Die Englisch-Niederländischen Seekriege - Robert Rebitsch - E-Book

Die Englisch-Niederländischen Seekriege E-Book

Robert Rebitsch

4,8

Beschreibung

Die Englisch-Niederländischen Seekriege waren Konfrontationen zwischen der aufstrebenden Seemacht England und der etablierten Seemacht der Niederlande. Die großen Schlachten ereigneten sich im Ärmelkanal und in der Nordsee, die Nebenschauplätze des Krieges sind im Mittelmeer, an der Westküste Afrikas, in der Karibik und in Südostasien zu finden. Diese Seekriege wurden in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft bisher kaum behandelt. Es gibt keine moderne deutschsprachige Monographie zu dieser Thematik und sie finden in Handbüchern zur europäischen Geschichte des 17. Jahrhunderts kaum Erwähnung. Es ist das Ziel des vorliegenden Werkes die Kontrahenten der Kriege vorzustellen, die politischen, ökonomischen sowie konfessionell-ideologischen Rahmenbedingungen darzulegen, die einzelnen Ursachen und Motive für die Kriege aufzuzeigen, militärische Kapazitäten sowie Strategie und Taktik der Seekriegsführung zu erläutern, den Verlauf der Kriege zu beschreiben und ebenso auf die Auswirkungen und Konsequenzen der bewaffneten Konflikte einzugehen.

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch:

die Philosophisch-Historische Fakultät der Universität Innsbruck

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung:

Jan Abrahamsz Beerstraten, Seeschlacht bei Scheveningen, 1653. © Rijksmuseum Amsterdam

Vorsatzkarte:

Sandra Hülsmann, Hürth

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar

Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Korrektorat: Dr. Volker Manz, Kenzingen

Einbandgestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth GmbH, Erftstadt

Satz: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld

Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier

Printed in the Czech Republic

Print-ISBN 978-3-205-79470-7

Datenkonvertierung: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld

ISBN für dieses eBook 978-3-205-79272-7

Inhalt

Cover

Vorsatzkarte: Die Gefechte und Schlachten der Englisch-Niederländischen Seekriege im Ärmelkanal und in der Nordsee

Titel

Impressum

1.Einleitung 9

2.Europäische und globale Lage 19

2.1.Die Expansion der europäischen Länder 19

2.2.Die europäischen Konfliktlinien 22

3.Die beiden Konkurrenten im Weltsystem 43

3.1.Niederlande 43

3.1.1.Das politische System 43

3.1.2.Die konfessionelle Lage in den Niederlanden 51

3.1.3.Ökonomische Rahmenbedingungen und Innovation 54

3.1.4.Das Goldene Jahrhundert – Kultur und Gelehrsamkeit 61

3.2.England 63

3.2.1.Das politische System 63

3.2.2.Die konfessionelle Lage in England 71

3.2.3.Ökonomische Rahmenbedingungen 75

3.2.4.Militär in England 80

4.Globalisierung im 17. Jahrhundert 83

4.1.Weltumspannender Handel und Konkurrenz 84

5.Die Ursachen des Krieges 97

5.1.Ökonomistische Erklärungsansätze: Profit and Power 97

5.2.Die Navigationsakte von 1651 und weitere handelspolitische Gesetze 110

5.3.Politische Ursachen der Kriege 117

5.4.Konfessionelle und ideologische Gründe 144

5.5.Die Kriegsgründe 151

6.Militärische Rahmenbedingungen 157

6.1.Kapazitäten 157

6.2.Strategie und Taktik 178

7.Die Kriege 195

7.1.Der erste Englisch-Niederländische Seekrieg 195

7.2.Der zweite Englisch-Niederländische Seekrieg 212

7.3.Der dritte Englisch-Niederländische Seekrieg 249

7.4.Nebenschauplätze 268

7.5.Landkrieg 277

8.Friedensschlüsse 291

8.1.Der Friede von Westminster 1654 291

8.2.Der Friede von Breda 1667 296

8.3.Der Friede von Westminister 1674 300

9.Erinnerungskultur und Darstellung 309

10.Exkurs: Der vierte Englisch-­Niederländische Seekrieg 319

11.Epilog 327

12.Anhang 339

12.1.Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen 339

12.2.Bibliographie 340

12.2.1.Gedruckte Quellen 340

12.2.2.Literatur 342

12.2.3.Internetseiten 367

12.3.Abbildungsverzeichnis 367

13.Personenregister 369

Backcover

1. Einleitung

Karthago gegen Rom im 17. Jahrhundert. Der englische Minister Anthony Ashley Cooper, 1. Earl of Shaftesbury, Mentor und Freund des Philosophen John Locke, stellte diese Assoziationen während des dritten Englisch-Niederländischen Krieges in seinen Reden vor dem Parlament gerne her: Delenda est Carthago!1 Die immer wieder vorgebrachte Ermahnung des römischen Senators Marcus Porcius Cato, genannt Censorius, im Vorfeld des dritten Punischen Krieges, den Erzfeind Karthago endlich zu zerstören, besaß im England der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hohe Aktualität. Der Vergleich mit Karthago oder Rom war den Engländern nicht fremd, wobei man sich auf der Insel sowohl mit der aufstrebenden Republik Rom als auch mit dem Handelsvolk der Karthager identifizieren konnte oder eben mit einer der beiden Mächten absolut nicht identifizieren wollte.2 Der Rückgriff auf den antiken Konflikt besaß einigen Charme im imperialistischen Kontext jener Zeit. Der für den Monarchen sprechende Shaftesbury war jedoch 1673 mit seiner Ermahnung nicht erfolgreich, denn die „karthagischen“ Niederländer verloren in diesem Jahr ihr Image als Hauptgegner, die Parlamentarier der beiden Hohen Häuser sahen eher besorgt auf den Verbündeten Frankreich. Ludwig XIV. war der kommende „Universalmonarch“, der den englischen Parlamentariern politisch völlig fremd war und dem es Einhalt zu gebieten galt. Doch vor der Trendumkehr in England waren die Nachbarn jenseits des Kanals bewundert und [<<10] Seitenzahl der gedruckten Ausgabebeneidet zugleich, die erste Handels- und Seemacht wurde als nachahmenswertes Vorbild und scharfer Konkurrent gesehen. Die religiös toleranten Niederländer eigneten sich jedoch nicht nur als Rivalen im Welthandel, sondern auch als politischer und ideologischer, ja sogar als konfessioneller Gegner. Es gab daher ökonomische, politische sowie konfessionell-ideologische Gründe für die Gegnerschaft der Engländer gegen die Niederländer. Die Folge dieser zum Teil sehr tief greifenden Rivalität waren drei Seekriege innerhalb eines Vierteljahrhunderts. Hauptschauplatz der Kriege waren der Ärmelkanal und die Nordsee zwischen England und den Niederlanden, Nebenschauplätze die Küsten Norwegens, der Øresund, das Mittelmeer, Westafrika, Süd- und Nordamerika, die Karibik und Asien zwischen Indien und Indonesien. Die Englisch-Niederländischen Seekriege des 17. Jahrhunderts, in Englisch die Anglo-Dutch Wars und auf Niederländisch die Engels-Nederlandse Zeeoorlogen genannt, wurden somit weltweit zwischen der führenden und der aufstrebenden Handelsnation ausgetragen. Und natürlich spielten auch andere Mächte Europas, wie Frankreich, Spanien, Dänemark, Schweden und das Reich, eine Rolle in diesen sogenannten Seekriegen. Die quantitative wie auch die qualitative Intensität der Seeschlachten in den Englisch-Niederländischen Seekriegen war bis dahin noch nicht gesehen worden. Nur Einzelbeispiele wie die Schlacht von Lepanto von 1571, in der in etwa 280 Kriegsschiffe der Osmanen auf nicht ganz so viele Einheiten der Heiligen Liga stießen,3 und die Schlacht der Spanischen Armada von 1588, in der 130 spanische Schiffe gegen vermutlich noch mehr englische Schiffe (allerdings darunter viele kleine Einheiten) kämpften, erreichten diese gewaltigen Dimensionen zur See.

Es mag daher erstaunen, dass die Englisch-Niederländischen Seekriege keine allzu große Beachtung gefunden haben, weder in der englischsprachigen noch in der niederländischen und schon gar nicht in [<<11]der deutschen Geschichtswissenschaft. Der ereignishistorische Ablauf der Geschichte wurde in Darstellungen zur englischen Navy oder in biografischen Abhandlungen zu den Hauptakteuren des Krieges mehr oder weniger detailliert beschrieben.4 Auf die Ereignisgeschichte gingen partiell auch die quellennahen Kommentare in den zahlreichen edierten Korrespondenzen, Berichten und Protokollen ein.5 Die erste tief greifende moderne Analyse, die mehr auf die Ursachenbetrachtung und weniger auf die Ereignisgeschichte einging, publizierte der Experte für englisch-niederländische Beziehungen der Frühen Neuzeit, Charles Wilson. Er interpretierte die beiden ersten Seekriege als Handelskriege, als Wirtschaftskriege, die aus einem sehr spezifischen englisch-merkantilistischen Wirtschaftscredo resultierten.6 Die nachfolgende Forschung hat Wilson vorgeworfen, den merkantilistischen Ansatz, also die ökonomischen Gründe der beiden ersten Kriege bei Ausblendung des dritten Krieges überstrapaziert zu haben.7 Doch hat der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker sehr wohl die politischen Motive der handelnden Akteure gesehen und analysiert und bei Weitem nicht nur die ökonomistischen Intentionen der Staatslenker, Politiker und Unternehmer in England dargelegt. Aus militärhistorischer Perspektive ist die Abhandlung Wilsons wenig ergiebig. Der ökonomische Erklärungsansatz wurde ebenfalls stark in den einzelnen, äußerst wertvollen und quellennahen, vielfach komparativ angelegten Studien von Jonathan I. Israel, wohl der beste englischsprachige Kenner der niederländischen Geschichte, her-[<<12]vorgehoben.8 Israel, nebenbei auch ein führender Experte der europäischen Aufklärung, hat ein Modell des wirtschaftlichen Aufstiegs und Falls der Niederlande entwickelt, in dem die bewaffneten Konflikte gegen den aufstrebenden Rivalen England eine wichtige Rolle spielen. Der Wirtschaftshistoriker David Ormrod hat in einer jüngeren Abhandlung zum Aufstieg bzw. Fall der kommerziellen Mächte, die jedoch weit über die Epoche der drei Seekriege hinausgeht, ebenfalls explizit das wirtschaftliche Konkurrenzverhältnis und damit das merkantilistische Erklärungsmuster im Sinne einer systematischen staatlichen Wirtschaftslenkung und Wirtschaftsförderung thematisiert.9

1974 veröffentlichte der ehemalige Offizier und Spezialist für niederländische sowie portugiesische Kolonialgeschichte, Charles R. ­Boxer, ein für breitere Kreise geschriebenes Buch zu den drei Seekriegen im 17. Jahrhundert.10 Das im Auftrag des National Maritime Museum Greenwich verfasste Bändchen bietet verlässliche Informationen zum Ablauf der Kriege und eine ausgezeichnete Auswahl an Bildern, jedoch keine tief greifenden Ursachenanalysen zu den drei Konflikten. Im Jahr 1996 wurden gleich zwei Studien zu den Englisch-Niederländischen Seekriegen, die mit dem Anspruch einer neuen Ursachenanalyse auftraten, publiziert. James Rees Jones, Experte für die politische Geschichte Großbritanniens des 17. Jahrhunderts, stellte klar das Primat der Politik bei seiner Betrachtung der Motive in den Vordergrund, ohne dabei jedoch die wirtschaftlichen Intentionen der herrschenden Elite zu vergessen. Jones, der den merkantilistischen Ansatz von Wilson stark hinterfragt hat, bietet mehr als nur politische Ursachenanalyse, er geht auf meteorologische, geografische, topografische sowie infrastrukturelle und technische Rahmenbedingungen ein, beschreibt das Handelswesen, [<<13]das Personal und die Administration der beiden Mächte, befasst sich ausführlich mit der Innen- und Außenpolitik der Rivalen, untersucht die Motive und Intentionen der Verantwortlichen in den Generalstaaten und in England und legt ebenso einen ausführlichen Überblick über die militärgeschichtlichen Ereignisse vor.11 Der englische Historiker hat damit die umfassendste und gehaltvollste Analyse über die drei Seekriege dargelegt. Der US-Historiker Steven Pincus, nun ein ausgewiesener Experte für die britische und europäische Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, hat in der aus seiner Dissertation hervorgegangenen Studie die radikalste Interpretation der beiden ersten Seekriege unternommen.12 Pincus stellt alle merkantilistischen und ökonomischen Erklärungsansätze in Abrede und bringt in dieser Dimension und in dieser Exklusivität erstmals eine Vielzahl an konfessionell-ideologischen Gründen ein. Auf sein viel diskutiertes Erklärungsmodell wird noch ausführlich zurückzukommen sein. Zwei Jahre später legten die Australier Roger Hainsworth und Christine Churches eine solide, vornehmlich ereignishistorisch angelegte Darstellung zu den drei Kriegen vor, die dem ersten Krieg genau so viel Platz widmet wie den beiden weiteren Kriegen.13 Der Marinehistoriker Nicholas Andrew Martin Rodger hat die drei Kriege in einer ausgezeichneten Synthese, die vor allem auf die Operationen, auf die Administration und die Sozialgeschichte der Kriegszeit eingeht, in seiner groß angelegten, mehrbändigen Geschichte zur britischen Navy eingebettet.14 Eine beachtenswerte Studie hat Frank L. Fox mit seiner Betrachtung zur Viertagesschlacht im zweiten Krieg publiziert, denn sie ist viel mehr als nur eine ausführliche Schlachtenbeschreibung dieses gigantischen Zusammentreffens der größten Flotten [<<14]der damaligen Zeit. Fox hat eine sehr umfangreiche und scharfsinnige militärhistorische Analyse des zweiten Krieges geschrieben.15

Eine umfassende, ganzheitliche Studie wie jene von James R. Jones fehlt von niederländischer Seite gänzlich. Der bekannte niederländische Historiker Petrus Johannes Blok, in Groningen und Leiden tätig, stellte im dritten Teil seiner großen „Geschichte des niederländischen Volkes“ (Geschiedenis van het Nederlandsche volk), die in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts bereits in dritter Auflage erschienen ist, die klassische Ereignisgeschichte der Kriege dar.16 Blok hat im Übrigen auch eine informative Biografie über den bekanntesten niederländischen Admiral Michiel Adriaenszoon de Ruyter geschrieben.17 Kenneth Harold Dobson Haley und Daniel J. Roorda haben in ihren Abschnitten der Algemene Geschiedenis der Nederlanden (Band 8) einen nur sehr allgemeinen Überblick über Ursachen und Verlauf der Kriege gegeben.18 Ebenso erfährt man im Beitrag von S. W. P. C. Braunius zur Seefahrtsgeschichte der Niederlande eher technische und taktische Details der Seekriege.19 Es könnten hier noch mehrere kürzere Abhandlungen in niederländischen Handbüchern erwähnt werden, keine aber bringen essenziell neue Erkenntnisse. Eine äußerst informative Studie zum zweiten Englisch-Niederländischen Seekrieg in englischer Sprache hat 2006 der niederländische Historiker Gijs Rommelse verfasst.20 Seine Analyse stellt wiederum den merkantilistischen Wirtschaftsstil jener Zeit mit dem machtpolitischen Denken der Staatsräson in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Rommelse vereint [<<15]den ökonomischen mit dem politischen Ansatz in seiner Ursachenanalyse; dem Erklärungsmodell von Pincus kann er wenig abgewinnen. Weiters ist die Studie zum Aufbau und zur Organisation der niederländischen Kriegsmarine von Jaap R. Bruijn, die ebenfalls in Englisch erschienen ist, von großem Interesse für das Thema.21 Biografien zu den „Seehelden“ der Republik, die oft im Detail Auskunft zur Ereignisgeschichte geben, sind in der niederländischen Geschichtswissenschaft wesentlich häufiger als Überblickdarstellungen publiziert worden. So sind hier die Biografien von Ronald Prud’Homme van Reine über Michiel Adriaenszoon de Ruyter und seine Doppelbiografie über Vater und Sohn Tromp hervorzuheben.22

In der deutschsprachigen Literatur werden die Englisch-Niederlän­dischen Kriege, wie bereits angedeutet, so gut wie kaum erwähnt. Es gibt keine einzige deutschsprachige Monografie zur Thematik, sieht man von der detailreichen, jedoch ein wenig unsortierten Studie des Niederländers Carl Ballhausen über den ersten Seekrieg ab.23 Der niederländische Historiker legte dieses in Deutsch geschriebene Werk, das ebenfalls den Schwedisch-Niederländischen Seekrieg behandelt, im Jahr 1923 vor. Ballhausen wollte offenbar auch noch über die beiden folgenden Seekriege schreiben, zu einer Publikation kam es allerdings nicht mehr. Die deutsche Historikerin Marie-Luise Recker hat 1987 an eher entlegener Stelle einen konzisen Aufsatz zum Ursachenbündel der Konflikte vorgelegt.24 Abgesehen davon, dass die Forschung nun differenziertere Erklärungsmodelle erarbeitet hat, ging Recker auf die Ereignisse in den Kriegen überhaupt nicht ein. Claudia Schnurmann arbeitete in ihrer Habilitationsschrift „Atlantische Welten“, in der sie die Beziehung zwischen den Niederländern und Engländern im atlantischen Raum untersucht hat, einige wichtige Aspekte der Seekriege heraus und stellte diese in den Kontext der kolo-[<<16]nialen Beziehungen.25 Der Verfasser der hier vorliegenden Studie verfasste eine Biografie zum englischen Admiral deutscher Herkunft Rupert von der Pfalz, der eine tragende Rolle im zweiten und dritten Krieg gespielt hat, und einen kleinen Aufsatz zu den militärhistorischen Rahmenbedingungen der Kriege.26 In deutschsprachigen Überblickdarstellungen zur Geschichte Europas im 17. Jahrhundert werden die Kriege der Seemächte bestenfalls marginal erwähnt, eine nähere Beschreibung oder gar eine fundierte Analyse sucht man hier vergebens.27 Eine Ausnahme stellt der von Klaus Malettke verfasste dritte Band des Handbuches der Geschichte der Internationalen Beziehungen mit dem Titel „Hegemonie, multipolares System, Gleichgewicht (1648/1659–1713)“ dar, der immerhin auf annähernd 20 Seiten eine informative Darstellung der Seekriege im internationalen Kontext bietet.28 Trotz dieser wenigen Ausnahmen, die allesamt keinen ganzheitlichen Überblick über Rahmenbedingungen, Ursachen, Motive, Intentionen, Verlauf und Auswirkungen der Kriege bieten können, ist die Darstellung der Englisch-Niederländischen Seekriege in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft mehr als unbefriedigend. Daher ist es das Ziel des vorliegenden Werkes, die politischen, ökonomischen sowie konfessionell-ideologischen Rahmenbedingungen darzulegen, die Kontrahenten der Kriege zum besseren Verständnis kurz vorzustellen, die einzelnen Ursachen und Motive für die Kriege aufzuzeigen, militärische Kapazitäten sowie Strategie und Taktik der Seekriegführung zu erläutern, den Verlauf der Kriege zu beschreiben und ebenso auf die Auswirkungen und Konsequenzen der bewaffneten Konflikte einzugehen. Zudem soll [<<17]ein Exkurs zum 4. Englisch-Niederländischen Seekrieg, der im Zuge des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges stattgefunden hat, die bereits vollkommen veränderte Lage der beiden See- und Wirtschaftsmächte im späteren 18. Jahrhundert veranschaulichen und die Konfliktgeschichte zwischen England und den Niederlanden komplementieren. Zu diesem Buch wurden keine neuen Archivstudien unternommen, vielmehr sollen die bereits bekannten Ergebnisse und Ereignisse auf dem aktuellen Stand der Forschung für eine deutschsprachige Leserschaft vorgestellt werden. Überblicksdarstellungen bringen es mit sich, dass man nicht immer in aller Ausführlichkeit ins Detail gehen kann. Und freilich kann auch so manche für das Verständnis unerlässliche Thematik nur angedeutet werden. So wäre eine ausführliche, komparatistisch angelegte Finanzgeschichte – wie sie schon für andere Länder29 und nur ansatzweise für die Kriegsfinanzierung in England des 17. Jahrhunderts existiert30 – der beiden Konkurrenzstaaten wünschenswert. Neben einer ausführlichen Finanzgeschichte des Militärwesens und der Militäroperationen, die viel zur Erklärung des Staatsbildungsprozesses frühneuzeitlicher Staaten beitragen kann, sind ebenso eine ausführliche Diplomatiegeschichte der Verhandlungen vor und während der Kriege, aber auch vergleichende sozial- und alltagshistorische Untersuchungen Desiderata der Forschung.31

1 Vgl. dazu die publizierten Reden von Cooper, 1. Earl of Shaftesbury, Delenda est Carthago.

2 Vgl. dazu kurz Münkler, Imperien, 96, und Jones, Anglo-Dutch Wars, 198–200; weiters Armitage, The ideological origins of the British Empire, 49–51, 129–132, 146.

3 Vgl. nur Tucker, Lepanto, und Pierson, Armada, Spanish, sowie Gebauer/Krenz, Marine-Enzyklopädie, 19 und 182f.

4 Vgl. hier z. B. Oppenheim, Navy of the Commonwealth; Tedder, Navy of the Restoration; Kitson, Prince Rupert; Ollard, Man of War; Baumber, General-at-Sea Robert Blake; Lambert, Admirals usw.

5 Vgl. hier z. B. Gardiner/Atkinson, Letters and Papers; Anderson, Journals and Narratives; Colenbrander, Bescheiden uit vreemde archieven; Powell/­Timings, The Rupert and Monck Letter Book.

6Wilson, Profit and Power.

7 So Jones, Anglo-Dutch Wars, 9f., und durchgehend Pincus, Protestantism and Patriotism.

8 Vgl. dazu nur die entsprechenden Abschnitte in Israel, Dutch Republic, und ders., Dutch Primacy.

9Ormrod, The rise of commercial empires.

10 Dazu Boxer, Anglo-Dutch Wars, und weitere Studien Boxers zum Thema im ­Literaturverzeichnis.

11 Jones, Anglo-Dutch Wars.

12Pincus, Protestantism and Patriotism.

13Hainsworth/Churches, Anglo-Dutch Naval Wars.

14Rodger, Command of the Ocean, 1–135.

15Fox, A distant storm.

16Blok, History of the People of the Netherlands, in der englischen Ausgabe der erste Krieg auf 186–219, der zweite Krieg 317–338, und der dritte Krieg als Teil des großen Holländischen Krieges Ludwigs XIV. 399–419.

17Blok, The life of Admiral de Ruyter.

18 Vgl. dazu die Artikel von Haley und Roorda, in: Blok, Algemene Geschiedenis der Nederlanden 8, 265–281 und 282–288.

19Braunius, Oorlogsvaart, in: Asaert, Maritime geschiedenis der Nederlanden 2, 316–354, bes. 346–354.

20Rommelse, The Second Anglo-Dutch War.

21Bruijn, The Dutch Navy.

22Prud’Homme van Reine, Rechterhand van Nederland, und ders., Schittering en schandaal.

23Ballhausen, Der erste Englisch-Holländische Seekrieg.

24Recker, Die drei englisch-holländischen Seekriege.

25Schnurmann, Atlantische Welten, bes. 41–61.

26 Vgl. Rebitsch, Rupert von der Pfalz, und ders., Auf dem Weg zum Empire.

27 Siehe so z. B. Duchhardt, Europa am Vorabend der Moderne, 220f., und ders., Barock und Aufklärung, 8, 19 und 29, in denen die Seekriege lediglich kurze Erwähnung finden; auf eine reine Bildnotiz reduziert ist der dritte Krieg bei Mandrou, Staatsräson und Vernunft, 92.

28Malettke, Hegemonie – multipolares System – Gleichgewicht, 303–318 und die entsprechenden Bemerkungen auf 347–377.

29 Vgl. hier zum Beispiel Rauscher (Hrsg.), Kriegführung und Staatsfinanzen, für die Länder der Habsburgermonarchie nach dem Dreißigjährigen Krieg; oder auch Glete, War and the State in early modern Europe, für Spanien, die Niederlande und Schweden von 1500 bis 1600.

30 Zur englischen Fiskalpolitik im ersten Krieg vgl. Wheeler, English financial operations, und weiterführend ders. The making of a World Power.

31 Einiges zu den diplomatischen Verhandlungen bringen Rowen, John de Witt, und Hutton, Charles II.

2. Europäische und globale Lage

2.1. Die Expansion der europäischen Länder

Weder England noch die Niederlande gehörten zu den Kolonialmächten Europas der ersten Stunde.1 Hier gebührt den iberischen Königreichen der Vorrang. Während die Portugiesen ein ambitioniertes, durch Heinrich den Seefahrer initiiertes Entdeckungsprogramm entlang der Westküste Afrikas, das sie bis nach Südostasien brachte, betrieben, gelang dem Königreich Kastilien der große Coup, die Entdeckung des amerikanischen Kontinents durch Christoph Kolumbus. Diese beiden Mächte teilten bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts im Vertrag von Tordesillas die außereuropäische Welt unter sich auf. Dieser Schiedsspruch im Jahre 1494 durch Papst Alexander VI. räumte den Portugiesen östlich der fiktiv festgelegten Demarkationslinie den Monopolanspruch ein, den Spaniern stand der Weltteil westlich der Linie zu. Brasilien fiel so in den Einflussbereich der Krone Portugals. Es war auch ein Portugiese, Fernão de Magalhães, der allerdings im Auftrag des spanischen Königs Karl I. (als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Karl V.) die erste Weltumsegelung unternahm. Die Versuche des englischen Königs Heinrich VII., der den Italiener Giovanni Cabotto (in England John Cabot genannt) mit einem Entdeckerpatent ausstattete, nehmen sich dagegen bescheiden aus. Immerhin [<<20] Seitenzahl der gedruckten Ausgabekam der Seefahrer aus Venedig 1497 bis nach Neufundland. Von einer Auffindung der damals bereits in Rede stehenden Nordwestpassage war er jedoch noch weit entfernt. Die Wasserstraße zwischen Neufundland und Cape Breton Island ist nach dem italienischen Entdecker in englischen Diensten benannt. Sein Sohn Sebastian, der seinen Vater begleitete und 1508 eine weitere Fahrt für England unternahm, war zwanzig Jahre später im Auftrag der spanischen Krone unterwegs. Nach den Entdeckungsfahrten der Cabottos gab man sich in England vorerst mit der systematischen Kolonisation Irlands, verwegenen privaten oder halboffiziellen Piratenfahrten im Atlantik gegen die spanische Handelsflotte und der Gründung von Handelsgesellschaften zufrieden. Der bekannte englische Kapitän, Freibeuter und Vizeadmiral Francis Drake wiederholte die seemännische Leistung Magalhães einer Weltumsegelung in den Jahren von 1577 bis 1580, die er allerdings im Gegensatz zum Portugiesen überlebte. Walther Raleigh, Seefahrer, Offizier und Günstling der Königin Elisabeth I., engagierte sich besonders für die Gründung einer englischen Überseekolonie in Nordamerika. Von einem groß angelegten imperialen Konzept der englischen Krone kann man jedoch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht sprechen.2 Obgleich das Inselkönigreich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewiss keine unbedeutende Rolle in der europäischen Mächtepolitik spielte, war von einem Imperium globalen Zuschnitts noch nicht die Rede.

Die Republik der Vereinigten Niederlande existierte zur Zeit der großen Entdeckungsfahrten noch nicht. Die nördlichen Provinzen der Niederlande mussten sich erst von der Weltmacht Spanien loskämpfen. Von den niederländischen Entdeckern machte sich Willem Barents (Namensgeber der Barentssee), der mit seiner Mannschaft im Winter 1596/97 in der Arktis überleben musste, um dann doch ein Opfer seiner Entdeckungsreise zu werden, einen Namen. Wie im Entdeckergeschäft fast schon üblich, griffen auch die Niederländer auf auswärtige Seefahrer [<<21]zurück. Einer der bekanntesten unter ihnen war der Engländer Henry Hudson. Im Auftrag der Verenigde Oostindische Companie, der niederländischen Ostindienkompanie, versuchte er 1609 eine Nordwestpassage nach Asien zu finden. Mit einer englisch-niederländischen Besatzung fuhr er den nach ihm benannten Fluss bis zur heutigen Stadt Albany aufwärts. Hudson fand zwar die nördliche Umfahrung des amerikanischen Kontinents nie, entdeckte jedoch die wichtige Flusseinfahrt im Terrain des später von den Niederländern gegründeten Neu Amsterdam (New York), und auf der nächsten Fahrt kam er in die wiederum nach ihm benannte Hudson Bay. Die Reise endete für den Entdecker tragisch, er wurde von seiner Mannschaft in der Bucht ausgesetzt. Einige Jahrzehnte später landete Abel Tasman auf Neuseeland und fuhr um die nach ihm benannte Insel Tasmanien. Dennoch: Die niederländische Seefahrernation wurde weniger durch spektakuläre Entdeckungsfahrten als vielmehr durch ihr ökonomisches Potenzial zur See berühmt. Denn nach der Konsolidierung der Republik ging es in den sieben Provinzen steil bergauf. Vom Übergang des 16. zum 17. Jahrhundert an traten die Generalstaaten, hier vor allem die reichste Provinz Holland, als große Handelsnation auf, und man spricht geradezu vom „Goldenen Zeitalter“ der Niederlande. Weder in Anbetracht der Einwohnerzahl – um 1650 hatte die Republik an die 1,9 Millionen Einwohner, England hingegen 5,2 Millionen – noch hinsichtlich des Territoriums eine europäische Großmacht darstellend, zählten die Generalstaaten bald schon zu den Global Players im weltweiten Handel. Die niederländischen Historiker Jan de Vries und Ad van der Woude bezeichneten die niederländische Volkswirtschaft nicht zu Unrecht als die erste moderne Wirtschaft der Welt.

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