärft, denn es werden nun vielfach Substanzen eingesetzt, die noch gar keine klinische Zulassung erhalten haben. Also müssen wir davon ausgehen, dass in einer ganzen Reihe heutiger Dopingfälle medizinisch geschultes Personal eingebunden wird – sowohl bei der Beschaffung wie bei der Anwendung. Darüber hinaus muss es zusätzlich Fachleute geben, die dafür sorgen, dass ein von ihnen gedopter Athlet bei einer Kontrolle nicht positiv getestet wird. Schon deshalb war und bleibt die Theorie vom Einzeltäter ein Märchen, an das (fast) kein Staatsanwalt mehr glaubt. Nur der in die Irre geführte Sportfan.

Sie werden sich fragen, warum bei der Zusammenführung der deutschen Sportverbände das alles nicht unterbunden worden ist. Ganz einfach, weil es niemand unterbinden wollte. Im Juni 1990, als die sportpolitischen Weichen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess gestellt wurden, ging es nämlich nicht um Moral, sondern um Medaillen – und ums Geld. Um nichts anderes! So entstand, Stück für Stück, die neue deutsche Dopingrepublik, eine perfekt funktionierende Schattengesellschaft! Dafür sorgte in erster Linie ein buchstäblich unheimliches Quartett, dessen Mitglieder – außerhalb des Sportbetriebes – so gut wie niemand kannte und was die Mauscheleien der vier hinter den Kulissen aufs beste begünstigte. Diese grauen Eminenzen waren Erich Schaible, Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium (BMI), Emil Beck, erfolgreichster Fechttrainer der Sportgeschichte und meisterhafter Strippenzieher auf allen Sponsorenbühnen, Helmut Meyer, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), und Helmut Weinbuch, der allgewaltige Direktor des mächtigen Deutschen Ski-Verbandes (DSV), ein Mann, der beim Spiel hinter den Kulissen sogar Emil Beck leicht und lässig in den Schatten stellen konnte. Diese vier Männer statteten den deutsch-deutschen Sport mit allem aus, von dem sie schon immer geträumt hatten: mit dem Know-how der ost- und westdeutschen Dopingexperten und dem Geld der westdeutschen Republik. Und zugleich auch mit deren bereits vorhandenen sportpolitischen Strukturen, bei denen Werte wie Ethik, Fairness, Teamgeist oder gar Moral längst abhandengekommen waren. Dieser ganze altmodische Kram, der nur dazu dient, der Öffentlichkeit als Sand in die Augen gestreut zu werden.

In Wirklichkeit rechneten Ministerien und Sportverbände in Westdeutschland ihre jeweilige Medaillenausbeute bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften schon seit Jahrzehnten wie ein Wirtschaftsunternehmen hoch, begründeten die von ihnen entwickelten Prognosen dann mit wissenschaftlicher Präzision, um einen möglichst großen Batzen der öffentlichen Zuwendungen zu erhalten. Helmut Meyer, den sie im deutsch-deutschen Sport nur »Leistungs-Meyer« nannten, weil er einst dem Bundesausschuss Leistungssport (BAL) mit großem Geschick vorgestanden hatte, verstand von diesem Geschäft mehr als jeder andere. Vor allem weitaus mehr, als jeder DDR-Sportfunktionär sich erträumte – und so nahmen die Dinge im Sommer 1990 denn ihren unseligen Lauf – bis zum heutigen Tage.

Dass dabei ein großer Teil öffentlicher Zuwendungen – also Steuergelder – immer wieder in jenen Sportverwaltungen landet, die dann mittels extra dafür bestellter Sportpädagogen der allzu hörigen Öffentlichkeit vorgaukeln, es gehe beim Hochleistungssport weniger um Medaillen als vielmehr um die Vorbildwirkung, ist ein Teil dieses abgefeimten Spiels. Weil diese sogenannte Vorbildwirkung aber immer wieder mit viel Trommelwirbel und noch viel mehr Tschingderassa in Szene gesetzt wird, glauben nach wie vor alle jene Eltern daran, die ihre Kinder gutgläubig in Sportvereine schicken. Auf dass man ihnen dort die – richtigen? – Werte vermittele. Was leider allzu oft nur ein frommer Wunsch bleibt …

Denn im Hochleistungssport geht es nicht um Moral, sondern um die Wahl der richtigen Waffen. Oder mit anderen Worten: Es geht um die entsprechende pharmazeutische Aufrüstung und somit um den bewussten und vorsätzlichen Betrug. Man kann so etwas auch als offene Zielprojektion bezeichnen, um sich einer modernen sportpsychologischen Definition zu bedienen, muss es aber nicht. »Moral«, so dozierte der Berliner Sportpsychologe Eugen König einmal, »ist das Opium des Sports.« Und lehnt sich damit – offensichtlich – bewusst an Karl Marx’ umstrittene These von der Religion als Opium fürs Volk an. Panem et circenses – Brot und Spiele, was sonst. Weil auch König über einen gesellschaftlichen Sektor spricht, in dem es in Wirklichkeit ziemlich rücksichtslos darum geht, physiologische Grenzen immer weiter zu verschieben, in dem alle Mittel der Technik und der Wissenschaft als rechtens erachtet werden, um zum Erfolg zu gelangen.

Denn zu keiner Zeit, also auch nicht bei den angeblich ach so romantischen Olympischen Spielen der Antike, ging es um den Grundsatz: Ich will gewinnen, weil ich die Regeln des sportlichen Wettkampfes achte. Eine geradezu lächerliche Vorstellung! Es ging vielmehr – und das zu jeder Zeit – um die Beachtung der bis heute mit Verve gelebten These: Ich will auch dann gewinnen, wenn ich dabei die Regeln des sportlichen Wettkampfes missachten muss. Und das will, bitte, vorher auch geübt sein – und zwar bis zur Perfektion! Der Betrug von Anfang an als Vorsatz? Gott ja, was will man machen, wenn es nun einmal sein muss? Doch Betrug bleibt Betrug! Auch wenn er im Sport erfolgt, schrumpft er deshalb nicht zur Bagatelle. Ich weiß, dass mit dieser These viele nicht einverstanden sind. Aber vielleicht hilft Ihnen diese Überlegung: Fälscht jemand sein Geschäftsergebnis, um sich einen Kredit zu ergaunern, gilt er qua Gesetz als Betrüger. Wenn es ganz hart kommt, muss er deshalb sogar ins Gefängnis. Fälscht jemand – unter Zuhilfenahme eines leistungsfördernden Medikaments, das als Dopingmittel eingestuft und nachgewiesen worden ist – sein sportliches Ergebnis, was dann? Dann handelt es sich nicht um eine Bagatelle, sondern ebenfalls um Betrug. Und damit um einen kriminellen Vorgang.

Womit wir wieder beim Thema dieses Buches angelangt sind: bei der deutsch-deutschen Dopingrepublik. Warum, so fragen sich heutzutage viele Menschen, war die Vergangenheitsbewältigung des deutschen Sports bei der Wiedervereinigung nur so schwierig? Eigentlich hätte die Sache doch von vornherein klar sein müssen: Einem DDR-Dopingexperten, der sogar Minderjährige geschädigt hat, dürften im gesamtdeutschen Sport nie wieder Minderjährige anvertraut werden. Das wurde jedoch in der Praxis ganz anders gehandhabt, denn die westdeutschen Sportfachverbände wollten nur eines: Sieger! Aus dieser Logik heraus betrachtet, ist ein ehemaliger Dopingtrainer – ob Ost- oder Westdeutscher – auch kein unmoralischer Mensch, sondern ganz einfach nur ein guter Trainer, einer, der den sportlichen Erfolg nicht aus den Augen verliert, einer, der ihn nicht nur anstrebt, sondern obendrein auch garantieren kann. Vor allem bei den Olympischen Spielen. Denn dort geht es um Medaillen – und nicht nur um die Teilnahme, wie der Volksmund ständig ahnungslos plappert. Das wirkliche olympische Motto, erstmals offiziell 1924 bei den Sommerspielen von Paris als olympisches Leitmotiv zitiert und seitdem strikt beibehalten, lautet nämlich: Citius, altius, fortius – was Pierre de Coubertin, der französische Reformer der olympischen Bewegung, in diese drei Worte übertragen hat: »Schneller, höher, weiter«. Das stattdessen vom Volksmund gern verwandte angebliche olympische Motto »Dabei sein ist alles« steht nicht nur im krassen Gegensatz zum eigentlichen Olympiawahlspruch, es steht auch nirgendwo offiziell in der Olympischen Charta.

Doch wie ist dieses Motto trotzdem entstanden? Bei den Olympischen Sommerspielen 1908 in London ermahnte der amerikanische Bischof Ethelbert Talbot aus Pennsylvania die Teilnehmer: »Das Wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf. Die Hauptsache ist nicht gewonnen, sondern gut gekämpft zu haben. Teilnehmen ist wichtiger als Siegen.« Es war die private Meinung eines Theologen, ausgesprochen in einer von Unruhe geprägten Zeit, in einer Zeit, die von Königsmorden und auch schon von Kriegsdrohungen überschattet wurde. Es war aber auch eine Aussage, die das wirkliche olympische Motto citius, altius, fortius zu keiner Zeit ernsthaft in Frage gestellt hat. Aber nur um dieses knallharte Motto geht es im Sport – nicht nur bei Olympia. Demnach steht Moral im Spitzensport heutzutage also auch für die Wahrung der jeweiligen Chancengleichheit – notfalls mit Hilfe aller unerlaubten Mittel. Denn die sich weiterhin hartnäckig haltende Mär, jeder Tellerwäscher könne zum Millionär aufsteigen, und jeder Athlet, wenn er nur enthaltsam und gesund lebe und hart genug trainiere, könne zum Olympiasieger avancieren, bleibt eine schön erzählte Geschichte. Und ein wunderschönes unrealistisches Märchen dazu.

Das Gleiche gilt auch für das Märchen vom gesunden Volkssport. Was heißt denn hier überhaupt gesund? Gerade im Volkssport boomt doch das Geschäft mit den illegalen Substanzen, mit anabolen Steroiden, mit der zusätzlichen Testosteron-Zufuhr. Im Internet wird bereits für zwei (!) Euro eine Ampulle Testosteron angeboten. Günstiger geht es gar nicht! Sollte man da nicht zugreifen? Natürlich werden Sie kräftiger, wenn Sie fleißig trainieren und zusätzlich dieses Teufelszeug schlucken oder spritzen. Ihre Stimmungsschwankungen, Ihre übersteigerten Aggressionen, Ihre ständigen Ängste, die von unerklärlichen Depressionsschüben abgelöst werden, müssen Sie ganz einfach verdrängen. Denken Sie immer daran: Sie wollen doch kräftiger und schöner werden! Von diesem Weg sollten Sie sich auch nicht von irgendeinem Arzt abbringen lassen, der Sie vor einem Infarkt oder einem Schlaganfall warnen will. Denn wir wollen schließlich alle mehr scheinen, als wir sind.

Obendrein ist uns die Jugend doch längst auf den Fersen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), dieser in Lausanne ansässige Verein mit dem Ziel ungeahnter Gewinnmaximierung, hat nämlich in weiser Voraussicht auch noch die Olympische Jugendspiele erfunden: 2010 ging es für die Sommerathleten in Singapur und 2012 in Innsbruck für die Wintersportler los. Zweifelsohne ein zukunftsweisender, wirtschaftlicher Schritt – und ein unverantwortlicher in Sachen Dopingbekämpfung, ganz und gar kontraproduktiv. Denn solche Sportveranstaltungen bringen die Doper von morgen hervor. Schließlich sollen die jungen Leute für ihr Land Medaillen holen, unterstützt von leider allzu vielen ehrgeizigen Eltern, die gar zu gern einen Olympiasieger in ihrer Familie haben wollen. Auch solche Träume kann die deutsche Dopingrepublik wahr werden lassen.

Oder künftig nicht mehr? Ausgerechnet während des allgemeinen Jubels um die Olympischen Sommerspiele im August 2012 verfügte das Verwaltungsgericht Berlin, das Bundesinnenministerium (BMI) dürfe seine Zielvorgaben für deutsche Spitzensportler ab sofort nicht mehr wie ein Betriebsgeheimnis schützen, sondern müsse diese öffentlich machen. Demnach hat das deutsche Team in London die ministeriellen Zielvorgaben deutlich verfehlt. Gemäß den gemeinsamen Vorgaben des Ministeriums und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wurden insgesamt 86 Medaillen erwartet, davon 28 aus Gold.

Gewonnen wurden aber insgesamt nur 44 Medaillen, davon 11 aus Gold. Ist das schlimm? Eher nicht, denn hätten die deutschen Sportler wirklich 86 Medaillen gewonnen, hätte sie sich damit in unmittelbarer Nähe der chinesischen und der russischen Sportler befunden – beides Mannschaften, die sich unentwegt nach dem Dopinghintergrund ihrer sportlichen Erfolge befragen lassen müssen. Stattdessen aber wird nun aufgrund der enttäuschenden Medaillenausbeute von London ein heftiges Feilschen um die künftige Unterstützung aus Steuergeldern einsetzen. Es ist allerdings noch immer unbekannt, wie viel dem deutschen Steuerzahler eigentlich eine Olympiamedaille kostet. Wie viel von diesem Betrag wird zum Beispiel in den verschlüsselten Haushaltspositionen des Verteidigungsministeriums versteckt? Experten haben hochgerechnet, dass der deutsche Spitzensport dem Steuerzahler alles in allem weit mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr kostet. Oder mehr? Oder weniger? Wir wissen es nicht. Denn das gilt in Berlin und Bonn noch immer als ein zu beschützendes Betriebsgeheimnis.

Das gilt jedoch nicht mehr für die ministerielle Vorgabe für die Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi: Dort geht es für das deutsche Team um 40 Medaillen, davon 17 aus Gold. Koste es, was es wolle.

1. KAPITEL

BETROGENE BETRÜGER

»Doping ist der Kunstdünger menschlicher Leistung.«

Werner Schneyder, Kabarettist, Journalist und Autor

Vier Dopingfälle, die sich am Ende als falsch herausstellten, haben die Nation jahrelang in Atem gehalten: Der Fall Katrin Krabbe, die sogenannte Zahnpasta-Affäre um Olympiasieger Dieter Baumann, das »versuchte mögliche Doping« des Jan Ullrich, wie es beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne hieß, und die unendliche Geschichte um die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein. Letzterer Fall wird immer wieder aufs Neue befeuert, entweder durch die Blutaffäre am Olympiastützpunkt Erfurt oder durch die Sportlerin selbst.

Keine andere Wettkämpferin jemals zuvor hat die Republik in zwei derart gegensätzliche Lager gespalten wie die blonde blauäugige Sportlerin aus Neubrandenburg. Eine Frau mit Ausstrahlung und einer nicht auslotbaren sportlichen Perspektive, so jemand polarisiert zwangsläufig. Während die einen sie am liebsten von der Bildfläche verschwinden lassen wollten und riefen: »Fangt sie, richtet sie, diese Hexe – einen Scheiterhaufen für Katrin Krabbe!«, verehren die anderen sie bis heute als Lichtgestalt des Sports aus dem hohen Norden unseres Landes, die finstere Mächte davon abzuhalten versuchten, auch künftig all die kleinen Fixsternchen des Sprints, ob aus Jamaika oder Kalifornien, aus Nigeria, Russland oder der Ukraine, ohne erkennbare Mühe zu überstrahlen. Ihr damaliger Trainer Thomas Springstein sprach im Juni 1992 sogar aus, was damals womöglich viele in den neuen Bundesländern dachten: Die bösen Wessis wollen den guten Ossis mit der strahlenden Katrin Krabbe auch noch die letzte charismatische Sportlerin wegnehmen. Springstein äußerte sich 1992 im Gespräch mit der in Bonn erscheinenden Wochenzeitung folgendermaßen: »Die wollen uns eben plattmachen, sonst gar nichts.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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