Die englische Lady und der Rebell - Lisa McAbbey - E-Book
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Die englische Lady und der Rebell E-Book

Lisa McAbbey

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Beschreibung

Die junge Lehrerin Prudence Holloway reist im Sommer 1747 trotz der Warnungen ihrer Familie nach Schottland, um dort zu unterrichten. Auf dem Weg erkrankt sie jedoch an einem schweren Fieber und wird von einer schottischen Bäuerin gesund gepflegt. Deren Ehemann erklärt sich bereit, Prudence für den Rest ihrer Reise zu begleiten. Auf dem Ritt durch die Highlands kommen Prudence und der attraktive Schotte einander näher, und Prudence ist hin- und hergerissen zwischen Anstand und der unleugbaren Faszination für diesen Mann. Doch dann fallen sie einem Trupp Rotröcke in die Hände - und die junge Frau muss feststellen, dass ihr Begleiter mehr als nur ein Geheimnis hat ...

Liebe und Abenteuer in Schottland - lassen Sie sich verzaubern!

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Inhalt

CoverWeitere Titel der AutorinÜber dieses Buch/Über die AutorinTitelImpressumErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelEpilogAnmerkungenSchottisch-gälische Wörter und Sätze

Weitere Titel der Autorin

Die Eroberung des Normannen

Der Spion mit dem Strumpfband

Die Schmuggler-Lady

Lady ohne Furcht und Tadel

Über dieses Buch

Die junge Lehrerin Prudence Holloway reist im Sommer 1747 trotz der Warnungen ihrer Familie nach Schottland, um dort zu unterrichten. Auf dem Weg erkrankt sie jedoch an einem schweren Fieber und wird von einer schottischen Bäuerin gesund gepflegt. Deren Ehemann erklärt sich bereit, Prudence für den Rest ihrer Reise zu begleiten. Auf dem Ritt durch die Highlands kommen Prudence und der attraktive Schotte einander näher, und Prudence ist hin- und hergerissen zwischen Anstand und der unleugbaren Faszination für diesen Mann. Doch dann fallen sie einem Trupp Rotröcke in die Hände – und die junge Frau muss feststellen, dass ihr Begleiter mehr als nur ein Geheimnis hat …

Über die Autorin

Lisa McAbbey hat Rechtswissenschaften studiert und interessiert sich als Großbritannien-Fan schon seit vielen Jahren für englische und schottische Geschichte. Sie lebt in Wien und ist für einen internationalen Konzern tätig.

Lisa McAbbey

Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Heike Rosbach

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven von © Richard Jenkins Photography und © shutterstock: johnbraid | Chris Hoff | Anastasiia Holovatiuk | iweta0077 | Lukasz Szwaj

E-Book-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-7897-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Erstes Kapitel

Derrinloch, Loch Fyne, Argyll, westschottische HighlandsEnde Mai 1747

Vorsichtig schlug Prudence die Lider auf, um sie gleich darauf stöhnend wieder zu schließen. Selbst das matte Licht in dem dämmrigen Raum ließ ihre fiebrigen Augen unerträglich brennen. Mit der Hand tastete sie über ihre Stirn, ihre Wangen, ihre Brust – und ließ den Arm dann kraftlos zur Seite fallen. Du meine Güte, nicht nur ihr Gesicht, nein, ihr ganzer Leib schien zu glühen, als hätte man sie mitten in ein glosendes Kohlebecken gebettet! All ihre Glieder schmerzten, ihr Atem ging keuchend, und ihr Schädel war von einem dumpfen, nicht enden wollenden Dröhnen erfüllt. Erst allmählich bemerkte sie, dass zumindest der Grund für dieses letzte Ungemach nichts mit dem Fieber zu tun hatte, das unbarmherzig in ihrem Körper wütete: Anscheinend hackte jemand Holz, irgendwo ganz in der Nähe.

Himmel, wenn sie nur wüsste, wo sie sich befand! Mühsam hob sie den Kopf und blinzelte durch die dunklen Wimpern. Die einfache Bettstatt, in der sie lag, stand in der Ecke einer niedrigen Stube mit roh behauenen Steinwänden, rußgeschwärzten Dachbalken und winzigen, scheibenlosen Fenstern. Prudences Blick wanderte über die kärgliche Einrichtung: ein grob gezimmerter Tisch samt Hockern, eine qualmende Feuerstelle, über der ein Eisenkessel hing, eine Anrichte mit irdenem Geschirr, ein zweites Bett. Auf der gegenüberliegenden Seite, gleich innerhalb der weit offen stehenden Eingangstür, pickten Hühner nach Körnern, und auf einer hölzernen Truhe hatte sich eine Katze zu einem gescheckten Knäuel eingerollt. Niemand war zu sehen, keine Menschenseele.

Wahrscheinlich, so versuchte Prudence sich an einer vernünftigen Erklärung für ihre Situation, gehörte diese Kammer zu jenem Gasthof, in dem ihre Reisegesellschaft derzeit gerade haltmachte. Zwar hatte sie nicht die allergeringste Erinnerung an die Ankunft an diesem kümmerlichen Ort, aber womöglich war sie da vom Fieber bereits so geschwächt gewesen, dass sie die Vorgänge um sich herum gar nicht mehr wahrgenommen hatte.

Was Prudence allerdings stutzig machte, war der Umstand, dass dieser Gasthof so gar nicht jenen Wirtshäusern glich, in denen sie seit Antritt ihrer Reise vor mehr als zwei Wochen abgestiegen war. In den einmal mehr, einmal weniger einladenden Etablissements von endlos scheinender Zahl hatte sie Dutzende Mahlzeiten eingenommen, in meist ungemütlichen Betten geschlafen und die schrulligsten Bekanntschaften gemacht. Ihre jetzige Unterkunft dagegen erschien ihr eher wie eine Köhlerhütte oder eine Bauernkate. Nur, wie um Himmels willen kam es, dass sie auf der Strohmatratze einer Bauernkate aufwachte?

Und wo, fragte sie sich weiter, steckten eigentlich Mr und Mrs Littleworth, ihre stets so aufmerksamen Reisebegleiter? Flatterten und schwirrten sie sonst nicht ohne Unterlass wie besorgte Glucken um sie herum? Zugegeben, bei mancher Gelegenheit hätte Prudence das ältliche Ehepaar wegen seines Übereifers, der einige Male schon die Grenzen des Erträglichen überschritt, am liebsten dorthin gewünscht, wo der Pfeffer wächst.

Doch sie sah auch ein, dass eine junge, unverheiratete Dame ihres Standes eine Fahrt in der Postkutsche von Oxfordshire in die schottischen Highlands nicht allein unternehmen konnte. Selbst wenn diese junge Dame bereits dreiundzwanzig Jahre zählte, allgemein als vernünftig und besonnen galt und seit nunmehr vier Jahren einer Beschäftigung als Lehrerin an einer Londoner Mädchenschule nachging. Aber die Gefahren einer solchen Reise waren einfach zu zahlreich: zudringliche Mannsbilder, haltlose Betrunkene, Schurken aller Art.

Und hier in Schottland, insbesondere in den Highlands, kamen noch Horden rabiater, grobschlächtiger Barbaren hinzu, die nicht einmal der englischen Sprache mächtig waren. Prudences Familie und Freunde hatten sie ausgiebigst vor diesem unzivilisierten Menschenschlag gewarnt. Und so, wie es schien, dachte sie bekümmert, war sie nun inmitten dieser angeblich so gefährlichen Wildnis gestrandet, und nur der liebe Gott wusste wo!

Das Letzte, woran sie eine klare Erinnerung hatte, war die Fahrt von dem kleinen schottischen Dorf Tarbet am Loch Lomond, wo sie übernachtet hatten, weiter in westlicher Richtung – eine der finalen Etappen ihrer mehrwöchigen Reise. Während die Kutsche durch schmale, waldumsäumte Täler gepoltert war, hatte Prudence die herrliche Landschaft bewundert. Die Berge, zerklüftet und kahl, ragten hier so hoch in den Himmel, als wollten sie die Wolken berühren; ab und an duckten sich niedrige, strohgedeckte Steinhäuser in ihre mächtigen Schatten. Sie waren an blauen, kristallklaren Seen entlanggefahren, die die Einheimischen loch oder lochan nannten, und an Gebirgsbächen, die aus schwindelnden Höhen herabstürzten. Obwohl viele ihrer Landsleute Schottland für rückständig und barbarisch hielten, hatte Prudence noch niemals zuvor solch atemberaubende Schönheit erblickt.

Immer höher hatte sich der holprige Karrenweg hinaufgewunden, die Kutsche hatte mehrere Pässe erklommen, und an besonders steilen Abschnitten hatten sämtliche Passagiere aussteigen und zu Fuß gehen müssen, um den vor Anstrengung schnaubenden Pferden das Ziehen der schweren Last zu erleichtern. Schließlich hatten sie, von einer Anhöhe aus, Loch Fyne vor sich gesehen, eine schmale, langgestreckte Meeresbucht, von denen es unzählige an der Westküste Schottlands gab. Wie die Finger einer knorrigen Hand, so hatte einer ihrer Mitreisenden, ein Gentleman aus Glasgow, erklärt, ragte hier das Land hinaus ins Meer.

Doch da war es Prudence bereits zunehmend schwerer gefallen, sich auf das Geschehen um sie herum zu konzentrieren. Den Gesprächen ihrer Reisegefährten – außer den Littleworths und dem Herrn aus Glasgow reisten noch ein Kaufmann und ein Landvermesser in der Kutsche – konnte sie kaum noch folgen, ihr war schwindelig und heiß. Schon seit dem Vortag hatte Prudence sich unwohl gefühlt, dies aber auf die Anstrengungen der langen Reise geschoben. Doch an jenem Tag hatte sich ihr Zustand drastisch verschlechtert, und allmählich war sie in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf gefallen. Was danach passiert war, entzog sich ihrer Kenntnis. Womöglich hatte sie das Bewusstsein verloren? Mr und Mrs Littleworth könnten ihr diese Fragen sicherlich beantworten, doch noch immer war von dem Ehepaar weit und breit nichts zu sehen.

»Huhu, Mrs Littleworth?« Prudences schwache Stimme klang in ihren eigenen Ohren wie das Krächzen eines rostigen Scharniers. Das dumpfe Klopfen vor dem Haus schien kein Ende zu nehmen, bei diesem Lärm würde niemand sie hören. Sie befeuchtete ihre ausgetrockneten Lippen und unternahm einen neuen Versuch.

»Mrs Littleworth? Mr Littleworth?«

Doch trotz mehrmaligen Rufens, oder besser gesagt Krächzens, kam niemand. Erschöpft schloss Prudence die Lider und ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken. Ach herrje, was nur war geschehen, dass sie sich elend und krank in einer fremden Behausung wiederfand?

Prudence tat ein paar schwere, mühevolle Atemzüge, als sie plötzlich neben sich ein sanftes Flüstern vernahm. Rasch schlug sie die Augen wieder auf: Eine junge, einfach gekleidete Frau, die Prudence noch niemals zuvor gesehen hatte, hatte sich zu ihr gebeugt und redete leise auf sie ein. Die Frau schien ein paar Jahre älter als Prudence, mit hellroten Haaren, sommersprossigen Wangen und warmen, freundlichen Augen. Mit einem angenehm kühlen Tuch strich sie über Prudences glühende Stirn, Wangen und Hals. Von dem, was sie sagte, verstand Prudence allerdings kein Wort, denn die Bauersfrau bediente sich jener Sprache, die Prudence seit jenem Tag, an dem die Kutsche die schottische Grenze überquert hatte, immer öfter zu hören bekommen hatte: Gälisch.

»Ciamar a tha sibh? Dè saod a tha ort an-diugh?«

»Ich kann Sie nicht verstehen«, wisperte Prudence und schüttelte matt den Kopf. »Sprechen Sie auch Englisch?«

Zur Antwort lächelte die Frau, und es folgten weitere gälische Sätze, doch wiederum konnte Prudence den Sinn der Worte nicht erfassen.

»Wo bin ich?«, wollte sie wissen. »Wo sind Mr und Mrs Littleworth? Können Sie sie herholen?«

Die Frau reichte Prudence einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit, wohl eine Art Kräutersud, und bedeutete ihr zu trinken. Gehorsam richtete sie sich auf und nahm ein paar Schlucke, ehe sie sich wieder auf das Kissen zurückfallen ließ. Schon diese wenigen Bewegungen kosteten sie ungeheure Anstrengung.

Inzwischen, so fiel ihr auf, war der Lärm draußen verstummt, der Holzhacker hatte seine Arbeit wohl erledigt. Und tatsächlich, gleich darauf bückte sich eine sehr große Gestalt durch den niedrigen Türrahmen der Kate, ein Hüne von einem Mann, im Schlepptau vier fröhlich juchzende Kinder, die die junge Frau nach einem besorgten Blick zu Prudence hin gleich wieder hinaus ins Freie scheuchte. Dann traten die beiden Bauersleute an Prudences Bettstatt, und angesichts des männlichen Besuchers an ihrem Krankenlager zog Prudence hastig die Decke bis zum Kinn hoch.

Die Frau sprach nun aufgeregt auf ihren Mann ein, ihre Hände flogen geradezu durch die Luft. Währenddessen beäugte der Bauer Prudence aus schmalen, geradezu feindseligen Augen – anders als seine Frau zeigte seine Miene nicht die geringste Spur von Freundlichkeit. Sein Haar, von einem dunkleren Rot als das seiner Ehefrau, klebte feucht an seinen Schläfen, und im Halsausschnitt seines Leinenhemdes glänzte schweißnass seine Haut. Mit zusammengekniffenen Lippen musterte er Prudence abschätzig wie ein widerwärtiges Insekt und antwortete seiner Frau dann in derselben fremd klingenden Sprache, dabei deutete er mit dem Kopf mehrmals in Prudences Richtung. Er schien verärgert, aufgebracht, wütend, und seine Frau versuchte wohl, ihn von etwas zu überzeugen – wovon, konnte Prudence aber beim besten Willen nicht ausmachen. Einzig die Tatsache, dass sie selbst der Grund für die Meinungsverschiedenheit der Eheleute war, schien gewiss. Bei Gott, was gäbe sie nur dafür, sich mit den beiden verständigen zu können!

»Parlez-vous français? Je ne vous comprends pas«, unternahm Prudence einen neuen Anlauf, vielleicht waren diese Highlander ja des Französischen mächtig.

Doch der Mann sah sie bloß entgeistert an, und die Frau schüttelte verwirrt den Kopf. Als Prudence neuerlich den Mund öffnen wollte, presste die Bäuerin rasch einen Finger auf ihre Lippen, um sie daran zu hindern. Mit einem freundlichen Lächeln legte sie ihre gefalteten Hände an die Wange und nickte Prudence aufmunternd zu. Diese Geste war auch ohne Worte zu verstehen, und tatsächlich spürte Prudence ihre Lider schwer werden.

Der grimmige Hüne dagegen wandte sich mit einem Schwall unwirschen gälischen Gebrabbels, wohl alles Verwünschungen und Flüche, ab und stapfte hinaus ins Freie. Erleichtert, dass der unleidliche Griesgram verschwunden war, schloss Prudence ihre müden Augen. Anders als seine Ehefrau, so resümierte sie, während sie allmählich in Morpheus’ Arme sank, schien er von der angeblich so berühmten schottischen Gastfreundschaft noch nie etwas gehört zu haben.

Zweites Kapitel

Derrinloch, Loch Fyne, Argyll, westschottische HighlandsDrei Wochen später

Prudence summte leise vor sich hin, während sie ein Wäschestück nach dem anderen über die Leine warf, die vor der Bauernkate zwischen zwei windzerzausten Kiefern gespannt war. Immer wieder hielt sie in ihrer Arbeit inne, um den eindrucksvollen Ausblick zu genießen, der sich ihr von hier oben bot. Das steinerne Häuschen war auf einer Anhöhe über dem Loch Fyne errichtet, jenem langgestreckten Meeresarm, der über mehrere Dutzend Meilen hinweg tief ins Landesinnere hineinragte. An diesem herrlichen Junitag ließ die Sonne das Wasser azurfarben glitzern, und eine frische Brise wehte den Geruch von Salz und Seetang herauf und brachte die Wäsche zum Flattern wie die Segel eines Schiffes.

Am gegenüberliegenden Ostufer erhoben sich dicht bewaldete Bergrücken, höher als auf dieser Seite, die gen Norden hin zu imposanten Gipfeln anwuchsen. Möwen schaukelten kreischend im Wind, und hoch über Prudences Kopf zog majestätisch ein Seeadler seine Kreise. Versonnen verfolgte sie eine Zeit lang seinen Flug, ehe sie sich daranmachte, als Nächstes die nassen Bettlaken zum Trocknen aufzuhängen.

Wie sehr sich dieses Land doch von ihrer Heimat Oxfordshire unterschied, dachte sie bei sich, von dessen sanft geschwungenen Hügeln, idyllischen Weilern und lieblichen, grasgrünen Wiesen! Alles, einfach alles hier schien von solch überwältigender Intensität: die klare, würzige Luft, das helle, strahlende Licht, die satten, kraftvollen Farben. Jeden Tag aufs Neue ergötzte Prudence sich an der rauen Schönheit der Highlands und spürte jedes Mal, wie ihr das Herz aufging. Selbst der verbohrteste Ignorant, davon war sie überzeugt, musste zugeben, dass es ihm angesichts dieser unvergleichlich wundervollen Natur eng um die Brust wurde.

Mehr als drei Wochen waren vergangen, seit Prudence in dem strohgestopften Bett der Bauernkate aufgewacht war, seit einer Woche nun war sie wieder auf den Beinen. Endlos lang scheinende Tage und Nächte hatte die schreckliche Krankheit an ihren Kräften gezehrt, in einem benommenen Fiebertaumel war sie zwischen Wachen und Schlafen hin- und hergeschwankt.

Zu Prudences Überraschung hatte die junge Bauersfrau in dieser schweren Zeit unermüdlich an ihrer Seite gewacht. Sie hatte ihr Kräutertränke eingeflößt und Haferbrei gefüttert, ihrem glühenden Körper mit kalten Wickeln und Umschlägen Linderung verschafft. Wenn Prudence sich im Bett unruhig von einer Seite auf die andere geworfen hatte, hatte sie ihr mit sanfter Stimme Lieder vorgesungen, deren Inhalt Prudence nicht verstand, deren wehmütige Melodien ihr Herz aber seltsam berührten und ihrem geplagten Geist Erleichterung brachten.

Schließlich, nach einer qualvollen Ewigkeit, war das schreckliche Fieber abgeklungen, und Prudence hatte sich von Tag zu Tag langsam wieder erholt. Ihre Genesung, davon war sie überzeugt, war einzig und allein der kundigen und aufopfernden Pflege der freundlichen Bäuerin zu verdanken. Ohne deren Hilfe würde sie, das stand für sie fest, nicht mehr unter den Lebenden weilen. Daher hatte Prudence sich, sobald sie einigermaßen auskuriert war, erboten, ihrer Lebensretterin bei deren täglichen Arbeiten zur Hand zu gehen. Auf diese Weise wollte sie sich zumindest ein klein wenig erkenntlich zeigen für deren selbstlosen Samariterdienst. Nach den vielen Tagen des Untätigseins von einer plötzlichen Rastlosigkeit erfüllt, hatte sie sich voller Eifer in die neuen Aufgaben gestürzt – sie half, wo sie nur konnte. Gelegenheiten dafür gab es auf dem kleinen Bauernhof mit den vier Kindern, den paar Ziegen, Schafen und Hühnern sowie dem Rübenacker hinter dem Haus mehr als genug.

Obschon die Tochter eines Gentlemans, des ehrenwerten Reverends Benjamin Holloway aus Woodstock in Oxfordshire, war Prudence diese Art von Arbeit keineswegs fremd. In den letzten vier Jahren hatte sie an der Burlington Boarding School for Girls in London unterrichtet und dabei auch gelernt, überall dort anzupacken, wo gerade Not am Mann war – oder besser gesagt, an der Frau: in der Küche, beim Flicken der Schulkittel, am allwöchentlichen Waschtag, beim Jäten des Gemüsegartens. Dass ihre Hände nicht nur die für den Lehrerstand typischen Tintenflecke zierten, sondern oft genug auch Schwielen und raue Stellen, war Prudence gleichgültig. Sich nützlich zu machen, fand sie weitaus wichtiger als eine elegante, makellose Erscheinung. Sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, denn die hatte die Hoffnung auf eine Hochzeit ihrer zweitjüngsten Tochter mit einem respektablen, hinreichend vermögenden Herrn noch keineswegs aufgegeben.

Prudence seufzte. Als sie vor ein paar Monaten der Brief ihres Onkels mit der Bitte erreicht hatte, ihn an seiner neuen Schule als zweite Lehrkraft zu unterstützen, hatte ihre Mutter vehement Einspruch erhoben. Das lag zum einen daran, dass diese Schule mitten in den tiefsten schottischen Highlands gelegen war, mehr als vierhundert Meilen von Woodstock entfernt. Doch trotz der Einwände ihrer Mutter – »Was meinst du, dort bewerkstelligen zu können, das du nicht auch in Oxfordshire zustande bringen könntest?«, »Warum, um alles in der Welt, nach Schottland?«, »Mein Gott, Kind, ich werde dich nie wiedersehen!« – war Prudence sofort Feuer und Flamme für diese Idee gewesen.

Seit vielen Jahrzehnten, so hatte Onkel William ihr in der Botschaft mitgeteilt, hatte es sich die Schottische Gesellschaft zur Verbreitung christlicher Bildung auf ihre Fahnen geschrieben, den rückständigen, zudem meist katholischen Bewohnern der Highlands Lesen, Schreiben, Rechnen sowie das einzig wahre, nämlich protestantische, Glaubensbekenntnis nahezubringen. Zudem sollten sie in der englischen Sprache unterrichtet werden, denn die meisten, so wie Prudences Lebensretterin und deren Familie, beherrschten bloß ihre gälische Muttersprache.

Zu diesem Zweck hatte die Gesellschaft Dutzende Schulen errichtet, verstreut über das ganze Land. Eine davon, in einem Dorf namens Kilbranden an der schottischen Westküste, leitete seit knapp einem Jahr Prudences Onkel, Reverend William Godstow, der älteste Bruder ihrer Mutter. So wie Prudences Vater war er ein langgedienter Pastor der anglikanischen Kirche, hatte sich aber, anders als ihr Vater, immer zu missionarischem Wirken berufen gefühlt. Deshalb hatte er, als sich die Gelegenheit dazu ergab, seine Pfarrgemeinde samt Knabenschule in Hampshire aufgegeben und sich nach Schottland aufgemacht, um dort – wie er es ausgedrückt hatte – unter den fehlgeleiteten Schäfchen Gottes zu wirken und diese mit den Errungenschaften der englischen Zivilisation vertraut zu machen.

»Meine Schülerschaft«, so hatte er in dem Brief geschrieben, »besteht aus Buben und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Die Kinder stammen aus einfachen, meist ärmlichen Verhältnissen und haben noch niemals zuvor die Schulbank gedrückt. Zuletzt ist ihre Zahl recht angestiegen, weshalb ich den Unterricht nicht länger allein zu bewältigen vermag. Es liegt mir allerdings fern, liebe Nichte, die dir bevorstehende Aufgabe zu beschönigen: Es bedarf nicht weniger als herkulischer Anstrengungen, diese unbedarften Seelchen zu fassonieren, dennoch kann ich mir kein gottgefälligeres und wohlbringenderes Werk vorstellen. So bitte ich dich von ganzem Herzen, teure Prudence, mir bei diesem Unterfangen tatkräftig zur Seite zu stehen.«

So hatte Prudence also zugesagt. Eine dringliche Bitte um Hilfe hatte sie noch niemals abschlagen können, zudem stand ihr nach vier Jahren an der Burlington Boarding School der Sinn nach Neuem. Überdies war die Stelle besser bezahlt als ihre bisherige – ein nicht unerheblicher Faktor, denn Prudence musste selbst für ihr Auskommen sorgen. Die beschränkten finanziellen Mittel ihres Vaters reichten einfach nicht aus, um seine gesamte neunköpfige Kinderschar standesgemäß zu versorgen und noch dazu zweien seiner Söhne ein Studium am renommierten Lincoln College in Oxford zu ermöglichen.

Als Pfarrer der beschaulichen, unweit der Universitätsstadt gelegenen Gemeinde Woodstock war sein Patronatsherr kein Geringerer als der Herzog von Marlborough, der im benachbarten Blenheim Palace residierte. Reverend Holloway trug den Ehrentitel eines Fraters der berühmten Royal Society, veröffentlichte regelmäßig theologische Werke und kümmerte sich überdies um die Inventarisierung der herzoglichen Bibliothek. Doch trotz seines ausgezeichneten Rufs als Gelehrter und Bibelkenner, trotz der ihm allseits dargebrachten Wertschätzung war das Geld im Holloway-Haushalt stets knapp.

So hatte Prudence sich bereits in jungen Jahren entschlossen, ihr Scherflein zum Familieneinkommen beizutragen, und bald eine Stelle als Lehrerin an der Londoner Burlington Boarding School for Girls angetreten. Ihr Vater war ein großer Verfechter eines universell gebildeten Geistes und hatte dafür Sorge getragen, dass nicht nur seine fünf Söhne, sondern auch seine vier Töchter eine umfassende Ausbildung erhielten.

Und Prudence hatte stets voller Enthusiasmus gelernt. Gab es doch so vieles zu entdecken! So viele Ideen, Theorien und Welten – der Kosmos des Wissens war schier grenzenlos und versetzte sie jedes Mal aufs Neue in unbändiges Staunen.

Dabei war es ihr nicht genug, ihren eigenen Wissensdurst zu stillen. Sie wollte anderen helfen, dieselbe Freude, dieselbe Begeisterung zu erfahren – zu lernen, zu begreifen, zu verstehen war etwas Wunderbares, etwas Sinnvolles, ja, etwas Befreiendes. Bei der Wahl ihres Berufes hatte Prudence also nicht lange überlegen müssen.

Mit dieser ihrer Einstellung zum Lernen und Lehren stand Prudence keineswegs allein in ihrer Familie da: Temperance, die Älteste unter ihren Geschwistern, zog als Gouvernante hingebungsvoll die stetig anwachsende Kinderschar des Barons von Hatfield auf, Prudences Bruder Theophilus unterrichtete als Hauslehrer Latein und Griechisch, und Philemon, der Viertgeborene, war Tutor an der angesehenen Harrow School in Middlesex.

Prudences Mutter allerdings empfand die Berufung zum Lehren – zumindest was ihre Töchter betraf – bloß als notwendiges Übel, um die familiäre Haushaltskasse aufzubessern. Ihrer Meinung nach sollte das oberste Ziel jeder respektablen Frau die Verehelichung und nichts anderes sein. Aus diesem Grund war sie mit dem neuesten Vorhaben ihrer zweitjüngsten Tochter alles andere als einverstanden, denn in dem fremden Land sah sie Prudences Heiratschancen kläglich dahinschwinden. Davon abgesehen befürchtete sie für Prudence inmitten von verstockten Papisten und wilden Barbaren das Allerschlimmste.

»Du meine Güte«, hatte sie mehr als einmal gerufen, »diese Schotten werden dir mit ihren langen Messern die Kehle durchschneiden! Du wirst schon sehen, aber dann wird es zu spät sein.« Mit sorgenschwerem Blick hatte sie ein Taschentuch hervorgeholt und ihre Augenwinkel abgetupft. »Warum willst du nicht auf mich hören? Diese schottischen Teufel werden dich kaltblütig ermorden und deinen Leichnam irgendwo in ihren gottverlassenen Bergen verscharren. Die Highlander hassen uns Engländer doch bis aufs Blut!«

Trotz all dieser Einwände – und einiger mehr – hatte Reverend Holloway Prudences Wunsch befürwortet. »Ich bin stolz auf dich, meine Tochter«, hatte er bei einem Abendessen am Familientisch verkündet, »dass du deine Begabungen und Talente zum Wohle Anderer, weniger Glücklicher einsetzen möchtest. Ein wahrhaft christliches Ansinnen!« Mit einer Miene, die er bei seinen sonntäglichen Predigten aufzusetzen pflegte, hatte er in die versammelte Runde seiner Kinder geschaut: »Nehmt euch eure Schwester zum Vorbild, solch herzensgutes Streben gereicht jedem Christenvolk zur Zier.«

Dann hatte er die erste Scheibe vom Rinderschmorbraten gesäbelt und auf Prudences Teller platziert, vor allen anderen, als wäre sie ein Ehrengast. Dabei hatte er ihr zugezwinkert, und Prudence hatte sein Lächeln erwidert, glücklich und erleichtert zugleich. Ohne das Einverständnis ihres Vaters wäre sie niemals fortgegangen.

Doch er hatte noch mehr für sie getan. Nicht nur hatte er sich bereit erklärt, für die Kosten der Reise in den abgelegenen Norden aufzukommen. Zu ihrem Schutz hatte er überdies ein reiseerfahrenes Ehepaar von tadellosem Ruf, Mr und Mrs Littleworth aus einer Nachbarspfarrei, als ihre Begleitung engagiert.

Natürlich war Prudence bewusst, dass nicht alle Bedenken ihrer Mutter gleichermaßen leicht von der Hand zu weisen waren. Jeder wackere Engländer, den man dazu befragte, würde beipflichten, dass den Schotten, besonders jenen aus den Highlands, ein verschlagener, hinterhältiger und grausamer Charakter eigen war. Und hatte sich diese Einschätzung nicht erst in der jüngsten jakobitischen Rebellion bewiesen, die im Sommer vor zwei Jahren von Schottland ausgegangen war und ganz Großbritannien über viele Monate hinweg in Atem gehalten hatte? Bärtige Wilde hatten bluttriefende Schwerter und langstielige Äxte über ihren Köpfen geschwungen und waren mit markerschütterndem Gebrüll auf die königlichen Regimenter eingestürmt, sodass den braven Soldaten vor Angst das Blut in den Adern gefroren war. Die Rebellenarmee hatte mehrere Schlachten gewonnen und war sogar bis nach Derbyshire vorgedrungen, ehe sie schließlich von den Truppen des Herzogs von Cumberland am schottischen Culloden Moor aufgehalten worden war. Eine Welle der Erleichterung war durch das ganze Land gebrandet, als die Zeitungen im April letzten Jahres die Nachricht vom Sieg der königlichen Armee verkündet hatten.

Seitdem herrschte wieder Frieden im Land, und dass es dabei bleibe, dafür sorgte eine Unzahl von Soldaten und Offizieren, die in bestehenden wie neu errichteten Militärforts in Schottland stationiert worden waren. Die Anführer der Rebellion hatte man entweder hingerichtet oder sie waren nach Frankreich geflohen, Tausende ihrer Mitstreiter saßen in Gefängnissen ein. Neuerdings wurden die Häftlinge in die westindischen Kolonien deportiert, nach Antigua, Barbados, Jamaica und Saint Kitts, wo die anstrengende Arbeit auf den Plantagen sie von weiteren Umsturzversuchen abhalten sollte.

Die Minister und Generäle des Königs, Seiner Majestät George II., wurden nicht müde zu versichern, dass die Gefahr ein für alle Mal vorüber und das Schreckgespenst der Rebellion gebannt war.

Alles, so schien es, nahm wieder seinen gewohnten Lauf, weshalb Prudence bei der Bitte ihres Onkels, an seiner neuen Schule in Schottland zu unterrichten, keine übermäßige Angst verspürt hatte. Er würde seine Nichte niemals an einen Ort einladen, an dem sie ihres Lebens nicht sicher wäre. Ganz gewiss nicht!

Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen befestigte sie das letzte Wäschestück an der Leine und strich dann die kastanienbraune Haarsträhne hinters Ohr, die der Wind aus ihrem Knoten gelöst hatte. Sollte Schottland tatsächlich von blutrünstigen Wilden bevölkert sein, wie ihre Familie und Bekannten, allen voran ihre Mutter, so felsenfest behaupteten, dann stand ihr die Begegnung mit ihnen noch bevor. Bisher hatte sie bloß ganz gewöhnliche Menschen getroffen, kaum anders als zu Hause, mit einer Ausnahme: Moyra war eine der großherzigsten und hilfsbereitesten Personen, die sie jemals kennengelernt hatte. Nicht nur hatte die junge Schottin Prudence das Leben gerettet, sie teilte auch selbstlos Heim und Mahlzeiten mit ihr – mit ihr, einer völlig Fremden.

Bei dem Gedanken an die freundliche Bauersfrau musste Prudence unwillkürlich schmunzeln. Mit Worten vermochten sie beide sich genauso wenig zu verständigen wie am Tag ihrer ersten Begegnung, doch hatten sie seither gelernt, sich mit Zeichen und Gebärden zu behelfen: detailreich, ausdrucksvoll und oftmals übermütig, was dann meist in ausgelassenem Gelächter endete. Einzig ihre Namen hatten sie geschafft auszutauschen.

Prudence blinzelte zum Himmel hinauf. Die Sonne hatte bereits den Zenit überschritten, Moyra und die Kinder würden also bald nach Hause zurückkehren. Heute Morgen waren sie zum Besuch einer Nachbarsfamilie aufgebrochen – es gab dort neugeborene Zicklein zu bestaunen. Oder zumindest war es das, was Prudence aus Moyras weit ausholenden Gesten herausgelesen hatte. Jedenfalls waren die vier Schlingel, drei Buben und ein Mädchen, schon seit Sonnenaufgang ganz aufgeregt herumgetollt, in erwartungsvoller Vorfreude, und so hatte Prudence sich gerne bereit erklärt, den Hof zu hüten, um Mutter und Kindern ein paar sorgenfreie Stunden zu ermöglichen.

Einer fehlte allerdings bei diesem kleinen Familienausflug. Moyras Ehemann, so wunderte Prudence sich nicht zum ersten Mal, hatte sich seit jenem Tag vor drei Wochen nicht mehr blicken lassen. Da aber die Bauersfrau deswegen nicht besorgt schien, nahm Prudence an, dass nichts Ungewöhnliches daran war. Wahrscheinlich ging er einer Arbeit nach, die ihn für längere Zeit von zu Hause weg führte – Viehtreiber, zum Beispiel, oder Seemann. Was Prudence betraf, konnte ihr dieser Umstand nur recht sein. Es war ja nicht zu übersehen gewesen, dass der grimmige Hüne über ihre Anwesenheit in seinem Heim alles andere als erfreut gewesen war. Miesepetriger Schotte, miesepetriger!

Und wenn sie Moyras herumfliegende Hände richtig interpretiert hatte, würde sie sich noch bald genug mit dem unleidlichen Kerl herumschlagen müssen. Kurz nachdem Prudence ihr Krankenlager verlassen hatte, hatte sie nämlich auf ihre Reisetruhe gedeutet und Moyra nach dem Weg nach Kilbranden gefragt. Doch die junge Schottin hatte nur den Kopf geschüttelt, Prudence von der Truhe weggezerrt und die Umrisse eines großen, breitschultrigen Mannes in die Luft gemalt. Daraus hatte Prudence geschlossen, dass der Bauer sich nach seiner Rückkehr um ihre Weiterreise nach Kilbranden kümmern würde. Über das Schicksal der Littleworths wie auch des Rests der Reisegesellschaft war Moyra nichts zu entlocken gewesen. Außer ratlosem Schulterzucken hatte Prudence nichts aus ihr herausgebracht.

Ein leises Miauen zu ihren Füßen ließ Prudence nach unten blicken. Das gescheckte Kätzchen, das ihr an ihrem ersten Tag in der Bauernkate aufgefallen war, strich um ihre Röcke und rieb seinen Kopf an Prudences Beinen.

»Ach, du Schmeichlerin!«, rief sie lachend und hob das weiche Fellknäuel hoch, das in den letzten drei Wochen zu einer vertrauten Freundin geworden war. Schnurrend schmiegte die Katze sich an Prudences Brust, und gemeinsam schauten sie hinunter in die Meeresbucht.

»Du kannst dich glücklich schätzen«, erklärte Prudence ihrer Kameradin, »auf einem solch herrlichen Flecken Erde zu leben, weißt du das? Ich versichere dir, niemals zuvor habe ich etwas Schöneres gesehen, etwas, das mein Herz so tief und stark berührt.« Sie streichelte den samtenen Kopf des Tieres und zeigte dann auf einen hellen Fleck im Wasser.

»Sieh nur, ein Fischkutter kommt von den Inseln herein! Was er wohl gefangen hat? Makrelen, Heringe, Kabeljau? Ja, da läuft dir das Wasser im Mund zusammen, hm?«

Gleich darauf deutete sie Richtung Süden, wo eine schmale Landzunge oder Sandbank – es war nicht genau zu erkennen – weit vom Ufer vorsprang. »Schau, dort legt ein Boot an, wohl eine Fähre, die Mensch und Vieh von der einen Seite der Bucht zur anderen transportiert. Meinst du, es sind auch abenteuerlustige Kätzchen unter den Passagieren?«

»Und ist dir schon aufgefallen«, fuhr sie fort, nachdem sie den Blick zu den Bergen auf der anderen Seite des Lochs hatte schweifen lassen, »welch lustige Gestalt die Wolken über dem buckligen Gipfel dort haben? Gleicht die eine nicht einer großen, fetten Maus? Was meinst du, Mistress Kitty?«

Für eine Weile wies Prudence ihre pelzige Gefährtin auf allerlei Auffälligkeiten hin, die sie entdeckte, und das Kätzchen schien jedem ihrer Worte aufmerksam zu lauschen. Bis es schließlich mit einem Satz zu Boden sprang und einem gelben Schmetterling hinterherjagte, der zwischen den Löwenzahnblüten dahinschaukelte.

»Verrücktes Huhn!«, lachte Prudence und schüttelte die Schürze aus, die sie für die Arbeit über ihr geblümtes Kleid gebunden hatte. Sie bückte sich nach dem leeren Wäschekorb und wandte sich zum Gehen. Doch im nächsten Augenblick fasste sie sich mit einem spitzen Schrei an den Hals – der Weidenkorb fiel achtlos zu Boden. Grundgütiger!

Am Eingang der Bauernkate lehnte ein hochgewachsener Mann – wie es schien, schon seit längerer Zeit – und beobachtete sie mit vor der Brust verschränkten Armen. Seine Kleidung war so sonderbar, dass Prudences erschrockener Blick einige hastige Atemzüge lang auf seinen blanken Knien verweilte. Statt Hosen war nämlich eine Art Weiberrock aus kariertem Wollstoff um seine Hüften gewickelt, der aber so kurz war, dass gerade einmal die Oberschenkel des Mannes bedeckt wurden. Zwischen Rocksaum und Kniestrümpfen blitzte ein ordentliches Stück nackter Männerhaut hervor. Du liebes bisschen!

Mit geröteten Wangen zwang Prudence sich, ihre Augen nach oben wandern zu lassen. Der Rest der Aufmachung des Hünen – eine abgetragene braune Jacke sowie ein Leinenhemd, das einmal von weißer Farbe gewesen sein musste – schien dagegen nicht ungewöhnlich. Dann bemerkte sie das gewaltige Schwert, das an seiner Hüfte hing, und das lange Messer, das in seinem Gürtel steckte. Mit einem entsetzten Keuchen wich sie einen Schritt zurück.

Mein Gott, nun war es so weit! Ein mordlüsterner Barbar!, schoss es ihr durch den Kopf. Er wird mir die Kehle durchschneiden, so wie Mutter es vorhergesagt hat!

Der mordlüsterne Barbar machte allerdings keine Anstalten, seine todbringenden Waffen zu zücken und sich auf Prudence zu stürzen, und so wagte sie einen genaueren Blick in dessen Gesicht. Und da fiel ihr vor Erleichterung ein Stein vom Herzen, gleichzeitig schalt sie sich eine alberne Gans: Der vermeintliche Wilde, sie erkannte ihn nun wieder, war Moyras Ehemann!

»Ha!«, rief sie, obwohl sie wusste, dass der Schotte ihre Worte nicht verstehen konnte. »Sie haben mir einen gehörigen Schrecken eingejagt! Herr im Himmel, mir ist beinahe das Herz im Leib stehen geblieben. Mit diesem ganzen Waffenarsenal« – sie machte eine vage Handbewegung in seine Richtung hin –, »das Sie da mit sich herumtragen, sehen Sie wahrlich zum Fürchten aus. Beim nächsten Mal seien Sie so gut und warnen die arme Person, ehe Sie sich auf diese Weise anschleichen, Mr …«

Sie brach ab, denn das Gesicht des Hünen hatte wieder diesen grimmigen Ausdruck angenommen, den sie schon von ihrer ersten Begegnung her kannte. Seine Augen –, so strahlend blau wie das Wasser des Loch Fyne – funkelten drohend, und seine Lippen waren zu einem feindseligen Strich zusammengepresst.

»Haben die Engländer Sie hergeschickt?«, herrschte er sie so unvermittelt an, dass Prudence der Mund vor Überraschung offen stehen blieb.

Holla, was war das? Der Mann sprach tadelloses Englisch! Zwar untermalt von einem eigenartig klingenden Akzent, mit rollendem »R« und leicht verzerrten Silben, aber bestens verständlich und fehlerfrei.

»Sind Sie gekommen, um uns auszuspionieren?«, wollte er wissen. Mit einem wütenden Ruck stieß er sich von der Wand ab, seine Hände waren zu zornigen Fäusten geballt.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Prudence den Sinn seiner Worte erfasste. Zu groß war ihre Verblüffung ob der Tatsache, dass dieser schottische Bauer ihre Muttersprache beherrschte, noch dazu völlig einwandfrei. Als sie endlich begriff, schüttelte sie vehement den Kopf.

»Nein, natürlich nicht!«, entgegnete sie erbost. »Wie können Sie nur auf eine solch abstruse Idee verfallen?«

Er schnaubte abfällig, ging auf ihre Frage aber nicht ein.

»Ich bin auf dem Weg nach Kilbranden«, erklärte Prudence ihm den völlig harmlosen Zweck ihrer Reise, »dort erwartet mich mein Onkel, Reverend William Godstow. Vielleicht kennen Sie ihn ja? Ich werde an seiner Schule als Lehrerin unterrichten.« Und dann fügte sie hinzu: »Mein Name ist Miss Holloway, Miss Prudence Holloway, aus Woodstock in Oxfordshire.«

Doch der Mann schien wenig beeindruckt. »Pah«, knurrte er, »halten Sie mich für derartig einfältig, dass ich Ihnen dieses Märchen abnehme? Eine feine englische Lady begibt sich in die schottischen Highlands? Freiwillig? Allein?« Mit unverhohlener Skepsis schüttelte er den Kopf. »Nie und nimmer! Sie sind eine Spionin der Engländer, nicht wahr? Das ist die einzig mögliche Erklärung für Ihre Anwesenheit hier.« Er bewegte sich auf sie zu, dabei schien sein Blick, unheilvoll und finster, sie regelrecht zu durchbohren. »Sie sind gekommen, um uns barbarische Rebellen auszuspionieren!«

Prudence zwang sich, nicht zurückzuweichen. Obschon er Moyras Ehemann war, hatte dieser grimmige Schotte etwas Beängstigendes, ja Bedrohliches, an sich. Ja, ganz zweifellos wollte er sie in Angst und Schrecken versetzen, wohl um ihr ein Geständnis zu entlocken, dabei waren seine aberwitzigen Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen und ohne das kleinste Körnchen Wahrheit. Um sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen, stemmte Prudence die Hände in die Hüften und reckte forsch das Kinn.

»Und was, bitte sehr«, bemühte sie sich um einen launigen Ton, »sollte ich hier ausspionieren? Wie viele Rüben Sie auf dem Acker angepflanzt haben?«

Ihren Versuch eines Scherzes schätzte der bärbeißige Highlander sichtlich gar nicht, denn er gab ein dumpfes, grollendes Geräusch von sich, das verärgert klang – und Übles verhieß. Breitbeinig baute er sich vor ihr auf, so knapp, dass ihrer beider Schuhspitzen sich beinahe berührten und Prudence den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen blicken zu können. Herrje, dieser schottische Bauer musste gut sechs Fuß messen! Ein veritabler Riese!

Mit wachsender Beklemmung verfolgte Prudence, wie seine Rechte zum Griff seines Messers wanderte. Dabei sah er so verächtlich auf sie herab, dass sie sich wie schon bei ihrer ersten Begegnung um nichts besser vorkam als ein ekelhaftes, verabscheuungswürdiges Insekt.

»Miss Holloway hält sich wohl für ein besonders keckes Persönchen!«, höhnte er und zog die grässlich lange Klinge mit einem Ruck aus seinem Gürtel, sodass Prudence erschrocken zusammenfuhr. »Für gewöhnlich schneiden wir vorlauten Weibsleuten die Zungen heraus und nageln sie an deren Haustüren – als Warnung für alle anderen Frauenzimmer mit schamlosem Mundwerk. Das ist so Sitte hier in Schottland. Haben Sie davon noch nicht gehört?«

Prudence starrte ihn bestürzt an – sie war sich keineswegs sicher, ob der Mann scherzte oder nicht. Es sind alles unzivilisierte Barbaren, wilde Bestien, blutrünstige Teufel!, hörte sie das Echo der warnenden Stimmen ihrer Verwandten, und sie war nahe daran, die Röcke zu raffen und ihr Heil in der Flucht zu suchen. Doch nein, widersprach sie sich selbst, ich werde mich von diesem ungehobelten Riesenkerl nicht einschüchtern lassen! Immerhin war sie kein angstbebendes junges Ding, sondern eine vernünftige, erwachsene Frau, und sie würde nicht dulden, dass irgendjemand – auch kein rabiater Schotte – völlig grundlos auf solche Weise mit ihr umsprang.

Sie straffte die Schultern und blickte ihm fest ins Gesicht.

»Möglicherweise«, begann sie, »hat bisher noch niemand Sie darauf hingewiesen, aber Ihre Manieren lassen sehr zu wünschen übrig. Mit einem Wort, Sie sind fürchterlich unhöflich, Mr … Mr …«

»MacLachainn«, ergänzte der rothaarige Highlander, während er einen Schritt zurücktrat und das Messer an seinen angestammten Platz steckte. Prudence meinte, ein kurzes Aufblitzen in seinen blauen Augen zu erspähen. Hatte er sie etwa bloß auf die Probe stellen wollen?

»Lachann MacLachainn«, vervollständigte er seinen Namen und deutete – siehe da! – sogar eine kleine Verbeugung an. Also verfügte der schottische Bauer doch über ein paar gesittete Umgangsformen –, wenn auch nicht sehr reichlich an der Zahl! Seine Stimme klang nun eine winzige Spur freundlicher, weshalb Prudence hoffte, die Unterhaltung in ruhigeres Fahrwasser lenken zu können.

»Moyra und die Kinder sind heute Morgen aufgebrochen, um eine Nachbarin zu besuchen, Glenna MacBheathain«, teilte sie ihm mit, und er nickte kurz. »Sie müssten aber bald zurückkehren.«

Wiederum nickte er, schien aber mit seinen Gedanken ganz woanders.

Nun wieder einigermaßen gefasst, nützte Prudence die Gelegenheit zu einer verstohlenen Inspektion ihres Vis-à-vis und musste zugeben, dass Moyras Angetrauter ein wahres Bild von einem Mann war: eine hochgewachsene, athletisch gebaute Statur, breite Schultern, scharf geschnittene, kantige Gesichtszüge, leuchtend blaue Augen. Auch wenn sie angestrengt überlegte, konnte sie sich nicht erinnern, jemals einem solch beeindruckenden Mannsbild gegenübergestanden zu haben.

Und dann erst seine Aufmachung: Bisher hatte sie in Schottland noch niemanden in solch eigenartiger Gewandung angetroffen, obwohl sie schon davon gehört hatte, dass die Highlander sich ungewöhnlich kleideten. Sie hatte den Namen dieses unzüchtigen Stück Stoffs vergessen, das er da um seine Hüften geschlungen hatte …

Ehe sie sich daran hindern konnte, war ihr neugieriger Blick wieder zu seinen Knien gerutscht. Er hatte sehr schöne Knie, stellte sie bewundernd fest, männlich und, nun ja, irgendwie aufreizend. Ein vernehmliches Räuspern riss sie aus diesen bedeutungsvollen Überlegungen und ließ sie hastig aufsehen. Ach herrje! Mr MacLachainns hochgezogene Augenbrauen machten mehr als deutlich, dass ihm das Ziel ihrer Betrachtungen keineswegs entgangen war. Himmel, wie peinlich!

»Ähm«, stammelte Prudence mit plötzlich unangenehm brennenden Wangen, »ähm, dieser … dieser karierte Kittel« – wieder machte sie eine vage Geste in seine Richtung hin, dieses Mal ab der Hüfte abwärts – »so etwas … so etwas trägt man hier?«

Seine Mundwinkel zuckten verdächtig, doch seine Miene blieb ernst. »Diesen Kittel nennen wir fèileadh-mòr, Kilt, wenn Sie so wollen, und das karierte Muster breacan oder Tartan«, klärte er sie auf. »Und ja, das tragen wir hier.«

»Oh, tatsächlich, wie … ähm … außergewöhnlich … und, ähm, interessant …« Das schien alles, was ihr als Erwiderung einfiel, und sie wunderte sich über ihre plötzlich abhandengekommene Eloquenz. Du meine Güte, wo war nur ihr Verstand geblieben?

Der Schotte verdrehte die Augen. »Nun, falls Sie im Moment keine weiteren Fragen zu unseren Sitten und Gebräuchen haben, Miss Holloway, dann richten Sie Moyra doch bitte aus, dass ich morgen früh vorbeikomme, um Sie abzuholen. Ich werde Sie zu Reverend Godstow nach Kilbranden bringen, und dann wird sich ja zeigen, ob Ihre kleine Geschichte der Wahrheit entspricht.«

Bei dieser Nachricht leuchtete Prudences Gesicht auf. »Das würden Sie tun? Oh, wie wunderbar!«

»Sehen Sie es nicht als Gefallen«, gebot er ihrer Freude Einhalt. »Ich will lediglich sichergehen, dass sich keine englischen Spione auf MacLachainn-Land herumtreiben.«

Himmel, war der Mann taub?

»Ich bin keine Spionin, das habe ich Ihnen doch bereits gesagt!«, wies sie ihn empört zurecht, doch ganz offensichtlich schenkte der sture Kerl ihren Worten keinen Glauben, was sie nur noch mehr erzürnte. Sie bedachte ihn mit einem langen finsteren Blick, der ihm die Abwegigkeit seiner Anschuldigungen verdeutlichen sollte; aber der Schotte rieb sich gänzlich unbeeindruckt bloß sein kantiges Kinn.

»Oder haben die Campbells Sie hergeschickt?«, überlegte er laut, schien aber keine Antwort zu erwarten, was auch gut war, denn Prudence hatte nicht die geringste Ahnung, was es mit diesen Campbells auf sich hatte.

Zur Sicherheit schüttelte sie dennoch den Kopf, doch Mr MacLachainn wechselte bereits zum nächsten Thema.

»Sind Sie in der Lage, ein Pferd zu reiten, Miss Holloway?«, erkundigte er sich und nickte sichtlich erleichtert, als sie bejahte. »Gut, ich befürchtete schon, feine englische Damen lassen ihre seidenumhüllten Hinterteile in nichts als kissenweichen Sänften und samtgepolsterten Kutschen transportieren.«

Seidenumhüllte Hinterteile? Ha, wofür hielt dieser Schotte sie eigentlich? So wenig sie eine Spionin der Engländer war, genauso wenig war sie ein verwöhntes Prinzesschen, das einzig dem Luxus und Vergnügen frönte.

Doch ehe sie auch nur den Mund öffnen konnte, um ihm all das zu erklären, fuhr er schon fort: »Ich bringe morgen ein Pferd für Sie mit, zudem zwei Satteltaschen. Alles, was Sie für die Reise nach Kilbranden benötigen, packen Sie dort hinein, die restlichen Sachen schicken wir Ihnen später nach.« Er maß sie mit eindringlichem Blick. »Haben Sie das verstanden, Miss Holloway?« Als sie mit einer nachdrücklichen Kopfbewegung bejahte, nahm seine Stimme einen warnenden Ton an.

»Wenn alles gut geht, werden wir vier Tage unterwegs sein. Wir werden so gut wie keine Pausen einlegen, die meiste Zeit durch unwegsames Gelände reiten und unter freiem Himmel übernachten. Trauen Sie sich all diese Strapazen zu?«

Angesichts der erfreulichen Aussicht, in wenigen Tagen endlich – endlich! – das Ziel ihrer Reise zu erreichen, beschloss Prudence, sowohl die seidenumhüllten Hinterteile wie auch die weniger verhüllten Verunglimpfungen ihres Verstandes und ihrer Willensstärke auf sich beruhen zu lassen, zumindest für heute, und setzte stattdessen ein freudestrahlendes Lächeln auf.

»Ja, das tue ich, seien Sie unbesorgt! Und haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre Hilfe, ich weiß gar nicht, was ich ohne Sie und Moyra machen sollte! Sie beide sind meine Retter in der Not!«

Für einen Moment schien der Highlander verblüfft – etwa, weil sie sich bedankte? –, dann nickte er knapp und wandte sich zum Gehen. »Keine Ursache, Miss Holloway. Wir sehen uns dann morgen früh.«

Doch ehe er ihr den Rücken kehren konnte, stellte Prudence sich ihm rasch in den Weg, denn es gab noch eine Frage, die keinen Aufschub bis dahin duldete.

»Mr MacLachainn, können Sie mir sagen, was aus den Littleworths geworden ist? Mr und Mrs Littleworth haben mich auf der Fahrt von England hierher begleitet.« Deren mysteriöses Verschwinden bereitete ihr seit nunmehr drei Wochen Kopfzerbrechen.

Zu ihrer Überraschung verzog der Schotte abschätzig den Mund. »Wenn Sie das verschlagene ältere Ehepaar meinen: Moyra hat erzählt, dass die beiden Sie hier fieberkrank abgeladen und sich dann den Geldbeutel aus Ihrer Reisetruhe geschnappt haben. So schnell konnte Moyra gar nicht schauen, da hatten die beiden sich auch schon wieder verabschiedet.« Er rümpfte verächtlich die Nase. »Feine Reisebegleiter haben Sie sich da ausgesucht! Wenn Sie mich fragen, sind die beiden inzwischen über alle Berge.«

»Wie bitte?«, rief Prudence verdutzt. »Mr und Mrs Littleworth haben mich hier abgeladen? Sind Sie sich da sicher?«

»Ja«, bestätigte Mr MacLachainn, »die beiden – wie auch die übrigen Fahrgäste der Kutsche – hatten wohl Angst, sich bei Ihnen anzustecken. Sie meinten, das Fieber wäre bereits so weit fortgeschritten, dass Sie … Sie wissen schon.«

»Ach du meine Güte«, murmelte Prudence bestürzt. So wie es schien, hatten die Littleworths sie in der Stunde höchster Not im Stich gelassen und sich darüber hinaus auch noch mit ihrem Geld aus dem Staub gemacht, was ihr bisher nicht einmal aufgefallen war.

»Wahrscheinlich sind die beiden inzwischen zurück in Oxfordshire«, mutmaßte Mr MacLachainn, »oder wo immer Sie tatsächlich herkommen, und haben dort von Ihrem unerwarteten und höchst bedauerlichen Ableben berichtet.«

»Oh mein Gott!«, wisperte Prudence, vor deren geistigem Auge mit einem Mal ein höchst verstörendes Bild erstand: In Unkenntnis ihres wahren Schicksals trauerten ihre Familie, ihre Verwandten und Bekannten um sie, schluchzend, wehklagend, von Schmerz und Tränen überwältigt. Dabei war sie doch gesund und munter.

»Oh mein Gott, ich muss auf schnellstem Wege nach Kilbranden.«

Drittes Kapitel

Derrinloch, Loch Fyne, Argyll, westschottische HighlandsAm nächsten Morgen

»Danke, Moyra! Danke für alles, meine Lebensretterin, meine barmherzige Samariterin! Ich stehe ewig in deiner Schuld, meine teure Freundin!« Prudence umarmte und herzte die Bauersfrau inniglich, anschließend drückte sie die vier Kinder, eines nach dem anderen, fest an sich. Tränen stiegen ihr in die Augen, denn die junge Familie war ihr in der kurzen Zeit, die sie hier in Derrinloch verbracht hatte, ans Herz gewachsen.

»Ach herrje, wie schwer fällt mir der Abschied von euch! So gerne würde ich noch bleiben, doch ich muss mich sputen, zu meinem Onkel nach Kilbranden zu gelangen. Er macht sich sicherlich schon die allergrößten Sorgen. Aber ich verspreche, euch zu besuchen, sobald ich es einrichten kann.«

Moyras Ehemann übersetzte ihre Worte für seine Frau, die – nicht weniger gerührt als Prudence – diese an sich zog und liebevoll über ihren Rücken strich, immer und immer wieder. »Mar sin leibh, caraid dhomh! Slàn leat air an àm!«