Die drei Pfeiler des Glücks - Ursula Richard - E-Book

Die drei Pfeiler des Glücks E-Book

Ursula Richard

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Beschreibung

Achtsamkeit, Dankbarkeit und Freude sind Die drei Pfeiler des Glücks: Wenn wir diese drei als Lebenshaltung kultivieren und einüben, kann Jeder Tag ein guter Tag sein, wie es in einem bekannten Zen-Spruch heißt. Mit vielen Praxistipps, um dies im alltäglichen Leben umzusetzen und mit Freude, Achtsamkeit und Wertschätzung durch den Tag zu gehen. Die drei Pfeiler des Glücks von Ursula Richard: im eBook erhältlich!

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Ursula Richard

Die drei Pfeiler des Glücks

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

VorwortDie Freude der GegenwärtigkeitAchtsamkeit – der erste Pfeiler eines glücklichen LebensStützen der Achtsamkeit – vom Atem bis zum AmpelrotWegbereiter: Thich Nhat HanhAchtsame Entdeckungsreisen durch die Welt der SinneSehenHörenRiechenSchmeckenBerührenOrientierungen in der bunt chaotischen Welt unserer Gedanken und GefühleWegbereiterin: Toni PackerAlles ist mit allem verbundenDie Fünf AchtsamkeitsübungenDie erste Übung: Achtung des LebensDie zweite Übung: GroßzügigkeitDie dritte Übung: Sexuelle VerantwortungDie vierte Übung: Aufmerksames Zuhören und liebevolles SprechenDie fünfte Übung: Achtsamer Umgang mit KonsumgüternDie sechste Übung: Achtsamer Umgang mit den materiellen Ressourcen der ErdeFreude – der zweite Pfeiler des GlücksFreude schöner GötterfunkenSich für die eigene Freude verantwortlich fühlenHabe ich mich heute schon gefreut?Freudvolle MomenteDie FreudenbiografieGeteilte Freude ist doppelte Freude – MitfreudeDie Freude – der Weg des HerzensDankbarkeit – der dritte Pfeiler des GlücksHindernisse der DankbarkeitDie Geburtsstunde der Dankbarkeit – sich von Selbstverständlichem überraschen lassenWegbereiter: Bruder David Steindl-RastAlles sind Geschenke an unsUnseren Dank in die Welt bringenJeder Tag ein guter TagAnhangLiteraturempfehlungenGlückAchtsamkeitFreudeDankbarkeitVerbundenheitAdressen
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Vorwort

Es heißt, die Inuit hätten rund vierzig Begriffe für das, was im Deutschen »Schnee« heißt, und ebenso viele Wörter für die Farbschattierungen des Schnees. Dies ist inzwischen zwar längst als romantischer Mythos entzaubert, doch liegt ihm die Vorstellung zugrunde, eine solche sprachliche Vielfalt sei Ausdruck der Bedeutung des Schnees für die Lebenswirklichkeit der Inuit. Dieser Logik folgend müssten wir bei uns mittlerweile weit mehr als nur vierzig Begriffe für »Glück« haben, denn kaum etwas scheint im Laufe der letzten Jahre für unser Leben so wichtig geworden zu sein wie das Glück, wie Glücksmomente, wie ein glückliches Leben. Unzählige psychologische, esoterische, spirituelle Ratgeber, Studien und philosophische Betrachtungen künden von dieser Bedeutung und nähren sie weiter.

In diesen Chor mischen sich inzwischen auch vielerorts kritische Stimmen. Sie erinnern daran, dass es auch Wichtigeres als das Glück gibt – dies war vor noch nicht allzu langer Zeit ein sehr diskursprägender Gedanke – und dass die Suche nach dem Glück, wenn sie zur Jagd ausartet und sich damit den Gesetzen der Gier unterwirft, mit Sicherheit zu einem führt – zum Unglück.

 

In diesem Buch möchte ich drei Wege vorstellen, die sich dieser Jagd verweigern, weil sie auch deren Voraussetzung – die Gier – mit bedenken und Alternativen bereithalten. Es sind die Wege der Achtsamkeit, der Freude und der Dankbarkeit. Sie sind keine neuzeitlichen Erfindungen oder modischen Trends, sondern haben sich, vielfach erprobt und weiterentwickelt, längst darin bewährt, Menschen in ihrem ganz alltäglichen Leben zu unterstützen. Als Übungswege sind sie zu verstehen, da sie nur konkret, also im Handeln, im wiederholten Tun wirksam werden. Dann können sie zu tragfähigen Pfeilern eines Glücks werden, das der Philosoph Wilhelm Schmid in seinem Buch Glück so beschreibt: »Dieses Glück ist umfassender und dauerhafter als alles Zufallsglück und Wohlfühlglück; es ist das eigentliche philosophische Glück, nicht abhängig von günstigen und ungünstigen Zufällen, von den momentanen Schwankungen zwischen Wohlgefühl und Unwohlsein, vielmehr die immer wieder aufs Neue zu findende Balance in aller Polarität des Lebens, nicht unbedingt im jeweiligen Augenblick, sondern durch das gesamte Leben hindurch.«[1]

Tragfähig sind diese Wege, da sie erfahrbar machen, dass die Ursachen des Glücks nicht so sehr im Außen liegen, sondern in uns selbst und wir sie dort aktiv stärken und nähren können. Die Achtsamkeit unterstützt uns, mehr und mehr in der Gegenwart anzukommen und darin mit allen Sinnen zu leben. Sie hebt eine Spaltung auf, an die wir uns meist schon sehr gut gewöhnt haben: mit dem Körper in der Gegenwart zu leben, ohne uns dessen bewusst zu sein, und mit unseren Gedanken, Gefühlen und Fantasien in virtuellen Welten zu weilen. Sie erweckt uns zur Wirklichkeit in uns und außerhalb von uns und zu der uns damit gegebenen Fülle, dem Reichtum unseres Lebens. Die Freude stärkt uns darin, dieser Fülle gewahr, nach den nährenden Quellen in unserem Leben Ausschau zu halten, sie unter dem Gestrüpp unserer Verpflichtungen, Getriebenheiten und festen Ansichten darüber, wie unser Leben beschaffen sein sollte, freizulegen und als Orientierung zu sehen und zu nutzen. Die Ausrichtung auf die Freude fördert unsere Vertrautheit, unsere Verbundenheit mit uns selbst. Die Dankbarkeit ist die angemessene Antwort auf diese Fülle, diesen Reichtum, und sie stärkt unsere Vertrautheit und Verbundenheit mit dem sogenannten Außen, mit anderen Menschen, mit der Welt.

 

Die Wege der Achtsamkeit, Freude und Dankbarkeit sind sehr lebenspraktische, kraftvolle Wege, und so enthält dieses Buch auch eine Fülle von Anregungen und Übungen, die als Marschgepäck dienen können. Im konkreten Alltag verortet, haben diese Wege auch spirituelle Dimensionen, aber sie setzen, um sie für sich nutzbar machen zu können, keine bestimmte (oder überhaupt nur eine) spirituelle Orientierung voraus.

Wenn wir mehr und mehr erkennen, dass Glück und Zufriedenheit letztlich nicht von äußeren Bedingungen abhängen, sondern von uns selbst, kann das die Gefahr in sich bergen, sich immer weniger für die äußeren Bedingungen zu interessieren und für deren Veränderung zu engagieren. Dass dies nicht so sein muss, belegen die in diesem Buch als Wegbereiter Porträtierten, der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh und der österreichisch-amerikanische Benediktinermönch Bruder David Steindl-Rast. Sie verbinden in ihrem eigenen Leben auf höchst beeindruckende Weise spirituelles und soziales Engagement. Ebenso wie die deutsch-amerikanische Meditationslehrerin Toni Packer, die ich ebenfalls in diesem Buch näher vorstelle, haben sie nicht zuletzt durch ihr persönliches Verhalten mein Verständnis dieser Wege sehr geprägt, und dafür bin ich ihnen zutiefst dankbar. Dankbar bin ich auch den anderen spirituellen Lehrerinnen und Lehrern und den vielen ganz »normalen« Menschen, denen ich in meinem bisherigen Leben begegnet bin, von denen ich lernen durfte und die mich auf meinem Weg inspiriert haben. Geschrieben ist dieses Buch aus der Perspektive einer Lernenden. Aus der Gewissheit heraus, dass wir alle miteinander verbunden sind und dass es gilt, diese Verbundenheit in unserem Denken und Tun alltäglich neu zum Ausdruck zu bringen.

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Die Freude der Gegenwärtigkeit

Über viele Jahre

unter großen Kosten

reiste ich durch viele Länder,

sah die hohen Berge,

die Ozeane.

Nur was ich nicht sah

war der glitzernde Tautropfen

im Gras gleich vor meiner Tür.

Rabindranath Tagore

Bei meinem letzten Urlaub beobachtete ich am Strand zwei kleine Jungen im Alter von vielleicht drei, vier Jahren. Sie standen im Wasser, jeder hatte einen Schwimmflügel am Arm und einen kleinen Plastikeimer in der Hand. Den tauchten sie immer wieder ins Wasser, füllten ihn und schütteten dann das Wasser aus, um den Eimer erneut zu füllen. Fasziniert beobachtete ich, wie diese Kinder in meinen Augen immer das Gleiche taten und dabei vor Freude jedes Mal jauchzten und auf und ab sprangen, wenn sie den Eimer wieder leerten. Sie taten das ohne Pause und größere Unterbrechung ungefähr zwanzig Minuten lang, bis ihre Eltern kamen und dann mit ihnen im Wasser herumplanschten. Ein anderes Kind tauchte auf und warf laut vor Freude schreiend und in die Luft springend eine Handvoll kleiner Steine ins Wasser, wobei die meisten auf dem Sand unmittelbar vor dem Kind landeten, da es mehr die Hand öffnete und die Steine herausfallen ließ, als dass es sie wirklich warf. Dann lief es wieder zurück zu einem Steinhaufen in der Nähe, kehrte mit einer Handvoll Steine zurück und ließ sie wieder in freudigem Entzücken fallen.

 

Solche Szenen können wir oft in Gegenwart kleiner Kinder erleben. Das, was uns Erwachsene als das immer Gleiche erscheint, erleben sie ganz anders, nämlich im beschriebenen Fall als immer neues Eintauchen des Eimers ins Wasser, ihn dann füllen und wieder ausleeren. Oder als Fallenlassen oder Werfen von Steinen. Das, was uns schon nach kurzer Zeit als sehr eintönig erscheint und vielen von uns, wenn wir es einige Zeit beobachten, schon bald auf die Nerven geht, ist für sie eine fast unerschöpfliche Quelle der Freude, bis sich ihnen etwas Neues eröffnet, auf das sie sich dann stürzen.

Auch wenn wir es uns wohl nicht ernstlich wünschen, »so zu werden wie die Kinder« und immer und immer wieder die in unseren Augen gleichen, letztlich sinnlosen Dinge mit der gleichen unvermittelten Freude zu tun, ertappen wir uns vielleicht doch manchmal bei ihrem Anblick dabei, ein wenig neidisch oder auch traurig zu sein. Wir merken in solchen Situationen, dass das Erwachsenenleben uns doch einiges kostet, unter anderem eine noch nahezu ungebrochene Gegenwärtigkeit und Freude.

Kleine Kinder leben noch in diesem »Raum der Gegenwärtigkeit«, zu dem wir den Zugang weitgehend verloren haben. Vermutlich würden wir das gar nicht so arg beklagen, hätten wir nicht das Gefühl, uns damit nicht auch von einer Quelle unmittelbarer Freude abgeschnitten zu haben, die damit ganz natürlich verbunden zu sein scheint.

Denn faszinierend ist es schon, diese Lust und Freude zu sehen, mit der das immer gleiche Tun begleitet wird, oder die freudige Spannung, die sich beim Kind einstellt, wenn wir beim hundertsten Vorlesen des gleichen Märchens wieder an die Stelle kommen, wo Rotkäppchen bei der Großmutter ankommt und an ihr Bett tritt.

 

Bei näherer Betrachtung unserer Lebensumstände können wir erkennen, aus wie vielen Wiederholungen unser eigenes Leben besteht, wie viele Dinge wir tagtäglich tun, die wir gestern und letzte Woche schon taten und voraussichtlich die nächsten Jahre auch noch (zur Arbeit fahren, abwaschen, kochen, mit Kollegen zusammensitzen, putzen, den Urlaub planen, telefonieren und so weiter), wie oft wir tagein, tagaus dieselben Dinge wieder hören oder sagen. Da wäre es ja keine schlechte Sache, sie auch in freudiger Gestimmtheit zu tun statt mit Gefühlen des Überdrusses und der Langeweile.

Viele von uns erleben bestimmte Seiten ihres Lebens als sehr, sehr eintönig und wollen sie dann immer nur schnell hinter sich bringen. Manche Menschen empfinden ihre Arbeit als enorm langweilig und tagträumen sich regelmäßig durch die Woche, um endlich das Wochenende zu erreichen, das aber auch schnell wieder vorüber ist, und dann fängt die Woche wieder an … und bis zum nächsten Urlaub dauert es auch noch vier Monate … und bis zur Rente noch zwanzig Jahre …

Auch so kann man sein Leben »hinter sich bringen«, »die Zeit totschlagen«, aber eigentlich ist es sehr schade, so zu leben, immer auf eine Zukunft hin, die, sobald sie Gegenwart geworden ist, gar nicht richtig erlebt wird, da wir in unseren Tagträumen schon wieder woanders sind.

Wer nie jetzt lebt, lebt nie. Und was machen Sie?

Piet Hein

Egal, was wir auch tun, um dieses routinemäßige Leben dadurch zu verändern, dass wir nach immer neuen Highlights oder Kicks Ausschau halten, wenn wir es versäumen, mehr Gegenwärtigkeit in unser Leben zu bringen, wird das Neue bald auch schon wieder eintönig und langweilig und muss durch wieder Neues ersetzt werden, damit Gefühle der Ödnis, Langeweile und Getriebenheit nicht zu unseren treuesten Begleitern werden. Mehr Gegenwärtigkeit bedeutet auch mehr Freude.

Da wir uns durch unsere Lebensweise von dieser Gegenwärtigkeit zumeist sehr abgetrennt haben, brauchen wir ein Instrument, das uns den Zugang zur Gegenwart eröffnet und uns hilft, darin mehr zu verweilen. Dieses Instrument ist die Achtsamkeit als bewusste Gegenwärtigkeit. Achtsamkeit als bewusste Wahrnehmung dessen, was im Augenblick, was jetzt ist.

»Wir verpassen so viele wichtige Zeiten in unserem Leben – wir versäumen, mit unseren Kindern zu spielen, sie aufwachsen zu sehen, wir versäumen wichtige Momente mit den Menschen, die wir lieben. Das ist die Ursache für so viel Leid in unserem Leben. Wenn wir bereit sind, dies zu erkennen, werden wir nach Möglichkeiten suchen, den Augenblick bewusster zu erleben, denn niemand von uns kann sagen, wie viele dieser kostbaren Augenblicke uns noch bleiben«, sagt Jon Kabat-Zinn, der Begründer des MBSR, der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, in einem Gespräch mit der Journalistin Christa Spannbauer.[2]

 

Lernen wir, mit dem Instrument der Achtsamkeit immer besser umzugehen, es feiner und feiner einzusetzen und Achtsamkeit zu einer Lebenshaltung zu machen, können wir zunehmend mehr in einer bewussten Gegenwärtigkeit leben, in einem »Raum«, in dem wir im Grunde immer leben: in der Gegenwart, denn unser Körper, unsere Sinne leben nie woanders. Es sind nur unsere Gedanken, die uns ständig in anderen Zeiten und an anderen Orten leben lassen.

Ein Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so glücklich sei.

Er sagte:

»Wenn ich stehe, dann stehe ich,

wenn ich gehe, dann gehe ich,

wenn ich sitze, dann sitze ich,

wenn ich esse, dann esse ich,

wenn ich liebe, dann liebe ich …«

Da fielen ihm die anderen ins Wort und sagten:

»Das tun wir auch, aber was machst du darüber hinaus?«

Er antwortete ihnen:

»Wenn ich stehe, dann stehe ich,

wenn ich gehe, dann gehe ich,

wenn ich …«

Und wieder entgegneten die anderen:

»Aber das tun wir doch auch!«

Er aber sagte zu ihnen:

»Nein –

wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon,

wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,

wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.«

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Achtsamkeit – der erste Pfeiler eines glücklichen Lebens

Meister Ikkyû wurde einmal von einem Staatsbeamten gefragt, was denn die Essenz des Zen sei. Er nahm seinen Pinsel und malte die Schriftzeichen für das Wort Achtsamkeit in den Sand. Der Beamte war damit überhaupt nicht zufrieden und wollte wissen, was denn nun Achtsamkeit bedeute, und Ikkyû schrieb erneut die Zeichen für Achtsamkeit. Langsam ungehalten fragte der Beamte ein drittes Mal, was das denn nun bedeute, und Meister Ikkyû malte erneut die Zeichen in den Sand, doch der Beamte verstand ihn noch immer nicht.

Achtsamkeit ist ein zentrales Konzept der buddhistischen Lehren, das »Herz buddhistischer Meditation«, wie der deutschstämmige Mönch und Meditationslehrer Nyanaponika Thera sagt. Über die Fähigkeit, achtsam zu sein, verfügen wir aber alle, sie ist universell und nicht an irgendwelche kulturellen oder spirituellen Vorstellungen gebunden. Denn Achtsamkeit bezeichnet etwas ganz Grundlegendes: die Fähigkeit unseres Geistes wahrzunehmen, was gerade geschieht, und uns dessen in dem Augenblick auch bewusst zu sein. Jeder ist dazu in der Lage, eine Tasse an den Mund zu führen, und zu wissen, dass er eine Tasse an den Mund führt; die Wohnungstür zu öffnen, und zu wissen, dass er die Tür öffnet. Dennoch erleben wir solche Aktivitäten nur äußerst selten bewusst.

 

Ohne die Fähigkeit zum bewussten Wahrnehmen dessen, was geschieht, was wir wahrnehmen, denken, fühlen, könnten wir nicht überleben. Diese Fähigkeit, evolutionsgeschichtlich von ganz entscheidender Bedeutung, ermöglicht uns zum Beispiel, Emotionen nicht nur zu sein, sondern sie als Gefühle bewusst wahrzunehmen, Impulsen nicht nur blind zu folgen, sondern sie zu merken und ihr Ausagieren unter Umständen auch zu unterlassen, uns bewusst an etwas zu erinnern, das wir uns dann vergegenwärtigen und für unser Handeln berücksichtigen können.

Doch obwohl wir alle über diese Fähigkeit verfügen und sie auch fortwährend im Einsatz ist, ist uns vieles von dem, was wir tun, fühlen, denken, nicht sehr bewusst. Wir wissen nicht, wo wir vor fünf Minuten den Schlüssel hingelegt haben, ob wir uns beim Duschen nun die Haare tatsächlich gewaschen oder nur nass gemacht haben, ob die Blumen heute Morgen auch schon so verwelkt und ohne Wasser in der Vase gestanden haben.

 

Vor kurzem ging ich durch eine belebte Einkaufsstraße, durch die ich bereits Hunderte Male zuvor gegangen war – meist in Gedanken schon im Büro und bei dem, was ich gleich zu erledigen oder worüber ich mich gestern oder vorgestern dort so aufgeregt hatte. An jenem Morgen aber stolperte ich über irgendetwas, und als ich wieder hochsah, registrierte ich, dass eine Frau mit einer großen Aufstelltafel aus der Tür einer Boutique trat und sie am Rand des Bürgersteigs aufstellte. Mit Kreide schrieb sie etwas auf die Tafel. Ich ging näher heran und las: »Es ist viel schöner, in den Himmel hinaufzuschauen, als dort zu sein.« Ich schaute hoch in den Himmel, sah das Grün der Bäume gegen das Blau des Himmels, hörte Vogelgezwitscher, Hupen, Motorengeräusche, menschliche Stimmen, sah das Gewusel der Menschen, die an mir vorbeiströmten, und fand den Spruch vollkommen stimmig. Seither schaue ich regelmäßig, wenn ich an diesem Laden vorbeikomme, ob diese Tafel wieder draußen auf dem Gehsteig steht, und freue mich, wieder einen neuen Ausspruch lesen zu können, denn – so habe ich inzwischen gemerkt – sie wechseln fast täglich.

 

Im Zeitalter des Multitasking, der permanenten Ablenkungen und Zerstreuungen werden unsere Aufmerksamkeitsspannen immer kürzer, und wir selbst tun meist einiges dafür, sie noch weiter zu verkürzen. Wir essen, haben gleichzeitig eine Zeitschrift neben uns liegen, in die wir immer mal wieder einen Blick werfen, gucken fern und erledigen vielleicht noch unsere E-Mails.

Und in unserem Geist tobt sich der im Buddhismus als sechster Sinn bezeichnete Sinn des Denkens gewöhnlich ungehindert aus. Er versetzt uns in virtuelle Welten, die oft kaum noch in einer Verbindung zu der Situation stehen, in der unser Körper und die anderen fünf Sinne sich gegenwärtig befinden. Wenn wir auf einer Sommerwiese liegen und gedanklich mit der letzten Auseinandersetzung, die wir mit unserem Partner, unserer Partnerin hatten, beschäftigt sind, dann liegen wir dort zwar mit unserem Körper, was uns ab und zu durchaus bewusst werden mag, wenn sich uns eine Fliege auf die Nase setzt, wir sind aber nicht wirklich dort, sondern gedanklich/emotional möglicherweise eher in der Wohnung, in der wir den Streit hatten. Doch hat das lediglich Vorgestellte durchaus eine Wirkung auf unseren Körper: Wir können nur durch die Erinnerung an den Streit erneut Wut, Trauer, Scham, Hass erleben, unser Blut kann wieder in Wallung geraten, Tränen können in unsere Augen treten, oder wir verziehen vor Schadenfreude über ein mögliches Unglück des anderen das Gesicht. Dabei liegen wir in der Sonne auf einer Wiese, der Wind streicht sanft durch die Grashalme und über unsere Haut, der Boden ist weich, Vögel zwitschern, einige weiße Wölkchen ziehen am blauen Himmel entlang. In einem Park, umgeben von vielen anderen, liegen da zwar viele Körper unter Umständen nah beieinander, doch sind alle in ihren eigenen virtuellen Welten, Träumen und Dramen und nehmen kaum Notiz von den »realen« Menschen nebenan auf der Wiese.

Oft sind wir aber noch nicht einmal mit ausgefeilten Geschichten oder Szenarien befasst, sondern sinnlose Gedankenfetzen gehen uns durch den Kopf, die sich im besten Fall assoziativ aneinanderreihen, ständig wiederkehrende Gedankenmuster bis hin zu Zwangsgedanken, die uns in den virtuellen Welten gefangen halten. Wir bleiben wieder und wieder gedanklich und emotional bei den gleichen Situationen hängen, planen zum zigsten Mal unseren »Auftritt« bei einer wichtigen Sitzung oder gehen immer wieder unseren Kleiderschrank durch, um zu überlegen, was wir bei diesem oder jenem Ereignis anziehen könnten. Unser Kopf ist meist mit viel »Müll« angefüllt, und gemeinhin haben wir das Gefühl, nicht viel dagegen tun zu können.

Wir leben also oftmals in einer sehr gespaltenen Welt, in der virtuellen unserer Gedanken, und in der, in der wir uns de facto befinden. Diese uns sicher allen vertraute Spaltung wird uns durch die Achtsamkeit bewusst, die Aufmerksamkeit dafür, was in uns und um uns herum geschieht. Sie holt uns in die Gegenwart, in den Reichtum des gegenwärtigen Momentes zurück, in den einzigen Moment, in dem wir tatsächlich lebendig sind.

Achtsamkeit ist also die Voraussetzung dafür, überhaupt mitzubekommen, was geschieht. Sie ist nach buddhistischer Vorstellung aber auch die Grundlage für Erkenntnisse, die sich aus der genauen Wahrnehmung dessen, was wir mit unserer Achtsamkeit beleuchten, ergeben. Erkenntnisse über unsere Gefühle, Wahrnehmungen, Gedanken, über unser Handeln, unsere Beziehungen zu uns und anderen, über die Gesellschaft, in der wir leben, über die Wirklichkeit des Lebens selbst. Es gibt nichts, das wir nicht achtsam betrachten und untersuchen könnten, keinen Bereich, der ausgespart bleiben müsste und über den wir dadurch kein sich durch Erfahrung gespeistes Wissen erlangen könnten. Achtsamkeit hat eine sehr, sehr weite Dimension. Sie ist auch eine Voraussetzung für individuelle und gesellschaftliche Transformations- und Heilungsprozesse. So nimmt es nicht wunder, dass sie, vor allem durch die bahnbrechenden Arbeiten von Jon Kabat-Zinn, gegenwärtig für immer mehr gesellschaftliche Bereiche (Medizin, Psychologie, Therapie, Wirtschaft, Politik) entdeckt wird. Dass damit auch die Gefahr einer bloß instrumentellen Sicht von Achtsamkeit einhergehen kann, bei der es darum geht, Menschen einfach nur fitter, belastbarer, flexibler zu machen, wird im Kapitel »Alles ist mit allem verbunden« näher beleuchtet.

In seiner berühmten Lehrrede über die Vier Verankerungen oder Grundlagen der Achtsamkeit pries der Buddha die Achtsamkeit als einen »wunderbaren Weg«, der den Lebewesen hilft, »Läuterung zu verwirklichen, Kummer und Trauer direkt zu überwinden, Schmerz und Angst ein Ende zu setzen, den rechten Pfad einzuschlagen und Nirwana zu verwirklichen.«

 

Welche Qualitäten sind es nun, die Achtsamkeit zu einem so wertvollen Instrument machen?

Achtsamkeit ist wie ein Licht, mit dem wir etwas beleuchten und damit in den Fokus unserer Aufmerksamkeit holen. Dadurch wird etwas sichtbar, das da ist, aber bis dahin im Dunkel unserer Nicht-Bewusstheit lag. Jetzt wird es uns zugänglich.

Achtsamkeit verändert das, was sichtbar geworden ist, nicht. Sie ist wie ein Spiegel, der jeweils das widerspiegelt, was vor ihm erscheint: ein blauer Ball erscheint als blauer Ball, nicht als rote Kiste, ein Gefühl der Freude als Freude und nicht als Wut, ein leidender Mensch als Leidender und nicht als Glücklicher.

Achtsamkeit ist wie die Linse eines Mikroskops, welche die Beschaffenheit des jeweils Betrachteten in einer größeren Auflösung zeigt, so dass sich das Betrachtete in einem ungeahnten Detailreichtum zeigen kann, der bei einem kurzen Blick nicht sichtbar geworden wäre. Vor allem dadurch werden tiefgreifende Erkenntnisse über das jeweilige Objekt möglich.

Das Licht, der Spiegel, die Linse des Mikroskops, sie denken nicht, sie verzerren nicht, sondern beleuchten, spiegeln oder zeigen das uneingeschränkt deutlicher, was vor ihnen ist. Achtsamkeit ist nicht konzeptuell oder gedanklich. Sie ist eine zunächst nichtbegriffliche Wahrnehmung dessen, was ist. Gedanken wie »jetzt bin ich achtsam« oder »ich schau mir das jetzt achtsam an« sind nicht Achtsamkeit, wiewohl man einen solchen Gedanken achtsam wahrnehmen kann. Auch die Benennung eines Objekts ist kein der Achtsamkeit selbst innewohnendes Element. Ein Objekt sofort zu benennen oder zu etikettieren ist ein geistiger Vorgang, der zwar nahezu automatisch abläuft, wenn wir etwas wahrnehmen, den wir aber auch als Prozess mit Achtsamkeit begleiten können.

Achtsamkeit vergleicht nicht das gerade Wahrgenommene mit etwas anderem, die momentane Erfahrung mit der gestrigen, das heutige Wetter mit dem von letzter Woche, unser Aussehen mit dem von anderen, unsere gegenwärtige Stimmung mit der von vorhin, unser Glück mit dem von anderen. Vergleichen ist kein Element der Achtsamkeit, kann aber ihr Objekt sein.

Achtsamkeit ist wertfrei, sie bevorzugt nicht, sie verurteilt nicht. Wertungen wie positiv oder negativ, schön, hässlich, gut, böse und so weiter sind kein inhärenter Teil achtsamer Wahrnehmung, sondern eine meist automatisch ablaufende Antwort unserer Konditionierungen auf Wahrnehmungen. Dieser Ablauf konditionierter Muster kann aber ein Objekt achtsamer Betrachtungen sein – und zwar ein sehr lohnendes.

Achtsamkeit als nichtwertende, nichturteilende, sich nicht einmischende Aufmerksamkeit ermöglicht einen klaren, unverstellten, unverzerrten Blick auf das, was ist. Sie zeigt, dass Werten, Vergleichen, Urteilen uns vielleicht schon so zur zweiten Natur geworden sind und nahezu automatisch alle unsere Wahrnehmungen begleiten, sie aber etwas sind, was wir den Objekten hinzufügen. Es sind Gedanken und Kommentare über die Objekte, keine Eigenschaften der Objekte selbst, es sind Zuschreibungen. Dies erkennen und unterscheiden zu können ist ganz entscheidend und kann höchst befreiend wirken.

Viele von uns kennen die Neigung bei sich oder bei anderen, alles, was sie sehen oder hören, sofort mit Werturteilen und Kommentaren zu belegen. Da sehen wir nicht einfach nur den blauen Pullover der Freundin, sondern denken fast gleichzeitig, dass er ihr nicht steht. Wir sind in der neuen Wohnung des Kollegen, schauen uns um und fragen uns sofort, warum wir es nicht auch so schön haben. Wir hören ein neues Musikstück und vergleichen es nach ein paar Takten schon mit unserer Lieblingsmusik und finden das neue Stück langweilig. Wir erleben uns in einer Gesprächsrunde als unsicher und verurteilen uns gnadenlos dafür. Und so weiter.

Wie schnell oder fast schon automatisch das aber auch immer sein mag, es ist nicht ein Prozess, sondern es sind mindestens zwei. Wir nehmen die Dinge wahr und knüpfen daran wertende Gedanken, die nicht zur Wahrnehmung selbst gehören, sondern von uns hinzugefügt werden und die oft mehr über uns selbst als über die wahrgenommenen Objekte sagen. Bei ausreichender Achtsamkeit für diesen Prozess können wir sie einfach nur als solche – als wertende Gedanken – wahrnehmen und damit erkennen, dass sie nicht Teil der Objekte, etwa deren Natur, sind.

Unser permanentes Werten, Vergleichen und Be- und Verurteilen ist aber nicht nur geistiges Geschwätz, das unseren an sich schon so vollen Kopf noch mehr anfüllt, sondern bringt auch viel Unzufriedenheit und Leid mit sich. So ist es eine gute Nachricht der Achtsamkeit, dass wir diese Gedanken, sofern wir sie merken, ihrer gewahr werden, auch aufgeben oder loslassen können, ohne dass damit die Objekte selbst, das heißt unsere ganze Welt, verschwinden würden. Wir müssen wertende, vergleichende, urteilende Gedanken nicht denken oder zwanghaft wiederholen, wir können immer wieder zur reinen Wahrnehmung dessen, was ist, zurückkehren. Die schlechte Nachricht ist, dass das meist nicht von selbst geschieht. Wir müssen uns im Allgemeinen in Achtsamkeit, auch wenn sie eine natürliche Eigenschaft und Fähigkeit des Geistes ist, üben, um sie zu entwickeln und zu vertiefen und auf die obengenannte Weise für uns fruchtbar zu machen.

Stützen der Achtsamkeit – vom Atem bis zum Ampelrot

Gefühle und Gedanken kommen und gehen

wie Wolken am Himmel,

die der Wind vor sich hertreibt.

Das achtsame Atmen

ist mein Anker im Hier und Jetzt.

Thich Nhat Hanh

Um der Achtsamkeit mehr Raum in unserem Leben zu geben, ist es zunächst wichtig, die Spanne der Aufmerksamkeit, mit der wir in der Lage sind, aufmerksam bei einem Objekt zu bleiben, allmählich zu verlängern und sie auch zu vertiefen. Um der Neigung unseres Geistes, ständig von einem zum anderen zu springen, entgegenzuwirken, hat es sich als sinnvoll erwiesen, einen Fokus zu wählen, auf den sich die Aufmerksamkeit eine Zeitlang richten kann. Ein Übungsobjekt. Seit den Zeiten des Buddha gilt der Atem als ein solches, gut geeignetes Objekt.[3] Der Atem steht uns immer zur Verfügung, er ist körperlich meist recht gut spürbar, und er ist ein sehr neutrales Objekt, mit dem die meisten von uns keine positiven oder negativen Assoziationen verbinden, wie dies bei anderen, spirituell eher »aufgeladenen« Objekten wie Kerze, Buddhastatue, Mantra, Kreuz oder Ähnlichem der Fall sein könnte. Prinzipiell ist aber so gut wie jeder Fokus für die Achtsamkeit denkbar. Menschen, die vielleicht mit Atemproblemen zu tun haben, sollten sich nicht damit überfordern, die auf den Atem gerichtete Achtsamkeit zu üben, sondern sie zunächst auf Objekte (Sinneswahrnehmungen wie Hören, den Kontakt zum Boden, Empfindungen des Sitzens spüren oder Ähnliches) richten, die für sie unproblematisch sind. Wichtig ist nur, unserem streunenden Geist einen Bezugspunkt zu geben, auf den er sich sammeln, zu dem er immer wieder zurückkehren kann.

 

Es gibt inzwischen zahlreiche Bücher, in denen es detaillierte Anleitungen zum Erlernen der Achtsamkeitsmeditation gibt. Eine Auswahl finden Sie im Anhang bei den Literaturangaben. Am besten ist es, sie unter Anleitung eines qualifizierten Lehrers, einer kompetenten Lehrerin in einer Gruppe einzuüben, da so mögliche Fehler sofort korrigiert und individuelle Hilfestellungen gegeben werden können.

Ich selbst habe diese Meditation erstmals Mitte der 80