Die Engelmacherin - Camilla Läckberg - E-Book
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Die Engelmacherin E-Book

Camilla Läckberg

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Beschreibung

Im alten Schulhaus auf der Insel Valö wird ein Mordanschlag auf die junge Ebba Stark verübt. Kommissar Patrik Hedström vernimmt die verstörte Frau, die gerade erst nach Fjällbacka zurückgekehrt war, um den tragischen Tod ihres kleinen Sohnes besser zu verkraften. Schriftstellerin Erica Falck, Patriks Frau, vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Ebba und der Geschichte ihrer Eltern. Die Elvanders verschwanden Ostern 1974 ohne jede Spur. Sollte dieser ungeklärte Fall der Grund für den Mordversuch gewesen sein?

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Die Engelmacherin

CAMILLA LÄCKBERG, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka. Sie hat weltweit über 30 Millionen Krimis und Thriller verkauft und ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Mit ihrem Unternehmen »Invest In Her« fördert sie Projekte junger Frauen. Camilla Läckberg lebt mit ihrer Patchworkfamilie in Stockholm.

Von Camilla Läckberg sind in unserem Hause bereits erschienen.In der Reihe »Ein Falck-Hedström-Krimi«:Die Eisprinzessin schläft (Band 1)Der Prediger von Fjällbacka (Band 2)Die Töchter der Kälte (Band 3)Die Totgesagten (Band 4)Engel aus Eis (Band 5)Meerjungfrau (Band 6)Der Leuchtturmwärter (Band 7)Die Engelmacherin (Band 8)Die Schneelöwin (Band 9)Die Eishexe (Band 10) Kuckuckskinder (Band 11)Außerdem: Schneesturm und Mandelduft

Camilla Läckberg

Die Engelmacherin

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage November 20143. Auflage 2019© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin 2014/List Verlag© 2011 by Camilla LäckbergTitel der schwedischen Originalausgabe: Änglamakerskan(Forum, Stockholm, 2011)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: getty images / © Rhoberazzi (Landschaft);corbis / © Kevin R. Morris (Wäscheleine)

Autorenfoto: © Elisabeth TollE-Book powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.ISBN 978-3-8437-0522-6

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

PERSONENVERZEICHNIS

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Nachwort

Leseprobe: Kuckuckskinder

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

PERSONENVERZEICHNIS

Widmung

»Wenn einer allein so viel Hass zeigen kann,wie viel Liebe könnten wir dann alle zusammen zeigen?«

PERSONENVERZEICHNIS

Die Familie

Erica Falck – Schriftstellerin Patrik Hedström – Hauptkommissar, Ehemann von EricaMaja – Tochter von Erica und PatrikAnton und Noel – Ericas und Patriks ZwillingeAnna – Ericas SchwesterDan – Annas MannEmma und Adrian – Kinder aus Annas erster Ehe mit LucasBelinda, Malin und Lisen – Dans Kinder aus erster EheKristina – Patriks Mutter

Polizeistation Tanum

Bertil Mellberg – Leiter der DienststelleErnst – Mellbergs HundPatrik Hedström – HauptkommissarGösta Flygare – PolizistMartin Molin – PolizistPaula Morales – AssistentinAnnika – EmpfangTorbjörn Ruud – KriminaltechnikerTord Pedersen – Gerichtsmediziner

1

Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen.

Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen.

Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte.

Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die Trauer ließ offenbar keinen Platz für andere Gefühle. Weder für Liebe noch für Wärme oder Mitgefühl.

Drückend und unausgesprochen stand die Schuld zwischen ihnen. Es wäre einfacher gewesen, hätte man sie genau definieren und verorten können, aber sie wanderte hin und her, Intensität und Form wechselnd, griff sie ständig aus einer anderen Richtung an.

Ebba wandte sich wieder dem Haus zu und kratzte weiter. Die weiße Farbe fiel in großen weißen Fladen zu Boden, das nackte Holz kam zum Vorschein. Sie strich mit der freien Hand über die Bretter. Das Haus war in einer Weise beseelt, die sie so noch nie erlebt hatte. Das kleine Reihenhaus in Göteborg, das sie und Mårten zusammen gekauft hatten, war fast neu gewesen. Damals hatte sie die vollkommen unberührten, blanken Oberflächen geliebt. Nun erinnerte sie das Neue nur noch an das, was früher gewesen war, und dieses alte Haus mit seinen Schrammen passte viel besser zu ihrem seelischen Zustand. Sie erkannte sich in dem Dach wieder, durch das es hereinregnete, im Heizkessel, der in regelmäßigen Abständen einen Tritt brauchte, und in den undichten Fenstern, durch die es derart zog, dass jede Kerze auf dem Fensterbrett sofort ausging. So war es auch in ihrer Seele, zugig und kalt. Und jedes Licht, das sie anzuzünden versuchte, wurde unbarmherzig ausgepustet.

Vielleicht würde ihre Seele hier auf Valö heilen. Obwohl sie keine Erinnerungen an die Insel hatte, war sie ihr sofort vertraut gewesen. Wenn Ebba zum Steg hinunter ging, sah sie den kleinen Küstenort auf der gegenüberliegenden Seite. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die weißen Häuschen und die roten Bootsschuppen aneinander. Der malerische Anblick tat beinahe weh.

Schweißtropfen brannten ihr in den Augen. Sie wischte sich das Gesicht mit dem T-Shirt ab und blinzelte in die Sonne. Über ihr kreisten die Möwen. Kreischend riefen sie sich etwas zu, und ihre Schreie vermengten sich mit den Geräuschen der Boote im Sund. Ebba schloss die Augen und ließ sich von den Lauten davontragen. Fort von sich selbst, fort von …

»Sollen wir eine Pause machen und baden gehen?«

Als Mårtens Stimme die Geräuschkulisse durchdrang, zuckte sie zusammen. Verwirrt schüttelte sie zunächst den Kopf, nickte dann aber.

»Okay.« Sie stieg vom Gerüst herunter.

Die Badesachen hingen zum Trocknen hinter dem Haus. Sie streifte die verschwitzten Arbeitsklamotten ab und zog sich einen Bikini an.

Mårten, der schneller war als sie, wurde ungeduldig.

»Können wir jetzt gehen?« Er lief auf dem schmalen Pfad zum Strand voraus. Die Insel war ziemlich groß und nicht so karg wie die kleineren Inseln im Bohusläner Schärengarten. Dichtbelaubte Bäume und hohes Gras säumten den Pfad. Sie trat fest mit dem Fuß auf. Die Angst vor Schlangen war tief verankert und hatte sich noch verstärkt, seit sie vor einigen Tagen eine Kreuzotter gesehen hatten, die wohlig in der Sonne lag.

Der Pfad führte steil zum Wasser hinunter, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Frage durch den Kopf ging, wie viele Kinderfüße hier in all den Jahren schon entlanggelaufen waren. Das Gebäude wurde immer noch als Ferienheim bezeichnet, obwohl es schon seit den dreißiger Jahren nicht mehr als solches diente.

»Pass auf!« Mårten zeigte auf ein paar Baumwurzeln auf dem Weg.

Seine Fürsorglichkeit, die sie eigentlich hätte rühren müssen, kam ihr vor allem einengend vor. Demonstrativ trat sie auf die Wurzeln. Nach wenigen Metern fühlte sie groben Sand unter den Füßen. Die Wellen schlugen gegen den langgezogenen Strand. Sie ließ das Handtuch fallen und marschierte geradewegs in das salzige Wasser. Algenbüschel streiften ihre Beine, und die plötzliche Kälte ließ sie nach Luft schnappen, doch bald genoss sie die Abkühlung. Hinter sich hörte sie Mårten rufen. Sie tat, als würde sie ihn nicht hören, und ging weiter hinaus ins Tiefe. Als der Boden unter ihren Füßen verschwand, schwamm sie los und erreichte nach wenigen Zügen das kleine Badefloß, das ein Stück weiter draußen verankert war.

»Ebba!« Mårten rief vom Strand nach ihr, aber sie ignorierte ihn noch immer und griff nach der Leiter. Sie brauchte einen Moment für sich allein. Wenn sie sich hinlegte und die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, sie wäre eine Schiffbrüchige irgendwo auf dem Ozean. Ganz allein. Eine Frau, die auf niemanden Rücksicht nehmen musste.

Sie hörte das gleichmäßige Platschen eines Schwimmers neben sich. Das Floß schaukelte, als Mårten die Leiter hinaufstieg. Sie kniff die Augen noch fester zu, um sich noch eine Weile von ihm abzuschotten. Sie wollte allein einsam sein, doch mittlerweile waren sie und Mårten zusammen einsam. Unwillig schlug sie die Augen auf.

Erica saß am Wohnzimmertisch. Um sie herum schien eine Spielzeugbombe explodiert zu sein. Autos, Puppen, Kuscheltiere und Zeug zum Verkleiden in bunter Mischung. Mit drei Kindern im Haus, die noch keine vier Jahre alt waren, sah es meistens so aus. Wie üblich hatte sie sich lieber dem Schreiben gewidmet, anstatt in einem der kostbaren kinderfreien Momente aufzuräumen.

Als sie hörte, dass die Haustür geöffnet wurde, wandte sie sich vom Computer ab. Es war ihr Mann.

»Was machst du denn hier? Wolltest du nicht zu Kristina?«

»Mama war nicht zu Hause. Typisch, ich hätte vorher anrufen sollen.« Patrik kickte seine Gummipantoffeln in die Ecke.

»Musst du die immer anziehen? Und auch noch Auto damit fahren?« Sie zeigte angewidert auf sein Schuhwerk, das zu allem Überfluss neongrün war. Ihre Schwester Anna hatte Patrik die Dinger aus Spaß geschenkt, aber nun wollte er keine anderen Schuhe mehr tragen.

Patrik kam zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Die sind doch so bequem.« Er ging in die Küche. »Hat der Verlag dich erreicht? Es muss ja ziemlich dringend gewesen sein, wenn sie sogar bei mir anrufen.«

»Sie wollten wissen, ob ich dieses Jahr wie versprochen zur Buchmesse komme, aber ich weiß es noch nicht genau.«

»Natürlich fährst du hin. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich an dem Wochenende nicht arbeiten muss, und kümmere mich um die Kinder.«

»Danke.« Insgeheim jedoch ärgerte sich Erica, dass sie ihrem Mann dankbar war. Was übernahm sie nicht alles, wenn sein Job ihn aus heiterem Himmel forderte oder wenn Wochenenden, Feiertage und freie Abende auf der Strecke blieben, weil die Polizeiarbeit nicht warten konnte? Sie liebte Patrik über alles, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht darüber nachdachte, wie viel Verantwortung für Haus und Kinder auf ihr allein lastete. Sie hatte schließlich auch einen Beruf und war außerdem recht erfolgreich.

Oft musste sie sich anhören, wie großartig es sein müsse, wenn man vom Schreiben leben konnte. Sich die Zeit frei einteilen durfte und sein eigener Chef war. Erica ärgerte sich immer wieder darüber, denn obwohl sie ihre Arbeit unheimlich mochte und wusste, wie gut sie es getroffen hatte, sah die Wirklichkeit anders aus. Freiheit verband sie mit dem Schriftstellerdasein jedenfalls nicht, im Gegenteil. Ein Buchprojekt konnte einen sieben Tage in der Woche rund um die Uhr in Atem halten. Manchmal beneidete sie diejenigen, die einfach zur Arbeit gingen und nach acht Stunden Feierabend hatten. Sie dagegen konnte nie abschalten, und der Erfolg hatte Verpflichtungen und Erwartungen mit sich gebracht, die sich mit dem Leben einer Mutter von kleinen Kindern nur schwer in Einklang bringen ließen.

Zudem war es schwierig zu behaupten, ihre Arbeit sei wichtiger als die von Patrik. Er beschützte Menschen, klärte Verbrechen auf und trug dazu bei, dass die Gesellschaft besser funktionierte. Sie selbst schrieb Bücher, die zur Unterhaltung gelesen wurden. Auch wenn sie manchmal am liebsten vor Wut gebrüllt hätte, war klar und akzeptierte sie auch, dass sie meistens den Kürzeren zog.

Seufzend stand sie auf und folgte ihrem Mann in die Küche.

»Sind die drei im Bett?« Patrik nahm die Zutaten für seinen Lieblingssnack aus dem Schrank: Knäckebrot, Butter, Kaviarpaste und Käse. Erica schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er das Ganze auch noch in heißen Kakao stippen würde.

»Ja, sie sind ausnahmsweise alle gleichzeitig eingeschlafen. Sie haben am Vormittag wunderbar gespielt und waren daher hundemüde.«

»Schön.« Patrik setzte sich zum Essen an den Küchentisch.

Erica ging zurück ins Wohnzimmer, um noch ein bisschen zu schreiben, bevor die Kinder wieder aufwachten. Gestohlene Augenblicke. Mehr war im Moment nicht drin.

Im Traum brannte es. Voller Entsetzen drückte Vincent sein Gesicht an die Scheibe. Hinter ihm loderten immer größere Flammen auf. Züngelnd kamen sie ganz nah an ihn heran und versengten seine blonden Locken. Er schrie lautlos. Sie wollte sich gegen die Scheibe werfen, das Glas zertrümmern und Vincent aus den Flammen retten, die ihn zu verschlingen drohten, doch sosehr sie sich auch bemühte, ihr Körper gehorchte ihr nicht.

Dann hörte sie Mårtens Stimme. Vorwurfsvoll. Er hasste sie, weil sie Vincent nicht retten konnte und tatenlos zusah, wie er vor ihren Augen lebendig verbrannte.

»Ebba! Ebba!«

Seine Stimme spornte sie an, es noch einmal zu versuchen. Sie musste losrennen und die Scheibe zerschlagen. Sie musste …

»Ebba, wach auf!«

Jemand packte sie an den Schultern und zwang sie, sich aufzusetzen. Langsam verflüchtigte sich der Traum, doch sie wollte ihn festhalten, sich in die Flammen stürzen und vielleicht für einen kurzen Moment Vincents zarten Körper in ihren Armen halten, bevor sie beide starben.

»Du musst aufwachen! Es brennt!«

Plötzlich war sie hellwach. Der Rauch stach ihr in die Nase, und sie bekam einen schlimmen Hustenanfall. Als sie den Kopf hob, sah sie die Rauchwolke, die sich ins Zimmer wälzte.

»Wir müssen raus!«, schrie Mårten. »Kriech unter dem Rauch durch. Ich komme gleich nach. Ich versuche nur noch, den Brand zu löschen.«

Ebba stolperte aus dem Bett und fiel hin. An ihrer Wange spürte sie die heißen Holzdielen. Sie war unfassbar müde, und ihre Lunge schmerzte. Woher sollte sie die Kraft nehmen, sich irgendwohin zu schleppen? Sie wollte liegen bleiben und nur noch schlafen, sie schloss die Augen und fühlte eine lähmende Trägheit in allen Gliedern. Hier würde sie Ruhe finden. Nur für einen Augenblick.

»Hoch mit dir! Du musst hoch!« Mårtens schrille Stimme riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Normalerweise hatte er nie Angst. Nun packte er ihren Arm und zerrte sie unsanft auf alle viere.

Widerwillig setzte sie sich in Bewegung. Auch sie bekam es jetzt mit der Angst zu tun. Mit jedem Atemzug drang der Rauch tiefer in ihre Lunge ein, wie ein langsam wirkendes Gift, doch sie starb lieber an den Folgen des Rauchs als in den Flammen. Die Vorstellung, ihre Haut würde brennen, ließ sie aus dem Zimmer kriechen.

Plötzlich war sie verwirrt. Sie hätte doch wissen müssen, wo sich die Treppe befand, aber ihr Gehirn schien nicht zu funk­tio­nieren. Sie sah nur dichten dunkelgrauen Nebel vor sich. Panisch krabbelte sie direkt geradeaus, zumindest wollte sie nicht im Rauch stecken bleiben.

In dem Moment, als sie die Treppe erreichte, rannte Mårten mit dem Feuerlöscher an ihr vorbei und in drei großen Sätzen die Treppe hinunter. Ebba folgte ihm mit dem Blick. Genau wie im Traum hatte sie das Gefühl, ihr Körper würde ihr nicht mehr gehorchen. Ihre Glieder verweigerten jegliche Bewegung, und reglos verharrte sie auf allen vieren, während der Rauch immer dichter wurde. Wieder hustete sie, ein Hustenanfall jagte den anderen. Ihre Augen tränten, und ihre Gedanken kreisten um Mårten, aber sie hatte nicht genügend Energie, sich Sorgen um ihn zu machen. Und sie spürte die Verlockung, sich einfach nicht mehr zu bewegen. Zu verschwinden und die Trauer, die Leib und Seele peinigte, hinter sich zu lassen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Langsam legte sie sich auf den Boden, den Kopf auf den Armen, schloss sie die Augen. Rings um sie war es warm und weich. Erneut breitete sich diese Trägheit in ihr aus. Sie hieß sie erfreut willkommen, diese Schläfrigkeit wollte ihr ja nichts Böses, sie umfing sie sanft und machte sie wieder zu einem ganzen Menschen.

»Ebba!« Mårten packte sie am Arm. Sie wehrte sich, denn sie wollte sich an diesen schönen, friedlichen Ort treiben lassen, zu dem sie aufgebrochen war. Dann fühlte sie einen Schlag ins Gesicht, eine Ohrfeige, die einen brennenden Abdruck auf ihrer Wange hinterließ. Benommen rappelte sie sich auf und sah Mårten in die Augen. Sein Blick war zornig, doch auch besorgt.

»Das Feuer ist jetzt gelöscht«, sagte er, »aber wir dürfen trotzdem nicht hierbleiben.«

Als er sie hochziehen wollte, wehrte sie sich. Er brachte sie um die einzige Möglichkeit seit langem, sich auszuruhen. Aufgebracht hämmerte sie mit den Fäusten auf seine Brust ein. Es war ein gutes Gefühl, all ihre Wut und Enttäuschung raus­zulassen. Sie schlug so fest zu, wie sie konnte, bis er sie an den Handgelenken packte und näher zu sich heranzog. Er drückte ihr Gesicht an seins und hielt sie fest. Sein schneller Herzschlag an ihrem Ohr brachte sie zum Weinen. Dann ließ sie sich hochheben. Er trug sie nach draußen, und als die kalte Nachtluft ihre Lunge füllte, gab sie sich bereitwillig dem Schlaf hin.

2

Fjällbacka 1908

Sie kamen am frühen Morgen. Mutter war bereits mit den Kleinen aufgestanden, während Dagmar noch gemütlich im warmen Bett liegen blieb. Das war eben der Unterschied zwischen einem richtigen Kind von Mutter und den Huren­bälgern, um die sie sich kümmerte. Dagmar war etwas Besonderes.

»Was ist denn da los?«, rief Vater aus der Kammer. Wie Dagmar war er aufgewacht, weil irgendjemand beharrlich an die Haustür pochte.

»Aufmachen! Hier spricht die Polizei!«

Nun riss dem Beamten offenbar der Geduldsfaden, denn die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann in Uniform stürmte herein.

Erschrocken setzte sich Dagmar im Bett auf und zog sich die Decke bis unters Kinn.

»Die Polizei?« Vater kam in die Küche und knöpfte sich ungeschickt die Hose zu. Sein eingesunkener Brustkorb war mit spärlichen grauen Haarbüscheln bedeckt. »Lassen Sie mich we­nigstens mein Hemd anziehen, dann klären wir die Sache schon. Das muss ein Missverständnis sein. Hier leben ehrliche Leute.«

»Hier wohnt doch Helga Svensson?«, fragte der Polizist. Dicht hinter ihm standen zwei weitere Männer. Die enge Küche war voller Betten. Zurzeit hatten sie fünf kleine Kinder im Haus.

»Ich heiße Albert Svensson, Helga ist meine Ehefrau«, sagte Vater. Er hatte mittlerweile sein Hemd angezogen und die Arme vor der Brust verschränkt.

»Wo ist Ihre Ehefrau?« Die Stimme klang streng.

Dagmar sah die Falte zwischen den Augenbrauen ihres Vaters. Er mache sich zu schnell Sorgen, sagte Mutter immer. Schwache Nerven.

»Mutter ist hinten im Garten. Mit den Kleinen«, sagte Dagmar. Erst jetzt schienen die Polizisten sie zu bemerken.

»Danke«, erwiderte der Wortführer und machte auf dem Absatz kehrt.

Vater folgte den Polizisten. »Sie können doch nicht einfach bei ehrbaren Leuten reinplatzen. Man erschreckt sich ja zu Tode. Sagen Sie mir endlich, worum es geht.«

Dagmar schlug die Bettdecke zurück, stellte die Füße auf den kalten Küchenfußboden und rannte im Nachthemd hinterher. Im Garten wurde sie plötzlich aufgehalten. Zwei Po­lizisten packten sie am Arm. Sie versuchte, sich loszureißen, und einer der Polizisten keuchte vor Anstrengung, weil er sie nicht entwischen lassen wollte. Die Kinder schrien, und die Wäschestücke, die Mutter bereits auf die Leine gehängt hatte, wurden in dem Tumult heruntergerissen.

»Mutter!« Dagmar rannte auf sie zu.

Sie stürzte sich auf das Bein eines Polizisten und biss ihm, so fest sie konnte, in den Oberschenkel. Brüllend vor Schmerz ließ er Mutter los, drehte sich um und gab Dagmar eine Backpfeife, dass sie zu Boden fiel. Verdutzt blieb sie im Gras sitzen und strich sich über die brennende Wange. Die Achtjährige war in ihrem ganzen Leben noch nicht geschlagen worden. Sie bekam zwar mit, wie ihrer Mutter im Umgang mit den Kleinen die Hand ausrutschte, aber bei Dagmar war ihr das noch nie passiert. Und deshalb wagte Vater es auch nicht.

»Was erlauben Sie sich? Haben Sie sich etwa an meiner Tochter vergriffen?« Rasend vor Wut trat Mutter nach den Männern.

»Das ist nichts, verglichen mit dem, was Sie getan haben.« Wieder hielt der Polizist Helga fest. »Sie werden des Kindsmords verdächtigt, wir haben die Genehmigung für eine Haus­durchsuchung. Und wir sind gründlich, das können Sie mir glauben.«

Dagmar sah, wie ihre Mutter zusammenbrach. Die Wange brannte immer noch höllisch, und ihr Herz klopfte wie wild. Ringsherum schrien die Kinder, als würde die Welt untergehen. Vielleicht war das ja auch der Fall. Denn obwohl Dagmar nicht begriff, was hier passierte, verriet der Gesichtsausdruck ihrer Mutter, dass soeben deren Leben zerstört worden war.

3

Könntest du nach Valö rausfahren, Patrik? Wir haben einen Notruf bekommen, Feueralarm. Es wird Brandstiftung vermutet.«

»Wie bitte? Entschuldige, was hast du gesagt?«

Patrik war schon halb aus dem Bett. Er klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und schlüpfte in seine Jeans. Verschlafen sah er auf die Uhr. Viertel nach sieben. Einen Augenblick lang überlegte er, was Annika um diese Uhrzeit in der Dienststelle machte.

»Auf Valö hat es gebrannt«, antwortete Annika geduldig. »Die Feuerwehr ist heute Morgen vor Tau und Tag ausgerückt. Sie vermuten, dass es Brandstiftung war.«

»Wo denn auf Valö?«

Neben ihm drehte sich Erica auf die Seite.

»Was ist los?«, murmelte sie.

»Die Arbeit ruft. Ich muss nach Valö«, flüsterte er. Wenn die Zwillinge ausnahmsweise länger als bis halb sieben schliefen, brauchte man sie nicht unbedingt zu wecken.

»Im Ferienheim«, sagte Annika am anderen Ende der Leitung.

»Okay. Ich fahre mit dem Boot raus. Vorher rufe ich noch bei Martin an, wir haben doch heute zusammen Dienst.«

»Stimmt. Dann sehen wir uns nachher im Büro.«

Patrik legte auf und zog sich ein T-Shirt an.

»Was ist passiert?« Erica setzte sich auf.

»Die Feuerwehr vermutet, dass im alten Ferienheim Feuer gelegt worden ist.«

»Im Ferienheim? Wollte das jemand abfackeln?« Erica schwang die Beine über die Bettkante.

»Später erzähle ich dir mehr, versprochen.« Patrik lächelte. »Ich weiß, dass das ein ganz spezielles Projekt von dir ist.«

»Es ist doch ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet dann, wenn Ebba wieder da ist, jemand das Haus abzubrennen versucht.«

Patrik schüttelte den Kopf. Er wusste aus Erfahrung, dass seine Frau sich gern in Dinge einmischte, die sie nichts angingen, und sich leicht zu abwegigen Schlussfolgerungen hinreißen ließ. An und für sich lag sie häufig richtig, das musste er zugeben, aber manchmal stiftete sie auch Verwirrung.

»Annika hat gesagt, vermutlich ist es Brandstiftung. Mehr wissen wir noch nicht, und das heißt ja noch nicht, dass es tatsächlich Brandstiftung war.«

»Nein, aber trotzdem«, wandte Erica ein. »Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet jetzt so was passiert. Kann ich nicht mitkommen? Ich wollte sowieso mal bei Ebba vorbeischauen.«

»Und wer kümmert sich um die Kinder? Maja ist wohl noch ein bisschen zu klein, um den Jungs den Brei zu machen.«

Er küsste Erica auf die Wange und raste die Treppe hinunter. Hinter ihm fingen die Zwillinge wie auf Bestellung an zu brüllen.

Auf dem Weg nach Valö wechselten Patrik und Martin nicht viele Worte. Der Gedanke an eine eventuelle Brandstiftung war beängstigend. Als sie sich der idyllischen Insel näherten, kam ihnen das Ganze noch unwirklicher vor.

»Wie schön es hier ist«, sagte Martin. Sie gingen von dem Steg, an dem Patrik das Boot vertäut hatte, zum Haus.

»Du warst doch schon mal hier«, sagte Patrik, ohne sich umzudrehen. »Zumindest damals Weihnachten.«

Anstelle einer Antwort murmelte Martin nur vor sich hin. Er schien nicht gern an diese unheilvollen Weihnachtstage zurückzudenken, als er in ein Familiendrama auf der Insel hineingezogen worden war.

Vor ihnen lag eine große Rasenfläche. Sie blieben stehen und sahen sich um.

»Ich habe viele schöne Erinnerungen an diesen Ort«, sagte Patrik. »Wir waren jedes Jahr mit der Schule hier, und einmal war ich hier im Sommer auf einer Segelfreizeit. Da drüben habe ich oft Fußball gespielt. Und Brennball.«

»Tja, wer ist nicht hier im Ferienheim gewesen? Eigentlich seltsam, dass man das Haus immer noch so nennt.«

Patrik zuckte mit den Schultern, als sie zügig zum Haus hinaufgingen.

»Wahrscheinlich hat man die Bezeichnung einfach beibehalten. Als Internat ist das Haus ja nur kurze Zeit genutzt worden, und nach diesem Schlesinger, der vorher dort gewohnt hatte, wollte man es wohl nicht nennen.«

»Von dem verrückten Kerl hat man so einiges gehört.« Martin fluchte, als ihm ein Zweig ins Gesicht schlug. »Wem gehört das Haus denn jetzt?«

»Ich glaube, dem Paar, das dort wohnt. Seit dem Vorfall 1974 wurde das Haus von der Gemeinde verwaltet. Schade, dass es so heruntergekommen ist, aber nun wird es ja renoviert.«

Martin blickte zum Haus hoch. Ein Gerüst bedeckte die Vorderseite. »Das wird bestimmt toll. Hoffentlich hat das Feuer nicht zu großen Schaden angerichtet.«

Sie gingen auf die Steintreppe zu, die zur Eingangstür führte. Die Stimmung war friedlich. Ein paar Männer von der Freiwilligen Feuerwehr packten ihre Geräte ein. Unter ihren dicken Anzügen sind sie bestimmt klitschnass geschwitzt, dachte Patrik. Die Hitze machte ihm jetzt schon zu schaffen, obwohl es noch früh am Morgen war.

»Tag!« Feuerwehrhauptmann Östen Ronander kam auf sie zu und nickte zur Begrüßung. Seine Hände waren voller Ruß.

»Hallo, Östen. Was ist hier passiert? Annika sagte, ihr vermutet, dass es Brandstiftung war?«

»Ja, es sieht zweifellos danach aus, aber rein technisch sind wir ja nicht dafür qualifiziert, das zu beurteilen. Hoffentlich ist Torbjörn schon unterwegs.«

»Ich habe ihn vom Boot aus angerufen. Sie wollen in ungefähr …«, Patrik warf einen Blick auf seine Armbanduhr, »einer halben Stunde hier sein.«

»Gut. Sehen wir uns inzwischen um? Wir haben versucht, keine Spuren zu verwischen. Als wir eintrafen, hatte der Eigentümer bereits den Feuerlöscher eingesetzt. Wir haben uns also nur noch vergewissert, dass es keinen Schwelbrand gibt. Ansonsten konnten wir nicht viel tun. Guckt euch das mal an.«

Östen deutete in den Hausflur. Auf dem Fußboden hinter der Eingangstür bildeten die Brandspuren ein merkwürdiges, unregelmäßiges Muster.

»Das müsste irgendeine brennbare Flüssigkeit gewesen sein.« Martin sah Östen fragend an, Östen nickte.

»Ich nehme an, jemand hat die Flüssigkeit unter der Tür durchlaufen lassen und dann angezündet. Dem Geruch nach zu urteilen, würde ich auf Benzin tippen, aber Torbjörn und seine Jungs können da sicher Genaueres sagen.«

»Wo sind die Bewohner des Hauses?«

»Die warten hinter dem Haus auf den Notarzt, der sich wegen eines Autounfalls leider verspätet. Sie scheinen unter einem ziemlichen Schock zu stehen, und ich dachte mir, sie könnten Ruhe gebrauchen. Außerdem fand ich, dass hier niemand herumtrampeln sollte, bevor ihr Gelegenheit hattet, Spuren zu sichern.«

»Gute Arbeit.« Patrik klopfte Östen auf die Schuler und wandte sich an Martin. »Sollen wir gleich mit ihnen reden?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ums Haus herum. In einer gewissen Entfernung davon standen ein paar verwitterte Gartenmöbel. Am Tisch saß ein Paar, das Mitte dreißig war. Es machte einen verwirrten Eindruck. Als der Mann die Polizisten erblickte, kam er auf sie zu und gab ihnen die Hand. Sie fühlte sich hart und schwielig an, als hätte er lange Zeit körperlich gearbeitet.

»Mårten Stark.«

Patrik und Martin stellten sich vor.

»Wir verstehen überhaupt nichts. Die Feuerwehrleute haben was von Brandstiftung gesagt.« Mårtens Frau war ihm gefolgt. Sie wirkte schmal und zerbrechlich und reichte Patrik, der selbst nicht besonders groß war, nur bis zur Schulter. Trotz der Hitze bibberte sie.

»Das muss nicht sein. Noch wissen wir nichts mit Sicherheit«, versuchte Patrik, sie zu beruhigen.

»Das ist Ebba, meine Frau«, erklärte Mårten. Er rieb sich müde das Gesicht.

»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Martin. »Wir würden gern etwas mehr über den Vorfall erfahren.«

»Natürlich, da drüben.« Mårten zeigte auf die Gartenmöbel.

»Wer hat das Feuer zuerst bemerkt?« Patrik betrachtete Mårten, der einen schwarzen Fleck auf der Stirn und wie Östen vollkommen verrußte Hände hatte. Mårten bemerkte den Blick und sah sich seine Hände an, als würde er erst jetzt bemerken, wie schmutzig sie waren. Langsam wischte er sie an seiner Jeans ab, bevor er antwortete.

»Das war ich. Ich bin aufgewacht und habe einen merkwürdigen Geruch bemerkt. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass es unten brannte, und da habe ich versucht, Ebba zu wecken. Das hat eine Weile gedauert, weil sie sehr fest schlief, aber schließlich bekam ich sie aus dem Bett. Als ich zum Feuerlöscher rannte, hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: Ich muss den Brand löschen.« Mårten redete so schnell, dass er völlig außer Atem kam und nach Luft schnappen musste.

»Ich dachte, ich würde sterben. Ich war mir ganz sicher.« Ebba pulte an ihrer Nagelhaut herum. Patrik sah sie mitleidig an.

»Ich habe den Feuerlöscher entsichert und wie ein Wahnsinniger auf die Flammen gesprüht«, fuhr Mårten fort. »Zuerst schien überhaupt nichts zu passieren, aber ich habe immer mehr Schaum verspritzt, und dann ging das Feuer plötzlich aus. Der Rauch hing jedoch immer noch in den Räumen, es war überall Rauch.« Wieder rang er nach Luft.

»Wieso sollte jemand …? Ich verstehe das nicht.«

Ebba wirkte abwesend. Östen hatte wohl recht, dachte Pa­trik, sie stand vermutlich unter Schock. Das erklärte dann auch, warum sie so zitterte. Wenn der Notarzt eintraf, würde er sich Ebba ganz genau ansehen und auch untersuchen müssen, ob die beiden nicht eine Rauchvergiftung erlitten hatten. Viele Menschen wussten nicht, dass der Rauch tödlicher war als das Feuer selbst. Die Folgen von tief eingeatmetem Rauch zeigten sich möglicherweise auch erst nach einiger Zeit.

»Wie kommen Sie auf Brandstiftung?« Wieder rieb sich Mårten das Gesicht. Viel Schlaf hatte er wahrscheinlich nicht bekommen, dachte Patrik.

»Noch wissen wir nichts Genaues, wie schon gesagt«, antwortete Patrik zögernd. »Es gibt gewisse Anzeichen dafür, aber bevor die Techniker es bestätigt haben, möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Sie haben heute Nacht nicht zufällig Geräusche gehört?«

»Nein, ich bin ja erst aufgewacht, als es bereits brannte.«

Patrik deutete mit dem Kinn auf ein Haus, das ein Stück entfernt lag. »Sind die Nachbarn zu Hause? Könnten sie vielleicht gesehen haben, ob hier draußen eine fremde Person herumgeschlichen ist?«

»Sie sind im Urlaub. Wir sind ganz allein auf der Insel.«

»Gibt es jemanden, der ein Interesse daran haben könnte, Ihnen Schaden zuzufügen?«, meldete sich Martin zu Wort. Er überließ oft Patrik die Befragungen, aber er hörte immer aufmerksam zu und beobachtete die Reaktionen ihrer Gesprächspartner genau. Das war mindestens genauso wichtig wie die richtigen Fragen.

»Nein, soweit ich weiß, niemand.« Ebba schüttelte langsam den Kopf.

»Wir wohnen noch nicht lange hier. Erst zwei Monate«, sagte Mårten. »Es ist zwar Ebbas Elternhaus, aber es war jahre­lang vermietet, und Ebba ist die ganze Zeit nicht hier gewesen. Wir haben beschlossen, den alten Kasten instand zu setzen und etwas daraus zu machen.«

Patrik und Martin wechselten rasch einen Blick. Die Geschichte des Hauses und letztendlich auch die Ebbas war in der Gegend bekannt, aber dies war nicht die passende Gelegenheit, um darüber zu sprechen. Patrik war froh, dass Erica nicht dabei war. Sie hätte sich nicht beherrschen können.

»Wo haben Sie vorher gewohnt?«, fragte Patrik, obwohl er sich die Antwort bei Mårtens ausgeprägtem Dialekt selbst geben konnte.

»Göteborg, hört man das nicht?«

»Haben Sie dort mit jemandem eine Rechnung offen?«

»Wir haben keine offenen Rechnungen, weder in Göteborg noch irgendwo anders«, erwiderte Mårten kurz angebunden.

»Und aus welchem Grund sind Sie hierhergezogen?«, fragte Patrik.

Ebba blickte auf die Tischplatte und fingerte nervös an ihrer Halskette herum. Ein hübscher Engel aus Silber hing daran.

»Unser Sohn ist gestorben.« Sie zog so fest an der Kette, dass sie ihr in den Hals schnitt.

»Wir brauchten einen Tapetenwechsel«, erklärte Mårten. »Dieses Haus hier stand einfach da und verfiel zusehends. Wir haben das als Chance betrachtet, noch mal von vorne anzufangen. Da meine Eltern eine Kneipe hatten, fand ich es naheliegend, ebenfalls etwas in der Art aufzumachen. Wir wollen mit Bed and Breakfast anfangen und nach und nach auch Konferenzbesucher hierherlocken.«

»Sieht nach viel Arbeit aus.« Patrik wandte sich dem großen Gebäude mit der abgeblätterten weißen Fassade zu. Er stellte bewusst keine Fragen mehr nach dem toten Sohn. Der Schmerz in den Gesichtern der beiden war zu groß gewesen.

»Wir sind nicht arbeitsscheu, und wir machen so lange weiter, wie es geht. Falls unsere Kräfte nicht reichen, müssen wir Leute beschäftigen, aber das Geld würden wir lieber sparen. Das Ganze wird finanziell ohnehin schwierig genug.«

»Es gibt also niemanden, der Interesse daran haben könnte, Ihnen oder Ihrem Betrieb Schaden zuzufügen?«, insistierte Martin.

»Betrieb? Welcher Betrieb?«, antwortete Mårten mit einem ironischen Lachen. »Nein, wie gesagt, uns fällt wirklich niemand ein, der uns so etwas antun würde. Ein solches Leben haben wir nicht geführt. Wir sind ganz normale Durchschnittsbürger.«

Patrik dachte einen Augenblick lang an Ebbas Vergangenheit. Nicht viele Durchschnittsbürger trugen ein solches Geheimnis mit sich herum. In Fjällbacka und Umgebung hatte man sich die wildesten Geschichten über das erzählt, was Ebbas Familie zugestoßen war.

»Außer …« Mårten warf Ebba einen fragenden Blick zu, doch die schien nicht zu wissen, worauf er hinauswollte. Er sah sie durchdringend an. »Das Einzige, was mir dazu einfällt, sind die Glückwunschkarten.«

»Glückwunschkarten?«, fragte Martin.

»Seit ihrer Kindheit bekommt Ebba zu jedem Geburtstag eine Karte von jemandem, der nur mit G unterschreibt. Ihre Adoptiveltern haben nie herausbekommen, wer dahintersteckte. Die Glückwunschkarten kamen auch noch, nachdem sie von zu Hause ausgezogen war.«

»Hat Ebba denn auch keine Ahnung, wer ihr die Karten schreibt?«, fragte Patrik. Erst dann fiel ihm auf, dass er über sie redete, als ob sie nicht anwesend wäre. An sie gewandt wiederholte er: »Sie haben nicht die geringste Vermutung, wer Ihnen diese Karten geschickt haben könnte?«

»Nein.«

»Und Ihre Adoptiveltern? Sind Sie sicher, dass die nichts wissen?«

»Die wissen es auch nicht.«

»Hat dieser G denn jemals versucht, auf andere Weise Kontakt zu Ihnen aufzunehmen, oder Sie vielleicht bedroht?«

»Nein, niemals. Oder, Ebba?« Mårten bewegte eine Hand in Ebbas Richtung, als wollte er sie berühren, ließ die Hand jedoch wieder sinken.

Sie schüttelte den Kopf.

»Jetzt kommt Torbjörn.« Martin zeigte auf den Pfad.

»Gut, dann machen wir hier Schluss, damit Sie beide sich ausruhen können. Ein Arzt ist unterwegs. Sollte er Sie mit ins Krankenhaus nehmen wollen, würde ich Ihnen raten, auf ihn zu hören. Solche Dinge darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«

»Danke.« Mårten stand auf. »Melden Sie sich, wenn Sie mehr wissen.«

»Machen wir.« Patrik warf Ebba einen letzten besorgten Blick zu. Sie wirkte immer noch wie unter einer Glasglocke. Er fragte sich, welche Spuren die Tragödie in ihrer Kindheit hinterlassen hatte, zwang sich dann aber, den Gedanken fallenzulassen. Er musste sich auf die bevorstehende Arbeit konzentrieren und eventuell einen Brandstifter finden.

4

Fjällbacka 1912

Dagmar verstand noch immer nicht, wie es dazu gekommen war. Sie hatte alles verloren und war vollkommen allein. Überall tuschelten die Leute hinter ihrem Rücken. Sie hassten sie für das, was Mutter getan hatte.

Nachts hatte sie manchmal so große Sehnsucht nach Mutter und Vater, dass sie ins Kissen beißen musste, um nicht laut loszuheulen, denn sonst hätte die alte Hexe, bei der sie wohnte, sie grün und blau geschlagen. Immer konnte sie ihre Schreie jedoch nicht unterdrücken. Manchmal lastete der Nachtmahr derart schwer auf ihr, dass sie schweißgebadet aufwachte. In ihren Alpträumen sah sie die abgeschlagenen Köpfe ihrer Eltern vor sich, denn die waren am Ende hingerichtet worden. Dagmar war nicht dabei gewesen, die Bilder aber hatten sich in ihre Netzhaut gebrannt.

Manchmal verfolgten sie im Traum auch die Kinder. Acht Säuglinge habe die Polizei unter dem Kellerfußboden gefunden, hatte die alte Hexe gesagt. »Acht arme kleine Kinder«, sagte sie kopfschüttelnd, sobald jemand zu Besuch kam. Ihre Freundinnen warfen Dagmar feindselige Blicke zu. »Das Mädchen muss davon gewusst haben«, sagte sie. »Klein, wie sie war, wird sie doch begriffen haben, was da vor sich ging.«

Dagmar ließ sich nicht einschüchtern. Es war egal, ob es stimmte oder nicht. Mutter und Vater hatten sie geliebt, und diese schmutzigen kleinen Kinder, die so laut brüllten, wollte sowieso niemand haben. Deshalb waren sie ja bei ihrer Mutter gelandet. Die hatte sich jahrelang abgerackert, und zum Dank dafür, dass sie sich um die ungewollten Kinder kümmerte, war sie verhöhnt, erniedrigt und umgebracht worden. Vater erging es genauso. Weil er Mutter geholfen hatte, die Kinder zu begraben, fand man, er hätte ebenfalls den Tod verdient.

Nachdem die Polizei Mutter und Vater festgenommen hatte, war Dagmar zu der alten Hexe gebracht worden. Niemand aus dem Kreis der Verwandten und Freunde nahm sie bei sich auf. Mit dieser Familie wollte keiner mehr etwas zu tun haben. Die Engelmacherin aus Fjällbacka – so nannte man ihre Mutter seit dem Tag, an dem die kleinen Skelette entdeckt worden waren. Inzwischen wurden sogar Lieder über sie gesungen. Über die Kindsmörderin, die kleine Kinder in einer Wanne ertränkt, und ihren Mann, der sie im Keller begraben hatte. Dagmar kannte diese Lieder auswendig, denn die Bälger ihrer Pflegemutter sangen sie bei jeder Gelegenheit.

All das konnte sie ertragen. Sie war Mutters und Vaters Prinzessin gewesen. Sie wusste, dass man sie gewollt und geliebt hatte. Das Einzige, was sie vor Angst erzittern ließ, waren die Schritte ihres Pflegevaters nachts auf dem Flur. In diesen Momenten wünschte sie, sie wäre Vater und Mutter in den Tod gefolgt.

5

Nervös strich Josef über den Stein, den er in der Hand hielt. Dieses Treffen war wichtig, und Sebastian durfte es nicht kaputtmachen.

»So.« Sebastian zeigte auf die Zeichnungen, die er auf den Konferenztisch gelegt hatte. »Das ist unsere Vision. A project for peace in our time.«

Josef seufzte. Er war sich nicht sicher, ob englische Phrasen bei den Gemeinderatsmitgliedern Eindruck schinden würden.

»Mein Geschäftspartner möchte damit sagen, dass unser Vorhaben der Gemeinde Tanum eine großartige Möglichkeit bietet, etwas für den Frieden zu tun. Dieses Projekt wird dem Ansehen Ihrer Gemeinde nützen.«

»Tja, Frieden auf Erden ist eine feine Sache, aber aus ökonomischer Sicht ist die Idee auch nicht dumm. Auf lange Sicht kann sie den Tourismus ankurbeln, und auf diese Weise entstehen neue Arbeitsplätze für die Menschen hier. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären.« Sebastian hielt eine Hand hoch und rieb den Daumen gegen Zeige- und Mittelfinger. »Am Ende hat die Gemeinde mehr in der Kasse.«

»Aber vor allem handelt es sich um ein wichtiges Friedensprojekt.« Josef hätte Sebastian am liebsten gegen das Schienbein getreten. Schon als er Sebastians Geld annahm, hatte er gewusst, wie sich die Dinge entwickeln würden, aber er hatte keine andere Wahl gehabt.

Erling W. Larson nickte. Nach dem Skandal um das Wellnesshotel Badis war er eine Weile aus dem Verkehr gezogen worden, aber nun mischte er wieder in der lokalen Politik mit. Ein solches Projekt würde deutlich zeigen, dass mit ihm noch zu rechnen war. Josef hoffte, dass er das auch begriff.

»Wir finden die Idee interessant«, sagte Erling. »Könnten Sie uns nicht etwas genauer erläutern, wie Sie sich das Ganze vorstellen?«

Sebastian holte tief Luft, aber Josef kam ihm zuvor.

»Dies ist ein Stück Geschichte.« Er hielt den Stein in die Höhe. »Albert Speer hat für das Deutsche Reich in Bohusläner Steinbrüchen Granit gekauft. Gemeinsam mit Hitler hatte er grandiose Pläne entworfen, Berlin zur Welthauptstadt Germania umzuwandeln. Der Granit sollte per Schiff nach Deutschland verfrachtet werden und dort als Baumaterial dienen.«

Josef stand auf und wanderte beim Reden auf und ab. In seinem Kopf hallte das Stiefelknallen der marschierenden deutschen Soldaten wider. Von diesem grauenhaften Geräusch hatten ihm seine Eltern oft erzählt.

»Doch dann nahm der Krieg einen anderen Verlauf«, fuhr er fort. »Germania blieb ein Modell, um das sich Hitlers Phantasien rankten. Ein unerfüllter Wunschtraum, eine Vision von gigantischen Denkmälern und Bauten, die auf Kosten des Todes von Millionen Juden erbaut werden sollten.«

»Gott, wie furchtbar«, sagte Erling unbekümmert.

Josef sah ihn ratlos an. Erling hatte nichts verstanden, niemand tat das, aber er würde nicht zulassen, dass die Leute vergaßen.

»Große Teile des Granits wurden nie verschifft …«

»Und hier kommen wir ins Spiel«, unterbrach ihn Sebastian. »Wir haben uns gedacht, dass man aus dem Granit Friedenssymbole herstellen könnte, die anschließend verkauft werden. Wenn man es richtig anfängt, kann man mit so etwas eine Stange Geld verdienen.«

»Mit dem Erlös würden wir ein Museum errichten, das sich der jüdischen Geschichte und dem schwedischen Verhältnis zum Judentum widmet. Zum Beispiel unserer angeblichen Neutralität während des Zweiten Weltkriegs«, fügte Josef hinzu.

Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, legte ihm Sebastian den Arm um die Schultern und drückte ihn. Josef musste sich beherrschen, um Sebastian nicht wegzustoßen. Stattdessen lächelte er gezwungen. Er kam sich genauso fehl am Platz vor wie früher auf Valö. Mit Sebastian und seinen anderen vermeintlichen Freunden hatte er noch immer genauso wenig gemein wie damals. Egal, wie sehr er sich anstrengte, er würde niemals Zutritt zu den besseren Kreisen bekommen, aus denen John, Leon und Percy stammten, und das wollte er auch gar nicht.

Doch nun brauchte er Sebastian, denn er hatte keine andere Chance, den Traum zu verwirklichen, den er schon so lang mit sich herumtrug: Er wollte sein jüdisches Erbe ehren und dar­über aufklären, welches Unrecht dem jüdischen Volk widerfahren war und noch immer widerfuhr. Auch wenn er dafür einen Pakt mit dem Teufel eingehen musste. Früher oder später würde er ihn hoffentlich wieder loswerden.

»Mein Kompagnon hat es sehr schön formuliert«, sagte Sebastian. »Es wird hier ein richtig tolles Museum entstehen, das Besucher aus der ganzen Welt anlockt. Dieses Museum wird Ihnen viel Anerkennung verschaffen.«

»Das klingt nicht schlecht«, sagte Erling. »Was meinst du?« Er wandte sich an Uno Brorsson, der trotz der Wärme ein kariertes Flanellhemd trug.

»Vielleicht sollte man es sich mal genauer ansehen«, brummte Uno. »Es hängt davon ab, wie viel die Gemeinde beisteuern müsste. Es sind harte Zeiten.«

Sebastian grinste breit. »Wir werden uns bestimmt einig. Hauptsache, das Interesse und der gute Wille sind vorhanden. Schließlich investiere ich selbst eine stattliche Summe.«

Stimmt, aber du hast ihnen nicht erzählt, zu welchen Bedingungen, dachte Josef und biss die Zähne zusammen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu nehmen, was er kriegen konnte, ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Er beugte sich vor und schüttelte Erling die Hand. Nun gab es kein Zurück mehr.

Eine kleine Narbe an der Stirn, die Narben am Körper und ein leicht hinkender Gang waren die einzigen sichtbaren Spuren, die das Unglück von vor anderthalb Jahren hinterlassen hatte. Dieser Unfall, bei dem sie das Kind verlor, das sie gemeinsam mit Dan erwartete, und beinahe selbst ums Leben gekommen wäre.

In ihr sah es anders aus. Die Wunden an Annas Seele waren noch längst nicht verheilt.

Vor der Haustür zögerte sie einen Augenblick. Manchmal war es deprimierend, Erica zu treffen und zu sehen, wie gut alles bei ihr lief. Ihre Schwester hatte keine Narben davongetragen und nichts verloren. Andererseits tat es Anna gut, mit ihr zusammen zu sein. Annas Wunden schmerzten und juckten, aber die Begegnungen mit Erica förderten in gewisser Weise den Heilungsprozess.

Anna hätte sich nie im Leben vorstellen können, dass dieser Heilungsprozess so viel Zeit in Anspruch nahm, und das war vermutlich ein Glück. Hätte sie geahnt, wie lange es dauerte, wäre sie vielleicht nie aus dem apathischen Zustand herausgekommen, in dem sie versunken war, nachdem sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte. Neulich hatte sie im Scherz zu Erica gesagt, sie fühle sich wie eine dieser alten Vasen in dem Auktionshaus, wo sie früher gearbeitet hatte. Eine Vase, die auf den Boden gefallen, in tausend Teile zersprungen und dann mühevoll wieder zusammengeklebt worden war. Aus einiger Entfernung wirkte sie zwar intakt, aber wenn man näher kam, wurden die Risse quälend sichtbar. Eigentlich war es gar kein Witz gewesen, wurde Anna bewusst, als sie bei Erica klingelte. Genau so war es. Sie war eine zerbrochene Vase.

»Komm rein!«, rief Erica von irgendwoher.

Im Flur streifte Anna die Schuhe ab.

»Ich komme gleich, muss nur noch schnell die Zwillinge umziehen.«

Anna ging in die Küche, wo sie sich wie zu Hause fühlte. Da sie und Erica in diesem Haus aufgewachsen waren, kannte sie jeden Winkel. Vor vielen Jahren hatte das zu einem Streit geführt, der ihr gutes Verhältnis ernsthaft gefährdete, aber das war in einer anderen Zeit oder sogar in einer anderen Welt gewesen. Mittlerweile konnten sie darüber lachen und sprachen von der »ZML« und der »ZNL«, was »Zeit mit Lucas« und »Zeit nach Lucas« bedeutete. Anna erschauerte. Sie hatte sich hoch und heilig geschworen, so wenig wie möglich an ihren Exmann Lucas zu denken und an das, was er ihr angetan hatte. Er war nicht mehr da. Geblieben war nur das einzig Gute, was sie jemals von ihm bekommen hatte: Emma und Adrian.

»Kaffee und Kuchen?«, fragte Erica, als sie, je einen Zwilling auf einer Hüfte, in die Küche kam. Die Jungen strahlten, als sie ihre Tante erblickten, und wurden von Erica auf den Fußboden gesetzt. Sie rannten sofort auf Anna zu, klammerten sich an ihr fest und wollten auf den Schoß genommen werden.

»Ganz ruhig, es ist genug Platz für euch beide da.« Anna hob einen nach dem anderen hoch. Dann sah sie Erica an. »Kommt darauf an, was du dahast.« Sie reckte den Hals.

»Was hältst du von Omas Rhabarberkuchen mit Mandelfüllung?« Erica hielt eine durchsichtige Plastiktüte in die Höhe.

»Machst du Witze? Da kann man ja gar nicht nein sagen.«

Erica schnitt ein paar große Stücke ab und stellte den Ku­chenteller auf den Tisch. Noel wollte sich sofort darauf stürzen, doch Anna hielt ihn in letzter Sekunde zurück. Sie brach Noel und Anton je ein kleines Stückchen ab. Noel stopfte sich genüsslich alles auf einmal in den Mund, während Anton vorsichtig an seinem Kuchen knabberte und dabei selig in sich hin­einlächelte.

»Sie sehen sich unglaublich ähnlich.« Anna verstrubbelte den beiden das Haar.

»Findest du?« Erica schüttelte ironisch den Kopf.

Sie hatte Kaffee eingeschenkt und stellte Annas Tasse rou­tiniert außerhalb der Reichweite ihrer Söhne auf den Tisch.

»Geht es, oder soll ich dir einen abnehmen?« Skeptisch betrachtete sie Anna, die sich mit einer gewissen Anstrengung bemühte, gleichzeitig mit Kindern, Kaffee und Kuchen zu hantieren.

»Schon okay, es ist so gemütlich in ihrer Nähe.« Anna schnüffelte an Noels Köpfchen. »Wo ist eigentlich Maja?«

»Sie sitzt wie angeschweißt vor der Glotze. Ihre neue große Liebe ist Mojje. Im Moment läuft ›Mimmi und Mojje in der Karibik‹, und ich glaube, wenn ich das Lied ›An einem son­nigen Strand in der Karibik‹ noch einmal höre, muss ich kotzen.«

»Adrian ist zurzeit total besessen von Pokémon, und das macht mich auch ganz verrückt.« Vorsichtig trank Anna einen Schluck Kaffee. Sie hatte panische Angst, die beiden herumhampelnden Anderthalbjährigen zu verbrühen. »Und Patrik?«

»Der arbeitet. Möglicherweise Brandstiftung auf Valö.«

»Valö? Welches Haus?«

Nach einer kleinen Kunstpause sagte Erica mit kaum verhohlener Erregung in der Stimme: »Das Ferienheim.«

»Wie unheimlich. Dieses Gebäude hat mir schon immer kalte Schauer über den Rücken gejagt. Unvorstellbar, dass diese Leute einfach verschwunden sind.«

»Ich weiß. Ich habe ja damals ein bisschen recherchiert, weil ich dachte, ich könnte ein Buch daraus machen, wenn ich auf etwas Interessantes stoßen würde, aber seltsamerweise gab es überhaupt keine Anhaltspunkte. Bis jetzt wenigstens.«

»Wie meinst du das?« Anna nahm noch einen großen Bissen von dem Rhabarberkuchen. Sie hatte das Rezept von ihrer Großmutter auch bekommen, aber sie backte ungefähr so häufig, wie sie Bettwäsche mangelte, und das bedeutete: nie.

»Sie ist zurückgekehrt.«

»Wer?«

»Ebba Elvander. Allerdings heißt sie jetzt Stark.«

»Das kleine Mädchen?« Anna starrte Erica an.

»Genau. Sie und ihr Mann sind nach Valö gezogen und wollen anscheinend das Haus renovieren. Und nun hat jemand versucht, es niederzubrennen. Da wird man schon etwas nachdenklich.« Erica gab sich keine Mühe mehr, ihren Enthusiasmus zu verbergen.

»Sollte das kein Zufall gewesen sein?«

»Doch, natürlich, aber es ist trotzdem ziemlich merkwürdig. Ebba ist wieder da, und plötzlich passieren seltsame Dinge.«

»Bis jetzt ist eine Sache passiert«, wandte Anna ein. Sie wusste, wie schnell sich Erica die verschiedensten Theorien ausdachte. Dass ihre Schwester eine ganze Reihe von sorgfältig recherchierten und durchdachten Büchern geschrieben hatte, war ein Wunder, an das Anna nie recht glauben konnte.

»Ja, ja, eine Sache.« Erica winkte ab. »Ich kann es kaum erwarten, dass Patrik nach Hause kommt. Am liebsten hätte ich ihn begleitet, aber ich hatte niemanden, der auf die Kinder aufpasst.«

»Meinst du nicht, es wäre etwas unpassend gewesen, ihn zu begleiten?«

Anton und Noel hatten keine Lust mehr, auf Annas Schoß zu sitzen. Sie ließen sich auf den Fußboden rutschen und wetzten ins Wohnzimmer.

»Ach, egal, ich werde mich in den nächsten Tagen sowieso mit Ebba unterhalten.« Erica schenkte Kaffee nach.

»Ich frage mich wirklich, was der Familie zugestoßen ist.«

»Mamaaa! Hol sie sofort hier raus!«, schrie Maja gellend, und Erica erhob sich mit einem Seufzer.

»Ich wusste doch, dass ich schon viel zu lang in Ruhe Kaffee getrunken habe. So geht das den ganzen Tag. Maja ist total genervt von ihren Brüdern. Keine Ahnung, wie oft ich heute schon die Notbremse ziehen musste.«

»Hm.« Anna blickte Erica wehmütig hinterher. Sie wünschte, sie hätte nicht so viel Zeit, um in Ruhe Kaffee zu trinken.

Fjällbacka zeigte sich von seiner schönsten Seite. Vom Anlegesteg vor den Boothäusern, wo John mit seiner Frau und seinen Schwiegereltern saß, konnte er die gesamte Hafeneinfahrt überblicken. Das herrliche Wetter hatte besonders viele Segler und Touristen angelockt, und die Yachten lagen dicht gedrängt an den Schwimmstegen. Aus den Kajüten waren Musik und fröhliches Gelächter zu hören. Blinzelnd betrachtete John das lebendige Treiben.

»Schade, dass es in Schweden heutzutage so wenig Spielraum gibt.« John hob sein Glas und trank einen Schluck von dem eiskalten Rosé. »Dauernd wird von Demokratie und Meinungsfreiheit geredet, aber wir dürfen unsere Ansichten nicht zum Ausdruck bringen, wir haben kein Recht, uns Gehör zu verschaffen. Wir dürften eigentlich gar nicht da sein. Leider vergessen dabei alle, dass das Volk uns gewählt hat. Genügend schwedische Bürger haben gezeigt, wie unzufrieden sie mit den Verhältnissen hier sind. Sie wollen eine Veränderung, und diese Veränderung haben wir ihnen versprochen.«

Er stellte sein Glas ab und wandte sich wieder den Shrimps zu. Auf dem Teller lag bereits ein großer Schalenhaufen.

»Ja, es ist fürchterlich«, sagte sein Schwiegervater und nahm sich eine Handvoll Shrimps. »Wenn wir schon eine Demokratie haben, dann muss man auch auf das Volk hören.«

»Außerdem weiß doch jeder, dass viele Einwanderer nur wegen der Transferleistungen kommen«, warf seine Schwiegermutter ein. »Kämen nur die Ausländer zu uns, die wirklich arbeiten und etwas leisten wollen, ginge es ja noch, aber ich habe keine Lust, mit meinem Steuergeld diese Schmarotzer durchzufüttern.« Sie lallte bereits ein wenig.

John seufzte. Idioten. Sie hatten keine Ahnung, wovon sie redeten. Genau wie die meisten Schafe in der Wählerherde vereinfachten sie das Problem. Sie hatten nicht das große Ganze im Blick. Seine Schwiegereltern waren typische Vertreter der Ahnungslosigkeit, die er aus tiefstem Herzen verabscheute, und nun saß er hier eine ganze Woche mit ihnen fest.

Liv strich ihm beruhigend über den Kopf. Sie wusste, was er von ihnen hielt, und gab ihm im Allgemeinen recht. Trotzdem waren Barbro und Kent ihre Eltern, und dagegen ließ sich nichts machen.

»Am schlimmsten finde ich, wie heute alles vermischt wird«, sagte Barbro. »In unserem Viertel ist gerade eine Familie eingezogen, bei der die Mutter Schwedin und der Vater Araber ist. So wie die ihre Ehefrauen behandeln, kann man sich ja ausmalen, wie schlecht es der armen Frau gehen muss, und die bedauernswerten Kinder werden bestimmt in der Schule gehänselt. Irgendwann werden sie kriminell, und dann bereut die Frau, dass sie sich keinen Schweden gesucht hat.«

»Recht hast du.« Kent versuchte, von seinem riesigen Krabbenbrot abzubeißen.

»Kann John nicht mal bei der Politik eine Pause machen?«, fragte Liv mit leisem Vorwurf. »Wenn er sich schon in Stockholm den ganzen Tag mit Einwanderungsproblemen herumschlagen muss, könnte er doch wenigstens hier ein bisschen abschalten.«

John warf ihr einen dankbaren Blick zu. Er bewunderte seine Frau. Sie war so perfekt. Hellblondes seidiges Haar, das sie sich leicht aus dem Gesicht gestrichen hatte. Klare Gesichtszüge und strahlend blaue Augen.

»Verzeih mir, mein Herz, wie gedankenlos von uns. Wir sind nur so stolz auf Johns Erfolge und die Position, die er sich erarbeitet hat. Aber nun wollen wir über etwas anderes reden. Wie läuft denn zum Beispiel dein eigener kleiner Betrieb?«

Lebhaft berichtete Liv von den Sorgen, die der Zoll ihr be­reitete, weil er ihre Geschäfte verkomplizierte. Dauernd verzögerten sich die Lieferungen der Einrichtungsgegenstände, die sie aus Frankreich importierte und in einem Onlineshop vertrieb. John wusste jedoch, dass ihr Interesse am Verkauf der Wohnaccessoires im Grunde erloschen war. Sie widmete sich immer stärker der Partei. Im Vergleich dazu wirkte alles andere unwichtig.

Die Möwen wagten sich immer näher heran. Er stand auf.

»Ich schlage vor, wir räumen ab. Die Vögel werden langsam lästig.« Er nahm seinen Teller, ging bis an die Spitze des Stegs und warf alle Schalen ins Meer. Die Möwen stürzten sich hinterher, um möglichst viele zu ergattern. Um den Rest würden sich die Krebse kümmern.

Er blieb eine Weile dort stehen, holte tief Luft und sah zum Horizont. Wie üblich blieb sein Blick an der Insel Valö hängen, und wie immer packte ihn die Wut. Zum Glück riss ihn ein Surren in der rechten Hosentasche aus seinen Gedanken. Hastig zog er das Handy heraus und warf einen Blick auf das Display, bevor er das Gespräch annahm. Der Ministerpräsident war am Apparat.

»Was hältst du von diesen Glückwunschkarten?« Patrik hielt Martin die Tür auf, die so schwer war, dass er sich mit der Schulter dagegenlehnen musste. Die Polizei von Tanum war in den Sechzigern erbaut worden, und als Patrik das bunkerartige Gebäude zum ersten Mal betreten hatte, schlug ihm die Tristesse mit voller Wucht entgegen. Mittlerweile hatte er sich dar­an gewöhnt, wie ungemütlich die schmutzig gelbe, beigefar­bene Einrichtung war.

»Klingt merkwürdig. Wer schickt jedes Jahr eine anonyme Geburtstagskarte?«

»Nicht völlig anonym, es stand G darauf.«

»Das erleichtert die Sache natürlich ungemein.« Martin und Patrik lachten.

»Worüber amüsiert ihr euch denn?«, fragte Annika in der verglasten Empfangsloge, als sie hereinkamen.

»Ach, nichts«, sagte Martin.

Annika drehte sich auf ihrem Schreibtischstuhl um und stand kurz darauf in der Tür des kleinen Raums. »Wie ist es da draußen gelaufen?«

»Wir müssen noch ein wenig abwarten, zu welchem Ergebnis Torbjörn kommt, aber es sieht tatsächlich so aus, als hätte jemand das Haus absichtlich in Brand gesteckt.«

»Ich mache uns einen Kaffee, und dann reden wir.« Annika stand auf.

»Hast du Mellberg schon davon berichtet?«, fragte Martin in der Küche.

»Nein, ich dachte mir, dass wir Bertil vorerst noch nicht zu informieren brauchen. Er hat schließlich dieses Wochenende frei, und da wollen wir unseren Chef lieber nicht stören.«

»Stimmt.« Patrik setzte sich ans Fenster.

»Ihr trinkt hier gemütlich zusammen Kaffee, ohne mir Bescheid zu sagen?« Plötzlich stand Gösta mit beleidigter Miene in der Tür.

»Was machst du denn hier? Du hast doch frei. Warum bist du nicht auf dem Golfplatz?« Patrik schob Gösta einen Stuhl hin.

»Zu heiß. Da schreibe ich lieber ein paar Berichte und nehme mir dann Zeit zum Golfspielen, wenn man keine Spiegeleier auf dem Asphalt braten kann. Zu was für einem Einsatz seid ihr gefahren? Annika hat was von Brandstiftung gesagt.«

»Es sieht fast danach aus. Anscheinend hat jemand Benzin oder etwas Ähnliches unter der Tür durchlaufen lassen und das Ganze angezündet.«

»Ach, du Schreck.« Gösta nahm sich einen Ballerinakeks und trennte mit größter Sorgfalt die beiden Hälften voneinander. »Wo denn?«

»Auf Valö. Im Ferienheim.«

Gösta erstarrte. »Im Ferienheim?«

»Etwas merkwürdig ist es schon. Ich weiß nicht, ob du es gehört hast, aber die jüngste Tochter, die allein zurückgelassen wurde, als die Familie verschwand, ist wiedergekommen und hat das Haus übernommen.«

»Das hat sich schon zu mir herumgesprochen.« Gösta starrte auf die Tischplatte.

Patrik betrachtete ihn neugierig. »Ach ja, genau, du musst doch damals bei dem Fall mitgearbeitet haben.«

»Richtig. So alt bin ich schon«, stellte Gösta fest. »Man fragt sich, wieso sie zurückgekehrt ist.«

»Sie hat erwähnt, dass sie und ihr Mann einen Sohn verloren haben«, sagte Martin.

»Ebba hat ein Kind verloren? Wann? Und wie?«

»Mehr haben sie nicht gesagt.« Martin stand auf und holte die Milch aus dem Kühlschrank.

Patrik runzelte die Stirn. Es sah Gösta gar nicht ähnlich, so viel Engagement zu zeigen, aber er hatte das schon öfter erlebt. Jeder ältere Polizist hatte einen Fall mit einem großen Frage­zeichen im Gepäck. Einen Fall, über den man sich jahrein und jahraus immer wieder den Kopf zerbrach, um ihn nach Möglichkeit aufzuklären, bevor es zu spät war.

»Dieser Fall war etwas ganz Besonderes für dich, habe ich recht?«

»Kann man wohl sagen. Ich würde einiges dafür geben, um zu erfahren, was an jenem Ostersonnabend passiert ist.«

»Da bist du wahrscheinlich nicht der Einzige«, bemerkte Annika.

»Nun ist Ebba wieder da.« Gösta strich sich übers Kinn. »Und irgendjemand hat versucht, das Haus abzubrennen.«

»Nicht nur das Haus«, sagte Patrik. »Denn demjenigen, der das Feuer gelegt hat, muss ja klar gewesen sein, dass sie und ihr Mann da drin schliefen. Zum Glück ist Mårten gerade noch rechtzeitig aufgewacht, um den Brand zu löschen.«

»Es ist zweifellos ein seltsames Zusammentreffen.« Martin zuckte erschrocken zusammen, als Gösta mit der Faust auf den Tisch schlug.

»Es ist natürlich kein Zufall!«

Seine Kollegen sahen ihn fragend an, und dann war es wieder eine Weile still in der Küche.

»Vielleicht sollten wir uns den alten Fall noch einmal ansehen«, sagte Patrik schließlich. »Nur zur Sicherheit.«

»Ich kann die Unterlagen raussuchen, die es noch gibt«, sagte Gösta. Sein hageres Gesicht, das an einen Windhund erinnerte, belebte sich. »Ich habe mir das Material ja hin und wieder angesehen und weiß, wo alles zu finden ist.«

»Tu das, und dann gehen wir alles gemeinsam durch. Vielleicht entdecken wir etwas Neues, wenn wir unvoreingenommen an die Sache herangehen. Und du könntest vielleicht alles zusammensuchen, was in den Datenbanken über Ebba zu finden ist, Annika?«

»Mach ich.« Sie deckte den Tisch ab.

»Wir sollten uns auch mal die Finanzen des Ehepaares ansehen und überprüfen, ob das Haus auf Valö versichert ist«, schlug Martin mit einem ängstlichen Blick in Göstas Richtung vor.

»Meinst du, die waren das selbst? So was Dummes habe ich noch nie gehört. Sie waren doch im Haus, als das Feuer ausbrach, und Ebbas Mann hat es eigenhändig gelöscht.«

»Es lohnt sich trotzdem, der Frage nachzugehen. Wer weiß, vielleicht hat er das Haus angesteckt und es dann bereut. Ich kümmere mich darum.«

Gösta wollte etwas sagen, machte den Mund aber wieder zu und verließ die Küche.

Patrik stand auf. »Ich glaube, Erica hat ebenfalls einige Informationen gesammelt.«

»Erica? Warum denn das?« Martin stutzte.

»Sie hat sich lange mit dem Fall beschäftigt. Schließlich wurde in ganz Fjällbacka darüber gesprochen, und bei Ericas Beruf ist es kein Wunder, dass sie sich ganz besonders dafür interessiert hat.«

»Dann frag sie. Alles könnte wichtig sein.«

Patrik nickte, war aber insgeheim ein wenig skeptisch. Er ahnte, was passieren würde, wenn er Erica in die Ermittlungen mit einbezog.

»Natürlich rede ich mit ihr.« Er hoffte, dass er es nicht bereuen würde.

Mit zittriger Hand schenkte Percy seinen edelsten Cognac in zwei Gläser und reichte eins seiner Frau.

»Ich verstehe einfach nicht, was die sich dabei denken.« Pyttan trank hastig.

»Großvater würde sich im Grab umdrehen, wenn er das wüsste.«

»Irgendwie musst du das Problem lösen, Percy.« Sie hielt ihm ihr Glas hin, und er schenkte es, ohne zu zögern, noch einmal voll. Es war zwar erst früher Nachmittag, aber irgendwo auf der Welt war es schon nach fünf. Heute brauchten sie eine Stärkung.

»Ich? Was soll ich denn da machen?« Seine Stimme überschlug sich. Er zitterte so heftig, dass er die Hälfte des Cognacs neben Pyttans Glas goss.

Sie zog ihre Hand weg. »Pass doch auf, du Idiot!«

»Verzeihung.« Percy sank auf einen der zerschlissenen Ohrensessel in der Bibliothek. Ein lautes Ratschen – der Bezug des Sitzpolsters war gerissen. »Scheiße.«